Im Schatten der Alhambra | Erotischer Roman - Tara Silver - E-Book

Im Schatten der Alhambra | Erotischer Roman E-Book

Tara Silver

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Beschreibung

Dieses E-Book entspricht 216 Taschenbuchseiten ... Kann Prostitution die Tür zur großen Liebe öffnen? Die lebenslustige Lee wird im Urlaub von ihrem Freund betrogen und verlässt ihn. Nach einer Nacht im Freien begegnet sie der geheimnisvollen Eyreen. Eyreen ist Tantra-Masseurin mit eigenem Studio und bietet Lee an, sie in die Lehre zu nehmen. Lee stellt fest, wie sehr diese neue Sex-Technik sie erregt. Als sie dem Geschäftsmann Martin begegnet, wird ihr neues Gleichgewicht erschüttert. Martin ist intelligent, zärtlich und aufmerksam. Doch er wurde von der Liebe genauso enttäuscht wie Lee. Scheitert die aufkeimende Liebe an der Barriere aus Geld und käuflichem Sex? Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.

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Impressum:

Im Schatten der Alhambra | Erotischer Roman

von Tara Silver

 

Tara Silver lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in einem Haus, wo sich hinter jedem Fenster die grünen Weiten eines Landschaftsschutzgebietes erstrecken. Abends trinkt sie Wein bei Kerzenschein, hört den Grillen und Fröschen in ihrem Garten zu und träumt von neuen Geschichten. Bevor sie sich der Erotik zuwandte, schrieb sie über Naturschutz und Freundschaft. Inzwischen liebt sie es, die tausend Facetten von Erotik und Sexualität auch in ihren Romanen zu erforschen.

 

Lektorat: Jasmin Ferber

 

 

Originalausgabe

© 2021 by blue panther books, Hamburg

 

All rights reserved

 

Cover: © Mila8 @ shutterstock.com © AHMAD FAIZAL YAHYA @ shutterstock.com

Umschlaggestaltung: MT Design

 

ISBN 9783966417082

www.blue-panther-books.de

Eine unschöne Entdeckung

Lee schreckte hoch. Bläuliches Nachtlicht floss durch das Fenster. Die unvertrauten Formen der Möbel und Schattenwürfe erfüllten das Jugendherbergszimmer mit einem vagen, vibrierenden Gefühl von Bedrohung. Gleichzeitig fühlte sie einen diffusen sinnlichen Hunger, den sie sich in wachem Zustand niemals eingestanden hätte. Sex. Jetzt. Egal mit wem und auf welche Weise.

»Jason?«, fragte sie verschlafen und tastete über das Bett. »Wo bist du?«

Niemand antwortete.

Der Halbschlaf verabschiedete sich und machte Platz für Beklommenheit. Lee vergaß den Hunger … wie schon häufiger. Sie mochte es nicht, wenn sie auf diese Weise fühlte.

»Jason!«

Sie suchte, bis sie den Lichtschalter gefunden hatte. Grelles Neonlicht erfüllte das billige Jugendherbergszimmer. Kein Mann lag auf der Matratze neben ihr.

Bleib ruhig, befahl sie sich. Er ist wahrscheinlich nur den Gang runter auf die Toilette.

Sie griff nach ihrem Handy und checkte es mechanisch auf neue Nachrichten. Niemand hatte ihr geschrieben. Aber Jason war vor zwanzig Minuten online gewesen.

Das Gefühl von Beklommenheit vertiefte sich. Ihre Blase machte sich bemerkbar.

Lee schwang die Beine aus dem Bett und suchte nach den Stiefeln. Ihr Rücken schmerzte von den Tagen, in denen sie mit dem schweren Rucksack bergauf und bergab gelaufen war. Leggins und Shirt reichten aus, um damit über einen Jugendherbergsflur zur Toilette zu gehen, entschied sie. Auf dem Weg dahin kam sie an den Örtlichkeiten für die Herren vorbei. Beinah zufällig, als wäre es nicht sie selbst, drückte sie die Klinke und spähte hinein.

»Jason?«

Niemand antwortete.

Fuck it. Das bedeutete …

Lee wusch sich die Hände und ging kurz entschlossen die Treppe nach unten. Unten im Haus befand sich eine Bar, aus der trotz der späten Stunde noch Stimmen zu hören waren. Natürlich war es nicht verboten, noch mal aufzustehen und einen Drink zu nehmen, wenn man nach einem Wandertag nicht schlafen konnte. Wenn Jason Lust dazu hatte, war das sein gutes Recht.

Hätte er sie nicht auch wecken und fragen können, ob sie mitwollte?

