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Blütenträume im Val des Agno ist ein Fantasy Roman- Der kleine Ort im Tal des Agno ist nur wenigen Menschen bekannt Anna besucht dort eine Freundin und wird in ein Abenteuer verwickelt, in dem sie Geheimnissen auf die Spur kommt. Gab es dort etwa auch Romeo und Julia?
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Seitenzahl: 172
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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.
Siehe Wikipedia.
Sie veröffentlichte bisher circa 80 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.
Blütenträume im Val d‘ Agno
ist ein Roman, der in Italien spielt. Der kleine Ort im Tal des Agno ist nur wenigen Menschen bekannt.
In diesem Tal gibt es nicht nur eine artenreiche Vegetation, sondern in der reichen Fauna auch eine Vielzahl an Vogelarten.
Anna ist Journalistin, die sich für ihren Chef auf die Suche nach verschiedenen Vogelarten begibt. Sie besucht dort eine Freundin und wird in abenteuerliche Geschehnisse verwickelt, in denen es auch um die Suche nach historischen Gegenständen geht. Gab es dort etwa auch Romeo und Julia?
1. Nebelkrähe
2. Teichhuhn
3. Eisvogel
4. Wasser-Nachtigall
5. Bachstelze
6. Graureiher
7. Schafstelze
8. Stockente
9. Wasseramsel
10. Kleiner Reiher
11. Gemeine Möwe
12. Silbermöwe
13. Kleiner Flussuferläufer
14. kleiner Kurier
15. Schwalbe
16. Bergschwalbe
17. Mauersegler
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Als Anna mit ihrem Gepäck den Bus am Bahnhof von Valdagno verließ, schaute sie sich suchend nach ihrer Freundin um.
Selina hatte ihr versprochen, sie pünktlich an der Haltestelle abzuholen, aber nachdem alle Insassen des Busses ausgestiegen waren, präsentierte sich der Platz mit gähnender Leere.
Anna überlegte, vielleicht hatte sich die Freundin eine falsche Ankunftszeit notiert? Ob sie sich einmal mit einem kurzen Telefonanruf bemerkbar machte?
Sie ließ den großen Rollkoffer los und nahm das Mobiltelefon aus ihrer Jackentasche. In diesem Moment hörte sie ein Klappern auf dem Asphalt.
Wenige Blicke später erschien Selina mit eiligen Schritten und winzigen Schweißperlen auf der Stirn.
„Entschuldige bitte, Liebste! Ich musste mich gerade noch um meine Nachbarin kümmern, die ein bisschen verdreht ist. Aber jetzt bin ich da, und will dich erst mal ausgiebig begrüßen.“
Sie trocknete sich die Stirn mit einem Taschentuch und riss die Freundin in die Arme.
„Das tut gut, dich nach so langer Zeit wieder zu spüren. Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen, und Giorgio ist auch schon total neugierig auf dich, weil er dich bisher ja nur von Fotos kennt.“
Anna ließ die Begrüßungsprozedur über sich ergehen und lächelte. „Jetzt haben wir erst einmal genug Zeit, um uns wieder nahe zu sein. Deinen Mann Giorgio kenne ich von den vielen Bildern schon ganz gut. Daher kann ich es mit Gelassenheit abwarten, ihn näher kennenzulernen.“
Selina schnappte sich den großen Rollkoffer und setzte ihn in Bewegung. „Auf jeden Fall ist mein Mann begeistert von deiner Arbeit, berichtete sie. „Dass du etwas über die Vögel dieses Tales schreiben willst, findet er außergewöhnlich und schön zugleich.“
„Naja, es ist mein Beruf“, erklärte die junge Frau. „Und da mein Verlag „Natur des Südens“ Interesse an diesem zauberhaften Tal gefunden hat, empfand ich es als Wink des Himmels, hier forschen und über die einheimischen Vögel schreiben zu können.“
