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Mit diesem Buch begibt man sich auf eine Reise: Auf eine Reise in das Siebenbürgen des letzten Jahrhunderts. Sie führt zurück in eine Geborgenheit, die die Autorin als Kind erlebte und die ihr damals als unvergänglich erschien. Es ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, das sich die Nase am Küchenfenster platt drückt, um einen Blick auf Mutter und Großmutter zu erhaschen, wie sie auf geheimnisvolle Weise Speisen zubereiten. Und es ist die Geschichte vom Zusammenleben mit Eltern und Großeltern, von Festen und vom Alltag in Siebenbürgen, bis die Familie gen Westen auswandert. Erzählt wird von Vergänglichkeit und dem fortbestand der Traditionen, über den Geschmack der Heimat, über Leben, Liebe und Tod, über kindliche Naivität und das manchmal schmerzvolle Erwachsenwerden. In den Erinnerungen an Land und Leute sowie an die Küche Siebenbürgens mit ihren einzigartigen Gerichten halten sich Wehmut und Witz, Nachdenkliches und Erheiterndes die Waage, liebevoll ergänzt durch traditionelle Rezepte sowie alte Postkarten und Familienfotos.
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Seitenzahl: 303
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Dagmar Dusil
Erinnerungen und Rezepte aus Siebenbürgen
Dagmar Dusil, geb. in Hermannstadt (Siebenbürgen), studierte Anglistik und Germanistik an der „Babes-Bolyai“ Universität in Cluj-Napoca. Bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik im Jahr 1985 unterrichtete sie Englisch. Heute lebt Dagmar Dusil in Bamberg als freie Autorin und Übersetzerin. Sie veröffentlicht Prosa und Lyrik und ist in verschiedenen Anthologien vertreten.
Zuletzt erschienen von ihr die „Hermannstädter Miniaturen“ und ein Band mit Kurzprosa: „Wie die Jahre verletzen“. Ihre Texte sind bereits ins Rumänische und Englische übersetzt worden. Sie nahm an diversen Internationalen Literaturtagen teil und ist Mitglied der GEDOK Franken, der internationalen Autorenvereinigung Die KOGGE, der Künstlergilde Esslingen und des Exil-Pen-Clubs.
Begleitwort oder ein Stück Anfang
„Bist du Gottes Kind, so hilf dir“
Variationen von Bratkürbis
Mayonnaisenfiasko
Der Weg zum Geschmack des Spinats
Rund um die Suppe
Ostern
1. Mai und Eis
Medardus und Dolmaessen
Krautwickel und Zitronencreme
Auberginenzauber
Der Durstlöscher-Sirup
Das andere Salzburg
Der Unglücksrabe
Kein Sonntag ohne Schnitzel
Die Einladung
Die Party
Hinter verschlossenen Türen
Zwetschgenknödel und Co
Großmutters Tod
Namenstag
Kartenspiel und Huhn
Reise nach Alzen und Fremdsprachen
Hochzeiten in der Nachbarschaft
Die Kinder Gottes der Unterstadt
Fragmente aus der Studentenzeit
Das grüne magische Auge und die große weite Welt
Das verhängnisvolle Gold
Erster November
Thomasnacht und Venedig
Das arme Schwein
Nikolaustag
Erster Januar und Götterspeise
Die Heiligen Drei Könige
Die Zeit verdrängt die Tradition
Im Wunderland der Pilze
Kochen mit der Schwiegermutter
Besuch in der Stadt im Nordosten
Der Triumphzug der Pizza
Beginn der Krise
Die Staatssicherheit meldet sich zu Wort
Bohnen, Flittchen, Diebe
Not macht erfinderisch
Statt Sprachen zu lehren, wird nun gebacken
Unterwegs
Im goldenen Westen
Das Königsobst
Diesmal stromabwärts
Rezeptverzeichnis
To see a World in a Grain of Sand,
And Heaven in a Wild Flower,
Hold Infinity in the palm of your hand,
And Eternity in an hour.
William Blake
Eine Welt in einem Sandkorn sehen
und den Himmel in einer Wiesenblume,
Halt die Unendlichkeit in deiner Hand
und die Ewigkeit in einer Stunde.
(freie Übersetzung)
Dieses Buch ist die Geschichte meiner Reise von Ost nach West. Darüber hinaus ist es eine imaginäre Reise zurück in die Kindheit und eine kulinarische dazu, weil sie begleitet wird von Erinnerungen und Erlebnissen, von dem Geschmack und dem Geruch gewisser Speisen. Diese Reise führt in die ferne Stadt der Kindheit „hinter den Wäldern“, in eine Geborgenheit, die damals den Stempel der Unvergänglichkeit trug.
Das Leben belehrte die Verfasserin über die scheinbare Unvergänglichkeit eines Besseren. Irgendwann bröckelt diese und wird damit zur Vergangenheit. Und so erzählt dieses Buch auch von Vergänglichkeit, von Liebe und von Tod, von Naivität und Erwachsenwerden.
Dieses Buch ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, das sich die Nase beim Gucken durchs Küchenfenster platt drückte. Da drin in der Küche entstanden Speisen und Kuchen, wie von geheimnisvoller Hand gezaubert. Die Großmutter mit der goldumrandeten Brille auf der Nase war für mich der Inbegriff von Liebe und Güte. Tochter einer selbstbewussten schönen Sächsin und eines italienischen Vaters, war sie mein Vorbild, seit ich denken kann. Von ihr lernte ich, was Liebe und Hilfsbereitschaft bedeutet. Als ich neun Jahre alt war, starb sie, und zum ersten Mal spürte ich die riesigen Schatten des Todes. Doch ich stand allein mit meinem Schmerz da. Ich versuchte, die Augen zu schließen, Nahrung auf der Zunge zergehen zu lassen, mich in eine Zeit zurückzuversetzen, als die Welt noch in Ordnung war. Die Mutter war unnahbar, ich fand keinen Zugang zu ihr. Darum flüchtete ich mich in die Klangwelt des Vaters, von diesem beschützt in die Welt der Töne, der Musik, in die Welt des Genießens, in jene Welt, wo Augenblicke innehalten und unvergänglich zu sein scheinen.
