Blutgrütze 5 - John Aysa - E-Book

Blutgrütze 5 E-Book

John Aysa

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Beschreibung

Und noch immer finden sich in der BLUTGRÜTZE die geil­sten, kranksten und – subjektiv – aller-allerbesten unappetit­lichen Stories, mit der die Hardboiled-Autorenschaft deutscher Zunge aufwarten kann.

 

Wir nehmen uns nicht so ernst.

Aber ihr dürft uns ernst nehmen.

Denn wir wollen euch

SCHOCKEN,

EKELN,

ERSCHRECKEN,

ENTSETZEN,

ANWIDERN

und vor allem eines:

MEGAMÄSSIG unterhalten!

 

Glaubt ihr nicht?

Müsst ihr halt lesen …

 

INHALT:

 

Vertigo Stray Cat - Das Vermächtnis der Katzenaugen

 

Lothar Nietsch - Susis Herz

 

Mathias Ramtke - Der Gott der Verfressenen

 

Marcel Hill - Dämon

 

Georg Bruckmann - Kommt ein Mann in eine Bar …

 

Doris E. M. Bulenda - Ganz besonderes Blut

 

Savannah Vincent - Mommy’s Boy

 

Markus Kastenholz - Hinter einer blauen Tür

 

David Heine - Fotzenfilet

 

John Aysa - Master and Fucking Commander

 

Alisha Godoy - Viktors Destiny

 

Ralf Kor - Haut

 

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Markus Kastenholz, John Aysa

Blutgrütze 5

Unappetitliche Geschichten

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

BLUTGRÜTZE 5

 

Unappetitliche

Geschichten

 

 

 

Herausgegeben von

 

Markus Kastenholz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vollständige Ausgabe 2019

Copyright:

© HAMMER BOOX, Bad Krozingen

(Fehler sind natürlich - wie immer - beabsichtigt und dürfen ohne Aufpreis behalten werden J )

 

Lektorat: Hammer Boox

Korrektorat: Ingemar Goldberger

Cover: Azrael ap Cwanderay

Satz und Layout: HAMMER BOOX

 

 

 

EINE BITTE:

 

Wie ihr vielleicht wisst, ist HAMMER BOOKS noch ein sehr junger Verlag.

Nicht nur deshalb freuen wir uns, wenn ihr uns wissen lasst, was ihr von diesem Buch haltet.

Schreibt eine Rezension,

redet darüber,

fragt uns, wenn ihr etwas wissen wollt...

 

DANKE!

 

 

 

 

 

Vorwort

 

 

 

Ihr Lieben,

 

nach einer etwas längeren Zwangspause meldet sich die BLUTGRÜTZE mit Ausgabe FÜNF zurück!

 

Viel hat sich seitdem nicht verändert. Wieso auch? Außer ein paar »Aufhübschungen« hat sich die »Grütze«, wie Fans und Mitarbeiter diese Antho-Reihen nennen, ja bewährt. Das war et­wa so wie wenn man nach Jahren in den Keller kommt und ent­deckt, dass er eben nicht mehr so aussieht, wie man ihn verlassen hat. Da müssen also erst mal die Spinnweben raus …

 

Selbstredend schmückt weiterhin ein geniales Cover von Azrael ap Cwanderay den Titel, allerdings wurde das Design ein klein wenig überarbeitet. Das soll klar machen, dass es eine Art »Neu­start« bei HAMMER BOOX ist. Hier hat die BLUTGRÜTZE eine feste, dauerhafte Heimat gefunden.

 

Und noch immer finden sich in der BLUTGRÜTZE die geil­sten, kranksten und – subjektiv – aller-allerbesten unappetit­lichen Stories, mit der die Hardboiled-Autorenschaft deutscher Zunge aufwarten kann.

 

Wir nehmen uns nicht so ernst.

Aber ihr dürft uns ernst nehmen.

Denn wir wollen euch

SCHOCKEN,

EKELN,

ERSCHRECKEN,

ENTSETZEN,

ANWIDERN

und vor allem eines:

MEGAMÄSSIG unterhalten!

 

Glaubt ihr nicht?