„Dann weißt du bestimmt schon viel mehr über dieses Tal als ich“, vermutete Selina. „Seit ich mit Giorgio vor zwei Jahren hier hingezogen bin, ist die Zeit so schnell vergangen, dass ich noch gar nicht zu all dem gekommen bin, was ich mir vorgenommen habe. Ein paar Ausflüge haben wir gemacht, in die kleinen Dolomiten zum Monte Pasubio, mehrere Male habe ich die Wasserfälle in Recoaro Terme besucht, und einmal sind wir zum Monte Cristallo gefahren. Natürlich waren wir auch in der anderen Richtung unterwegs, auch bis Venedig, das ist schließlich ein Muss.“
Anna lächelte. „Da geht es dir so, wie den meisten Menschen. Oft kennen sie sich in der Ferne besser aus als in der Stadt, in der sie leben. Aber wenn du gut schweigen kannst, darfst du mich in den nächsten Wochen auch in den frühen Morgenstunden begleiten, wenn ich auf Vogelsuche gehe.“
Selina führte die Freundin durch die leeren Straßen der Stadt. „Wundere dich nicht, dass es hier so ruhig ist! Viele Menschen halten jetzt hier den Mittagsschlaf, aber am Nachmittag wird alles lebendig, und am Abend erlebst du den Höhepunkt, wenn sich die Leute auf den Straßen, besonders im Zentrum tummeln. Und jetzt musst du mich einmal aufklären. Gibt es eine Menge an Vögeln, die du hier entdecken möchtest?“
„Ich suche hier siebzehn verschiedene Vögel, die an den Ufern des Flusses Agno wohnen. Wahrscheinlich wird es für mich sehr spannend werden“, vermutete Anna.
Die Freundin kicherte. „Ich glaube es wird für dich hier sehr spannend. Besonders, nachdem dich meine Nachbarin einmal entdeckt hat. Sie behauptet, übernatürliche Kräfte zu haben, und Dinge zu wissen, die kein Mensch weiß. Gestern hat sie mich mit der Behauptung genervt, dass sie mehr über Romeo und Julia weiß, als in den Geschichtsbüchern über Shakespeare steht. Sie glaubt, dass sich das berühmte Liebespaar auch in dieser Stadt aufgehalten hat.“
Anna hob die Augenbrauen. „Aber die hat es doch gar nicht in echt gegeben. Es gab nur schon seit ewigen Zeiten einige Parallelgeschichten, und sicherlich ein paar ähnliche Schicksale. Was hat sie denn darüber erzählt, diese interessante Frau?“
„Man hält sie für etwas durchgedreht, die Signora Barbara“, berichtete Selina. „Bisher konnte ich ihr meist erfolgreich aus dem Weg gehen. Aber eben hat sie mich dann doch einmal erwischt und mich gefragt, ob ich ihr helfen kann.“
„Was wollte sie denn von dir? Sollst du in historischen Büchern blättern oder bei Shakespeare nachfragen? Ich erinnere mich an einen Schlager, der so hieß.“
Selina lachte. „Nein, ich soll sie an die Orte begleiten, an denen das Liebespaar seine Spuren hinterlassen hat. Sie glaubt zum Beispiel an eingeritzte Buchstaben in Steinen und Hölzern.“
„Die können doch von jedem stammen“, fand Anna. „Aber wenn sie so verrückt darauf ist, irgendwelchen Spuren zu folgen, kann sie mir doch bei der Vogelsuche helfen.“
„Sie geht tagsüber gar nicht auf die Straße“, wusste die Freundin. „Ich glaube kaum, dass du sie dazu bewegen kannst, in aller Herrgottsfrühe durch die Natur zu strolchen.“ Sie blieb vor einem großen, hohen und ebenso alten Haus stehen. „Hier sind wir! Und du kannst froh sein, dass wir noch nicht umgezogen sind. Sonst hätte ich dich durch die ganze Stadt schleppen müssen bis hoch hinauf auf den Berg. Und das wäre jetzt bei der Mittagshitze gar nicht so angenehm gewesen. Allerdings hättest du danach einen herrlichen Blick gehabt, denn von dort oben siehst du bis auf die kleinen Dolomiten.“
Anna grinste. „Ich sehe schon, bei all diesen herrlichen Aussichten werde ich sehr lange brauchen, um jeden einzelnen Vogel gesichtet zu haben.“
Während sich Selinas Nachbarin Barbara den ganzen restlichen Tag nicht blicken ließ, hatte Anna schon wenig später die Gelegenheit, den Mann ihrer Freundin näher kennen zu lernen.
