7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €
Lizzy Tucker träumt von einem soliden Leben. Gerade hat sie das von ihrer Tante geerbte Häuschen in Salem bezogen und einen Job als Konditormeisterin in Dazzle’s Bakery angenommen, da löst sich dieser Traum mit dem erscheinen des mysteriösen Diesel plötzlich in Luft auf. Diesel glaubt nämlich, dass Lizzy die Gabe besitzt, magische Gegenstände aufzuspüren. Und das könnte einen entscheidenden Vorsprung gegenüber seinem Cousin und Erzrivalen Wulf bedeuten – in einer kosmischen Schlacht, die gerade erst begonnen hat ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 339
Buch
Lizzy Tucker hat ein Händchen für Cupcakes. Tag für Tag zaubert sie in Dazzle’s Bakery in Salem die herrlichsten Dinge aus dem Backofen hervor. Wenn sie nicht gerade als Bäckerin arbeitet, sitzt sie in ihrem windschiefen Häuschen in Marblehead, das sie von einer exzentrischen Tante geerbt hat, und sammelt Ideen für ein Kochbuch. Doch Lizzys beschauliches Leben findet ein abruptes Ende, als plötzlich der mysteriöse Diesel auftaucht. Der glaubt nämlich, dass Lizzys Begabung weit über das Backen hinausreicht. Und er benötigt ihre Hilfe … für einen sehr speziellen Auftrag: Glaubt man den Gerüchten, sind in der Umgebung von Marblehead kürzlich unschätzbar wertvolle magische Steine aufgetaucht, von denen jeder für eine der sieben Todsünden steht. Diesel glaubt, dass Lizzy eine magische Begabung hat und diese Steine finden kann. Doch er ist nicht der Einzige, der hinter den Steinen her ist. Gemeinsam mit dem finsteren Wüstling Gerwulf Grimoire liefern sich Lizzy und Diesel einen Wettlauf um die Macht der Todsünden …
Die Stephanie-Plum-Romane in chronologischer Reihenfolge:
Einmal ist keinmal · Zweimal ist einmal zuviel · Eins, zwei, drei und du bist frei · Aller guten Dinge sind vier · Vier Morde und ein Hochzeitsfest · Tödliche Versuchung · Mitten ins Herz · Heiße Beute · Der Winterwundermann · Reine Glückssache · Kusswechsel · Die Chaos Queen · Kalt erwischt · Liebeswunder und Männerzauber · Ein echter Schatz · Kuss mit lustig · Kuss mit Soße · Glücksklee und Koboldküsse · Der Beste zum Kuss
Zusammen mit Charlotte Hughes
Kussfest · Liebe mit Schuss · Total verschossen · Jeder Kuss ein Treffer · Volle Kanne
Außerdem lieferbar
Liebe für Anfänger · Gib Gummi, Baby · Liebe über Bord · Cheers, Baby
Janet Evanovich
Zuckersüße
Todsünden
Roman
Ins Deutsche übertragen
von Ulrike Laszlo
KAPITEL
1
Mein Name ist Elizabeth Tucker. Meine Mutter nennt mich Elizabeth, aber für alle anderen bin ich, so lange ich zurückdenken kann, immer nur Lizzy gewesen. Und soweit ich mich erinnern kann, habe ich auch schon immer Kuchen gebacken, am allerliebsten Cupcakes. Nach der Highschool schrieb ich mich an der Johnson & Wales University in Rhode Island für das Fach »Culinary Arts« ein, um die hohe Kunst des Kochens und Backens zu erlernen und danach als Pâtissier in einem dieser supertollen Restaurants arbeiten zu können. Ich war unter den Besten meines Jahrgangs und hätte sogar eine Spitzennote kriegen können, wenn mir die Bratensoße nicht misslungen wäre. In meiner Soße waren leider Klumpen – was wiederum für mein ganzes Leben irgendwie bezeichnend ist. Nicht alles ist missglückt, aber alles ist auch nicht immer glattgelaufen.
Ich wuchs in Virginia auf, und als ich in der dritten Klasse war, verpasste mir Billy Kruger den Spitznamen Hakennase, der mich durch meine gesamte Grundschulzeit begleitete. Meine braunen Augen und meine markante Nase hatte ich von Grandpa Harry geerbt. Die Nase war zwar nicht gerade schön, aber ich fand, es hätte schlimmer kommen können, denn Billy Krugers Spitzname war Hosenpupser.
In der achten Klasse machte ich in einem Anfall törichter Neugierde mit Ryan Lukach rum, und der Idiot erzählte überall herum, dass ich einen ausgestopften BH tragen würde. Ich meine, dafür muss man doch ein wenig Verständnis aufbringen. Schließlich war ich eine Spätentwicklerin. In Wahrheit war der BH mit so vielen Papiertaschentüchern gepolstert, dass ich gar nicht bemerkte, wie er mich befummelte.
Während meines Studiums verlobte ich mich dann mit meinem Kommilitonen Anthony Muggin. Zwei Wochen nach dem Examen und eine Woche vor der Hochzeit wurden Anthony und sein Onkel Gordo beim Diebstahl eines mit Rinderhälften beladenen Kühllastwagens erwischt. Das stellte sich als Glücksfall heraus, denn nachdem ich Anthony im Gefängnis besucht und ihm den Ring zurückgegeben hatte, tröstete ich mich schluchzend mit einigen Gläsern Wodka, fiel im Vollrausch vom Klo, krachte gegen das Waschbecken und brach mir die Nase. Als sie mich zusammengeflickt hatten, war ich den Spitznamen Hakennase los.
Jetzt habe ich die hübscheste Nase in der ganzen Stadt, und meine Brüste sind mittlerweile auch gewachsen. Sie sind zwar nicht besonders groß, aber besser als gar nichts, und sie sind, wie man mir versicherte, fest und keck. Keck klingt gut, oder?
Im Januar, drei Tage nach meinem achtundzwanzigsten Geburtstag, erbte ich ein Haus von meiner exzentrischen Großtante Ophelia. Das Haus steht in Marblehead, nördlich von Boston. Also räumte ich mein Bankkonto ab, um die Steuern für das Haus bezahlen zu können, kündigte meinen Job in einem Restaurant in Manhattan und zog in Ophelias alten Kasten ein. Wahrscheinlich wäre es das Klügste gewesen, das Haus zu verkaufen, aber ich bin nicht bekannt dafür, immer kluge Entscheidungen zu treffen. Und in New York hatte es mir ohnehin nicht gefallen. Die Arbeitszeiten in dem Restaurant waren grauenhaft, das Betriebsklima war vergiftet, und der Küchenchef konnte Cupcakes nicht ausstehen.
