9,99 €
Skrupellose Killer, sexy Kerle und wilde Chihuahuas
– willkommen im Leben von Stephanie Plum.
Trentons beliebtester Gebrauchtwagenhändler, Jimmy Poletti, hat zwei Gesichter: Der skrupellose Geschäftsmann hat nicht nur mit alten Autos, sondern auch mit jungen Mädchen gehandelt. Nun ist er flüchtig – ein Fall für die Kopfgeldjägerin Stephanie Plum. Das Problem: Die Hinweise zu Polettis Verbleib sind rar, weisen in falsche Richtungen, und nicht selten liegen an ihren Enden Leichen. Selbst Trentons heißester Cop, Joe Morelli, fischt im Trüben. Zu allem Überfluss wird dann auch noch Ranger, Sicherheitsexperte und Stephanies größte Versuchung, Ziel eines perfiden Mordanschlags ... Skrupellose Killer, sexy Kerle und eine Meute wilder Chihuahuas – Chaos hoch drei für Stephanie Plum!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 356
Trenton, New Jersey: Der beliebteste Gebrauchtwagenhändler der Stadt, Jimmy Poletti, wurde dabei erwischt, wie er mit ganz anderen Dingen als Autos handelte – der zwielichtige Geschäftsmann soll in Frauenhandel verwickelt sein. In seinem Hinterzimmer wurden schmutzige Geschäfte mit minderjährigen Mädchen aus Mexiko abgewickelt. Jetzt ist Poletti verschwunden. Er hat seinen Gerichtstermin versäumt, und die chaotische Kopfgeldjägerin Stephanie Plum soll den Flüchtigen stellen.
Das Problem: Die Hinweise zu Polettis Verbleib sind rar, weisen in falsche Richtungen, und nicht selten liegen an ihren Enden Leichen. Selbst Trentons heißester Cop, Joe Morelli, fischt im Trüben. Zu allem Überfluss wird dann auch noch Ranger, Sicherheitsexperte und Stephanies größte Versuchung, Ziel eines perfiden Mordanschlags …
Kaltblütige Killer, neurotische Nervensägen und eine Meute mutierter Chihuahuas – Stephanie Plum bleibt wirklich nichts erspart!
Weitere Informationen zur Autorin und zu ihren Romanen finden Sie am Ende des Buches.
JANET EVANOVICH
Zusammen küsst man weniger allein
Ein Stephanie-Plum-Roman
Aus dem Amerikanischen
1
Ich saß auf einem Hocker an der Bar eines finsteren, lauten und überteuerten Restaurants in Princeton, New Jersey. Das rote Kleid, das ich trug, war zu eng und zu kurz und der Ausschnitt zu tief. Über einen Stöpsel im linken Ohr war ich verbunden mit Ricardo Manoso, auch Ranger genannt.
Ich bin Stephanie Plum, im Hauptberuf Kopfgeldjägerin. Normalerweise arbeite ich in der Kautionsagentur meines Cousins Vinnie, aber heute Abend verdiente ich mir als Kundschafterin für Ranger ein bisschen was nebenher. Ranger observierte seit einiger Zeit Emilio Gardi, den viele für unberührbar hielten. Gardi hatte Beziehungen nach ganz oben, verfügte über einen Schlägertrupp, besaß Geld wie Heu, und seine Feinde teilten alle das gleiche Schicksal: Sie verschwanden spurlos. In Miami erwartete ihn ein Verfahren wegen räuberischer Erpressung, doch hatte er sich entschieden, lieber eine Verabredung zum Dinner in Jersey einzuhalten, als zu seiner Gerichtsverhandlung in Dade County zu erscheinen. Was bedeutete, dass der Trottel, der die Kaution für Gardi ausgestellt hatte, sein Geld in die Tonne treten konnte, sollte Gardi nicht in den Knast wandern. Dieser Idiot war Rangers Cousin.
Ranger ist der Eigentümer von Rangeman, einem kleinen Hightech Top-Security-Unternehmen. Normalerweise gibt er sich nicht mit der Verfolgung von Kautionsflüchtlingen ab, doch heute Abend machte er eine Ausnahme. Er hielt sich neben dem Eingang zum Speiseraum des Restaurants bereit und beobachtete Gardi.
Gardi trug ein beiges Sportsakko, darunter ein Hemd mit rotgelbem Blumenmuster: South Beach Florida meets JCPenney. Gardi war Mitte fünfzig, hatte Glatze und eine Figur wie ein Hydrant. Er trank Rotwein, verzehrte ein Lammkotelett und unterhielt seine drei männlichen Gäste mit Witzen, über die sie angestrengt lachten.
Ranger war wie üblich ganz in Schwarz: schwarzer Maßanzug, schwarzes Hemd, offener Kragen. Die Glock hinten im Hosenbund war ebenfalls schwarz. Ranger, das ist ein makelloser Körper, dunkelbraunes Haar, Igelschnitt, tiefbraune Augen, stechender Blick. Ranger ist Latino, seine Haut hat die Farbe von heißem Kakao. Die Ohrstöpsel passten zur Hautfarbe und waren daher kaum erkennbar.
Neben Ranger stand Tank. Tank ist groß und kompakt, eine tödliche Waffe. Er ist mit Ranger zusammen bei den Special Forces gewesen, dem Sondereinsatzkommando der Armee, jetzt arbeitete er als zweiter Mann bei Rangeman und hielt Ranger den Rücken frei.
Von Gardis Schergen war keiner mehr zu sehen. Sie hatten gewartet, bis er am Tisch Platz genommen hatte, und dann den Raum verlassen.
»Die Luft ist rein«, sagte ich in mein Mikro.
Ranger rückte vor, ohne den Blick von seiner Beute zu wenden. Ranger, das Tigerauge. Ich kenne diese Konzentration bei ihm, und jedes Mal kriege ich Gänsehaut.
Tank hielt sich ein paar Meter hinter ihm und behielt das übrige Geschehen im Blick. Ranger knöpfte sein Jackett auf, um besser an seine Waffe zu kommen. Hinter Gardi blieb er stehen, legte eine Hand auf seine Schulter, beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Gardi tat es mit einem Achselzucken ab und sagte etwas, das ich aus der Entfernung nicht verstehen konnte. Alle am Tisch lachten.
Ranger lachte nicht, und mir war klar, dass es jetzt ungemütlich werden würde. Ranger versuchte es ein zweites Mal im Guten. Gardi wurde wütend und wollte ihn fortjagen, da hatte Ranger ihn mit einem Griff vom Stuhl gezerrt, wie ein Vielfraß, der ein Murmeltier reißt.
Im Nu knallte Gardis Kopf auf die Tischplatte, und alle griffen nach ihren Gläsern. Ranger fesselte Gardi mit Handschellen auf dem Rücken und übergab ihn Tank. Er entschuldigte sich bei den anderen Gästen für die Störung und verließ mit Tank und Gardi das Lokal. Die ganze Aktion hatte keine Minute gedauert.