Der große, sympathische Mann zeigte gleich am Anfang des Gesprächs sein Interesse für die Arbeit der Journalistin.
„Wie hast du dich denn auf deine Arbeit vorbereitet?“ fragte er sie und sah sie aufmerksam an.
„Ich habe mich schon ein bisschen über das Leben der Vögel informiert. Schließlich muss ich wissen, wo und wann ich sie suchen muss. Und ich werde sie hoffentlich alle in diesem Tal finden.“
Sie reichte ihm das Papier mit der Liste und den darauf aufgeführten Vogelnamen. „Es sind siebzehn an der Zahl.“
Giorgio las das Schriftstück aufmerksam durch. „Diese Liste muss dir jemand gegeben haben, der hier ganz genau Bescheid weiß, denn am Ufer des Agno, unweit einer der Brücken, hängt eine große Tafel mit den Bildern und Namen der Vögel, die sich hier in diesem Tal wohlfühlen. Ich finde jeden einzelnen in der Liste wieder. Mit welchem Vogel willst du beginnen?“
„Ich dachte, mit der Stockente, weil sie sehr leicht zu finden ist. Und ich habe mir schon darüber Gedanken gemacht, warum sie bei euch die „Germana reale“ heißt, also die typisch Deutsche.“
Giorgio lächelte. „Vermutlich heißt sie bei uns so, weil sie der gute Caesar aus Germanien mitgebracht hat. Aber du musst zugeben, dass der deutsche Name „Stockente“ nicht freundlicher klingt.“
„Angeblich hat sie ihren Namen daher, dass sie auf den Stoppelfeldern, den Stöcken, brütet. Aber dies hier ist eine Wasserente. Sicher werde ich sie hier in der Nähe des Flusses finden.“
„Und damit können wir nach unserer kleinen Mahlzeit gleich beginnen“, schlug Selina vor. „Wir werden sie suchen.“
„Tut mir leid“, entschuldigte sich Giorgio. „Ich muss gleich noch zu einer Besprechung mit einem anschließenden geschäftlichen Abendessen. Ich hoffe, ihr amüsiert euch auch ohne mich!“
Seine Frau sah ihn schelmisch an. „Wir werden es müssen. Ich kenne zwar die Gegend hier noch nicht so gut wie mein Mann, aber den Weg zum Fluss weiß ich schon seit langer Zeit, denn dort hat es mich auch oft hingezogen, gerade jetzt im Frühjahr.“
„Gibt es dort etwas Besonderes?“ erkundigte sich Anna.
„Auf dem Weg dorthin blühen jetzt viele japanische Kirschbäume, ein rosa Blütenmeer wird dich empfangen, große blühende Magnolienbäume, und wenn wir Glück haben, entdecken wir auch ein paar Entenküken.“
„Dazu ist es jetzt noch zu früh“, glaubte Giorgio. „Unser Fluss, der Agno kommt dem Gebirge, den kleinen Dolomiten, vom Campo Grosso, und die Quelle entspringt in der Nähe des Ortes Prà degli Angeli. Wenn der Schnee schmilzt, haben wir oft Hochwasser, da denken die Enten noch nicht an Nestbau. Und wenn ihr Glück habt, finden sich schon die ersten geflügelten Pärchen ein. Aber macht euch da keine Sorgen! In zwei oder drei Wochen sieht alles schon ganz anders aus. Dann kann man hier eine ganze Schar dieser Spezies hier finden.“
Anna freute sich. „Das wird sehr spannend für mich, besonders da ich mich vorher nie genauer mit dem Thema „Vögel des Südens“ beschäftigt habe. Aber meinem Chef hat mein Buch über Hunde so gut gefallen, dass er mich für dieses neue Projekt ausgewählt hat. Natürlich konnte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, hier meine beste Freundin zu besuchen. Wie gut, dass ihr das kleine Appartements für mich freigehalten habt.“
„Das ist doch selbstverständlich“, versicherte ihr Selina. „In der Regel sind hier im Sommer die Bergsteiger, die in den kleinen Dolomiten wandern und klettern. Aber ich lasse mir doch nicht die Gelegenheit deines Besuchs entgehen, und außerdem werde ich jetzt wahrscheinlich mit dir etwas über die heimischen Vögel lernen.“
„Dann hoffe ich für euch beide, dass ihr viel Vergnügen beim Lernen habt!“ wünschte Giorgio seiner Frau und ihrer Freundin und verabschiedete sich eilig.
