Böse Buben küsst man nicht - Janet Evanovich - E-Book

Böse Buben küsst man nicht E-Book

Janet Evanovich

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Beschreibung

Zum zweiten Mal müssen sich die smarte Agentin Kate O’Hare und der charmante Trickdieb Nick Fox für einen Auftrag vom FBI zusammenraufen. Dieses Mal haben sie es mit einem bronzenen Hahnenkopf im Wert von 20 Millionen Dollar zu tun. Der stammt aus der Qing-Dynastie und wurde dem Smithsonian Museum als Leihgabe überlassen. Nun verlangt China den Hahnenkopf zurück. Das Problem: Der kostbare Kopf wurde leider zwischenzeitlich gestohlen und durch eine Fälschung ersetzt. Den Diebstahl hat man geflissentlich vertuscht. Jetzt sollen Kate und Nick das Original schleunigst wieder herbeischaffen – und zwar ohne dabei den Kopf zu verlieren ...

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Buch

Zum zweiten Mal müssen sich die smarte Agentin Kate O’Hare und der charmante Trickdieb Nick Fox für einen Auftrag vom FBI zusammenraufen. Dieses Mal haben sie es mit einem bronzenen Hahnenkopf im Wert von zwanzig Millionen Dollar zu tun. Der stammt aus der Qing-Dynastie und wurde dem Smithsonian Museum als Leihgabe überlassen. Nun verlangt China den Hahnenkopf zurück. Das Problem: Der kostbare Kopf wurde leider zwischenzeitlich gestohlen und durch eine Fälschung ersetzt. Den Diebstahl hat man geflissentlich vertuscht. Jetzt sollen Kate und Nick das Original schleunigst wieder herbeischaffen – und zwar ohne dabei den Kopf zu verlieren …

Weitere Informationen zu den Autoren sowie zu lieferbaren Titeln

finden Sie am Ende des Buches.

JANET EVANOVICH

mit Lee Goldberg

Böse Buben

küsst man nicht

Ein Fall für Kate O’Hare

Band 2

Übersetzt

von Ulrike Laszlo

Die Originalausgabe erschien 2014

unter dem Titel »The Chase« bei Bantam Books,

an imprint of the Random House Publishing Group,

a division of Random House, Inc., New York.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2015

Copyright © der Originalausgabe

2014 by Janet Evanovich and Lee Goldberg

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

This translation is published by arrangement with Bantam Books,

an imprint of the Random House Publishing Group,

a division of Random House, Inc., New York.

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Friederike Arnold

LT · Herstellung: Str.

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN 978-3-641-12549-3

www.goldmann-verlag.de

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1

Die Bombe explodierte um zehn Uhr an einem warmen Sonntagvormittag in der First Sunland Bank im Geschäftsviertel von Los Angeles und löste im Umkreis von einer Meile in allen parkenden Autos und Gebäuden Alarm aus.

Die Bank lag im Erdgeschoss eines Büroturms an der Nordseite des Wilshire Boulevard, in der Mitte zwischen der Flower Street im Osten und der Figueroa Street im Westen, direkt im Herzen des Finanzdistrikts.

Das Polizeipräsidium Los Angeles befand sich nur wenige Blocks entfernt. Ein Bombenentschärfungskommando, ein SWAT-Team und eine Menge Streifenpolizisten waren daher schon vor Ort, kurz nachdem Glasscherben und Mörtelbrocken auf die Straßen niedergeprasselt waren und der Staub sich langsam nach unten senkte.

Zehn Minuten später erhielt FBI Special Agent Kate O’Hare einen Anruf von Agent Seth Ryerson. Sie hatte sich gerade in West Los Angeles bei einem McDonald’s-Drive-in etwas zu essen besorgt.

»Bei einer Bank in der Innenstadt ist eine Bombe hochgegangen«, sagte Ryerson. »Einsatz für uns.«

»Wurde jemand verletzt?« Kate klemmte den Colabecher zwischen ihre Beine und stellte die Tüte mit den zwei warmen Burgern mit Speck, Ei und Käse auf den Beifahrersitz.

»Nein. Die Bank war geschlossen, und das Finanzviertel gleicht an Sonntagen einer Geisterstadt.«

»Ich bin in zwei Minuten bei dir.«

Kate brauste den Wilshire Boulevard entlang. Das FBI-Gebäude lag nur ein paar Blocks entfernt in Westwood, hinter der Brücke, die über den San Diego Freeway führte.

Ryerson wartete bereits auf dem Gehsteig auf sie. Er trug ein blaues Anzughemd mit rot gestreifter Krawatte und darüber eine FBI-Windjacke. Der große blasse Mann war Anfang dreißig und hatte bereits eine Stirnglatze. Kate war aufgefallen, dass er sein Gewichtstraining umso intensiver betrieb, je schneller er sein Haar verlor. Schon bald würde aus ihm ein Glatzkopf mit extrem muskulösen Oberarmen werden.

Kate war im gleichen Alter wie Ryerson, aber weit weniger um ihren Haarwuchs besorgt. Erstens hatte sie einen dichten Schopf, und zweitens war ihr das schnurzegal. Ihr schulterlanges kastanienbraunes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihr schlanker, durchtrainierter Körper steckte, passend zu ihrem Beruf, in einem taubengrauen Hosenanzug. Die Jacke trug sie offen, um jederzeit nach ihrer Glock-Neun-Millimeter greifen zu können. Kate hatte früher einer Spezialeinheit angehört, glaubte an Recht und Gesetz, Gott und ihr Land, und ging davon aus, dass sie noch niemals aus eigenem Verschulden die Kontrolle über ihre beruflichen Aufgaben und ihr Leben verloren hatte.