Vor dem Restaurant wartete mit laufendem Motor eine Rangeman-Limousine, die Tank und Gardi zur Rangeman-Zentrale in der City von Trenton brachte. Am nächsten Morgen würde man Gardi in ein Flugzeug setzen und nach Miami abschieben.
Nach getaner Arbeit widmete ich mich wieder meinem schwarzen Sambuca. Ich weiß, das Getränk enthält Farbstoff. Das ist mir egal. Es sieht einfach sexy aus. Und ich schwöre, der schwarze Sambuca schmeckt besser. Was ich von Ranger auch sagen könnte. Er ist nicht direkt mein Freund, aber wir haben schon so einiges zusammen durchgemacht.
Ich kippte den Sambuca hinunter, zahlte und ging nach draußen zu Ranger. Der Rangeman-SUV rauschte gerade davon, und Ranger wartete neben seinem schwarzen Porsche 911 Turbo auf mich.
»Babe«, sagte er.
Rangers »Babe« deckt ein breites Bedeutungsspektrum ab. Es reicht von einer einfachen Begrüßung bis zur Warnung: Achtung, Tarantula auf deiner Schulter! Heute setzte es den Schlusspunkt eines Ganzkörperscans, und es sollte wohl andeuten, dass ihm mein Kleid gefiel.
Ranger legte einen Arm um mich, zog mich zu sich heran und küsste mich. Ein weiteres Indiz, dass ihm mein Kleid gefiel. Ja, mehr noch, anscheinend gefiel es ihm so sehr, dass er es mir am liebsten hier und jetzt vom Leib gerissen hätte. Eigentlich eine super Idee. Aber zum Glück waren wir in Princeton und meine Wohnung eine halbe Autostunde entfernt, bei normalem Verkehr. So viel Zeit brauchte ich, um mir die Idee aus dem Kopf zu schlagen.
Ranger beschützt mich vor allen Männern, außer vor ihm selbst. Er ist der Panther, der eine Gazelle verfolgt und andere Raubtiere fernhält. Ihm macht die Jagd Spaß. Und ich bin gerne Gazelle, obwohl, eigentlich bin ich eher ein Präriehuhn, keine Gazelle.
Rangers Reflexe sind schneller, sein Gehirn arbeitet schneller, seine Instinkte sind denen von uns Durchschnittsmenschen weit überlegen. Bei seiner Berührung wird mir glühend heiß, und sein Kuss löst köstliche Dinge in meinem Körper aus. Im Bett ist er ein Magier, das weiß ich aus Erfahrung. Ich weiß aber auch, dass es in seiner Vergangenheit dunkle Geheimnisse gibt, die manchmal Vorrang haben vor persönlichen Beziehungen. Und ich weiß, dass es zu meinem Besten ist, ihn auf Abstand zu halten.
Außerdem habe ich ja einen Freund. Irgendwie.
Ranger fuhr vom Restaurant-Parkplatz, hielt an der nächsten Ampel, und wie von allein legte sich seine Hand auf mein Knie und wanderte aufwärts.
»Hm«, sagte ich.
Er schielte zu mir herüber. »Probleme?«
»Deine Hand. Sie fährt über meinen Schenkel.«
»Und?«
»Das hatten wir doch besprochen.«
»Nicht in letzter Zeit«, sagte Ranger.
»Hat sich irgendwas geändert?«
»Nein.«
»In dem Fall …«
»Ist der Fall eindeutig?«
»Allerdings.«
»Schade«, sagte Ranger.
Eine halbe Stunde später glitt der Porsche auf den Mieterparkplatz hinter meinem Haus, und Ranger begleitete mich zur Tür.
»Ruf mich an, wenn du dich einsam fühlst«, sagte er.
»Deine Nummer hab ich als Schnellwahl gespeichert.«
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er küsste mich flüchtig, dann ging er.
In Wahrheit hätte ich ihn gerne eingeladen, aber es wäre unklug gewesen. Nicht dass ich immer die Klügste wäre, aber heute Abend war es mir gelungen, mich zurückzuhalten und ihn nicht mit Haut und Haaren zu vernaschen. Zwei Punkte für Stephanie Plum.
Ich schloss meine Wohnung auf und ging in die Küche, um Rex zu begrüßen. Rex ist ein Hamster. Er haust in einem Aquarium, das auf der Arbeitsplatte in meiner Küche steht, und er schläft in einer alten Suppendose. Jetzt strampelte er sich gerade in seinem Laufrad ab.
»Hallo«, sagte ich. »Wie geht’s, wie steht’s?«
Rex zwinkerte mir mit seinen schwarzen Knopfäuglein zu und zuckte mit seinen Schnurrhaaren. Tiefgründiger ist unsere Konversation nicht. Ich warf ihm eine Erdnuss in den Käfig, er sprang aus dem Rad, stopfte sie sich in die Backe und huschte zurück in seine Suppendose.
Die Kautionsagentur meines Cousins Vinnie, ein Ladenlokal mit Kundenparkplatz auf der Rückseite, ist in der Hamilton Avenue. Wir Frauen sitzen alle gemeinsam in einem Raum, nur Vinnie hat ein eigenes Arbeitszimmer. Er versteckt sich dort gerne vor Leuten, die er kaltgestellt, mit Herpes infiziert, in den Knast gebracht oder einfach nur verärgert hat. Vinnie sieht aus wie ein Wiesel im Zuhälterkostüm. Seine Frau Lucille ist dagegen eine Heilige. Eigentümer der Agentur ist sein Schwiegervater, Harry, der Hammer, und der hat sich seinen Spitznamen nicht eingehandelt, weil er Schreiner ist.
Connie Rosolli, Büroleiterin und Wachhund in einem, saß an ihrem Schreibtisch, als ich hereinkam.
»Wie ist es gelaufen, gestern Abend?«, wollte sie wissen.
»Ganz gut. Ranger hat sich von hinten an Gardi rangemacht, ihn vom Stuhl gezerrt und ihm Handschellen angelegt. Ging alles glatt.«
»Und?«
»Das war’s.«
»Du warst nicht mit Ranger im Bett?«
»Nö.«
»Wie enttäuschend«, sagte Connie.
Sag bloß?! »Irgendwas Neues?«
»Ich hätte da einen Kautionsflüchtling für dich. Ist nicht vor Gericht erschienen. Sehr hohe Geldkaution. Jimmy Poletti.«
»Ist das nicht der, dem all die Autohäuser gehören? Und der seine eigenen Werbespots dreht? Motto: ›Alles paletti bei Jimmy Poletti!‹«
»Jep. Genau der. Aber nix paletti bei Jimmy Poletti. Es hat sich rausgestellt, dass er in schmutzige Geschäfte verwickelt war. Mit minderjährigen Mädchen aus Mexiko.«
Ich blätterte in der Akte, die Connie mir übergab, und stieß auf Polettis Polizeifoto. Respektabler Mann. Zweiundsechzig, teigiges Gesicht, schütteres graues Haar. Gestärktes weißes Hemd, gestreifte Krawatte. Elegantes blaues Anzugjackett. Sah eher wie ein Banker aus, nicht wie ein Autohändler.
