Brandsatz (eBook) - Tommie Goerz - E-Book

Brandsatz (eBook) E-Book

Tommie Goerz

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Beschreibung

Endlich wieder da: Friedo Behütuns ermittelt in seinem brandheißen Jubiläumsfall Corona macht die Menschen verrückt, auch in Kommissar Friedo Behütuns' Umfeld. Da erreicht ihn ein Hinweis: An einem abgelegenen Ort im Wald sollen illegale Schießübungen stattgefunden haben. Behütuns geht der Sache nach und findet eine Handvoll Projektile. Erste Nachforschungen zeigen: Sie passen zu einer Waffe, mit der vor zwei Jahren ein Mann erschossen wurde. Hingerichtet. Der Fall ist bis heute rätselhaft, ein Täter wurde nie gefunden, die Hintergründe nicht geklärt. Behütuns und sein Team übernehmen den Fall und stellen fest: Es gibt noch weitere Spuren der Waffe. Die Ermittlungen führen ins Milieu der Halbwelt, über die Grenze – und plötzlich werden die Hausnummern größer. Da bricht ein Brand aus ...

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Tommie Goerz

Brandsatz

Friedo Behütunsʼ zehnter Fall

Kriminalroman

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage November 2022)

© 2022 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG,

Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

www.arsvivendi.com

Lektorat: Dr. Felicitas Igel

Umschlaggestaltung: FYFF, Nürnberg

Motivauswahl: ars vivendi

Coverfoto: © Mohamad Itani / www.plainpicture.com

eISBN 978-3-7472-0429-0

Inhalt

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

Dank

Der Autor

»Es Lehm is schee.«

»Solang niggs ohbrennd, bassds.«

»Ohber wenn, is’s scheiße.«

»Immer nu besser als der Dohd.«

»Des wahßmer ned.«

Gesprächsfetzen aus einem Wirtshaus

I

»Scheißt ihnen in die Klangschalen!« Kommissar Friedo Behütuns wanderte ein Grinsen ins Gesicht. Unaufhaltsam, von ganz tief aus dem Bauch herauf. Keine Chance, es sich zu verkneifen, wollte er auch gar nicht. Er genoss es, schamfrei. Und lustvoll. Ein gutes Gefühl. Ein sehr, sehr gutes. Ja, genau so! Fünf Worte, auf den Punkt das, was er dachte. Samstagvormittag, er war in der Innenstadt, ein paar Sachen einkaufen fürs Wochenende, und vor der Lorenzkirche krakeelte ein Häuflein »kritischer Bürger« gegen die »Corona-Diktatur«. Vierzig vielleicht, höchstens fünfzig, nicht viel für eine Halbmillionenstadt. Wenn man von einer normalen Deppenquote von fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung ausging, war das beruhigend wenig. Ein Zehntel Promille, nicht mal ein Fliegenschiss. Der aber trug mit handbemalten Tischdecken oder Bettlaken und Pappschildern dick auf. Und das laut. »Impfen tötet«, »Corona ist nur eine Grippe!«, »Impfungen sind eine Biowaffe!«, »Wacht endlich auf!«, »Lasst euch nicht verarschen!«, »Bill Gates lässt grüßen« und solches Zeug war darauf geschrieben. Sie standen im Halbkreis um eine Frau, die mit bisweilen hysterisch sich überschlagender Stimme Unverständliches in ein Mikrofon geiferte. Masken? Abstand? Fehlanzeige. Eine Gruppe Polizisten stand dezent abseits und beobachtete das Ganze. Sie taten Behütuns leid. Mussten sich inzwischen beinahe täglich mit diesen Verqueren herumschlagen. Beschimpfungen ertragen, gehässige Blicke, sich manchmal ankeifen lassen, Unsinn anhören und gute Miene dazu machen, zumindest stoisch bleiben. Sie ertragen. Hin und wieder wurde auch einer aus den Reihen der Demonstranten handgreiflich. »Rothschild«, »Pharmaindustrie«, »Chippen«, »Elite«, »Massenmord« – er verstand immer wieder nur einzelne Vokabeln. Ab und zu applaudierte der gutbürgerliche Halbkreis der bellenden Dame, unterstützte sie mit einem »Bravo!« und sah herausfordernd und wichtig um sich, aber Lebensfreude sah anders aus. Ja, scheißt ihnen in die Klangschalen und Schluss. Der geniale Spruch stand auf einem Pappschild, das ein Rothaariger aus einer Gruppe junger Gegendemonstranten hochhielt. Wer sich der Vernunft verweigert, den triffst du wenigstens noch mit Spott. Vielleicht. Zumindest kannst du dich mit Spott trösten. Behütuns deutete auf das Schild, nickte den jungen Leuten zu und klatschte ein paarmal demonstrativ in die Hände.

Grinste noch immer.