Ryerson machte die Beifahrertür auf, nahm die McDonald’s-Tüte vom Sitz und wischte vorsichtshalber mit der Hand darüber, bevor er in den Wagen stieg.

Kate legte eine verbotene Kehrtwendung auf dem Wilshire Boulevard hin und bog wenige Minuten später scharf auf den San Diego Freeway in Richtung Süden ab. Als sie auf die Auffahrt zum Santa Monica Freeway zusteuerte, sah sie, dass der Verkehr sich hinter einem völlig verrosteten LKW staute. Das überladene Fahrzeug hatte einige Holzkisten verloren, die sich nun über drei Spuren verteilten.

»Kein Grund zur Eile.« Nervös zog Ryerson seinen Sicherheitsgurt zurecht. Offensichtlich saß eine unberechenbare Raserin hinter dem Steuer. »Wir sollen nur für alle Fälle dabei sein. Die Polizei hat inzwischen sicher bereits alles abgesperrt.«

»Eine Bank in die Luft zu jagen verstößt gegen das Gesetz.«

»Stimmt, aber dass wir hinzugezogen werden, ist reine Formsache. Wir fahren nur hin, weil wir an diesem Wochenende Bereitschaftsdienst haben. Morgen früh werden sich andere darum kümmern, und du kannst wieder Nick Fox jagen.«

Kate verdrehte im Geiste ihre großen blauen Augen. Wenn Ryerson wüsste! Sie würde Nick nicht erst am nächsten Morgen verfolgen. Dieser Anschlag auf die Bank war nur ein Trick. Ein Schwindel. Eine gigantische Verschwendung von Steuergeldern und der Zeit von weiß der Himmel wie vielen Polizisten. Und sie hing in der Sache mit drin! Bei dem bloßen Gedanken daran krampfte sich ihr Magen zusammen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie versucht, das Richtige zu tun und das Gesetz zu achten. Und nun steckte sie in diesem verwirrenden Schlamassel. Das war alles Nick Fox’ Schuld.

»Ich hasse ihn«, stieß Kate hervor.

»Wen?«

»Nick Fox. Ich wünschte, ich wäre ihm nie begegnet. Am liebsten hätte ich nie von ihm gehört.«

Ryerson verdrehte die Augen. »Du bist doch total besessen von ihm. Seit fünf Jahren jagst du ihn, und einmal hast du ihn sogar geschnappt. Du bist praktisch mit ihm verheiratet.«

Sie scherte auf den Seitenstreifen aus und raste links die schmale Spur an dem stehenden Verkehr vorbei. Direkt vor ihnen tauchte eine große Holzkiste auf. Kate packte das Lenkrad fester und gab Vollgas. Ryerson stützte sich mit einer Hand am Armaturenbrett ab und drehte den Kopf zur Seite, als würde ihn das retten, falls die Windschutzscheibe zerbarst.

Kurz vor dem Aufprall riss Kate das Steuer herum und streifte die Holzkiste so heftig, dass sie gegen die Leitplanke knallte. Geschickt wich sie den anderen Kisten aus, überholte den Laster und schwenkte zurück auf die Überholspur. Dabei schnitt sie einen Bus, der von der Beifahrerseite nur wenige Zentimeter entfernt war. Ryerson stieß unwillkürlich einen Angstschrei aus, was Kate eine gewisse Befriedigung verschaffte.

Normalerweise brauchte man von Westwood in das Stadtzentrum von Los Angeles eine Stunde. Kate hielt den Fuß jedoch fest auf das Gaspedal gedrückt und schlängelte sich in atemberaubender Geschwindigkeit durch den Verkehr. Nach zwanzig Minuten war sie am Ziel angelangt und hatte es sogar geschafft, während der Fahrt noch einen Burger zu verdrücken.

Die Fenster der Bank waren zersplittert, und Steinbrocken bedeckten die Straße. Man konnte weder Flammen noch Rauch sehen, nur einige Staubwolken, die vom Wind in die Luft gewirbelt wurden. Um das Gebäude hatten sich die Mitglieder eines SWAT-Teams postiert.

Kate parkte neben den Streifenwagen, die die Kommandozentrale bildeten. Sie stieg aus dem Wagen und ging auf einen hochgewachsenen gut gebauten Officer mit markantem Kinn zu. Der etwa Fünfzigjährige beugte sich über eine auf der Motorhaube seines Wagens ausgebreitete Karte. Er trug eine schusssichere Weste über einem gestärkten weißen Hemd und eine rot-weiß-blau gestreifte Krawatte. Auf dem aufgenähten Abzeichen stand »CAPTAINMAIBAUM«.

»Ich bin FBI Special Agent Kate O’Hare, und das ist Special Agent Seth Ryerson«, stellte Kate sich und ihren Kollegen vor. »Was ist hier los?«

»Ich weiß es noch nicht. Das Bombenentschärfungskommando hat einen Roboter mit einer Kamera in die Bank gebracht. Überall liegen Trümmer, aber der vordere Tresen scheint nicht beschädigt zu sein, und der Safe ist sichergestellt. Falls es jemand auf Bargeld abgesehen hatte, hat er die Sache gründlich vermasselt.«

»Wie blöd muss man denn sein, eine Bank zu überfallen, die nur drei Häuserblocks vom Polizeipräsidium entfernt liegt«, meinte Ryerson.

Maibaum zuckte mit den Schultern. »Es könnte sich um einen frustrierten Angestellten oder einen unzufriedenen Kunden handeln, der mit dieser Bombe seinem Ärger Ausdruck verleihen wollte. Vielleicht wartet irgendein Verrückter darauf, dass ich meine Männer in ein mit Sprengladungen verseuchtes Gebäude schicke, um sie alle in die Luft zu jagen.«

Kate nickte. Sie wusste, dass er damit falschlag, aber sie hielt den Mund.