»Da sieht man mal wieder«, sagte ich. »Man soll eben nie nach dem Äußeren gehen.«
Die Ladentür flog auf, und Lula stürmte herein. Mit einem Meter fünfundsechzig ist Lula ein paar Zentimeter zu klein für ihr Gewicht. Lula ist Afroamerikanerin, die ihre Haarfarbe wechselt wie andere Frauen die Unterwäsche, und modisch neigt sie zu Stretch-Röckchen und Tops. Fast immer quillt ihre Fülle aus ihrer Kleidung hervor, aber ihr scheint das nichts auszumachen.
»Ich hab gerade einen Strafzettel gekriegt«, sagte sie. »Ist das zu fassen? Wie tief sind wir gesunken, wenn man als Frau nicht mal mehr zur Arbeit fahren kann, ohne belästigt zu werden.«
»Wofür ist denn der Strafzettel?«, fragte Connie.
»Geschwindigkeitsüberschreitung«, sagte Lula.
Ich sah sie an. »Und? Bist du zu schnell gefahren?«
»Klar. Siebzig, bei erlaubten fünfzig. Officer Pingelig hat mich rausgewunken. Fünfziger-Zonen gehören verboten. Mein Auto kann gar nicht so langsam fahren. Das ist Folter für meinen Firebird.«
»Ich hab Donuts mitgebracht.« Connie deutete auf den weißen Pappkarton aus der Bäckerei auf ihrem Schreibtisch. »Bedien dich.«
Lulas Miene hellte sich auf. »Das hebt gleich meine Laune. Ich nehme einen mit Streusel. Und den mit Schokoglasur. Aber der mit dem triefenden, klebrigen rosa Zeug sieht auch gut aus.«
Lula biss in den mit Streusel besprenkelten Donut. »Ist gestern Abend was abgegangen zwischen dir und Mister Geil, Groß und Gutaussehend?«
»Er hat Gardi festgenommen. Ohne eine Kugel abzufeuern.«
»Und?«
»Nichts und.«
»Wie jetzt? Er hat sich nicht ausgezogen und mit seinem Zauberstab gewedelt?«
»Nein«, sagte Connie. »Kein Zauberstab. Sie hat ihn nicht mal zu sehen bekommen.«
»Wir wissen auch so, dass er einen hat«, sagte Lula. »Warum hat er nicht mit ihm gewedelt und meine Prinzessin glücklich gemacht?«
Connie und Lula sahen mich fragend an und warteten auf eine Erklärung.
»Es war ein Kommandoeinsatz«, sagte ich. »Nichts mit Zauberstab und so.«
Lula schüttelte den Kopf. »Echt traurig. So eine Gelegenheit einfach zu verschenken. Was hast du angehabt? Etwa irgend so ein gruftiges Businesskostüm?«
»Das enge rote Kleid.«
»Das kenne ich«, sagte Lula. »Definitiv zauberstabwürdig.«
Vinnie steckte den Kopf durch die Tür zu seinem Arbeitszimmer. »Was jammert ihr hier so rum? Ihr stört mich beim Denken. Überhaupt, wieso seid ihr nicht draußen und macht Jagd auf die Schurken? Ich hab einen Haufen Geld für Jimmy Polettis Kaution gezahlt. Bringt den Fettarsch zurück in den Knast.«
Vinnie knallte die Tür zu, und Lula streckte ihm die Zunge raus.
»Ich hab dich genau gesehen!«, rief Vinnie aus seinem Zimmer. »Ich verlange mehr Respekt!«
»Wie kann er das gesehen haben? Die Tür ist zu«, wunderte sich Lula.
Connie zeigte auf eine neu installierte Videokamera über Vinnies Tür. »Er hat das ganze Büro mit Überwachungskameras ausgestattet.«
Lula hielt den Stinkefinger in die Kameralinse.
»Das hab ich auch gesehen!«, rief Vinnie wieder.
Ich steckte die Poletti-Akte in meine Tasche und schlang mir die Tasche um die Schulter. »Ich bin dann mal weg. Dürfte nicht allzu schwer sein, Poletti zu finden. Er ist schließlich kein Vergewaltiger.«
»Der Kerl ist ein Fernsehstar«, sagte Lula. »Darf ich mitkommen? Ich möchte wissen, wie er sich aus der Nähe macht.«
Wir verließen das Büro durch die Hintertür und blieben vor unseren Autos stehen. Lula fuhr einen knallroten Firebird, ich einen durchgerosteten Ford Explorer.
»Vielleicht besser, wir nehmen deine Karre«, sagte Lula, »falls wir auf Poletti schießen müssen. Wenn er auf deinen Sitzpolstern verblutet, ist es nicht so schlimm.«
»Wir schießen nicht auf ihn«, sagte ich.
»Man kann nie wissen«, sagte Lula.
»Poletti ist Geschäftsmann. Auf seinem Verbrecherfoto trägt er Anzug und Krawatte. Der wird schon nicht auf uns losgehen. Außerdem schießen wir nicht auf andere Leute … jedenfalls fast nie.«
Lula schnallte sich auf dem Beifahrersitz an. »Ich sag ja nur.«
Es war Montag, neun Uhr. Ein schwüler Augusttag. Die Luft hatte einen Stich ins Bräunliche, und sie verklebte einem die Augen. Sommer in New Jersey.
Mein schulterlanges lockiges Haar hatte ich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, ich trug Jeans und ein rotes Tanktop. Lula trug ein schwarzes Seidenbustier aus ihrer Wildwest-Bordell-Kollektion, dazu einen giftgrünen Rock, der bis knapp unter ihre Dingsbums reichte. Lula ist kleiner als ich, aber an ihr ist mehr dran als an mir. Ich könnte nackt neben ihr stehen, und keiner würde mich eines Blickes würdigen.
2
Jimmy Poletti wohnte in einem Bonzenviertel im Westen der Stadt. Nach dem Lebenslauf in der Akte, die Connie mir gegeben hatte, war er zum dritten Mal verheiratet, hatte zwei erwachsene Söhne und besaß noch ein Sommerhaus auf Long Beach Island.
Ich fuhr die Hamilton Avenue entlang, kreuzte die State Street, bog ab und kurvte so lange herum, bis ich das große Backsteinhaus im Kolonialstil gefunden hatte, das Poletti und seine Frau Trudy bewohnten. Ich setzte mich in die Einfahrt, und Lula und ich stiegen aus und schauten uns um. Vier Garagen, zwei Stockwerke, eine überdimensionale Haustür aus Mahagoni. Irgendwo im Haus bellte ein Hund, der aber eher wie ein Pinscher klang.
Ich klingelte, und eine Frau öffnete. Schlank, um die vierzig, langes braunes Haar. Sie trug eine Pilates-Hose und ein orangefarbenes, tailliertes T-Shirt.
»Ich suche Jimmy Poletti«, sagte ich.
