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Geschäfte ohne Gewissen: Wie deutsche Rüstungsfirmen Milliarden mit dem Tod verdienen Krieg ist gut fürs Geschäft. Mit Waffen werden Jahr für Jahr Milliarden umgesetzt, und geliefert wird auf dem globalen Rüstungsmarkt an fast jeden, der zahlen kann. Panzer, Sturmgewehre, U-Boote, Hubschrauber - die Nachfrage nach Kriegsgerät made in Germany wächst rasant. Seit vielen Jahren ist Deutschland nach den USA und Russland die Nr. 3 im Geschäft mit dem Tod. Wichtige Kunden sind Saudi-Arabien, Pakistan, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Staaten, die Menschenrechte missachten oder in Krisengebieten liegen. Geliefert wird an Länder, die auf dem Korruptionsindex ganz oben und auf dem Entwicklungsindex ganz unten stehen. Die Bundesregierung muss alle Rüstungsexporte genehmigen. Dennoch schweigt das Kabinett Merkel über den Bau einer Panzerfabrik in Algerien, die Lieferung von U-Booten nach Israel oder den Export von Leopard-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien. Der Journalist Hauke Friederichs hat sich auf die Spur der tödlichen Exporte begeben. Seine investigative Recherche führte ihn auf Waffenmessen und in Kriegsgebiete, zu Herstellern wie Heckler & Koch, Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall, zu Käufern wie Saudi-Arabien, Nutzern wie Pakistan. Er berichtet von den geheimen Deals mit Diktaturen und zeigt in eklatanten Fallbeispielen die Folgen. Er hat sich Zugang zu den Hinterzimmern einer diskreten Branche verschafft, in der Lobbyisten enge Beziehungen zu politischen Entscheidern pflegen. Ein brisanter Report über deutsche Bombengeschäfte.
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Seitenzahl: 272
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Hauke Friederichs
Tod made in Germany
Mit einem Interview mit Helmut Schmidt
Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
www.residenzverlag.at
© 2012 Residenz Verlagim Niederösterreichischen PressehausDruck- und Verlagsgesellschaft mbHSt. Pölten – Salzburg – Wien
Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucksund das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.
Fotos: Hauke FriederichsUmschlaggestaltung: www.boutiquebrutal.comGrafische Gestaltung/Satz: www.boutiquebrutal.comLektorat: Dr. Rainer Schöttle
ISBN ePub: 978-3-7017-4304-9ISBN Printausgabe: 978-3-7017-3280-7
Für meine Frau Martina, die mich immer unterstützt.
Und für Liesbeth und Kurt, die mir ihre Erlebnisse imZweiten Weltkrieg schilderten und mir klarmachten,wie es denen ergeht, um die herum der Krieg tobt.Sie werden immer Vorbilder bleiben.
„Ich hatte nie die Absicht, Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern“
Helmut Schmidt im Gespräch mit dem Autor
Einleitung
Das Geschäft mit dem Tod
1. Planet der Waffen
Genehmigungspflicht und Geheimhaltungspraxis
Neue Absatzmärkte
Ein Weltmarkt ohne Regeln
2. Die Messe für die Militärs
Seriöse Geschäftsleute
Kampferprobtes Kriegsgerät
Verkaufsförderung made in Germany
Reporter unerwünscht
Kriegsspiele fürs Publikum
3. Krieg ist gut fürs Geschäft
Die libysche Feuertaufe
„Sehr positive Rückmeldungen“
Raketen für den Diktator
4. Globale Geschäfte
U-Boote für Israel
Die Brasilia-Connection
Kontrollen nur auf dem Papier
Technologietransfer ohne Kontrolle
Zusatzprofite durch „Einsatzsofortbedarf“
Mit Joint Ventures in den internationalen Markt
Ein globalisierter Markt ohne Moral
5. Stolz der Deutschland AG
Ein Produkt des wehrtechnischen Mittelstands
Leos in Afghanistan?
Panzer für das Dritte Reich
In Europa out – in Asien gefragt
6. Leoparden für die Wüste
Panzer nach Riad?
Arabische Interessen und deutsche Dementis
Ein angeblicher Stabilitätsanker
Partner im Kampf gegen den Terror?
7. Eine Waffenstadt am Neckar
Eine heile Welt der Waffen
„Made in Oberndorf“ – ein Gütesiegel in der Waffenwelt
Rüstungsproduktion in zwei Weltkriegen
Von der Kellerwerkstatt zur Waffenschmiede
Magere Zeiten nach dem Kalten Krieg
Ein Zeichen großer Verbundenheit
8. Sturmgewehre aus dem Schwarzwald
Kampfbereit und hoch verschuldet
Razzia auf dem Lindenhof
Deutsche Gewehre im Drogenkrieg
G36 für den libyschen Diktator?
„Unter Umständen kriminell“
9. Echte Freunde stehen zusammen
Patrouillenboote von „Angola Merkel“
Handelsreisende in Sachen Rüstungsindustrie
Politisch-persönliche Verflechtungen
10. Die diskreten Dealer
Eingekreist im Lobbydschungel
Nur 10 Minuten mit dem Auto
Korruption beim Waffenhandel
Politische Landschaftspflege
11. Der Staat als Waffenhändler
12. Daten, Fakten, Zahlen
Planet der Waffen
Weltmarktpreise für Waffen
Die wichtigsten Produzenten des Leopard-2-Kampfpanzers
Internet-Tipps
Abkürzungen und Begriffserläuterungen
Verwendete Fachliteratur
Anmerkungen
In einem Interview mit „Wehr und Wirtschaft“ haben Sie 1970 als Verteidigungsminister gesagt, die Bundesrepublik müsste sich künftig bei der Lieferung von Kriegsmaterial an Staaten außerhalb des NATO-Bereichs zurückhalten. Das ist ja nun eine ganze Zeit lang her.
Helmut Schmidt: Das ist über 40 Jahre her.