Selina wandte sich an Anna. „Und wir beide sollten uns jetzt etwas Praktisches anziehen, denn ich kann dir nicht garantieren, dass es nicht durch ein Gestrüpp oder feuchte Wiesen geht.“
Die Freundin lächelte. „Keine Sorge, ich bin gegen alles gewappnet. Alte Klamotten habe ich dabei, und natürlich auch für jedes Wetter. Brauchen wir heute etwa schon Gummistiefel?“
„Wenn wir durch den Ort gehen, musst du sie noch nicht anziehen“, antwortete Selina schmunzelnd. „Aber stopf sie einmal in deinen Rucksack, wir wollen auf alles vorbereitet sein.“
Als die beiden Frauen das Haus verlassen hatten und die Straße überqueren wollten, versperrte ihnen Signora Barbara den Weg.
Sie sprach ein einwandfreies Deutsch mit einem italienischen Akzent. „Sie dürfen jetzt keineswegs einen Ausflug machen!“ wandte sie sich an die Freundinnen.
Selina stellte ihr Anna vor. „Das ist meine langjährige Freundin, die aus Deutschland kommt, um mich zu besuchen. Ganz nebenbei erledigt sie auch hier die Arbeit für ihren Chef. Gerade sind wir auf dem Sprung zum Fluss, um dort die Enten zu beobachten. Da dürfen wir uns heute nicht aufhalten lassen. Aber an einem anderen Tag können wir gern einen Kaffee zusammen trinken.“
Signora Barbara schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Ihr könnt unmöglich zum Fluss gehen, es wird gleich ein Gewitter geben, da verstecken sich die Tierchen sowieso im Gebüsch.“
„Ich sehe noch keine Gewitterwolke“, stellte Selina mit einem Blick zum Himmel fest. „Es ist zwar heiß und etwas drückend, aber bis sich das Wetter ändert, sind wir längst wieder zurück.“
Die ältere Dame blieb hartnäckig. Sie fuhr sich durch ihr glänzendes, schwarzes Haar und sah die beiden Frauen nacheinander sehr eindringlich an. „Hier ändert sich das Wetter schnell, wir sind hier Tal, eingeschlossen von den Bergen, hinter denen sich schon alles zusammenbraut. Kommt einen Augenblick zu mir in die Laube! Ich habe eine gute Flasche Wein dekantiert. Davon müsst ihr unbedingt probieren!“
Selina hob abwehrend die Hand und wollte gerade protestieren, als sie aus der Ferne ein Donnergrollen vernahm. „Oh!“ machte sie überrascht. „Das hätte ich jetzt nicht gedacht, der Himmel sah gar nicht verdächtig aus. Vielleicht zieht es vorüber. Aber wenn Sie uns schon einmal so freundlich eingeladen haben, liebe Signora Barbara, dann können wir auch einen Augenblick zu Ihnen hereinschauen.“ Sie wandte sich an die Freundin. „Was hältst du davon?“
„Ich denke, ich werde noch genug Zeit für die wunderbaren Vögel zur Verfügung haben. Und wenn wir so nett eingeladen werden, möchte ich dankbar annehmen,“ stimmte ihr Anna zu.
Signora Barbara führte die beiden Frauen auf die Terrasse, die sich oben und zu beiden Seiten mit Klematis und wildem Wein vor Wind und neugierigen Blicken schützte.
„Setzt euch nur auf die bequemen Polsterstühle und lasst euch ein bisschen vom Gesang der Vögel erfrischen! Aber nun seid ihr meine Gäste, und da müsst ihr das alberne „Sie“ bleiben lassen. Ich bin die Barbara, und dich, Selina kenne ich ja auch schon ein paar Monate.“
Anna stellte sich ebenfalls vor und erklärte kurz den Grund ihres Besuchs.