»Da sind Sie nicht allein«, sagte sie. »Wir alle suchen ihn.«
»Dann ist er also nicht hier?«
»Zuletzt gesehen hab ich ihn am Freitag, beim Frühstück. Ich bin zu meinem Pilates-Kurs gegangen, und als ich wiederkam, war er weg.«
»Haben Sie das der Polizei gemeldet?«
»Nein. Warum sollte ich? Er wurde ja nicht entführt.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Er hat mir einen Zettel hingelegt, zur Erinnerung, montags und donnerstags den Müll rauszubringen.«
»Das ist alles? Mehr stand nicht auf dem Zettel?«
»Nein.«
»Keine Spuren von Gewalt oder Einbruch?«
»Auch nicht.«
»Hat er irgendetwas mitgenommen?«
»Ein paar Kleidungsstücke und ein Auto, den Mustang.«
»Seitdem haben Sie nichts von ihm gehört?«
»Kein Wort.«
»Sie wirken nicht gerade beunruhigt.«
»Das Haus ist abbezahlt, es läuft auf meinen Namen, und er hat mir den Hund und den Mercedes dagelassen.« Sie sah auf die Uhr. »Ich muss mich beeilen. Ich komme zu spät zu meinem Pilates.«
»War wohl eine Liebesehe«, sagte Lula.
»Ja«, sagte Trudy. »Ich habe sein Geld geliebt, und er liebt nur sich allein.«
Ich gab ihr meine Visitenkarte. »Ich vertrete seine Kautionsagentur. Sollte er sich bei Ihnen melden – ich wäre dankbar, wenn Sie mir Bescheid gäben.«
»Mach ich«, sagte sie und knallte die Tür zu.
Lula und ich stiegen wieder in meinen Ford Explorer.
»Die meldet sich garantiert nicht bei dir«, sagte Lula.
Ich rief Connie an.
»Hast du Polettis Autohäuser überprüft?«, fragte ich sie. »Ist er zur Arbeit erschienen?«
»Eins hat geschlossen. Bei den zwei anderen Niederlassungen habe ich nur die Geschäftsführer erreicht, und die haben ihn seit seiner Verhaftung nicht gesehen. In der Zwischenzeit hatte er wohl telefonischen Kontakt mit ihnen, aber seit seinem Verschwinden auch nicht mehr.«
»Hast du die Adressen seiner Kinder?«
»Die eine ist in North Trenton, die andere in Hamilton Township. Ich schicke Lula die genauen Anschriften per SMS, und die dienstlichen.«
Ich kehrte zurück zur State Street, Richtung North Trenton.
»Ein Sohn wohnt in der Cherry Street«, sagte Lula mit Blick auf die SMS von Connie. »Arbeitet anscheinend in der Knopffabrik.«
Zwanzig Minuten später parkte ich vor Aaron Polettis Hütte, einem schmalen zweistöckigen Reihenhaus, ähnlich dem meiner Eltern in Chambersburg. Handtuchschmaler Vorgarten, mittendrin eine Statue der Jungfrau Maria, an der Fahnenstange der winzigen Veranda die amerikanische Flagge.
»Das ist aber eine schöne Jungfrau«, sagte Lula. »Besonders das hellblaue lange Kleid gefällt mir. Sieht irgendwie himmlisch und friedlich aus. Nur die Macke am Kopf stört. Wahrscheinlich von einem Baseball getroffen.«
Lula und ich gingen zur Haustür. Ich klingelte, und eine junge Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm öffnete.
Ich stellte mich vor und sagte, ich suchte ihren Schwiegervater.
»Keine Ahnung, wo der steckt«, antwortete sie. »Der soll sich hier bloß nicht blicken lassen. Ein furchtbarer Mensch. Wirklich. Ich hab eine kleine Tochter, und was er getan hat, ist sowas von widerlich.«
»Hat er Kontakt zu Ihrem Mann?«
»Nein! Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Aaron überhaupt noch mit ihm spricht.«
»Arbeitet Aaron in der Knopffabrik?«
»Am Fließband. Sein Vater wollte, dass er in seine Firma einsteigt, aber das hat Aaron abgelehnt. Die beiden haben sich noch nie gut verstanden.«
Ich gab ihr meine Visitenkarte und bat sie, mich anzurufen, falls sie Neues über ihren Schwiegervater erfuhr.
»Das war’s dann wohl. Die wird dich nämlich auch nicht anrufen«, sagte Lula, als wir wieder im Auto saßen. »Hier wird sich Jimmy Poletti ganz sicher nicht verstecken.«
Wahrscheinlich hatte sie recht, aber man weiß ja nie.
»Fahren wir jetzt zu Sohn Nummer Zwei?«, fragte Lula.
»Wenn wir schon mal dabei sind.«
Sohn Nummer Zwei hatte eine Wohnung in Hamilton Township. Connies Informationen zufolge war er zweiundzwanzig, Single und arbeitete als Burgerbrater in Fran’s Fish House an der Route 31.
Die Apartmentanlage bestand aus drei fantasielosen roten Backsteinklötzen, die um einen asphaltierten Parkplatz herum kauerten. Jeder Klotz hatte zwei Geschosse, eine einfache Tür in der Mitte als Eingang. Kein Garten, kein Beet, nichts. Unterste Mietkategorie.
Ich stellte mich auf den Parkplatz, Lula und ich betraten den mittleren der drei Bunker und stiegen in den ersten Stock. Das Haus war zweckmäßig und das Treppenhaus schwach erleuchtet, vielleicht ganz gut so, denn der Teppichboden war kein schöner Anblick. Wir fanden die Wohnung 2C auf Anhieb und klingelten.
Die Tür wurde aufgerissen, und ein mageres Kerlchen glotzte uns an. Er war knapp einen Meter achtzig groß, hatte blutunterlaufene Augen und einen Strubbelkopf. Er stank nach Marihuana, und seine Arme waren übersät mit Brandnarben, wahrscheinlich von der Arbeit in der Braterei. Er trug rosa Boxershorts mit aufgedruckten roten Herzen.
»Oswald Poletti?«, sagte ich.
»Ja. Seid ihr von den Pfadfinderinnen und verkauft Cookies?«
»Hübsches Höschen«, sagte Lula.
Er sah an sich herab, als fielen ihm die Shorts erst jetzt auf.
»Die hat mir irgendeine Frau geschenkt.«
»Die muss Sie wirklich hassen«, sagte Lula.
Ich stellte mich vor und sagte ihm, dass wir seinen Vater suchten.
»Den hab ich lange nicht gesehen«, sagte er. »Wir stehen uns nicht gerade nahe. Er ist noch ein größeres Arschloch als ich. Ich meine, echt jetzt, wer gibt seinem Kind den Namen Oswald?«
»Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?«
»Vielleicht in Mexiko.«
Ich gab ihm meine Visitenkarte und sagte mein Sprüchlein auf, er solle mich anrufen, falls, und so weiter.
»Kein Treffer heute«, sagte Lula unten im Auto. »Der ruft dich nur an, wenn du ihm Cookies mitbringst.«
»Jimmy Polettis Jungs mögen ihren Vater nicht. Seine Frau mag ihn nicht. Wer könnte ihn mögen?«
»Seine Mutter.«
Ich rief Connie an. »Hast du die Adresse von Jimmy Polettis Mutter?«
Zwei Minuten später las ich sie von meinem Handy-Display ab.