Würden Sie sagen, dass Ihre Aussage von 1970 auch heute noch ein guter Rat für Bundesregierungen wäre?
Schmidt: Ohne Einschränkung, jawohl.
Die aktuelle Bundesregierung beteuert immer wieder, dass sie eine restriktive Rüstungsexportpolitik betreibt. Haben Sie den Eindruck, dass diese Aussage die aktuelle Rüstungsexportpolitik treffend wiedergibt?
Schmidt: Nein. Die Theorie und die Praxis klaffen weit auseinander. Tatsächlich ist Deutschland heute als Exporteur von Waffen und von Kriegsgerät wahrscheinlich unter allen Staaten der Welt an dritter Stelle.
Die Entscheidung der Regierung Merkel, eine Voranfrage für die Lieferung von 270 Leopard-2-Panzern nach Saudi-Arabien zu genehmigen, wird als Abkehr von der bisherigen Rüstungsexportpolitik bewertet. Wie sehen Sie das?
Schmidt: Das ist ein Bruch eines alten Tabus. Und es bedeutet gleichzeitig eine Neuausrichtung der Exportpolitik. Angeblich geschieht die Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien mit dem Einverständnis der israelischen Regierung. Eine solche Zustimmung Israels hat es früher nicht gegeben. Aber selbst mit Einverständnis Israels hätten wir damals keine Panzer geliefert.
Warum hätten Sie als Kanzler keine U-Boote an Israel und Panzer an Saudi-Arabien geliefert?
Schmidt: Wir hatten damals einen Grundsatz, der bei Entscheidungen im Bundessicherheitsrat galt. Er hieß: Keine Waffen und Kriegsgeräte zu liefern an andere Mächte, sondern nur an unsere Bündnisgenossen. Nach diesem Grundsatz haben wir uns damals gerichtet.
Die Regierung Merkel schweigt zu der genehmigten Voranfrage für den Panzerexport nach Saudi-Arabien. Wie erklären Sie sich die strikte Geheimhaltung?
Schmidt: Das ist die Angst vor der Öffentlichkeit. Saudi-Arabien ist ein besonderer Fall. Sie wollten immer deutsche Panzer haben, schon zu meiner Zeit als Bundeskanzler. Sie haben auch den Eindruck erweckt, als ob wir ernsthaft mit ihnen verhandeln. Ich hatte nie die Absicht, Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern. Ich hätte auch nie dem Export von Unterseebooten nach Israel zugestimmt, die in Wirklichkeit dafür bestimmt sind, umgebaut zu werden als Träger für nukleare Waffen.
Die Geheimhaltung wird von der Bundesregierung bei Rüstungsexporten sehr gepflegt. Selbst genehmigte Rüstungsexporte werden nicht öffentlich gemacht oder begründet. Halten Sie das für den richtigen Weg?
Schmidt: Nein, das finde ich nicht vernünftig. Ich bin für Transparenz in solchen Dingen. Die Tatsache, dass der Bundessicherheitsrat eine Anfrage abgelehnt hat, die muss nicht veröffentlicht werden. Aber die Exportanträge, die er genehmigt hat, die bedürfen der Veröffentlichung.
Die Regierung Schröder beschloss im Jahr 2000 neue Richtlinien zu Rüstungsexporten. Darin heißt es, dass grundsätzlich keine Waffen an Staaten exportiert werden sollen, in denen systematisch Menschenrechte verletzt werden und die in einem Spannungsgebiet liegen. Beides dürfte wohl auf Saudi-Arabien zutreffen.
Schmidt: Das trifft nicht nur auf Saudi-Arabien zu. Andere muslimische Staaten des Nahen Ostens haben ähnliche Probleme. Auch der Iran im Mittleren Osten gehört zu den problematischen Ländern dazu.
1981 waren Sie zum Staatsbesuch in Riad. Der „Spiegel„ schrieb damals, dass, wenn die Saudis keine Panzer bekämen, die Gefahr bestünde, der Regierung vor den Kopf zu stoßen. Wie haben die Saudis reagiert, als Sie deren Wünsche nach Panzern nicht erfüllt haben?
Schmidt: Das liegt so lange zurück; ich kann mich nicht mehr an alle Details erinnern. Auf jeden Fall ist das Verhältnis zu Saudi-Arabien in Ordnung geblieben. Der damalige Verteidigungsminister Prinz Sultan hat zwar später immer weiter gebohrt – er wollte unbedingt deutsche Panzer bekommen.
Weshalb wollten die Saudis damals überhaupt deutsche Panzer haben?
Schmidt: Das wussten die Saudis, glaube ich, selbst nicht genau.
Von wem fühlte sich Saudi-Arabien bedroht?
Schmidt: Der Irak unter Saddam Hussein war ein Konkurrent Saudi-Arabiens um die Vormacht im Mittleren Osten. Später kam der Iran hinzu. Es war ein Rüstungswettlauf von drei Staaten, die sich gegenseitig nicht grün waren. Wir haben uns daran nicht beteiligt.
Bereits 1999 haben Sie darauf hingewiesen, dass Deutschland wegen der Verkäufe von alten Waffen aus Beständen der DDR zu einem der größten Hauptlieferanten von Rüstungsgütern aufgestiegen sei, und prophezeit, wenn alle Altbestände verkauft seien, werde Deutschland ein wichtiger Lieferant von Rüstungsgütern bleiben. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Schmidt: Von unserem Grundsatz im Sicherheitsrat, Waffen nur an unsere Verbündeten zu liefern, wichen spätere Regierungen nach und nach ab. Das Kriegsgerät aus der alten DDR wurde von niemandem innerhalb des atlantischen Bündnisses gebraucht. Die Waffen gingen fast ausschließlich an Staaten, mit denen wir nicht verbündet waren. Dazu kommt die Effizienz von Firmen wie Heckler & Koch, die ihre Waffen an zahlreiche Staaten außerhalb des NATO-Gebiets geliefert haben. Durch Kleinwaffen von Heckler & Koch und branchengleichen Firmen sind mehr Menschen umgekommen als in Nagasaki und Hiroshima durch die Atombomben. Das Interesse deutscher Rüstungsunternehmen am Export ihrer Waffen ist durchaus legitim und verständlich. Aber wir waren entschlossen, dem nicht nachzugeben.