Die Hausherrin freute sich. „Du kommst wie gerufen, denn als Journalistin bist du von Natur aus neugierig. Ich bin auf den Spuren von Romeo und Julia, und bin ganz sicher, dass sie hier in einem kleinen Dorf eine kurze Zeit lang haben.“
Sie stellte Gläser auf den Tisch und schenkte aus einer Karaffe leuchtend roten Wein in die Kelche.
„Wir trinken auf unsere Gesundheit und auch auf den Erfolg unserer Bemühungen“, sagte sie und hob das Glas. Die beiden Frauen taten es ihr gleich und wünschen ihr ein „Salute!“.
Nachdem sie alle von dem vollmundigen Getränk gekostet hatten, fuhr Signora Barbara fort: „Du hast doch sicher auch schon von dem berühmten Liebespaar gehört, Anna, oder?“
„Ich kenne mehrere Geschichten von Romeo und Julia“, antwortete die junge Frau und räusperte sich. „Es gibt auch die von Gottfried Keller, bei der es um Romeo und Julia aus dem Dorf geht. Wahrscheinlich gab es in vielen Gegenden ähnliche Vorbilder.“
Die ältere Dame lächelte nachsichtig. „Oh, die meine ich nicht. Shakespeare hat sich an Vorläufern dieser Geschichte orientiert, und zwar einmal an dem Werk von Arthur Brooke und den Schriften des Matteo Bondello, die schon lange vorher über das tragische Liebespaar ausgiebig berichtet haben. Letzterer hat sein Werk im Jahre 1554 herausgegeben. Und diesbezüglich habe ich eine Entdeckung gemacht.“
Anna horchte auf. „Ach, das hört sich interessant an. So genau habe ich mich mit dem berühmten Liebespaar noch gar nicht beschäftigt. Und du bist sicher, dass es hier in diesem Ort wichtige Hinweise gibt?“
Die Signora nickte. „Ja, Hinweise schon, aber nicht in diesem Ort, sondern in einem kleinen Dorf nicht weit von hier. Ich habe dort die Reste einer kleinen, aber alten Festung erworben, die kaum anders aussieht als ein paar Felsen, nicht weit von dem berühmten Ferienort Recoaro Therme. Eine kleine Nische wie eine Höhle fand ich, als ich einen großen Stein entfernte, und dort entdeckte ich altes Geschirr aus dem Mittelalter und einige Habseligkeiten, die einer Frau und einem Mann gehören mussten.“
„Hast du denn die Historiker hinzugezogen?“ erkundigte sich Selina.
„Das Geschirr habe ich natürlich erst einmal meinem Enkel gezeigt, der hat Kunstgeschichte studiert und er konnte mir als erster bestätigen, dass diese Teller und Töpfe tatsächlich alt sind.“
„Und warum soll es sich bei den beiden um Romeo und Julia gehandelt haben? Vielleicht war das nur ein Liebespaar, das sich zu Kriegszeiten dort versteckt gehalten hat“, überlegte Anna.
Die Augen der Signora blitzten. „Was denkst du nur? Ich erzähle doch hier keine Märchen. Vor einiger Zeit habe ich sogar ein Schriftstück gefunden, auf dem sich Hinweise für weitere Fundorte befinden.“
„Entschuldigung!“ beeilte sich die junge Frau zu sagen. „Ich habe es nicht bös gemeint. Es ist nur alles so außergewöhnlich.“
Signora Barbara schenkte Wein nach. „Ich kann mir denken, dass sich die meisten Leute erst mal ein bisschen mit diesen Gedanken anfreunden müssen. Viele Menschen sind nicht imstande über einen bestimmten Horizont hinaus zu denken. Man muss flexibel sein, und dann alles glauben, nur dann darf man auch alles sehen und alles erleben.“
In diesem Moment machte sich ein lautstarker, grollender Donner bemerkbar und schien sich rumpelnd einen Weg zu bahnen.
Selina erschrak. „Es ist gut, dass wir uns jetzt nicht auf Entensuche gemacht haben. Das Gewitter hätte uns am Fluss direkt überrascht.“ Sie berichtete kurz über Annas Auftrag, alle siebzehn Vögel dieser Region aufzuspüren.