Seit fünf Monaten lebe ich nun in meinem neuen Zuhause in Marblehead und arbeite als Kuchenbäckerin bei Dazzle’s Bakery in Salem, eine Ortschaft weiter. Die Bäckerei ist schon seit den Zeiten der Puritaner im Besitz der Familie Dazzle und wird nun von Clarinda Dazzle geführt. Sie lebt in einer Wohnung über der Bäckerei, ist zweimal geschieden, geht auf die vierzig zu und sieht aus wie Cher an einem freien Tag. Clara ist eins fünfundsechzig – also so groß wie ich –, wirkt aber größer. Ich glaube, das liegt an ihrem Haar. Claras Haar ist schwarz und von grauen Strähnen durchzogen – und wäre es glatt, würde es ihr bis auf die Schultern reichen. Doch der gewaltige, widerspenstige Lockenschopf bedeckt nur knapp ihre Ohren und scheint vor Energie zu sprühen. Manchmal bindet Clara ihr Haar auch zu einem schlampigen Knoten zusammen. Sie hat stechende blaue Augen, und ihre Nase und ihren Mund verdankt sie angeblich indianischen Vorfahren mütterlicherseits, die dem Stamm der Wampanoag angehörten. Ich bin bei Weitem nicht so exotisch. Meine Vorfahren stammen aus Österreich und Dänemark und haben mir dünnes blondes Haar und einen Körper vererbt, der sportlicher aussieht, als er tatsächlich ist.
Es war Dienstagmorgen, die Junisonne schien hell über Salem, und Clara und ich backten bereits seit fünf Uhr morgens. Ich trug meine übliche Kluft – Laufschuhe, Jeans, ein T-Shirt und einen weißen Kittel. Ich hatte mein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und war mit Mehl und Puderzucker bestäubt. Die Welt war in Ordnung, nur Clara war aufgebracht. Es war acht Uhr, Zeit, den Laden zu öffnen, und unsere Verkaufskraft Gloria Blinkly war noch nicht erschienen.
»Herrgott noch mal«, schimpfte Clara. »Ich hab schließlich kein Heer an Ersatzkräften. Hier gibt es nur dich und mich und Glo. Wie sollen wir alles gebacken kriegen, wenn wir ständig nach vorne laufen müssen, um Muffins zu verkaufen? Wo zur Hölle steckt sie?«
Wir standen in dem großen vorderen Raum, in dem die Backwaren verkauft wurden. Auf dem Boden lagen breite Kiefernbohlen, die Wände waren ungleichmäßig verputzt und schief. Der Verkaufsraum war in einem annehmbaren Zustand, wenn man bedachte, dass er aus der Zeit der Salemer Hexenprozesse stammte. Die Vitrinen bestanden aus altmodischen, mit dunklem Holz eingefassten Glasscheiben und enthielten im Moment einige Zimtrollen, vier verschiedene Sorten Muffins, Mandeltörtchen und Apfelstrudel. Die Brote lagen in Drahtkörben an der Wand. Der verbleibende Platz hinter der Glasscheibe war für meine Cupcakes vorgesehen. Die Registrierkasse stammte aus dem Jahr 1920. Immerhin war das Kreditkartengerät auf dem neuesten Stand der Technik.
Ein schnittiger, tief liegender schwarzer Wagen fuhr vor, und ein Mann stieg aus. Er war gut eins achtzig groß und hatte sein schulterlanges, schwarz glänzendes Haar aus dem Gesicht gestrichen. Seine Haut war gespenstisch blass, und seine Augen waren so schwarz wie sein Haar. Er trug einen perfekt geschnittenen schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd.
Als er auf die Bäckerei zukam, begann meine Haut zu kribbeln, und mir wurde ganz heiß. »Heiliger Bimbam«, stieß ich hervor.
»An dem Kerl ist nichts heilig«, erwiderte Clara.
Der Mann blieb einige Zentimeter vor der Ladentür stehen und starrte zu mir herein. Sein Mund war sinnlich und ernst. Er musste in etwa in meinem Alter sein und war auf unheimliche Weise attraktiv. Er hob eine Hand und bedeutete mir mit einem gekrümmten Finger, zu ihm zu kommen.
»Glaubst du, er will einen Muffin?«, fragte ich Clara.
»Entweder das oder deine Seele.«
Ich ging zur Tür, öffnete sie und spähte zu ihm hinaus. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Das wird sich noch zeigen«, erwiderte er. »Ich werde wiederkommen, wenn ich dich brauche. Bis dahin sollst du mich nicht vergessen.«
Er legte kurz eine Fingerspitze auf meinen Handrücken, und als er seinen Finger zurückzog, sah ich eine Brandwunde, auf der sich eine Blase bildete. Ich stolperte zurück und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Der Mann in Schwarz drehte sich auf dem Absatz um, stieg in die Protzkarre, ließ den Motor aufheulen und fuhr davon.
»Was zum Teufel war das?«, fragte ich Clara und starrte auf meine Hand.
»Ich habe Angst«, erwiderte Clara. »Und das will schon etwas heißen, wenn man sein ganzes Leben in Salem verbracht hat.«
Ich hasse es, wenn mir jemand Angst macht. Solche Situationen vermeide ich, wann immer ich kann. »Ich werde mir einreden, dass es nur ein Insektenstich ist«, erklärte ich Clara. »Vielleicht von einer kleinen, aber sehr giftigen Spinne.«
»Ja«, stimmte Clara mir zu. »Du hast sicher recht. Und du hast die Spinne nur nicht gesehen.«
Um zehn Minuten nach neun sprang die Tür krachend auf, und Glo stürmte atemlos herein.
»Ich weiß, ich komme zu spät, aber ihr werdet nicht glauben, was ich hier habe!« Sie knallte ihre schwarze Stofftasche auf die gläserne Ladentheke. »Ich bin an diesem unheimlichen Laden in der Essex Street vorbeigegangen, in dem sie diese verwunschenen Bratpfannen und Gläser mit Molchaugen verkaufen, und hatte plötzlich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Es war beinahe so, als würde mich etwas in den Laden ziehen.«
Glo ist Single wie ich, vier Jahre jünger als ich und ein paar Zentimeter kleiner. Sie hat kurz geschnittene rote Locken, Sommersprossen, eine schlanke, perfekte Durchschnittsfigur und trägt bevorzugt schwarze und olivgraue Klamotten. Heute hatte sie sich für schwarze Stiefeletten, eine schwarze Strumpfhose, einen kurzen, schwingenden schwarzen Rock, ein olivfarbenes T-Shirt und eine Jeansjacke entschieden.