Und stutzte urplötzlich. Er hatte Luna unter den Demonstranten entdeckt. Sie war einer der kritischen Köpfe. Der Verqueren. Der Klangschalen. Luna, seine lange zurückliegende Liebe und Mutter seines Sohnes, von dem er erst seit eineinhalb Jahren wusste. Fridolin. »Friedo junior«, wie er ihn nannte, »Frido« geschrieben. Unwillkürlich wandte sich Behütuns ab. Sie schien ihn noch nicht gesehen zu haben, Gott sei Dank. Er hatte keine Lust auf Diskussionen.

Er tauchte in die Königstraße ab Richtung Pegnitz, mischte sich unter die Passanten und stahl sich davon. Erst aus sicherer Distanz warf er noch einmal einen Blick zurück, wie um sich zu vergewissern. Ja, sie war es. Luna.

Heilige Scheiße.

»Würdest du bitte eine Maske aufsetzen? Bitte, Luna.« Nach eineinhalb Jahren Pandemie war es bei ihm schon fast automatisch, dass er bei unbemasketen – sagte man das so? Oder hieß das »unmaskierten«? Nein, das war Fasching oder Banküberfall – Personen auf Distanz ging. Intuitiv. Für sie, für sich, gegen das Virus. Auch wenn er längst doppelt geimpft war. Er wich einen Schritt von der Tür zurück, sah seine alte Freundin an. Und spürte immer wieder die gleiche Reaktion, wenn er ihr begegnete: Unsägliche Wärme durchströmte ihn. Diese Frau, dieser Blick, diese Augen. Unvorstellbar, dass dieses Wesen einmal ihn … mit ihm … dass diese Frau einer Kröte wie ihm, einer Warze, einem stoffeligen Klotz, überhaupt einmal Beachtung geschenkt hatte. Er hätte sie so gerne berührt, ihr die Hand gegeben, sie kurz in die Arme geschlossen, einen Hauch von ihr an den Wangen gespürt … Aber in diesen verfluchten Zeiten ging das nicht. Er musste es sich verkneifen. Es wäre schlicht unvernünftig, denn sie war nicht geimpft. Verweigerte die Impfung. Der Impfstoff sei in viel zu kurzer Zeit entwickelt worden. Man wisse nichts, aber auch gar nichts über die Neben-, geschweige denn Langzeitwirkungen. Und die habe der Impfstoff garantiert. Sie wüssten ja gar nicht, was da so alles drin sei und was sie sich da spritzen ließen. Nein, sie wolle lieber abwarten, bis es einen konventionellen Impfstoff gebe. Einen »Totimpfstoff«, was immer das sein sollte. Aber damit kannte sie sich aus wie alle die Verweigerer. Stand ja alles im Internet. Was hatte er schon mit ihr und ihrem Mann diskutiert, auch wegen Frido junior. Hatte aber keinen Zweck.

»Eine Maske? Ach komm, für uns doch nicht.« Unentrinnbar, dieses Lächeln, diese Herzenswärme, die sie verströmte. Sirenenhafte Verlockung und Verführung.

»Luna, bitte.«

Er war in den Nürnberger Vorort Kalchreuth gefahren, um Fridolin abzuholen, seinen Sohn, denn der hatte ihn ein paar Tage zuvor angerufen. Wollte ihm etwas zeigen. Dass Friedo Behütuns Fridolins Vater war, wusste der Junge nicht, sie hatten es ihm noch nicht gesagt. Sich noch nicht getraut, es immer wieder vor sich hergeschoben. Der Polizist war für Frido junior nach wie vor nur ein guter Bekannter seiner Mutter. Aber ein interessanter, weil Polizist. Und einer, zu dem er sofort einen guten Draht gehabt hatte, nachdem der Kommissar unverhofft ins Leben der Kleinfamilie getreten war.

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass das alles Blödsinn ist.«

»Lass mich raten: Du bist noch immer nicht geimpft?« Dass er sie erst kürzlich auf der Demo gesehen hatte, sagte er nicht.

»Ach, Friedo.« Sie sah ihn mit ihren weichen, hellblaugrünen Augen fast mütterlich-mitleidig an, hielt den Kopf ein wenig schräg und lächelte fast wie verliebt. »Du hast keine Ahnung, was dieser Impfstoff mit uns macht. Und überhaupt, diese ganze ›Pandemie‹ … diese Corinna … du weißt schon.« Missglückter Witz, einfach nur blöd. Und peinlich bis zum Fremdschämen.