Es ist die Geschichte über das vorsichtige Herantasten eines kleinen Mädchens ans Essen, verbunden mit Erlebnissen und den dazugehörenden Rezepten. Zunächst kann das Mädchen der Küche keinen Zauber abgewinnen. Essen ist einfach da, die Zubereitung Nebensache. Und wenn die strenge, autoritäre Mutter versucht, das Mädchen in die Kunst des Kochens einzuweihen, flieht es entsetzt. Es möchte nicht Köchin werden, lautet die Erklärung. Und wenn der Vater dem Mädchen humorvoll erklärt, dass Liebe durch den Magen geht, da lacht es bloß. So etwas kann es nicht glauben, auch dann nicht, wenn der geliebte Vater es sagt. Wichtig sind nur Literatur, Theater, Musik, alles, was mit Kunst im Zusammenhang steht. Den Rest würde das Leben schon regeln. Der Zufall wird das mit dem Kochen schon hinkriegen, oder etwa nicht?
Irgendwann wird aus dem heranwachsenden Mädchen eine junge Frau, für die Küche und Kochen das sind, was die Windmühlen für Don Quichotte waren. Mühsam und heimlich macht sie ihre ersten eigenen Erfahrungen im Zubereiten von Speisen aller Art. Sie erinnert sich manchmal an die Worte ihrer Mutter, würde es aber nie zugeben.
Der Weg zur „Eroberung“ der Küche erweist sich mitunter als mühselig und dornig. Eines Tages gelingt das Essen, und nach und nach geschieht dies immer öfter. Zunächst staunt die junge Frau ungläubig, dann stellt sich bei ihr – wie bei allen Dingen, die man mit Liebe macht – die Freude am Kochen ein.
Die junge Frau möchte später bei ihrem eigenen Kind alles besser machen. Sie kramt alte Rezepte hervor und improvisiert nebenbei. Alles fällt ihr plötzlich ganz leicht, der Zauber der Küche ist entschlüsselt. Aber auch die erwachsene Frau findet den inneren Weg zur eigenen Mutter nicht. Das schmerzt manchmal, sie versucht aber, damit zu leben.
So ist dieses Buch auch die Geschichte einer reifen Frau, für die einst bedeutungslose und kleine Dinge an Bedeutung gewinnen. Es ist die Geschichte von der Entdeckung des eigenen Ichs, von einem Tochter-Mutter-Konflikt, der auch über den Tod der Mutter hinaus ungelöst bleibt, und von der Möglichkeit der erwachsenen Frau, der eigenen Tochter die Liebe und Zärtlichkeit zu geben, die sie bei der Mutter entbehrte.
Nicht zuletzt sollen sich mit diesem Buch die Menschen aus meiner alten Heimat Bruchstücke vergangener Augenblicke und möglicherweise immer blasser werdende Bilder vergegenwärtigen. Denn Erinnern heißt bewahren. Den Menschen aus meiner neuen Heimat möchte ich ein Stück Siebenbürgen von einer unbekannten Seite näherbringen und zeigen, dass es mehr Gemeinsames als Trennendes gibt.
Meine Wurzeln liegen im Südosten Europas, in einer Stadt, die auf Deutsch Hermannstadt heißt, Sibiu auf Rumänisch und Nagyszeben auf Ungarisch und die in Siebenbürgen liegt, dessen lateinischer Name Transsilvanien so viel wie „jenseits der Wälder“ bedeutet.
In diesem Gebiet wurden die Sachsen angesiedelt. Bis zur Eroberung durch die Römer im Jahre 106 n. Chr. bevölkerten die Daker, ein nordischer Thrakerstamm, das heutige Siebenbürgen. Nach dem Abzug der Römer blieb eine Mischbevölkerung aus Römern und Dakern zurück, die die völkerwandernden Kumanen und Petschenegen assimilierte. Auch ein ungarischer Stamm, die Szekler, war in Siebenbürgen beheimatet, als sich in den Jahren 1141 bis 1161 die Siebenbürger Sachsen niederließen. Das ist der historisch belegte Zeitraum, man geht aber davon aus, dass die Besiedlung noch mindestens ein Jahrhundert länger dauerte.
Die Bezeichnung Sachsen (Saxones) hat übrigens größtenteils nichts mit ihrer Herkunft zu tun. In den Urkunden finden wir die Bezeichnungen Flandreses, Theutonici, Saxones und primi hospites regni (‚die ersten Gäste des Reiches‘). Von diesen Bezeichnungen hat sich Saxones als einziger Name für die neuen Kolonisten durchgesetzt.
Ich komme aus einer multikulturellen Familie. Die Wurzeln meines Großvaters mütterlicherseits verlieren sich irgendwo in Polen. Gemeinsam mit seinen drei Brüdern zog er als Achtzehnjähriger freiwillig in den Ersten Weltkrieg, der für Österreich-Ungarn und damit auch für Siebenbürgen als Teil der Monarchie fatal ausging. Am 1. Dezember 1918 erfolgte die Anschlusserklärung Siebenbürgens an das Königreich Rumänien. Den „mitwohnenden Völkern“ wurden Minderheitenrechte zugesichert. Rumänisch wurde zur Amtssprache, eine Tatsache, mit der die Generation meiner Großeltern mehr schlecht als recht zurechtkam.
1919 hatte das Königreich Rumänien sein Territorium und seine Bevölkerungszahl mit dem Anschluss von Siebenbürgen, der Bukowina, Bessarabien und der Süd-Dobrudscha mehr als verdoppelt. Knapp zehn Prozent der Bevölkerung Siebenbürgens waren Deutsche.
