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Dieses E-Book entspricht 208 Taschenbuchseiten ... Eigentlich ist Jenny eine Studentin wie viele andere, auch wenn sie Unterricht in erotischem Poledance nimmt. Doch sie hat auch eine andere Seite: In ihren Fantasien unterwerfen sich Männer ihrer Lust und gnadenlosen Grausamkeit. Als sie den devoten Stephan kennenlernt, öffnet sie sich ihrer dominanten Seite und beginnt, nachts in einem Domina-Studio zu arbeiten. Doch findet sie bei Stephan die Lust und Liebe, die sie sucht? Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.
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Seitenzahl: 286
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Impressum:
Brennende Nächte der Leidenschaft | Erotischer SM-Roman
von Tara Silver
Tara Silver lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in einem Haus, wo sich hinter jedem Fenster die grünen Weiten eines Landschaftsschutzgebietes erstrecken. Abends trinkt sie Wein bei Kerzenschein, hört den Grillen und Fröschen in ihrem Garten zu und träumt von neuen Geschichten. Bevor sie sich der Erotik zuwandte, schrieb sie über Naturschutz und Freundschaft. Inzwischen liebt sie es, die tausend Facetten von Erotik und Sexualität auch in ihren Romanen zu erforschen.
Lektorat: A. K. Frank
Originalausgabe
© 2020 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: Elisanth @ shutterstock.com Kimbomac @ shutterstock.com Buslik @ shutterstock.com
Umschlaggestaltung: MT Design
ISBN 9783964778789
www.blue-panther-books.de
Sehnsucht bei Kerzenlicht
Die schwarzen Wände im Freibeuter wurden von Holzbalken durchbrochen, auf denen sich Staub sammelte. Der langhaarige Mann hinter dem Tresen trug einen Thorshammer an einer Kette über dem engen, schwarzen Shirt. Von ihrem Tisch neben der Treppe nach unten hatte Jenny einen guten Blick darauf, wie er Getränke mixte und Gläser spülte. Am liebsten hätte sie ihm die ganze Zeit auf den Hintern gestarrt.
»Der sieht wirklich lecker aus«, pflichtete ihre Freundin Deborah den unausgesprochenen Gedanken bei. »Sollen wir uns volllaufen lassen und ihn dann fragen, ob wir ihm Dollarnoten in den Gürtel stecken dürfen?«
Jenny zuckte zusammen. Lachen wollte in ihr aufsteigen, aber sie unterdrückte es schnell. »Das ist aber nicht nett von dir!«
»Wer will schon immer nett sein?«
»Hm …«
Sie starrte in das bunte Windlicht in der Mitte des Tisches, das zwischen dem Kartenhalter mit den vielen Werbezetteln für Sondergetränke und ihren Cocktailgläsern beinah verloren ging. In dem bunten Glas brannte ein Teelicht. Die kleine Flamme schwebte über dem farblosen Wachssee. Sie bewegte sich nicht.
Jenny stupste das Glas an. Etwas von dem flüssigen Wachs lief über und mischte sich mit den alten Wachsresten, die den Boden des Windlichts bedeckten. Die Flamme wich schüchtern zur Seite aus und nahm ihre vorherige Form wieder an.
»Pass auf, sonst geht sie aus«, meinte Deborah.
Jenny hielt die Hand über das Glas. Die Wärme berührte ihre Fingerspitzen. Es tat gut. Ihr Oberteil war zu dünn für die Nacht. Die Zugluft von der Kellertreppe ließ sie permanent frösteln, obwohl der Winter schon lange vorbei war. Sie senkte die Hand und genoss die stärker werdende Hitze.
Deborah sah zu und rührte mit dem Strohhalm in ihrem Cocktailglas herum.
Jenny fragte sich, ob es möglich wäre, die Kerze durch Sauerstoffmangel zum Erlöschen zu bringen, wenn sie die Hand schnell genug senkte, um die Luftzufuhr zu ersticken. Sie bewegte die Hand zügig nach unten – und schrie leise auf, als die Hitze mit einem Mal wie ein glühender Speer durch ihren Handteller schoss. Sie wedelte durch die Luft und pustete auf die schmerzende Stelle. Schließlich kam sie auf die Idee, damit das halb leere Glas mit dem Crushed Ice zu umschließen. Die Hitze und der Schmerz ließen nach.
Ihre Freundin lachte. »Was ist denn eben in dich gefahren, Süße?«
»Nur ein Experiment.«
»Wie lange du es aushältst, bis der Schmerz unerträglich wird?«
»Wer stärker ist. Die Flamme oder ich.«
»Nun, ich denke, die Frage hast du beantwortet.«
Jenny nahm einen Schluck Baileycolada und presste die Lippen zusammen. »Sie sieht so klein und harmlos aus.«
Für einen Moment schwiegen sie. Die Gespräche der anderen Gäste schienen anzuschwellen, sich wellenförmig durch den Raum zu bewegen und Jennys nackte Schultern und Dekolleté zu umschlingen. Sie wünschte, sie wäre an einem anderen Ort. Irgendwo, wo es sich nicht anfühlte, als ob die Oberfläche der Dinge jederzeit zerbröckeln und zurückweichen könnte, um das Chaos dahinter preiszugeben.
Die trügerisch kleine Flamme wartete auf Nahrung. Wenn Jenny sich vorbeugen würde, würden ihre dunklen Locken in Flammen aufgehen und nichts weiter zurücklassen als den Geruch geschmolzenen Keratins. Wenn sie das Teelicht sanft hervorangeln würde, könnte sie das Wachs über den Handrücken fließen lassen und das süße Gefühl von Hitze und brennendem Schmerz genießen. Manchmal brauchte sie diese Empfindung, die sie zurück in ihren Körper holte und sie daran erinnerte, dass es eine Barriere zwischen dem Chaos der Außenwelt und dem vertrauten Chaos in ihrem Innern gab.