»Ich lasse niemanden in die Nähe des Gebäudes, bis mir das Bombenkommando grünes Licht gibt«, fügte Maibaum hinzu.

»Gut, dann werden wir hier nicht länger im Weg herumstehen.«

Kate ging zur Straßenmitte und sah nach links und nach rechts. Die Straße war an beiden Enden von Streifenwagen blockiert. Dazwischen lagen Bürogebäude mit Banken, Restaurants und einige Ladengeschäften, alle an diesem Tag geschlossen.

»Captain Maibaum«, rief Kate über ihre Schulter. »Hat die Explosion die Alarmanlagen in anderen Gebäuden in der Gegend ausgelöst?«

»Ja«, bestätigte er laut. »Überall in der Straße gingen die Sirenen los.«

»Und gab es Reaktionen darauf?«

»Ich habe einige Männer von privaten Sicherheitsfirmen gesehen, aber keiner hat uns um Hilfe gebeten.«

Kate drehte sich zu Ryerson um. »Wie viele Banken gibt es deiner Schätzung nach in diesem und dem nächsten Block?«

Ryersons Augen weiteten sich, als ihm dämmerte, woran sie dachte. »Zu viele.«

Vor Kate befand sich eine schmale Gasse, die zur Seventh Street führte. Dort lag eine Zweigstelle der Westgate Bank, vor der ein offensichtlich leerer Streifenwagen parkte. Ein Polizist in Uniform schlenderte mit einer prall gefüllten Sporttasche aus der Bank.

Kate ging rasch auf ihn zu. »Entschuldigen Sie, Officer«, rief sie und hielt ihre Dienstmarke in die Höhe. »FBI. Können wir Sie kurz sprechen?«

Der Polizist ignorierte sie, machte die Fahrertür auf und warf lässig die Tasche in das Wageninnere.

Kate zog ihre Glock. »Stehen bleiben!«

Ryerson packte sie am Handgelenk und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Hubschrauber über ihnen. »Bist du verrückt geworden? Das wird live im Fernsehen übertragen. Du kannst doch deine Waffe nicht auf einen Cop richten.«

Der Officer stieg in den Streifenwagen. Einen Fuß noch auf der Straße, drehte er sich zu Kate um. Er schob seine Sonnenbrille ein Stück tiefer auf die Nase und grinste sie an, als wäre sie Rotkäppchen und er der große böse Wolf.

Kate verzog das Gesicht. »Das ist kein Cop – das ist Nick Fox.«

Nick warf Kate eine Kusshand zu und brauste in dem Streifenwagen davon.

Meine Güte, dachte Kate. Was für ein Aufschneider … Aber sehr sexy. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihm den Hals umzudrehen, und dem Verlangen, sich an ihn zu schmiegen. Sie wirbelte herum und rannte zu ihrem Wagen, dicht gefolgt von Ryerson. Er hatte sich kaum auf den Beifahrersitz geworfen, als sie aufs Gaspedal stieg und lospreschte. Sie schnitt die Rechtskurve, als sie in die Gasse fuhr, so scharf, dass sie den Spiegel auf der Beifahrerseite an der Ecke der Hausmauer abmähte.

»Bist du dir sicher, dass das Nick Fox ist?« Ryerson schnallte sich hastig an.

»Oh ja. Ganz sicher.«

Vor allem da er ihr vor zwei Tagen seinen Plan eröffnet hatte. Und nun konnte sie Beihilfe bei einem Bankraub auf der Liste ihrer abscheulichen Verbrechen hinzufügen! Sie könnte in die Kirche gehen und Gott um Verzeihung bitten, aber dieser Zug war schon längst abgefahren.

»Du hast doch nur einen flüchtigen Blick auf ihn werfen können«, wandte Ryerson ein.

»Ihn würde ich auch im Dunkeln aus einer Meile Entfernung unter Wasser erkennen.«

Wie sollte es auch anders sein? Nick war etwa eins achtzig groß, hatte weiches braunes Haar und ein jungenhaftes Grinsen, das seine leichten Lachfältchen um die Augen zur Geltung brachte. Sein Körper war so durchtrainiert wie der eines Tennisprofis. Schlank und muskulös. Ein Mann, an den sie sich nachts gern gekuschelt hätte, wäre er nicht ein solcher Mistkerl. Nick war ein verdammter Verbrecher. Ein Hochstapler und Betrüger. Und das machte ihm großen Spaß!

Sie bog mit quietschenden Reifen in die Seventh Street ein. Nicks Streifenwagen war nicht zu sehen, also gab sie wieder Gas und fuhr nach rechts auf die Flower Street, eine Einbahnstraße, die nach Süden führte. Und da war er, einen Häuserblock vor ihnen. Er hatte Blinklicht und Sirene angestellt, und die wenigen Wagen auf der Flower Street wichen ihm hektisch aus.

Ryerson beugte sich vor und warf einen Blick zum Himmel. »Ein Polizeihubschrauber kreist direkt über ihm, und die Bilder werden auf jedem Fernsehsender in der Stadt ausgestrahlt. Du kannst also einen Gang runterschalten.«

Kate kniff die Augen zusammen. »Das glaube ich nicht.«

Nick bog nach rechts auf die Eighth Street ab, schwenkte rasch nach links und fuhr in verkehrter Richtung in die Einbahnstraße Figueroa Street. Mit atemberaubender Geschwindigkeit schlängelte er sich auf der vierspurigen Straße durch den Gegenverkehr. Kate blieb ihm dicht auf den Fersen. Fluchend stützte Ryerson sich am Armaturenbrett ab, während Kate nur knapp einen Frontalzusammenstoß nach dem anderen entging.