»Sie wohnt in Burg«, sagte ich. »Elmer Street.«
»Langsam wird es langweilig. Keiner will mit uns reden. Keiner weiß was. Wenn das so weitergeht, brauch ich was zu essen.«
Ich bog von der Hamilton ab in die Spring Street, nach zwei Straßen in die Elmer, dann noch einen Block weiter und parkte schließlich hinter einem Leichenwagen. Der Wagen stand unmittelbar vor dem Haus der Polettis, und die Haustür war offen.
»Kein gutes Zeichen«, stellte Lula fest. »Schon wieder einer, der uns nichts sagen will oder kann. Es sei denn, es ist Jimmy. Dann wäre – Hurra! – der Fall abgeschlossen.«
Ich stieg aus und betrat das Haus. Mehrere Personen hielten sich in den Räumen auf, unter anderem zwei Männer, anscheinend vom Bestattungsinstitut, ein alter Herr, der sich die Nase mit einem Taschentuch tupfte, ein Mann in den Fünfzigern, der gleichmütiger wirkte, und zwei Frauen. Von den Frauen kannte ich eine, Mary Klotz.
»Was ist passiert?«, fragte ich sie.
»Es war das Herz, sehr wahrscheinlich«, sagte Mary. »Sie war schon lange krank. Ich wohne gegenüber. Ständig war der Notarzt hier. Mindestens einmal die Woche habe ich das Blaulicht gesehen.«
»Die beiden Männer …«
»Ihr Ehemann und ein Verwandter. Ich glaube, ein Neffe oder so.«
»Und ihr Sohn?«
»Der hat sich hier nicht oft blicken lassen. Sie suchen wohl nach ihm, nehme ich an.«
»Er ist nicht zu seinem Gerichtstermin erschienen.« Ich gab ihr meine Visitenkarte. »Wäre nett, Sie melden sich, falls er auftaucht.«
Lula wartete im Auto auf mich. Sie kann keine Toten sehen.
»Und?«, sagte sie.
»Polettis Mutter. Ein natürlicher Tod, wie es aussieht. Sein Vater lebt noch, aber ich habe ihn nicht gesprochen. Ich wollte mich nicht aufdrängen.«
»Hast du sie dir angeguckt?«
»Nein.«
Lula schauderte am ganzen Körper. »Ich kriege es schon mit der Angst zu tun, wenn ich mich nur hier aufhalte. Böse Geister schwirren um das Haus herum. Ich höre sie förmlich heulen.«
»Heulen?«
»Ja. Geister heulen. Sie holen sich die Seelen der Toten. Gehst du denn nie ins Kino? Schon mal einen von den Harry-Potter-Filmen gesehen? Na ja, egal. Allmählich kriege ich Hunger. Ich könnte einen Clucky Burger vertragen, mit extrascharfer Soße und Schinken und Käsepommes.«
Ich brachte Lula zum Autoschalter von Cluck-in-a-Bucket, setzte sie danach am Büro ab und fuhr weiter zu meinen Eltern. Sie wohnen nur ein paar Meter weiter, im Herzen von Chambersburg, kurz Burg, in einem Zweifamilienhaus, Wand an Wand mit einer äußerst netten Witwe, die steinalt ist. Sie lebt extrem genügsam, kommt mit der Rente ihres Mannes gerade so über die Runden. Tagsüber läuft ununterbrochen der Fernseher, und sie backt ständig Kuchen.
Grandma Mazur stand schon an der Tür, als ich vor dem Haus parkte. Meine Oma ist zu meinen Eltern gezogen, als mein Opa sich zur großen Reality-Show im Himmel davonmachte. Vier Wochen nachdem meine Oma eingezogen war, versteckten wir das Gewehr meines Vaters. Wenn sich bei Tisch sein Gesicht manchmal rot verfärbt, seine Fingerknöchel weiß hervortreten, dann weiß ich, dass wir richtig gehandelt haben, das Objekt der Versuchung außer Reichweite zu bringen. Meine Mutter wird auf ihre Weise damit fertig. Sie trinkt. Ich finde meine Oma zum Schreien komisch, aber ich muss ja auch nicht mit ihr zusammenwohnen.
»Gerade rechtzeitig zum Resteessen«, sagte Grandma und stieß die Fliegengittertür auf. »Sandwichs mit Hackbraten.«
Ich folgte ihr in die Küche. Meine Eltern haben keine zentrale Klimaanlage, stattdessen Standventilatoren in allen Räumen, im Wohnzimmer einen Air Conditioner, der schlapp in einem Fenster hängt, und ähnliche Kästen in den zwei Schlafzimmern. Die Küche ist das reinste Inferno. Meine Mutter nimmt diesen Umstand mit stummer Resignation hin, dafür ist ihr Gesicht ständig erhitzt, und gelegentlich tropfen ihr Schweißperlen in die Suppe. Meiner Großmutter scheint die Hitze nichts auszumachen. Seit sie ihre Eierstöcke los sei, funktionierten auch ihre Schweißdrüsen nicht mehr, behauptet sie.
Ich setzte mich an den kleinen Küchentisch und stellte meine Tasche auf dem Boden ab.
»Bist du hinter Jimmy Poletti her?«, fragte Grandma. »Er soll ja auf der Flucht sein.«
»Ich hab mich schon bei seiner Frau und seinen beiden Söhnen erkundigt, aber Papa scheint nicht besonders beliebt zu sein, jedenfalls wissen sie nicht, wo er sich versteckt hält.«
»Kann ich verstehen. Jimmy Poletti ist ein echter Stinkstiefel. Sogar seine eigene Mutter konnte ihn nicht riechen.«
»Ich wollte sie sprechen, aber leider ist sie gestorben.«
»Ja, ich weiß«, sagte Grandma. »Rose Krabchek hat vor einer Stunde angerufen. Mrs Poletti wird in dem Beerdigungsinstitut in der Hamilton Avenue aufgebahrt. Das wird eine schöne Totenfeier. Jetzt, wo ihr Sohn auf der Flucht ist, gehört sie zu den Promis.«
In Burg gibt es kein Kino, deswegen gehen die Leute alle zu den öffentlichen Aufbahrungen in dem Beerdigungsinstitut in der Hamilton Avenue.
»Was wird denn so über Jimmy gemunkelt?«, fragte ich Grandma.