Jenny rieb sich über die Stirn und nahm noch einen Schluck. Sie verabscheute das Gefühl, wenn die Oberflächen der Dinge ihre Farbe auf eine subtile Weise verschoben, die nur sie sehen konnte. So, als ob sich eine neonglühende Leuchtquelle in ihrem Innern befand, von der aus sich die Formen und Farben der Welt in den Schatten am Rand des Blickfeldes zu flüchten versuchten.
Deborah schlürfte ihren Drink nahezu leer, während Jennys immer noch halb voll war. »Was meinst du? Noch was bestellen, oder machen wir uns allmählich auf ins Abenteuer?«
Jenny hielt sich an ihrem Glas fest. Wenn sie jetzt aufstünde, würde ihr schwindelig werden, das spürte sie. Sie brauchte mehr Alkohol, um ihren Kopf wenigstens halbwegs klar zu kriegen.
»Lass uns dem hübschen Typen noch ein wenig auf den Hintern starren«, sagte sie deswegen. Mit einem großen Schluck leerte sie ihr Glas beinah. Das sanfte Brennen des Alkohols breitete sich in ihrem Magen aus und half dabei, der Welt wieder die gewohnte Form zu geben.
Deborah hob die Hand und winkte der gerade durch den Raum gehenden Kellnerin zu. »Das Gleiche noch mal, Jenny?«
Sie nickte.
Eigentlich hatte sie heute nicht so viel trinken wollen. Morgen war ein wichtiger Tag und sie wollte früh aufstehen, um nicht zu spät zur Messe und zur Modenschau zu kommen. Außerdem hatte sie diesen Monat kaum Geld übrig. Alles, was sie jetzt für überteuerte, schaumige Alkoholmischungen ausgab, würde ihr sowohl am Monatsende, als auch morgen beim Bummeln auf dem Messegelände fehlen.
»Kennst du dieses Gefühl von dazwischen?«, fragte sie und drehte das Glas auf dem feuchten Bierdeckel mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen, die das Zittern ihrer Fingerspitzen verbergen sollten.
»Wie meinst du das?«
»Zwischen zwei Lebensphasen, meine ich. Wie damals nach dem Abi. Wenn du noch nicht weißt, was die Zukunft bringt, und die Vergangenheit endgültig vorbei ist und nicht mehr funktioniert.«
»Wegen deinem Ex? Der war ein Idiot. Trauerst du dem immer noch hinterher?«
»Blödsinn!« Jenny trank den letzten Rest aus und wünschte, sie hätte etwas mit mehr Umdrehungen bestellt, um nachzuspülen. »Seit der Trennung hab ich ja wohl genug Typen geknallt, um zu beweisen, dass ich drüber hinweg bin.«
»Es waren drei.«
»Reicht das nicht?«
»Vielleicht wird es Zeit für Nummer vier?«
Jenny lachte und angelte nach einem der Getränkeprospekte, um damit nach Deborah zu schlagen. Für die Besten der Männer, las sie darauf aus den Augenwinkeln.
Auf die wartete sie noch. Ganz eindeutig. Keiner ihrer One-Night-Stands war schlecht gewesen, aber es war auch keinem von ihnen gelungen, ihre Seele zu berühren. Die Orgasmen hatten ihrem Körper Erleichterung geschenkt, aber ihr Herz und ihren Geist im Austausch dafür mit quälender Leere erfüllt. Hinterher fühlte sie sich jedes Mal dreckig, auch wenn sie das bei einer sexuell so aufgeschlossenen und entspannten Frau wie Deborah niemals zugeben würde.
»Mit dazwischen meine ich eigentlich beruflich«, erklärte sie. »Oder allgemein für die Farben und Formen, die dein Leben hat. Du spürst, dass das, was du kennst, für immer vorbei ist. Das, was kommt, wird anders sein, und vielleicht wird sich sogar die Art verändern, wie du Farben wahrnimmst. Du hast ein oder zwei Vorstellungen davon, was die Zukunft bringt … aber im Grunde weißt du, dass du den neuen Weg einfach noch nicht begreifen kannst. Weil du noch nicht so weit bist.«
»Hm …« Deborah winkte der Kellnerin zum zweiten Mal und wurde wieder übersehen. Es war zu voll an diesem Abend. Wenn der Freibeuter eine Bühne wäre, befände sich ihr Tisch mit der Zugluft von der Kellertreppe bereits im Backstagebereich.
»Vielleicht komme ich auch nur nicht damit klar, dass ich arbeitslos bin«, philosophierte Jenny weiter. »Ganz ehrlich, der Juraabschluss war megahart. Bis ich die Prüfungsergebnisse kriege, bin ich arbeitslos, ganz egal, wie viel BAföG ich kriege. Und dann muss ich noch auf das Referendariat warten und hoffen, dass ich einen Platz in der Nähe kriege.«
»Genieß die Freizeit doch einfach! Während der Prüfungen hast du viel zu hart gearbeitet. Du brauchst Ruhe, um wieder zu dir selbst zu finden.«
»Das ist es ja!« Jenny schob das Glas und das Windlicht mit einer abrupten Geste fort. »Ich habe keine Ahnung, wer das sein soll: ich selbst.«
»Hm.« Deborah krauste die Stirn und musterte Jenny mit schiefgelegtem Kopf übertrieben aufmerksam. »Also, wenn du mich fragst, bist du selbst … hm …«
»Ja?« Ihr Herz klopfte plötzlich schneller, als ob Deborah die Antwort hätte, die ihr fehlte.