Müsst ihr halt lesen …

 

 

Herzlichst

 

Markus Kastenholz

Inhaltsverzeichnis

 

INHALT

 

Vertigo Stray Cat

Das Vermächtnis der Katzenaugen

 

 

Lothar Nietsch

Susis Herz

 

 

Mathias Ramtke

Der Gott der Verfressenen

 

 

Marcel Hill

Dämon

 

 

Georg Bruckmann

Kommt ein Mann in eine Bar …

 

 

Doris E. M. Bulenda

Ganz besonderes Blut

 

 

Savannah Vincent

Mommy’s Boy

 

 

Markus Kastenholz

Hinter einer blauen Tür

 

 

David Heine

fotzenfilet

 

 

John Aysa

Master and Fucking Commander

 

 

Alisha Godoy

Viktors Destiny

 

 

Ralf Kor

Haut

 

 

Andreas Laufhütte

Der goldene Reiter

 

 

 

 

 

Vertigo Stray Cat - Das Vermächtnis der Katzenaugen

 

Vertigo Stray Cat

 

Das Vermächtnis der Katzenaugen

 

 

Geschwisterkampf

 

Morgendliche Sonnenstrahlen blitzten auf der Stricknadel, mit der Agnes lustlos im dicken, zur Hälfte geöffneten Körper der Riesenkrabbenspinne herumstocherte, die sie vor Stunden auf Marius’ Frühstücksbrett gepinnt hatte. Inzwischen war der Vorderleib – oder Prosoma, wie ihr ach so gebildetes Brüderchen dazu sagen würde – kaum noch zu erkennen. Die Augen lagen auf dem Rand des verschlissenen Holzbrettchens und glotzten Agnes ungläubig an. Den Knubbel selbst hatte sie sorgsam zermatscht und sich wie ein Kind an dem Geräusch erfreut. Mundwerkzeuge und sieben Füße, die sie allesamt mit einer Kuchengabel abgetrennt hatte, rahmten die Spinnenpampe ein. Wo Beinchen Nummer Acht abgeblieben war, konnte sie sich nicht erklären. In den Taschen ihrer geblümten Schürze suchte sie jedenfalls vergebens danach. Den Hinterkörper der Spinne hatte Agnes weniger systematisch behandelt, sondern stattdessen nur in der Mitte aufgestochen, um das Innere nach außen zu schaben.

Seit Tagen freute sie sich auf heute, doch ihr Bruder, der kleine Prinz, verschlief natürlich wieder alles.

Ungeduldig sah sie sich in der winzigen Küche um. Der weiße Plastiktisch zwischen den beiden Klappstühlen war für zwei gedeckt, und selbst nach einem Jahr fühlte sich das noch falsch an. Die Küchenzeile und selbst der Boden in dem Sieben-Quadratmeter-Stübchen waren so sauber, dass sie gar kein Essgeschirr gebraucht hätten. Schließlich hatte sie die halbe Nacht geputzt und geschrubbt, während Brüderchen sich vergnügte. Angeblich war er noch bis spät im Büro, aber das sagten sie alle, nicht wahr?

Endlich vernahm sie das Schleifen der Schlafzimmertür, die für den flauschigen Teppich, auf den Marius bestanden hatte, etwas zu tief hing.

Nach wenigen Minuten – Agnes hörte die Klospülung, den Wasserhahn und noch einmal den Wasserhahn – kam das, worauf sie gewartet hatte: Der gellende Schrei ihres Bruders, gefolgt von einem herzzerreißenden Wimmern. Erneut lief das Wasser gurgelnd die Leitungen in den dünnen Wänden hinab, nur diesmal nahm es kein Ende. Brüderchen stellt sich wieder an, mutmaßte Agnes. Es dauerte noch fast zehn Minuten, bis Marius sich an der hässlichen Tapete des Flurs entlang schob, um die Ecke bog und schließlich vor ihr stand. Wie immer war er mit einer spießigen Anzughose und einem kurzärmeligen Poloshirt bekleidet, beides in dezenten Farbtönen und unfassbar durchschnittlich. Er hielt ein Taschentuch unter sein tränendes, linkes Auge, das so rot wie rohes Fleisch war.