Nein, er würde keine Diskussion mehr mit ihr führen, vernünftige Argumente prallten an ihr ab. Sie erreichten sie nicht, sie wusste alles besser. Was in Wahrheit hinter der Pandemie steckte, was der Weltenplan der Eliten war, der Rothschilds oder wessen auch immer, wie Impfstoffe wirkten und was sie anrichten sollten, dass die Wissenschaft heute so und morgen so und überhaupt. Zumindest hatte sie noch nie etwas von Kinderbluttrinken erwähnt. Wenigstens das. Aber gegen den weltweiten Konsens der Wissenschaft wusste sie was und hatte es triumphierend vor ihm ausgebreitet. Dass nämlich die Wissenschaft so funktioniere: Ein Wissenschaftler genüge, um die gesamte Wissenschaft zu widerlegen. Und hatte Kopernikus angeführt. Und Galileo Galilei. »Zum Beispiel.« Siegessicheres Lächeln. Dass die nämlich, als einzelne Personen, die gesamte Wissenschaft ihrer Zeit auf den Kopf gestellt hätten, damals. Das sei doch Beweis genug. Ein einziger Wissenschaftler genüge … haarsträubend. Ja, Nikolaus Kopernikus wie auch Galileo Galilei hatten die Wissenschaft verändert. Hatten Paradigmenwechsel in der Weltsicht eingeführt. Und massiv gegen Widerstände der etablierten Ansichten kämpfen müssen. Nur: Sie hatten durch ihre Arbeit die Wissenschaft, so wie wir sie heute kennen, überhaupt erst begründet, wenigstens mitbegründet. Die es vorher so gar nicht gab. Luna verglich Äpfel mit Birnen. Quatsch: Kamele mit Eseln. In einem hilflosen Versuch hatte er einmal damit begonnen, ihr das wenigstens in groben Zügen beizubringen. Er war ja selber kein Wissenschaftler, aber er hatte in der Schule aufgepasst, damals. Weil das Thema spannend gewesen war. Astronomie. Physik. Und der Lehrer gut hatte erklären können. Funk, also der Lehrer. Luna aber hatte ihr Wissen aus dem Netz. Aus dessen verseuchtem Teil und Morast, wo alles ganz einfach war und unverantwortliche Hohlköpfe für Leichtgläubige ihren Quark verbreiteten. Kohle damit machten.

Es war, zum wiederholten Male, ein unerfreulicher Versuch gewesen. Ein unfruchtbarer. Nein, Luna hatte keine Ahnung von Wissenschaft und der Art, wie sie arbeitete. Dass morgen falsch sein konnte, wovon man heute noch ausging, war ihr Beweis genug, Erkenntnisse generell infrage zu stellen. Einfach so, ohne Begründung. Ihr einfaches Denken hatte die Wissenschaft längst durchschaut. »Was ist denn die Wissenschaft dann wert, wenn sie sich morgen schon wieder selbst widerlegt?«, hatte sie triumphierend ausgerufen. »Nichts!« Sie wusste es eben besser. Erschreckend. Und jammerschade.

Er hatte es aufgegeben. Und irgendwann während einer dieser Diskussionen war ihm bewusst geworden, dass sie schon früher so gewesen war. Einmal, erinnerte er sich, hatte sie ihm ein Buch angeschleppt von irgendeinem Amerikaner. Das solle er einmal lesen, hatte sie bedeutungsschwanger gesagt, das würde ihm die Augen öffnen. Also hatte er hineingelesen – und nur fassungslos den Kopf geschüttelt. Hier wurde erst raunend, dann triumphierend eine Weltverschwörung aufgedeckt, gesponnen rund um die Elektrizität. Die, die Elektrizität erfunden hatten, hätten nur ein einziges Ziel gehabt: sich die Menschheit zu unterwerfen und sie von sich abhängig zu machen. Ein ganz großer, perfider Plan. »Schau dich doch bloß um«, hatte sie um sich gezeigt. »Kühlschrank, Bügeleisen, Küchenherd, Fernseher, Licht, Mixer, Computer, Heizungsautomatik, Staubsauger, Türklingel … wo immer du auch hinschaust: Alles braucht Strom. Wir alle, die ganze Welt, sind inzwischen komplett abhängig. Die haben uns total in der Hand und machen sich die Taschen voll.«

»Die?«, hatte er gefragt. »Wer sind denn ›die‹«? Und wo ist der große Plan, außer in deinem Kopf? Dass ein Gedankengebäude scheinbar stimmig ist, ist doch noch lange kein Beweis dafür, dass es die Realität abbildet.« Banale Grunderkenntnis, so vielen aber so fremd.

Hatte sie gar nicht verstanden, die Beweise waren, behauptete sie allen Ernstes, doch so offensichtlich und überall. »Schau dich doch um!«

Schon damals hatte er die Diskussion abgebrochen. Es gab keinen großen Plan. Aber man konnte ihn konstruieren – wenn man die Dinge auf den Kopf stellte. Wenn man von hinten her dachte, verkehrt herum. Dann machte die Verschwörungserzählung Sinn. Aber nur theoretisch, innerhalb eines reinen Gedankenkonstruktes. Dass dieses sich aber hermetisch von der Wirklichkeit abkapselte? Keinerlei Verständnis. Nein, die Elektrizität war nicht erfunden worden, um einen großen Plan umzusetzen. Sie war entdeckt worden, und dann hatte man peu à peu ihre Möglichkeiten erfasst, ausgeweitet und ausgebaut. Und natürlich auch seine Geschäfte damit gemacht, klar. Man musste schon die Wirklichkeit, die Zeitabläufe und die Geschichte verdrehen, um hier eine Verschwörung zu sehen. Und dann zu behaupten. Es war ein widerwärtiges Buch gewesen, und nach fünfzig Seiten hatte er es damals weggelegt. Entsetzt. Aber tagelang mit ihr darüber diskutiert. Ohne Erfolg.

