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Inspektor Ruprecht und die Kunst Martin Ruprecht, Chefinspektor des Landeskriminalamts Salzburg, wird nachts zu einem Leichenfund gerufen. Der bekannte Kunstexperte Otto Bachinger hängt tot in seinem Apartment. Obwohl zunächst alles nach einem Selbstmord aussieht, irritieren Ruprecht die Umstände am Tatort und so nimmt er Ermittlungen auf. Nach und nach tun sich Abgründe hinter der bürgerlichen Fassade des toten Kunst-Sachverständigen auf, und instinktiv spürt Ruprecht, dass er es mit einem Netzwerk zu tun hat, das sich bis in die höchsten Kreise zieht. Geraubte Kunst wird illegal verschoben – und das bereits seit vielen Jahren. Als die Presse über diesen Skandal berichtet, gerät auch seine Familie ins Visier dieser gefährlichen Organisation, und als er erkennt, wer die Hintermänner sind, zieht es selbst dem erfahrenen Chefinspektor fast den Boden unter den Füßen weg. Jetzt muss Ruprecht blitzschnell handeln. Mit Hilfe der italienischen Finanzpolizei rast er nach Monfalcone, wo russische Hehler bereits auf die heiße Ware warten. - Kriminalroman - Mehr aus dieser Reihe: Bleiche Erben, erscheint im Frühjahr 2023, Bittere Quellen, erscheint im Frühjahr 2024
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Seitenzahl: 368
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Ernst Kaufmann
Inspektor Ruprecht und die Kunst
Gefördert durch
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2022 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.
Grafik, Satz und Produktion: Tanja Kühnel
Lektorat: Martina Schneider
zusätzliche Korrekturen: Rosemarie Fürst
eISBN 978-3-7025-8102-2
Auch als gedrucktes Buch erhältlich,
ISBN 978-3-7025-1070-1
www.pustet.at
Kunst sieht hinter die Dinge,bis in die Seele eines Landes.
Friedrich Lamthaler
Hallstatt 1998
Nebelbilder
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Alte Wunden
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Ins Wespennest
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Russisch Roulette
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Eine Woche später …
Kulinarium
Morgens am Seeufer
Hogges Snack für Zwischendurch
Hogges herbstlicher Lunch
Nachmittags in Salzburg
Ein Abend bei Hanna und Lukas
Dank
Nach dem trockenen Splittern des Holzes schien plötzlich alles stillzustehen. Ulrich von Dahnbergs Augen waren mit einem seltsam abwesenden Ausdruck auf den gebrochenen Standfuß des barocken Kerzenständers gerichtet, der über den Boden zum Kamin rollte.
Der Eigentümer des abgelegenen Herrenhauses war kurz zuvor durch ein Geräusch geweckt worden. Es musste von einem losen Fensterladen herrühren, den er zu schließen vergessen hatte oder der aus der Verankerung gesprungen war. Wenn der böige Wind in den frühen Morgenstunden ins Tal fiel, hakten sich die Sperrdrähte gern aus. Schlaftrunken stand Dahnberg auf, zog seinen warmen Schlafrock über und ging nach unten.
Schon auf der Treppe bemerkte er die halb offene Tür zur Bibliothek. Drinnen wanderte der Schein einer Taschenlampe umher, glitt über die Wand hinter seinem Schreibtisch. Schlagartig hellwach, nahm er die letzten Stufen mit forschen Schritten. Trotz seiner bald siebzig Jahre war es der rüstige Pferdezüchter gewohnt, mit jeder Situation fertig zu werden und fühlte sich auch einem Dieb gewachsen. Doch in dem Schrecken, durch das plötzliche Auftauchen des alten Grafen entdeckt worden zu sein, griff der Eindringling nach dem nächstbesten Gegenstand und schlug mit voller Wucht zu.
Die Beine Ulrich Dahnbergs gaben nach, er sackte wie in Zeitlupe in sich zusammen und fiel seitlich auf den Teppich. Noch immer schien er mit einem ungläubigen Blick den vergoldeten Fuß des Ständers zu verfolgen, der mit einer torkelnden Bewegung vor der Feuerstelle auslief und dabei einen blutigen Kreis auf den hellen Steinen des Bodens hinterließ. In Wahrheit war aber bereits seit dem Auftreffen der schweren Schnitzerei auf seinem Kopf, das die halbe Schädeldecke zertrümmert hatte, jegliches Leben aus seinen Augen gewichen.
Der Mann mit dem schwarzen Bandana, selbst erschrocken über seine hastige Reaktion, atmete schwer und ließ den restlichen Teil des Kerzenständers fallen. Der reglose Körper, die wirren weißen Haare und der dunkle Blutfleck, den der Teppich rasend schnell aus dem geborstenen Schädel saugte, lösten Panik bei ihm aus. Mit zitternden Beinen machte er einige schnelle Schritte von dem Toten weg und hinüber zu der getäfelten Wand, wo das Bild hing. Mit einer hastigen Bewegung nahm er es vom Wandhaken, warf ein mitgebrachtes Leinentuch darüber und verstaute es in seinem Rucksack.
Bevor er das Zimmer verließ, kehrte er noch einmal um, riss sich das Bandana vom Hals und wischte damit über den Schaft des Kerzenständers – nur keine Spuren hinterlassen. Er verfluchte seine Unachtsamkeit, den Flügel des Fensters, durch das er in die Bibliothek eingestiegen war, nur anzulehnen.
Draußen rannte er zu dem schmalen Anbau des Wirtschaftsteils bei den Stallungen. In einem Gebüsch neben der Zufahrt lehnte sein Motorrad. Es dämmerte bereits, als er aufstieg und startete. Beim Ankommen hatte er es von der Straße bis zum Schloss geschoben, um sich nicht durch das Motorgeräusch zu verraten. Jetzt war ihm der Lärm gleichgültig, nur weg von hier. In wenigen Augenblicken würde er auf der Bundesstraße nach Salzburg sein, wo er in der Anonymität des beginnenden Frühverkehrs unerkannt verschwinden konnte.
»Und der Tote lag hier vor dem Kamin?« Die Frage des Ermittlungsbeamten aus Gmunden war rein rhetorisch. Er wusste von den Polizisten der Tatortsicherung, dass die Angestellte nichts angerührt und die Bibliothek nicht einmal betreten hatte, nachdem sie den Grafen und das viele Blut sah.
Die ältere Frau nickte heftig unter Tränen und hielt sich dann wieder die Hände vors Gesicht.
»Ich bitte Sie«, sagte Konstanze Dahnberg, die Tochter des Ermordeten. »Die arme Frau Luise hatte Aufregung genug. Sie hat ihn gefunden und mich sofort verständigt.«
Damit schob sie die Frau aus dem Zimmer und befreite sie von dem Anblick des Toten. Der Beamte ließ es geschehen und wandte sich Konstanze zu.
»Wer hat unsere Dienststelle informiert?«
»Das war ich selbst, unmittelbar nachdem ich von dem Unglück Kenntnis hatte. Ich bin dann ebenfalls hergefahren und gleichzeitig mit Ihnen hier eingetroffen.«
»Sie wohnen demnach nicht hier?«
»Nein, ich studiere in Salzburg, wo ich eine kleine Wohnung habe, und komme nur am Wochenende nach Hause. Die letzte Zeit seit Mutters Tod war mein Vater also meistens allein.«
»Und die Haushälterin?«, fragte der Beamte nach.