Meine Großeltern väterlicherseits stammten aus der Tschechei und kamen nach Siebenbürgen, genauer nach Hermannstadt, als dieser Teil des heutigen Rumäniens noch zur österreichungarischen Monarchie gehörte. Irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts erreichte mein tschechischer Großvater Hermannstadt – mit seiner Garnison als Dirigent der Musikkapelle. Und hier blieb er einfach und kehrte nicht wieder in sein Heimatland zurück. Später sagte er immer, er hätte sein Herz an die Gipfel der Karpaten verloren. Seine Frau, meine tschechische Großmutter, die väterlicherseits spanische Wurzeln hat, stammte noch aus seiner alten Heimat, aus einem kleinen Ort in der Nähe von Prag. Als sie in Hermannstadt ankam, sprach sie kein Wort Deutsch.
Meine Mutter mit meinen Großeltern
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges begannen in der Geschichte Rumäniens wechselvolle Jahre. 1938 erfolgte eine Annäherung an Hitler-Deutschland, doch zunächst blieb Rumänien vom Krieg verschont. Als 1940 die UdSSR die Übergabe Bessarabiens und der Nord-Bukowina verlangte, beugte sich Rumänien der Macht und stimmte zu. 1940 bekam Rumänien einen neuen König, Michael I. Die politische Macht riss jedoch Marschall Ion Antonescu an sich, der der „Eisernen Garde“ nahestand. 1941 trat Rumänien an der Seite Deutschlands gegen Russland in den Krieg ein. Deutschstämmige Staatsbürger durften in Rumänien auch nach diesem Datum in der rumänischen Armee dienen, jedoch seit 1943 auch in der deutschen Waffen-SS.
Als sich eine Wende des Krieges im Frühjahr 1944 abzeichnete, wechselte Rumänien die Fronten, Antonescu wurde beseitigt und wenige Tage später erfolgte die Kriegserklärung an Deutschland. Im Januar 1945 folgte eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des Landes: die Deportation rumäniendeutscher Männer im Alter von 17 bis 45 sowie von Mädchen und Frauen im Alter von 18 bis 32 in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit.
1947 musste König Michael I. abdanken, am 30. Dezember 1947 wurde die Rumänische Volksrepublik ausgerufen. Am 11. Juni 1948 erfolgte die Nationalisierung der Produktionsmittel.
Ich kam am 5. Juni 1948 zur Welt, an einem Samstagabend, nachdem meine Mutter vier Tage in den Wehen gelegen hatte. Meine Kindheit und früheste Jugend fielen in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts – eine düstere, vom Stalinismus geprägte Zeit, eine Zeit, an die ich mich später als ein Leben zwischen zwei Realitäten erinnern werde. Erziehung und Indoktrination standen in einem unüberbrückbaren Gegensatz. Es gab die private kleine Welt der nackten wahren Worte und die große Welt der verkleideten Worte, wo die Wahrheit sich in den Falten des Gesagten versteckte. Meine Generation lernte mit diesem Phänomen umzugehen, und wir entwickelten die Fähigkeit, sehr schnell Gut und Böse zu unterscheiden.
Aber es gab auch positive Zeichen: So durfte die deutsche Minderheit in Rumänien, anders als in den anderen Ostblockstaaten, in Schulen mit deutscher Unterrichtssprache lernen. Es gab deutsche Bücher, Periodika, Tageszeitungen und deutsches Theater.
Wenn ich heute gefragt werde, ob meine rumänischsprachigen Bücher ins Deutsche übersetzt worden sind, muss ich lächeln. Mit acht Jahren sprach ich noch kein einziges Wort Rumänisch. Meine Kindheit war ein mehrsprachiger Chor: das Tschechisch der Großmutter väterlicherseits, das Ungarisch meiner Großmutter mütterlicherseits, die diese Sprache über alles liebte, das Italienisch des Urgroßvaters. Und alle sprachen in der Familie untereinander Deutsch.
Hochzeit meiner Tochter
Die einzelnen Nationalitäten lebten nebeneinander wie in einem Biotop mit mehreren Habitaten. Ich wurde sehr offen erzogen und lernte, Menschen vorurteilslos zu begegnen.
Während der fünfziger Jahre gab es vereinzelte Fälle von Familien, die in die Bundesrepublik ausreisten. Als Kind ergriff mich ein Gefühl der Panik, wenn ich Worte wie „Aussiedlung“ oder „Übersiedlung“ hörte, die von den Erwachsenen hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wurden. Ende der sechziger Jahre nahm die Aussiedlung zu und in Folge eines deutsch-rumänischen Abkommens von 1978 übersiedelten jährlich etwa 10.000 bis 11.000 Personen in die Bundesrepublik. Sie wurden vom rumänischen Staat „verkauft“ bzw. von der Bundesrepublik „abgekauft“. Wir folgten der Familie meines Mannes 1985 in den Westen. Meine Eltern konnten zu uns 1987 ausreisen.
Ohne Beate, meine Tochter, wäre dieses Buch nie geschrieben worden. Auf die Frage, was sie sich zur Hochzeit wünsche, antwortete sie: „Schreib mir doch bitte die Rezepte von Omi und deiner Großmutter auf.“ Ich saß vor den zerfledderten Blättern aus dem Kochbuch meiner Mutter – es war verboten, bei der Ausreise aus Rumänien Geschriebenes mitzunehmen, und so hatte sich meine Mutter, als sie hier im Westen angekommen war, die Blätter einzeln in Briefen schicken lassen – und durchlebte nochmals meine Kindheit und Jugend, das Erwachsenwerden, Konflikte und Träume. Und da wusste ich plötzlich: Jedes der Rezepte wäre unvollständig ohne die dazugehörige Geschichte. Ich blickte zurück durchs Küchenfenster.
