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Unverschämt gut aussehende Vampire, eine Liebesgeschichte, die unter die Haut geht, und die berühmtesten Rockstars der Musikszene **Zwischen Vampire-Glamour und nächtlichen Intrigen** Alle Momente, die Holly mit Ray, dem gefährlich schönen und übersinnlich starken Vampir, verbinden, sind wie ausgelöscht. Während sie darum kämpft, ihren Verstand nicht vollends zu verlieren, versucht Ray verzweifelt ihr Vertrauen und ihre Liebe zurückzugewinnen. Gleichzeitig sucht er mithilfe seiner »Bloody Mary«-Bandkollegen fieberhaft nach einer Heilung für Hollys Erinnerungsverlust. Doch den Nachtwesen dieser Welt steht ein weitaus größerer Kampf bevor und sie alle müssen entscheiden, auf welcher Seite sie dabei stehen ... »Grandios«, »wunderbar« und »einzigartig« sind nur einige Worte, die Leserinnen gefunden haben, um diese Fantasy-Reihe zu beschreiben. //Dies ist der sechste Band der außergewöhnlichen Vampirreihe. Alle Bände der Fantasy-Buchserie: -- Bloody Marry Me 1: Blut ist dicker als Whiskey -- Bloody Marry Me 2: Rache schmeckt süßer als Blut -- Bloody Marry Me 3: Böses Blut fließt selten allein -- Bloody Marry Me 4: Morgenstund hat Blut im Mund -- Bloody Marry Me 5: Abwarten und Blut trinken -- Bloody Marry Me 6: Ende gut, alles Blut -- Sammelband der Rockstar-Vampire-Romance »Bloody Marry Me«// Diese Reihe ist abgeschlossen.
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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M. D. Hirt
Bloody Marry Me 6: Ende gut, alles Blut
**Zwischen Vampire-Glamour und nächtlichen Intrigen**Alle Momente, die Holly mit Ray, dem gefährlich schönen und übersinnlich starken Vampir, verbinden, sind wie ausgelöscht. Während sie darum kämpft, ihren Verstand nicht vollends zu verlieren, versucht Ray verzweifelt ihr Vertrauen und ihre Liebe zurückzugewinnen. Gleichzeitig sucht er mithilfe seiner »Bloody Mary«-Bandkollegen fieberhaft nach einer Heilung für Hollys Erinnerungsverlust. Doch den Nachtwesen dieser Welt steht ein weitaus größerer Kampf bevor und sie alle müssen entscheiden, auf welcher Seite sie dabei stehen …
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Vita
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© Shattered Light Photography
M. D. Hirt wurde in Barcelona geboren und bereiste mit ihren Eltern die ganze Welt. Heute lebt und studiert sie in Berlin und liebt es, mittlerweile selbst Pläne zu schmieden, um ferne Länder zu erkunden. Ihre Freizeit verbringt sie entweder in ihrer Werkstatt, in der sie an allem herumtüftelt, was ihr in die Finger kommt, oder an ihrem Schreibtisch. Dort ist auch ihr vampirisch-schöner Debütroman entstanden.
Eine verirrte Daune kitzelte mich an der Nase. Meine Augen waren fest verschlossen und eine bleierne Schwere lag auf meinen Gliedern. Dabei lag ich weich und eine kuschelig warme Decke war über mir ausgebreitet. Die neue Bettwäsche, die ich von meinem BAföG am Black Friday ergattert hatte, lohnte sich wirklich.
Das Einzige, was mein Glück noch trübte, war das penetrant rauschende Geräusch einer Dusche aus einem Nebenzimmer sowie ein unangenehmes Piken an meiner Seite, was so gar nicht zu dem weichen Kissen passen wollte.
Ich entschied mich das einfach so hinzunehmen. Ich würde mich später noch bei Alice beschweren, dass sie meinen Wohnungsschlüssel nicht immer dazu nehmen sollte, um nach ihrer Joggingtour bei mir zu duschen, nur weil in ihrer WG mal öfter ein Stau im Badezimmer entstand.
»Guten Morgen, Sonnenschein.«
Moment mal. Diese Stimme gehörte sicher nicht Alice. Sie war tief, verführerisch und ziemlich männlich.
Die Müdigkeit verschwand augenblicklich aus meinem Körper. Im selben Atemzug, wie der Fremde sich aufs Bett fallen ließ, riss ich die Augen auf und schrie.
Irritiert wich der Unbekannte mit den strahlend blauen Augen und den schwarzen Haaren zurück und sah mich verwundert an.
Ich schaute vermutlich genauso verdutzt aus der Wäsche und schluckte, als der Schrei vollständig meinen Hals verlassen hatte. »Was machen Sie in meiner Wohnung?«
»Ich wohne hier?«, fragte er irritiert.
Jetzt erst nahm ich meine Umgebung wahr. Ich lag nicht in meinem Bett und das war auch nicht meine Wohnung. O Gott, war ich etwa abgestürzt? Ich wusste, es war keine gute Idee gewesen zu der Chemikerparty zu gehen – man wusste nie, was die einem ins Getränk mischten.
Der Fremde öffnete angesichts meines überraschten Ausdrucks ebenso perplex den Mund, wobei ich zwei spitze weiße Fangzähne aufblitzen sah. Ich hatte doch nicht etwa einen One-Night-Stand mit einem Vampir gehabt? Ich hatte noch nie einen One-Night-Stand gehabt und ich konnte mir auch keinen vorstellen! Schon gar nicht mit einem Blutsauger.
Hunderte Fragen formten sich in meinem Kopf, aber die dringlichste stellte ich sofort. »Wer zur Hölle bist du? Hatten wir … hatten wir …« Das Wort mit den drei Buchstaben wollte mir nicht über die Lippen kommen.
Der Fremde hob eine perfekt geschwungene Augenbraue. Er näherte sich mir erneut. Ich wich bis zum gepolsterten Kopfende des weichen Bettes zurück, doch er kam mir hinterher, elegant wie eine Raubkatze, bis sein Körper über meinem schwebte und sein Knie zwischen meinen Beinen ruhte. Sein Mund stand leicht offen und entblößte seine geraden weißen und sehr scharfen Eckzähne. Mein ganzer Körper war wie gelähmt, aber kein weiterer Schrei kam mir über die Lippen.
Der Vampir beugte sich die letzten Zentimeter vor, strich mir mit einer Hand eine Strähne hinters Ohr, während er mir mit eindringlicher Stimme zuflüsterte: »Ja, wir hatten Sex, sogar schon sehr oft, aber du kannst dich gerade nicht daran erinnern, oder?«
Auch wenn so vielleicht der feuchte Traum diverser Vampirgroupies anfing, für mich war es eher der Anfang eines Albtraums.
Ich spürte, wie mir das Blut schneller als eine Rakete zum Mond in die Wangen schoss, und mein Körper reagierte instinktiv, weshalb ich mein Knie ruckartig nach oben zog. Keuchend sackte der Vampir in sich zusammen und rollte zur Seite, was meine Chance war, mich noch weiter von ihm zu entfernen. »Lassen Sie mich sofort gehen!«
»Holly, beruhige dich! Das würde ich gerne, aber du kannst jetzt nicht gehen«, ächzte er und japste nach Luft, auch wenn er die, soweit ich wusste, gar nicht brauchte.
Außerdem war das nicht die Antwort, die ich hatte hören wollen.
»Bringen Sie mich sofort nach Hause!«, schrie ich und wich in die hinterste Ecke des Zimmers zurück. Ich trug nichts weiter als ein dünnes Nachthemd, was dafür sorgte, dass ich nicht nur vor Angst erschauderte.
»Das hier ist eines deiner Zuhause oder warum glaubst du stehen hier überall deine Sachen rum?«, rief der Fremde resigniert zurück und raufte sich die rabenschwarzen Haare, machte aber wenigstens keine Anstalten mehr, sich mir erneut zu nähern. Er zupfte das Handtuch, was immer noch das Einzige war, das er trug, wieder etwas fester und streckte sich immer noch keuchend auf dem Bett aus. Mein Tritt hatte gesessen.