»Frau Luise wohnt in Hallstatt und kommt immer erst am Vormittag, ebenso wie die Stallburschen für die Pferde.«
Der Leichenwagen kam und Konstanze ging ins Nebenzimmer. Sie presste ein Taschentuch vor ihre Augen. Wie die Haushälterin stand auch sie noch unter Schock, ging durch ihre Erziehung jedoch sehr kontrolliert mit ihren Gefühlen um.
Als der Leichnam des Grafen abtransportiert worden war, wirkte sie bereits wieder gefasst. Sie machte eine Runde durch die Bibliothek, wobei sie es vermied, in die Nähe des Blutflecks auf dem Teppich zu geraten. Ihr Blick wanderte über die Einrichtung, und zuletzt sah sie die Laden des Schreibtischs durch.
»Und, fehlt etwas?«
»Nach meinem ersten Eindruck nur das kleine Bild, das mein Vater hier zwischen den Büchern hängen hatte.« Sie zeigte auf die leere Stelle an der Wandtäfelung hinter dem Tisch. »Sonst scheint alles wie immer.«
»Ein wertvolles Bild?«
»Kann ich nicht sagen. Es hat immer hier gehangen, schon seit ich denken kann, aber wer es gemalt hat oder von wem mein Vater es hatte …« Sie schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
»Und was war darauf zu sehen?«
»Ein Boot mit einer Möwe an einem Seeufer und dahinter einige Berge im Nebel …, ich glaube, es war der Mondsee, aber ich bin da nicht ganz sicher. Es war ganz in Pastelltönen gehalten«, sie hob entschuldigend die Arme. »Wie das eben so ist, man sieht etwas jeden Tag und der Anblick wird so vertraut, dass man mit der Zeit die Details vergisst.«
Die weiteren Ermittlungen waren wenig ergiebig. Man fand lediglich Fußabdrücke auf einem Rasenstück und Werkzeugspuren am Riegel des Fensters zum Garten. Die eingehende Befragung der Nachbarn in den Häusern der Umgebung brachte kein Ergebnis – niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Das schien nicht weiter verwunderlich, lag der nächste Hof doch einen halben Kilometer entfernt.
Außer dem kleinen Bild fehlte tatsächlich nichts – weder die Ahnenporträts, die wesentlich kostbarer erschienen, noch andere Wertgegenstände, und die lederne Kassette mit einer Sammlung Goldmünzen lag unversehrt in der Lade des Schreibtischs.
Also kam die Kripo zu dem Schluss, dass der Dieb unmittelbar nach seinem Eindringen vom Hausherrn überrascht worden war und seinen Entdecker wohl in einer Überreaktion erschlagen hatte. Daraufhin dürfte er sofort geflohen sein, ohne weitere Sachen mitzunehmen. Und da das entwendete Landschaftsgemälde bei keinem der ortsbekannten Hehler auftauchte, wurden die Ermittlungen einige Wochen später ergebnislos eingestellt. Bereits ein halbes Jahr nach dem Tod des Grafen legte man den Fall zu den Akten.
Die Stadt schlief und seine Schritte auf dem kalten Asphalt hallten monoton durch die Stille. Die Beleuchtung warf kleine blasse Inseln zur Mitte der Fahrbahn, die schmalen Gehsteige an den Seiten lagen fast gänzlich im Dunkeln, hinter den Fenstern brannte nirgendwo Licht. Nur an der Einmündung einer Querstraße spiegelten sich die Laternen über dem Eingang eines Cafés in den Auslagen der Geschäfte gegenüber. Sie warfen zwei gelbliche Streifen quer über den vom Regen nassen Gehweg und einen halbvollen Plastikbecher, der im Wasser des Rinnsals schwankend kreiselte.
Die Kaigasse lief in mehreren Bögen gewunden durch die Altstadt von der Nonnbergstiege hinunter zur Salzach. Die Gegend rund um den Dom gehörte zu den ältesten Vierteln der Stadt und war während der Bauernaufstände im 16. Jahrhundert ein brutales Pflaster gewesen. Die Zeit, als bayerische Landsknechte dem maßlosen Salzburger Erzbischof zu Hilfe eilten und die rebellischen Bauern in nächtlichen Überfällen reihenweise erschlugen. Der Chefinspektor musste auf seinem Weg daran denken, wie es damals hier gewesen sein mochte, denn auch er war in der Dunkelheit zu einem Toten unterwegs. Doch über solche Dinge sprach man in der kunstsinnigen Mozartstadt normalerweise nicht.
Der Anruf hatte ihn vor einer guten Stunde erreicht. Ella spürte es immer schon einige Sekunden davor. Ihre Augen waren weit geöffnet, starrten regungslos in das Dunkel hinunter auf das Display des Handys. Gleich darauf zerriss das irische Volkslied, nachts ein fast unerträglich fröhlicher Singsang, die Ruhe im Haus.
Ruprecht versuchte, den Lärm zu ignorieren, und drehte sich mit einem Unmutslaut zur Seite – er hasste es, geweckt zu werden. Doch Ella hob den Kopf, streckte sich über die Decke, stupste ihn an der Wange und begann an seinem Ohr zu knabbern.
»Ist ja gut, ich hab es gehört«, brummte er missmutig. Er schob sie zur Seite und gähnte ausgiebig, während er auf dem Boden neben dem Bett nach seinem Telefon tastete.
Ella sprang vom Bett, schüttelte sich kräftig, dann trottete sie hinaus in die Küche zur Wasserschüssel. Ihre Pflicht, ihn zu wecken, war erfüllt.
Er fand das krächzende Ding, setzte sich auf und blinzelte hinüber zu den Leuchtziffern des Radioweckers, die ihn grellgrün durchs Dunkel ansprangen.
Halb vier …
Halb vier?! Das konnte nur die Dienststelle sein, sonst wagte es niemand, ihn um diese Zeit anzurufen. Er gähnte, versuchte einigermaßen zu sich zu kommen, und hob mit einem Räuspern ab.
»Ist dort Ruprecht?«, fragte eine unangenehm laute Stimme, noch bevor er sich gemeldet hatte.
»Ja, wer denn sonst?«
»Hallo? Martin?«
Er erkannte den resoluten Tonfall sofort – Frieda, die Gnadenlose, die mit ihrem strengen Blick und den aufgesteckten Haaren über das Amt herrschte. Frieda, die gern Bitterschokolade verzehrte und die Stanniolpapiere vor dem Wegwerfen sorgsam glättete.
»Was gibt’s? Ich hoffe, es ist wichtig«, knurrte er.
»Ist es. Wir haben einen Toten!«
»Und?« Ruprecht rieb sich den Schlaf aus den Augen und zog sich die Decke über die Schultern. Morgens um halb vier konnte er nur schwer mit lebhaften Menschen umgehen, und niemand sonst war nachts im Journaldienst so munter wie Frieda.