Und dann hatte sie ihm irgendwann später einmal ein Buch über »Illuminaten« auf den Tisch gelegt. Angeblich wissenschaftlich. Hochhistorisch. Alles belegt. Was er davon halte. Oh Himmel! »Nichts«, hatte er nach zwei Tagen nur gesagt und ihr das Buch zurückgegeben. »Wie krank müssen Hirne sein, die auch nur einen Funken dessen für wahr halten!« Sie hatten dann nie wieder darüber geredet. Ja, Luna hatte schon immer einen Hang zum Okkulten und Obskuren gehabt. Zu verdrehten Wahrheiten »dahinter«. Die sich aus immer den gleichen Quellen speisten, sich immer gegenseitig zitierten, nur innerhalb der Bubble, und das dann wissenschaftlich nannten. Er hatte das damals verdrängt. Weil er von Luna so hingerissen war, so abhängig, verliebt. Keinen Streit wollte, lieber Liebe. Auch ziemlich dumm. Und jetzt hatte er es wieder mit diesem Denken zu tun. Die Pandemie? Da stecken dunkle Mächte dahinter, ein ganz großer, perfider Plan. Aber wir haben ihn durchschaut!

Mit diesem Selbstbewusstsein musste man erst einmal gesegnet sein: Ich kleiner Zwerg habe die geheimsten Pläne der bisher verborgenen und geheimen Weltenlenker durchschaut! Das angebliche Corona ist Teil eines großen Planes – und gleichzeitig nichts weiter als eine ganz normale Grippe. Geheime Mächte wollen die Menschheit dezimieren und eine neue Weltordnung erschaffen. Belege? Das ist doch offensichtlich. Mehr nicht? Wieso? Ist doch alles logisch.

Und die vielen Toten?

Gibt es gar nicht, ist alles gelogen.

Die Bilder aus Italien?

Fake, alles Fake. Bilder kann man so einfach herstellen.

Ähh … und die Krankenhäuser?

Alles orchestrierte Falschinformation.

Räusper. Und die Medien? Die lügen doch nicht unisono, oder?

Du hast doch keine Ahnung, die sind alle gesteuert, wie auch die Wissenschaft.

Kopfkrebs. Wenn man der Dummheit freien Auslauf gewährt, wird sie schamlos, trumpft auf und verblödet die Welt. Was lief bei diesen Leuten schief? Warum trauten sie blindlings jedem Hirnschiss und verunglimpften die Klugheit als blöd? Kommst du nicht dagegen an, dreht dir jedes Wort im Mund um. Es tat ihm beinahe körperlich weh, Luna auf diesem Gleis zu wissen. Aber er musste sich trotzdem immer wieder damit auseinandersetzen, schließlich lebte sein Sohn bei ihr. Nein, keine Diskussion jetzt. »Ist Fridolin denn schon fertig?« Da kam er auch schon ums Eck, in der Tür zum Wohnzimmer tauchte Lena auf, seine Schwester, winkte.

»Maske dabei?«

Der Fünfzehnjährige schüttelte den Kopf, sah seine Mutter an.

»Geh ruhig. Maske ist Quatsch, außerdem kriegst du damit keine Luft.«

Noch so’n Unsinn. Die Luft blieb einem weg bei der Borniertheit, die verursachte Atemnot, flutete das Hirn mit Müll.

Im Auto reichte Behütuns ihm wortlos eine Maske.

»Gleisenhof hast du gesagt?«

Der Jugendliche nickte. »Da bis ans Ende der Straße, und dann müssen wir noch ein ganzes Stück gehen.«

»Das werden wir schon schaffen, oder?«, versuchte Behütuns einen Scherz und schob gleich hinterher: »Sag mal, bist du jetzt eigentlich geimpft?«

»Nein, du weißt doch, Mama …«

Behütuns nickte. »Willst du denn?«

»Ich würde mich schon impfen lassen, ja.«

»Hast da mal mit deinem Arzt darüber gesprochen?«

»Nein.«

»Soll ich mich mal drum kümmern?«

»Wenn du meinst. Aber das wird Ärger geben mit Mama.«

Das war ihm klar. War unvermeidlich, war halt so.

Behütuns lenkte den Wagen und schwieg. Dachte nach. Dürfte er mit dem Jungen eigentlich zum Arzt und ihn impfen lassen? Quasi als Vater? Auch wenn der junge Frido nicht wusste, dass er sein Vater war? Und er selber keinen Beweis dafür vorlegen konnte?