Dagmar Dusil
Bamberg, im Juni 2014
„Bist du Gottes Kind, so hilf dir.“ Dieser Satz war das Leitmotiv meiner Kindheit. Ich war jedoch unselbstständig, was durch die Erziehung meiner Eltern – die es bestimmt immer nur gut gemeint haben – gefördert wurde. Meine Mutter war eine strenge, autoritäre Frau, die keinen Sinn für Humor und noch weniger Verständnis für die Phantasiewelt eines kleinen Mädchens hatte. Ich konnte nie bis zu ihrer Seele vordringen, kurz davor blieb ich immer sehr verwundert stehen, bis dahin und nicht weiter. Außerdem war meine Mutter die Perfektion selbst, alles klappte wie am Schnürchen und stimmte genau bis aufs i-Tüpfelchen.
Mein Vater war genau das Gegenteil meiner Mutter. Humorvoll, lustig, allzeit zu Witzen und Späßen aufgelegt, voll von interessanten Geschichten und Erlebnissen. Keinen Augenblick langweilte ich mich mit ihm. Panik erfasste mich bei dem Gedanken, dass es ihn eines Tages nicht mehr geben könnte. Er versprach mir tausend Dinge, die er oft nicht hielt, überspielte dies aber mit dem ihm eigenen Charme und gab dem Gespräch eine andere Wendung. Nie konnte ich ihm richtig böse sein.
Essen und Kochen waren eng mit den Jahreszeiten verbunden. Unsere Küche war schon etwas Besonders, mit vielen Einflüssen aus Österreich-Ungarn, aber das eine oder andere Rezept wurde auch von den Rumänen übernommen.
Mein Vater konnte das Essen so richtig genießen, er entwarf für eine Woche den Speiseplan und gab auch die genaue Menge des Fleisches und der Zutaten an. Da meine Mutter kaum Freude an etwas hatte – oder diese nicht zum Ausdruck bringen konnte –, hatte sie auch am Essen kaum Spaß. Meine Großeltern, die auch bei uns im Haus wohnten, hatten eine separate Küche und kochten für sich. Mein Großvater war ein wortkarger Mann, der eine Tischlerei besaß und Punkt 12 Uhr zum Essen kam. Ich fürchtete mich immer ein bisschen vor ihm und hatte daher auch nie ein herzliches und inniges Verhältnis zu ihm.
Meine Urgroßeltern mütterlicherseits
Meine Großmutter war die sanfteste und gütigste Frau, die ich mir vorstellen konnte – ein klein wenig leidend und kränklich, schenkte sie mir aber alle Liebe dieser Welt. Und dann waren da noch die Eltern meiner Großmutter, meine Urgroßeltern. Die Urgroßmutter mit einem sehr ausgeprägten Selbstbewusstsein, sogar mit 83 Jahren noch eine schöne und gepflegte Frau, und mein Urgroßvater, der aus dem fernen Italien stammte. Zu ihm hatte ich ein besonderes Verhältnis, und er ist auch die Person, mit der ich meine ersten Eindrücke bezüglich des Essens verbinde.
Seine Lieblingsspeise war „Polenta“, wie er es nannte, oder „Palukes“, wir es nannten. Zu diesem Maisbrei aß er gebratene Spatzen (Sperlinge), die er eigens dafür züchtete – mögen ihm alle Tierschützer verzeihen, er hat bestimmt in seinem Leben nie etwas Unrechtes getan. Die Polenta wurde aus Wasser, Salz und Maismehl gekocht. Er kochte sie ganz fest und schnitt sie dann mit einem Zwirnsfaden durch. Ich leistete ihm dabei Gesellschaft, allerdings nur bei der Polenta, Spatzen weigerte ich mich instinktiv zu essen. Auch heute, als Erwachsene, bin ich keine begeisterte Fleischesserin.
Alt-Hermannstadt
Heute habe ich selbst eine Familie und oft Gäste und koche eigentlich recht gerne. In Stresssituationen oder bei großer Trauer hilft mir das Kochen, über die Abgründe meiner Seele hinwegzusteigen. Einmal in der Woche gibt es Palukes (Maisbrei), der wegen des hohen Anteils an Magnesium sehr gesund ist. Wir essen ihn in zwei Varianten, das heißt, es wird immer etwas mehr gekocht und dann ein Teil nur mit Milch gegessen und ein Teil mit Käse und Rahm zubereitet.
¾ l Wasser zum Kochen bringen und gut salzen. 150 g Maismehl dazugeben und mit dem Schneebesen verrühren. Die Masse unter ständigem Rühren 1–2 Minuten kochen. Vom Ofen nehmen und zugedeckt ca. 10 Minuten quellen lassen.
Eine Schüssel mit Butter ausschmieren und eine Schicht Maisbrei hineinlegen. Dann eine Schicht geriebenen Käse darüberstreuen (was man im Hause so hat: „Bist du Gottes Kind, so hilf dir“). Danach wieder eine Schicht Maisbrei darübergeben usw. Obenauf geriebenen Käse und etwas Rahm geben. Das Ganze mit Butterflöckchen bestreuen und in der Backröhre backen, bis oben eine goldgelbe Schicht entsteht.
Dazu passt gut Gurkensalat:
Eine Salatgurke raspeln, salzen, mit etwas Zucker und Essig abschmecken und eine klein gehackte Knoblauchzehe hinzugeben. Gut vermischen.
In unserer Familie gab es kleine Probleme mit dem Maisbrei. Mein Großvater aß ihn nur mit Milch, was aber nicht sehr sättigend war. Mit Käse mochte er ihn nicht (er aß keinen Käse). So musste meine arme Großmutter eine Käsesorte nehmen, die völlig zerschmolz, „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, und mein Großvater aß schweigend wie immer, egal was man ihm vorsetzte.
Noch schwieriger war mein Problem. Ich trinke keine Milch. Also fiel Variante Eins ins Wasser, als Kind aß ich auch keinen Käse und Großvaters Trick ließ sich bei mir nicht anwenden. Da ich aber schon als Kind recht erfinderisch war und, den Rat meiner Mutter befolgend, nun wie „Gottes Kind“ handelte, aß ich meinen Maisbrei mit Marmelade aus Kirschen und Weichseln (Sauerkirschen), von meiner Mutter mit viel Liebe und Sorgfalt für den Winter eingekocht. Das Problem bestand nur darin, dass meine Mutter über meinen absonderlichen Geschmack entsetzt war, da angeblich nur die Zigeuner so etwas aßen. Ich muss aber meinen Eltern zugute halten, dass sie mich nie gezwungen haben, etwas zu essen, was ich nicht mochte.
