Blütenstaub und Wolkenträume - Gudrun Leyendecker - E-Book

Blütenstaub und Wolkenträume E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Die Journalistin Becky Smith erhält von ihrer Chefin den Auftrag, Menschen ausfindig zu machen, die gern Liebesgedichte schreiben und soll sich gleichzeitig über die Lebensgeschichten dieser Poeten informieren. Ihre Kollegin Claire ist ihre Konkurrentin, denn wer die besten Gedichte und interessantesten Geschichten ausfindig macht, erhält den Posten der stellvertretenden Direktorin. Becky befürchtet, dass Claire mit unfairen Mitteln kämpft und findet bei ihren Recherchen eine heiße Spur.

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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.

Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher über 65 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehnte langen Tätigkeit als Lebensberaterin.

INHALTSANGABE:

Die Journalistin Becky Smith erhält von ihrer Chefin den Auftrag, Menschen ausfindig zu machen, die gern Liebesgedichte schreiben und soll sich gleichzeitig über die Lebensgeschichten dieser Poeten informieren. Ihre Kollegin Claire ist ihre Konkurrentin, denn wer die besten Gedichte und interessantesten Geschichten ausfindig macht, erhält den Posten der stellvertretenden Direktorin. Becky befürchtet, dass Claire mit unfairen Mitteln kämpft und findet bei ihren Recherchen eine heiße Spur …

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

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1. Kapitel

Ein roter Lichtstrahl fiel durch das bunte Fenster der Eisdiele und malte einen farbigen Fleck auf die helle Tischplatte, deren Maserung an Marmor erinnerte.

Elena strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und sah ihre Freundin ungläubig an: „Bist du dir wirklich sicher, dass deine Chefin ganz sauber tickt? Warum sollst du gerade jetzt im Herbst, wenn die nebeligen Tage kommen, in die Berge fahren, um Touristen dort anzusprechen und über ihre Liebesgeschichten ausfragen? Das ist doch absoluter Blödsinn. Du bist eine seriöse Journalistin.“

Becky schaufelte aus ihrem Eisbrecher eine große Erdbeere zu Tage. „Mit ein bisschen Glück hat man auch den nötigen Erfolg. Frau Neumeyer-Mertens hat sich eine neue Kolumne ausgedacht, extra für den Winter, für die dunkle Tage. Mit ganz viel Liebe und Romantik. Aber wir sollen eben keine Fantasiegeschichten zu Papier bringen, sondern echte Storys, die aus dem Leben gegriffen sind.“

„Dafür könnte man auch hier Informationen sammeln“, entgegnete Elena.

„Um uns total und radikal aus dem Alltag herauszuholen, hat sie uns diese Reise spendiert. Für mich ist das kein Problem. Ich mag die Berge zu jeder Jahreszeit, gerade im Norden Italiens ist es dort traumhaft schön. Und wir können bei ihrer Schwester umsonst wohnen, die dort übrigens Fremdenzimmer vermietet. Das hat meine Chefin doch gut hinbekommen, finde ich.“

Elena nahm einen Schluck von ihrem Zitronen-Milchshake. „Aber warum steckt sie euch zwei denn zusammen? Ich dachte, deine Kollegin Claire sei immer so zickig und würde ständig versuchen, dich auszubooten.“

Becky zerdrückte die Erdbeere genießerisch auf der Zunge. „Wir arbeiten ja dort unten im Süden auch nicht zusammen. Wir werden Konkurrentinnen sein, denn jeder von uns beiden hätte gern den Posten als stellvertretende Direktorin, den sie uns in Aussicht gestellt hat.“

Die Freundin schüttelte den blonden Lockenkopf. „Sie ist verrückt. Sie kennt euch beide doch schon jahrelang und weiß, wie ihr arbeitet. Schließlich hast du auch schon ein paar Preise gewonnen für deine Arbeiten. Stattdessen zettelt sie so einen Konkurrenzkampf an, wahrscheinlich um euch zu schneller, intensiver Arbeit zu drängen.“