Schwierig. Bislang galt der Kommissar nur als Freund der Familie, der sich immer mal wieder blicken ließ und mit dem jugendlichen Frido etwas unternahm. Mit ihm ins Stadion ging oder ins Kino oder zum Kanufahren in die Fränkische auf der Wiesent. Und hin und wieder auch so richtig zum Essen, damit der Junge zur Abwechslung mal Fleisch zwischen die Zähne bekam oder ein Bier. Im Zoo war er mit ihm noch nicht gewesen, fand er albern, nicht altersadäquat. Und Konzerte waren nicht, Scheißpandemie.

»Gib mir Bescheid, wenn du willst«, sagte der Kommissar schließlich, »und ich kümmere mich drum.« Er musste sich über den Blödsinn von Luna hinwegsetzen, das wusste er. Vielleicht würde er ihr Verhältnis damit aufs Spiel setzen, vielleicht sogar zerstören. Ziemlich sicher sogar. Aber Frido war sein Sohn, das war ihm wichtiger als jede Rücksicht auf den Verschwörungsrotz.

Er lenkte den Wagen über den Lindelberg, bog in Ermreuth ab, steil hinauf nach Gleisenhof, und rollte die schmale Straße durch den Ort. Irgendwie mochte er das Kaff, schon immer. Abseits gelegen, überall ein bisschen verkraddelt, hier ein blindes Fenster, dort ein reparaturbedürftiges Dach; hier ein aufgebocktes, längst bemoostes Auto – könnte man ja vielleicht irgendwann noch mal ein Teil von gebrauchen –, dort ein eingedrückter Zaun oder ein Haufen Zeug. Latten, Steine, Dachpappe für eventuelle zukünftige Verwendung. Plastikrohre. Was man hat, muss man schon nicht mehr kaufen. Früher gab es hier auch ein Wirtshaus, fiel ihm ein, war aber schon zig Jahre her. Sie hatten ihn damals angeschaut wie einen Fremden, als er einmal hineingestolpert war. Fast feindselig. Hatten auch nur ein paar Schluckspechte dringesessen, dicht umhüllt von Zigarettenrauch. Nach einem Bier war er wieder gegangen, keiner hatte auch nur ein Wort gesagt. Musste in den letzten Tagen des Wirtshauses gewesen sein, war alles schon ziemlich verranzt gewesen, es gab auch nichts zum Essen. Trotzdem: Ihm hatte es gefallen, war noch ein Stück alte Zeit gewesen.

Sie fuhren durch den Ort, am Abzweig vorbei, der links zum kleinen Sportflughafen am Hochplateau führte, und folgten der schmalen Straße am Hang zwischen Datschen und Wochenendhäusern, bis der Weg hinter der letzten Hütte in einem Feldweg endete. Eine große Wiese zog sich hier über den Bergrücken, links stand ein Kreuz mit einer Bank. Weiter Blick ins Land. Er stellte den Wagen nah an ein paar Büschen ab, legte das Schild »Polizei im Dienst« hinter die Windschutzscheibe und stieg aus.

»Hier isses doch, oder?«

»Ja.« Frido nickte. Sie waren in wichtiger Mission unterwegs.

»Also dann: gemmer.«

Der Junior führte ihn, dem Weg folgend, über die Wiese, bergab durch ein Wäldchen, zwischen Hecken hindurch, Schlehen, Hagebutten, Brombeeren, am Waldrand entlang und verließ dann irgendwann den Weg, schlug sich seitlich ins Unterholz, folgte einem schmalen, kaum sichtbaren Trampelpfad. Behütuns stapfte hinterher. Schwitzte. Ärgerte sich, dass er schwitzte. Wollte er nicht – beides nicht. Schwitzen. Und sich ärgern.

»Und hier wart ihr mit der Schule?«

Jung-Frido lachte. »Na ja, so halb.«

Behütuns wartete, ob noch etwas kam, kam aber nichts. »Was heißt ›so halb‹?«

»Wir sind halt abgehauen, zwei Freunde und ich. Die anderen haben Pause gemacht unten auf der Wiese, und wir sind in den Wald.« Gott sei Dank, dachte sich Behütuns, die Youngsters haben das Leben noch nicht verlernt. Obwohl sie fast ein Jahr lang keine Schule gehabt hatten – also Schule schon, aber nur online. Keinen oder kaum direkten Kontakt zu Klassenkameraden. Kein Fußball, kein Rausgehen, kein Abhängen, kein Rumblödeln, nichts. Nur daheim vor dem Rechner, immer weggesperrt, alles nur via Bildschirm. Und immer die Eltern um sich, den ganzen Tag. Und abends? Oder am Wochenende? Nichts. Was sind wir unterwegs gewesen mit fünfzehn, sechzehn, siebzehn. Was haben wir da alles getrieben, dachte er sich. Darf man öffentlich gar nicht erzählen. Nachts zum Fenster raus und weg, mit dem Morgengrauen irgendwann heim, zwei Stunden Schlaf, mit dem Restrausch im Gesicht in die Schule. Im Unterricht eingeschlafen. Das fehlt denen doch alles. Wie sollen die denn diese Zeiten je nachholen? Eine verlorene Generation.