Marius kreischte sie an: »Was hast du getan, was hast du nur getan?«

Agnes brach in dröhnendes Gelächter aus und äffte ihn nach. Dann versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige, in der Hoffnung, dass sein rechtes Auge nun auch wässrig wurde. Als das nicht der Fall war, schlug sie noch einmal mit der Rückhand zu. Ihre Knöchel schmerzten von dem harten Aufprall auf den hohen Wangenknochen ihres gleich nicht mehr so hübschen Brüderchens, das zurücktaumelte und sich im Flur auf den dürren Arsch setzte. Offenbar unschlüssig, ob er seine rote Wange oder doch lieber das mit Nagellackentferner benetzte Auge betatschen sollte, ließ Marius schließlich die Arme auf den Boden sacken und sprach mit ungewohnt tiefer Stimme: »Agnes. Hör auf damit! Das bist nicht du, das ist er!«

Und das hätte er besser nicht gesagt, denn niemand schrieb ihr vor, wie sie war, insbesondere nicht ihr verkorkster Bruder, der ihr das Wichtigste in ihrem Leben genommen hatte: ihren Vater. Egal, wie sehr Marius sich selbst und alle anderen betrog - er war ein Mörder. Ein dummes Kind, das bis zuletzt nicht verstehen wollte, welches Geschenk ihm Weinher gemacht hatte.

»Hast du etwa nicht gerochen, worin deine Kontaktlinsen die ganze Nacht gebadet haben? Ach, ich vergaß. Das kannst du ja gar nicht. Du warst ja schon immer so ein undankbares Stück Scheiße und hast wenigstens einmal dafür die Quittung bekommen.«

Marius wimmerte und schüttelte immerzu den Kopf. Wie gern erinnerte sich Agnes an diese Nacht, in der Papa den Hinterkopf ihres kleinen, süßen Brüderchens gegen die Bettkante geknallt hatte. Damals hatten sie noch ein gemeinsames Kinderzimmer gehabt, sodass sie alles mitansehen konnte. Es war nicht Papas Schuld gewesen, wirklich nicht. Ein paar Tage später behauptete Marius, nicht mehr riechen zu können. Der Arzt sprach von abgerissenen Riechfasern und Anosmie, der Papa von einer längst überfälligen Lektion – wie Recht er doch hatte.

Agnes ging in die Hocke und wischte dem kleinen Prinz ein paar Strähnen aus der Stirn.

»Hast du etwa vergessen, was heute für ein Tag ist?«

Als sich die Augen ihres Gegenübers vor Schreck weiteten, nickte Agnes und grinste, bevor sie ihrem Bruder mit der Faust ins Gesicht schlug. Marius kippte nach hinten und schlug hart mit dem Kopf gegen die Tür zu Agnes’ Schlafzimmer.

»Genau, Zahltag. Aber erst sollten wir frühstücken, findest du nicht?«

Es dauerte einige Zeit, bis sich Marius’ Sicht soweit klärte, dass er sie wieder fokussieren konnte. Im gleichen Augenblick ranzte Agnes ihn an: »Steh auf und schwing deinen süßen Arsch in die Küche. Ich habe mir so viel Mühe für dich gegeben.«

Er wusste aus Erfahrung, dass es in solchen Momenten keinen Sinn hatte, mit ihr zu diskutieren – wenigstens das hatte sie ihm beigebracht - und berappelte sich. Zunächst stand er wacklig auf den Beinen, aber dann schaffte er es einigermaßen unfallfrei, den Fliesen in den kleinsten Raum der Wohnung zu folgen. Erwartungsvoll ging sie hinterdrein, wobei sie sich beherrschen musste, durch ihr Lachen nichts vorwegzunehmen. Ohne seine Kontaktlinsen sah Marius kaum über eine Handlänge hinaus, und an die Ersatzbrille hatte er in all dem morgendlichen Entsetzen offensichtlich nicht gedacht. Daher musste Agnes sich viel zu lange gedulden, bis er endlich nah genug am Tisch stand, um Flipper zu sehen. So einen dämlichen Namen konnte sich auch nur er für eine Riesenkrabbenspinne ausdenken.