»Eine männliche Leiche, laut Meldung wahrscheinlich Selbstmord, die Spurensicherung ist bereits unterwegs. Du musst aber vorbeifahren und die Sache aufnehmen, damit sie ihn in die Gerichtsmedizin bringen können.«
»Hätte nicht der junge Kornhauser Bereitschaft?«
»Schon, aber der ist krank.«
»Und Schönegger?«
»Ist noch in einem Verhör und kann nicht weg.«
»Also gut«, Ruprecht stand auf und streckte sich widerwillig. »Wo denn?«
»In der Kaigasse, gleich bei der Uni.«
»Weiß man, wer das Opfer ist?«
»Ja, sein Name ist Bachinger. Ich schick dir die Details aufs Handy. Ciao!«
Weg war sie, bevor Ruprecht die Verabschiedung erwidern konnte. Er schüttelte den Kopf, schlurfte fröstelnd ins Bad, wusch sein Gesicht mit kaltem Wasser und fuhr sich mit den nassen Fingern durch die kurzen Haare – das musste reichen. Das Licht ließ er abgedreht. Sein Spiegelbild kannte er seit bald fünfzig Jahren und der Anblick langsam grau werdender Bartstoppeln trug nicht zur Hebung der Laune nach nächtlichen Ruhestörungen bei.
Während er sich abtrocknete, ging er ins Wohnzimmer und starrte durch die Glastür hinaus auf den Wolfgangsee. Es schien ziemlich neblig zu sein, das konnte man sogar in der Dunkelheit erahnen, und es regnete. Also holte er die warmen Cordjeans aus dem Kasten und schlüpfte in seinen alten Shetlandpullover, der auf dem Hocker beim Klavier lag. Den trug er sonst nur bei Spaziergängen mit Ella, aber für einen ungeplanten Nachteinsatz war er allemal gut.
Ella, die schwarz-weiß gefleckte Spanieldame, stand bereits wedelnd hinter ihm und machte sich mit einem leisen Winseln bemerkbar.
»Ja, gut«, sagte Ruprecht über die Schulter, während er in die Hose schlüpfte. »Du kannst mitfahren.«
Ein kurzes Bellen war die Antwort, dann lief sie schon vor und wartete neben der Tür.
Keine fünf Minuten später kamen von Frieda die Daten: Otto Bachinger, Sachverständiger für Kunst, in seiner Wohnung tot aufgefunden. Ruprecht überflog die Message – wenn es wirklich ein Suizid war, dann würde er um sechs wieder im Bett sein.
Er holte sich noch zwei Taveners aus der Blechdose im Vorraum – die süßen Bonbons gaben ihm zumindest das Gefühl, nicht mit leerem Magen das Haus zu verlassen. Dann schlug er mit einem Ruck den Kragen der Jacke hoch und nahm die wenigen Schritte durch den Regen zur Garage im Schnellschritt.
Hoffentlich springt die Karre ohne Murren an, dachte er beim Öffnen der Tür, während Ella bereits auf die Rückbank sprang.
Die Karre war eine Amazone, ein Volvo in dunklem Kieselgrau mit roten Sitzen, den er in mühsamer Kleinarbeit restauriert hatte. Ruprecht liebte die 122er aus den späten Sechzigern mit ihren langen Motorhauben, dem kernigen Sound und den dicken Lederpolsterungen.
Er benutzte den Wagen beruflich nur ungern und nahm wegen des Verkehrs lieber den Bus, aber nachts war es die einzige Möglichkeit, nach Salzburg zu kommen, denn Dienstfahrzeuge für privat gab es bei der Polizei nicht, sie blieben ausschließlich für Einsätze reserviert. Diese Sparsamkeit bedeutete sinnlose Verzögerungen, wenn man rasch auf eine Situation reagieren musste. Und nachher durfte man sich auch noch wegen des Kilometergeldes mit der Buchhaltung streiten.
Der Motor machte keine Zicken, rülpste kurz und war trotz des Sauwetters bei der ersten Umdrehung des Schlüssels da. Ruprechts Laune besserte sich schlagartig; der Tausch des Doppelvergasers und des Luftfilters hatte sich also bezahlt gemacht. Mit einem zufriedenen Nicken rollte er auf die Straße hinaus.
Der Weg entlang des Sees drehte nach einem Stück vom Wasser weg und mündete in die Bundesstraße. Bei einer Tankstelle hielt er an, um Ella hinaus auf die Wiese zu lassen. Die Station war geschlossen, aber an einem Automaten gab es Dosen mit Getränken. Er kaufte einen Nescafé, lehnte sich damit an den Steher des Vordachs und sog den Geruch der Regenluft ein. Obwohl die Leute von der Spurensicherung sicher bereits warteten, gönnte er sich diesen Augenblick der Ruhe. Solche Momente schufen einen inneren Raum, den nötigen Abstand, um sich danach voll auf die Sache konzentrieren zu können.
Die Beweggründe, ein Gewaltverbrechen zu begehen, hatten Martin Ruprecht, den Chefinspektor des LKA Salzburg, immer brennend fasziniert. Viele seiner Kollegen deprimierte der Dienst, sie bekamen Probleme mit den negativen Erlebnissen, suchten Befreiung im Fitnessclub, bauten einen derben Zynismus auf oder flüchteten sich in den Alkohol, was selten funktionierte. Bei ihm war das anders – für die Herausforderung, einen schwierigen Fall zu lösen, nahm er sogar die Brutalität in Kauf, mit der er dadurch konfrontiert war.
Dabei hatte er nach der Matura das Studium der Rechtswissenschaften an der Uni nur der Familie wegen begonnen. Ursprünglich hatte er seiner Liebe zum Jazz folgen wollen, doch sein Vater bestand auf einem soliden Beruf. Also wählte er aus dem Studienführer kurzerhand Jus, wo er viel von zu Hause aus lernen konnte und Freiraum für die Musik blieb.
Sein Anstoß zur näheren Beschäftigung mit der Arbeit eines Ermittlers waren dann die Vorlesungen über historische Verbrechen im dritten Semester. Sie erschienen ihm so spannend, dass er sich spontan für den Polizeidienst bewarb. Bald vertiefte er sich – statt in seine Noten – in menschliche Abgründe. Anfangs war es wie ein Spiel, die Welt durch die Augen eines Täters zu betrachten, später wurde es ihm zur Gewohnheit.
Sein Talent sprach sich herum und er bekam bereits während der Einarbeitungszeit eine Stelle bei der Kriminalpolizei in Wien angeboten und nahm sie danach an. Seine Eltern freute das, obwohl sich der Vater die Bemerkung nicht verkneifen konnte, dass die Verdienstchancen eines Rechtsanwalts wesentlich besser gewesen wären.
Nach kurzer Zeit in der Abteilung für Kriminalprävention, wo er sich tierisch langweilte, wechselte er ins Drogendezernat – glücklich wurde er auch dort nicht. Wien war einfach nicht seine Stadt. Das Leben lief dort sehr geschäftsmäßig ab, die Leute bemühten sich damals vor allem, cool zu sein, und für die Kollegen blieb er immer einer vom Land. Aber es sollte volle acht Jahre dauern, bis in Salzburg ein Posten als Ermittler ausgeschrieben wurde. Sofort bewarb er sich und war heilfroh, Wien in Richtung Heimat verlassen zu können, als das Kuvert mit der positiven Antwort kam. Seitdem war das Landeskriminalamt sein zweites Zuhause.