Clara richtete ihren Blick auf Glo. »Als du letztes Mal zu spät dran warst, hast du behauptet, du wärst von einem Brückentroll überfallen worden.«
»Okay, in Wahrheit war das Mr Greber, und der war so betrunken, dass er in meine Arme gestolpert ist, aber das hier ist was ganz anderes, das schwöre ich! Es ist Schicksal. Erinnert ihr euch, dass ich immer schon dachte, etwas Besonderes zu sein? Ein Wesen aus der magischen Welt?«
»Nein«, erwiderte Clara.
»Nun, zunächst einmal habe ich eine Narbe auf meiner Stirn, die aussieht wie ein Blitz. Genau wie Harry Potter.«
Clara und ich betrachteten Glos Stirn.
»Sie hat entfernte Ähnlichkeit mit einem Blitz«, meinte Clara. »Woher hast du sie?«
»Ich bin gegen einen Sofatisch geknallt, als ich sechs war.«
»Ich bin nicht sicher, ob das zählt«, zweifelte Clara.
Glo fuhr mit einem Finger vorsichtig über die Narbe. »Ein böser Geist könnte mich geschubst haben.«
Clara und ich verdrehten die Augen.
»Und ich habe euch erzählt, dass ich eine grüne Aura um Mrs Norberts Körper bemerkt habe«, fuhr Glo fort. »Und eine Woche später hat sie im Foxwoods-Kasino den Jackpot geknackt.«
»Das stimmt«, räumte Clara ein. »Daran erinnere ich mich.«
»Wie auch immer, das hier ist echt der Wahnsinn.« Glo zog ein abgegriffenes, in Leder gebundenes Buch aus ihrer Stofftasche. »Dieses Buch hat mich in den Laden gezogen. Es war speziell für mich bestimmt.«
Clara und ich sahen über Glos Schulter auf das Buch. Der Ledereinband war durch die Jahre rissig geworden; es war allerdings schwer zu sagen, ob es sich um einen natürlichen Alterungsprozess handelte, oder ob das Buch durch sehr viele Hände gegangen war. Der vordere Deckel war handgearbeitet und mit verschnörkelten Blumen, Blättern und winzigen Drachen verziert. Verschlossen wurde das Ganze mit einer gehämmerten Metallschnalle.
Glo löste die Schnalle und schlug das Buch auf. Das Titelblatt war aufwendig mit Tinte bemalt, und auf der gegenüberliegenden Seite hatte jemand in kunstvollen altertümlichen Buchstaben die Worte Ripple’s Zauberbuch geschrieben.
»Wer ist Ripple?«, wollte Clara wissen.
»Das konnte mir in dem Laden niemand sagen«, antwortete Glo. »Aber das Buch stammt aus dem Jahr 1692. Jedenfalls steht das da drin. Das war zu der Zeit, als die Hexenprozesse von Salem in vollem Gang waren.«
»Dreh das Buch um, und sieh nach, ob hinten ›Made in China‹ steht«, schlug Clara vor.
Glo starrte Clara an. »Gerade du solltest dich nicht so zynisch über dieses Buch äußern. Jeder weiß, dass die Dazzles nicht normal sind.«
Das war mir neu. Ich war erst vor fünf Monaten nach Marblehead gezogen und mit dem Klatsch in der Stadt noch nicht vertraut.
»Wieso?«, fragte ich.
Glo senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Die Dazzles hatten schon immer besondere Fähigkeiten. Ich habe gehört, dass einige von ihnen fliegen konnten.«
Ich warf Clara einen Blick zu. »Kannst du fliegen?«
»Nicht ohne ein Flugzeug.«
Glo blätterte in dem Buch. »Ich wette, dass man hier drin einen Zauberspruch fürs Fliegen finden kann.«
»Wie wäre es, wenn du dir einen Zauberspruch fürs Arbeiten heraussuchst?«, meinte Clara. »Gebäck auf sechs Backblechen wartet darauf, in die Vitrine befördert zu werden.«
Ich drehte mich um und wollte in die Backstube zurückgehen, als ich gegen einen gut eins achtzig großen Kerl aus harten Muskeln und schlechter Laune prallte. Er hielt mich fest, damit ich nicht zu Boden ging, und ich schnappte nach Luft.
»Gütiger Himmel!«, stieß ich hervor. »Wo kommen Sie denn her?«
»Aus Bangkok, aber das spielt jetzt keine Rolle.« Er sah sich um. »Ich bin in der Bäckerei Dazzle’s, richtig?«
Wir nickten alle und musterten ihn. Sein dichtes dunkelblondes Haar sah so aus, als sei es vom Wind zerzaust oder schwer zu bändigen. Vielleicht war er aber auch gerade erst aufgestanden. Seine Haut war sonnengebräunt, und seine buschigen Augenbrauen waren dunkler als sein Haar. In seinen braunen Augen lag ein prüfender Blick, und seine Körperhaltung verriet Selbstbewusstsein. Seine Körpersprache war einschüchternd. Er trug staubige Boots und Jeans, die schon bessere Tage gesehen hatten, aber an den entscheidenden Stellen genau richtig saßen. Auf seinem dunkelblauen T-Shirt klebte Mehl von meinem Bäckerkittel.
Er sah auf sein T-Shirt hinunter und klopfte sich den Mehlstaub ab. »Ich suche Elizabeth Tucker.«
Das war nun bereits die zweite Begegnung mit einem großen, irgendwie furchteinflößenden Mann an diesem Tag, also war ich auf der Hut.
»Das bin ich«, erklärte ich und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück.
Er musterte mich kurz. »Hab ich mir gedacht.«
Das klang nicht wirklich nach einem Kompliment. »Was soll das heißen?«
Er stieß einen Seufzer aus. »Das bedeutet, dass du mir sicher Ärger machen wirst.« Er sah sich um. »Können wir uns hier irgendwo unterhalten?«
»Ja, gleich hier.«
»Das glaube ich nicht.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und kniff die Augen zusammen.
»Lady, meine Geduld ist im Augenblick begrenzt«, erklärte er. »In erster Linie will ich das hier hinter mich bringen. Also komm bitte mit nach draußen, wo wir uns ungestört unterhalten können.«
»Kommt nicht in Frage.«
Er packte mein Handgelenk und zerrte mich zur Tür. Glo und Clara kamen sofort herbeigeeilt.
»Ich rufe die Polizei«, warnte Glo und zog ihr Handy hervor.