Ich sah mich um, nicht nur weil ich den Blick auf eventuelle Hautblitzer vermeiden wollte, sondern auch um seine Aussage zu überprüfen. Da lag tatsächlich ein Haufen persönlicher Gegenstände. Ich erkannte einen Stapel meiner liebsten Bücher und direkt neben mir in der Ecke stand die abscheuliche Stehlampe, die ich auf dem Flohmarkt für 2€ erstanden und für die ich nie den richtigen Platz gefunden hatte. Hier in diesem alten Gemäuer sah sie jedoch irgendwie passend aus und sie konnte auch nicht erst seit gestern hier sein, denn eine feine Staubschicht hatte sich auf dem Lampenschirm abgesetzt.
Entsetzen durchflutete mich. Wo genau war ich? Ein Blick aus dem Fenster offenbarte finstere Nacht, aber einen Haufen Sterne und der Mond zeigten mir ein Tal. Wir befanden uns auf einem Berg und in der Ferne glaubte ich so etwas wie die Türme einer Burg zu erkennen, außer dem dichten Wald. Das war definitiv nicht Berlin!
Im besten Fall war es vielleicht eine düstere Ecke von Brandenburg … aber im schlechtesten … Gott weiß, wo die Gruft genau lag, in die dieser Vampir mich geschleppt hatte. Mein Gehirn suchte fieberhaft nach einer Lösung dieses Paradoxon und als es endlich eine fand, schien all mein Blut in meinen Beinen zu versacken.
»Meine Sachen sind hier, weil du sie hergeschafft hast! Du bist so ein kranker Psychopath, der versucht mich marode zu machen! Du hast Teile meines Zimmers mitgenommen, um mich völlig irre zu machen! Ich hab Pretty little Liars geguckt!« Ich hatte nur nie vorgehabt selbst mitzuspielen.
»Ist das dein Ernst? Das ist die logische Schlussfolgerung, zu der du kommst? Ich hab die verdammte Serie auch gesehen! Weil du mich gezwungen hast sie mit dir zu gucken! Und nein, du hast deine Sachen selbst hergeschafft, nachdem wir deine Studentenwohnung aufgelöst hatten, oder glaubst du, ich würde eine so potthässliche Lampe freiwillig mitnehmen?« Die Stimme des Mannes klang weiterhin gequält. Irgendetwas an ihm kam mir entfernt bekannt vor, so als hätte ich ihn schon Mal irgendwo gesehen. Aber ich würde mir keine Zeit nehmen herauszufinden wo oder bis er sich wieder erholt hatte.
Er sah verzweifelt vom Bett Richtung Tür. Hatte er etwa vergessen sie abzuschließen? War das meine Chance ihm zu entkommen?
Es waren nur etwa 20 Meter. Ganz schön groß der Raum. Aber das sollte ich schaffen, auch wenn ich meine Mitgliedschaft im Fitnessstudio vor einem Monat aus Geldmangel hatte kündigen müssen. Ich atmete ein letztes Mal tief durch und feuerte mich innerlich selbst an.
Der halbnackte Kerl warf mir einen Blick zu, der »Wirklich?« zu fragen schien, und ich schloss die Augen. Nachdem ich im Geiste bis drei gezählt hatte, öffnete ich sie wieder und sprintete los. Meine nackten Füße klatschten kalt auf dem steinernen Marmorboden und das hallende Geräusch sowie das unangenehme Gefühl bei jedem Schritt spornte mich weiter an.
Gerade als ich meine Hand nach der Tür ausstrecken wollte, schwang sie ohne Vorwarnung auf.
Vor Verblüffung wollte ich eigentlich stehen bleiben, doch mein Körper hatte durch den Schwung andere Pläne. Mit voller Wucht knallte ich gegen das muskulöse Hindernis, was dahinterstand, und plumpste auf den Hosenboden.
Instinktiv streckte ich meine Hände aus und erwischte das Shirt eines Mannes, den ich hier wirklich nicht erwartet hätte: Sam Keith.
Der Schwarm aus meiner Uni, mit dem ich nie viele Worte gewechselt hatte, außer das eine Mal, als ich den schlimmsten Freud’schen Versprecher der Welt von mir gegeben hatte.
Sam gelang es noch mit Mühe und Not die Einkaufstüten, die er auf seinem Arm trug, zu balancieren, ehe er auf mich hinabkrachte.
»Ganz ruhig, Speedy Gonzales! Wo wolltest du denn hin?«
»Sam, ich habe keine Ahnung, ob du dich an mich erinnerst, wir gehen zusammen zur Uni!« Ich hielt ihn immer noch am Shirt gepackt und widerstand dem Drang mich wie eine Ertrinkende an ihn zu klammern, als wäre er meine rettende Boje. »Wir hatten einen Pornografie-Kurs zusammen.« Warte, was? »Äh, einen Fotografie-Kurs meine ich natürlich!« Ich schrie fast aus einer Mischung aus Peinlichkeit und Panik. Schnell fuhr ich fort in der Hoffnung, dass weder Sam noch der Fremde meine sprachliche Panne bemerkt hatten.
»O Holly, jetzt kommen also wieder deine schmutzigen Gedanken zum Vorschein? So wie damals bei den Erbsen und Mösen?«, fragte Sam und grinste breit.
Zu früh gefreut. Natürlich erinnerte er sich noch. Die Situation sorgte dafür, dass ich noch mehr über meine Worte stolperte.
»Hier kommt gar nichts zum Vorschwein! Äh, ich meine Vorschein! Sam, das ist ernst! Ich habe keine Ahnung, wo ich bin oder wer der nackte Kerl da ist. Bitte hilf mir! Bring mich hier we…« Die Worte blieben mir abermals im Halse stecken. Was, wenn er mit dem Vampir unter einer Decke steckte? Er war schließlich hier. Ich meine, Sam war zwar süß, aber vielleicht hütete er ein dunkles Geheimnis? Ich kannte ihn schließlich kaum. Ich strauchelte, als ich mich beeilte Abstand zu ihm zu gewinnen.
Sams Augen wurden schmal, als er zuerst mich und anschließend den Unbekannten musterte. »Was zum Geier ist hier los?«
»Sie kann sich an nichts mehr erinnern und hat mir volles Brett in die Eier getreten. Ich glaube, der Fluch hat sich nun vollständig entfaltet.« Die Stimme des nur mit einem Handtuch bekleideten Mannes hinter mir klang immer noch so, als litt er Höllenqualen.
Ich konnte mich nicht mehr erinnern? Woran sollte ich mich nicht mehr erinnern können? Was hatten die beiden mit mir gemacht? Nichts von dem, was Sam und der Fremde von sich gaben, schien irgendeinen Sinn zu ergeben. Hatten sie mir etwa Roofies in einen Drink gemischt? Oder hatte ich einen Filmriss? Hatte ich mich von Alice etwa überreden lassen wieder zu viel zu trinken?
»Was soll denn jetzt plötzlich den finalen Verlust ausgelöst haben?«, fragte Sam, der nach der kurzen drückenden Stille endlich seine Worte wiedergefunden hatte.
»Ich habe keine Ahnung«, entgegnete Mr Rührei und sah betreten zu Boden. Auch wenn er ein Entführer war, sah er überraschend gut aus. Ich wünschte mir, dass er sich endlich etwas anziehen würde, damit ich ihn etwas ernster nehmen konnte, vor allem da sein Handtuch an der blassen glatten Haut langsam zu einem kritischen Punkt nach unten rutschte.
Sam rappelte sich auf und ging vor mir wieder in die Hocke, weil ich immer noch auf meinen vier Buchstaben auf dem kalten Marmorboden saß.
»Holly, du musst keine Angst haben. Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?« Seine karamellfarbenen Haare fielen ihm in die grünlichen Augen, als er mich aus der Nähe musterte. Er roch nach etwas Wildem, Herben und ich spürte unvermittelt ein paar deplatzierte Schmetterlinge in meinem Bauch aufflattern.