»Verwertbares ist jedenfalls nicht dabei. Früher besaß er noch ein Haus an der Küste, aber das soll mit dem letzten Hurricane weggespült worden sein. Ich hab Fotos gesehen, da ist überhaupt kein Strand. Was ist damit passiert? Gehört ihm jetzt auch ein Teil des Ozeans?«
Meine Mutter stellte Teller auf den Küchentisch und legte Papierservietten daneben. »Wer möchte ein Hackfleischsandwich?«
Ich hob die Hand. »Mit ganz viel Ketchup.«
»Und Chips«, ergänzte Grandma. »Ich möchte eins mit Chips und eingelegter Gurke.«
Meine Mutter ist eine ältere Version von mir, mit kürzeren braunen Haaren und einer rundlicheren Taille. Meine Oma sah früher meiner Mutter sehr ähnlich, doch die Schwerkraft hat ihren Tribut gefordert, und heute hat Grandma eine schlaffe Suppenhuhnhaut und stahlgraues Haar, Ringellöckchen, Minipli. Sie ist in einem Alter, in dem man keine Angst mehr zu haben braucht, und sie hat eine Energie wie ein Kraftwerk.
»Jimmy Poletti war zwar in seiner eigenen Familie nicht populär«, sagte Grandma, »aber als Autoverkäufer eine Kanone. Angenehme Erscheinung, wie aus dem Fernsehen. Wenn ich ein neues Auto brauchte, ich würde es bei ihm kaufen. Er trug immer schöne Anzüge, und man sah, dass er ordentlich was in der Hose hatte.«
»Er hat im Hinterzimmer seines Autohandels junge Mädchen verschachert«, sagte meine Mutter. »Er ist ein abscheulicher Mensch.«
»Ich hab ja nicht behauptet, dass er ein guter Mensch ist«, sagte Grandma. »Nur dass er ein beeindruckendes Gehänge hat. Vielleicht war es nicht echt, kann sein. Vielleicht hat er sich Tennisbälle in seine Calvin Kleins gesteckt oder sie mit Toilettenpapier ausgestopft. Glaubst du, dass Männer sowas machen?«
In meinem Leben gab es zwei Männer, und keiner brauchte sich was in die Unterhose zu stopfen.
Meine Mutter servierte uns die Hackbratensandwichs und setzte sich zu uns an den Tisch. »Seine zweite Frau habe ich hin und wieder in der Kirche getroffen. Manchmal hatte sie Blutergüsse. Schrecklich. Sie hat gebetet und geweint, die arme Frau. Wir waren alle heilfroh, als sie ihn verlassen hat.«
»Ich hab seine dritte Frau kennengelernt«, sagte ich. »Die geht bestimmt nicht in die Kirche, um zu beten und sich auszuheulen.«
»Man kann nie wissen«, sagte meine Mutter. »Ein Mann wie der hat keine Achtung vor dem Leben. Der würde alles tun.«
»Der Hackbraten ist lecker«, sagte meine Oma und biss in ihr Sandwich. »Besonders die Barbecuesoße obendrauf.«
»Die habe ich aus einer Kochshow im Fernsehen«, sagte meine Mutter.
»Und das Fleisch ist richtig saftig.«
Meine Mutter kaute und schluckte den Bissen hinunter. »Das habe ich ja auch vorher in Bourbon eingelegt.«
3
Ich verabschiedete mich von meinen Eltern und fuhr zurück nach Hause. Mit den diversen Spezial-Suchprogrammen auf meinem Computer wollte ich mal das Umfeld von Poletti etwas näher beleuchten. Meine Wohnung liegt am nördlichen Stadtrand von Trenton, sie ist ganz okay, aber auch kein Palast. Zur Straße hin hat das Gebäude einen stattlichen Eingang, der aber nie benutzt wird. Alle parken auf dem großen Platz hinterm Haus. Achtzig Prozent der Bewohner sind Senioren, die ihr Behindertenabzeichen wie einen Orden tragen und den Erfolg eines Tages daran bemessen, wie nah sie am Hintereingang parken.
Meine Wohnung verfügt über ein Schlafzimmer, ein Badezimmer, eine kleine Küche und ein Wohn-/Esszimmer. Die Möblierung ist sparsam, die meisten Stücke sind gebraucht, von Verwandten geschenkt bekommen, die sie irgendwann in den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts erworben hatten.
Gerade hatte ich »Jimmy Poletti« in die Suchmaschine eingetippt, als es an der Tür klopfte. Ich ging hin, schaute durch den Spion und sah – nichts. Ich machte kehrt, um mich wieder an meinen Computer zu setzen, da klopfte es erneut. Auch der zweite Blick durch den Spion ergab nichts.
»Hier unten«, rief jemand. »Guck hier unten hin, Idiot.«
Die Stimme klang vertraut. Randy Briggs, ein alter Bekannter, nicht gerade mein bester Freund. Mein Alter, dunkelblondes Haar, neunzig Zentimeter groß und ein absoluter Schrat.
Ich machte die Tür auf. »Was ist?«
»Tolle Begrüßung!«, meckerte er und schoss an mir vorbei in die Wohnung. »Und das nur, weil ich klein bin, stimmt’s? Du hasst mich, weil ich klein bin.«
»Es ist mir völlig egal, wie groß du bist. Ich mag kleine Dinge. Kleine Hunde, Mini-Narzissen. Aber dich kann ich nicht ausstehen, weil du hinterhältig bist wie eine Schlange. Ein bisschen mehr Freundlichkeit würde dich nicht umbringen.«
Er sah zu mir auf. »Warum sagst du das? Hast du was läuten gehört?«
»Wie meinst du das?«
»Von wegen umbringen. Will mich jemand umbringen?«
»Soweit ich weiß würde jeder, der dich kennenlernt, dich irgendwann am liebsten umbringen.«
»Ich meine es ernst. Hast du was von einem Auftragskiller gehört?«
»Der auf dich angesetzt ist?«
»Ja. Ich stecke ganz schön in der Scheiße.« Er ging in die Küche und sah sich um. »Hast du was zu trinken da? Ich könnte was vertragen. Wodka mit Eis wäre nicht schlecht.«
»Sowas hab ich nicht im Haus.«
»Wein? Einen süffigen Pinot Noir?«
»Höchstens ein Bier.«
»Das nehme ich.«
Ich öffnete das Bier und reichte es ihm. Er trank es in einem Zug, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und gab mir die leere Flasche zurück.
»Du willst bestimmt mehr über den Auftragskiller wissen«, sagte er.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ganz einfach: Es geht mich nichts an.«
»Kann ja sein, aber wir sind doch Freunde.«
»Ich wüsste nicht.«
»Mann, ganz schön hart! Nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben.« Er holte die Reisetasche, die er im Flur abgestellt hatte.
»Was ist da drin?«, fragte ich.
»Meine Sachen. Ich brauche eine Bleibe.«
»Aber nicht hier!«
»Warum nicht?«
»Ich mag dich nicht.«
»Ja, gut, aber meine Wohnung wurde in die Luft gesprengt. Ich muss bei jemandem unterkommen, der eine Pistole hat.«
»Nein, nein, nein, nein!«
»Ich mach auch keinen Ärger. Sieh mich an. Ich bin klein. Du kriegst überhaupt nicht mit, dass ich da bin.«
»Das weiß ich auch so, ich spüre nämlich einen scharfen brennenden Schmerz hinter meinem Augapfel.«
Ich schnappte mir die Reisetasche und lief zur Tür. Er bekam mein Bein zu fassen, und einen Meter vor der Tür fiel ich lang hin und schlug mir ein Knie auf.