Der Junior führte ihn bergan, blickte sich suchend um, sich seiner Bedeutung als Scout für die Polizei durchaus bewusst. »Hier irgendwo ist es gewesen.« Dann hatte er den Ort wiedergefunden. »Da, schau.«

Behütuns sah, was der Junge meinte. Ein skurriles Waldareal, fast gespenstisch. Verteilt an den Bäumen hingen Zielscheiben, auf einem liegenden Baumstamm standen Konservendosen aufgereiht, verbeult und manche davon schon mehrfach durchschossen, weitere Dosen und Glassplitter verstreut über den Waldboden zwischen leeren Flaschen. Drüben eine grob aus Pappe gebastelte, mit Holzlatten verstärkte Menschensilhouette, angemalt, lebensgroß, sah eher aus wie eine Kindergartenarbeit, aber mit Einschusslöchern. Ein mit Stroh ausgestopftes altes Hemd baumelte wie eine Vogelscheuche an einem Kleiderbügel von einem Ast, Bretter lagen auf Steinen um eine Feuerstelle, umgefallen eine Tierattrappe aus Holz, Stroh und Stoff, der Kopf ein echter Rehbockschädel mit Gehörn. Es war ein buntes Gemisch. Behütuns ließ seinen Blick schweifen. Der Platz wirkte verlassen, wie schon seit Wochen nicht mehr benutzt. Die Stoffe mürbe und zerschlissen, Papiere, Pappplatten und Pressspanteile aufgeweicht und verquollen, die Farben ausgeblichen, vieles hatte schon Moos angesetzt.

»Verrückt«, sagte er. »Aber so, wie es aussieht, ist hier schon länger niemand mehr gewesen.«

»Ja, aber die, die hier waren, haben scharf geschossen. Das ist doch verboten, oder?«

Behütuns wischte sich einen Spinnfaden aus dem Gesicht. »Wirkt aber auf den ersten Blick eher harmlos, das alles. Wahrscheinlich ein paar dumme Jungs, die hier ihre Luftgewehre ausprobiert haben.« Als Jugendliche hatten sie selber Luftgewehre gehabt und sich damit auch in den Wald geschlichen und auf verschiedene Ziele geballert, oft nicht ganz ungefährlich. Das gehörte zu einer Jugend wie Frösche fangen oder mit einem alten Moped durch den Wald knattern. Er sah sich ein paar der Einschusslöcher an, schüttelte den Kopf.

»Die hier«, zeigte er dem Junior, »sind eindeutig von einem Luftgewehr, schau, diese kleinen. Und hier«, er zog sein Taschenmesser hervor, klappte es auf, popelte ein kleines Stück Blei aus einem Holz und gab es dem Jungen, »haben wir auch schon ein Projektil. Eindeutig Luftgewehr. Diese Löcher aber«, er deutete auf andere, »sind von einer größeren Waffe. Das sieht schon nicht mehr so unbedenklich aus. Gar nicht mehr. Hier wurde richtig scharf geschossen. Das gefällt mir nicht.« Er überlegte. »Wenn Ermreuth nicht so nah wäre, würde ich sagen: verboten, ja. Aber eher nicht bedenklich.«

Fridolin sah ihn an. »Was meinst du mit ›Ermreuth‹?«

»Der Ort, in dem wir vorher abgebogen sind. Keine zwei Kilometer von hier.«

»Das weiß ich, aber was ist damit?«

Der Kommissar hielt kurz inne. »Karl-Heinz Hoffmann. Schon mal von ihm gehört?«

»Nein. Wer ist das?«

Behütuns schüttelte den Kopf. »Setz dich mal her, ich glaub, ich muss dir was erzählen.« Er deutete auf die Sitzbretter an der alten Feuerstelle, wedelte ein paar Blätter weg und nahm Platz. Fridolin setzte sich ihm gegenüber. Zwei Haubenmeisen stöberten durchs untere Geäst, sahen wie neugierig herunter und flatterten dann weiter, Äste abgrasen nach Futter für ihre Jungen. Irgendwo weit hinten im Wald der Ruf eines Kleibers.

»Weißt du, vor fast fünfzig Jahren robbten hier an manchen Tagen bis zu vierhundert ›Soldaten‹ durch den Wald. In Kampfanzügen. Fuhren mit ausrangierten Militärfahrzeugen über die Feldwege, mit alten Jeeps, Panzerspähwagen und so, und machten Schießübungen. Spielten Krieg. Bereiteten sich völlig schamlos und vor den Augen der Öffentlichkeit auf einen Einsatz vor. Gegen den Staat. Gegen die Demokratie. Nazis. Und ihr Anführer war? Dieser Karl-Heinz Hoffmann. Eigentlich ein billiger Grafiker, also Schildermaler, aber auch ein Verrückter. Abgrundtiefer Nazi. Bezeichnet sich selbst bis heute als Faschist.«

Er sah den Jungen an, irgendwo knackte etwas im Wald. »Aber was ein Nazi ist und ein Faschist, das weißt du?«