»Als ob das etwas nützen würde«, erwiderte er. »Stecken Sie das Telefon weg und bleiben Sie hier. Es wird nur eine Minute dauern.«
Er schob mich aus dem Laden, bis wir auf dem Gehsteig standen und in die Sonne blinzelten.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Hey, hör zu«, sagte er plötzlich in kumpelhaft-verschwörerischem Ton. »Ich suche nach einem Mann. Sein Name ist Gerwulf Grimoire. Kurz genannt Wulf. Meine Größe, schulterlanges schwarzes Haar, blasse Haut, böse.«
»Böse?«
»Ja. Hast du ihn gesehen?«
»Vielleicht. Er hat mir seinen Namen nicht genannt.«
Ich warf unwillkürlich einen Blick auf die Brandwunde an meinem Handrücken. Der abgerissene Typ folgte meinem Blick und schüttelte leicht den Kopf.
»Wulfs Arbeit«, stellte er fest.
Er griff unter meinen Kittel, zog mein Handy aus meiner Jeanstasche und tippte eine Nummer ein.
»Hey!«, protestierte ich. »Was soll das?«
»Ich gebe dir meine Nummer. Ruf mich an, wenn du Wulf siehst.«
»Wer bist du?«
Er lächelte zu mir herunter und entblößte dabei weiße, perfekte Zähne. Um seine Augenwinkel bildeten sich winzige Fältchen, und mein Herz vollführte einen kleinen Sprung. »Ich bin Diesel«, antwortete er. »Wir sehen uns später.«
Er überquerte die Straße und verschwand hinter einem an der Ampel wartenden Van. Als die Autos losfuhren, war er nicht mehr zu sehen.
»Wow«, stöhnte Glo, als ich in den Laden zurückkehrte. »Der sah vielleicht gut aus! Pures Testosteron. Worum ging es?«
»Er sucht nach einem Mann namens Gerwulf Grimoire. Und er dachte, ich sei ihm möglicherweise begegnet.«
»Und?«
»Bin ich.«
»Der Name klingt wie der eines Hexenmeisters«, meinte Glo.
»Du solltest dir nicht ständig die Wiederholungen von Verliebt in eine Hexe anschauen«, wies Clara sie zurecht. »Die einzigen Hexenmeister in Salem findet man im Salemer Hexenmuseum, und das sind bezahlte Schauspieler.«
KAPITEL
2
Als die Chef-Bäckerin für Cupcakes und eine Reihe anderer Gebäckstücke bin ich schon immer früh bei der Arbeit – und darf dafür aber auch früh wieder gehen. Gegen halb eins also verließ ich die Bäckerei und fuhr mit meinem Wagen, einem hellbraunen Chevy Sedan, auf der Lafayette Street in südlicher Richtung. Ich kenne weder das Baujahr noch die genaue Modellbezeichnung meines Autos, aber ich muss wohl nicht erwähnen, dass es nicht neu war. Es hatte nicht viel gekostet und sah auch nicht mehr gut aus. Der linke hintere Kotflügel war eingedellt, und rechts lief ein Kratzer beinahe über die ganze Seite. Doch davon abgesehen war der Wagen fast perfekt. Ich überquerte die Brücke nach Marblehead, wo die Lafayette Street zur Pleasant Street wurde, die mich wiederum zur Weatherby Street brachte.
Großtante Ophelias Haus ist ein kleines kastenförmiges Gebäude aus dem Jahr 1740. Es liegt auf einer Anhöhe dicht neben einigen anderen historischen Häusern, und von den Fenstern des hinteren Teils kann man den Hügel hinunter auf die kleine Flotte von Ausflugsbooten im Hafen von Marblehead blicken.
Die Schindeln sind grau, die Verkleidung weiß, und neben der roten Haustür hängen zwei Zwiebellaternen. Irgendwann im späten 19. Jahrhundert wurden einige Räume angebaut. Danach wurde einiges renoviert und zusammengeflickt, so dass das Haus es irgendwie in das zwanzigste Jahrhundert geschafft hat. Die Decken sind niedrig, die Fußböden bestehen aus breiten Kiefernplanken und sind ein wenig schief. Wahrscheinlich musste ich das Fundament abstützen lassen, aber das würde warten müssen, bis wieder Geld auf meinem Konto war.
Ich stellte meinen Wagen am Randstein ab und ging ins Haus. Als ich Diesel sah, schrie ich überrascht auf. Er hatte seine Stiefel ausgezogen und es sich auf meiner Wohnzimmercouch bequem gemacht.
»Ich habe eine Waffe«, drohte ich ihm. »Und ich schrecke nicht davor zurück, sie zu benutzen.«
»Schätzchen, du hast keine Waffe. Und selbst wenn, könntest du wahrscheinlich nicht damit umgehen.«
»Na gut, aber ich habe ein Chefkochmesser, und damit könnte ich dich tranchieren wie einen Truthahn an Thanksgiving.«
»Das glaube ich dir sogar.«
Ich blieb mit einer Hand auf dem Türknauf stehen, bereit, loszulaufen und Hilfe zu holen. »Wie bist du hereingekommen?«
»Ich habe eine Begabung für Schlösser«, erklärte Diesel.
»Eine Begabung?«
»Ja, ich kann sie öffnen.«
Er stand auf, streckte sich und ging in Richtung Küche.
»Warte!«, rief ich. »Wohin gehst du?«
»Ich habe Hunger.«
»Nein, nein, nein. Du musst von hier verschwinden.«
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht, und beide haben denselben Inhalt: Ich werde hierbleiben.«
Keine Panik, beruhigte ich mich. Offensichtlich handelt es sich hier um einen Verrückten. Schleich dich einfach aus dem Haus und ruf die Polizei. Sie werden ihn abholen und irgendwo hinbringen, wo man ihn medikamentös einstellen wird.
»Ich bin nicht verrückt«, verkündete Diesel in der Küche.
»Natürlich nicht. Habe ich das etwa gesagt?«
»Du hast es gedacht.«
Großartig. Der Kerl kann Gedanken lesen. Ich bewegte mich ein paar Zentimeter von der Haustür weg und spähte vorsichtig in die Küche, wo Diesel meine Schränke durchstöberte.
»Suchst du nach Geld?«, fragte ich. »Nach Schmuck?«
»Nein, nach etwas Essbarem.« Diesel öffnete den Kühlschrank, warf einen Blick hinein und entschied sich für den Rest meiner Lasagne. »Also, wie steht es bei dir? Hast du einen Freund?«
»Wie bitte?«
»Das verstehe ich als ein Nein. Es steht dir ins Gesicht geschrieben. Eigentlich überrascht mich das, deine Lasagne ist nämlich durchaus annehmbar«, meinte Diesel.