Becky lächelte die Freundin nachsichtig an. „Ach, nein. So schlimm ist sie nicht. Sie wollte doch nur für uns die Arbeit mit einem kleinen Urlaub verbinden. Die bescheidene Pension ist bei Bruneck, und die Neumeyer-Mertens hat für Claire das Tal ausgesucht von Sand in Taufers bis Luttach und für mich das Tal um Mühlwald herum. In beiden Tälern sind im Herbst etwa gleich viele Touristen. Wir arbeiten also unter ähnlichen Bedingungen.“

Elena hob die Augenbrauen. „Und du kannst die Gedichte und Liebesgeschichten nicht einfach selbst schreiben? Du hast doch genug Fantasie, um irgendetwas zu erfinden.“

„Auf keinen Fall! Ich möchte schon, dass es fair zugeht. Und außerdem, so viel Fantasie habe ich auch nicht. Gerade jetzt nicht.“

„Gerade jetzt nicht?“ griff Elena ihre Worte auf. „Meinst du, weil du gerade nicht verliebt ist?“

Beckys Gesicht wurde abweisend. „Erzähl mir jetzt bloß nichts von Verliebtheit. Von solchen Gefühlsausbrüchen habe ich erst einmal die Nase voll. Ich werde mich auf die Arbeit konzentrieren und Karriere machen.“

Elenas Blick wurde skeptisch. „In dieser Verfassung wirst du aber kaum jemanden auftauen können, damit er dir etwas über seine Liebeserlebnisse erzählt. Und wenn du daraufhin einen Mann ansprichst, wird er denken, dass das eine ganz plumpe Anmache ist.“

Betty grinste. „Keine Sorge! Inzwischen kenne ich mich mit Menschen etwas aus. Natürlich falle ich nicht mit der Tür ins Haus, sondern werde mich erst einmal vorsichtig an das Thema herantasten. Im Urlaub sind die Leute doch sowieso alle offener und gesprächiger. Ich sehe da keine Probleme für mich. Willst du nicht mitkommen?“

„Ganz bestimmt nicht. Das würde auch Jakob nicht gefallen, und im Moment möchte ich nichts tun, was ihn traurig macht. Schließlich hat er gerade seine gute Arbeitsstelle in Hannover aufgegeben und ist mit Sack und Pack hierhergezogen. Und das, obwohl seine Arbeit hier weit schlechter bezahlt wird und auch einige Mankos aufzuweisen hat. Und alles hat er nur auf sich genommen, damit unsere Fernbeziehung endlich ein Ende hat.“

Becky nickte verständnisvoll. „Ja, das kannst du ihm hoch anrechnen. So etwas macht bestimmt nicht jeder für seine Freundin. Ich glaube, er meint es sehr ernst mit dir.“

„Ich glaube, ich spüre es“, teilte Elena der Freundin mit. „Schade, dass du nicht direkt meine Liebesgeschichte aufschreiben kannst. Ich könnte dir da ganz viele Details verraten, und irgendein Gedicht fiele mir bestimmt auch noch dazu ein.“

Die Journalistin lächelte. „Das glaube ich dir gern. Vielleicht landen wir ja mit der neuen Kolumne einen Hit, und dann brauchen wir sicherlich einen Nachschub an Geschichten und Gedichten. Dann werde ich natürlich gern auf dein Angebot zurückkommen.“

„Wie viele Storys musst du denn auftreiben?“ erkundigte sich die Freundin.

Becky legte den Eislöffel beiseite und spielte mit einer Strähne ihres langen, schwarzen Haares. „Das Minimum liegt bei drei Geschichten und drei Gedichten. Ich denke, das muss zu schaffen sein.“

„Und wie viel Zeit habt ihr dafür?“

„Eine knappe Woche lang. Da bleibt sogar noch ein bisschen Zeit, um sich die Gegend genauer anzusehen. Es gibt da auch ein paar historische Bauwerke und Sehenswürdigkeiten, von den herrlichen Bergmassiven ganz zu schweigen.“

Elena nickte anerkennend. „Das reicht für einen Kurzurlaub. Und wann geht es los?“

Beckys Augen leuchteten. „Gleich morgen früh. Der Koffer ist schon gepackt und alles ist vorbereitet. Ich habe sogar ein paar Werbegeschenke, kleine Notizblöcke eingepackt, um mich bei den hilfsbereiten Touristen zu bedanken. Du siehst, an alles ist gedacht.“

Die Freundin hob ihr Glas. „Ja, dann Prost! Dann kann es ja losgehen.“

2. Kapitel

Ein starker Wind schob ein paar kleine, weiße Wolken über den Himmel, aber bevor sie sich entfernen konnten, lösten sie sich wie durch Zauberhand auf.