Ich schüttelte kurz den Kopf – für solche Gefühle war gerade kein Platz. Konnte ich ihm wirklich vertrauen? Er war immerhin der einzige Bekannte in dieser Situation.
»Ich habe eine Benachrichtigung bekommen, dass ich am Freitag zur Live-Sendung des Gewinnspiels soll, zu dem Alice mich angemeldet hat. Das Ganze findet in Köln statt, ich habe den zweiten Platz gewonnen. Ich sollte am Sonntag zurück sein, weil am Montag meine Pflichtveranstaltungen in der Uni wieder anfangen. Alle wissen das!« Der letzte Teil meiner Antwort war gelogen. Die Einzige, die überhaupt wusste, dass ich nach Köln fahren würde, war Alice, aber es würde sicherlich nicht schaden den Eindruck zu erwecken, jemand würde mich vermissen.
»Sieht so aus, als hättest du recht. Sie erinnert sich tatsächlich nicht mehr.« Sam stand wieder auf und ging nun zu dem unbekannten Vampir. Sie unterhielten sich mit gedämpften Stimmen, sodass ich sie nicht verstehen konnte. Allerdings war jetzt die Tür unbewacht.
Das war meine Chance! Ich würde draußen ein Taxi nehmen, nach dem Weg fragen und zu Hause dann alle Puzzleteile in Ruhe zusammensetzen. Mit der größten Mühe, nicht mal den Hauch eines Geräuschs zu verursachen, stand ich auf und machte einen Schritt in Richtung Tür.
Wusch!
Schneller als der Schall zischte ein Luftzug an mir vorbei. Vor Schreck gruben sich meine Finger in die Taschen meines Nachthemds. Die Tür in die Freiheit schlug zu und ich sah mich ein paar eisblauer Augen gegenüber, die von schwarzen Strähnen eingerahmt waren. Das war also die legendäre Vampirgeschwindigkeit.
»Ich weiß, das ist verwirrend und hört sich schrecklich an, aber du solltest jetzt gerade wirklich nicht gehen, bis wir rausbekommen haben, was hier passiert ist, und du dich beruhigt hast. Du wirst wohl oder übel erstmal bei uns bleiben. Ich würde mir wünschen, dass du deswegen keine Szene machst, okay?«, sagte der Vampir mit rauchiger Stimme.
»Und ich würde mir wünschen, dass du dir was anziehst!«, kiekste ich und wich wieder einige Schritte zurück.
Das Handtuch hatte bei dem Highspeed, mit dem der Vampir mir den Weg abgeschnitten hatte, offenbar nicht mithalten können.
»Ist ja gut! Bleib da stehen, okay?« Er seufzte erneut und schlenderte zu einer Kommode, aus der er in aller Seelenruhe eine Boxershorts zog. Ihn selbst oder Sam schien sein unbekleideter Zustand nicht im Geringsten zu stören, während ich nicht wusste, wo ich hinsehen sollte.
Mein Gehirn konnte sich angesichts der absurden Situation nicht entscheiden, ob es nun Angst haben oder sich über die gratis Einlage eines Chippendale-Anwärters freuen sollte. War das dieses Adrenalin? Auch wenn ich den Vampir nur noch aus dem Augenwinkel sah, konnte ich seine raue Stimme sehr gut verstehen und glaubte ihn murmeln zu hören: »Jetzt klinge ich wirklich wie ein Entführer.«
Ich hob die Hände zu den Augen und spürte dabei, dass ich etwas, was in meiner Tasche gewesen war, zum Vorschein zog. Ein zerknülltes Blatt Papier glitt zu Boden.
Bevor ich danach schnappen konnte, griff der nun immerhin mit Boxershorts bekleidete Vampir danach, was mich dazu veranlasste, sofort meine Hand zurückzuziehen, als ob ich mich verbrannt hätte. Augenblicklich stellte ich jedoch fest, dass die einzigen Verbrennungen, die ich von diesem Mann bekommen konnte, sich auf Gefrierbrand beschränkten. Denn als meine Finger ganz kurz seinen Handrücken gestreift hatten, spürte ich, wie eiskalt er war. Trotz erneut aufsteigender Gänsehaut an meinem ganzen Körper hatte er meine Panik entweder nicht mitbekommen oder ignorierte sie, während er sich dem Papier widmete. Als ich ein paar Schritte rückwärts ging, stieß ich wieder gegen Sam, dieses Mal jedoch sanfter.
»Keine Sorge, Holly, entspann dich. Du bist nicht in Gefahr. Niemand wird dir etwas tun. Alles wird gut«, flüsterte er beruhigend, als ich nach unserem Zusammenstoß erschrockenen gekeucht hatte. Er legte mir eine Hand auf die Schulter.
Der Vampir war offenbar fertig mit Lesen und streckte mir die Hand hin. Er wedelte mit dem Stück Papier, was ich fallen gelassen hatte.
»Es ist für dich und erklärt, warum du dich an nichts mehr erinnern kannst. Du hast dir selbst einen Brief geschrieben. Warum hast du das getan? Der Vampirrat im Vatikan hat doch gesagt, dass du … ach, lies es einfach selbst.«
Mit spitzen Fingern griff ich nach dem Stück Papier. Der Brief war an mich adressiert und, was noch deutlich kurioser war, in meiner Handschrift verfasst.
Liebe Holly,das ist das erste und hoffentlich auch das letzte Mal, dass du dir selbst einen Brief schreibst. Du musst jetzt stark sein, auch wenn ich weiß, dass dir das sehr schwerfällt und du manchmal das Selbstbewusstsein eines nassen Waschlappens hast. Um es kurz zu machen: Ein Hexenmeister namens Aglamar, auch bekannt unter dem Namen Ace Glaymoore, hat dich verflucht, weshalb du dein Gedächtnis verlierst. Ich weiß nicht, an wie viel du dich jetzt noch erinnerst, aber der Vampir vor dir, Ray Sorin, ist die Liebe deines Lebens. Du hast ihn geheiratet, sogar zwei Mal – die Geschichten davon soll er dir selbst erzählen, denn du kannst ihm vertrauen.Das ist das Wichtigste: Du kannst ihm wirklich vertrauen. Er würde alles für dich tun und sein Leben für dich geben, hörst du? Arbeite mit ihm und Sam daran, dein Gedächtnis wiederzubekommen. Das ist die einzige Aufgabe, der du dich widmen solltest, damit du nicht noch mehr Schaden anrichtest.
Holly Bane
PS: Ich befürchte, dass du weder den beiden noch dem Brief hier glaubst, also erinnere ich dich an etwas, was nur du selbst weißt und eigentlich mit ins Grab nehmen wolltest: Nämlich das, was du in dem letzten Sommer vor der Uni auf dem Heuboden deiner Eltern getrieben hast. So, das sollte rei–
Ich starrte auf das abrupte Ende des Schriftstücks. Die letzten Buchstaben waren so undeutlich geschrieben und von Wassertropfen verschwommen, dass ich sie nicht lesen konnte, doch da stand tatsächlich meine Unterschrift. Wie in Trance strich ich mit dem Finger darüber.
Und spätestens das PS hatte mich so gut wie überzeugt. »Der Heuboden …« Ich errötete schon allein bei dem Gedanken und lenkte meine Aufmerksamkeit deshalb wieder auf den Hauptteil des Briefes. Die Liebe meines Lebens? Ich hob ruckartig den Kopf und sah wieder zu dem Vampir hin. Rein optisch ging er ja mehr als klar, das hatte der Handtuchvorfall und der anschließende Blick auf seinen Hintern mir offenbart, aber … ein Vampir sollte die Liebe meines Lebens sein? Wie sollte das denn passiert sein? Ich hatte anscheinend schon vor dem ominösen Fluch den Verstand verloren und mich offenbar freiwillig zur Blutbank eines Vampirs gemacht.
»Verheiratet hin oder her, ich geb dir mein Blut nicht!«, rief ich und wich in die Zimmerecke zurück – weg von den beiden bestürzt aussehenden Männern.