Ella bellte, es war Zeit weiterzufahren. Auf der restlichen Strecke trat er ordentlich aufs Gas, und trotz des kurzen Stopps an der Tankstelle schaffte er es in knapp vierzig Minuten. Er blieb am gegenüberliegenden Ufer der Salzach stehen und ging das letzte Stück über den Mozartsteg zu Fuß. Ella musste, obwohl sie lautstark protestierte, im Auto bleiben.
Für heutige Begriffe waren die Straßen des alten Viertels eng und glänzten in der Regennässe. Die stattlichen Bürgerhäuser waren prachtvoll renoviert und viele Apartments an Firmen vermietet. Dementsprechend knapp und teuer war der Wohnraum. Das Haus, zu dem er musste, lag etwas zurückgebaut. Es war ein altes zweistöckiges Gebäude aus dem sechzehnten Jahrhundert mit einem großen Eingang aus Natursteinen, gemauertem Dachsims und schmiedeeisernem Tor zum Hof. Wenn sich der tote Kunstexperte hier ein Apartment leisten konnte, mussten seine Geschäfte einträglich gewesen sein, das Gehalt eines Museumsangestellten reichte dafür gewiss nicht.
Ruprecht hätte die Adresse auch ohne Hausnummer gefunden. Hinter einem halbrunden Bogenfenster im ersten Stock brannte Licht und durch die Verglasung sah man die rege Geschäftigkeit, die Räume immer dann bekamen, wenn die Kriminaltechnik eintraf.
Vor dem Tor stand ein Kripobeamter, murmelte ein müdes »gerade hinauf, in den ersten Stock«, als er Ruprecht erkannte, und trat zur Seite. Innen führte ein hell ausgemaltes Treppenhaus mit Stahlgeländer und Marmorfliesen ins Obergeschoß. Der alte Bau musste vor einigen Jahren komplett saniert worden sein. Nur die äußere Fassade hatte man im Originalzustand belassen, alles andere jedoch nach heutigem Standard ausgestattet.
Ruprecht blieb eine Sekunde stehen und sah sich um. Was immer hier geschehen sein mochte, Zeugen würde es keine geben, denn die Geschäfte im Parterre waren nachts geschlossen und in der oberen Etage gab es nur das eine Apartment. Der Eingang zu der Wohnung stand offen, auf dem Messingschild unter der Klingel prangte in geschwungenen Lettern der Name des Toten:
Otto Bachinger.
Alexander Wöss von der KPU, Leiter der forensischen Untersuchung des Tatorts, stand in der Tür und nickte Ruprecht bereits übers Geländer hinweg zu.
»Morgen, Martin! Haben’s dich auch aus dem Bett geholt?« Er hielt Ruprecht, der nur ein mürrisches Nicken als Antwort gab, die Schachtel mit den Einweg-Handschuhen hin und gab ihm blaue Plastikschoner mit Gummizug für die Schuhe. Die beiden kannten sich schon seit der Ausbildung. Alexander war einer der wenigen Wiener, mit dem Ruprecht gern arbeitete, und er hatte ihn sogar für den Job in Salzburg vorgeschlagen.
»Die Leiche hängt im Bad«, sagte Wöss mit beiläufigem Unterton, der seine Betretenheit überspielen sollte. Auch nach vielen Jahren im Dienst hatte er sich an den Anblick von Leichen nicht gewöhnt. Er deutete zum anderen Ende des Flurs. »Gleich da hinten.«
»Wieso seid ihr überhaupt da?«, wunderte Ruprecht sich. »Ist denn schon sicher, dass es ein Tatort ist?«
»Nein, gar nicht, aber die Stadtpolizei schlug sofort großen Alarm und Frieda hat mich zur Sicherheit verständigt, bevor Spuren zerstört werden.«
»Und? Was entdeckt?«
»Bis jetzt nichts«, meinte Wöss und gähnte. »Schad um die Nacht.«
»Habt ihr was verändert?«
»Natürlich nicht. Die Spurensicherung ist fast fertig und Agnes sieht sich den Toten gerade an.«
»Na dann …« Ruprecht zog sich die Schuhschützer über und nickte mit einem säuerlichen Lächeln – Erhängte mochte er von allen Leichen am wenigsten. Glücklicherweise hatte er nur die beiden Bonbons und den Kaffee an der Tankstelle gehabt und nicht gefrühstückt. Es reichte, sich die Sache mit leerem Magen ansehen zu müssen.
Aus dem Badezimmer fielen Lichtblitze, der Fotograf war noch bei der Arbeit. Ruprecht wartete ab, bis er herauskam, dann ging er mit leichtem Widerwillen durch die Tür.
Otto Bachinger war ein kleiner, dicklicher Mann um die fünfzig mit schütterem dunklem Haar gewesen. Er hing über der Badewanne an der oberen Befestigung der Installation, zwischen Wand und Wasserboiler, und hatte eine wächsern hellgelbe Hautfarbe, was bedeutete, dass er auch lebendig sehr blass gewesen sein musste. Das Blut im Gesicht war gestaut und die Lippen blau verfärbt. In der Wanne lag ein Küchenhocker, so als wäre er hinaufgestiegen und hätte den Hocker dann umgestoßen, um sich zu töten. Bachinger war barfuß, sonst aber mit Hemd und Hose bekleidet.
Die Livores, die Totenflecke an den Fußrücken und den Unterarmen – dort stauten sich die Körperflüssigkeiten bei Leichen in aufrechter Lage zuerst – waren deutlich ausgeprägt und violett, die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt. Er musste also schon einige Stunden hier hängen. Ruprecht wunderte sich darüber, dass die Augen nicht offen waren.
»Hast du ihm die Augen geschlossen?«, fragte er die Gerichtsmedizinerin, die eben mit der Beschau fertig war.
»Nein«, antwortete die Ärztin. »Das ist aber bei einem Suizid nicht ungewöhnlich, beim Ersticken verkrampfen sich Selbstmörder schon mal.«
»Fremdeinwirkung?«
»Auf den ersten Blick sieht es nicht danach aus.«
Agnes Steiner war eine Kapazität, und Ruprecht verließ sich meistens ohne Einschränkung auf ihr Urteil. Sie hatte die Stelle in der Gerichtsmedizin vor 20 Jahren übernommen und leitete mittlerweile das Institut. Mit ihrem sportlichen Auftreten und den kurzen, wie unfrisiert abstehenden Haaren war sie eine attraktive Erscheinung und bereits am frühen Morgen voller Energie.