Die beiden Journalistinnen frühstückten gemeinsam auf der Terrasse des kleinen, weißen Einfamilienhauses.

Becky griff nach dem frisch gebackenen Bauernbrot. „Und? Wie war dein Flug gestern?“

Claire hob die Nase ein Stück höher. „Sehr bequem, und der nette Mietwagenfahrer, der mich bis hierhin chauffierte, hat mir mit seinen Erzählungen die Reisezeit verkürzt.“

„Hat er dir auch eine Liebesgeschichte erzählt?“

Die Kollegin schüttelte den Kopf. „Seine Eltern hatten mal einen Hof, aber selbst hier scheint es sich nicht mehr überall zu lohnen. Er hat schon ein halbes Dutzend Berufe durchprobiert, aber er ist immer noch auf der Suche. Wir haben uns schon für meine Rückfahrt verabredet, denn sein Fahrstil war recht ordentlich. Und wie war deine Zugfahrt? Hast du beim Umsteigen alle Anschlüsse erreicht?“

Becky probierte den frischen Almkäse. „Ja, ausnahmsweise hatten die Züge nur wenig Verspätung und keiner ist ausgefallen. Und natürlich habe ich auch ein paar nette Leute unterwegs kennengelernt. Mit ein paar Kindern habe ich im ICE Schreibspiele gemacht, und von Salzburg bis Franzensfeste hat mich eine Engländerin unterhalten, die fast schon die ganze Welt gesehen hat. Und es war natürlich wieder einmal gigantisch, vom Flachland in die Berge hineinzufahren.“

Frau Maierhofer brachte frischen Kaffee. „Geht es heute schon in die Berge?“ erkundigte sie sich bei den beiden jungen Frauen.

Becky nickte eifrig. „Ich kann es kaum erwarten. Die Berge üben auf mich eine ganz besondere Faszination aus.“

„Aber nur, wenn man sie nicht immer vor der Nase hat“, wusste die Gastgeberin. „Für uns sind sie zum Alltag geworden. Das ist eigentlich schade, aber nicht zu ändern. Was man täglich sieht, verliert den Reiz des Außergewöhnlichen.“

„Ich fahre sowieso lieber ans Meer“, teilte Claire den beiden anderen mit. „Wenn es nach mir gegangen wäre, sähe man mich jetzt auf den kanarischen Inseln irgendwo in einem Strandhotel. Da gibt es auch redselige Touristen. Ich weiß nicht, was sich Ihre Schwester von dieser Gegend hier versprochen hat.“

Frau Maierhofer lächelte. „Meine Schwester hat oft so ihre eigenen Gedanken dabei. Sie unterscheidet die Meer- und die Bergtouristen. Sie behauptet, das seien unterschiedliche Menschentypen. Vermutlich hatte sie bestimmte Erwartungen, als sie euch in die Berge schickte.“

„Und wie schätzt sie die Menschen ein, die sich sowohl in den Bergen als auch am Meer wohlfühlen?“ fragte Claire grinsend.

„Vermutlich sieht sie darin Mischtypen, aber über die will sie offenbar momentan nichts wissen. Ich glaube, ich darf euch ruhig verraten, dass sie sich schon darüber Gedanken gemacht hat, mit diesen gesammelten Geschichten ein Buch zu veröffentlichen. Euer Fleiß wird also belohnt, denn eure gesammelten Werke werden verewigt.“

„Das hört sicher alles ziemlich interessant an“, fand Claire. „Aber ich habe jetzt keine Zeit mehr für eine längere Unterhaltung. Mein Rucksack ist schon gepackt, und ich fahre jetzt erst einmal hinauf nach Luttach, das die Italiener hier Luttago nennen. Dort finde ich bestimmt ein paar gut gelaunte Touristen, die mir etwas erzählen.“ Sie erhob sich vom Frühstückstisch und eilte davon.