Sie und Flipper hatten mehr als eine Rechnung offen gehabt. Sie fühlte immer noch seine behaarten Beine an ihrer Muschi, die suchend umher tasteten, als sie betrunken auf dem Klo saß und versuchte, beim Pinkeln nicht von der Schüssel zu fallen. Erst hatte sie gedacht, dass eines ihrer langen schwarzen Haare in ihren Schamlippen hing und nun ziepte, weil ihre Pisse darüber lief und es beschwerte. Da es selbst in ihrem besoffenen Schädel keinen Sinn ergab, wie das Haar so dick sein konnte und sich in ihrer Muschi verkriechen wollte, sah sie nach unten und damit dem Scheißvieh direkt ins Gesicht. Sie hatte geschrien, war aufgesprungen und hatte dabei die Klobürste umgeschmissen, wodurch das billige Metall der Hülle über die Fliesen kratzte. Zwischen ihren Schenkeln lief die Pisse in Strömen runter, und die riesige Spinne verbiss sich in ihrer Klit. Mit beiden Händen versuchte sie, die Kieferklaue von ihrem empfindlichen Fleisch zu lösen. Ihr wurde übel vom Schmerz, alles drehte sich, und so knallte sie halbnackt auf den Boden, immer noch mit der Spinne zwischen den Beinen. Als hätte sie urplötzlich das Interesse an ihrer Muschi verloren, trippelte das Vieh daraufhin weg, als sei nie etwas vorgefallen. Die Welt hielt endlich an, und nachdem sie Marius’ Zahnbürste in der kleinen Pfütze gebadet hatte, nahm Agnes einen Waschlappen, um die Pisse von ihren Beinen und dem Boden wegzuwischen. Mit aller Kraft warf sie ihrem schlafenden Bruder das nasse, stinkende Stück Stoff ins Gesicht, bevor sie fluchend in ihr eigenes Bett fiel. Seine Reaktion wäre ohnehin enttäuschend gewesen.

Heute war das anders: Sobald er die Formen auf dem Frühstücksbrett erkannte, schrie er entsetzt auf. Mit zusammengekniffenen Augen kam er Flippers Überresten so nahe, dass er sie hätte einatmen können. Zärtlich fuhr er mit seinen Fingern die Spinnenbeine nach und sah dann zu ihr auf. Agnes hatte mit allem gerechnet, mit Vorwürfen, Geflenne bis zum Heulkrampf oder einer Panikattacke, aber nicht mit dem kalten Blick in dem ansonsten ausdruckslosen Gesicht.

»Das wirst du bereuen.«

Agnes verfiel in dröhnendes Gelächter, trat näher heran und warf den billigen Tisch mit den Überresten von Flipper um. Dann setzte sie sich, nackt, wie sie unter ihrer Schürze war, und breitbeinig auf Marius’ Schoß. Seine erfolglosen Versuche, sie daran zu hindern, quittierte sie mit einem abfälligen Schmunzeln.

»Werde ich das, Brüderchen? Bist du dir da ganz sicher?«

Ihre Gesichter waren sich so nahe, dass sie seinen süßen, von der Zahncreme leicht minzigen Atem roch. Das lange Schweigen interpretierte sie als Eingeständnis seiner Schwäche, doch als sie ausholte, um ihn ein weiteres Mal zu ohrfeigen, fasste er sie am Handgelenk und hinderte sie am Schlag. Er hatte nicht genug Kraft, sie von sich zu schubsen, aber sie schaffte es auch nicht, ihren Arm zu befreien. Lächelnd sah sie ihm in die azurblauen Augen.

»Sind dir plötzlich Eier gewachsen, oder was wird das?«

Wieder ruhte dieser kalte Blick auf ihr, und als sie zu einer weiteren Beleidigung ansetzte, stand er mit einem Ruck auf, sodass Agnes rückwärts zu Boden fiel und sich das Steißbein prellte. Entgeistert starrte sie ihren Bruder an, der am ganzen Körper zitterte und seine Hände zu Fäusten geballt hatte, das Gesicht unlesbar. Sie fürchtete Marius nicht, dazu hatte er ihr nie einen Grund gegeben. Auch jetzt betrachtete sie ihn vor allem mit Neugier.

»Verschwinde, Schwester. Verschwinde.«

Wenn sie gewusst hätte, dass sie nur Flipper den Garaus machen musste, um Marius endlich zum Kampf mit ihr zu verleiten, hätte sie damit nicht bis zu Papas einjährigem Todestag gewartet.