»Meine Lasagne ist nicht nur annehmbar. Ich mache zufällig hervorragende Lasagne.«
Diesel grinste mich an. »Du bist süß, wenn du dich so aufregst.«
Ich drehte mich auf dem Absatz um und stapfte wütend aus der Küche zur Vordertür, um endlich die Polizei zu rufen. Als ich in der Mitte meines kleinen Wohnzimmers angelangt war, sah ich, dass die Haustür offen war und der Kerl, der mir die Haut verbrannt hatte, im Türrahmen stand und mich anstarrte. Instinktiv wich ich einen Schritt zurück und prallte gegen Diesel. Okay, er mochte verrückt sein, aber, meine Güte, der Kerl roch verdammt gut, wenn man ihm so nahe war. Warm und würzig, wie Weihnachten. Und es fühlte sich gut an, als er mich an sich zog und mir beschützend eine Hand auf die Hüfte legte.
»Hallo, Cousin«, begrüßte Diesel den Mann in Schwarz.
Ein Licht zuckte auf, und eine Rauchsäule stieg empor, und als der Rauch sich verzogen hatte, war der Mann verschwunden.
»Das war Wulf«, erklärte Diesel. »Aber ihr kennt euch ja schon.«
»Wie hat er das gemacht? Er hat sich einfach in Luft aufgelöst.«
»Rauch und Spiegel«, meinte Diesel. »Er hat das Buch Zaubertricks für Dummies gelesen.«
»Warum ist er verschwunden?«
Diesel ging zur Haustür, schloss sie und schob den Riegel vor. »Er ist gegangen, weil ich hier bin.«
»Bist du tatsächlich sein Cousin?«
»Ja. Wir sind zusammen aufgewachsen.«
»Und jetzt?«
»Jetzt spielen wir für verschiedene Teams.«
Er reichte mir den Teller mit der Lasagne und seine Gabel und schnürte seine Boots zu.
»Ich muss Wulf folgen«, erklärte er. »Bleib hier und halte die Türen verschlossen.«
»Damit Wulf nicht hereinkommen kann?«
»Nein, damit der merkwürdige Typ von gegenüber nicht in dein Haus eindringt.«
Ich schaute aus dem vorderen Fenster. »Das ist Mr Bennet. Er ist zweiundneunzig und hält sich für General Eisenhower. Er wohnt in dem Haus mit den roten Geranien in den Blumenkästen vor den Fenstern.«
Ich drehte mich zu Diesel um, aber er war nicht mehr da. Kein Rauch. Kein Lichtblitz. Nichts. Diesel war einfach weg. Ich ging in mein kleines Arbeitszimmer im ersten Stock und machte mich am Computer auf die Suche nach Gerwulf Grimoire. Nichts. Ein unbeschriebenes Blatt. Kein Eintrag bei Facebook. Keine Übereinstimmungen.
Ich rief in der Bäckerei an. Glo meldete sich.
»Als ich nach Hause kam, wartete Diesel in meinem Haus auf mich«, erzählte ich ihr.
»Wer ist Diesel?«
»Der große, unverschämte Kerl aus der Bäckerei.«
»Sein Name ist Diesel? Wie eine starke Lok, die einen Güterzug zieht?«, fragte Glo. »Das ist so sexy.«
Meiner Meinung nach glich vielleicht seine Persönlichkeit einer Güterzuglokomotive, aber sein Aussehen erinnerte mich eher an den struppigen Anführer eines Löwenrudels.
»Ist er noch da?«, erkundigte sich Glo. »Ist alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut, und er ist weg. Ich dachte nur, ich sollte es dir erzählen, falls ich vermisst oder tot aufgefunden werde, oder so etwas.«
»Hat er dich bedroht?«
»Nein. Er hat von meiner Lasagne gegessen. Und dann ist Wulf hereinspaziert. Und dann sind beide verschwunden.«
»Wie hat dieser Wulf ausgesehen?«
»Unheimlich – ein wenig wie ein Vampir.«
»Wow.«
»Werde ich gerade reingelegt? Taucht das demnächst in der Sendung Die lustigsten Heimvideos auf?«
»Ich habe damit auf jeden Fall nichts zu tun«, erklärte Glo.
Ich warf einen Blick aus dem Fenster meines Arbeitszimmers in den Garten. Kein Zeichen von irgendjemandem, der in den Büschen lauerte oder sich hinter dem Ahornbaum versteckte. Dahinter schaukelten die Boote friedlich im Hafen. In Marblehead ging alles seinen gewohnten Gang. Und das bedeutete, dass nicht viel los war. Ursprünglich war es ein Fischerdorf mit schmalen, gewundenen Straßen, die vom Meer landeinwärts führten. Anstelle der Fischkutter sieht man nun schicke Segelboote, und die meisten Bewohner pendeln heutzutage nach Boston zur Arbeit. Trotzdem hat es sich den gemächlichen Charakter eines alten Kolonialstädtchens bewahrt.
»Ich komme zu dir, sobald ich hier fertig bin«, erklärte Glo. »Ich bringe mein Buch mit, und wir können dein Haus mit einem Zauber belegen, um Vampire abzuwehren.«
»Ich habe gesagt, er sah aus wie ein Vampir. Ich habe nicht gesagt, dass er ein Vampir ist.«
»Ich bringe auch Knoblauch mit.«
»Wenn du ihn auf eine Pizza legst, soll mir das recht sein.«
KAPITEL
3
Glo tauchte kurz nach sechs Uhr auf. Sie hatte ihr Zauberbuch dabei, außerdem eine Pizzaschachtel und eine getigerte Kurzhaarkatze.
»Was soll die Katze hier?«
»Sie gehört dir. Es ist eine Art Wachkatze. Sie wird dir helfen, dein Haus zu beschützen. Ich habe sie aus dem Tierheim.«
»Ich glaube nicht, dass ich im Augenblick eine Katze haben möchte.«
»Aber das ist eine besondere Katze«, wandte Glo ein und setzte das Tier auf den Boden.
»Woher willst du das wissen?«
»Es lief genauso ab wie bei dem Zauberbuch. Das Buch hat mich förmlich in den Laden gezogen, erinnerst du dich? Nun, und diese Katze holte mich in das Tierheim. Ich fuhr auf meinem Weg hierher daran vorbei, und mein Wagen bog wie von selbst auf den Parkplatz ein. Ich schwöre, ich hatte nichts damit zu tun. Und bevor ich mich’s versah, war ich bereits drin und stand direkt vor diesem Kater.«
»Und er hat auf dich gewartet.«
»Eigentlich hat er darauf gewartet, dass …« Glo fuhr sich mit der Handkante quer über die Kehle.