„Und was haben Sie jetzt vor, Frau Smith?“ wandte sich Frau Maierhofer an Becky.

„Ich wollte mich einmal erkundigen, ob es in dem Tal besondere Unterkünfte für Künstler gibt. Ich hatte an irgendwelche Hütten gedacht, in denen sich vielleicht Maler oder Dichter, Bildhauer oder Musiker treffen. Das könnten doch Menschen sein, die sich gerne darstellen oder ausdrücken wollen. Und romantisch sind vermutlich auch die meisten davon.“

„Darum habe ich mich nie gekümmert“, bedauerte die Wirtin. „Aber ich kenne eine Frau Vicenti, sie ist mit einem Italiener verheiratet und weiß, wer im ganzen Tal aus- und eingeht. Sie wohnt in Mühlen, das ist der Ort ganz nah am Mühlwalder Tal. Sie könnten Glück haben, denn sie ist gestern von einem größeren Urlaub zurückgekommen, da wird sie heute bestimmt die Wäsche waschen. Das macht sie immer so. Und wenn Sie wollen, kann ich Sie auch schon bei ihr ankündigen.“

Becky freute sich. „Das hört sich gut an. Die großen Luxushotels möchte ich nämlich meiden. Oder gibt es hier in der Gegend nicht die gemütlichen kleinen Unterkünfte?“

„Hier finden Sie alles, was Sie wollen. Im Ort Sand und in Luttach gibt es schon einige feudale Häuser, aber wir haben hier auch hübsche kleine Pensionen. Da können Sie sich etwas aussuchen. Claire, Ihre Kollegin, ist so schnell weggelaufen. Ich wollte Sie beide eigentlich noch fragen, ob Sie eine Brotzeit mit hinaufnehmen möchten.“

Die junge Journalistin nickte. „Gern. Dann bin ich unabhängig und kann einfach so durch die Natur wandern.“

„Ich mach Ihnen etwas fertig. Ein bisschen Obst packe ich Ihnen auch ein. Eine Thermoskanne mit Tee kann auch nicht schaden.“ Sie eilte hinaus in die Küche, um die Tagesration fertig zu machen, während Becky sich das Frühstück schmecken ließ.

Eine halbe Stunde später setzte sich die Journalistin mit einem gefüllten Rucksack in den Nahverkehrsbus und ließ sich voller Erwartung nach Mühlen fahren.

3. Kapitel

Anna, wie Frau Vicenti mit Vornamen hieß, lud Becky in die Gartenlaube ein. Sie trug einen hellgrünen Hausanzug, der zu ihrem kupferroten Haar leuchtend kontrastierte. „Sagen wir doch Du zueinander“, bot sie der Journalistin an. „Wir sind doch etwa im gleichen Alter. Wir Zwei lieben wohl das gleiche Gewerbe.“

„Bist du auch Journalistin?“ fragte Becky erstaunt. „Arbeitest du auch für eine Zeitung?“

Anna lachte. „Nein. Aber du arbeitest für eine Zeitung, und ich bin hier die Zeitung im Dorf. Liebesgeschichten könnte ich dir aus dem Ort genügend erzählen, aber sie sind von den Einheimischen oder den Zugezogenen und nicht von den Touristen. Also kann ich dir mit meinem Wissen sicher keine Freude machen.“

„Nein, es müssen schon die Geschichten von Touristen sein, und ich werde mir auch nach Möglichkeit die Namen und Adressen von ihnen notieren müssen, damit meine Chefin nachprüfen kann, ob es sich um wahre Storys oder um Fantasiegebilde handelt.“

„Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?“ fragte Anna. „Ich bin erst gestern Nachmittag von einer langen Reise zurückgekommen, da bin ich noch nicht ganz wieder hier. Entschuldige bitte, dass ich dich nicht gleich gefragt habe!“