Ich versuchte, Randy abzuschütteln. »Lass los!«
»Erst wenn du sagst, dass ich bleiben kann.«
»Niemals.«
»Bitte, bitte, bitte! Ich bin auch ganz lieb. Du musst mir helfen. Ich will nicht sterben. Jimmy Poletti will mich töten.«
»Jimmy Poletti?«
»Genau der. Im Fernsehen sieht er immer so nett aus, aber in Wirklichkeit ist er ein Scheißkerl.«
»Warum will er dich töten?«
»Ich hab seine Buchhaltung gemacht. Ich kenne alle seine Geheimnisse. Die Geldwaschanlagen, die Offshore-Konten, wie viel Schmiergeld er gezahlt hat.«
»Offenbar hat er dich angestellt, weil er wusste, dass du ein Schleimbeutel bist. Und warum bist du plötzlich eine Bedrohung für ihn?«
»Bei seiner Verhaftung haben die Bullen alles durchwühlt. Es ist uns gelungen, die Unterlagen loszuwerden, nur ich steh jetzt im Regen.«
»Hat er Angst, du könntest ihn verpetzen?«
»Ja.«
»Und? Würdest du ihn verpetzen?«
»Klar.«
»Warst du schon bei der Polizei?«
»Nein. Ich stecke ja mit drin. Ich hab die Bücher frisiert. Zuerst dachte ich, entweder nehme ich mir das Leben, oder ich handle was mit dem Richter aus, aber dann bist du mir eingefallen. Wenn du Poletti auslieferst, kriegt er hundert Jahre Knast und kann mich nicht mehr umbringen. Und ich brauche nicht mit der Polizei zu reden.«
»Okay. Das nehme ich dir ab. Aber warum willst du unbedingt hier bei mir bleiben?«
»Niemand sonst würde mich in seine Wohnung lassen.«
»Das nehme ich dir auch ab.«
»Du musst mir helfen«, sagte Briggs. »Ohne dich bin ich ein toter Mann. Alles, was von meiner Wohnung übriggeblieben ist, steckt in dieser Tasche. Zum Glück war ich gerade in der Waschküche, unten im Keller, als die Brandbombe durchs Wohnzimmerfenster flog. Der Kerl ist verrückt!«
Jimmy Poletti war hinter Randy Briggs her. Und Randy Briggs war bei mir. Vielleicht konnte ich ja Randy als Köder benutzen, um an Jimmy ranzukommen.
»Was ist?«, sagte Briggs. »Diesen grauenvollen Blick hast du nur, wenn du was ausheckst.«
»Ich könnte mich dazu durchringen, dir Asyl zu geben, vorausgesetzt, du hilfst mir bei der Suche nach Poletti.«
»Ich tue alles.« Er ließ mein Bein los. »Was willst du wissen?«
Ich gab ihm die Reisetasche und stand auf. »Hast du eine Ahnung, wo er sich versteckt hält?«
»Nicht genau«, sagte Briggs. »Aber ich weiß, welche Immobilien er besitzt, und ich kenne ein paar von seinen Mafiafreunden.«
»Würden die ihm Unterschlupf gewähren?«
»Wenn sie meinen, sie könnten auf diese Weise an sein Geld rankommen, vielleicht schon. Jimmy Poletti hat haufenweise Geld gehortet.«
»Weißt du, wo sein Geldlager ist?«
»Ich? Nein.«
»Doch! Weißt du wohl. Deswegen will er dich ja umbringen.«
»Ich hab nicht gerade Zugang zu dem Geld. Aber vielleicht weiß ich, wo er es aufbewahrt.«
Ach du Scheiße. »Sonst noch was?«
»Das ist alles. Ich schwöre.«
Ich breitete einen Stadtplan von Trenton auf meinem Esstisch aus. »Wo sind seine Immobilien?«
»Da sind zum einen die drei Verkaufsvertretungen«, sagte Briggs. »Die sind dir bekannt. Dann gibt es noch das Parkhaus, wo sich sein Lager befindet. Das ist in der Nähe der Regierungsgebäude, State Street, Ecke Norton. Es ist zum Teil vermietet, aber soweit ich weiß gibt es da drin keine Büros. Ein reines Parkhaus. Dann besitzt er ein Wohnhaus in West Trenton. Du warst bestimmt schon da und hast Bekanntschaft mit Polettis Seelenfreundin gemacht.« Briggs erschauderte unwillkürlich. »Die Frau macht mir eine Heidenangst. Früher hatten sie eine Villa am Meer, aber die wurde weggeschwemmt. Ihm gehört eine Abrissbude in der Stark Street, das als Wohnheim dient. Und er besitzt noch ein paar Häuser in North Trenton, die er allerdings vermietet hat.«
Mit meinem roten Sharpie markierte er die Stellen auf der Karte, wo sich Polettis Immobilien befanden.
»Und was ist mit seinen Freunden?«, fragte ich.
»Genau genommen hat er keine Freunde, nur Partner. Sie kennen sich alle von einer Pokerrunde, hingen immer im Hinterzimmer des Autohauses an der Route 41 rum. Das war wie ein Freizeitverein. Bernie Scootch, Ron Siglowski, Buster Poletti, ein Cousin, Silvio Pepper und Tommy Ritt. Zwei von ihnen sollen verschwunden sein, hab ich gehört. Bernie Scootch und Tommy Ritt. Entweder sind sie bei Jimmy, oder sie sind tot.«
»Macht Jimmy gerade reinen Tisch?«
Briggs zuckte die Achselm. »Gestern hat er versucht, mich mit seinem Auto zu überfahren, als ich die Straße überquerte. Er hatte es eindeutig auf mich abgesehen, aber ich konnte rechtzeitig ausweichen. Er hat auf mich angelegt und mich verfehlt. Und jetzt, heute Morgen, hat jemand eine Brandbombe in meine Wohnung geworfen.«
»Weißt du genau, dass es Jimmy war?«
»Gestern im Auto, das war Jimmy, ganz klar. Ich hab ihn erkannt. Wer die Bombe heute Morgen durchs Fenster geworfen hat, weiß ich nicht so genau, ich weiß nur, dass Jimmy auch über Raketenwerfer und Flammenwerfer verfügt. Er kennt da so einen Ort im Waldgebiet der Pine Barrens, wo er Schießübungen mit seinen Leuten veranstaltet, auch Zeug in die Luft sprengt und so. Ich weiß aber nicht, wo das ist.«
»Was für ein Auto hat er gestern gefahren?«
»Den Mustang. Ich hab mal drin gesessen. Ziemlich aufgemotzt. Alles schwarz und silber. Hübsche Karre.«
»Wo soll ich mit dem Suchen anfangen?«
»Wenn er sich wirklich nur verstecken will, würde ich sagen, fang in den Pine Barrens an. Er wird dort bleiben, bis er außer Landes kann. Aber weil er mich ja anscheinend umbringen will, würde ich doch eher in unmittelbarer Umgebung suchen. Da käme die Abbruchhütte in der Stark Street in Frage. Oder das Parkhaus. Halt Ausschau nach Wohnmobilen mit eingeschalteter Klimaanlage.«
Ich faltete den Stadtplan zusammen und steckte ihn in meine Umhängetasche. »Los, gehen wir.«
»Echt, du willst mich mitnehmen? Ich bin doch eine wandelnde Zielscheibe.«
Recht hatte er. Und aus keinem anderen Grund gab ich mich überhaupt mit ihm ab. Trotzdem wollte ich ihn nicht hängen lassen, es sei denn, ich hätte absolut keine andere Wahl. Warum sollte ich mich der Gefahr aussetzen, von einer verirrten Kugel getroffen zu werden? Andererseits war mir bei dem Gedanken, ihn allein in der Wohnung zurückzulassen, auch nicht sonderlich wohl.