»Das brauchst du auch gar nicht, ich war einkaufen und habe ihm ein paar Flaschen mitgebracht«, sagte Sam und hob beschwichtigend eine Hand, während er mit der anderen in einer der Tüten rumfummelte und eine Flasche voll roter Flüssigkeit und der Aufschrift Clone Blood zutage förderte. Er warf sie dem Vampir zu, der sie murrend auffing. »Dir habe ich auch Frühstück mitgebracht.« Jetzt schwenkte Sam eine Bäckertüte und warf sie mir aus sicherer Entfernung zu.
Ich fing sie auf und mein Kopf schien den Dienst vollends zu quittieren. Was zur Hölle war hier los? Der Brief hatte mehr Fragen aufgeworfen, als er beantwortete.
Mein Magen knurrte und meine Gedanken rasten unaufhaltsam wie Ping-Pong-Bälle hin und her, während ich an der Wand entlang wieder zu Boden rutschte.
Sam spähte neugierig auf das Schriftstück, dessen Ecke ich immer noch in meiner Faust umklammert hielt, und sah dann zu Ray. »Was war denn da auf dem Heuboden?«
Ray zuckte nur mit den Schultern und sah mich genauso fragend an.
»Das verrate ich euch nicht. Nur über meine Leiche!« Ich riss die Augen auf angesichts meiner Worte und korrigierte mich hastig, bevor einer der beiden auf die Idee kam meine unbedachte Aussage als Einladung zu interpretieren. »Also das ist jetzt keine Aufforderung!«
Mein Blick wanderte an dem Brief vorbei auf meine Hand. Da war tatsächlich ein Ring. Und was für ein Klunker. Ein riesengroßer Stein, der auf einem schmalen, weißgoldenen Steg angebracht und von Opalen gesäumt war, die alle in blütenförmigen Fassungen saßen. Ich hatte keinen blassen Dunst von Goldschmiedekunst und doch war ich mir sicher: Das Ding war mehr wert als alles, was ich besaß, zusammengenommen.
Während ich schon wieder Schnappatmung bekam, sah ich hilflos zu den beiden Männern vor mir. Okay, ich war verheiratet, hatte mein Gedächtnis verloren und keine Ahnung, wo genau ich war. Ganz gefasst bleiben, Holly. Alles wird gut, Sam und … Ich spähte auf den Namen in dem Brief … Ray werden dir helfen. Sie sind keine Entführer. Ganz ruhig Luft holen … wollte ich mich in Gedanken beruhigen, während ich gleichzeitig versuchte meinen Atem in den Griff zu bekommen, um mich vorm Hyperventilieren zu bewahren.
Meine beiden ungewöhnlichen … Gefährten waren dazu übergegangen sich kaum hörbar zu unterhalten. Ich fing nur einzelne Satzfetzen wie »… komplett hysterisch, so wie früher …« und »… sie wird uns nie glauben. Ihr ganzes Leben wirkt wie eine surreale Version von Sex and the City, wenn mir das jemand weismachen wollte, würde ich ihm das auch nicht abkaufen!« Sie wurden lauter, weshalb ich sie nun fast lückenlos verstand.
»Vielleicht müssen wir ja nicht gleich alles erzählen«, murmelte der Vampir nachdenklich.
Sam schnaubte. »Was willst du denn alles weglassen? Die Mordanschläge? Euer Verhältnis? Deine Familiengeschichte? Weißt du was, ich glaub, ich frag lieber andersrum, Ray, was willst du ihr überhaupt erzählen? Ganz oder gar nicht.«
Stirnrunzelnd betrachtete ich das Profil der beiden. Mein Puls beruhigte sich ein wenig, während ich ihnen zusah. Sie waren beide auffällig schön mit ihren geraden Nasen, kantigen Kiefern und vollen Haaren. Wobei die stechenden Augen des Vampirs eine übernatürliche Anziehungskraft auf mich hatten und mir irgendwie bekannt vorkamen. Dann dämmerte mir etwas.
»Moment mal, Ray Sorin … «, sagte ich unvermittelt und mein Mund schien sich in eine Wüste verwandelt zu haben.
Sofort fuhren Sam und Ray zu mir herum.
»Bist du nicht … irgendein Rockstar?«, fragte ich und konnte es selbst kaum glauben, dass diese Worte aus meinem Mund kamen. Es sah so aus, als hätte ich die beiden damit ebenso kalt erwischt wie mich selbst.
Der schwarzhaarige Vampir schien sich jedoch als Erster wieder zu fangen. Er ging vor mir in die Hocke und hielt mir die Hand hin. »Ja, tatsächlich, das bin ich. Frontsänger der Band Bloody Mary, Ray Sorin, freut mich … wieder … deine Bekanntschaft zu machen«, sagte er nur knapp. Als ich keine Anstalten machte, seine Hand zu ergreifen, lächelte er mich freundlich an. Dann stand er auf und griff unter das Bett. Mein Herz begann zu schlagen. Hatte er da etwa eine Waffe versteckt?
Er zog seine Hand ganz langsam wieder hervor und hielt ein Objekt hoch, was zweifelsfrei keine Waffe war, sondern nur ein staubiger Bilderrahmen. »Das ist doch mal ein guter Anfang. Siehst du: Hier ist die Ausgabe vom People Magazine, in der ich zum Sexiest Man Alive gekürt wurde.«
Ich warf einen Blick darauf. Ja, er war tatsächlich auf dem Cover und zwar genauso oberkörperfrei und mit strahlendem Sixpack, wie er auch jetzt vor mir stand.
»Ganz schön narzisstisch so etwas jemanden nur Minuten nach dem Kennenlernen unter die Nase zu reiben«, murmelte Sam.
»Narzisstisch wäre es, wenn ich den Krempel aufgehangen hätte, anstatt ihn unter meinem Bett zu bunkern«, entgegnete Ray, während er weiter abwesend herumwühlte.
Offenbar war er noch lange nicht fertig und der Platz unter seinem Bett entpuppte sich als Wunderkiste. Nach einigen Sekunden war ich überzeugt, dass sich darunter entweder ein schwarzes Loch, ein Geheimsafe oder gleich ein Portal nach Narnia befanden.
»Ah! Das ist natürlich perfekt. Hier sind wir sogar beide drauf. Das war nur Minuten nach unserem ersten Aufeinandertreffen.«
Ray reichte mir eine weitere Zeitschrift und ich nahm sie mit bebenden Fingern entgegen. Es fühlte sich an, als hätte ich Steine im Magen, als ich mich selbst auf dem Bild erkannte, oder eher als ich meinen Hintern erkannte. Das Bild zeigte Ray, wie er mich über seine Schulter geworfen hatte und breit grinste, während ich wenig begeistert an seinem Allerwertesten vorbei in die Kamera lugte. Gerade als ich fragen wollte, wie zur Hölle das denn passiert war, drang eine unvertraute Melodie an mein Ohr. »Das hier war das erste Lied, was ich für dich geschrieben habe.« Ray hatte sich aufs Bett gesetzt und zupfte an den Seiten einer Gitarre.
»I met you in the weirdest place,
you did seem like a hopeless case.
But then I saw your light shine bright
and decided to take you with me into the night,
you made my boring life an adventure,
even though it was a venture«, sang er und seine Stimme hallte klar und stark durch das ausladende Schlafzimmer.
Mir blieb der Mund offen stehen und er legte die Gitarre weg. Ein Teil von mir wünschte, er würde einfach weiterspielen, so himmlisch klangen die Töne, deren Echo sich langsam in dem großen Raum verlor.
»So viel zu meiner Person. Beweis genug, dass ich kein böser Entführer bin?«, fragte er und ein mattes Lächeln umspielte seine engelhaften, vollen Lippen.