»Komm her, Brüderchen, komm her!«

Mit einem Lächeln musterte sie seinen dürren Körper, als sie plötzlich hinter sich ein Geräusch, nein, viele kaum hörbare Geräusche wahrnahm. Ein stetiges, hohles Trommeln, ähnlich dem Klang, den ihre unruhigen Finger auf dicken, alten Seiten eines aufgeschlagenen Buchs verursachten. Das Trippeln kam näher, wurde lauter und Agnes blickte über ihre Schulter zurück in den Flur. Von dort näherte sich eine schwarz-braune Spur, die ihr sowohl auf dem Boden als auch an den Wänden entgegen krabbelte. Hunderte von Spinnenbeinchen bewegten sich auf sie zu - und Agnes lächelte.

Sie glitt aus ihrer halb sitzenden Position in eine liegende Haltung und schloss die Augen, wartete darauf, dass sie kamen, sie unter sich begruben. Auf ihren nackten Armen bildete sich Gänsehaut, als die kleinen Gliedmaßen sie berührten und ihre Härchen streiften. Ihre Füße zuckten jedes Mal, wenn etwas auf sie heraufkletterte. Eine der größeren Spinnen krabbelte über ihr Ohr und erreichte schließlich ihre Stirn. Während sie auf den gemeinsamen Angriff der Tiere wartete, zog sie beidhändig aus den tiefen Taschen ihrer Schürze Relikte besserer Zeiten hervor. Die ersten Murmeln hatte Papa ihr vermacht, lange bevor Marius ihr die Aufmerksamkeit stahl - alle weiteren hatte sie sich hart erarbeitet.

Als sie den ersten, kaum spürbaren Biss einer Spinne an ihrem großen Zeh spürte, beschrieben ihre Hände einen Bogen, und Dutzende Murmeln rollten über den Boden. Als wolle sie einen Schneeengel erzeugen, ruderte Agnes mit den Armen und beförderte mehr und mehr der Relikte zu Tage, die über die Fliesen klackerten. Sie öffnete die Augen und verfolgte mit Genugtuung, wie sich die feinen Sonnenstrahlen des Morgens in dem Glas brachen und zu wunderschönen Farben heranwuchsen. Aus den Murmeln bildeten sich Iriden, Pupillen, schließlich Katzenaugen, suchend und hungrig, die bald einen Schatten gebaren.

Nach und nach verschwand die Konturlosigkeit in der Erscheinung schwarzer Katzen, die mit bernsteinfarbenen Augen ihre Beute fixierten. So schnell die Spinnen weghuschten, so schnell und lautlos folgten ihnen ihre Jäger. Sie fraßen die Spinnen nicht, jedenfalls nicht alle, sondern zerdrückten sie in ihren Mäulern, spien sie aus oder zertraten sie mit krallenbewehrten Pfoten, die nur in der Größe denen einer Hauskatze glichen. Einige von Agnes’ Beschützern waren so klein wie neugeborene Kätzchen, aber dadurch nicht weniger tödlich. Als das Schmatzen und Knirschen allmählich verstummte, setzte sie sich auf und lächelte ihren Bruder an.

»Das hätte ich dir gar nicht zugetraut. Vielleicht hat Papa seine Zauberkraft nicht vollkommen verschwendet, als er sie dir weitergeben wollte.«

Das brachte Marius endgültig aus der Fassung – wie sie es geplant hatte.

»Zauberkraft? Was er mir angetan hat … Es ging niemals um Zauberkraft, und das weißt du verdammt gut!«

Sie leckte sich die Lippen und erwiderte: »Ich hätte alles dankbar von ihm genommen, aber du …«

Hass loderte in ihr auf, wie immer, wenn sie an die Möglichkeiten dachte, die ihr ohne Marius offen gestanden hätten. Sie hätte so viel mehr sein können!

Heute wollte sie sich nehmen, was ihr gehörte, ihr immer zugestanden hatte. Ein Keckern aus ihrer Kehle, kaum von dem der Katzen zu unterscheiden, lenkte ihre kleine Armee in Richtung ihres Bruders, der wie angewurzelt dastand und die schwarzen Raubtiere anstarrte.