2 kg Kirschen (Süßkirschen), 1 kg Weichseln (Sauerkirschen), 1 kg Zucker (Salizyl oder 1 kg Gelierzucker, dann kann das Konservierungsmittel weggelassen werden)
Kirschen und Weichseln werden gewaschen und entsteint, durch den Fleischwolf getrieben, danach kurz ohne Zucker aufgekocht. Zucker hinzufügen und damit kochen, bis die Masse dicklich ist. Warm in Gläser füllen.
Die Gläser wurden sorgfältig eingefüllt, und es bestand immer die Gefahr und Furcht, dass eines zerspringen könnte. Nach dem Einfüllen wurden sie auf den Ofenrand gestellt. Am nächsten Tag durfte ich als kleines Mädchen die Gläser mit Cellophan und Strick zubinden. Das Cellophan war schwer zu beschaffen, und ich musste es nur so groß zurechtschneiden, wie es gerade nötig war. Dann musste das Cellophan befeuchtet werden, straff über den Glasrand gezogen und Überflüssiges weggeschnippelt werden. War das Cellophan zu nass, riss es, war es nicht feucht genug, bildete es Wellen und dichtete nicht gut genug ab. Zuletzt wurden die Gläser beschriftet. Ich schnitt rechteckige Papierstückchen aus und schrieb mit schöner Schrift darauf, was in den Gläsern war. Es machte mir Spaß, mal linksgerichtet zu schreiben, mal rechtsgerichtet, mal in Steilschrift, je nach Lust und Laune und Sympathie für das jeweilige Eingemachte.
Ich war als Kind weder sehr klug noch sehr dumm. Am liebsten tanzte ich den ganzen Tag vor dem großen Schlafzimmerspiegel meiner Großmutter oder ging auf Zehenspitzen durchs Haus. Mein größter Wunsch war, einmal Tänzerin zu werden. Ich hatte die gesunde Neugier eines Kindes und verstand eigentlich recht schnell, wenn man mir etwas erklärte. Mit Küchenarbeit wollte ich jedoch nichts zu tun haben. Ich sah das Fleisch für das Gulasch, wir nannten es „Tokana“, sah die Kartoffeln und die Zwiebeln. Doch was dann auf den Tisch kam, grenzte für mich an ein Wunder. Im tiefsten Herzen war ich davon überzeugt, nie so etwas zaubern zu können, denn Zauber musste bei der ganzen Sache dabei sein. Heute ist es das Lieblingsessen meines Schwiegersohnes und das Gulasch ist ganz schnell auf den Tisch „gezaubert“.
Das echte Gulasch wird aus Rindfleisch zubereitet, man kann aber auch Schweinefleisch nehmen. Das Geheimnis eines guten Gulasch ist die Menge der Zwiebeln. Empfehlenswert ist, die gleiche Menge Fleisch und Zwiebeln zu verwenden.
½ kg Rindfleisch oder Schweinefleisch, ½ kg Zwiebeln, 1 EL Rosenpaprika, 1 EL Tomatenmark, Fett oder Öl, Salz und Pfeffer.
Die nudelig geschnittenen Zwiebeln in Fett oder Öl anlaufen lassen (nicht rösten). Das in gleichmäßige Stücke geschnittene Fleisch, das Tomatenmark, Salz und Pfeffer dazugeben. Wasser beigeben und zugedeckt dünsten lassen, bis das Fleisch weich ist. Damit das Gulasch eine schöne rostbraune Farbe erhält, wird zuletzt das Paprikapulver in etwas Fett oder Öl in einem Gefäß am Ofenrand verrührt und dem Gulasch beigemischt.
Man kann rohe, in Spalten geschnittene Kartoffeln gegen Ende der Garzeit dazugeben oder das Gulasch mit Spätzle servieren.
Wenn die Tage immer kürzer werden, Nebel über dem Boden schwebt und man fast schon vergessen hat, dass es auch einen Himmelskörper namens Sonne gibt, dann ist Kürbiszeit. In Siebenbürgen roch es dann nach verbrannten Blättern, am Markt türmten sich Berge von Kraut, geschäftig tummelten sich die Leute mit Wägelchen und großen Taschen über den Markt und erstanden Kartoffeln für den Winter und herrlich rotduftende Jonathanäpfel. Grau-grünliche Bratkürbisse lagen unter der Last des ersten Reifes schläfrig auf den Tischen, während Scheiben davon, durch den grauen Alltag glänzend, begierig darauf warteten, von lüsternen Schleckermäulchen erst begehrt und dann auch verzehrt zu werden.
Von zu Hause aus kannte ich diesen Bratkürbis nur als eine Art Nachtisch, der den Herbst einläutete. Scheiben davon wurden, nachdem die Kürbiskerne entfernt worden waren, einfach in die Backröhre geschoben und dort 30 Minuten bei 200 °C knusprig gebraten. Wenn ich als Kind aus der Schule kam und in die Wohnung stürmte, verströmten die Bratkürbisscheiben einen verführerischen Duft. Ich verschlang das Mittagessen hastig, um mich dann ganz dem gelben Herbstgeschenk zu widmen.