»Du kannst im Büro bleiben, während ich nach Poletti suche. Ich bringe dich hin und hole Lula ab.«
»Nein«, sagte Connie. »Kommt nicht in Frage. Auf gar keinen Fall. Du kannst ihn nicht hierlassen.«
»Mitnehmen kann ich ihn auch nicht«, sagte ich. »Poletti und seine Leute werden auf uns schießen.«
»Warum überlässt du ihm nicht deine Wohnung?«
»Weil er sich da Bezahlpornos im Fernsehen ansieht und in meiner Schublade mit Unterwäsche wühlt.«
Wir sahen zu Briggs.
»Er kommt ja nicht mal an die Schublade ran!«
»Ich kann mich auf einen Stuhl stellen«, sagte Briggs.
»Wir könnten mit meinem Firebird fahren und ihn in den Kofferraum sperren«, schlug Lula vor.
»Wir könnten dich auch pfundweise als Schweinebraten versteigern«, konterte Briggs.
Lula fuhr mit der Hand in ihre Tasche und kramte darin herum. »Irgendwo muss doch meine Pistole sein.«
»Da darfst ihn nicht erschießen«, sagte ich.
»Warum nicht?«
»Ich brauche ihn, um an Poletti ranzukommen. Aber du weißt auch so, dass man nicht einfach wild auf Leute schießt.«
»Ja, schon, aber er hat mich beleidigt.«
»Du hast mich zuerst beleidigt«, sagte Briggs. »Würdest du dich vielleicht gerne in einen Kofferraum sperren lassen?«
»Es käme erst gar keiner auf die Idee, mich in einen Kofferraum zu sperren, weil, ich bin eben umgänglich«, sagte Lula.
»Für ein Nashorn vielleicht«, sagte Briggs.
Ich stellte mich vor Briggs, damit Lula sich nicht vom anderen Ende des Raums auf ihn stürzte. »Ich hab keine Zeit für diesen Kinderkram. Ich muss Poletti finden. Wir nehmen Randy mit uns, aber wir verkleiden ihn, setzen ihm eine Mütze auf oder so, und er kauert sich auf den Rücksitz.«
Zehn Minuten später saß Randy auf der Rückbank meines Explorers. Er trug eine platinblonde Perücke und eine dicke schwarze Hornbrille. Er sah aus wie Andy Warhol, besser gesagt, wie Andy Warhol als Gartenzwerg.
Lula auf dem Beifahrersitz sah aus wie eine Nutte in voller Straßenstrichmontur. Aber komisch, bei ihr hatte es Stil. Wenn ich mit Lula zusammen bin, habe ich immer das Gefühl, sie ist der Schokokuchen, und ich bin eher sowas Profanes wie ein Brötchen.
4
Ich düste die State Street entlang bis zum Parkhaus und blieb vor der Einfahrt stehen. Auf dem ersten Deck wuselte jede Menge Polizei. Ich beugte mich aus dem Fenster, zog einen Parkschein aus dem Automaten und rollte auf das ebenerdige Deck.
»Ihr bleibt hier«, sagte ich zu Lula und Briggs. »Ich erkunde die Lage und melde mich wieder.«
Über eine Treppe gelangte ich in den ersten Stock, wo auf der Rückseite des Parkhauses bereits Polizeiwagen standen und gelbes Absperrband gespannt war. Innerhalb des abgesperrten Bereichs entdeckte ich Joe Morelli. Er arbeitet bei der Polizei in dem Dezernat, das sich mit Straftaten gegen Personen befasst, und hat hauptsächlich mit Mordfällen zu tun – wahrscheinlich hatten sie auf dem Betonfußboden also einen Toten gefunden.
Zufällig ist Morelli auch mein Freund. Eins achtzig groß, schlank und muskulös, gewelltes schwarzes Haar. Seine braunen Augen können mal sanft und sexy, mal knallhart abschätzig blicken. Er besitzt einen Hund und einen Toaster, und seine Oma ist noch verrückter als meine. Heute trug er ein blaues Oberhemd, die Ärmel hochgekrempelt, Jeans und Laufschuhe. Im Hosengürtel steckte seine Glock, und die Fäuste hatte er in die Seiten gestemmt, während er auf den Mann vor ihm herabblickte.
Ich bückte mich unter das Absperrband hindurch und stellte mich neben ihn. Der Mann auf dem Boden lag bäuchlings in einer trockenen Blutlache. Am Hinterkopf klaffte ein kartoffelgroßes Loch.
»Du liebe Scheiße«, sagte ich. »Hat man den mit einer Kanone niedergestreckt?«
»Das ist die Austrittswunde«, sagte Morelli. »Der Täter muss die Leiche umgedreht haben. Das halbe Gehirn ist auf den silbernen Honda da drüben gespritzt.«
Brechreiz überkam mich, und kalter Schweiß brach mir aus.
»Du bist ja auf einmal so blass«, sagte Morelli. »Jetzt bitte nicht die Girlie-Masche abziehen und ohnmächtig werden.«
»Wie bitte? Girlie-Masche?«
Morelli grinste. »Ach, mein Pilzköpfchen. Du bist ja so zartbesaitet.«
Ich blähte fauchend die Wangen auf und gab mir Mühe, meinen Magen zu beruhigen. Na und, dann bin ich eben empfindlich. Lieber ein zartbesaitetes Pilzköpfchen als ein trockenes Brötchen.
»Wer ist der Mann?«, fragte ich Morelli.
»Tommy Ritt.«
»Ach du Scheiße. Einer von Polettis Kumpeln.«
»Und du bist hinter Poletti her.«
»Ja. Deswegen bin ich hier. Diese Immobilie gehört Poletti. Ich hatte gehofft, dass er sich hier in einem Wohnmobil versteckt hält.«
»Wohnmobile hab ich hier keine gesehen, sorry.« Er sah mich eindringlich an. »Mike Kelly hat dich gestern Abend mit Ranger zusammen gesehen.«
»Das war rein beruflich.«
Morelli fixierte mich ungerührt mit seinem Bullenblick, wie ich ihn immer nenne. Kalt und unbeirrt. Ein gefühlloses Starren, mit dem er normalerweise Killern im Verhörraum Geständnisse entlockt.