»Du bist eine Frau, die eindeutig nicht betrunken genug ist.«
Jenny gab ein empörtes Geräusch von sich und griff wieder nach dem Getränkeflyer. »Ich hau dich eindeutig nicht oft genug auf den Kopf!«
Deborah quietschte und wich aus. »Du, wenn wir hier nichts mehr zu trinken kriegen, sollen wir allmählich losziehen Richtung Disco?«
»Von mir aus.« Sie warf einen sehnsüchtigen Blick zu dem Typen hinter dem Tresen. Er war wirklich hübsch. Seine Silhouette brachte einen unwillkürlich dazu, nach seiner Gürtelschleife greifen zu wollen, um sich auf den Tresen zu setzen und ihn mit den Beinen enger an sich zu ziehen. Wie sich seine Hände wohl auf ihren Brüsten anfühlen würden?
Deborah folgte Jennys Blick. »Sollen wir doch hierbleiben und ihn fragen, wann er Feierabend hat?«
Jennys Wangen wurden heiß. Sie schüttelte den Kopf. »Wo sollen wir denn so spontan Dollarnoten für seinen Gürtel hernehmen, he?«
Deborah lachte und verlor beinah ihr Gleichgewicht. »Punkt für dich. Dann gehen wir jetzt feiern.«
Jenny zögerte ein letztes Mal. »Ich muss morgen früh aus dem Bett. Vielleicht sollte ich jetzt doch besser nach Hause gehen.«
»Was hast du denn vor?«
»Ich will zur Steampunkmesse. Ich habe monatelang an dem Kleid gearbeitet.«
»Ach komm … Ein letzter Drink in der Disco?«
»Du weißt genau, dass es nicht bei dem einen bleibt.«
»Und du weißt genau, dass du mitkommen willst. Los. Keine Diskussion.«
Jenny lachte und folgte ihrer besten Freundin. »Du hast ja recht. Außerdem habe ich mich auch darauf gefreut, mit dir um die Häuser zu ziehen.«
Sie zahlten am Tresen und verließen den Freibeuter eng ineinander gehakt. Deborahs Nähe gab Stabilität und Sicherheit.
Jenny drückte die Metalltür mit der Glasscheibe auf und versuchte, die winzigen Flecken auf dem Türrahmen zu ignorieren. Auf dem dunkel lackierten Metall zeichneten sich Kratzer und winzige schwarze Flecken ab, die vermutlich kein Schmutz waren, sondern seltsame Formen von Materialkorrosion. Um den Türrahmen herum wucherte raues, künstlich gealtertes Holz im gleichen Farbton wie die restlichen Balken an den Raumwänden. Es passte nicht zum metallenen Sicherheitstürrahmen.
Vor der Tür saßen weitere Feiernde zwischen Metallsäulen, in denen bläuliche Gasflammen flackerten und die Abendkühle vertrieben. Einige hatten die Beine in dünne rote Vliesdecken gewickelt, die der Freibeuter den Gästen im Außenbereich zur Verfügung stellte. Jenny schauderte. An diesen Decken klebten die Erinnerungen an die Leben von Dutzenden Menschen, die sich bereits hineingewickelt hatten. Die grünen und blauen Neonreklamen in und über den großen Fenstern nach innen schufen ein unwirkliches Dämmerlicht, das leicht zu vibrieren schien. Alles wirkte gleichzeitig seltsam distanziert und so, als ob es in jeder Sekunde Jennys Barrieren durchdringen könnte, um sich auf direktem Weg mit ihrer Seele zu vermischen.
Sie zog Deborah dichter an sich und hoffte, dass das Gefühl verschwinden würde. Doch überall, wo sie ihre Freundin nicht berührte, behielt die Welt dieses seltsame Gefühl, als ob sie gleich auseinanderfallen und tiefere Geheimnisse enthüllen würde. Geheimnisse, von denen Jenny nichts erfahren wollte.
Sie blieb kurz stehen, um die Hand vor das Glas einer neonröhrenbeleuchteten Anzeigetafel zu halten. Es fühlte sich kalt an, obwohl es viel heller leuchtete als die unschuldige Kerze an ihrem Tisch zuvor.
Steampunk-Fantasien
Die Schlange an der Discogarderobe erstreckte sich über den abgesperrten Bereich hinaus. So, wie es aussah, würden Jenny und Deborah mindestens eine halbe Stunde warten müssen, bevor sie ihre Jacken abgeben konnten.
Jenny wippte mit den Absätzen und fragte sich, wie es wäre, endlich wieder Sex zu haben. Sie wollte die Augen zu schließen und auf einen Mann zu warten, der die Arme um sie legte und sie an sich zog. Nicht mehr denken, nicht mehr fühlen, einfach nur begehrt werden und im Geruch und Verlangen eines Mannes ertrinken.
Wahrscheinlich würde es heute Nacht nicht klappen. So funktionierte die Welt. Je mehr man nach etwas verlangte, desto weniger bekam man es.
Ihre Fußballen brannten, obwohl die Absätze nicht der Rede wert waren. Sie stellte sich vor, wie Feuer aus der Erde aufstieg und ihre Füße und Beine wärmte. Es funktionierte nicht. Das Gebäude zwängte sie zwischen fremden Menschen und Metallrahmen ein, die die Menschenschlange an Ort und Stelle festhielten. Wenn sie der Typ wäre, der einfach mit Fremden ins Gespräch käme, würde sie vielleicht schon hier neue Freundschaften schließen, doch sie hielt den Blick starr auf Deborahs petrolfarbenes Shirt gerichtet und konzentrierte sich darauf, wie die Farbe die Lichtflecken der an den rauen Wänden angebrachten Spotlights verschluckte.