Interessanter ist aber das Kürbisessen, das ich erst als Erwachsene kennenlernte und das mit einem Novembertag verbunden ist, der eigentlich kein typischer war. Es war einer jener besonderen Novembertage, an denen eine milde Luft den bevorstehenden Temperaturwechsel erahnen lässt. Die letzten gelblichbraunen Blätter der Birken hingen wie an seidenen Fäden zitternd an den Ästen, um beim leisesten Windstoß die Geborgenheit des Baumes zu verlassen. Ich fuhr mit meinem Mann über Land, um für die bevorstehende Silvesterparty Wein zu besorgen, und ein guter Freund, der damals noch Student war und bei uns wohnte, wollte uns mit dem Kürbisessen bei unserer Rückkehr erwarten. Ich fragte ihm Löcher in den Bauch. Wie es sei, wie man es macht, wie es schmeckt, dass ich es mir nicht vorstellen könne, dass ich noch nie so etwas gegessen hätte. Er lachte nur, kannte er mich doch allzu gut als Nervensäge. Der Tag verging in Windeseile. Auf dem Heimweg schlug das Wetter um. Die ersten Flocken fielen. Der Herbst hatte endgültig „Ade“ gesagt.
Als wir die Wohnungstür öffneten, schlug uns ein betörender Duft entgegen. Es war eine Mischung aus Herbst und dem kommenden Winter, man spürte noch die zur Neige gehende Fülle des Herbstes und man erahnte auch schon die Geborgenheit des Winters. In der Backröhre brutzelte etwas. Der Tisch war festlich gedeckt. Wolfgang zauberte eine viereckige Schüssel auf den Tisch. In der einen Hälfte waren Kürbisstücke, die mit Kartoffelscheiben auf der anderen Seite der Schüssel um die Wette dampften. Das Ganze war obenauf mit Speckscheiben belegt, die knusprig und lecker aussahen. So etwas Gutes hatte ich noch nie gegessen. Jedes Kürbisstück ließ ich genießerisch auf der Zunge zergehen und dazu tranken wir gut gekühlten Riesling. Es wurde noch ein langer, launiger, harmonischer Abend mit vielen guten Gesprächen.
Eine dicke Scheibe Bratkürbis (die Güte und vor allem die Süße des Kürbisses sind ausschlaggebend für die Qualität des Essens), 6 Kartoffeln, 3 EL Öl, etwas Wasser, Salz und schwarzer Pfeffer, 6 Scheiben Speck.
Bratkürbis würfeln. Kartoffeln in nicht zu dünne Scheiben schneiden. Öl in eine Pfanne geben. Auf die eine Seite die Kürbisstücke, auf die andere Seite die Kartoffelscheiben legen. Alles salzen und pfeffern. Etwas Wasser dazugeben. Obenauf mit den Speckscheiben belegen. Bei 200 °C 30–40 Minuten braten. Falls der Speck zu knusprig wird, nach einer Weile mit Alufolie abdecken. Dazu schmeckt ein halbtrockener Riesling.
Wolfgang hatte noch eine Kürbisüberraschung für uns parat, und zwar einen Nachtisch.
Kürbis wird gedämpft und dann mit dem Mixer zu einem Brei püriert. Danach wird er mit Vanillezucker gesüßt und mit süßer Sahne serviert.
Jahre später stand ich in der Türkei vor einem reichhaltigen Nachspeisenbuffet. Es gab da eine Vielfalt von in dickem Zuckersirup eingetauchten Kuchenarten, doch in einer Ecke leuchtete mir etwas Goldgelbes entgegen. Ich konnte es nicht auf Anhieb einordnen, legte aber drei Stücke davon auf meinen Teller und balancierte damit zur Terrasse. Die Stücke auf meinem Teller konkurrierten fast mit der untergehenden Sonne. Ich ließ ein kleines Stückchen auf der Zunge zergehen, schloss dabei die Augen, Erinnerungen wurden wach, versetzten mich in eine Art Trancezustand; ich blickte meinen Mann an und sagte nur: „Bratkürbis, kandiert“, und ich wünschte, zugleich diesen Augenblick und das Kürbisaroma festhalten zu können, für immer, für die Ewigkeit.
Gerüche, Geschmack, Düfte und Klänge bleiben eher haften als konkrete Bilder, obwohl manchmal das eine durch das andere ergänzt wird.
In einem gutbürgerlichen Haus wurde gutbürgerlich gekocht, und da hatten Fisimatenten nichts zu suchen. Das Essen hatte auch gutbürgerlich zu sein, ohne Schnickschnack und dergleichen mehr. So wurde bei meinen Großeltern gekocht und meine Mutter hatte auch Art der Essenszubereitung übernommen. Das eine oder andere Rezept aus dem böhmischen Elternhaus meines Vaters verlieh dieser einfachen Küche eine besondere Note.
In diese bürgerliche Welt platzte nun mein Vater hinein, der, als er meine Mutter kennenlernte, notgedrungen seinen bürgerlichen Beruf als Kaufmann aufgegeben hatte und nun, sehr zum Verdruss meiner Großeltern mütterlicherseits, den Lebensunterhalt für seine kleine Familie als Künstler bestritt. Er war damals Trompeter (später Kontrabassist) an der Hermannstädter Philharmonie. Für mich war das etwas ganz Besonderes. Es öffnete sich für mich eine kleine Pforte zu einer anderen Welt, wo alles nur aus Tönen und Melodien bestand. Mein Vater passte nicht in dieses geregelte sichere Dasein der mütterlichen Familie mit einem Möbeltischler als Schwiegervater. Er versuchte zwar, die Zauberwelt der Musik auch meiner Mutter zu öffnen, doch auch heute bin ich noch der festen Überzeugung, dass ihm das nicht gelungen ist. Für meine Mutter war die Welt ein Puzzle, wo jedes Teilchen seinen Platz finden musste, für meinen Vater hingegen lagen Teile herum, die niemals ihren Platz finden sollten, ihn aber nicht beunruhigten.
Mein Vater versuchte nun, meiner Mutter einen Zugang zur Musik zu verschaffen. Konkret tat er dies, indem er sie bat, ihn jeden Mittwoch ins Konzert zu begleiten. Das geschah dann auch in den ersten Jahren ihrer Ehe. Wie beneidete ich meine Mutter um diese Konzertbesuche! Sie trug ein dunkelblaues Seidenkleid, eine Goldkette schlang sich um ihr linkes Handgelenk und aus einer dunkelgrünen Flasche tupfte sie sich ein paar Tropfen Parfüm hinter das Ohrläppchen. Ich hingegen wurde zu Bett gebracht, schloss die Augen und war der Musik wahrscheinlich unendlich näher als sie. Doch mit den Jahren wurden die Konzertbesuche immer seltener.