Ich überlegte kurz, dann nickte ich fast kaum merklich, auch wenn ich mir immer noch nicht ganz sicher war, was ich von all dem halten sollte. Mein Blick fiel abermals auf die Zeitschriften. Die Ausgabe mit meinem Hintern drauf trug ein Datum kurz nach meinem Köln-Besuch … also in der Zukunft. Das People Magazine war sogar noch einige Monate später datiert. »Wir haben nicht mehr 2018, oder?«
»Nein, es sind mittlerweile fast zwei Jahre vergangen, seitdem du mich kennengelernt hast.«
Ich konnte mich an zwei Jahre nicht erinnern? Mein Entsetzen wurde von Sam überschattet, der mit einer Tageszeitung, der Vistren Times, wedelte. »Vielleicht ist das hier ein guter Anfang, um dein Gedächtnis auf Vordermann zu bringen. Fangen wir mit gestern an.« Er deutete auf eine Schlagzeile auf der ersten Seite und reichte mir die Zeitung.
Vampireskalation im FlugzeugAuf dem Flug LH 1948 von Berlin nach Vistren kam es am vergangenen Montag zu einem Zwischenfall, der die 255 Menschen an Bord ernsthaft gefährdete. Nach etwa der Hälfte des fünfstündigen Fluges geriet eine an Bord anwesende Jungvampirin offenbar in Blutnot. Wie aus der Meldung des vistrischen Herrschers des Hauses für Außenpolitik, Jivin Amberg, hervorging, wurde die Situation schnell unter Kontrolle gebracht und die Jungvampirin befindet sich derzeit in Obhut des vistrischen Hohen Hauses der Gerichtbarkeit unter dem Schirmherren Markus Sorin.Mehrere Augenzeugen wollen jedoch gesehen haben, dass die Situation weniger von den vistrischen Autoritäten als von dem hypnosebegabten Magier Ace Glaymoore aufgelöst wurde, der die in Raserei versetzte Jungvampirin für den Rest des Fluges in Trance versetzte.Weiteren Berichten zufolge wurde die Vampirin anschließend auf dem vistrischen Flughafen Gelände von der Band Bloody Mary in Empfang genommen. Das ungewöhnliche Erscheinen des Frontsängers der Band, Ray Sorin, der zwar als offizieller Thronerbe des vistrischen Hauses der Gerichtbarkeit galt, aber das Amt des Herrschaftsvorsitzenden vor zwei Jahren an Markus Sorin abgegeben hatte, um sich auf seine Musikkarriere zu konzentrieren, wirft Fragen auf.Ebenfalls auf dem Flugplatz gesichtet wurde Ray Sorins Ehefrau Holly Bane, deren Liebesgeschichte demnächst in Kinos rund um den Globus zu sehen sein wird und die sich normalerweise vollkommen aus politischen Angelegenheiten heraushält. Weder Ace Glaymoore noch Bloody Mary waren bisher zu einem Kommentar bereit.Weiter auf Seite 4.
Doch ich blätterte nicht weiter, sondern starrte Ray an. Ich verstand zwar nur die Hälfte von dem, was ich da las, aber die paar Punkte, die mir klar erschienen, warfen mehr Fragen als Antworten auf. »Und du bist echt mit mir verheiratet? Und ich war gestern auf einem Flugplatz in …« Ich sah erneut auf die Zeitung, »Vistren? Ist das nicht diese Vampirhauptstadt?«, fragte ich
Sam lachte laut auf. »Das sind die ersten Fragen, die dir dazu in den Kopf kommen?«
Ray ignorierte ihn. »Genau, wir befinden uns jetzt gerade in Vistren. Und ja, wir sind seit etwas über einem Jahr das zweite Mal verheiratet«, antwortete er geduldig.
»Wieso denn zwei Mal verheiratet?«
Sam antwortete für ihn. »Weil du das erste Mal stockbesoffen mit Alice, mir und der Band in Las Vegas warst und besoffen in Las Vegas zählt eben nicht. Das waren zumindest deine Worte.«
Ich war mal in Las Vegas gewesen und konnte mich nicht daran erinnern? Meine Augenlider flatterten, als ich ungläubig blinzelte. Aber ich stolperte auch noch über etwas anderes, was Sam gesagt hatte. Ich war nicht nur in Las Vegas gewesen, sondern ich war mit Alice in Las Vegas gewesen.
»Wo ist Alice?«, fragte ich und endlich klang meine Stimme etwas fester und nicht mehr ganz so zittrig. Alice würde mir helfen diesen Schlamassel zu lösen. Sie würde wissen, was zu tun ist, und ich vertraute ihr blind. Auch wenn der Brief mir nahelegte, dass ich den beiden Kerlen vor mir ebenfalls einen Vertrauensvorschuss gewähren sollte, hätte ich lieber meine beste Freundin an meiner Seite.
Doch keiner der beiden beantwortete meine Frage. Stattdessen senkte sich eine unangenehme Stille über uns, ehe Sam sich offenbar ein Herz fasste und endlich ein paar Worte rausbrachte.
»Nun ja …«, stammelte er. »Die Jungvampirin in dem Artikel … Sagen wir mal so: Es gibt da ein kleines Problem.«
Klein war definitiv eine maßlose Untertreibung.
»Alice?«, fragte ich leise und strich meiner besten Freundin die Haare aus der für sie viel zu bleichen Stirn.
Ray, Sam und ich waren von einem gruseligen Spukschloss zum nächsten gefahren, wobei das zweite Schloss noch viel größer, altmodischer und luxuriöser eingerichtet war, vor allem da es nicht meine 2 Euro Stehlampe vom Flohmarkt enthielt. Doch all die Schönheit und der Prunk konnten mich nicht so in Beschlag nehmen wie meine beste Freundin, die da auf dem kalten Metalltisch lag. Ich konnte es nicht glauben, aber die blasse Frau hier vor mir war tatsächlich Alice. Sie wirkte komplett blutleer und ihre blauen Augen waren geschlossen.
»Wie ist das passiert?«, fragte ich und konnte das Zittern in meiner Stimme nicht weiter kontrollieren. »Ist sie …«
»Nein, sie ist nicht tot. Also glaube ich … Also doch … irgendwie schon, aber …« Ray sah hilfesuchend zu dem rothaarigen Mann, der sich im Hintergrund herumdrückte und ich folgte seinem Blick.
»Sie ist stabil«, erwiderte der Rothaarige und machte sich Notizen auf einem Klemmbrett, als er an irgendwelchen piepsenden Geräten herumspielte, die um Alice’ behelfsmäßiges Bett herumstanden. Ich drehte mich wieder zu Ray herum, denn ich mochte es nicht sonderlich ihn in meinem Rücken zu haben. Durch meine Drehung konnte ich gerade noch so sehen, wie er die Hand, die er mir offenbar beruhigend auf den Rücken legen wollte, wieder sinken ließ.
In seinem Gesicht lag ein unsicherer und unzufriedener Ausdruck, den er rasch zu verstecken versuchte, bevor er mit seiner Erklärung fortfuhr. »Wie das passiert ist, ist eine lange Geschichte«, sagte er und biss sich auf die Lippe. Eine Geste, die ich sonst eher von mir kannte.
»Ich will alles wissen, von Anfang an. Was ist in der Zeit passiert, an die ich mich nicht mehr erinnern kann? Alice war in einem Flugzeug, dort war ein Magier, der sie beruhigen musste, und jetzt ist sie hier, weil wir sie abgeholt haben. Aber wie ist sie überhaupt so … so …« Mir fehlten die passenden Worte. »… so geworden«, stammelte ich und grub mir nervös die Fingernägel in die Handfläche.
»Du meinst so untot-gemüsemäßig-vor-sich-hin-sabbernd geworden?«, fragte eine Stimme von der Tür her. Ein blonder Mann mit verwuschelter Surfer-Frisur betrat das Labor.
Meine Angst potenzierte sich und jede Muskelfaser meines Körpers schien vor Anspannung zerreißen zu wollen. Die Ankunft des Neuankömmlings hatte mir die Sprache verschlagen, weshalb ich nichts erwiderte, als der blondhaarige Kerl mich angrinste und »Jap, die Reaktion bekomm ich oft von Frauen, die mich das erste Mal treffen« sagte.