Warum nannte man es ›Feiern gehen‹, wenn die Füße brannten und man sich inmitten von Fremden aneinanderdrückte, so als ob die körperliche Nähe zu den anderen kein Unbehagen auslöste? Die Araberin vor ihr in der Schlange lachte zu schrill und warf die parfümierten Haare nach hinten. Ihr Freund oder Cousin folgte der Bewegung mit dem Blick und passte auf, dass niemand anders diesen Schatz an Weiblichkeit versehentlich berührte.
So schön sind die Haare nicht, hätte Jenny am liebsten gesagt. Ich klau sie ihr schon nicht. Außerdem hat sie Spliss, deine Lady. Warum trägt sie diese langen Haare überhaupt offen? Anständige Mädchen stellen was mit ihren Haaren an, stecken sie hoch oder lassen sie schneiden oder färben. Nur Schlampen laufen so rum!
Jenny fuhr sich durch die Haare, die sie lose am Hinterkopf zusammengesteckt hatte. Der wahre Grund dafür war pragmatisch: Sie hasste es, wenn die Haare in ihrem Nacken sich beim Tanzen feucht verklebten. Wenn sie dann weitertanzte, befürchtete sie jedes Mal, sich die Haut an der Shirtkante mit den dazwischen geratenden Haaren aufzuscheuern.
Eine Frau, der das egal war, musste einen schlechten Charakter haben!
Und wie laut die andere lachte …
***
Nach gut zehn Minuten konnten Deborah und sie endlich ihre Jacken abgeben. Sie fassten sich an den Händen, wie schon in vielen Partynächten. Auf dem ersten Floor wurde Hip-Hop gespielt und sie gingen schnell weiter.
»Schau mal!« Deborah hielt inne und wies mit dem Kinn auf eine der Nischen, in denen Lederimitatsofas behagliche Loungeatmosphäre verbreiteten und der Großraumdiskothek auf wenigen Quadratmetern die Illusion von Behaglichkeit erlaubten. »Die wollen gleich aufstehen, oder?«
Jenny machte sich ebenfalls kampfbereit. »Sieht ganz so aus. Los, wir schlendern näher. Das wird heute Nacht unsere Kampfbasis.«
Sie schoben sich möglichst unauffällig näher an die Loungenische, um festzustellen, ob die anderen tatsächlich aufbrechen wollten oder lediglich ein paar von ihnen. Deborah sprach eine der Frauen an und erhielt ein Lächeln und ein Nicken.
»Wir können uns schon hinsetzen«, sagte sie zu Jenny. »Unsere Absätze werden es uns danken.«
Jenny grinste und ließ sich auf das Sofa mit Blick auf Bar und Tanzfläche im Hintergrund sinken. Hier war es ein wenig geschützter, auch wenn die gesamte Architektur nur die Illusion von verwinkelt und voneinander abgetrennten Nischen inmitten der Partyareale erzeugte. In Wahrheit hatte man bei der Raumgestaltung sorgfältig darauf geachtet, dass die Gäste überall den Blicken preisgegeben waren und angraben oder angegraben werden konnten.
Ihre Füße taten tatsächlich weh.
»Wir haben nicht mal was zu trinken geholt«, sagte sie. »Und wir haben auch noch nicht getanzt. Warum ziehen wir uns schon hierhin zurück?«
»Weil wir die Lounge jetzt für uns haben! Wie selten kommt das bitte vor?«
Jenny zuckte mit den Schultern. »Was zu trinken könnten wir uns trotzdem holen. Gehst du oder soll ich?«
»Ich mach schon. Wie immer?«
»Ich nehme ein Weizen. Zweite Runde geht auf mich.«
»Alles klar. Bis gleich!«
Jenny lehnte sich nach hinten und spürte mit dem Nacken die Weichheit des Sofas. Die Einsamkeit schmerzte beinah brutal. Die Welt bestand aus Farben und Formen, die mit jedem Photon klar machte, dass sie selbst nicht ganz hineingehörte.
Wie schön es wäre, einen Mann zu finden, an dessen Schulter sie sich anlehnen könnte und dessen Stärke und Blick der Welt ihre klare Form zurückgeben würde! Jemand, in dessen Augen Herausforderung und Humor blitzten und hinter dessen kultivierter Fassade sich ein Hunger auf Leben verbarg, der sich mit ihrem messen konnte. Denn was immer sie bisher vom Leben bekommen hatte – es war zu wenig. Sonst würde die Welt ihre Form behalten und sie würde spüren, dass sie das, wonach sie sich sehnte, auch bekommen durfte.
Was immer das war.
Als Deborah mit den Getränken zurückkam, entschuldigte sie sich kurz, um auf die Toilette zu gehen. Sie ging zügig an den Menschen vorbei, die betrunkene gute Laune versprühten oder sich mit angestrengter Konzentration an ihren Gläsern festhielten und darauf warteten, dass die Partystimmung endlich auf sie überschwappte.
Jenny wünschte, sie wäre aus der Kneipe direkt nach Hause gegangen. Jeder der Fremden hier erschien ihr wie der lebende Beweis dafür, dass sie nicht ganz in diese Welt hineinpasste. Die Musik passte nicht zu dem, wonach es sie verlangte. Darin klang zu wenig Swing mit, zu wenig Bass und Beat und sehnsüchtiger Ruf der Trommel, der ihr Blut in Brand setzte und die unsichtbare Wand zwischen ihr und der Welt verbrannte.