„Kein Problem. Ich habe heute Morgen schon genug getrunken. Ja, einmal so ganz rauskommen aus dem Alltag, das muss auch sein, auch wenn man sich hinterher nur schwer wieder hineinfindet. War es ein schöner Urlaub?“

„Es war unsere verspätete Hochzeitsreise nach Taormina auf Sizilien. Als wir geheiratet haben, hatten wir noch einen ziemlich heruntergekommenen Hof und ganz viel Land dazu, so viel, dass wir ihn gar nicht allein bewirtschaften konnten. Wir haben lange überlegt, aber dann doch vor drei Monaten alles verkauft. Mit dem Hof hatten wir nie Zeit für uns. Und jetzt hat mein Mann eine Arbeit gefunden, bei der er pünktlich am frühen Abend wieder zu Hause ist, und wir können es noch gar nicht fassen, dass wir jetzt auch ein bisschen Zeit für uns haben.“

Becky lächelte. „Das wäre schon eine schöne Liebesgeschichte. Aber, wie gesagt, leider darf ich sie momentan nicht verwenden. Wo finde ich denn jetzt im Mühlwalder Tal Unterkünfte, die häufig von Künstlern frequentiert werden?“

„Ach ja, Maria hat mir erzählt, dass du danach suchst. Es gibt tatsächlich ein Stück weiter oben im Tal eine nette Pension, die ist sehr einfach, aber ungeheuer gemütlich. Eine Rentnerin führt diese Pension, und ihr Mann ist schon vor längerer Zeit gestorben. Damit es ihr nicht so einsam ist, hat sie dann ihr Haus umbauen lassen und vermietet an ganz unterschiedliche Leute. Aber da sie einen Bruder hat, der Maler ist, hat sie oft Besuch von seinen Freunden, der natürlich auch ein bisschen dafür sorgen möchte, dass sich seine Schwester die Rente etwas aufbessern kann. Sie heißt Frau Leitner, und ich zeige dir gleich auf deiner Wanderkarte, die da aus deinem Rucksack herausschaut, welchen Weg du nehmen musst. Mit dem Bus kommst du nämlich nicht sehr weit.“

„Ich hatte mir heute sowieso vorgenommen, ein bisschen Zeit für mich abzuzweigen, und das bedeutet, mir die herrliche Gegend hier anzuschauen und die Natur zu genießen. Und wenn mich das gleich zu einer guten Geschichten - Quelle führt, dann soll mir das recht sein.“

„Viele Pensionen haben hier nur im Sommer und dann erst wieder zur Skisaison im Winter viele Gäste. Im Herbst sieht es bei manchen etwas trübe aus, aber Frau Leitner hat oft Wanderer, die das ganze Jahr über die Berge lieben und auch bei schlechtem Wetter keine Angst vor ein paar Tropfen Wasser haben.“

Becky breitete die Wanderkarte aus, und Maria zeigte ihr den Weg zur Pension. „Es sind ungefähr zwei Stunden Fußweg, wenn du dich ein bisschen ranhältst. Packst du das?“

„Wenn es nicht zu steil ist, dann werde ich das wohl schaffen. Zu Hause unternehme ich oft längere Wanderungen. Aber hier kann einem schon einmal die Puste weggehen, wenn man nicht in Übung ist. Morgen wollte ich einmal nach Lappach zum Stausee hoch. Da nehme ich dann doch lieber den Bus.“

Maria lachte. „Das würde ich dir auch raten, der Neves Stausee liegt in 1857 Metern Höhe. Das könnte schon einen tüchtigen Muskelkater geben, wenn du das Steigen nicht gewohnt bist.“

„Ich muss mich tatsächlich erst mal daran gewöhnen, und heute die kleine Wanderung ist dann der Einstieg.“

„Ich würde dich ja begleiten, aber leider habe ich noch jede Menge Wäsche zu waschen, die wir aus dem Urlaub mitgebracht haben. Die kann ich unmöglich liegen lassen, wahrscheinlich kannst du das verstehen.“