Ray stieß ihn in die Rippen. »Muss so ein Kommentar wirklich sein?«
»Lass uns ruhig etwas Spaß haben. Ist ja nicht so, als hätten wir momentan viel zu lachen. Ich meine, du hast gesagt, sie erinnert sich schließlich nicht mehr an uns. Das Beste ist vermutlich sich so zu verhalten wie immer, vielleicht erinnert sie sich dann an etwas?«, fragte der Blonde an mich gewandt. Warum klang das Spaß haben aus seinem Mund so versaut?
»Dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis«, mischte sich der Vampir mit den roten Locken ein, der immer noch um Alice’ herumwuselte.
»Nebensächlichkeiten! Hey, ich bin Taylor Lyse«, stellte sich der blonde Vampir vor. »Ich bin Rays Cousin und der unwiderstehliche Gitarrist der Band.«
Sehr zögerlich schüttelte ich Taylors kalte Hand.
»Wo sind Damian und James?«, fragte Ray ihn.
Taylor zuckte mit den Achseln. »Sie wurden unten von den Wachen aufgehalten. Markus will sie überprüfen lassen.«
»Seine Paranoia kennt echt keine Grenzen und wird immer schlimmer«, knurrte Ray und warf einen besorgten Blick in Richtung Tür.
»Wer ist Markus?«, fragte ich.
»Mein Bruder«, antworte Ray. »Du solltest froh sein, dass du keine Erinnerung mehr an ihn hast. Sehr altmodisch, riesen Stock im Arsch, tut nichts, ohne vorher mindestens drei Formulare auszufüllen.«
Das klang wirklich nicht so prickelnd.
»Es ist trotzdem seltsam zu wissen, dass ihr mich angeblich alle kennt und ich mich an nichts erinnern kann«, murmelte ich, während ich Taylor musterte und in seinen goldenen Augen gefangen zu sein schien. Warum sahen die Kerle um mich herum nur alle so unfassbar gut aus? Und warum mussten es bis auf Sam alles Vampire sein?
»Ja, und manche von uns kennen dich besser als andere«, sagte er. Sein Grinsen wurde noch breiter und der Kontrast von meiner warmen in seiner kalten Hand, die er immer noch hielt, wurde mir plötzlich überdeutlich bewusst. Was sollte das denn bitte heißen?
»Taylor!«, ermahnte Ray ihn, woraufhin der Angesprochene meine Hand endlich losließ und Sam mich von dem blonden Vampir wegzog. »Weißt du was, so Leute wie ihn muss man auch nicht zwangsläufig kennen. Taylor ist so selbstverliebt, er hat ’n ganzes Solo-Album rausgebracht, nur damit er sich selbst beim Sex zuhören kann, statt wie normale Menschen eine Kuschelrock CD einzulegen.«
Ich überlegte, ob ich Ray darüber informieren sollte, dass unsere Meinungen über normal anscheinend etwas auseinander gingen, entschied mich jedoch die Klappe zu halten. Diese wenigen Reaktionen und Worte reichten, um mir ein Bild von Taylor zu machen. Er kam mir vor wie ein ziemlicher Playboy oder wie jemand, der gerne mal über die Stränge schlug. Wie sich das jedoch bei einem Vampir äußerte, war mir nicht ganz klar. Ich würde in seiner Gegenwart definitiv vorsichtiger sein.
»Danke! Vielen Dank für dein Eingreifen, Ray, bevor sich Holly vielleicht noch ein falsches Bild von mir macht. Gut, dass du das mit so pikanten Details verhindert hast«, kommentierte Taylor sarkastisch und klang dabei irgendwie vielsagend, ohne die Spur von Scham.
»Ich wäre dann soweit. Alle Daten sind eingelesen und Alice’ Blutzufuhr ist neu eingestellt«, sagte der rothaarige Vampir, der sich mit seinem Klemmbrett immer noch in der Ecke rumdrückte. Er hatte sich mir noch nicht vorgestellt, wirkte aber genau wie ich ziemlich eingeschüchtert.
»Ah … ja … gut. Wärst du bereit, dich kurz untersuchen zu lassen?«, fragte Ray mit einem unschlüssigen Seitenblick auf den unsicheren Vampir.
Untersuchen lassen? Ich runzelte die Stirn. Wollte ich wirklich von einem Blutsauger untersucht werden?
Er deutete mein Zögern offensichtlich als Ablehnung, hob die Hand und spreizte Zeigefinger und Daumen nur einige Millimeter auseinander. »Eine winzig kleine Untersuchung. Keine Sorge.«
Das beruhigte mich keineswegs, im Gegenteil. »Ob es neben deinem Gedächtnis noch irgendwie andere Schäden gibt«, setzte Ray nach. Als er meinem Blick begegnete, schenkte er mir einen Dackelblick, von dem jeder Dackel noch etwas lernen konnte. Seine eisblauen Augen wirkten so groß und verloren, dass ich dem Drang widerstehen musste, ihm über den Kopf zu streicheln. Für einen Moment verstand ich, warum ich mich in diesen Kerl verliebt hatte, aber schüttelte dann den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Vermutlich hatte mich das ganze Gerede über Liebe, Hochzeiten und Co. vorhin mürbe gemacht.
»In Ordnung«, erwiderte ich. Auch wenn es mir seltsam vorkam, wollte ich dennoch keine bleibenden Fluchschäden riskieren.
»Solaire, würdest du dann bitte?«, fragte Ray an den schüchternen Rothaarigen gewandt.
Sam nickte mir zu und ging aus dem Weg, um nach Alice zu sehen. Wie aufs Stichwort kam der unsichere Vampir zu mir herübergehuscht.
»Ich bin Solaire Sorin«, stellte er sich endlich kurz vor, jedoch ohne mir die Hand zu geben, denn die steckte bereits in einem transparenten Vinyl-Handschuh. Jetzt aus der Nähe konnte ich ihn genau mustern. Eigentlich wirkte er fast niedlich mit seinen Sommersprossen und grünen Augen, aber das Gesicht, was er machte, war so finster, dass ich schlucken musste. Allerdings hatte er trotz Gruselmine eine weit weniger bedrohliche Aura als die anderen Vampire.
»Dann beginnen wir mal mit der Untersuchung?«, fragte Solaire und suchte fahrig nach etwas in seinen Kitteltaschen. Jetzt, wo er so direkt vor mir stand, bekam ich dann doch kalte Füße. Sein Blick wirkte zunehmend ernster und ich bekam Schweißausbrüche.
»Moment mal. Kann ich nicht zu einem richtigen Arzt gehen? Ich würde mich lieber nicht von einem Vampir untersuchen lassen, wenn das möglich ist?«
»Ja, gar kein Problem, ich bin mir sicher, dein Hausarzt ist mit Flüchen und Hexenwerk bestens vertraut. Oder hat jemand zufällig die Nummer von Dr. Frankenstein?«, fragte Taylor sarkastisch und schnaubte belustigt.
»Auch wenn ich es ungern zugebe, Taylor hat recht, du kannst Dr. Acula hier vertrauen«, pflichtete Sam ihm bei, doch Solaire sah mich an, als hätte ich ihn schwer beleidigt.
»Ich bin Arzt. Ich habe mehrere Abschlüsse in Allgemeinmedizin, Dermatologie, Gefäßchirurgie, Augenheilkunde, Neurologie, Psychologie, Gynäkologie und Pathologie.« Offenbar war er zutiefst gekränkt, dass ich seine Qualifikationen angezweifelte.
»Das meine ich nicht«, beeilte ich mich meine Aussage richtig zu stellen und meine Überraschung darüber zu verbergen, dass er einen Abschluss in Frauenheilkunde hatte, aber irgendwer musste anscheinend die kleinen … blutsaugenden … Vampirbabys auf die Welt bringen. »Es ist nur … ich mag Vampire nicht besonders.« Die letzten Worte murmelte ich mehr zu mir selbst, aber dennoch laut genug, dass man sie wahrnahm.