Manchmal verspürte mein Vater den Wunsch, aus der bürgerlichen Küche auszubrechen, und äußerte für damalige Zeiten und Begriffe bohemehafte, ja fast etwas anrüchige Essenswünsche wie Salade de bœuf mit Mayonnaise. Dies mag heute nur noch ein Lächeln hervorrufen, doch damals, in meiner frühen Kindheit, war Mayonnaise gleichzusetzen mit einem Drama, denn sie gelang weder meiner Mutter noch meiner Großmutter. Ich sehe heute noch – als wäre es erst gestern gewesen – meine Großmutter vor mir in der Küche sitzen. Man konnte eine unheimliche Spannung spüren, hören, ja förmlich sehen, die wie ein Gewitter in der Luft hing. Meine Großmutter saß mit einer Schüssel da, einen Holzlöffel in der einen und eine halbleere, mit einer winzigkleinen Öffnung versehene Eierschale, die mit Öl gefüllt war, in der anderen Hand. Dann begann sie mit erwartungsvoller Leidensmiene, die goldumrandete Brille auf der Nasenspitze, zu rühren. Ich guckte diesem nie endenden Prozess zu. „Klick“ machte es und nach einer Ewigkeit wieder „klick“, und das Öl tropfte aus der halben Eierschale. Ab und zu entrang sich der Brust meiner Großmutter ein tiefer Seufzer. „Mädi“ (so nannte sie meine Mutter), „ich glaube, es wird wieder nichts.“ Mädi, also meine Mutter, blickte gehetzt auf die Uhr, es waren noch drei Stunden bis zum Ende des Konzertes, doch das war erschreckend wenig für so etwas wie Mayonnaise. „Mama“, sagte daraufhin meine Mutter, „ich übernehme das Rühren.“ Mein Großvater, der jeden Mittwoch seinen Kartenabend hatte, guckte in die Küche, sah die beiden gestressten Frauen, sprach etwas von „neumodischem Quatsch“ und trollte sich wieder zu seinen Kartenbrüdern. Wie immer in diesen seltenen Fällen misslang die Mayonnaise, es gab keinen Salade de boeuf. Stattdessen aß mein Vater ein paar belegte Brote.
Meine frisch vermählten Eltern
Hochzeitsbild meiner Großeltern mütterlicherseits
Es sollten noch viele Jahre vergehen, meine Großmutter erlebte es leider nicht mehr, dass Mayonnaise etwas spielerisch Leichtes wurde, und es war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen ich von meiner Mutter sogar gelobt wurde. Wir hatten in der Schule auch Kochunterricht, und da wurde das Geheimnis der Mayonnaise entschlüsselt.
1 Eigelb, Salz und 1 TL Senf flaumig rühren. (Das Geheimnis besteht im Hinzufügen des Senfes zu Beginn.) Öl hinzufügen, nicht in Strömen, aber auch nicht getropft, bis sich eine dickliche Paste bildet. Wird die Mayonnaise zu dick, fügt man etwas Milch hinzu und schmeckt sie mit Zitronensaft ab.
(Zutaten für 1 Ei)
1 Ei, 20 g Butter, Senf, Salz, Pfeffer, Rum (nach Geschmack) und ein Viertel fein geriebener Apfel, etwas Zucker nach Geschmack.
Das Ei wird hart gekocht, das Eigelb entfernt, passiert und mit der flaumig gerührten Butter verrührt. Der fein geriebene Apfel wird hinzugefügt. Alles mit Senf, Salz, Pfeffer, Rum und etwas Zucker abschmecken. Das hart gekochte Eiweiß damit füllen.
(Die Mayonnaise wird in eine Schüssel gegeben und die gefüllten Eier setzt man in diese Mayonnaise.)
1 ganzes Ei, 1 EL Öl, ½ EL Estragonessig (wir nannten den Estragon „Bertram“), 1 EL Wasser, 1 TL Zitronensaft. Die Masse über Dunst schlagen, bis sie anfängt dicklich zu werden, weiter schlagen, bis sie abgekühlt ist. Dann schmeckt man mit 1 TL Sauerrahm, Rum, Senf und Zucker ab. Diese Zutaten rechnet man für 1 gefülltes Ei.
Obwohl wir nun schon so viele Jahre im Westen leben, verbinde ich noch immer bestimmte Speisen, Gemüse- und Obstarten mit der jeweiligen Jahreszeit. Auch wenn ich mittlerweile das ganze Jahr über alles essen, kaufen und auch zubereiten kann, was mein Herz sich nur wünscht, überkommt mich noch immer eine kleine Nostalgie, und ich erinnere mich besonders gerne an die Einmaligkeit des ersten Spinats im Frühling. Allerdings kamen diese Einmaligkeitsgefühle erst auf, als ich schon erwachsen war, denn als Kind teilte ich – bis zu jenem Tag, von dem ich nun berichten möchte – die allgemeine Spinat-Aversion fast aller Kinder. Meine erste Erinnerung an dieses wohlschmeckende Gemüse ist ein Mittagessen, das eigentlich keines war. Übrigens sagte nur mein Vater „Spinat“, alle anderen sagten im guten Hermannstädter Kucheldeutsch „Spenat“. Meine Mutter bestritt das heftig in späteren Jahren, doch es war nun einmal so.