In Ihrem Buch „Außer Dienst“ schreiben Sie, dass die Welt im 21. Jahrhundert einer prinzipiellen Neudefinition der Rüstungsbegrenzung bedürfe. Sehen Sie auch eine Chance für eine weltweite Begrenzung konventioneller Rüstungsgüter?
Schmidt: Ich bin sehr skeptisch. Generell halte ich eine internationale Kontrolle des Handels von konventionellen Waffen für notwendig. Aber sie wird nicht kommen.
Die Vereinten Nationen versuchen mit dem Arms Trade Treaty den weltweiten Rüstungshandel stärker zu reglementieren. Wie bewerten Sie den Versuch der Vereinten Nationen, den globalen Rüstungsmarkt zu kontrollieren?
Schmidt: Maschinenpistolen und Maschinengewehre haben mehr Menschen getötet als Massenvernichtungswaffen. Es wäre dringend wünschenswert, dass die Verhandlungen zu einem Erfolg führen. Meine Erfahrung lehrt etwas anderes.
(Das Gespräch fand am 31. Mai 2012 in Hamburg statt.)
„Es sind nicht Waffen, die töten, sondern Menschen“. Diesen Spruch hört man oft in der Welt der Waffen. Ihn verwenden Vertreter der deutschen Rüstungsindustrie ebenso wie Michail Kalaschnikow, der Erfinder der legendären AK-47. Menschen, die ihr Geld mit Rüstungsgütern verdienen, tun oft so, als unterschieden sich ihre „Produkte“ nicht wesentlich von Bohrmaschinen oder Staubsaugern. „Sie können auch mit einem Küchenmesser jemanden töten“, sagte ein Rüstungslobbyist in Berlin im vertraulichen Gespräch. Ein ganz ähnliches Argument bemühte bereits der CSU-Politiker Erich Riedl, parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, bei einer Parlamentsdebatte über Rüstungsexporte im Jahr 1989: „Sie können auch mit einer Säge oder mit einem Hammer jemanden umbringen, ohne dass die Hersteller der Säge oder des Hammers dafür verantwortlich gemacht werden können.“
Im Gegensatz zu harmlosen Werkzeugen sind Kriegswaffen aber sehr wohl zum Töten entwickelt worden. Und die Waffenhersteller wissen, dass auch sie in der Öffentlichkeit verantwortlich gemacht werden können, wenn mexikanische Soldaten mit deutschen Gewehren unbewaffnete Studenten erschießen, wenn libysche Streitkräfte ihre Panzer mit deutschen Sattelschleppern in die Nähe von Rebellenstädten bringen oder wenn saudische Kampfjets, die teilweise in der Bundesrepublik produziert wurden, Aufständische im Jemen bombardieren.
Auch deswegen sprechen die Waffenschmieden ungern über Rüstungsexporte und so gut wie nie über den Einsatz ihrer Waffen im Krieg, bei der Niederschlagung von Aufständen oder gar bei Völkermorden. Auch die Bundesregierung, die jeden Rüstungsexport ins Ausland genehmigen muss, schweigt meist strikt zu diesem Thema. Sie behauptet, dass deutsche Waffen nicht in Spannungsgebiete geliefert werden und dass die Menschenrechte ein wichtiges Kriterium bei der Genehmigung von Rüstungsexporten sind. Ein Blick auf die Liste der Empfänger von deutschem Kriegsgerät zeigt, dass beides nicht stimmt: Pakistan, Irak, Saudi-Arabien, Südkorea, Bahrain und zahlreiche andere Länder, die in Spannungsgebieten liegen oder in denen Despoten sich mit brutalen Methoden an die Macht klammern, gehören zu den Kunden der deutschen Rüstungsindustrie.
Deutsche Rüstungskunden und die Menschenrechte
Alle Angaben mit Ausnahme der Waffeneinkäufe sind Negativwerte – umso höher der Wert in einem Index ausfällt, desto schlechter ist der Rang.
Den Waffenschmieden aus Kiel, Kassel, Düsseldorf, München oder Stuttgart ist es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, still und heimlich ihre Ausfuhren auszuweiten. Die Bundesrepublik gehört heute zu den größten Rüstungsexporteuren der Welt.
Die Rüstungsfirmen, die sich selbst als Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bezeichnen, betonen in der Öffentlichkeit, dass sie vor allem für die Bundeswehr und die Verbündeten Deutschlands produzieren. So war es auch gedacht, als mit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1955 das nach dem Zweiten Weltkrieg verhängte Verbot der Waffenproduktion aufgehoben wurde. Innerhalb von nicht einmal 60 Jahren gelang es den deutschen Herstellern von Kriegsmaterial, überall auf dem Globus Kunden zu gewinnen und im Panzer- und U-Bootbau sowie manch anderem Bereich zum Weltmarktführer aufzusteigen. Zu den wichtigsten Abnehmern deutscher Waffen gehören heute auch Südkorea, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien. Mehr als 70 Prozent der in Deutschland produzierten Rüstungsgüter gehen bereits ins Ausland.
Die Bundesregierung hat im Jahr 2010 insgesamt 16.145 Einzelanträge für die Ausfuhr von Rüstungsgütern genehmigt – auch unterentwickelte Staaten, Länder, in denen Bürgerkrieg herrscht und in denen Menschenrechte missachtet werden, waren unter den Empfängern. Über solche Kunden schweigen die Waffenhersteller meist. Die Firma Krauss-Maffei Wegmann etwa gibt gerne Auskunft darüber, wie ihre „geschützten Fahrzeuge“ das Leben von deutschen Soldaten in Afghanistan retten. Über die Verhandlungen mit Saudi-Arabien über die Lieferung von 270 bis zu 800 Leopard-Kampfpanzern an das Regime in Riad schweigt sich das Münchner Unternehmen allerdings aus.