Vor ihnen tauchte das Los-Angeles-Kongresszentrum auf. Auf einem quer über die Kreuzung gespannten Transparent war das Raumschiff Enterprise abgebildet. Darunter wurden die Besucher zum »WORLDSTARCON – DASULTIMATIVEERLEBNISFÜRTREKKIES« willkommen geheißen.

Nick riss das Steuer nach rechts herum, durchbrach am Eingang die Holzschranke vor dem Parkplatz und brachte den Streifenwagen schlitternd vor der Kongresshalle zum Stehen. Er sprang heraus und lief in das Gebäude.

Kate bremste hinter Nicks Fahrzeug ab. Sie und Ryerson rannten hinter Nick her, doch kaum waren sie durch die Eingangstür gestürmt, blieben sie abrupt stehen. Vor ihnen lag eine Ausstellungsfläche von etwa siebenundsechzigtausend Quadratmetern, auf der sich Tausende Offiziere der Sternenflotte, klingonische Krieger, romulanische Zenturionen, andorianische Botschafter und Ferengi-Händler drängten.

»Wie sollen wir ihn denn hier finden?«, fragte Ryerson.

»Das ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit«, erwiderte Kate.

Ryerson hatte Schwierigkeiten, diese harte Wahrheit zu verdauen. Kate stürzte sich in das Getümmel, während er an der Tür die Stellung hielt. Ein vulkanischer Wissenschaftsoffizier in einem blauen Velourshirt kam auf Ryerson zu. Als der spitzohrige Außerirdische an ihm vorbeiging, hob er die rechte Hand zu dem traditionellen Gruß der Vulkanier.

»Lebe lang und in Frieden.«

Ryerson verdrehte die Augen, während Nick Fox, der letzte auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher, lässig zur Tür hinausschlenderte.

2

Ryerson blieb im Kongresszentrum, um mit der Polizei von Los Angeles die Suche nach Nick zu koordinieren. Kate konfiszierte indessen Nicks Sporttasche aus dem Streifenwagen als Beweisstück und erstattete beim FBI Bericht. Nach zehn Minuten hatte sie den Schreibkram erledigt, und als ihr Vater sie anrief, befand sie sich bereits auf dem Pacific Coast Highway auf dem Weg nach Malibu.

»Das war eine tolle Verfolgungsjagd«, erklärte Jake O’Hare. »Allerdings wäre es mir lieber gewesen, du hättest sie bis nach dem US Open aufschieben können. Alle Sender blendeten die Live-Übertragung gerade dann ein, als Tiger versuchte, seinen Ball aus dem Bunker zu schlagen.«

»Woher hast du gewusst, dass ich das war?«

»Ich habe deinen Wagen erkannt. Aber du hättest auch einen Panzer fahren können, und ich hätte sofort gewusst, dass du ihn steuerst. Du fährst wie eine Irre. Und du nimmst die Kurven viel zu eng.«

Mit sechzehn hatte Kate mit ihrer jüngeren Schwester Megan und ihrem Dad in einem Armeestützpunkt in Deutschland gelebt. Jake hatte Kate jedes Wochenende zu einem Übungsplatz mitgenommen, um ihr das Fahren unter unterschiedlichsten Bedingungen beizubringen. Nachdem sie gelernt hatte, einen Wagen auf einer ölverschmierten Fahrbahn zu lenken, hatte er ihre Reifen zerschossen. Im Vergleich dazu war ihre Führerscheinprüfung ein Kinderspiel gewesen.

»Hinter wem warst du her?«, wollte Jake wissen.

»Hinter Nick Fox.«

Jake lächelte unwillkürlich. »Das hätte ich mir denken können. Hast du ihn geschnappt?«

»Ich bin ihm dicht auf den Fersen«, erwiderte Kate. »Ich ruf dich später wieder an.«

Sie bog in die kopfsteingepflasterte Auffahrt zu einem riesigen Grundstück an der Kanan Dume Road ein und parkte ihren unscheinbaren, leicht verbeulten Wagen mit dem fehlenden Seitenspiegel neben einem glänzenden schwarzen Aston Martin Vanquish. Auf dem gepflegten Rasen stand ein Schild mit der Aufschrift »ZUMVERKAUF«.

Noch vor einigen Jahren konnte ein Immobilieninvestor unbesorgt fünfzehn Millionen Dollar in ein Spekulationsobjekt in den Hügeln hinter Malibu stecken, es mit einem Infinity-Pool, einem Heimkino und einer Kegelbahn ausstatten und eine Küche einbauen lassen, die selbst den Starkoch Gordon Ramsay begeistert hätte. Wenn er es dann ohne Probleme verkaufte, war ihm ein Profit von fünf Millionen Dollar sicher. Diese Zeiten waren jedoch vorbei und würden nicht wiederkommen. Daher stand diese Villa zum Verkauf, während drei Banken sich um das Eigentumsrecht stritten.

Kate betrat das Haus, ohne anzuklopfen, und ging durch den riesigen Eingangsbereich in die Gourmetküche. Nick Fox stand an der Kücheninsel über die Herdplatte gebeugt und briet Fisch in einer Pfanne. Er trug ein Poloshirt und verwaschene Jeans und hatte sich eine Kochschürze umgebunden.

»Das hat Spaß gemacht«, erklärte er. »Es geht doch nichts über einen erholsamen Sonntagsausflug, um die Woche ausklingen zu lassen.«

»War es unbedingt nötig, in einer Einbahnstraße in der falschen Richtung zu fahren?«

»Ich habe befürchtet, du könntest dich sonst unterfordert fühlen.«

»Wie rücksichtsvoll von dir.« Kate rückte einen Hocker an die Arbeitsfläche.

Das große Panoramafenster bot einen eindrucksvollen Ausblick auf die Bucht von Santa Monica. Ein Bauerntisch war für drei Personen gedeckt. Neben einer Flasche Wein in einem Kühler stand ein Krug mit Eistee.