»Er sollte eingeschläfert werden?«, fragte ich.
»Ja«, bestätigte Glo. »Sie wollten ihn töten.«
»Wie schrecklich!«
»Also gut, sie wollten ihn nicht wirklich einschläfern. Ich habe das nur gesagt, damit du ihn behältst. Ich glaube, sie wollten ihn nur baden.«
Der Kater sah zu mir herauf.
»Seine Augen sehen irgendwie merkwürdig aus«, meinte ich. »Und ist sein Schwanz nicht ein bisschen kurz?«
»Im Tierheim haben sie mir gesagt, dass er wohl öfter Streit gesucht hat. Dabei hat er ein Auge und einen Teil seines Schwanzes verloren.«
Ich sah ihn mir genauer an. »Er hat ein Glasauge?«
»Ja. Cool, oder?«
»Hat er einen Namen?«, fragte ich Glo.
»Auf dem Schrieb aus dem Tierheim steht Katze Nr. 7143.«
»Vielleicht solltest du ihn behalten.«
»Das darf ich nicht. Mein Vermieter hat eine Katzenallergie.«
So kann es einem ergehen, dachte ich. Eine Reihe unerwarteter Ereignisse, und, zack, nichts wird wieder so sein wie zuvor. Gestern lief alles noch reibungslos und wie geplant, und nun waren plötzlich zwei beängstigende Männer und eine Katze in mein Leben getreten. Mit der Katze würde ich fertigwerden, da war ich mir sicher. Die Männer hingegen machten mir Angst.
Glo legte ihr Zauberbuch auf die rote Arbeitsfläche meiner Küchenzeile und schob den Pizzakarton auf meinen Secondhand-Tisch aus Kirschholz. Sie öffnete den Deckel und nahm sich ein Stück Pizza.
»Ich habe einige tolle Zaubersprüche für dein Haus gefunden«, erzählte sie. »Wir haben möglicherweise nicht alle Zutaten für den Zaubertrank parat, aber ich schätze, wir können ein wenig improvisieren.«
»Ich will mein Haus nicht mit einem Zauber belegen. Ich mag es so, wie es ist.«
»Machst du Witze? Der Vampir ist doch einfach hereinspaziert.«
»Das war kein Vampir. Er war etwas merkwürdig, aber seine Haut war vollkommen in Ordnung, und er trug einen teuren Anzug.«
»Wie kannst du dir so sicher sein?«
Ich nahm mir ein Stück von der Pizza. »Ich glaube nicht an Vampire.«
»Glaubst du an die Zahnfee? An den Osterhasen?«, wollte Glo wissen.
»An die Zahnfee schon, an den Osterhasen nicht.«
Mit dem Gedanken an Feen konnte ich mich anfreunden, aber ich weigerte mich zu glauben, dass ein riesiger Hase um mein Haus herumhoppelte, während ich schlief.
Ich hörte, wie die Haustür aufging und wieder ins Schloss fiel, und kurz darauf schlenderte Diesel in die Küche.
»Heilige Scheiße«, stieß Glo hervor und starrte ihn bewundernd an.
Diesel streckte ihr seine Hand entgegen. »Diesel.«
»Gloria Binkly. Alle nennen mich Glo.«
Diesel schnappte sich ein Stück Pizza und sah auf den Kater hinunter. »Ich wusste gar nicht, dass du eine Katze hast«, meinte er.
»Er ist neu hier.«
»Wie heißt er?«
»Katze Nr. 7143.«
Diesel gab dem Kater ein Stückchen Pizza und wandte dann seine Aufmerksamkeit dem Buch auf der Arbeitsplatte zu. »Das ist wohl zusammen mit der Pizza und dem Kater geliefert worden.«
»Das Buch gehört mir«, erklärte Glo. »Ich habe es gerade erst erstanden. Und ich habe es mitgebracht, um Lizzys Haus mit einem Zauber zu belegen.«
»Welche Art von Zauber?«
»Einen Zauber, der dich vom Haus fernhalten würde«, erklärte ich ihm.
Diesel lachte bellend auf. »Schätzchen, dafür brauchst du etwas Wirkungsvolleres als alles, was du in diesem Buch findest.«
»Hier stehen einige tolle Zaubersprüche drin«, warf Glo ein und schlug das Buch auf. »Ich könnte dich in einen Frosch verwandeln.«
»Das kenne ich schon«, erwiderte Diesel. »Was hast du sonst noch anzubieten?«
»Hier ist ein Zauberspruch, mit dem man einen Drachen zum Fliegen bringen kann.«
Diesel nahm sich ein zweites Stück Pizza. »Das beeindruckt mich nicht. Jeder weiß, dass die Schwierigkeit darin besteht, einen Drachen zu finden.«
Glo blätterte ein paar Seiten weiter. »Warzen, Beulen, Impotenz, Schlaflosigkeit, Stottern, Hautausschlag. Und hier ist ein ganzes Kapitel über Zauberspiegel und Katzen.«
Wir sahen alle auf Katze Nr. 7143 hinunter. Das Vieh saß geduldig vor uns und wartete auf mehr Pizza. Ich fand nicht, dass es irgendwie verzaubert aussah.
»Hiernach könnte ich Katze Nr. 7143 zum Sprechen bringen«, sagte Glo. »Allerdings bräuchte ich für den Zaubertrank eine menschliche Zunge und Zehennägel eines rumänischen Trolls.«
»So ein Pech!«, erwiderte ich. »Ich habe Zehennägel von bulgarischen und irischen Trollen, aber leider keine von rumänischen Trollen.«
»Okay, ich gebe zu, dass einige dieser Zutaten ein wenig exotisch sind«, räumte Glo ein. »Aber diese Zaubertränke stammen sicher aus uralten Zeiten. Als das Rezept entwickelt wurde, gab es wahrscheinlich jede Menge rumänischer Trolle.«
»Ich störe diese Pizza-Party nur ungern, aber wir müssen uns auf den Weg machen.« Diesel wandte sich an mich. »Ich brauche deine Hilfe.«
Uns auf den Weg machen? Meinte er damit, ich sollte zu ihm in seinen Wagen steigen? »Auf keinen Fall. Ich kenne dich nicht. Ich werde dir nicht helfen. Ich werde nirgendwo mit dir hingehen.«
»Ich komme mit«, sagte Glo rasch zu Diesel.
»Meine Güte, Glo. Er könnte ein Serienkiller oder ein Terrorist oder ein Kidnapper sein«, warf ich ein.