»Das wissen wir, aber ich fürchte, da musst du jetzt durch, Prinzessin«, sagte Ray mit weicher Stimme. So, wie er das Wort Prinzessin aussprach, war es schwer, nicht zu allem Ja und Amen zu sagen. »Solaire wird dir nichts tun. Er ist derjenige, der Alice gerettet hat … also vorausgesetzt, sie wacht wieder auf. Ansonsten hat er es zumindest versucht.«
»Sie wird wieder aufwachen«, bestätigte Solaire mit Überzeugung.
Ich sah zwischen ihm und Alice hin und her. Anscheinend hatte ich wirklich viel verpasst und wollte diese Wissenslücken schnellstmöglich schließen.
Mit Mühe unterdrückte ich das Zittern, welches mich beim Blick in Rays eisblaue Augen überkam, und sah ihn herrisch an, woraufhin er jedoch nur eine Augenbraue hob.
»Ich verlange zuerst eine Erklärung, was mit Alice geschehen ist!«
»Tut mir leid, dass ich so weit gehen muss, so etwas zu sagen, aber: keine Untersuchung, keine Erklärung.« Er sah von mir weg, als ob er es nicht ertrug gleichzeitig so etwas zu sagen und mir dabei in die Augen zu schauen.
Mein hilfesuchender Blick zu Sam wurde nicht erwidert, weil er gerade damit beschäftigt war, Alice liebevoll eine verirrte Strähne aus dem Gesicht zu streichen.
Hatten die beiden etwas miteinander? War das auch etwas, woran ich mich nicht erinnerte? Mein Herz bekam einen Stich und ich biss mir auf die Lippe. Mein Gehirn wusste nicht so recht mit allem, was darauf einströmte, umzugehen und befeuerte sich nun selbst weiter mit Unsinn. Wenn das so weiterging, würde ich wohl wahnsinnig werden.
Ich brauchte dringend Antworten.
»Was ist mit ein bisschen Privatsphäre?«, verlangte ich und verbarg meine zitternden Hände hinter dem Rücken.
»Es wird keine sonderlich intime Untersuchung«, erwiderte Solaire und seine Wangen färbten sich rosa.
»Na gut! Ich werde mich auch ganz sicher nicht dafür ausziehen!«, fauchte ich. Taylor warf mir einen belustigten Blick zu, bei dem er eine Augenbraue fragend anhob und ich schüttelte noch etwas vehementer den Kopf. »Auf gar keinen Fall!«
»Ärmel zurückschieben reicht«, versuchte Solaire sich beruhigend einzumischen. »Setz dich doch bitte«, bat er und fing kurz danach damit an, mir mit einer winzigen Taschenlampe in die Augen und anschließend in Mund und Ohren zu leuchten. Die Blicke aller Vampire und Sam ruhten auf mir und ich rutschte unangenehm auf dem Stuhl hin und her.
»Sieht soweit alles in Ordnung aus.« Als Solaire mit dieser Feststellung fertig war, testete er außerdem noch meine Reflexe, Puls und Blutdruck. Ich zuckte jedes Mal zusammen, wenn seine Finger meine Haut berührten. Es war, als wären sie aus purem Eis und die Tatsache, dass sie prinzipiell auch noch tot waren, machte es quasi unmöglich meinen Ekel zu verbergen.
Doch Solaire schien das nicht zu stören. Er ging weiterhin konzentriert seiner Arbeit nach, ehe er unschlüssig den Kopf schräg legte. »Sie scheint keine neurologischen Auffälligkeiten zu haben, abgesehen von der Amnesie. Allerdings würde ich ihr gerne Blut abnehmen, nur um wirklich sicher zu …«
Bevor er den Satz beenden konnte, hatte ich ihm meinen Arm aus der Hand gerissen, war vom Hocker aufgesprungen und beinahe über meine eigenen Füße gestolpert, so sehr beeilte ich mich von ihm wegzukommen.
»Ihr bekommt mein Blut nicht!«, wiederholte ich mit spitzer, fast kreischender Tonlage die Worte, die ich zuvor noch im Schlafzimmer des anderen Schlosses von mir gegeben hatte. Ich hatte es doch gewusst, diesen Vampiren konnte man nicht trauen. Sie hatten erst dafür gesorgt, dass ich mich in Sicherheit wog, nur um jetzt zuzuschlagen! Kalter Schweiß schien sich überall auf meinem Körper zu bilden und alles in mir schrie nach Flucht.
»Alles gut, du brauchst keine Angst haben«, versuchte Solaire mich zu beschwichtigen und kam zu allem Unheil mit einer Spritze samt Nadel auf mich zu. Mir wurde allein beim Anblick schlecht. »Das wird ablaufen wie bei jedem anderen Arzt auch, mit einer Kanüle und einer Nadel, nicht mit den Zähnen«, fügte er hinzu, da er anscheinend glaubte, dass meine Angst alleine von seinem Vampirsein rührte und nicht vor meiner Panik vor Spritzen, Nadeln und Injektionen aller Art. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, während ich wie das Kaninchen vor der Schlange die Nadel fixierte, die wie ein Giftzahn bedrohlich und unheilvoll nur darauf zu warten schien, sich in meinen Arm zu bohren.
»Ist das wirklich erforderlich?«, fragte zu meiner Überraschung Ray und kam mir damit unerwartet zur Hilfe. Dabei hätte ich gedacht, dass er ebenfalls scharf drauf war, mein Blut abzuzapfen.
»Na ja … Du wolltest doch die gründliche Untersuchung?«, murmelte Solaire irritiert.
»Ja, aber nicht, wenn Holly dadurch einen halben Herzinfarkt bekommt! Wir belassen es für heute dabei, Bruder.«
Mein Magen, der sich nur Sekunden zuvor unkontrolliert zusammengezogen hatte, war urplötzlich still. War das allein Rays Anwesenheit geschuldet? Doch auch wenn mein Magen stillstand, meine Gedanken rasten immer noch unkontrolliert in meinem Kopf umher.
Moment Mal, Bruder? War das nur eine Floskel, Vampirslang, oder ernst gemeint? »Ihr seid Geschwister?« Ich konnte die Überraschung nicht aus meiner Stimme verbannen, als mein Hirn quietschend zum Stillstand kam. Beide Vampire wandten sich mir zu. Sie sahen sich wirklich kein Stück ähnlich.
»Vermutlich Halbgeschwister«, korrigierte Solaire, »mütterlicherseits. Tja, ist nicht so, dass man mit Vampiren einfach so einen Vaterschaftstest machen könnte. Insgesamt hatte unsere Mutter acht Kinder, aber sicherlich sind wir nicht alle die Früchte der Lenden unseres Vaters«, erklärte Solaire. »Taylor ist vermutlich wirklich Rays Cousin, da ihre Väter verwandt sind, doch ob er und ich väterliche Gene teilen, ist ziemlich fragwürdig.«
»Genau wie Katharina vermutlich auch nur meine Halbschwester ist und nur auf dem Papier eure Cousine, sonst wären manche vergangenen Beziehungen zwischen eurer und unserer Sippe auch ziemlich fragwürdig gewesen«, fügte Taylor hinzu. »Apropos, Solaire, wenn sie nicht mit James diesem Schwachkopf anbändelt, dann hätte sie vielleicht immer noch Interesse –«
Solaire unterbrach ihn, bevor er auch nur ausreden konnte, und ich sah einen verdächtigen rosa Schimmer auf seinen Wangen. »Holly, sagt dir irgendeiner dieser Namen etwas? Kannst du dich an irgendwelche Geschwister oder andere Vampire erinnern?«
Ich durchforstete mein Gehirn: gähnende Leere und Dankbarkeit für jedes neue Stückchen Information. Fast fühlte es sich so an, als ob ich wusste, dass etwas fehlte.
»Nein«, sagte ich, »aber es fühlt sich an, als wäre da eine Art … Loch … ein fehlendes Puzzleteil an der Stelle, wo eigentlich eins sein sollte.«
»Also spürst du, dass du diese Erinnerungen mal hattest?«, hakte Solaire nach, doch jetzt war es an mir mit den Schultern zu zucken, denn ich war mir unsicher.