»Was gibt es zum Mittagessen?«, erkundigte Kate sich.

»Ich war ein wenig in Eile, also habe ich auf die Schnelle nur gefüllte Eier mit einem Klacks Kaviar Zar Nikolaus, eine Auswahl von Früchten und hausgemachtem Käse und gebratene Seezunge mit Zitrone und Kapern zubereiten können.«

Für Kate bedeutete eine rasche Mahlzeit ein paar Cornflakes, direkt aus der Packung; im Vergleich dazu klang das wie ein Weihnachtsmenü.

Eine Glocke ertönte, als die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Kurz darauf schlenderte Carl Jessup, der Leiter des FBI-Büros in Los Angeles und Kates Boss, in die Küche. Unter seinem Arm klemmte ein Aktenordner.

Jessup war Mitte fünfzig und stammte aus Kentucky. Sein sonnengebräuntes, zerfurchtes Gesicht und seine sehnige Gestalt ließen auf einen Mann schließen, der sich oft im Freien aufhielt und mit seinen Händen arbeitete. Sein rustikales Aussehen hatte ihm in den vielen Jahren bei seiner Undercover-Tätigkeit sehr geholfen; mittlerweile war er befördert worden und hatte einen verantwortungsvollen Schreibtischjob.

»Hübsch hier.« Jessup betrachtete die Einrichtung. »Wie ist es Ihnen gelungen, das Haus zu möblieren und die Anschlüsse freischalten zu lassen?«

»Ich bin der Makler«, erwiderte Nick mit absolut perfektem britischem Akzent. »John Steed, von Sotheby’s International Realty, London. Stets zu Ihren Diensten. Ich habe einige höchst interessierte Kunden in Übersee, die auf der Suche nach einem Feriendomizil in Malibu sind. Also muss ich das Haus hier natürlich entsprechend vorbereiten, und dazu brauche ich auch Strom.«

Jessup beäugte Nick misstrauisch. »Sie haben es doch nicht etwa verkauft, oder?«

»Noch nicht.«

»Dazu wird es auch nicht kommen«, entgegnete Jessup streng.

»Sie sind wirklich eine Spaßbremse«, beklagte sich Nick und fiel wieder in seine übliche Sprechweise zurück.

»Ich habe Sie soeben eine Bank ausrauben und eine wilde Jagd in einem Streifenwagen durch ganz Los Angeles veranstalten lassen. Womit wir beim Thema wären …« Jessup streckte seine Hand aus. »Haben Sie etwas für mich?«

Nick zog einen USB-Stick aus seiner Hosentasche und reichte ihn Jessup. »Hier sind alle schmutzigen Fotos und Videos, mit denen Fred Bose die Zuständigen erpresst hat, die unreinen, aber höchst profitablen Medikamente seiner Firma auf dem Markt zuzulassen. Ich glaube nicht, dass Fred diesen Speicherstick bei der Auflistung der aus seinem Bankschließfach gestohlenen Gegenstände erwähnen wird.«

Jessup steckte den USB-Stick in seine Manteltasche. »Wo sind die anderen Sachen aus dem Banktresor geblieben?«

Nick richtete die Seezunge auf den Tellern an und gab die Zitronen-Kapern-Sauce mit einem Löffel darüber. »Ich habe sie im Streifenwagen gelassen. Sogar die ungeschliffenen Blutdiamanten.«

»Wie ist Bose denn dazu gekommen?«, fragte Jessup.

»Nicht er«, erwiderte Nick. »Sie sollten nachprüfen, wem das Bankschließfach mit der Nummer 7210 gehört. Muss sich um einen sehr unartigen Menschen handeln.«

»Solche Diamanten kann man nicht zurückverfolgen«, erklärte Kate. »Es überrascht mich, dass du sie nicht behalten hast.«

Nick grinste sie an. »Ich stehe eben jetzt auf der Seite der Guten.«

»Und dank Ihrer heutigen Anstrengungen in der Innenstadt von Los Angeles wird das nie jemand auch nur vermuten«, stellte Jessup fest. »Und Kate ist scheinbar nach wie vor darauf versessen, Sie endlich zu schnappen. Also eine Win-win-Situation für uns alle. Allerdings wünschte ich, Sie hätten nicht so viele Schäden an Gebäuden und Wagen verursacht.«

»Wir mussten die Sache für die Zuschauer am Bildschirm interessant machen«, verteidigte Nick sich. »Sonst hätten sie womöglich zu einer dieser Gerichtsshows umgeschaltet.«

»Die Einschaltquoten haben mich dabei weniger interessiert«, entgegnete Jessup.

Seine größte Sorge war, dass sie Nick erwischten. Dann würde herauskommen, dass das FBI ihn vor einer Gefängnisstrafe bewahrt hatte, um mit seiner Hilfe hochkalibrige Gauner zu schnappen – und das, obwohl er selbst auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher stand. Kate hatte die Aufgabe, Nick zu helfen und ihn zu beschützen, während sie gleichzeitig die Fahndung nach ihm leitete. Nur Jessup und Fletcher Bolton, der Stellvertretende Direktor des FBI, wussten darüber Bescheid. Sie suchten die Zielpersonen aus und verwalteten einen geheimen Fonds, aus dem sie Nicks Betrügereien finanzierten. Und falls das jemals aufflog, würden sie alle im Knast landen.

Sie trugen ihre Teller mit dem Fischgericht zum Tisch hinüber. Nick brachte Obst, Käse und die gefüllten Eier, und Kate nahm die Flasche Weißwein aus dem Kühler.