»Wann wirst du ihn obduzieren?«
»Wenn es für dich nicht vordringlich ist, dann erst in zwei Tagen. Im Moment sind die Kühlboxen ziemlich voll und wir sind nur zu dritt.«
»Wenn wir von einem Suizid ausgehen, reicht mir das für den Befund. Ich muss mir sowieso zuerst über sein Umfeld Klarheit verschaffen werden und die finanziellen Verhältnisse abchecken.« Ruprecht war froh, sich wieder von der Leiche abwenden zu können. »Wer hat ihn entdeckt?«
»Ein älteres Ehepaar.« Sie deutete zum Fenster hinaus. »Das Badezimmer liegt nach hinten hinaus und das Fenster war offen. Die Leute von gegenüber kamen um Mitternacht von einer Feier nach Hause und haben ihn hängen gesehen, als sie vor dem Schlafengehen duschen wollten.«
»Makaber …« Ruprecht schüttelte den Kopf und über sein Gesicht huschte trotz der ernsten Situation ein kurzes Grinsen, als er sich die bestürzten Nachbarn nackt unter der Dusche vorstellte.
»Kann ich ihn abnehmen lassen?«, fragte sie mechanisch, und ohne auf eine Antwort zu warten, rief sie nach den beiden Mitarbeitern mit dem Transportsarg.
Ruprecht ging zurück in den Flur, um sich ein Bild von dem Apartment zu machen. Es bestand aus zwei Zimmern vorn zur Straße hinaus, Bad und Küche lagen hofseitig neben einem Arbeitsraum mit Wintergarten, den man über einige Stufen erreichte. Hier thronte ein ausladender Schreibtisch in der Mitte. Ging man weiter in den Wintergarten, stand dort zwischen den Grünpflanzen ein Teetisch mit vier Lederfauteuils für Besprechungen.
Überall lagen Bücher zum Thema Kunst und einschlägige Magazine herum, alle mit bunten Klebezetteln, die bestimmte Stellen markierten. Der Computer auf dem Schreibtisch lief – auf das Drücken einer Taste sprang der Monitor an. Bachinger musste zuletzt an einer Expertise gearbeitet haben, denn der Word-File war noch offen. Es ging um das Bild eines französischen Malers, das er offenbar für jemanden im Zuge einer Erbschaftssache beurteilen sollte. Der Text brach mitten in einem Satz ab. Ruprecht runzelte die Stirn.
Die Luft im Raum war stickig, und Ruprecht öffnete eines der Fenster, um frischen Sauerstoff hereinzulassen. Der Wintergarten wirkte überheizt, wahrscheinlich zugunsten der subtropischen Pflanzen, schloss er und setzte sich in einen der Fauteuils. Im Lauf der Jahre hatte er ein gutes Gefühl für Menschen und ihre Stimmungen entwickelt. Wenn man den Blick durch diese Räume wandern ließ, strahlten sie Aktivität aus und machten auf ihn nicht den Eindruck, als wollte der Bewohner gleich mit seinem Leben Schluss machen. Und durch den halbfertigen Text gewann er den Eindruck, als wäre Bachinger in seine Arbeit vertieft gewesen und dabei gestört worden.
Als er wieder zum Auto kam, lag Ella gemütlich auf dem Rücksitz. Sie begrüßte ihn nur kurz, während er einstieg und startete, dann schlief sie wieder ein.
Er gähnte ausgiebig, lenkte den Volvo in gemächlichem Tempo durch die kleinen Gassen hinaus Richtung Aigen und fuhr erst hinter dem Kühberg auf die 158er Richtung Salzkammergut. In diesen Stadtteilen kannte er jede Ecke – einige Häuserblöcke weiter hatte er seine Kindheit verbracht und seine Schwester Hanna wohnte ganz in der Nähe.
Auch die Musikschule, in der er mit zehn seine ersten Klavierstunden hatte, lag nur einen Steinwurf entfernt. Es war das Bestreben seiner Mutter gewesen, die aus einer deutschen Arztfamilie stammte, ihren Kindern ein musikalisches Verständnis mitzugeben und die Fertigkeit, ein Instrument zu spielen. Das gehörte für sie zu einer guten Erziehung einfach dazu. Also lernte Hanna Gitarre und er begann mit Klavier.
Da er sich damals lieber auf dem Fußballplatz herumtrieb, als Tonleitern zu üben, war es für ihn eine Überwindung gewesen, auf dem Weg zum Musikunterricht nicht in die Straße zur Trainingswiese des Sportclubs abzubiegen. Das änderte sich zwei Jahre später an einem regnerischen Nachmittag im Jänner schlagartig. An diesem Tag gab es im Vortragssaal eine Masterclass mit dem Pianisten Uli Scherer. Der junge Ruprecht war nur zufällig in der Musikschule, um einen Freund abzuholen, aber dann waren da diese neuartigen Klänge, ganz anders als die Noten, die er sonst zu spielen bekam. Also schlich er sich in den Saal und hörte wie gebannt von der letzten Reihe aus zu. Seinen Freund vergaß er darüber vollkommen, so fasziniert war er. Er kannte bis dahin noch nicht einmal den Namen des Musikers, der nun für seine spontane Entscheidung verantwortlich war, sich fortan ganz dem Jazz zu verschreiben. Seitdem ließen ihn Blues und Groove nicht mehr los.
Der alte Volvo hatte keinen CD-Player, also suchte er einen Radiosender mit genießbarer Musik, während er zurück nach St. Gilgen fuhr. Wenigstens hatte der nächtliche Einsatz nur kurz gedauert und er würde noch etwas Schlaf bekommen.
Auf der Bundesstraße war es zunächst stockdunkel, aber als er näher zum Wolfgangsee kam, stand bereits ein deutlicher Silberstreifen über dem Horizont. Sein Haus lag am Ortsrand, etwas abseits des Sees unterhalb der Margarethenhöhe, für ihn einer der schönsten und gemütlichsten Plätze im Salzkammergut. Er sah auf die Uhr – es war schon sechs vorbei – und plötzlich verspürte er einen Bärenhunger. Kurzerhand lenkte er den Wagen das kurze Stück hinein in den Ort.
Alles lag wie ausgestorben da. Die Lokale waren um diese Zeit alle geschlossen, nicht einmal bei den Booten gab es Bewegung. Trotzdem fuhr Ruprecht zielstrebig vorbei an den Ferienbungalows, die jetzt im Herbst nur wenig frequentiert waren, weiter bis zur Uferstraße und das Stück bis zu dem grauen Steinhaus beim Yachtclub. Das war sein Geheimtipp für zeitige Stunden: Eine Pension, wo es für die Gäste jeden Tag frische Kuchen zum Frühstück gab. Auch Ella streckte sich gähnend beim Aussteigen und freute sich auf eine duftende Köstlichkeit. Nach kurzem Klopfen öffnete die Besitzerin und wischte sich mit der Hand über die Stirn, was eine weiße Mehlspur hinterließ.
»Ah, Herr Inspektor, heute schon so früh unterwegs?«
»Ja! Leider schon seit halb vier, und der Appetit ist riesig.«
»Dagegen können wir etwas tun. Süße Erdäpfelflecken mit Zwetschken sind gerade fertig geworden und dazu gibt’s heißen Kaffee zum Aufwärmen«, sagte sie.
Ruprecht nickte zufrieden.