Schon bei der Namensgebung für ihr Kriegsgerät sind die deutschen Rüstungsschmieden vorsichtig: Einen wuchtigen Kampfpanzer haben sie nach dem eleganten Raubtier Leopard benannt, den modernsten Schützenpanzer nach dem Puma. Die amerikanischen Firmen sind weniger sensibel und nennen eine ihrer bewaffneten Drohnen „Reaper“ – also Sensenmann. Die Rakete, die der „Sensenmann“ verschießt, trägt den Namen „Höllenfeuer“. Zwei unbewaffnete Drohnen, die eine deutsche Firma für die Bundeswehr herstellt, wurden hingegen Aladin und Luna getauft. Dank der sprachlichen Verniedlichung der tödlichen Produkte durch Waffenproduzenten und Militärs klingt der Krieg nicht mehr so brutal: Bomben, die ganze Häuserblocks in Schutt und Asche legen können, heißen Wirkmittel. U-Boote und Korvetten werden als „Solutions“ – Problemlösungen – bezeichnet. Und ein Anbieter von Panzerfäusten umschreibt seine Waffen als „maßgeschneiderte Produkte“.
Geheimhaltung und fehlende Transparenz führen dazu, dass in Deutschland über Rüstungsexporte kaum öffentlich diskutiert wird. Das könnte sich demnächst ändern. Eine Kampagne hat im Sommer 2012 ein „Kopfgeld“ auf die Eigner von Krauss-Maffei Wegmann ausgesetzt und damit für große Aufmerksamkeit gesorgt. Die Aktivisten stellen die Eigner des Panzerbauers an den digitalen Pranger, nennen Namen und Wohnort. Ihr Ziel ist es, einen Panzerexport nach Saudi-Arabien zu verhindern – auch mit umstrittenen Methoden.1 Die Opposition hat das Thema ebenfalls längst aufgegriffen. Grüne und Linkspartei wollen die deutschen Rüstungsexporte zum Thema im Bundestagswahlkampf 2013 machen. Was geht mich das Waffengeschäft an?, mag sich mancher Deutsche fragen. Doch auch in diesem Punkt bestimmt der Wähler mit. Denn die Bundesregierung, die 2013 gewählt wird, entscheidet über die Rüstungsexporte aus der Bundesrepublik.
Dieses Buch soll einen Beitrag zu einer Diskussion über deutsche Rüstungsexporte leisten, ohne die Waffenproduktion generell zu verteufeln. Auf Recherchereisen in Afghanistan hat der Autor es durchaus zu schätzen gelernt, dass die Bundeswehr über Fahrzeuge verfügt, in denen die Insassen vor Explosionen geschützt sind. In Saudi-Arabien und Pakistan hat er aber auch erfahren, wie problematisch mancher deutsche Rüstungsexport ist. Das Buch gibt einen Einblick in eine sehr spezielle Industriebranche. Es nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Welt der Waffen, eine Welt, in der ein Mittelständler aus der süddeutschen Provinz beim Aufbau einer Gewehrfabrik in Saudi-Arabien hilft, in der die Bundeswehr Hunderte Panzer an Schwellenländer verkauft, in der die Kanzlerin in Indien für den Kauf von Kampfjets wirbt – eine Welt, in der es kaum internationale Regeln gibt.
Unterwegs im afghanischen Unruhedistrikt Chahar Darrah: Deutsche Soldaten fahren in gepanzerten Wagen vom Typ Eagle und Dingo 2.
Transportpanzer für Algerien, Raketen für Indien, Beobachtungs- und Aufklärungssysteme für Malaysia, ein Gefechtsübungszentrum für Russland, U-Boote für Israel, gepanzerte Militärfahrzeuge für Australien, Bergepanzer für Kanada, Flugkörperwarnsysteme für Südkorea2 – 2010 und 2011 waren wieder einmal ausgezeichnete Jahre für die deutsche Rüstungsindustrie. Sie warb neue Großaufträge ein und exportierte Kriegsgerät im Wert von mehreren Milliarden Euro ins Ausland. Bei der Auswahl der Kunden zeigten sich die Waffenschmieden der Bundesrepublik nicht wählerisch. Unter den Abnehmern deutscher Rüstungsgüter waren Menschenrechte verletzende Monarchen, korrupte Präsidenten und die Opposition unterdrückende Diktatoren.
Seit mehr als einem Jahrzehnt liegt Deutschland auf Platz 3 der größten Rüstungsexportnationen, lediglich die Vereinigten Staaten und Russland verkaufen noch mehr Waffen ins Ausland. Von 2005 bis 2011 stammten 10 Prozent aller international exportierten Rüstungsgüter aus der Bundesrepublik. Die deutsche Rüstungsindustrie liefert ihre Produkte in die ganze Welt. Die Waffenhersteller von Flensburg bis zum Bodensee weiten ihre Auslandsgeschäfte zunehmend aus: 70 Prozent der in Deutschland hergestellten Rüstungsgüter gehen bereits in den Export. Die Zeiten, in denen die deutschen Rüstungshersteller vor allem für die Bundeswehr und die NATO-Partner produzierten, sind lange vorbei. Deren Nachfrage reiche für eine Auslastung der Unternehmen bei Weitem nicht mehr aus, sagen Vertreter der Rüstungsindustrie. Wichtige Kunden konnten in Asien und im Nahen Osten gewonnen werden: Pakistan, Singapur, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Oman, Katar und viele andere Staaten gehören zu den Abnehmern von Waffen „made in Germany“. Trotz Wirtschaftskrise, trotz einbrechender Börsenkurse und trotz sinkender Wehretats der NATO-Staaten sind Rüstungsexporte für deutsche Unternehmen ein Bombengeschäft.