Jessup entschied sich für Eistee und ein Ei mit Kaviar und schob eine Akte quer über den Tisch zu Kate hinüber. »Das ist für Sie. Die Details über den nächsten Auftrag.«

Kate schenkte sich und Nick Wein ein. »Hinter wem sind wir dieses Mal her?«

»Hinter niemandem.« Jessup sah Nick an. »Wir möchten, dass Sie in das Smithsonian Museum einbrechen.«

»Ist mir jederzeit ein Vergnügen«, erwiderte Nick.

Kate starrte Nick an und zog die Augenbrauen hoch. »Hast du das etwa schon einmal getan?«

Nick zuckte mit den Schultern. »Wenn man sich in Washington aufhält, ist ein Besuch dort ein Muss.«

»Die meisten Leute halten sich jedoch an die Öffnungszeiten.«

»Gedränge ist mir zuwider.«

Jessup trank einen Schluck Eistee. »1860 haben britische und französische Truppen den Alten Sommerpalast bei Peking geplündert und zwölf bronzene Tierköpfe von einem jahrhundertealten Springbrunnen in den kaiserlichen Gärten gestohlen. Jedes dieser Tierkreiszeichen aus der Qing-Dynastie ist etwa zwanzig Millionen Dollar wert. Die Chinesen sind fest entschlossen, alle wieder zurückzuholen.«

»Der Hahnenkopf befindet sich in diesem Land«, bemerkte Nick. »Er wird seit über hundert Jahren im Smithsonian ausgestellt.«

»Es überrascht mich, dass Sie das wissen«, sagte Jessup.

»Natürlich weiß er das«, schnaubte Kate. »Immerhin handelt es sich um ein einzigartiges Stück im Wert von zwanzig Millionen Dollar. Mich wundert eher, dass es immer noch im Museum steht und Nick nicht als Türstopper in seinem Haus dient.«

»Während der Finanzkrise war China der bedeutendste Kreditgeber für unsere Regierung«, fuhr Jessup fort. »Und nun fordern sie die sofortige Rückgabe des Hahns als Zeichen von Treu und Glauben.«

»Dann sollte man ihnen das Stück zurückgeben«, meinte Kate.

»Da gibt es ein Problem«, erklärte Jessup. »Na ja, das trifft es nicht ganz. Eigentlich ist es eine tickende Zeitbombe.«

»Das Smithsonian Museum will den Hahn nicht rausrücken«, mutmaßte Nick. »Und jetzt sollen wir ihn stehlen und ihn den Chinesen zurückbringen.«

Jessup schüttelte den Kopf. »Auf den ausdrücklichen Wunsch des Präsidenten hat sich das Smithsonian mit einer Rückgabe einverstanden erklärt. Das Problem liegt darin, dass weder der Präsident noch der derzeitige Museumsdirektor wissen, dass der bronzene Hahn in der Ausstellung eine Fälschung ist. Das Original wurde vor zehn Jahren aus dem Smithsonian gestohlen. Das Museum und das FBI sind damit jedoch nie an die Öffentlichkeit gegangen und haben dieses Geheimnis bis heute gehütet.«

»Aber aus welchem Grund?«, fragte Kate.

»Aus Stolz«, erwiderte Nick. »Sie wollten nicht zugeben, dass es jemandem gelungen ist, direkt neben dem Weißen Haus und dem Kapitol in das renommierteste und sicherste Museum des Landes einzubrechen. Und dass das FBI, die bedeutendste Strafverfolgungsbehörde der Nation, keinen einzigen Hinweis in diesem Fall zutage fördern konnte. Kannst du dir vorstellen, wie beschämend das ist?« Nick grinste und schüttelte den Kopf. »Es ist einer der erfolgreichsten Kunstdiebstähle in der Kriminalgeschichte. Wer das geschafft hat, kann sich damit rühmen, das Ding seines Lebens gedreht zu haben.«

Jessup und Kate starrten Nick an.

»Ist der Hahn tatsächlich ein Türstopper in deinem Haus?«, wollte Kate wissen.

»Ich habe keine Türstopper. Darauf stehe ich nicht.«

Kate und Jessup musterten ihn immer noch misstrauisch.

»Also bitte, das ist nicht euer Ernst, oder? Glaubt ihr tatsächlich, ich hätte den Hahn gestohlen?«

»Immerhin sind Sie schon in das Museum eingebrochen«, entgegnete Jessup. »Sie haben sogar angedeutet, das wäre schon etliche Male der Fall gewesen.«

»Ich habe darüber nachgedacht, den T. Rex zu stehlen«, gestand Nick.

»Den Tyrannosaurus? Wie soll das denn gehen?«, fragte Kate.

»Keine Ahnung. Das hat die Vorstellung ja gerade so reizvoll gemacht. Ich habe noch keine Lösung dafür gefunden. Aber den Hahn habe ich nicht gestohlen. Da ist mir jemand zuvorgekommen.«

Jessup seufzte und tupfte sich die Lippen mit seiner Serviette ab. »Schade, das macht es noch schwieriger. Sie müssen also den echten Hahn finden und ihn gegen die Fälschung austauschen, bevor wir ihn den Chinesen zurückgeben können.«

»Wie viel Zeit haben wir?«, erkundigte Kate sich.

»Zwei Wochen. Dann trifft der milliardenschwere Geschäftsmann Stanley Fu mit seinem privaten Airbus 380 in D. C. ein, um das Kunstwerk persönlich nach Shanghai zu bringen. Direkt nach seiner Rückkehr werden Antiquitätenexperten der chinesischen Regierung den Hahn begutachten. Wenn sie bemerken, dass es eine Fälschung ist, wird das eine schwere diplomatische Krise auslösen. Die Chinesen werden vor Wut kochen, und die USA sind bis auf die Knochen blamiert.«

»Sie müssen uns mehr Zeit verschaffen«, sagte Kate.