Zehn Minuten später saß er mit einem Becher des frischen Gebräus und den warmen Zwetschkenflecken am See. Der leichte Wind war ziemlich kalt, aber zumindest hatte es aufgehört zu regnen. Hier im Salzkammergut war der Regen anders als sonst wo – grau geschichtete Wolkenbänke trieben rasch, entluden sich kurz, aber zumeist heftig und zogen dann in etwas hellerer Farbe weiter. Das Schauspiel begann meist ohne Vorwarnung und endete genauso abrupt bereits nach wenigen Minuten. Aber die Besonderheit dazwischen war – es sprühte. Der Wind wehte dabei ständig übers Ufer, verwirbelte die Tropfen in kleine kreisartige Strudel, nahm etwas Wasser von den Wellen mit und verwandelte das Ganze in einen fein zerstäubten, beinahe unsichtbaren Schleier wie aus einem Parfumflakon, der durch alles hindurchging.
Ruprecht biss herzhaft zu. Der simple Erdäpfelteig mit Butter und Vanillezucker war ein bodenständiges Gericht und die Zwetschkenfülle verfeinerte man hier zusätzlich noch mit Schlagobers. Der unvergleichliche Geschmack, der Blick über den See und das Geräusch der schwappenden Wellen – das waren die Momente, in denen er sich hier vollkommen zu Hause fühlte.
Auf einen Ellenbogen zurückgelehnt sog er die kühle Luft ein. Zeitig am Morgen war die Stimmung hier am intensivsten. Der Geruch des Wassers mischte sich mit dem ersten Licht des Tages und er glaubte fest daran, manchmal sogar die aufgehende Sonne riechen zu können.
Ella rannte unterdessen am Ufer entlang und buddelte nach allen möglichen Sachen. Er wunderte sich immer wieder über ihre spontane Energie. In einem Augenblick schlief sie fest und im nächsten tollte sie unbändig umher. Seit vier Jahren war die freche Spanieldame nun die wichtigste Frau in seinem Leben. Ruprechts andere Beziehungen hatten nie so lange gehalten.
Dabei war ihre Bekanntschaft von zufälliger Natur gewesen. Gemeinsam mit Kollegen von der Sitte hatte er einen Mordfall im Rotlichtmilieu bearbeitet – eine junge Frau ohne Papiere war tot aufgefunden worden und Ruprecht bekam die Nachforschungen übertragen. In der Wohnung des Opfers fand sich, eingewickelt in eine Decke, ein kleines schwarz-weißes Hundebaby. Einer der Beamten steckte es in eine Box und erwähnte etwas von Streunerregelung und amtlicher Euthanasie. Kurzerhand hielt ihn Ruprecht auf und nahm ihm den Welpen ab.
Er hatte keine Ahnung von Hundehaltung, doch es sollte sich bald herausstellen, dass es eine der besten Entscheidungen seines Lebens gewesen war. Mittlerweile genoss er die langen Spaziergänge mit Ella und joggte fast täglich am See entlang oder lief im Wald hinter ihr her den Kesselbach bis zur Forststraße hinauf. Sogar im Büro duldete man sie auf ihrer Decke, trotz des offiziellen Verbots von Tieren am Arbeitsplatz.
Ruprecht, der allein lebte, hatte sie nach Ella Fitzgerald, der Grande Dame des Jazz und seiner Lieblingsinterpretin, benannt.
Er nahm noch einen Schluck vom bereits kalten Kaffee, aß den letzten Zwetschkenfleck und betrachtete nachdenklich die gleichmäßigen Wellenmuster, die von draußen hereinliefen und sich vor seinen Füßen im Schotter verloren.
Die Stimmung erinnerte ihn jedes Mal an einen Spaziergang entlang des Rheinufers, nach dem legendären Fitzgerald-Konzert in Düsseldorf. Zu seinem dreizehnten Geburtstag, er war eben in den Jazz hineingekippt, hatte ihn seine Mutter mit Konzertkarten überrascht. Der Abend wurde zu seinem absoluten Highlight, seit damals hatte er eine Vorstellung davon, wie leicht Musik klingen konnte. So selbstverständlich, dass man die Struktur dahinter gar nicht mehr spürte …
Die Gedanken brachten ihn schlagartig zu Bachinger zurück, da gab es sicher auch einiges im Hintergrund. Die Bilder der letzten Nacht drängten sich in seinen Kopf und die Ungereimtheiten wurden ihm plötzlich bewusst. Stand jemand tatsächlich mitten im Schreiben einer Expertise auf und nahm einen Strick, um sich aufzuhängen?
Bei fast allen Selbstmorden, die ihm bislang untergekommen waren, schlossen die Leute davor mit Dingen ab oder räumten ihr Leben irgendwie zusammen. Das war hier nicht der Fall und die Situation im Badezimmer schien mehr als seltsam zu sein: Warum ließ Bachinger das Fenster offen? Damit von draußen jeder sehen konnte, was er tat? Und warum drehte er dazu das Licht auf?
Agnes hatte in der Erstbeschau keine Fremdeinwirkung festgestellt, ganz ausschließen wollte Ruprecht eine Gewalttat in dem Fall jedoch nicht. Während er aufstand und zurück zum Auto ging, stand sein Entschluss bereits fest, Bachingers Tod vorerst als ungeklärt einzustufen. Das gab ihm einen Grund für weitere Ermittlungen.
Zu Hause spürte er die Müdigkeit der kurzen Nacht und wälzte sich eine Stunde im Bett herum, bevor er um zehn, nach einer heißen Dusche und einer weiteren Riesentasse Kaffee, wieder nach Salzburg ins Amt fuhr.
»Ich sehe nach der Erstbeschau von Agnes überhaupt keinen Grund für weitere Ermittlungen«, sagte Oberst Wieland, Leiter des Kriminalamts und unmittelbarer Vorgesetzter Ruprechts. »So wie es aussieht, handelt es sich um einen klaren Suizid. Auch Wöss und seine Techniker haben keine Spuren gefunden, die auf etwas anderes hindeuten. Wie kommst du also darauf?«
Sie saßen in Wielands Büro, der sich nur allzu gern überall einmischte. Speziell an den Vorgängen in der Salzburger Kultur hatte er ein persönliches Interesse, und im Fall Bachinger passte es ihm überhaupt nicht, dass Ruprecht auf weiteren Nachforschungen bestand.
»Weil wesentlich mehr dahintersteckt, ich spüre das«, entgegnete dieser jedoch mit Nachdruck. »Die Sache wirkt oberflächlich betrachtet ganz einfach, ich glaube aber nicht, dass es so simpel ist.«
Wieland blies deutlich hörbar die Luft aus. »Gibt es dafür irgendwas Handfestes!«
Paul Wieland, einige Jahre jünger als sein Chefinspektor, war studierter Jurist und stammte aus einer einflussreichen Familie – sicher mit einer der Hauptgründe für seine schnelle Karriere. Er war seit einiger Zeit Leiter des Salzburger Kriminalamts und schätzte Ruprecht, der ihm einiges an praktischer Erfahrung voraushatte. Dennoch konnte er dessen Schlussfolgerungen oft nicht nachvollziehen oder die beiden gerieten sich wegen unorthodoxer Ermittlungsmethoden, die Wieland nicht billigte, in die Haare.