Die wichtigsten Rüstungskunden der BRD
2006–2010 (Daten von Sipri)
Die größten Rüstungsexporteure
2007–2011 nach Sipri (Anteil am globalen Waffenhandel in Prozent)
Ein Ende dieses Trends ist nicht in Sicht. Beim Lesen der Tageszeitungen, beim Hören und Sehen der Radio- und Fernsehnachrichten zum Jahresbeginn 2012 dürfte mancher Rüstungsmanager erneut in Hochstimmung verfallen sein. In zahlreichen Medien wurde von Aufrüstungsplänen verschiedener Regierungen, von Milliardenausgaben für Militär und Waffen berichtet: Russland wolle seine Streitkräfte bis 2020 für rund 575 Milliarden Euro modernisieren. Neue Panzer sollen her, Fregatten und U-Boote. Die Vereinigten Arabischen Emirate suchten nach neuen Schützenpanzern, Indonesien nach Kampfpanzern. China werde bis 2015 seinen Verteidigungshaushalt verdoppeln. Die Regierungen von Japan und Malaysia prüften den Kauf neuer Kampfflugzeuge … Die Liste ließe sich noch lange weiterführen.
Im Jahr 2010 genehmigte die Bundesregierung den Export von Rüstungsgütern im Wert von 4,75 Milliarden Euro. Aktuellere Zahlen liegen bis Mitte 2012 nicht vor. Die Regierung, die jährlich einen Rüstungsexportbericht erstellen soll, präsentiert die Fakten zu den politisch brisanten Waffenexporten meist mit 12 bis 18 Monaten Verspätung. Im Dezember 2011 wurde zuletzt der Rüstungsexportbericht für 2010 veröffentlicht. Das geschah kurz vor der parlamentarischen Weihnachtspause, als das politische Berlin bereits in den Winterschlaf gefallen war.
Regierungssprecher Steffen Seibert verkündet am 7. Dezember 2011 vor der Bundespressekonferenz in Berlin einen Rückgang der Rüstungsausfuhren. Vor ihm sitzen Journalisten von Tageszeitungen, Nachrichtenagenturen, von Radio und Fernsehen. „Das Genehmigungsvolumen ging im Vergleich zum Vorjahr 2009 um 5,7 Prozent zurück“, sagt der Regierungssprecher, der früher die heute-Nachrichten im ZDF moderierte. Die genehmigten Rüstungsausfuhren hätten im Jahr 2009 noch bei rund fünf Milliarden Euro gelegen. Das klingt nach einer frohen Botschaft: Ein wenig Frieden vor dem Weihnachtsfest. Doch Seibert verschweigt zunächst die entscheidenden Zahlen. Erst nach hartnäckigem Nachfragen der Journalisten räumt er ein, dass der Export von Kriegswaffen deutlich angestiegen ist: 2010 verdienten die deutschen Firmen 2,12 Milliarden Euro mit dem Verkauf von Kriegswaffen wie Panzern, Gewehren, Granaten und Patrouillenbooten ins Ausland – 2009 waren es noch 1,34 Milliarden Euro. Zur Kategorie Rüstungsgüter hingegen zählen auch Radargeräte, Funkanlagen oder Elektronik. Solche Geräte brauchen Armeen auch zur Kriegsführung – sie sind aber nicht unmittelbar zum Töten von feindlichen Soldaten geeignet.
Die Väter und Mütter der Verfassung hatten nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs für die Bundesrepublik eine zurückhaltende Waffenproduktion vorgesehen. Im Grundgesetz heißt es in Artikel 26, Absatz, 2: „Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigungen der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden.“ Dazu zählen automatische Gewehre, Panzer, Granaten, Artillerie und anderes tödliches Gerät. Auch das Kriegswaffenkontrollgesetz schreibt vor, dass der Export derartiger Rüstungsgüter jeweils der Zustimmung der Bundesregierung bedarf. Damit trägt die Regierung für die Ausfuhr deutscher Waffen eine politische Verantwortung. Wenn Panzer, Maschinengewehre oder Hubschrauber von Herstellern aus der Bundesrepublik zu Menschenrechtsverletzungen, Massakern oder Militärputschen genutzt werden, gerät die Regierung in Deutschland leicht in die Kritik.
Auch deswegen schweigt die Regierung meist zu den von ihr genehmigten Waffenausfuhren. Die Entscheidungen über brisante Rüstungsexporte werden im geheim tagenden Bundessicherheitsrat von der Kanzlerin und acht weiteren Mitgliedern des Kabinetts getroffen.3 Was in diesem Gremium entschieden wird, dringt nur selten nach draußen. Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel weigert sich, aktuelle Waffenexporte zu bestätigen, bevor der Rüstungsexportbericht erschienen ist – nicht einmal im Kabinett wurde 2011 über den aktuellen Bericht diskutiert. „Der Rüstungsexportbericht stand auf der Tagesordnung des Kabinetts, aber unter den Punkten, die ohne Aussprache beschlossen werden“, teilte der Regierungssprecher mit.
Und der Bericht nennt lediglich bei Großwaffensystemen neben dem Empfängerland auch den Typ der gelieferten Kriegsgeräte. Bei Kleinwaffen wie Sturmgewehren und Granatwerfern, Munition und Teilen für Panzer oder gepanzerte Geländewagen schweigt der Rüstungsexportbericht sich über die konkrete Bezeichnung der gelieferten Waffen und deren Hersteller aus.4 2010 nennt der Bericht für das Empfängerland Saudi-Arabien unter anderem Flugkörper, Simulatoren, Leuchtmunition, Darstellungsmunition, Teile für Schnellboote und Patrouillenboote, Luftaufklärungssystem und Teile für Kampfflugzeuge, Tankflugzeuge, Triebwerke, Bordausrüstung, Munition für Gewehre, Maschinenpistolen und Militär-Lkw. Welchen Wert die einzelnen Ausfuhren hatten, wird nicht verraten.