»Mein Verhandlungsspielraum ist wohl nicht sehr groß«, meinte Diesel. »Was muss ich tun, um dich umzustimmen?«
»Da müsste schon ein Wunder geschehen«, erwiderte ich.
Ich muss zugeben, dass ich kein risikofreudiger Mensch bin. Nicht bei Männern. Nicht bei finanziellen Dingen. Nicht bei Schuhen. Ich nehme jeden Tag eine Multivitamintablette. Ich verschließe immer meine Türen. Ich lege immer den Sicherheitsgurt an. Ich esse kein rohes Fleisch. Und sinnlose Unternehmungen mit Leuten, die ich nicht kenne, kommen für mich nicht in Frage.
Diesel betrachtete mich eine Weile und grinste. »Zählt Gedankenlesen als Wunder?«
»Natürlich.«
»Du magst mich«, stellte er fest.
»Nein, tue ich nicht.«
»Das ist eine große Lüge. Du findest mich heiß.«
»Das ist nicht Gedankenlesen«, erklärte ich. »Das ist Wunschdenken.«
»Gibt es noch mehr Wunder, die du bewirken kannst?«, wollte Glo wissen. »Kannst du meine Gedanken lesen?«
Diesel schüttelte den Kopf. »Ich kann Lizzys Gedanken lesen, weil wir auf kosmischer Ebene miteinander verbunden sind.«
»Auf kosmischer Ebene!«, wiederholte Glo. »Das ist so was von typisch für Salem.«
Auf die Gefahr hin, zynisch zu klingen, dachte ich, dass das absoluter Bockmist war. »Kannst du jetzt meine Gedanken lesen?«, fragte ich Diesel.
»Ja«, bestätigte er. »Nur gut, dass deine Mutter deine Gedanken nicht lesen kann. Hat man dir solche Ausdrücke in der Kochschule beigebracht?«
Ich richtete meine Aufmerksamkeit von Diesel auf Katze Nr.7143. Der Kater inspizierte die Küche. Er schritt das Gebiet höchst aufmerksam ab und untersuchte gründlich jede Ecke, wobei er die Ohren spitzte, so dass ihm kein Laut entging.
»Ich habe irgendwo gelesen, dass Katzen Geister sehen und Energiefelder spüren können«, erklärte Glo. »Glaubst du, dass er nach Geistern sucht?«
Ich nahm mir ein zweites Stück Pizza. »Ich glaube eher, dass er hofft, etwas zu fressen oder ein Katzenklo zu finden.«
»Wie dumm von mir«, schalt Glo sich selbst. »Das hätte ich beinahe vergessen. Ich habe Futter und ein Katzenklo im Wagen. Im Tierheim hat man mir eine Erstausrüstung mitgegeben.«
Fünf Minuten später war Katze Nr. 7143 mit einem neuen Katzenklo im Haus eingesperrt, und ich war mit Diesel in seinem Wagen unterwegs. Ich saß auf dem Beifahrersitz, und Glo hatte sich auf den Rücksitz gezwängt.
»Ich kann nicht glauben, dass ich das tue«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Diesel oder Glo.
»Wir haben eine Vereinbarung getroffen«, erklärte Diesel. »Du wolltest ein Wunder haben, und du hast zugegeben, dass es ein Wunder ist, wenn man deine Gedanken lesen kann.«
»Das war kein Wunder. Du hast lediglich geraten und Glück dabei gehabt.«
»Das ist eines der Probleme der heutigen Welt«, meinte Diesel. »Die Leute glauben nicht mehr an mystische Dinge. Ich kann zufällig hin und wieder deine Gedanken lesen. Warum kannst du das nicht einfach akzeptieren?«
»Es ist unheimlich.«
»Das ist doch gar nichts. Du solltest mal an meiner Stelle sein«, erwiderte Diesel.
»Ich glaube an Mystik«, warf Glo ein. »Ehrlich gesagt bin ich der Meinung, dass ich übernatürliche Kräfte habe.«
Diesel warf einen Blick in den Rückspiegel und musterte Glo einen Moment lang, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Straße widmete.
»Wohin fahren wir?«, wollte ich wissen.
»Wir fahren nach Salem. Ich will eine Wohnung durchsuchen, und ich brauche deine Hilfe, um einen ganz bestimmten Gegenstand zu finden.«
»Meine Hilfe? Warum?«
»Weißt du, was ein Unerwähnbarer ist?«
»Ist das was Kriminelles?«
»Ich kenne den Begriff ›Unerwähnbare‹«, meldete sich Glo zu Wort. »Ich habe darüber gelesen. Ein Unerwähnbarer ist ein Mensch mit besonderen Fähigkeiten. Sie sind in einer Art Bruderschaft zusammengeschlossen, in der es einen Vorstand, also ein Führungsgremium gibt.«
»Ich arbeite für diesen Vorstand«, erklärte Diesel. »Ich bin damit beauftragt, Unerwähnbare auszuschalten, die ihre Macht missbrauchen.«
Das ordnete ich auf meiner Liste der blödsinnigsten Geschichten ganz oben ein, aber neugierig war ich trotzdem.
»Und wie schaltest du sie aus?«, fragte ich.
»Wenn ich dir das verrate, müsste ich dich anschließend töten«, erwiderte Diesel.
Diesen Spruch hatte ich schon einmal gehört, und da war mir bewusst gewesen, dass es sich eben nur um einen Spruch handelte. Jetzt war ich mir nicht ganz sicher.
»Warum brauchst du meine Hilfe?«, erkundigte ich mich.
»Du bist eine von uns. Du bist eine Unerwähnbare, und du besitzt eine Fähigkeit, dir mir fehlt. Ich kann Leute aufspüren. Du kannst Gegenstände finden, die magische Kräfte besitzen.«
Ich war sprachlos. Er schien das tatsächlich ernst zu meinen. »Das ist doch lächerlich«, brachte ich schließlich hervor.
Diesel bog von der Lafayette Street ab. »Ja, und ich komme nicht weiter. Nimm es nicht persönlich, aber du bist nicht meine Nummer eins für einen Partner. Es geht hier um einen sehr schwierigen Auftrag, und ich bräuchte eigentlich einen professionellen Unerwähnbaren an meiner Seite.«
»Einen professionellen Unerwähnbaren? Was soll das denn heißen?«
»Das bedeutet, dass ich jemanden brauche, der genau weiß, was er macht. Und der respektiert, welche Verantwortung er trägt.«
»Und was ist mit mir?«, wollte Glo wissen. »Bin ich auch eine Unerwähnbare?«
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Diesel. »Du bist eher eine Fragwürdige.«
Ich war allmählich ernsthaft davon überzeugt, dass ich mich mit einem totalen Spinner eingelassen hatte. Und Glo mitgerechnet hatte ich es schon mit zwei Irren zu tun. Obwohl ich zugeben musste, dass Diesel ein Irrer war, der jedenfalls seine Arbeit ernst nahm.