»Es gibt sehr wohl einige Ungereimtheiten, denen ich nachgehen will«, bestand Ruprecht auf seinem Entschluss.
»Doch nicht etwa, weil das Fenster offen war?« Wieland schüttelte verständnislos den Kopf.
»Nicht nur das.«
»Aber du hast nichts in der Hand.«
»Noch nicht, aber mein Gefühl sagt mir …«
»Wenn ich das schon höre!«
»Es tut mir leid, Paul, aber ich sehe mir heute noch einmal alles in Ruhe an.« Er stand auf. »Du bekommst einen genauen Bericht, und wenn sich der Suizid bestätigt, dann schließe ich den Akt in diesem Sinne natürlich möglichst bald ab.«
»Das will ich hoffen, du musst dich schließlich um wichtigere Dinge kümmern.« Wieland benutzte diese Floskel immer, auch wenn es gar keine anderen akuten Fälle gab. Bevor Ruprecht ging, hob er mahnend den Zeigefinger. »Und Martin, wir behalten die Sache vorerst für uns …!«
Ruprecht war froh, wieder draußen im Flur zu sein. Die Gespräche mit Wieland und die ständigen Anspielungen, weil seine Schwester als Journalistin für einige Lokalblätter und gelegentlich für die Salzburger Nachrichten schrieb, nervten ihn. Trotzdem wählte er jetzt ihre Nummer, denn Hanna kannte durch ihre Arbeit fast alle Leute, die irgendwie in der Öffentlichkeit standen und manchmal brachten sogar Gerüchte interessante Aspekte zu einer Ermittlung.
»Na, mein Lieber«, sagte sie, wie immer bestens gelaunt, ins Telefon.
»Hallo Hanna! Wie geht’s?«
»Danke!« Sie machte eine kurze Pause. »Sonst nichts?«
Er lachte, sie kannte ihn gut. »Sagt dir Otto Bachinger etwas?
»Der Kunstmensch?«
»Ja, der.«
»Was ist mit dem?«
»Ich hab gefragt, ob du ihn kennst?«
»Klar, hab ihn öfters bei Vernissagen getroffen und einmal ein Interview mit ihm gemacht. Ist da irgendeine Schweinerei im Gange?«
»So würde ich das nicht sagen«, versuchte er unverbindlich zu bleiben.
»Spann mich bitte nicht auf die Folter.«
»Sagen wir, er hatte einen Unfall.«
»Tot?«
Er hörte am Tonfall, wie sie sofort auf die Sache ansprang und sagte deshalb lieber nichts.
»Und du ermittelst?«, setzte sie lauernd hinzu. »Dann ist es … Mord?«
»Das hab ich nicht gesagt«, versuchte er sich herauszuwinden. »Hanna, das ist nichts für die Presse! Ich möchte mir nur ein Bild über ihn machen – für wen er unterwegs war und worüber er seine Expertisen erstellte.«
Sie blies hörbar die Luft aus. »Du brauchst mich also wieder mal als Auskunftsbüro! Aber wenn’s konkret wird, erfahre ich es zuerst – versprochen?«
»Jaja. Jetzt sag schon!«
»Also, meines Wissens war er als Experte auf die Malerei der Jahrhundertwende spezialisiert.«
»Und für wen arbeitete er?«
»In erster Linie für private Sammler, denke ich, da liegt für die meisten Sachverständigen das Geld, die Museen zahlen ja nicht so toll. Aber er hat auch etwas für das Kunsthistorische in Wien getan. Die haben vieles aus dieser Zeit und dort hat er, glaube ich, sogar einmal eine Ausstellung kuratiert.« Hanna dachte einen Augenblick nach, dann setzte sie nach: »Mir fällt ein, dass es vor zwei oder drei Jahren ein Problem im Rahmen einer Begutachtung für das Haus der Kunst gab – das Museum in der alten Fabrik hinter den Festspielhäusern.«
»Ist man dort nicht eher auf die zeitgenössischen Maler spezialisiert.«
»Nicht nur, die sammeln auch das 19. Jahrhundert und die Klassische Moderne.«
»Und was hat es da mit Bachinger gegeben?«
»Weiß ich nicht mehr genau, ich erinnere mich nur, dass er da in irgendeine Sache verwickelt war, aber die werden wahrscheinlich nicht sehr gesprächig sein. Unsere Kunstszene bleibt gern unter sich und hält sich bedeckt.«
»Und sonst, weißt du etwas über Bachingers private Verhältnisse?«
»Er war nicht verheiratet, falls du das meinst, aber keine Ahnung, ob er sonst Schwierigkeiten hatte.« Hanna wurde ungeduldig. »Du, ich muss jetzt wieder …«
»Ja, ich auch. Grüß Lukas und bis bald.«
Er griff nach dem Schlüssel von Bachingers Wohnung, die wollte er einmal in Ruhe unter die Lupe nehmen, und bei dem Museum würde er auch vorbeischauen, vielleicht erfuhr er dort etwas über dessen Probleme.
Ella döste in ihrem Korb unter dem Tisch, sprang jedoch sofort auf die Beine, als er aufstand. Sie schüttelte sich, um wach zu werden und bellte.
»Ella, bitte …« Er legte ihr grinsend die Hand auf die Schnauze und griff nach der Leine, die wie immer am Fensterriegel hing, was bei ihr ein heftiges Schwanzwedeln in Vorfreude auf den Spaziergang auslöste. »Du weißt doch, Hunde sind hier verboten!«
Es war bereits Mittag vorbei, als er das Tor der Polizeidirektion aufstieß und hinaus auf die Alpenstraße trat.
Der quadratische Bau mit der gerippten Fassade und der zur Straße verdrehten Achse, in dem die Landespolizeidirektion Salzburg residierte, wurde allgemein als Trutzburg angesehen. Tatsächlich war der Bau zwar sehr funktionell, fiel ästhetisch aber eher in die Kategorie: Bausünden der späten Siebziger. Daran änderte selbst der runde Vorplatz mit der offenen Mensa, der Ruprecht immer an ein griechisches Amphitheater erinnerte, nur wenig. Sein Büro und die Räumlichkeiten des Landeskriminalamtes lagen im linken der beiden Hauptgebäude.
Er spazierte hinunter zur Salzach und in Richtung Innenstadt. Am Fluss entlang ließ er Ella ein wenig laufen. Da sie es liebte, den Enten nachzujagen, was immer in einem Vollbad endete, behielt er sie jedoch an der Laufleine.
Die Stadt bot untertags ein völlig anderes Bild. Das historische Zentrum war eines der ältesten Viertel des Landes, aber die Geschichte verband sich hier mit einem jungen aktiven Trubel. Salzburg beherbergte eine beliebte Universität, was dem Alltag eine gute Portion modernen Charme verlieh. Obwohl Ruprecht die Ruhe am Wolfgangsee schätzte, wohin er nach dem Tod der Eltern gezogen war, mochte er auch das urbane Leben.