Bei der Erfassung der Rüstungsgüterexporte bestehen in Deutschland große Lücken: Welche der genehmigten Ausfuhren wirklich stattfinden, weiß niemand. Die tatsächlichen Exporte von Rüstungsgütern werden statistisch nicht erfasst. Lediglich die Auslieferungen von Kriegswaffen wie Maschinengewehre, Korvetten oder Schützenpanzer werden beim Statistischen Bundesamt registriert.5
Die Ausfuhr von sogenannten Dual-Use-Gütern nennt der Rüstungsexportbericht nicht. Zu ihnen zählen beispielsweise Lastwagen, die sowohl von zivilen Kunden als auch vom Militär genutzt werden, oder Motoren, die Landmaschinen wie Schützenpanzer antreiben können. Für den Kriegseinsatz eignen sich Dual-Use-Güter dennoch. So sollen georgische Truppen 2008 im Krieg gegen Russland mit Raketenwerfern gekämpft haben, die auf Lastwagen vom Typ Mercedes Actros 3341 montiert waren. Ohne die Fahrzeuge aus Deutschland hätten die Georgier ihre Geschütze nicht an die Front bringen können. Die Raketenwerfer vom Typ LAR-160 stammen nach Recherchen des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) aus Israel. Sie werden von Israel Military Industries (IMI) hergestellt und können von Deutschland geächtete Streumunition verschießen – was Georgien im Krieg gegen Russland auch tat. Die IMI bietet ihren Raketenwerfer auf Mercedes-Trucks weltweit zum Kauf an.6
Die Bundesregierung stellte auf parlamentarische Nachfragen zum Kriegseinsatz der Mercedes-Laster lediglich fest: Diese Fahrzeuge stünden weder auf den internationalen Güterkontrolllisten noch auf den deutschen Listen für Rüstungsgüter: „Derartige Lkw sind überall auf der Welt im Nutzfahrzeughandel erhältlich.“7 Dem Export steht also nichts im Weg.
„Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass es gänzlich außerhalb unserer Kontrolle und Verantwortung ist, welche Verkäufe insbesondere gebrauchter Fahrzeuge über Dritte getätigt werden oder welche Aufbauten über Dritte auf Mercedes-Benz Lkw Chassis montiert werden“, teilt Daimler mit. „Daimler stellt seine Fahrzeuge prinzipiell im Baukastensystem her. Dies bedeutet, dass jedes Grundbaumuster für zivilen Zweck und Einsatz konzipiert wird. Erst durch militärische Sonderausstattungen bzw. Panzerungen kommen die Fahrzeuge in die Genehmigungspflicht.“
Daimler zählt mit seinen Lastwagen und Jeeps in der Welt der Waffen zu den bekannten Marken. Dennoch wird der Name Daimler in der Öffentlichkeit kaum mit der Rüstungsproduktion in Verbindung gebracht. Und auch der Konzern selbst sieht sich als Automobilunternehmen, das auch militärische Nutzfahrzeuge herstellt, „aber keine bewaffneten“, heißt es bei Daimler. „Eine mögliche Schutzausführung dient dem Schutz der Insassen und ist per se nicht aggressiv oder offensiv.“
Vergessen wird oft auch, dass dem Konzern mit dem Stern mehr als ein Viertel von Europas zweitgrößtem Rüstungshersteller gehört, der European Aeronautic Defence and Space Company – besser bekannt unter ihrem Kürzel EADS.8 Der Konzern hat seine Zentrale in den Niederlanden, produziert aber auch in Bayern und Baden-Württemberg. Bei der Gründung des europäischen Konzerns brachte Daimler seine Tochter DASA, die DaimlerChrysler Aerospace AG, ein. Die DASA war an verschiedenen Rüstungsprojekten der Bundeswehr maßgeblich beteiligt, unter anderem am „System Infanterist“, ein Programm für den Soldaten der Zukunft.9
Stern am Hindukusch: Ein Wolf-Jeep von Mercedes-Benz steht in Kabul im Camp Warehouse bereit für den nächsten Einsatz.
Die Organisation Kritische Aktionäre Daimler bezeichnet den Autobauer als größten Rüstungskonzern Deutschlands. Sie kritisiert, dass die Truppen des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi im Krieg gegen die Rebellen 2011 über Lastwagen und Unimog-Fahrzeuge von Daimler verfügten.10 Nach Angaben der Kritischen Aktionäre verkaufte Daimler seine Militärfahrzeuge außerdem auch an Ägypten, Algerien, Angola, den Irak, Kuwait, Marokko, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate.11 Gleich in mehreren dieser Staaten kam es während des „Arabischen Frühlings“ zu Protesten gegen die Despoten an der Staatsspitze. Demonstranten wurden von Sicherheitskräften misshandelt und getötet. Dabei wurden auch Waffen aus Europa – und aus Deutschland – eingesetzt.