Ob alle Leute diese Barriere fühlten und sich nach Verbundenheit sehnten?
Hier sah man nur die Gesichter und Schminke und die Kleider, die die Leute für eine Nacht zu tragen entschieden hätten. Obwohl sie physisch dichter an die Leute herankam, sehnte sie sich nach dem Screen ihres Handys, um die Memes und Statusbeschreibungen zu lesen, mit denen die Menschen mitteilten, was in ihrem Innern passierte.
Als sie zurückkam, saß Deborah nicht länger allein in der Lounge. Drei Männer Anfang zwanzig hatten sich zu ihr gesetzt. Zwei hatten dunkle Haare, einer war blond und hatte sich die Haare leicht stachelig gegelt. Seine Augen waren grünbraun, wenn das Licht nicht täuschte.
Jenny setzte sich zu ihm auf das ansonsten freie Sofa und stellte sich mit Handschlag vor. Die anderen begrüßten sie ebenfalls, wandten sich aber sofort wieder Deborah zu, die aussah wie eine zufriedene Katze vor einer Schüssel mit Sahne. Sie genoss es sichtbar, von zwei Seiten in ein Gespräch verwickelt zu werden. Einen der Männer berührte sie mit dem Ellenbogen, den anderen mit dem Knie.
Jenny wandte sich ihrem Sitznachbarn zu. Er roch nach zu viel Moschusdeo und Rasierwasser, als ob er seinem eigenen Körpergeruch nicht traute, aber in seinen Augen lagen Freundlichkeit und Wärme.
»Wie heißt du?«, fragte sie schließlich, als er von sich aus nichts sagte.
»Lukas, und du?«
»Jenny.«
Er nickte und schien nicht zu wissen, was er als Nächstes sagen sollte.
»Bist du häufiger hier?«, nahm Jenny ihm diesen Teil des Small Talks ab.
Nicht, dass es sie interessiert hätte. Sie beneidete Deborah ein bisschen darum, dass die sich mit zwei Männern unterhalten durfte und sie selbst nur mit einem, aber die anderen sahen auch nicht viel interessanter aus als ihr Gesprächspartner.
Wenn Jenny Pornos schaute, sah sie am liebsten Gangbang-Videos. Nicht die Varianten, in denen es aussah, als ob eine Frau zu irgendetwas gezwungen wurde oder bei der Doublepenetration Schmerzen erlitt, wie manche Produktionen es als scheinbar besonderes Werbemerkmal im Beschreibungstext hervorhoben! Das traf ihren Geschmack überhaupt nicht.
Sie liebte die Filme, in denen zumindest die Illusion entstand, dass die Frau eine Königin war, der von unzähligen Männern gehuldigt wurde. Alle brachten sie ihr Liebe und Leidenschaft entgegen, verlangten nach ihr und wurden von ihrer unendlich scheinenden sexuellen Energie befriedigt und aufs Neue in Knechtschaft und Anbetung versetzt. Sie besaß die Macht, all diese Männer dazu zu bringen, sich für sie auszuziehen – und natürlich behielt sie selbst etwas am Körper, einen Strumpfhalter mit edlen Strümpfen und monströse High Heels zum Beispiel, während die Sklaven vollkommen nackt blieben.
Die Sklaven und Diener reckten ihre Schwänze stolz und hungrig nach vorn und konnten es kaum erwarten, endlich persönlich ihrer Königin ihre Zuneigung und ihr Verlangen zu zeigen. Sie webten ein Netz aus Hunger, verschwitzten Körpern, Feuer und einer Intensität, neben der man das ganze restliche Leben vergaß.
Ihre Gangbang-Fantasie, mit der sie sich oft auch ohne Videomaterial in andere Sphären kickte, konnte an allen möglichen Orten stattfinden. Das durchschnittliche Porno-Schlafzimmer mit einem heruntergekommenen Bett war ihr deutlich zu langweilig. Sie fantasierte über seidenbezogene Bettwäsche und Spitzenvorhänge im Stil des viktorianischen Englands, wo ein diskretes Hausmädchen hinter verschlossener Tür darauf wartete, der Herrin nach ihrer Vergnügung eine kunstvoll angerichtete Stärkung zu servieren.
Ein anderer Ort, der ihre Fantasie erregte, waren heruntergekommene Industrieruinen. Rostige Balken, graffiti-beschmierter Beton und große Maschinen schufen die Illusion einer durch und durch maskulinen Welt, in der kein Raum für feminine Schmuckelemente und glatte Oberflächen war. Vielleicht war hier ein Vorarbeiter zurückgeblieben, der eine Gewerkschaftsversammlung mit ausschließlich Männern leiten wollte, und der plötzlich durch das völlig unpassend in transparenten Chiffon gekleidete Mädchen aus dem Konzept gebracht wurde …
Ihr Lieblingsszenario spielte im viktorianischen England, oder genauer gesagt in einer magischen Steampunk-Version davon. Es war der Maschinenraum eines für die damalige Zeit revolutionären Ozeandampfers. Neben der Luke für die Unmengen an staubiger Kohle, die das Feuer im Innern des Schiffes am Brennen hielten, befanden sich kunstvolle Apparaturen mit messingfarbenen Zahnrädern und Kupferkugeln, von denen violette und eisblaue Blitze zuckten.