Karl, sein Vater, stammte ursprünglich aus dem Mühlviertel und hatte nach seiner Schulzeit eine Lehre als Buntschweißer bei der VÖEST in Linz gemacht. Da er geschickt im Umgang mit Menschen war, ermöglichte ihm die Firma bald darauf den Umstieg auf einen Job als Angestellter im Personalbüro. Ruprechts Mutter Ruth dagegen war als deutsche Austauschstudentin nach Österreich gekommen. Sie lernte Karl anlässlich einer Firmenbesichtigung kennen. Er führte damals eine Gruppe junger Studentinnen durch die Stahlerzeugung und Ruth gefiel ihm auf der Stelle. Am Abend danach lud er sie ins beste und teuerste Restaurant der Stadt ein. Die Zeche kostete ihn fast einen halben Monatslohn, aber nach einer wunderbar lauen Nacht an der Donau waren die beiden unzertrennlich.
Sie heirateten, Ruth wurde mit Martin schwanger und Karls Einkommen im Büro reichte nicht aus, die junge Familie durchzufüttern. Daher griff er zu, als ihm ein guter Bekannter den Posten als Disponent in einer Salzburger Spedition anbot. Der Job war zwar auch nicht wesentlich besser bezahlt, aber der Vertrag enthielt als Ausgleich dafür eine kostenlose Dienstwohnung. Schon nach zweieinhalb Jahren, als die Zwillinge Hanna und Tommy zur Welt kamen, hatte sich der Vater zum Prokuristen hochgearbeitet und sie mieteten das Haus in Aigen.
Ruprecht mochte den Charakter der Stadt, immerhin war er gleich auf der anderen Seite der Salzach aufgewachsen. Bis heute spürte er eine enge Verbindung zu den Plätzen seiner Jugend – zu der lokalen Pfarre, wo seine Mutter lange Zeit in der Kirchengemeinde mitarbeitete und die Orgel spielte, wenn der Organist krank war, oder zum Stammlokal des Vaters mit hervorragender Küche und den Billardtischen. Das Gasthaus hatte schon vor Langem schließen müssen, in das Gebäude war ein unpersönlicher Supermarkt eingezogen. Zumindest spielte der Fußballclub, der später ein Teil des Polizeisportvereins wurde, noch immer auf dem alten Platz in der Alpenstraße, gegenüber von Ruprechts jetziger Dienststelle. Er musste an seinen jüngeren Bruder Tommy denken. Der war Linksaußen in der Jugendmannschaft gewesen, der beste, den sie je gehabt hatten, wie der Trainer oft erwähnte. Doch dann war dieser Sommer gekommen – und Tommys tragischer Tod. Es war der große Einschnitt im Leben der Familie, und Ruprecht fühlte sich seitdem schuldig.
Mit einem tiefen Atemzug schüttelte er das aufkommende Gefühl ab und nahm mit Ella den Rudolfskai zum Mozartplatz hinein. Unterwegs genehmigte er sich einen kleinen Mokka, um auf andere Gedanken zu kommen. Er überlegte, ob er gleich Bachingers Apartment inspizieren sollte, entschloss sich aber dann, zuerst beim Museum vorbeizuschauen. Er nahm den Weg über den Domplatz, auf dem sich Jahr für Jahr Jedermanns Tod und Läuterung wiederholte – der meistbesuchte Publikumsmagnet in der Stadt.
Die ehemalige Fabrik, in der jetzt das Haus der Kunst untergebracht war, hatte in den späten 1960ern schließen müssen und der Gebäudekomplex mit den hellen Steinmauern und hohen Torbögen bekam erst Jahre später ein zweites Leben als angesagter Treffpunkt der Stadt. Der Eingang zum Museum lag am Ende einer kurzen Passage, in der sich einige kleine Shops aneinanderreihten.
Die großen Industriefenster und die moderne Glasfassade im Innenhof gaben dem Haus schon von außen ein besonderes Flair. Innen strahlten die Räume in hellen Tönen und die weiß gestrichenen Stahlträger der alten Gebäudekonstruktion schufen ein zeitloses Ambiente für jede Art von Ausstellung.
Das Mädchen in der Vorhalle ersuchte um etwas Geduld und versprach, einen der leitenden Mitarbeiter zu verständigen. Ruprecht schlenderte durch die Halle, sah sich die Plakate mit den kommenden Veranstaltungen an und beschloss, wieder öfter Ausstellungen zu besuchen. In einem Ständer steckten Flyer mit Infos zur Geschichte des Ortes, in denen zu lesen war, dass sich das Haus der Kunst und der visuellen Kultur – so der volle Name des Museums – als Brückenschlag zwischen Malerei, Fotografie und Film verstand.
Auf der Rückseite stand: Kunst verändert dein Leben!
Eine Viertelstunde später saß Ruprecht bei Heinz Prassler, einem der Kuratoren des Hauses, der nebenbei auch für Presse und Kommunikation zuständig war. Ruprecht erwähnte, dass Bachinger ums Leben gekommen sei, verlor aber kein Wort über die näheren Umstände. Prassler schien durch die Nachricht zunächst ziemlich betroffen zu sein. Er fing sich aber rasch, und als der Chefinspektor vorgab, wegen der Ungereimtheiten vor einigen Jahren zu ermitteln, versuchte er den Fragen elegant auszuweichen.
»Ich möchte niemandem etwas nachsagen, schon gar nicht einem so bekannten Mitglied unserer kleinen Kunstszene. Es ist ja auch schon länger her!«
»Ich garantiere Ihnen, es bleibt strikt unter uns und niemand erfährt von diesem Gespräch«, sagte Ruprecht daher verbindlich, um dann einen Ton schärfer nachzusetzen, »und das Museum wird doch sicher nicht eine polizeiliche Untersuchung behindern wollen, oder?«
»Nein, bestimmt nicht!« Sein Gegenüber wurde offenbar unsicher. »Also, da gab es eine Sache, eigentlich ganz unbedeutend, es ging um eine frühe Zeichnung von Klimt, die uns angeboten wurde.«
»Und weiter?«
»Otto Bachinger war mit der Begutachtung für den Ankauf beauftragt, da wir bereits einiges von Klimt in unserem Portfolio haben. Er fuhr zu dem Verkäufer und meinte nach der Besichtigung, er glaube nicht an die Echtheit. Also nahmen wir von einem Kauf Abstand.«
Es entstand eine Pause, Ruprecht wurde ungeduldig.
»Das war’s?«, fragte er.
»Nicht ganz, denn …«, Prassler senkte die Stimme und wich dem Blick des Inspektors aus. »Zwei Wochen danach berichteten Zeitungen von dem Verkauf einer neu entdeckten Zeichnung des Künstlers an einen ausländischen Sammler.«
»War es dasselbe Bild?«
»Ja!«
»Es war also echt«, stellte Ruprecht fest.
»Vermutlich … ja, sicher.«
»Und Sie glauben …«, Er überlegte, wie er es am besten ausdrücken sollte. »Bachinger hat bei der Sache nicht ganz sauber agiert?«
»Ich war damit leider überhaupt nicht befasst und auch Experten können sich manchmal irren«, bemühte sich der Kurator, eine möglichst neutrale Formulierung zu finden. »Unsere Leitung hat das allerdings anders gesehen.«
»Was war danach?«, bohrte Ruprecht weiter. Hanna hatte recht gehabt – die Kunstszene ließ sich nicht gern in die Karten blicken.