Über EADS und dessen deutsche Rüstungstochter Cassidian verdient Daimler auch an Rüstungsgeschäften mit autokratischen Regimen mit. Cassidian verkauft seine Überwachungstechnik weltweit – auch nach Saudi-Arabien. Dort errichtet die EADS-Tochter eine gewaltige Grenzanlage mit Boden-Überwachungsradar, Hochleistungskameras und Sensoren.12 Ein Milliardenauftrag. „Bei diesem international stark umkämpften Vertrag, der in den kommenden fünf Jahren abgewickelt wird, handelt es sich um das weltweit größte Projekt, das jemals als Gesamtlösung vergeben wurde“, teilt EADS stolz mit.13
Selten bekennt sich ein Rüstungsunternehmen so offen zu einem Deal. Transparenz gibt es bei Rüstungsexporten nicht. Verlässliche, aktuelle Zahlen bieten weder die Vereinten Nationen noch die Europäische Union und auch nicht die Bundesregierung.14 Die UN haben versucht, für mehr Offenheit zu sorgen. Sie betreiben ein Register über den Handel mit Großwaffensystemen wie Kriegsschiffen, Jets und Haubitzen. Die Begeisterung der Staatenwelt für das Register hält sich jedoch in Grenzen.15 Saudi-Arabien und andere Kunden der deutschen Rüstungsindustrie boykottieren das Waffenregister.16 Lediglich 72 Staaten reichten 2009 Berichte über ihre Rüstungstransfers ein.17 Darunter war auch die Bundesrepublik. Die Daten zu deutschen Waffenausfuhren stellt sie aber meistens – wie beim Rüstungsexportbericht auch – mit großer zeitlicher Verzögerung bereit. In Deutschland informiert die Regierung die Öffentlichkeit über einzelne Rüstungsexporte erst, wenn diese bereits von Journalisten oder Aktivisten der Friedensbewegung enthüllt wurden. Das Verschweigen geht so weit, dass nicht einmal die Abgeordneten des Bundestages von der Regierung über anstehende Rüstungsexporte informiert werden. Dass dies anders geht, zeigen zwei Beispiele aus befreundeten Staaten: In den Vereinigten Staaten muss der Kongress jedem Rüstungsdeal bei Kleinwaffen ab einer Höhe von einer Million Dollar zustimmen – und bei schweren Waffen in Höhe von 14 Millionen an Staaten außerhalb der NATO. In Großbritannien werden die Parlamentarier jedes Quartal über genehmigte Waffenausfuhren informiert. In Deutschland weigert sich die Regierung, die zuständigen Bundestagsausschüsse über aktuelle Genehmigungen zu unterrichten und wird auch deshalb derzeit von drei Parlamentariern der Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verklagt.18
Umso wichtiger sind die jährlichen Berichte des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri). Die Wissenschaftler aus Schweden sorgen für ein wenig Transparenz in der verschwiegenen Welt der Waffen. Sipri, 1966 vom schwedischen Staat als unabhängiges Forschungsinstitut gegründet, hat international einen hervorragenden Ruf. Dessen Statistiken führen die Bundesrepublik seit Jahren unter den größten Rüstungsexporteuren der Welt.19 Die deutsche Ausfuhr von Kriegsmaterial stieg laut Sipri zwischen 2007 und 2011 im Vergleich zu den vorherigen fünf Jahren um 37 Prozent an. Mehr als die Hälfte aller deutschen Waffenausfuhren gingen an Länder außerhalb Europas.20
Andere Studien bestätigen Deutschlands dauerhaften Aufstieg in die Champions League der Rüstungsexporteure. Auch der renommierte Bericht „Conventional Arms Transfers to Developing Nations“, der vom amerikanischen Kongress veröffentlicht wird, sieht die Bundesrepublik und die dort ansässigen Rüstungsunternehmen auf dem dritten Rang.21 Die Bundesregierung beteuert dennoch, dass Deutschland für restriktive Rüstungsausfuhren stehe und stets verantwortungsvoll agiere.22 „Wir werden uns dafür einsetzen, den Abschluss neuer Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen international zu unterstützen“ – so steht es im 2009 geschlossenen Koalitionsvertrag von Union und FDP. Und weiter: „Abrüstung und Rüstungskontrolle verstehen wir nicht als einen Verlust an Sicherheit, sondern als zentralen Baustein einer globalen Sicherheitsarchitektur der Zukunft. Wir wollen die Chance nutzen, den globalen Trend neuer Aufrüstungsspiralen umzukehren und wieder in eine Phase substanzieller Fortschritte auf den Gebieten der Abrüstung und der Rüstungskontrolle eintreten.“23 Dennoch nehmen die deutschen Waffenausfuhren in Konfliktgebiete zu.
An welche Staaten deutsche Rüstungsfirmen ihre Waffen liefern, zeigt seit Ende 2011 eine digitale Karte im Internet. Die Bundeszentrale für politische Bildung und die Rüstungsexperten vom Internationalen Institut für Konversion in Bonn (BICC) haben gemeinsam das Informationsportal „Krieg und Frieden“ online gestellt, um Informationslücken zu schließen.24 Dicke blaue Kreise zieren überall auf der Welt die Empfängerländer deutscher Rüstungsgüter – auch Staaten in Nordafrika, im Nahen Osten und Südostasien. Je mehr deutsche Rüstungsgüter an ein Empfängerland ausgeführt wurden, desto dunkler ist der Blauton, desto größer ist der Kreis. Ein besonders intensives Blau weist die Region des Nahen Ostens auf.
Vor zehn Jahren sah die deutsche Rüstungsexportpolitik noch ganz anders aus. Damals stellte Bernhard Moltmann, einer der bedeutendsten deutschen Rüstungsexperten und Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung fest: „Eine vergleichsweise zurückhaltende Rüstungsexportpolitik gehört zu den Konstanten deutscher Friedenspolitik und zur Normalität außenpolitischer Präsenz. Es besteht kein Anlass, dies aufzugeben. Doch wächst in der politischen Öffentlichkeit der Verdacht, dass dieser Konsens schleichend demontiert wird.“25 Zurückhaltend können die deutschen Waffenexporte heute nicht mehr genannt werden. Rüstungsgeschäfte, die vor wenigen Jahren noch unmöglich erschienen, werden heute von der Bundesregierung genehmigt. Staaten, die in Krisen- und Kriegsregionen liegen, erhalten schwere Waffensysteme aus Deutschland. Selbst der Export von Kampfpanzern an autokratische Regime ist kein Tabu mehr.