Oder hatte er es versucht und sie nicht wach bekommen?

Unwahrscheinlich, gestand sie sich ein. Jason fragte selten danach, wie es ihr ging oder wie sein Handeln auf sie wirkte. Wenn es etwas gab, wonach es ihn verlangte, dann nahm er es sich und grinste spitzbübisch. Er schien es für selbstverständlich zu halten, dass die Welt ihm verzieh, was auch immer er sich einfallen ließ.

Genau das war der Quell des flauen Gefühls in Lees Magengegend.

Die Bar war eine einfache Studentenkneipe, spezialisiert auf junge Leute mit wenig Geld. Künstliche Palmen, holzverschalte Wände und eine kleine Auswahl günstiger Drinks. Dazu ein Kickertisch, ein Zigarettenautomat und einer für Kondome, über den sie am Vorabend noch mit Jason gelästert hatte.

Eine müde Spanierin stand hinter dem Tresen und sortierte Gläser aus der Spülmaschine in ein Wandregal. Eine Gruppe von drei Männern saß an einem der Tische und starrte in fast leere Biergläser. Ein Pärchen saß eng verkeilt in einer Ecke des Raums und schien den Rest der Welt vergessen zu haben.

Lees Blick glitt auf der Suche nach Jason über das Pärchen hinweg und kehrte dann zurück. Dieser dunkelhaarige Mann, der ganz offenbar Anstalten machte, seine Zunge im Hals der blonden Frau zu versenken, und ihre Brüste dabei heftig knetete … War das Jason?

In einer kurzen Bewegung sah sie sein Profil, die halb geschlossenen Augen, in denen Lust schimmerte.

Seit Wochen erzählte er ihr, dass er zu viel um die Ohren hatte, zu erschöpft war, zu viele andere Dinge ihn beschäftigten. Für Sex war kein Platz mehr in ihrer Beziehung.

Und jetzt … massierte er diese fremde Frau? Auf diese Weise?

»Hör auf!« Sie schrie es, bevor sie es dachte.

Alle blickten auf und sahen sie an. Die Spanierin am Tresen ließ ihr Glas sinken und runzelte die Stirn. Jason hielt in der Bewegung inne, ohne die Hand von der fremden Brust zu nehmen. Die Chill-out-Musik spielte weiter.

Lee hatte sich nie gefragt, was sie anstellen würde, wenn so etwas geschah. So etwas passierte anderen, aber doch nicht ihr. Sie war doch eine von den Netten. Sie hatte sich immer Mühe gegeben, alles richtig zu machen in ihrer Beziehung. Sollte sie weinen, sollte sie vor Schock erstarren, oder sich umdrehen und den Raum verlassen, als würde der schockierende Anblick nicht existieren?

Stattdessen marschierte sie durch den Raum und war dankbar für die Kampfstiefel, die ihren Gang geschmeidig und aggressiv machen. Sie blieb vor Jason stehen, der die Arme immer noch um die Blondine geschlungen hatte. Auf dem Tisch vor ihm standen zwei fast leere Bierflaschen. Eindeutig nicht genug Alkohol, um das hier zu rechtfertigen.

Es gab auf der ganzen Welt nicht genug Alkohol, um sein Scheißverhalten in etwas zu verwandeln, was okay war.

»Was soll das?«, forderte sie zu wissen.

Jason sah sie an, in seinem Blick die genervte Langeweile, mit der er sie im Streit schon häufiger an die Wand gespielt hatte. »Es hat nichts zu bedeuten«, erklärte er. »Nur ein Urlaubsflirt.«

Lee holte tief Luft, versuchte es zumindest, aber ihr Atem war blockiert. Sie machte ein ungläubiges Geräusch.

»Ich hab dir von Anfang an gesagt … So viel, wie du in letzter Zeit geklammert hast … Ich brauche Luft zum Atmen.«

War er betrunken? Oder hatte er den Verstand verloren?

Luft zum Atmen. Lee atmete tief ein, hob die flache Hand und schlug zu. Es knallte. Jason griff sich an die Wange und starrte Lee fassungslos an. Die Blondine machte Anstalten, sich von ihm zu lösen, doch er hielt sie weiterhin fest.

Die spanischen Männer an dem einzig besetzten Tisch johlten und riefen Lee Ermutigungen oder Zoten zu, die Aussprache zu verwaschen, als dass sie es mit ihrem Schulspanisch verstehen konnte. Das erinnerte sie daran, dass sie nicht allein auf der Welt war.

»Dafür wirst du dich entschuldigen«, sagte Jason kalt.