»Ich bin unschlüssig, ob das ein Fortschritt ist«, kommentierte Ray diese neue Erkenntnis schwach.
»Sieht so aus, als gäbe es aber auch Rückschritte. Ich kann keinen Blutlink mehr zwischen dir und Holly feststellen, Ray. Dabei hast du gestern noch einen mit ihr gehabt, oder?«, murmelte Solaire und Ray spitzte die Ohren. »Bitte?«, fragte er ungläubig.
»Ja, hast du das noch nicht bemerkt?«, fragte Solaire an ihn gewandt und sah ihn verdutzt an. »Oder kannst du ihre Gedanken noch hören?«
Äh, halt?! Gedanken hören?
Ray schüttelte den Kopf, doch dann meldete sich Taylor überraschend zu Wort.
»Ich kann sie noch spüren.« Alle drehten sich zu ihm herum.
»Du kannst meine Gedanken hören?!«, fragte ich entsetzt und er schüttelte den Kopf.
»Nein, aber ich kann deine Gefühle und deine Gedanken ein bisschen spüren und mehr als nur ein Stückweit manipulieren, seit du mein Blut gestern in deine Wunde bekommen hast«, korrigierte er.
»Welche Wunde?«, fragte ich keuchend und sah an mir herab, doch da sah alles in Ordnung aus.
Taylor deutete auf meine Hand. »Du hast Alice gestern Blut gegeben, nachdem sie meins noch auf den Lippen hatte. Dabei hat sich ein einseitiger Blutlink zwischen uns gebildet und jetzt haben wir eine gedankliche Verbindung – aber keine Sorge, nur in eine Richtung. Wenn ich dein Blut getrunken hätte, dann sähe die Sache anders aus und ich könnte tatsächlich auch noch in deinen schönen Kopf gucken.«
»Na, wenn das so ist, dann bin ich ja beruhigt! Eine gedankliche Einbahnstraße mit einem Vampir wollte ich schon immer mal haben!«, rief ich aus und meine Stimme brach, so hysterisch war ich.
»Na ja, du kannst froh sein, dass es keine Autobahn ist«, warf Taylor wenig hilfreich ein.
Mein Atem beschleunigte sich schon wieder, weshalb ich nur noch einzelne Wörter hervorbrachte. Dabei konnte ich nicht mal richtig erklären warum, immerhin hätten die vorangegangen Erkenntnisse mich eigentlich schon zehn Mal aus den Socken hauen müssen. Aber vielleicht war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Es fühlte sich an, als versuchten sich zwei Welten übereinander zu schieben, die einfach nicht zusammenpassen wollten, wie zwei Magneten, die man mit Gewalt versuchte aufeinander zu pressen, die sich aber von Natur aus abstießen.
»Wie?«, japste ich. »Warum?«
Sam, der immer noch bei Alice gestanden hatte, kam sofort zu mir rübergerauscht und tätschelte mir beruhigend den Rücken. »Atmen, Holly, atmen!«
Doch es half nichts. Gerade als Ray ebenfalls versuchte etwas näherzukommen, wurde es nur noch schlimmer und vor meinem Sichtfeld begannen kleine Pünktchen zu tanzen.
»Taylor! Das ist vielleicht ein guter Zeitpunkt für eine Demonstration!«, rief Sam, dessen Hände meinen Körper gerade noch so aufrecht halten konnten, während ich hyperventilierte und mich an ihn klammerte.
»Nichts leichter als das. Ene Mene Hexenschreck, deine Gefühle sind jetzt weg!« Taylor wedelte dramatisch mit den Händen, als ob er einen komplizierten Zaubertrick vollführte und schlagartig … war da nichts mehr. Meine Angst war komplett verflogen.
»Gut so? Cool, was?«, fragte Taylor, der sich keinen Zentimeter bewegt hatte, aber genugtuend grinste und die Arme nun vor der Brust verschränkt hatte. »Was denn, hat dir mein Impromptu Reim nicht gefallen? Wäre Abra Kadabra Simsala Bim, ich stecke jetzt ganz tief in dir drin, besser gewesen?«
Doch es lag nicht am Reim, dass ich keinen Mucks rausbrachte. Im Gegenteil: Normalerweise hätte der zweite, deutlich zweideutigere Zauberspruch meine Panik nur weiter beflügelt, aber es war, als wäre dieser Teil meiner Emotionen komplett ausgelöscht gewesen.
»Sieht so aus«, meinte Sam, der immer noch in gleichmäßigen Bewegungen über meinen Rücken streichelte.
»Warum hast du das nicht schon gemacht, als sie so eine Angst vor der Spritze hatte? Dann hätten wir die Untersuchung vielleicht komplett abschließen können«, fragte Solaire mit mildem Interesse.
»Ich wurde ja nicht drum gebeten«, erklärte Taylor Schultern zuckend.
»Ja und in Zukunft wirst du vermutlich auch nicht mehr so oft drum gebeten werden. Nutz diese Verbindung ja nicht aus«, murrte Ray und sein Blick verfinsterte sich.
»Oh, wo denkst du hin! Ich wollte gerade vorschlagen, dass wir das Ganze positiv nutzen. Ihr fasst das Drama der letzten Tage, Monate oder Jahre zusammen und ich untermale alles mit Bildern in ihrem Kopf. Was sollte ich sonst mit so einer Blutverbindung tun wollen?«, fragte Taylor mit Unschuldsmiene, seufzte und sah so aus, als wäre er bestürzt darüber, wieso irgendjemand der Anwesenden ihm auch nur im Entferntesten etwas Böses zutrauen konnte. Aber nach einem winzigen prüfenden Blick in sein Gesicht wurde mir klar, dass er sich nur mit Mühe ein schelmisches Grinsen verkneifen konnte und wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre, hätte ich vielleicht jetzt erneut einen hysterischen Anfall bekommen. Warum hatte ich irgendeine mysteriöse Blutverbindung mit so einem Kerl?
»Die Idee ist gar nicht mal schlecht«, sagte zu meiner Überraschung Sam, der meine entgleisten Gesichtszüge nicht bemerkt hatte, und klatschte in die Hände. »Dann wird es jetzt Zeit für einen Crashkurs.«
Was daraufhin folgte, war eine Erklärung, die unglaubwürdiger und länger nicht hätte sein können. Mehrmals unterbrach ich sie, nur um mich rückzuversichern, dass ich etwas wirklich richtig verstanden hatte. Vor allem da die Erzählung ziemlich wirr und alles andere als chronologisch verlief. Allerdings wunderte mich das auch nicht, bei der Fülle an Ereignissen, die offenbar in zwei mickrige Jahre meines Lebens gepasst hatten.
Untermalt wurde alles mit mehr oder weniger hilfreichen Bildern, die sich einfach so in meinem Kopf zu manifestieren schienen. Da sie aus Taylors Sicht stammten, war die Perspektive oft etwas verzerrt und es war seltsam sich selbst zu sehen, wie man mit jemandem, der einem eigentlich fremd schien, Händchen hielt, lachte oder sich sogar küsste. Es war eben Taylors Sicht der Dinge, was auch darin resultierte, dass die Perspektive oft auch auf unwichtigen Details wie diversen weiblichen Körperteilen und Flirtereien verweilte.
Während ich gebannt an den Worten von Ray und Sam hing, sah ich immer wieder verstohlen zu Taylor, der die Diashow lieferte. Er schien die meiste Zeit einfach nur gelangweilt in der Gegend zu schauen. Immer wenn er besonders abwesend wirkte, als würde er eher seine Finger oder Fußspitzen betrachten, wechselten die Bilder von der Geschichte zu etwas anderem … Irgendwelche verschwommenen Aufnahmen, die Bettgespielinnen von Taylor in unterschiedlichen Bekleidungszuständen zeigten.
Schließlich endete Ray mit den Worten »Tja und nun sind wir hier. Das war zumindest das Gröbste«, was mich aus meiner Grübelei hochschrecken ließ. Das Ende der Erzählung hatte ich nur noch stückweise mitbekommen, doch das reichte schon.