Im Sommer 2011 deckte das Nachrichtenmagazin Spiegel auf, dass die Bundesregierung eine Voranfrage von Krauss-Maffei Wegmann für die Ausfuhr von Kampfpanzern nach Saudi-Arabien positiv beantwortet hat. Dieser Fall bescherte dem Thema Waffenausfuhren eine ungewohnte Aufmerksamkeit. Weder der Bundesregierung noch der Rüstungsindustrie dürfte das gefallen haben. Minister und Manager versichern immer wieder, die deutsche Rüstungsexportpolitik sei verantwortungsbewusst und restriktiv. Die Rüstungsgeschäfte mit dem Empfängerland Saudi-Arabien widersprechen dieser Behauptung ganz offenkundig. Das Auswärtige Amt stuft die Menschenrechtslage in dem Königreich als schlecht ein, berichtet von öffentlichen Auspeitschungen, Haftstrafen für politische Gegner, Unterdrückung von Frauen und Anhängern anderer Religionen.26 Die „Politischen Richtlinien zu Rüstungsexporten“ der Bundesregierung schließen Exporte an totalitäre Regime wie Saudi-Arabien eigentlich aus: „Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodexes für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden.“27 Dennoch genehmigte die Bundesregierung im Jahr 2009 Rüstungsausfuhren im Wert von 168 Millionen Euro nach Saudi-Arabien und 2010 von 152,5 Millionen.28 Wie so oft in der Welt des Waffenhandels passen Ankündigungen und Wirklichkeit einfach nicht zusammen.
Die veränderte Rüstungsexportpolitik unter Kanzlerin Merkel stößt auf Kritik bei einem ihrer Vorgänger – vor allem die genehmigte Ausfuhr der Panzer nach Saudi-Arabien. „Ich hätte das nicht getan“, sagt Altkanzler Helmut Schmidt. Er hält die Abkehr von der restriktiven deutschen Waffenexportpolitik für einen Fehler. 1981 hatte Schmidt die Saudis, die Leopard-2-Kampfpanzer kaufen wollten, zunächst hingehalten und dann das Geschäft nicht genehmigt.
Der Altkanzler erklärt, er sei während seiner Amtszeit dem Grundsatz gefolgt, Waffen nur an Verbündete zu liefern.29
Dieser Grundsatz war über Jahrzehnte hinweg Konsens in der deutschen Politik, zu den „Partnern“ zählten aber auch Israel, Südafrika während der Apartheid oder südamerikanische Militärdiktaturen, kritisierten Menschenrechtsgruppen. Dennoch stellte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) noch in ihrem Rüstungsexportbericht 2001 fest: „Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg eine vergleichsweise zurückhaltende Rüstungsexportpolitik verfolgt, gestützt auf entsprechende Vorschriften des Grundgesetzes und daraus folgender Gesetze.“ In den folgenden Jahren änderte sich die deutsche Rüstungsexportpolitik deutlich. Die GKKE, in der verschiedene Forschungseinrichtungen und kirchliche Gruppen zusammenarbeiten, bekam beim Erstellen des alternativen Rüstungsexportberichts immer mehr zu tun. Die GKKE kritisiert zehn Jahre später, in ihrem Bericht für das Jahr 2011, einen Wandel der deutschen Rüstungsexportpolitik und die Zunahmen der Ausfuhren an Schwellen- und Entwicklungsländer.30
Bereits 1999 hatte Helmut Schmidt festgestellt, dass Entwicklungsländer jedes Jahr durchschnittlich für militärische Zwecke sechsmal so viel ausgeben, wie sie an Hilfszahlungen empfangen. Der Altkanzler wies darauf hin, dass Deutschland wegen der Verkäufe von alten Waffen aus Beständen der DDR zu einem der größten Hauptlieferanten von Rüstungsgütern aufgestiegen ist. Er prophezeite: Auch wenn alle Altbestände verkauft seien, werde Deutschland ein wichtiger Lieferant von Rüstungsgütern bleiben.31 Schmidt sollte recht behalten.
Längst sind neue Absatzmärkte für deutsches Kriegsgerät in Südamerika, Südasien und vor allem im Nahen Osten entstanden. Auf Rüstungsmessen in Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten bieten deutsche Rüstungsmanager ihre Produkte feil, führen Panzer und Kampfflugzeuge vor. „Wir versuchen, in der aktuellen Krise auch auf neue Märkte vorzudringen, um uns breiter aufzustellen“, sagte der Chef von Krauss-Maffei Wegmann, Frank Haun, dem Handelsblatt. „Sonst sind wir langfristig nicht mehr in der Lage, so viel Geld in unsere Entwicklung zu stecken, um das gewünschte hohe technologische Niveau zu halten.“32
Die Länder mit den höchsten Militärausgaben
in Mrd. $ (nach Schätzungen von Sipri)
Sehr erfolgreich auf dem Weltmarkt sind die Panzerbauer Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann. Gemeinsam stellen sie den Leopard 2 her und so manchen anderen deutschen Exportschlager. „Der Leopard 2 ist der leistungsfähigste Kampfpanzer der Welt und zugleich das Waffensystem mit der größten internationalen Verbreitung“, wirbt Rheinmetall. Der Konzern aus Düsseldorf ist nach Umsatz das größte deutsche Rüstungsunternehmen. Dessen Sparte Defence erhöhte den Umsatz im Jahr 2011 um 7 Prozent auf 2,14 Milliarden Euro. Für mehr als 4,5 Milliarden warb die Sparte neue Aufträge ein.33 2012 will Rheinmetall nach Presseberichten sein zweites Standbein, die profitable Autozulieferersparte, an die Börse bringen, um mit den Einnahmen das Rüstungsgeschäft weiter zu internationalisieren. In den vergangenen Jahren hat das Unternehmen unter anderem Firmen in Südafrika und den Golfstaaten gekauft oder gegründet, um neue Märkte zu erschließen.
Zu den Großen im internationalen Rüstungsgeschäft zählt ebenfalls ThyssenKrupp Marine Systems. Dessen Schiffbaubetriebe, vor allem die Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) in Kiel mit ihren U-Booten und Blohm + Voss Naval in Hamburg mit den Fregatten sind international gefragte Anbieter. Ein umstrittenes Gedicht von Günter Grass über Israels und Irans atomare Bewaffnung lenkte im April 2012 die Aufmerksamkeit auf ein besonders heikles Rüstungsgeschäft von HDW.34 Die Werft beliefert Israel mit Hightech-Waffensystemen. Rüstungsexperten und mancher Politiker der Opposition befürchten, dass Israel die in Kiel gekauften U-Boote mit nuklearen Marschflugkörpern bestücken will.35