Fridolin nickte. »Schon.«

»Wirklich?«

Der Junge druckste. Bei Wissenslücken ertappt zu werden, ist nie angenehm. »Na ja, so ungefähr. Rechte halt.«

Behütuns nickte. »Rechtsradikale. Staatsfeinde, Demokratiefeinde. Können wir ja ein andermal vertiefen. Auf jeden Fall: Diese ›Soldaten‹ nannten sich ›Wehrsportgruppen‹, und was sie machten, hieß es damals, sei alles ganz harmlos. Schießübungen, militärischer Drill, Angriffe üben, Militärfahrzeuge, Kriegs- oder Umsturzvorbereitungen – alles ganz harmlos? War mir schon damals unbegreiflich. Aber der Polizei war’s anscheinend egal, und die Verrückten hatten auch Rückendeckung bis ganz hinauf. Franz Josef Strauß sagte damals, man solle die Wehrsportgruppen in Ruhe lassen, die ›wollen bloß spielen‹. Wer Strauß ist, weißt du?«

»Nein.«

»Der war damals in Bayern das, was heute der Söder ist.«

»Ministerpräsident?«

»Richtig. Ein rechter Sack.« Behütuns kramte seinen Tabak hervor, pulte ein Paper aus der Verpackung, begann sich eine zu drehen. Seit Corona hatte er wieder damit angefangen. »Und dieser Herr Hoffmann, der war nicht nur der Erfinder und Kopf der Wehrsportgruppe, sondern hat auch sonst Dreck am Stecken. Sagt dir das Oktoberfestattentat etwas?«

Fridolin schüttelte den Kopf.

Behütuns auch. Anders, langsamer.

»Stell dir vor: die Bergkirchweih drüben in Erlangen, also der Berch. Oder das Annafest in Forchheim.«

Fridolin nickte.

»Und jetzt das Gleiche in München, nur ohne Bäume und Berg. Auf einem riesigen Platz mit Schotter. Flach. Karussells, Musik, Saufen. Das ist das Oktoberfest.«

»Was das Oktoberfest ist, weiß ich schon.«

»Gut. Und jetzt stell dir vor, jemand zündet an einem der Zugänge zum Berg eine Bombe.«

»Scheiße.«

»Ja, ziemliche Scheiße. Hat aber einer gemacht. 1980. Und dieser Attentäter war Mitglied in der Wehrsportgruppe dieses Herrn Hoffmann. War von ihm ausgebildet worden. Zumindest stand er auf einer Liste, die man bei dem Nazi gefunden hat. Auf Position drei, also ganz weit oben. Gundolf Köhler. Dreizehn Tote hat es damals gegeben, fast siebzig Schwer- und Schwerstverletzte, über zweihundert weitere Verletzte. War ein Riesending, die Bombe. Ein Blutbad, ein Gemetzel. Und, so viel noch zu Strauß: Der hat damals intern sofort gesagt – wenn ich mich nicht täusche, sogar noch in derselben Nacht –: Das waren die Linken! Das müssen wir denen in die Schuhe schieben. Es war nämlich kurz vor den Wahlen. Der Strauß war so skrupellos, dass er dieses fürchterliche Massaker sofort für sich instrumentalisieren wollte. Für sich und die CSU. Gegen links, also die SPD, also ›die Kommunisten‹, wie er sie hasserfüllt nannte. Wenn du dir das merkst, weißt du genug.«

Behütuns schnaufte durch, suchte den Faden wieder. »Aber noch mal zu diesem Herrn Hoffmann. Der Attentäter von München, das hat sich dann sehr schnell herausgestellt, war wie gesagt Mitglied seiner Wehrsportgruppe. Und Hoffmann selbst war in den Tagen rund um das Attentat mit etlichen seiner ›Soldaten‹ und ein paar alten Militärfahrzeugen in München. Zufällig, wie er behauptete. Und zwar auf dem Weg in den Libanon in ein Ausbildungslager. Damit seine Leute dort bei irgendwelchen militanten Gruppen lernen, wie man Anschläge verübt, Bomben legt, Menschen massakriert und so. Wie man einen Guerillakampf und Krieg führt. Hat er selber geschrieben, in einem Buch, als er im Knast saß. Verrat und Treue hieß das, glaube ich, irgend so ein heroischer Rotz-Titel. Fast tausend Seiten Halbwahrheiten und Lügen, Selbstbeweihräucherung und Abstreiten von Schuld. Außerdem wurde Gundolf Köhler, den es bei dem Attentat mit zerrissen hat, von verschiedenen Zeugen am selben Tag mit anderen zusammen in München gesehen.«