Es gab also an jenem besagten Tag Spinat zum Mittagessen. Da ich so etwas nicht mochte, aß ich bei meiner Großmutter etwas anderes. Bei meiner Großmutter wurde – wie in den meisten Handwerkerfamilien – um 12 Uhr gegessen, in meinem Elternhaus aber erst um 13 Uhr, da mein Vater erst um diese Zeit aus der Philharmonie von seiner täglichen Probe nach Hause kam. Kurz vor 13 Uhr war der Tisch gedeckt und der Spinat stand auf dem Herdrand. Doch mein Vater kam und kam nicht. Die Stimmung wurde immer bedrohlicher, meine Mutter schien etwas zu ahnen, ja vielleicht sogar zu wissen, rückte aber nicht mit der Sprache heraus. Um sie nicht auch noch mit einer unbedachten Handlung herauszufordern, war ich recht still, hüpfte herum, rannte zum Fenster, guckte auf die Straße, rannte bis zur Straßenecke, führte Gespräche mit dem lieben Gott, in welchen ich bat, schnell meinen Vater erscheinen zu lassen. Die Situation hatte für mich etwas Tragisches, und ich musste meiner Mutter irgendwie helfen. Aber wie? Wie erobert man eine verschlossene Festung? Ich schlich zum Herd und guckte in den Topf mit Spinat. Es war ein recht hübsches Grün und ich tauchte blitzschnell meinen Finger hinein und schwupp in den Mund. Warum ich das gemacht habe, weiß ich bis heute nicht. Aber es schmeckte nicht schlecht. Es schmeckte sogar gut. „Nimm wenigstens einen Löffel“, ertönte die Stimme meiner Mutter. Ich zuckte zusammen, doch gleichzeitig sah ich nun eine Chance, ihr eine große Freude zu bereiten, und erwiderte: „Das schmeckt nicht schlecht“. Um „gut“ zu sagen, war ich viel zu stolz.
„Natürlich schmeckt er nicht schlecht, nur du bist eine heikle Pastete“, fügte sie zerstreut hinzu. Ihre Gedanken waren natürlich bei meinem abwesenden Vater, der, wie ich später erfahren sollte, mit seinen Kollegen ein Glas Bier trinken war, ein harmloses Vergnügen, nur nicht in den Augen meiner Mutter. Ich hingegen tat wie geheißen, nahm einen Löffel und pilgerte vom Herd zum Fenster und wieder zurück, aß hin und wieder einen Löffel Spinat. Er schmeckte mir immer besser, er wurde auch immer weniger, bis er sich am Rand in ein dunkleres Grün zu verwandeln begann.
Mein Vater kam spät, hatte beste Laune, meine Mutter war stinksauer, und ich war auf den Geschmack des Spinats gekommen. Auch heute verspüre ich noch einen kleinen Stich, wenn ich bedenke, dass meine Mutter nicht das kleinste Wort der Anerkennung für mich hatte, dass ich nun endlich Spinat aß.
In den ersten Jahren meiner Ehe habe ich Spinat auch in den Speiseplan aufgenommen, wobei ich hinzufügen muss, dass Kochen bei mir nichts Alltägliches war und somit immer den Touch von etwas Besonderem hatte. Aber Spinat war recht einfach zuzubereiten, man konnte so herrlich improvisieren und „Gottes Kind“ nahm halt, was es so hatte. Es schmeckte allen prima, auch unserer Zugehfrau, die mir einmal pro Woche unter den wachsamen Augen meiner Mutter zur Hand ging. Meine Mutter rümpfte beim Mittagessen die Nase. „Viel zu dünn, keine Einbrenn, schmeckt nach nichts“, war ihr unerquicklicher Kommentar. „Uns schmeckt’s, und damit basta“, erwiderte ich vielleicht etwas zu unwirsch. „Wie bereitest du ihn eigentlich zu?“, wollte nun meine Mutter wissen.
Diese Frage hätte sie lieber nicht stellen sollen. Ja, wie bereite ich ihn eigentlich zu? Diese Frage stellte ich mir jedes Mal einmal im Frühjahr und eventuell dann noch einmal im Herbst (falls die staatlichen Gemüseläden im Herbst Spinat anboten), aber dann schon mit weniger Nachdruck. Wenn man ein Gericht nur einmal, höchstens zweimal im Jahr zubereitet, gerät da schon mal einiges in Vergessenheit. Doch für mich ist das nicht so schlimm. Wenn man am Klavier improvisieren kann, so klappt das auch in der Küche. Zuerst wurde der Spinat geputzt. Das war manchmal Schwerstarbeit, da er voller Sand und Erde verkauft wurde. Er musste unzählige Male unter kaltem fließendem Wasser gewaschen werden, meine Finger waren immer ganz klamm. Dann folgte Schritt Nummer zwei: Nachdem ich einen Topf mit Wasser und Salz aufgesetzt, das Wasser zum Kochen gebracht hatte und es nun munter sprudelte, kam für mich immer der aufregendste Teil der Spinatzubereitung. Ich warf diese große Menge an geputzten grünen Blättern (meistens 1 kg) hinein, und sie fielen im Nu zusammen, schrumpften zu einem kleinen Häuflein. Blühendes Leben verwandelt sich in Nichts von einem Augenblick zum anderen, es war so, als würden Träume zerplatzen wie Seifenblasen … Eine Menge von Bildern drängte sich mir auf. Doch nun musste Schritt drei folgen, und da begannen die Improvisationen, und so ist es bis zum heutigen Tag geblieben. Nur heute ist es meine Tochter, die fragt: „Mutti, wie machst du den Spinat, deiner schmeckt einfach am besten!“ Dann lache ich nur, und sie lacht auch, nur mein Mann, ganz Pädagoge, meint tadelnd: „Du musst dir so etwas aufschreiben.“ Bei Handlung drei können sämtliche Schritte ausgetauscht werden.
In einer Kasserolle eine Zwiebel in etwas Öl anlaufen lassen. Danach ein bis 2 EL Mehl hinzufügen (nur anschwitzen lassen, meine Mutter bräunte es zu sehr), dann den gebrühten, fein gehackten Spinat hinzufügen und bei einem Kilo Spinat nun mindestens ¾–1 Liter Milch hinzufügen. Den Geschmack erhält der Spinat allerdings erst durch 3–4 fein gehackte Knoblauchzehen.