„Oh, mach dir deswegen keine Sorgen! Ich bin ein Mensch, der ziemlich viel allein unternimmt. Wenn ich sonst Menschen interviewe oder recherchiere, tu ich das auch immer als Einzelkämpferin. Und durch die Natur gehe ich auch am liebsten allein, dann kann ich sie auf meine Weise genießen, meine Ohren spitzen und meine ganzen Sinne auf die Umgebung richten. Bei anderen habe ich auch das Gefühl, dass sie nicht das gleiche wahrnehmen wie ich, und das empfinde ich als störend.“

Anna lächelte. „Ich kann dich gut verstehen. So geht es mir immer, wenn ich meinen Mann dazu überrede, mit mir einen Film meiner Wahl im Fernsehen anzuschauen. Einen Film, von dem ich weiß, dass er ihn nicht so verstehen kann wie ich. Dann habe ich daran nur die halbe Freude. Deswegen gucke ich meine romantischen Sachen auch immer am liebsten allein.“

„Wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, kann ich dich einmal besuchen, dann können wir uns einen richtig schmalzigen Liebesfilm gemeinsam anschauen und genießen“, versprach Becky. „Und jetzt muss ich los, die Arbeit ruft.“

Anna begleitete die Journalistin bis zum Gartentor und winkte ihr nach der Umarmung zum Abschied eine ganze Weile nach.

4. Kapitel

Der Wanderweg zu der Herberge von Frau Leitner schlängelte sich an Wiesen vorbei, die trotz des Herbstes noch ihr saftiges grünes Kleid trugen, auch die Laub- und Nadelbäume zeigten sich vorwiegend in unterschiedlichen Grüntönen.

Becky atmete auf und ließ die würzige Luft tief in sich hineinfließen. Was für ein Geschenk des Himmels, diese Natur! Ihre Blicke schweiften nach oben und erhaschten von Zeit zu Zeit die Spitzen der Felsmassive, über denen sich ein verheißungsvolles Blau des Himmels ausbreitete.

Nach einer Stunde blieb die junge Frau stehen, rastete auf einer Bank und erfrischte sich mit dem Tee, den ihr Frau Maierhofer in einer Thermoskanne mitgegeben hatte.

Ein Bussard kreiste über die Wiese und schien sein zweites Frühstück zu suchen.

Becky beobachtete interessiert, wie ihn seine Flügel durch die Luft trugen und bewunderte seine eleganten Bewegungen.

Nach einer Viertelstunde setzte die junge Frau der Rucksack wieder auf und stieg weiter empor, langsam aber mit einem gleichmäßigen Schritt.

Es war später Vormittag, als sie den kleinen Hof von Frau Leitner erreichte, die sie schon am Gartenzaun erwartete und freudig begrüßte.

„Anna hat dich schon angekündigt“, teilte ihr die ältere Dame mit und sah die Ankommende vergnügt an. „Du kommst gerade richtig, und hast sogar ein mächtiges Glück.“

Becky sah Frau Leitner verwundert an. „Was ist passiert? Bin ich irgendeinem Unheil, einem Gewitter oder einem Bergrutsch entgangen?“

Frau Leitner lachte. „Du kannst ruhig Du zu mir sagen. Ich bin die Emma. Die Künstler untereinander und ich, wir sind hier alle per Du. Aber Anna hat mir bereits von deiner großen Aufgabe erzählt, die du erfüllen musst. Und zurzeit wohnt hier meine Freundin Kati Zirbes, die dir gern eine Liebesgeschichte erzählen wird. Vielleicht ist sie nicht so, wie man es erwartet. Aber schön ist sie doch.“

„Tatsächlich? Das ist wirklich ein Zufall und ein Glück. Wohnt deine Freundin denn schon länger bei dir?“

„Kati kommt ein paarmal im Jahr zu mir. Sie hat in Deutschland ein kleines Zimmer in einer engen Wohnsiedlung. Die liegt mitten in der Stadt, und es gibt kein Grün rundherum. Da habe ich ihr hier ein paar Quadratmeter Garten überlassen, in dem sie sich Kräuter und Blumen anpflanzt. Die versorgt sie auch mit aller Liebe und mit ganzem Herzen.“

„Und dann hat sie hier wohl den richtigen Ausgleich gefunden“, vermutete Becky.