Ein Gentleman im maßgeschneiderten Anzug mit perfekt sitzendem Zylinder brachte sie im Rahmen einer Schiffsbesichtigung nach unten, damit sie als Luxusklasse-Passagier auch die Technik des Schiffes kennenlernen konnte. Plötzlich wurde der Begleiter aus ihrer eigenen Schicht wegen eines Funkspruchs nach oben gerufen. Natürlich erwartete er, dass die Lady ihm folgte, doch die Lady hatte viel mehr Lust, die Apparaturen genauer zu betrachten – und die Männer, die aufgrund der Hitze und der körperlichen Arbeit zu ihren Hosen nichts weiter trugen als Hosenträger, die vom Kohlenstaub genauso verschmutzt waren wie ihre schweißglänzenden Oberkörper. Sie strahlten Hunger und animalische Wildheit aus, da es ihnen auf der wochenlangen Überfahrt nicht möglich war, die Gesellschaft einer Frau zu genießen.
Zumindest nicht, bis Jennys Avatar die Schranken der guten Gesellschaft überschritt. Sie blieb allein mit den muskelbepackten Arbeitern in dieser stählernen Zauberhöhle, in der das Stampfen der Maschinen Worte übertönte und die Lichtblitze und die Glut des Kohlenfeuers für eine diabolische Atmosphäre sorgten.
In dieser Fantasie tat Jenny, wie vermutlich unzählige Ladys in alten Zeiten, als müsse sie ihr Strumpfband richten. Zu diesem Zweck hob sie den Saum ihres Kleides bis zum Oberschenkel und kontrollierte den Sitz ihrer Strumpfhalter. Sie war sich der Blicke, die ihr dabei folgten, vollkommen bewusst. Jeder brauchte manchmal etwas zum Träumen.
Mit einem Blick, dessen Unschuld nur vorgetäuscht war, vergewisserte sich Jenny, dass alle Arbeitsabläufe im Raum zum Stocken gekommen waren. Jeder Mann sah in ihre Richtung. Nur ein einzelnes Messingrad drehte sich noch auf der Apparatur, und die Turbinen stampften unaufhörlich, während sie das Schiff weiter über den Ozean trieben.
Der Mann, der die Kohle geschaufelt hatte, umfasste den Griff seines Instruments. Obwohl er damit einen gefühlten Wall zwischen sich und der fremdartig-bedrohlichen Frau aufbaute, hatte die Geste etwas Phallisches. Jenny blickte kurz in seinen Schritt und sah sich dann weiter im Raum um. Sein Kollege, der zuvor eine kurze Pause eingelegt hatte, stand halb abgewandt. Vielleicht wollte er sein Gemächt damit vor Jennys forschendem Auge schützen. Zwei weitere Männer standen bei den Hebeln zum Bedienen der Apparaturen, deren Zweck Jenny nicht interessierte, solange sich nicht irgendwo so viel Druck aufbaute, dass etwas explodierte und sie in Gefahr brachte. Sie ließen die Finger sanft über das polierte Messing gleiten, als ob sie Jenny in Gedanken bereits streichelten und sich noch nicht trauten, den ersten Schritt in ihre Richtung zu machen.
Im Gegensatz zu den einfachen Arbeitern starrten sie Jenny mit dem Selbstbewusstsein von Männern an, die wussten, dass sie ein Recht auf das hatten, wonach es sie verlangte.
»Meine Herren, Sie haben nicht zufällig etwas, womit ich meinen kaputten Strumpfhalter reparieren kann?«, fragte Jenny kokett und hielt ihren Rocksaum weiterhin oben.
»Lassen Sie mich mal sehen, was ich tun kann«, sagte der älteste der Männer. Die Hosenträger enthüllten einen tadellos in Schuss gehaltenen Männerkörper, bei dem die aufgequollenen Bodybuilderformen jüngerer Männer sehnigen Muskeln Platz gemacht hatten, die ihre Funktion erfüllten und dadurch erotischer wirkten als jede künstlich perfektionierte Form.
Jenny schob den Rock noch etwas höher, damit er den Strumpfrand aus Spitze und die gelöste Strumpfhalterung genauer betrachten konnte – und natürlich die nackte Haut ihres Oberschenkels.
»Ich verstehe«, sagte er. Der Mann streichelte über ihr Bein, ließ die Hand auf der Innenseite liegen und sah ihr tief in die Augen. Mit den Fingerspitzen übte sinnlichen Druck aus und brachten Jenny dazu, die Luft tief einzuziehen. Er lächelte wissend. Stück für Stück schob er die Hand weiter nach oben, bis Jenny vergaß, dass sie so tun musste, als ginge es tatsächlich um den Strumpfhalter. Ein sinnlicher Schauder durchlief sie.
»Das sieht mir nicht wie etwas Mechanisches aus, was wir hier mit unseren Händen und Instrumenten reparieren können«, meinte er. »Wahrscheinlich brauchen Sie dafür die Hilfe einer Schneiderin, die weiß, wie man zerrissene Fäden wieder zusammenknüpft.«
»Gibt es wirklich gar nichts, was Sie für mich tun können?« Jenny schob ihre Unterlippe schmollend nach vorn und fuhr mit der Zungenspitze darüber. »Ich würde ungern wieder nach oben gehen, ohne … wie soll ich sagen? Ohne, dass da unten wieder alles in Ordnung ist.«
Sie streichelte über seinen Oberarm und signalisierte ihm mit sanftem Druck, dass er die Hand höher schieben sollte. Und noch etwas höher. Bis dorthin, wo es zwischen ihren Beinen feucht geworden war und nach der Art Befriedigung verlangte, die nur ein Mann ihr geben konnte.