Nick spießte mit der Gabel ein kleines Stück Neuseeland-Cheddar auf und ließ es neben einer Scheibe Melone auf seinen Teller fallen. »Zwei Wochen dürften reichen.«

»Das FBI versucht seit einem Jahrzehnt den Hahn zu finden«, wandte Kate ein. »Wie kommst du auf die Idee, dass wir das in zwei Wochen schaffen können?«

»Weil ich weiß, wer ihn gestohlen hat.«

3

Nicolas Fox und Kate O’Hare konnten es nicht riskieren, in Flugzeugen, auf Flughäfen, Bahnhöfen oder an anderen stark frequentierten Orten in der Öffentlichkeit gemeinsam gesehen zu werden. Die Gefahr, dass sie dort von Polizeibeamten erkannt oder von Überwachungskameras erfasst werden könnten, war zu groß.

Also flog Nick um neun Uhr am nächsten Morgen erster Klasse nach London – unter einem Pseudonym und mit einem seiner vielen einwandfrei gefälschten Pässe. Er ließ sich eine recht annehmbare Mahlzeit und ein Glas nicht zu verachtenden Champagner schmecken und kam um sieben Uhr morgens am folgenden Tag ausgeruht und entspannt in Heathrow an. Nach einem kurzen Weiterflug nach Inverness, Schottland, mietete er sich einen Range Rover und fuhr in strömendem Regen nach Süden. Er musste seine Fahrt nur zweimal kurz unterbrechen, als Schafe vor ihm die Straße überquerten.

Kate flog in der Zwischenzeit in der Touristenklasse nach Newark, New Jersey, und von dort aus weiter nach Glasgow. Für eine Frau, die während ihres Dienstes beim Militär jahrelang im Frachtraum von Transportflugzeugen unterwegs gewesen war, bot die zweite Klasse im kommerziellen Flugverkehr einen nicht zu unterschätzenden Komfort. Ihr schmeckte sogar das Essen, das ihr serviert wurde. Im Flughafen von Glasgow mietete Kate sich einen Opel Corsa und machte sich auf den Weg Richtung Norden in ein winziges Dorf. Eigentlich bestand es nur aus einem einzigen Gebäude – einer windschiefen, jahrhundertealten Taverne.

Kate und Nick kamen im Abstand von wenigen Minuten in der Gastwirtschaft an und suchten sich einen Tisch neben dem Kamin aus. Sie zogen ihre Jacken aus, ließen sich vor dem lodernden Feuer nieder und bestellten ein spätes, aber üppiges Mittagessen: Fleischpastete mit Hammelhackfleisch, Kartoffelbrei und Belhaven Ale.

»Ich habe dir vertraut und den weiten Weg auf mich genommen, Nick. Jetzt will ich endlich wissen, wohin genau es geht und wen wir dort treffen werden. Solange du mich im Dunkeln lässt, fahre ich keinen Meter mehr weiter.«

»Zuerst müssen wir eine Abmachung treffen. Nichts von dem, was du heute über die Person erfährst, die du gleich kennenlernen wirst, darf gegen sie verwendet werden. Du musst ihr absolute Immunität zusichern.«

»Das kann ich nicht, aber ich verspreche dir, dass alles vertraulich bleibt und ich es niemandem weitererzählen werde. Darauf hast du mein Wort. Solltest du allerdings jemals unsere Vereinbarung brechen und versuchen abzuhauen, werde ich mein Wissen dazu verwenden, um dich zu jagen und sowohl dich wie auch all deine Kumpel hinter Gitter zu bringen.«

»Du bist so sexy, wenn du so streng mit mir sprichst.« Nick grinste. »Du ziehst dann deine kleine Nase kraus, und deine Augen verschleiern sich.«

Kate war froh, dass sie ihre Glock nicht bei sich hatte – sie könnte sich sonst versucht fühlen, auf ihn zu schießen. Keine schlimme Verletzung, vielleicht nur ein Streifschuss am kleinen Zeh. Natürlich konnte sie immer noch mit ihrer Gabel auf ihn einstechen.

»Wen treffen wir?«, fragte sie.

»Duff MacTaggert.«

»Noch nie von ihm gehört.«

»Natürlich nicht, dazu ist er viel zu gut. Duff ist der Obi-Wan Kenobi der Diebe und war einer meiner Lehrmeister. Er hat sich mittlerweile zur Ruhe gesetzt und betreibt ein Pub in Kilmarny, einem winzigen abgelegenen Dorf ungefähr drei Stunden von hier. Aber lass dich nicht von seinem Charme oder seinem Alter täuschen. Wenn Duff Verdacht schöpft und dich für eine Polizistin hält, wird er uns umbringen.«

»Das kann er gern versuchen.«

»Duff wird dein Selbstvertrauen förmlich riechen. Und falls etwas schiefläuft und du in Kampfstellung gehst, wird er sofort wissen, dass du ein Profi bist. Also dachte ich mir, bevor wir versuchen, das zu verheimlichen, sollten wir es in deine Rolle einbauen.«

»Und die wäre?«

»Du bist meine Leibwächterin und meine Geliebte.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nur deine Leibwächterin.«

»Er wird niemals glauben, dass ich nicht mit dir schlafe.«

»Das tust du auch nicht.«

»Selbst ich kann das kaum fassen«, meinte Nick.

»Wie kommst du darauf, dass Duff uns den bronzenen Hahnenkopf geben wird?«

»Das wird er nicht, aber ich hoffe, dass er uns den Namen der Person verraten wird, bei der der Hahn letztendlich gelandet ist.«

»Und von dieser Person stehlen wir ihn dann?«

»So lautet mein Plan«, bestätigte Nick.

Kate ließ ihren Wagen am Straßenrand stehen und warf ihre Tasche in Nicks Range Rover. Sie glitt auf den Beifahrersitz, und Nick fuhr los nach Kilmarney.