Frau Leitner nickte. „Ja, sie nennt ihren Garten „Das kleine Paradies“ und hat in diesem Frühling mit der Züchtung neuer Pflanzen begonnen. Sie ist momentan in der Küche und bereitet sich gerade einen Tee zu. Möchtest du erst von dem Apfelkuchen probieren, den ich gebacken habe oder gleich zu ihr gehen.“

„Am liebsten möchte ich gleich zu ihr gehen, ich weiß ja nicht, wie lang ihre Geschichte ist. Denn ich möchte auch ganz gern meinen Rückweg starten, wenn es noch hell ist.“

„Gut, dann kannst du dich schon einmal mit Kati bekannt machen. Die Küche ist rechts, und ich decke euch inzwischen auf der Terrasse den Tisch, damit ihr euch später mit Apfelkuchen stärken könnt.“

Sie lief voraus, schloss die Haustür auf und bat Becky, ihr in die Pension zu folgen.

Die Journalistin entdeckte die Küche, deren Tür halb offenstand und fand eine ältere Dame darin, die gerade ein Teesieb aus der Tasse entfernte. Ihr schneeweißes Haar leuchtete über der gebräunten Gesichtshaut. Als sie die junge Frau entdeckte, stellte sie die Teetasse auf den Tisch und lief ihr freudig entgegen. „Wie schön, dass du da bist. Ich habe dich schon erwartet und freue mich schon, für meine Geschichte eine gute Zuhörerin gefunden zu haben, denn das bist du ja wohl, wenn du für eine Zeitung Geschichten schreiben willst. Ich bin die Kati.“

Becky nickte. „Guten Tag, Kati! Ich höre gern zu. Und ich finde es ganz großartig, dass Sie mir etwas aus Ihrem Leben berichten wollen. Schließlich bin ich eine Fremde für Sie.“

Kati lächelte. „Ich bin mittlerweile 65 Jahre alt, da habe ich schon viel erlebt, aber auch eine gute Menschenkenntnis. Zu dir haben bestimmt viele Menschen Vertrauen“, vermutete sie. „Aber du musst unbedingt auch zu mir Du sagen, sonst funktioniert es nicht mit unserer Vertraulichkeit.“

„Gern“, antwortete die junge Frau. „Emma sagte mir, dass du mir eine besondere Liebesgeschichte erzählen kannst. Ist es deine eigene?“

Die ältere Dame seufzte. „Nicht wirklich. Denn ich bin nicht derjenige Partner, der hier geliebt hat. Und, wenn man es genau nimmt, ist es auch keine Liebesgeschichte mit Happy End. Ich hoffe, dass du damit zufrieden bist, oder?“

„Unsere Chefin hat nicht gesagt, dass diese Geschichten auch ein Happy End haben müssen, sie sollen nur etwas Besonderes sein. Möglicherweise sind damit nicht alle Leser zufrieden. Viele werden wohl ein uneingeschränktes Happy End erwarten. Aber ich kann mir ja die Geschichte erst einmal anhören und dann entscheiden, ob ich sie für die Zeitung geeignet halte.“

Emma betrat die Küche. „Bevor ihr hier mit dem Erzählen anfangt, könnt ihr auch gleich mit mir auf die Terrasse kommen. Ich habe euch dort schon den Kuchen hingestellt, und das Tablett mit dem Geschirr steht da auch schon bereit. Dann könnt ihr euch unterhalten und euch gleichzeitig dabei stärken.“

„Eine gute Idee“, fand die Freundin. „Ich nehme meinen Tee gleich mit. Was möchtest du trinken, Becky?“

„Ich nehme erst mal meinen Tee aus der Thermoskanne, den mir meine Wirtin mitgegeben hat. Dann kann ich mir später vielleicht für den Rückweg den Behälter neu füllen.“

„Gern“, meinte Emma, nahm das Tablett und führte die beiden Frauen auf die Terrasse.

5. Kapitel

Nachdem sich Kati und Becky mit ein paar Schlucken Tee erfrischt hatten, begann die ältere Dame mit ihrer Geschichte.