Währenddessen folgten die anderen Männer dem Intermezzo mit ihren Blicken. Einer hatte die Hand vor den Schoß gelegt, entweder, um sich dort zu streicheln oder um die wachsende Beule zu verbergen.
»Vielleicht gibt es doch etwas«, sagte der Mann bei ihr. »Allerdings müsste ich mir dafür einmal den gesamten Strumpfhalter anschauen. Wenn Sie sich dafür einmal auf diese Tischplatte setzen würden und mir erlauben, den Aufbau genauer zu untersuchen?«
»Natürlich, mein Herr. Ich weiß, dass ich bei Ihnen in den besten Händen bin.«
Ihre Augen sagten: Ich will Sex. Mit Dir. Jetzt.
Die Augen des Mannes sagten: Ich will es dir besorgen, bis du um Gnade bettelst. Aber wir sind nicht allein.
Umso besser. Du allein wirst mit mir ohnehin nicht fertig. Ich bin das Feuer eines Vulkans, und du bist nur ein Sterblicher.
Er zitterte, aber er sah sie weiterhin an und ertrank in ihren Augen.
Sie ließ sich von ihm auf die Tischplatte heben und zog die bauschigen Röcke ihres aufwendigen Kleides nach oben. Alle Männer holten synchron tief Luft, als sie ihre Beine ungeniert entblößte und man sogar die nackte Haut oberhalb ihrer Strümpfe sehen konnte.
»Wenn Sie die Situation genauer betrachten wollen, muss ich den Strumpfhalter dafür ausziehen?«, fragte sie.
Der Mann schüttelte den Kopf. Er schob den Rock weiter nach oben und streichelte über ihren glatt rasierten Venushügel, der durch keine Unterhose vor Blicken oder Berührungen geschützt wurde. »So wie jetzt kann ich arbeiten«, erklärte er.
Er ließ die Hand auf dem Venushügel liegen und streichelte mit dem Daumen über das zarte Häutchen, das ihre Perle schützte. Zwei weitere Männer kamen dazu, Jenny hätte nicht mehr sagen können, was zuvor ihre Aufgabe gewesen war. Jetzt zählte nur noch, dass es Männer waren und sie nach ihr verlangten. Sie streckte die Hände nach links und rechts aus und berührte die beiden im Schritt. Sie kamen näher, drückten sich an ihre Beine, und Jenny griff in die Hosen und umfasste ihre halbsteifen Schwänze.
»Vielleicht könnt ihr mir noch bei etwas anderem helfen« gurrte sie. »Ein Mann allein ist bisher noch nie mit mir fertig geworden … und ihr seid doch Freunde, die zusammenhalten?«
Eine Antwort war nicht nötig.
Einer der Männer umfasste ihre Taille, zog sie näher zu sich und fasste mit der anderen Hand in ihren Ausschnitt. Sie liebkoste seinen Schwanz intensiver, ließ aber die andere Hand ausgestreckt, um den anderen Mann nicht zu vernachlässigen. Der Mann umfasste ihre Brust und massierte zärtlich den Nippel, der sich unter seiner Berührung versteifte und süße Lustwogen durch ihren Körper sandte. Das leichte Vibrieren des Schiffes übertrug sich auf die Platte, auf der sie saß, und damit auf ihre Perle.
Der Anführer, der zwischen ihren Beinen stand, massierte weiter. Jenny stöhnte auf und gab die Kontrolle über die Situation auf. Er schob einen Finger in sie, oder waren es mehrere? Es spielte keine Rolle, sie floss ohnehin über. Der Mann, der sie im Arm hielt, küsste sie und sie schob die Zunge hungrig in seinen Mund. All diese Männer gehörten ihr. Es spielte keine Rolle, wer glaubte, die Situation zu kontrollieren. Ohne ihren Mut und ihre Schönheit wäre es nie dazu gekommen.
Sie umschlang den Mann vor sich mit ihren Beinen und zog ihn in ihre Richtung, als …
***
»Träumst du?«, fragte der Mann, der neben ihr auf dem Lounge-Sofa saß.
Jenny zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. »Bitte entschuldige … ich bin müde. Morgen ist Steampunk-Modenschau, und ich habe in Gedanken noch mal durchgespielt, ob mit dem Kleid alles in Ordnung ist.«
Ganz falsch war die Darstellung nicht.
»Ich habe dich gefragt, ob du häufiger hier unterwegs bist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht der Typ für die Disco. Hier ist mir alles zu laut und zu gut ausgeleuchtet. Mit all den blitzenden Lichtern soll es aufregend aussehen, aber in Wahrheit ist kein Raum für Geheimnisse oder Leidenschaft.«
Er beugte sich zu ihr und sprach übertrieben laut: »Ich habe kein Wort verstanden. Kannst du das noch mal wiederholen?«
»Mir gefällt das Ambiente hier nicht«, sagte sie lauter. »Ich bin eher so der Typ fürs viktorianische Zeitalter.« Ein perverses Vergnügen daran, seine Erwartungen zu durchbrechen, erfüllte sie. Wahrscheinlich hatte er beide Male jedes Wort verstanden, aber ihre Sätze nicht in den Zusammenhang gebracht. Es waren nicht die Worte, die man sprach, wenn man sich in einer Disco das erste Mal über den Weg lief.
»Wie bitte?«, sagte er dann auch folgerichtig.
Plötzlich hatte sie keine Lust mehr auf das Spiel, auf die Disco und überlauten Small Talk mit Menschen, die sie vermutlich nie wieder sehen würde. »Hast du Lust zu knutschen?«, fragte sie stattdessen.