Die nebelumhangenen Gipfel und die sanften üppig grünen Hügel strahlten eine düstere Schönheit aus. Sie fuhren vorbei an baufälligen Steinwällen, alten Farmhäusern, Schafherden und dunklen, eisigen Seen.

»Unser Ziel liegt direkt zwischen Himmel und Hölle«, erklärte Nick.

»Ist das nicht ein wenig zu dramatisch ausgedrückt?«

»Ich meine das wörtlich. Kilmarny liegt an einem Kap zwischen den Seen Loch Nevis und Loch Hourn. Die gälischen Namen der Seen bedeuten Himmel und Hölle. Kilmarney kann man nur mit einer Fähre über den Loch Nevis erreichen, wenn man keinen etwa fünfundzwanzig Kilometer langen Fußmarsch durch eine raue Berglandschaft machen möchte.«

»Klingt nach einem miserablen Ort für den Ruhestand.«

»Nicht wenn man ein Weltklassedieb ist, der immer noch in etlichen Ländern gesucht wird.«

»Und wenn man einen Hang zum Dramatischen hat.«

»Das auch.«

»Hat dir Duff MacTaggert das auch beigebracht?«

»Im Gegenteil. Drama macht keinen Spaß. Mir liegt eher das Schauspiel und die Selbstinszenierung.«

»Ich nehme an, wir setzen mit dem Boot nach Kilmarny über; ich kann mir kaum vorstellen, dass du durch die Wildnis marschieren willst.«

»Wir nehmen in Mallaig eine Fähre, die uns in etwa fünfundvierzig Minuten Fahrt über den Loch Nevis dorthin bringt. Ich habe bereits angerufen und uns einen Platz reserviert.«

Es regnete in Strömen, als sie Mallaig, einen geschäftigen kleinen Fischereihafen am Loch Nevis, erreichten. Das Wasser war aufgewühlt, und die Fähre nach Kilmarny, ein umgebautes Fischerboot, schaukelte auf den schaumgekrönten, gegen den Pier schlagenden Wellen. Nick und Kate waren die einzigen Passagiere.

Bei ihrer Ankunft in Kilmarny hatte sich der starke Regen in ein kaltes Nieseln verwandelt, und Kate betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die weiß getünchten kleinen Häuser zwischen den steilen grünen Hügeln und dem hellen Sandstrand. Am Fähranleger waren einige verwitterte Fischerboote vertäut. Eine einzige Straße führte durch das kleine Dorf hinauf in die Hügel. Kate entdeckte ein Farmhaus und dahinter im Nebel die Ruinen eines Schlosses.

Nick folgte ihrem Blick. »Das ist Kilmarney Castle. Dieses Dorf wurde für die Arbeiter gebaut, die sich einstmals um das Land und das Vieh kümmerten.«

»Einstmals? Unterhalten wir uns, oder zitierst du aus Der Hobbit?«

»Wir sind in Schottland – ich passe mich eben an.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass kein Schotte ›einstmals‹ sagt«, wandte Kate ein, obwohl alles, was sie über Schotten wusste, aus Dokumentationen im Travel Channel stammte.

»Kilmarny hat nur etwa vierzig Einwohner. Der Rest setzt sich aus Wanderern und naturliebenden Touristen zusammen«, sagte Nick. »Es gibt nur einen Laden, ein Hotel, ein Restaurant und das Hideaway, das abgelegenste Pub in ganz Großbritannien. Duff ist der Besitzer, und er wohnt auch direkt darüber. Und er ist der inoffizielle Bürgermeister des Dorfs.«

Kate machte nur ein Gebäude aus, in dem sich ein Pub befinden konnte. Ein windschiefes zweigeschossiges Häuschen mit flachem Dach, versteckt am Rand des Dorfs auf einem kargen Stück Land. Davor standen einige rustikale Picknicktische und Bänke, und aus dem Kamin quoll Rauch.

»Nicht gerade Beverly Hills«, bemerkte Kate.

»Und Duff ist auch nicht Cary Grant.«

Der steile Pfad zu dem Pub war rutschig vom Regen, aber es war nicht sehr weit. Nick schob die schwere Holztür auf, und sie traten ein. Eine Wand wurde fast ganz von einem riesigen Kamin eingenommen, in dem ein Feuer prasselte. Die Mauer rundherum war rußgeschwärzt. Offensichtlich funktionierte der Abzug nicht richtig. Die niedrige Decke mit den Holzbalken wurde von vierkant behauenen Baumstämmen gestützt. Die Tische und Stühle waren aus dicken Holzblöcken und durch den jahrzehntelangen Gebrauch glatt poliert. Die Theke schien aus Fundstücken zusammengebaut worden zu sein: Ein Holzbrett lag auf einem Unterbau bestehend aus Steinen, Ziegeln, Flaschenglas und Mörtel. In dem Raum herrschte eine tropische Temperatur, und der Geruch nach verkohltem Apfelholz hing schwer in der Luft.

Zwei Männer saßen an der Bar und einer stand dahinter. Sie sahen ebenfalls aus wie Fundstücke – rau wie die Landschaft, die Haut wettergegerbt vom Wind und der See. Den Mann hinter dem Tresen schätzte Kate auf Ende sechzig. Er sah aus wie das Resultat eines wahnwitzigen Experiments, einen Schottischen Terrier mit einem Menschen zu kreuzen. Seine braunen Augen verschwanden beinahe unter seinen buschigen Augenbrauen, und seine Knollennase war durch den grauen wuchernden Schnauzer und den Bart, der praktisch sein ganzes Gesicht bedeckte, kaum zu erkennen. Kate vermutete, dass das Duff MacTaggert war.

ENDE DER LESEPROBE