»Lasst es euch schmecken, meine Lieben!«

Wie in einer Bewegung stürzten sie sich auf ihn, sprangen mit aufgerissenen Mäulern und ausgefahrenen Krallen auf ihn zu. Erst jetzt begann er zu schreien und sich zu wehren. Seine hilflosen Versuche, ihren Ansturm mit den Händen abzuwehren, amüsierten Agnes. Einige ihrer Katzen wurden zurückgeschleudert, doch was nicht lebt, kann nicht sterben, und so vergingen nur wenige Sekunden bis zu ihrem nächsten Angriff. Marius’ adrette Kleidung hing nach kürzester Zeit in Fetzen von seinem blutenden Körper, während die nackten Arme und sein Gesicht kaum noch zwischen den aufgerissenen Fleischwülsten zu erkennen waren.

Mit Interesse betrachtete sie, wie die Ränder der kleinen, aber tiefen Bisswunden und langgezogenen Schnitte anschwollen, während Marius’ Widerstand verebbte. Im sinnlosen Kampf gegen das Unvermeidliche war er rückwärts getaumelt, bis er mit dem Rücken gegen die Wand prallte und zusammensank. Halb sitzend, halb liegend und mit Gänsehaut auf den nackten Armen murmelte er etwas vor sich hin.

Agnes keckerte erneut und die Katzen ließen von ihrer Beute ab, um sich um sie zu scharen. Sie beugte sich zu ihrem Bruder herab, lauschte und verstand allmählich, was er wimmerte.

Erschreckend, was für ein Einfaltspinsel Marius war. Fasziniert beobachtete sie dagegen die stetigen Bewegungen der halb abgenagten Unterlippe, deren ausgefasertes Ende einer zerdrückten Nacktschnecke glich.

»Ass … iss nich uu. Ass iss err.«

Gebetsmühlenartig wiederholte er, womit er normalerweise ein Zorngewitter heraufbeschwören konnte, doch in diesem Augenblick ließ sie es beinahe kalt.

Für einen kurzen Moment fokussierten sich seine Augen, als sie ihrer Schürze zwei besonders große Murmeln entnahm und sie ihm in den Mund stecken wollte. Viel hatte er ihr in seinem Zustand nicht entgegenzusetzen, allerdings fiel ihr eine der Murmeln aus der Hand und rollte über den kalten Boden, was Agnes mit einer schallenden Ohrfeige quittierte. Auf ihr erneutes Keckern hin apportierte eine der größeren Katzen die Murmel und legte sie ihr in die blutige Hand. Agnes schob sie zurück in den Schutz ihrer Tasche, legte Daumen und Zeigefinger um Marius’ Unterlippe, bohrte ihre Nägel in das Fleisch und riss mit aller Kraft daran. Ein gutturaler Ton brach aus ihm hervor, noch bevor das bereits geschädigte Gewebe Faser um Faser weiter einriss. Er selbst verstärkte die Tortur, weil er wie wahnsinnig den Kopf wegriss, als könnte er damit Agnes’ grausamen Fingern entgehen. Die unteren Schneidezähne blitzten in reinlichem Weiß auf, als der Hautlappen schließlich über das Kinn wegklappte.

»Bist du jetzt ein lieber Junge und machst den Mund auf, ja?« Sie hatte gedacht, er würde jetzt endlich zur Vernunft kommen, doch als sie versuchte, seine Kiefer voneinander zu lösen, schnappte er nur nach ihr, anstatt ihr Zugang zu gewähren. Agnes war eine geduldige Person, schließlich hatte sie lange auf diesen Tag warten müssen. Ihre Geduld kannte allerdings Grenzen, weshalb sie Marius nun mit voller Wucht die Faust gegen die schutzlosen Zähne schlug. Zwei davon blieben zwischen ihren Knöcheln stecken, während sich der Rest in Marius’ Mund ergoss. Die schief geschlagenen, aber noch im Zahnfleisch steckenden Exemplare beförderte Agnes mit einem weiteren Schlag heraus.

»Soll ich dir die obere Reihe auch entfernen, willst du das wirklich?«

Ob sein Wimmern tatsächlich als Reaktion auf ihre Worte zu verstehen war, konnte sie nicht sagen. Ihr nächster Versuch, ihm die Murmeln in den Mund zu schieben, hatte jedenfalls Erfolg. Damit er sie schluckte, stopfte sie mehrere der Spinnenkadaver hinterher und drückte mehrmals auf seine Kehle, bis sie schließlich überzeugt war, dass es funktioniert hatte.