»Einen Dreck werd ich!« Sie machte einen Schritt nach hinten und spuckte auf den Boden. »Da! Das halte ich von dir.«

Sie suchte in seinem Blick nach Reue, nach Bedauern, nach einer Entschuldigung, und fand nur Langeweile und Überdruss. Tränen schossen ihr in die Augen und brannten, bevor sie überquollen. Hastig drehte sie sich um und lief zur Treppe, bevor jemand die Demütigung in ihrem Blick sah und sich darüber amüsierte.

Niemand folgte ihr.

»Fuck, fuck, fuck!« Sie schluckte hart, schniefte und wiederholte den Fluch. »Jason, warum hast du das getan?«

Oben im Zimmer packte sie wie in Trance ihre Sachen zusammen und schnürte Rucksack und Isomatte an ihren Rucksack. Bisher hatte sie diesen Teil des Survival-Packs nicht genutzt, weil Jason entgegen seinen vollmundigen Ankündigungen dann doch jedes Mal in einer Jugendherberge schlafen wollte. Sie zog das Shirt aus, streifte sich den Sport-BH über und zog das T-Shirt wieder an. Dann setzte sie den Rucksack auf und blickte sich um. Hatte sie etwas vergessen?

Und wenn schon. Was auch immer hier herumfliegen mochte, sie brauchte es nicht. Alles, was zählte, war, diesen Ort der Demütigung so schnell wie möglich zu verlassen.

Der Rucksack war schwer. Ihre Schultern und Bauchmuskeln brannten beim Treppensteigen, genau wie ihre Beine.

Unten musste sie durch die Bar gehen, um ins Freie zu gelangen. Jason saß allein an einem Tisch. Die Blondine hatte sich offenbar verzogen. Als er Lee auf ihrem Weg zur Tür sah, sprang er auf und stellte sich ihr in den Weg.

»Wohin gehst du?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du kannst doch nicht mitten in der Nacht rausgehen!«

»Aber du!« Sie schluckte hart und starrte ihn böse an.

»Lee … meinst du nicht, wir sollten erst mal reden?«

»Dann hättest du eben gerade mit mir nach oben gehen sollen.« Ihre Entschlossenheit bröckelte. »Du hättest der blöden Schl… Du hättest ihr sagen müssen, dass sie gehen soll.«

»Sie ist freiwillig gegangen.«

»Und warum bist du dann nicht hoch zu mir gekommen, um dich zu entschuldigen?«

»Ich habe Zeit zum Nachdenken gebraucht.«

»Nachdenken … Wie du am besten Schluss machst?« Sie schnaubte böse, um die Tränen zu verstecken.

»Nein! Lee … Nein.« Er streckte die Hand nach ihr aus. »Das habe ich nicht gewollt.«

Sie wich zurück. »Das hättest du dir früher überlegen müssen.«

Er machte ebenfalls einen Schritt nach hinten und hob die Hand, als ob er sich gegen den Schlag verteidigen wollte, den Lee ihm am liebsten verpasst hätte.

Bitte sag etwas, flehte sie lautlos. Bitte … Ich will nicht gehen. Draußen ist es kalt und dunkel … Du und ich, wir wollten doch den schönsten Urlaub der Welt miteinander verbringen! Endlich mal wieder Zeit für uns haben, nach all dem Stress mit der Uni, den Jobs und all den anderen kleinen Dingen.

Vielleicht fand er die Worte nicht. Was hätte er auch sagen können?

Lee öffnete die Tür und ging nach draußen. Die Nachtluft war unerwartet warm und umfing sie wie eine Umarmung aus der Dunkelheit.

Leere

Jason blieb in der Tür stehen und starrte Lee hinterher. »Komm zurück«, sagte er leise.

Doch natürlich kam sie nicht. Der Spielautomat hinten in der Bar stieß leise dudelnde Töne aus. Eine Chill-out-Version von Lemon Tree erfüllte den Barbereich, und die Männer links von ihm starrten demonstrativ in ihre Biere, damit er nicht merkte, dass sie ihn beobachteten.

Was für ein demütigendes Gefühl.

Jason fühlte sich schrecklich. Wie konnte Lee ihn auf diese Weise im Stich lassen? Natürlich, er hatte mit der anderen Frau rumgeschmust … Aber er wusste, dass Lee auch kein Kind von Traurigkeit war. Er hatte mehr als einmal gesehen, was für Blicke andere Männer ihr zuwarfen, und manchmal hatte sie als Antwort darauf gelächelt. Immer wieder unterhielt sie sich mit anderen und behauptete, nicht zu merken, wie flirty sie damit wirkte.