KAPITEL
4
Wir fuhren in einem glänzenden neuen Porsche Cayenne. Neben Glo auf dem Rücksitz lag ein brauner Lederrucksack, der aussah, als hätte er schon eine strapaziöse Reise durch das halbe Land hinter sich. Auf dem Boden rollten etliche leere Wasserflaschen herum. Diesel blieb an einer Ampel stehen, und ich zog in Erwägung, aus dem Auto zu springen und, so schnell ich konnte, wegzulaufen. Dummerweise würde ich dann Glo mit diesem Verrückten allein lassen.
»Ich will dir nicht zu nahe treten oder so«, sagte ich zu Diesel. »Aber mit dieser ganzen Geschichte über Unerwähnbare und ihre Talente kann ich nichts anfangen. Wahrscheinlich, weil sie schlicht und einfach hanebüchen ist.«
»Na gut, vielleicht solltest du dir die Sache wie einen Kinofilm vorstellen. Stell dir vor, du wärst Julia Roberts, und ich …«
»Brad Pitt«, ergänzte ich.
»Ich dachte eigentlich eher an Hugh Jackman.«
»Der hat Wolverine gespielt, richtig? Nein, auf keinen Fall. Du bist viel eher Brad Pitt.«
»Okay, was soll ’s, dann bin ich eben Brad Pitt. Kannst du damit leben?«
»Vielleicht.« Ich warf Diesel einen stechenden Blick zu. »Du bringst mich also an irgendeinen Ort, wo ich dir bei deiner Suche nach irgendeinem Gegenstand helfen soll. Das ist doch nichts Illegales, oder?«
»Nicht nach meinen Maßstäben.«
»Na toll. Was zum Teufel soll das heißen?«
»Das heißt, der Zweck heiligt die Mittel.«
Wir befanden uns in Gehweite der Bäckerei, aber in dieser Gegend von Salem standen keine historischen Bauten aus der Kolonialzeit, sondern hauptsächlich neuere, gewerblich genutzte Backsteingebäude. Die Straße war breit, und auf den Gehsteigen fehlten die säumenden Bäume. Hier wirkte Salem fast normal. Keine Spur von den Plakaten, die für die Gruselattraktionen in der Stadt warben – Frankenstein’s Laboratory, The 40 Whacks Museum, The Witches Cottage und The Nightmare Factory.
Salem wurde Anfang des 17. Jahrhunderts gegründet und war einmal die sechstgrößte Stadt des Landes und ein blühender Seehafen. Die Hexenprozesse von Salem fanden 1692 statt, und als Salem später seine Bedeutung als Hafen- und Industriestadt verlor, war dieser bizarre Vorfall das Einzige, was man noch von Salem wusste. Die Stadt selbst wiederum machte aus der berüchtigten Vergangenheit einen blühenden Touristenzweig, der Wohlstand, aber auch massenhaft Autos und Scharen von Fußgängern mit sich brachte. Und außerdem die größte Ansammlung von Verrückten in einer Kleinstadt östlich des Mississippis.
Die Ampel schaltete auf Grün. Diesel fuhr einen Block weiter und parkte gegenüber einem dreistöckigen Mietshaus aus Backstein. Glo blieb im Wagen, und Diesel und ich betraten das Gebäude und fuhren mit dem Aufzug in den ersten Stock. Ich folgte Diesel den Gang hinunter bis zum Apartment 2C. Es ist schwer zu erklären, warum ich mit ihm ging. Wahrscheinlich war es eine Art morbider Neugier, vergleichbar mit dem Drang stehen zu bleiben, um sich ein Zugwrack anzuschauen.
Diesel legte seine Hand auf den Türknauf, und die Tür schwang sofort auf.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte ich.
»Keine Ahnung.« Diesel zog mich in die Wohnung und schloss die Tür hinter uns. »Das ist eines der Dinge, die ich einfach kann.«
Ich wollte gerade fragen, was er außer Türschlösser zu öffnen und andere Unerwähnbare auszuschalten sonst noch beherrschte, aber der Anblick des Apartments verschlug mir die Sprache. Es war vollgestopft mit Lebensmitteln. Kisten mit Erdnussbutter, Nudeln in Dosen, Froot Loops, kleinen verpackten Kuchen, Makkaroni mit Käse, Tunfischdosen, Käseflips, Schokoladenriegeln und Nuss-Mix-Packungen stapelten sich an den Wänden. Auf dem Sofatisch häuften sich Tüten mit Schokolinsen, Pfefferminzplätzchen, Karamellbonbons, Schokokugeln und Minischokoladentafeln. Und jeder Zentimeter der Arbeitsfläche in der Küche war bedeckt von riesigen Gläsern mit Mayonnaise, Essiggurken, Oliven, Tomatensoße, Schokoladensoße, Marshmallow-Creme, eingelegten Peperoni, Käsesoße sowie Ketchupflaschen. Es sah aus, als hätte jemand einen Großmarkt überfallen. Und in der Mitte des Esstisches stapelten sich, wie die Kronjuwelen in dieser Masse von Essen, sechs Schachteln von Dazzle’s.
Ich öffnete eine der Schachteln. »Diese Cupcakes gehören Shirley More«, stellte ich fest. »Sie kommt jeden Tag pünktlich um zehn Uhr in unsere Bäckerei und holt sich sechsunddreißig Stück. Eine Hälfte sind Karottenkuchen-Cupcakes mit Sahnequarkglasur, und die anderen sind aus Schokoladenteig mit pinkfarbener Buttercremeglasur und bunten Streuseln obendrauf.«
»Ja. Dieses Apartment gehört Shirley, und alles deutet auf Völlerei hin«, erklärte Diesel.
»Okay, sie hat vielleicht ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen, aber nach einem Vielfraß sieht sie nicht aus.«
»Ich habe nicht auf ihre Essgewohnheiten angespielt, sondern auf ihr Erbe. Shirleys Familie bewacht mit großer Wahrscheinlichkeit seit Jahrhunderten den Stein der Völlerei. Wie man mir sagte, gibt es sieben Todsünden, die man zusammenfassend als SALIGIA bezeichnet. Neid, Hochmut, Habgier, Völlerei, Wollust, Brummbär und Schlafmütze.«