Und bevor er wieder nachfragen konnte, weil sie mit ihren Worten schon wieder die Zirkellinie der angemessenen Erwartungen überschritten hatte, fasste sie in den Kragen seines Hemdes und zog ihn zu sich.
Er schob sie von sich. »Nicht so ungeduldig!« Sein Grinsen war beinah unangenehm selbstgefällig.
»Was geht denn bei euch?« Deborah lachte auf dem anderen Sofa. »Jenny, bist du betrunken?«
»Nicht so betrunken wie du«, konterte sie. »Erzählt mal, Jungs … seid ihr häufiger hier?«
Mit einem Grinsen, das sich wie eine Grimasse anfühlte, hörte sie sich die Antworten an. Sie unterhielten sich zu fünft. Deborah und Jenny erlaubten den Jungs, ihnen noch einen Drink zu spendieren, und irgendwann schnappte Jenny sich ihren Sitznachbarn doch und startete eine Knutscherei, weil sie die Oberflächlichkeit und Leere des Gesprächs nicht länger ertrug.
Er legte den Arm um sie und streichelte ihren Rücken, aber weiter ging er nicht. Jennys Brüste fühlten sich unbefriedigt und ihr Hintern nicht wertgeschätzt. Sie streichelte über seinen leicht verschwitzten Rücken und atmete den künstlichen Geruch seines Deos und Rasierwassers oder Parfüms ein.
Wer hatte es vergessen, diesem Mann bei seiner Erschaffung die wichtige Information mitzugeben, dass Persönlichkeit und die Fähigkeit zum Selberdenken attraktiver waren als jeder mechanisch nachgekaufte Hemdenschnitt oder Synthetikduft?
Irgendwann blickte Deborah von der anderen Seite des Sofas zu ihr und machte eine kreisende Handbewegung und zeigte mit dem Daumen nach hinten: Sammeln und Rückzug?
Jenny nickte und löste sich aus der Umschlingung.
»Willst du schon gehen?«, fragte der Typ enttäuscht. »Sehen wir uns denn mal wieder?«
»Na klar!« Sie strahlte ihn an. »Gib mir dein Handy, dann tippe ich dir meine Nummer ein.«
»Wirklich?«
»Glaubst du etwa, ich lüge?«
Natürlich log sie. Sie hatte kein Interesse daran, einen Mann bei Tag wiederzusehen, der sie bereits nachts, wenn sie halb betrunken war, nicht in ein vernünftiges Gespräch verwickeln konnte. Worüber sollte sie dann mit ihm reden?
Was bliebe ihnen dann zu tun, außer zu vögeln?
Sie nahm das Handy, das er ihr hinhielt, und gab ihren Vornamen und eine fiktive Handynummer ein. »Mein Akku ist leer«, erklärte sie. »Aber kannst dich ja mal melden.«
Bitte nicht, hoffte sie. Ihr selbst wurden häufiger in der Straßenbahn Telefonnummern zugesteckt, die sie normalerweise in den nächsten Mülleimer warf. Bitte mach es genauso!
»Bist du soweit?«, fragte Deborah. »Können wir?«
Sie holten ihre Jacken an der Garderobe und machten sich auf den Weg durch die Kälte. Bis zur Bahnhaltestelle waren es nur fünfhundert Meter, aber in ihren dünnen Ausgehjacken und verschwitzt wie sie waren, froren sie.
»Da hinten kommt die Bahn!« Deborah machte einen Schritt nach vorn und schwankte leicht. »Fuck, ich hab viel zu viel getrunken. Falls ich kotze, dreh mich bitte in eine andere Richtung. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn ich dir aus Versehen in den Ausschnitt reihere.«
»Ist gebongt.«
Jenny legte den Arm um ihre Freundin und half ihr beim Einsteigen. Sie würde mit zu Deborah fahren, nur zur Sicherheit, und wahrscheinlich bei ihr übernachten. Wenn Deborah nicht mehr richtig geradeaus gehen konnte, würde sie niemals riskieren, dass irgendein Typ ihrer Freundin auf dem Heimweg etwas antat.
Das bedeutete wohl, dass sie schon in wenigen Stunden aufstehen würde. Immerhin war morgen die Steampunk-Modenschau, auf die sie sich seit Wochen freute und bei der sie ihr neues Kleid präsentieren konnte.
Sie fragte sich, ob die mittelmäßige Fummelei die Müdigkeit wert gewesen war, die sie als Preis dafür morgen überwältigen würde.
Der Mann, der anders ist
Am nächsten Morgen umklammerte Jenny die Stange neben der Straßenbahntür und starrte auf die Knopfleiste an der Seite ihrer Wildleder-Imitat-Handschuhe. Der Farbton passte nicht ganz zum Braun ihres Taftkleides. Wahrscheinlich würde es niemandem außer ihr auffallen, aber bei ihren Gewandungen war sie Perfektionistin.
Sie wünschte, sie hätte die Disziplin besessen, bei Deborah pünktlich aufzustehen, um sich in ihrer eigenen Wohnung noch in Ruhe duschen und umziehen zu können. Stattdessen war sie den ganzen Weg zur Straßenbahn gerannt, hatte sich die Beine nicht mehr rasiert und das Korsett nur notdürftig und schnell geschnürt. Es drückte bereits jetzt.
Als die Bahn endlich den Messebahnhof erreichte, sprang sie die Stufen hinab und sprintete trotz der Absätze an ihren Knöpfstiefeln los. Dabei rempelte sie eine ältere Dame mit weißer Dauerwelle und einem Hund an.
»Entschuldigung«, sagte sie mechanisch, und wollte weiterlaufen.