„Es fing alles an in dem kleinen Dorf, in dem ich wohnte. Das Haus meiner Eltern stand ganz am Rand, und der Wald wuchs zu uns in den Garten hinein, während Tim am anderen Ende des Dorfes wohnte, in einem kleinen hellen Neubau. Ich war gerade acht Jahre alt und brachte einen Brief für meinen Vater zum Briefkasten, als der etwas ältere Junge plötzlich vor mir stand und mich ansprach. Ich hatte ihn in dieser Gegend noch nie gesehen und entdeckte sein Fahrrad, das am Gartenzaun lehnte.

„Ich habe dich schon oft beobachtet“, sagte er zu mir. „Möchtest du meine Freundin sein?“

Ich hatte zwar schon oft von Prinzen geträumt und konnte mir gut vorstellen, dass eines Tages eine Pferdekutsche vor dem Haus meiner Eltern hielt und ein junger Mann mit einer goldenen Krone ausstieg, um mich zu holen. Aber dieser nette Junge mit dem braunen Haar, der etwa einen Kopf größer war als ich, sah nicht so glänzend aus wie ein Prinz meiner Mädchen-Träume. Schon damals schien ich einen extravaganten Geschmack zu haben, denn dieser hübsche Junge mit seiner freundlichen Art fiel bei mir sofort als Traumprinz durch. Seine Stups-Nase war es, die mich dazu verleitete, ihn nicht ernst zu nehmen. „Ich weiß ja gar nicht, wer du bist“, antwortete ich ihm freundlich, aber bestimmt.

Das veranlasste ihn, mir einiges über sich und seine Familie zu berichten. „Ich bin zehn Jahre alt, heiße Tim, habe einen Bruder und wohne mit meinen Eltern am anderen Ende des Dorfes. Am liebsten fahre ich Fahrrad, und deswegen bin ich ja auch schon sehr oft vorbeigekommen und habe dich beobachtet, ohne dass du es gemerkt hast. Möchtest du also meine Freundin sein?“

Ich sah ihn unschlüssig an. Was verstand er wohl darunter? Immerhin, wenn er mich so nett fragte, konnte er doch nichts Schlimmes von mir erwarten. Und so antwortete ich ahnungslos. „Warum nicht? Wir wohnen im gleichen Ort und werden uns bestimmt näher kennenlernen.“

Kaum hatte ich das ausgesprochen, beugte er sich zu mir und küsste mich auf den Mund. Ehrlich gesagt, ich empfand gar nichts dabei und war enttäuscht von meinem ersten Kuss. Auch er schien höhere Erwartungen gehabt zu haben und sagte: „Das musst du noch lernen. Du kannst noch gar nicht küssen. Aber ich werde dich immer wieder besuchen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Das wird nicht gehen. Ich habe einen sehr strengen Vater, der es mir bestimmt nicht erlaubt, in meinem Alter schon einen Freund zu haben. Das weiß ich nämlich, weil meine ältere Schwester gerade aus diesem Grund immer schon viel Ärger mit meinem Daddy hat.“

„Das macht nichts“, antwortete er unbekümmert. „Dann halten wir unsere Freundschaft eben geheim. Bei euch am Haus ist ja hier so viel Wald. Hier gleich bei den Birken werde ich dir immer wieder Botschaften hinterlassen. Ich schreibe dir kleine Briefe und stecke sie in Streichholzschachteln. Du kannst mir dann ebenfalls in den Schachteln einen Antwortbrief verstecken. Wollen wir das so machen?“

Ich nickte, war aber nicht sehr davon überzeugt, dass mir seine Nachrichten besonders viel bedeuten könnten. Er verabschiedete sich mit einem glücklichen Lächeln und winkte mir noch einmal zu, als er davonfuhr.“

Kati legte eine kurze Pause ein und lächelte. „Ja, es war leider eine einseitige Geschichte, denn es stellte sich später heraus, dass er ein sehr liebenswerter Mensch war.“

„Wie ist es weitergegangen?“ fragte Becky, deren Neugier geweckt war.