Signora Barbara horchte auf. „Ja, wie gesagt, das trifft sich gut. Dann können wir uns gegenseitig helfen. Ich weiß nämlich ganz genau, welches Futter die Vögel dieser Gegend zu sich nehmen.“ Sie wandte sich an Anna. „Wenn du willst, kann ich dir helfen, einige dieser seltenen Vogelarten anzulocken, damit du sie besser filmen, fotografieren und beobachten kannst. Dafür kannst du mir aber auch einen Gefallen tun, wenn du keine Angst vor der Dunkelheit hast.“
„Habe ich nicht“, behauptete Anna. „Ich werde für diesen Job sowieso früh aufstehen müssen. Ich bin auf alles gefasst. Wie kann ich dir helfen?“
„Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, sogar Touristen, die ständig auf der Suche nach historischen Funden sind. Weil sie wissen, dass ich dafür ein besonderes Händchen habe und schon einige wertvolle Dinge in meinem Besitz sind, werde ich häufig beobachtet. Daher verkleidete ich mich oft in den Abendstunden, wenn es dunkel wird und setze meine Suche nach den Spuren des Liebespaares fort. Magst du mich bei diesen Expeditionen begleiten?“
„Wenn ich damit den Tagesablauf meiner lieben Freundin nicht störe, bei der ich netterweise wohnen darf, dann werde ich dir gern helfen“, versprach die Journalistin.
„Wieso solltest du mich stören?!“ bemerkte Selina. „Du hast deine eigene kleine Ferienwohnung bei mir. Du kannst da ein- und ausgehen, wie es dir passt. Was deine Arbeit angeht, kannst du völlig schalten und walten, wie du möchtest. Vorausgesetzt, du trinkst ab und zu mal eine Tasse Kaffee mit mir, damit ich dich einmal zu sehen bekomme und feststellen kann, dass es dir gut geht.“
Anna lachte. „Ich bin so froh, dass ich dich einmal wiedersehen kann, dass ich mit Sicherheit mehr als nur ein paar Minuten für einen Kaffee abzweigen werde. Es ist mir sogar ganz recht, wenn ich morgens früh und abends spät meine Arbeit verrichten kann, dann bleibt uns nämlich am Tag noch genug Zeit, die wir miteinander verbringen können.“
„Das passt mir wunderbar“, freute sich Selina. „Ich habe nämlich auch Urlaub und muss nur etwas Heimarbeit erledigen. Giorgio hat momentan auch sehr viel zu tun, also musst du auf unser Eheleben auch keine Rücksicht nehmen.“
Signora Barbara sah die beiden Frauen nachdenklich an. „Ihr beide scheint ja eine sehr gute Freundschaft zu pflegen, das habe ich sofort gemerkt. Da habe ich nicht so viel Glück erlebt.“
„Das tut mir leid“, beteuerte Anna und nahm einen Schluck Wein. „Was ist passiert? Sind die Freundinnen auch weit weggezogen?“
„Nein, meine beiden Freundinnen haben sich nicht verstanden. Sie kannten sich auch sehr gut und waren früher selbst Freundinnen gewesen. Aber dann gab es Ärger mit der Eifersucht und keine von beiden sah es gern, wenn ich mich mit der anderen traf. Petra war die jüngere, sie entwarf modische Kleider, und Luciana war die ältere, eine Konfiseurin, die edle Pralinen herstellte. Jede wollte mir mit ihrem Können nur die besten Geschenke machen, aber sie achteten ganz genau darauf, ob ich mich auch bei beiden gleich viel bedankte.
Doch eines Tages zerstritten sich die beiden und nahmen es mir sehr übel, dass ich mich trotzdem mit jeder von ihnen einzeln weiter traf, beide auch für die Zukunft als Freundin behalten wollte. Schließlich ist Petra nach Rom gezogen, weil sie dort einen exquisiten Modesalon eröffnet hat. Natürlich hatte sie dann nicht mehr so viel Zeit, und die Entfernung ließ es auch nicht zu, dass wir uns weiter so oft sahen wie vorher. Aber wir bemühten uns mit allen Mitteln, die Freundschaft