Behütuns machte Anstalten, sich die Zigarette anzuzünden, ließ es aber dann bleiben. »Weißt du, das sind so Sachen, da schäme ich mich für meinen Berufsstand. Bis heute. Denn die Ermittler damals in München, in gewisser Weise ja meine Kollegen, sind alldem nicht richtig nachgegangen. Für sie war dieser Köhler ziemlich schnell ein Einzeltäter. Fall erledigt. Und damit war auch der Hoffmann raus. Man konnte – oder wollte – ihm damals auch nichts nachweisen. Aber dann …«, jetzt kramte er doch sein Feuerzeug hervor, »… sind Jahre später, als man ganz neue Ermittlungsmethoden hatte und man den vielen offenen Fragen hätte neu nachgehen können, plötzlich alle Asservaten, also die Beweismittel, die bei der Polizei gelagert waren, verschwunden gewesen. Und das stinkt, zumindest riecht es sehr komisch.« Behütuns zündete sich die Zigarette an, inhalierte tief und blies den Rauch in die Lichtstreifen, die die Sonne durchs Geäst warf.

»Aber das ist immer noch nicht alles von diesem werten Herrn Hoffmann. Frida Poeschke und Shlomo Lewin, sagt dir das was?«

»Nein.«

Behütuns nickte. »Lewin, ein Jude, war Verleger, Poeschke seine Lebensgefährtin. Es war im selben Jahr wie das Oktoberfestattentat. Wenige Tage vor Weihnachten. Da wurden die beiden erschossen. Einfach so. In Erlangen drüben, in ihrer Wohnung. Und wer war’s? Ein gewisser Uwe Behrendt, der ausgerechnet zu der Zeit bei Hoffmann im Schloss gewohnt hat. Und dieser ehrenwerte Herr Hoffmann? Weiß angeblich von nichts. Das sei ein Zufall. Damit habe er nichts zu tun. Und Behrendt? Tot. Starb kein Jahr später unter mysteriösen Umständen in einem Ausbildungslager im Libanon – wohin ihn selbiger Hoffmann höchstpersönlich geschickt hatte. Terrortraining. Komisch, das alles, oder? Alle Spuren führten immer wieder zu dem Schloss und zu Hoffmann, mögliche Zeugen verschwanden oder sind tot, und dieser Hoffmann lebt immer noch. In Ermreuth drüben, in dem schönen kleinen Schloss. Zwar schon über achtzig inzwischen, aber immer noch bekennender Nazi und stolzer Faschist. Hasst den Staat und die Demokratie.«

Er drehte die Zigarette zwischen den Fingern und sah dem Rauch hinterher. »Und jetzt führst du mich hier in den Wald, keine zwei Kilometer vom Schloss entfernt, und zeigst mir diesen Schießplatz.« Er nahm einen tiefen Zug, inhalierte bis in die Lungenspitzen und stieß den Rauch langsam wieder aus. »Kein Wunder, dass ich da an diesen Herrn Hoffmann denken muss, oder? Zum Schluss geht das jetzt wieder los mit dem Kerl, dass der Leute zu Schießübungen anhält. Und am Ende losschickt für irgendwelche Sauereien. Zutrauen würde ich es ihm – und Nazideppen gibt’s ja genug auf dieser Welt. Bornierte Hohlköpfe, die meinen, sie wären etwas Besseres, weil sie zufällig hier geboren wurden. Großartig. Wie bescheuert muss man sein, um so was ernsthaft …« Er brach ab, nahm noch einen Zug, ließ die Kippe fallen, drückte sie mit der Ferse aus und warf sie in die kalte Feuerstelle.

»Weißt du was? Wir schauen mal, ob wir ein paar Projektile und Hülsen finden. Die geb ich dann ins Labor und lass sie analysieren. Mit was für Waffen hier herumgeballert wurde, ob die registriert beziehungsweise irgendwo erfasst sind, also sich identifizieren lassen und so. Mehr kann ich aktuell nicht tun. Wollmer? Also: Auf geht’s.« Damit erhob er sich und begann mit der Suche.

»Sag mal«, fragte er nach einer Weile, »kennst du eigentlich den jüdischen Friedhof hier, drüben am Hang?«

»Nee.«

»Den schaumer uns danach mal an, okay? Wir haben doch Zeit bis heute Abend. Liegt wunderschön. Lust?«

Eine Viertelstunde später hatten sie eine Handvoll leere Hülsen und ein paar Projektile, die Behütuns aus den umstehenden Bäumen, der Holzverstärkung der Strohpuppe und aus der Tierattrappe gepult hatte. »Das sollte erst mal reichen.« Er nahm die Ausbeute an sich, stopfte sie in ein kleines Plastiktütchen, klappte sein Messer zusammen und steckte es wieder ein. Schoss noch ein paar Bilder mit seinem Smartphone, auch, um die Koordinaten des Ortes parat zu haben, man wusste ja nie, dann war er hier vorerst fertig.

»So, und jetzt komm mit, ich zeig dir mal den Friedhof.«

Frido junior wusste nicht sehr viel über das jüdische Leben von damals. Er kannte auch keinen einzigen Juden. In seiner Klasse zumindest war keiner.

»Weißt du auch, warum?«

»Du meinst, warum ich keinen kenne?«

»Ja.«

»Nein.«