Auch wenn er sein Bestes gegeben hatte, um ihr das abzugewöhnen. Er mochte es nicht, wenn sie andere Männer auf diese Weise anlächelte. Dann hatte er jedes Mal das Gefühl, nicht gut genug für sie zu sein.

Als er Lee kennengelernt hatte, war sie eine sinnliche Frau gewesen, unter deren Haut ein rotgoldenes Leuchten zu pulsieren schien. Leidenschaft, die ihn anzog und nur darauf wartete, sich Bahn zu brechen. Jeder Zentimeter ihrer Haut schien Verlangen auszustrahlen. Er hatte nicht widerstehen können. Alles, was sie war, wirkte so exquisit und verführerisch …

Aber während es ihm am Anfang erschienen war, als ob sie nur für ihn leuchtete, war ihm zunehmend klar geworden, dass sie ihr Lächeln und ihren unsichtbaren Zauber viel zu freigiebig in alle Richtungen ausstrahlte. Warum konnte sie dann nicht damit leben, wenn er das auch tat – vor allem, weil Lee in den vergangenen Monaten immer blasser und farbloser geworden war und eine unsichtbare Mauer zwischen ihm und ihr zu bauen schien, als ob sie ihm ihr Leuchten nicht länger gönnte?

Die blonde Touristin, deren Namen er bereits vergessen hatte, kam zurück. »Ist sie deine Freundin?«, fragte sie leise.

Jason schüttelte den Kopf. »Wir reisen nur zusammen. Also, Freundschaft mit Extras oder so.«

Er spürte, dass die Worte nicht fair waren. Lee hatte Ich liebe dich zu ihm gesagt, und er hatte die Worte erwidert. Schon vor Monaten. Sie waren ein Paar und gehörten zusammen.

Aber wenn sie ihn lieben würde – wäre sie dann heute Abend gegangen? Mehr noch: Hätte sie ihn in den vergangenen Wochen und Monaten so oft ignoriert und behauptet, dass ihre Prüfungsvorbereitungen wichtiger seien als ein spontaner Blowjob, die Abende mit ihren Freundinnen wichtiger als die Rückenmassage, die sie ihm wochenlang versprochen und dann doch vorenthalten hatte?

»Klingt kompliziert«, sagte die Fremde sanft. »Willst du drüber reden?«

»Eigentlich nicht.« Er ließ trotzdem zu, dass sie seine Hand nahm und ihn zu dem Tisch führte, an dem sie vor Lees unerwartetem Erscheinen gesessen hatten.

Sie bugsierte ihn auf einen Stuhl und ging zum Tresen, von wo sie mit zwei Bierflaschen zurückkam. »Sind die letzten für heute«, sagte sie. »Wir sollen schnell trinken und dann gehen, die Dame will ins Bett.«

Er nickte und starrte auf die Wassertropfen, die außen auf der Flasche perlten wie der Schweiß auf den Brüsten einer leidenschaftlichen Frau.

Lee. Warum war sie bloß gegangen?

»Sie muss betrunken gewesen sein«, sagte er, ohne auf die Worte der fremden Frau einzugehen.

»Das bin ich auch.« Sie lächelte. »Mein Freund hat mich vor ein paar Wochen verlassen. Deswegen bin ich ohne ihn losgefahren.« In ihrem Blick lagen Frust und Hunger, aber keine Liebe. Sie strich mit dem Finger an der wasserbeperlten Flasche auf und ab.

»Also sind wir beide allein, ja?« Allmählich dämmerte ihm, was seine Gesprächspartnerin damit ausdrücken wollte.

Der Gedanke fühlte sich falsch an, nicht nur Lee gegenüber. Er wollte mehr sein als ein Mann, bei dem eine Frau ihre Einsamkeit ablud und anschließend zurück in die Nacht verschwand, als ob sie nie existiert hätte. Es war normalerweise ein schönes Gefühl, begehrt zu werden. Als Mann hatte er normalerweise die Aufgabe, zu begehren und die Frau von seinen Wünschen zu überzeugen. In seiner Fantasie kam es häufig vor, dass die Rollen sich an dieser Stelle verschoben.

Aber galt das auch unter solchen Vorzeichen?

Er nahm einen weiteren Schluck Bier. Die kühle, warm-bittere Flüssigkeit füllte seinen Mund aus wie der erdige Duft einer Frau, wenn er in ihre Tiefen hinabtauchte, um Lust zu wecken und Gedanken davonzupusten.

Was soll’s, dachte er. Sie ist hübsch und hat schöne Beine. Bier macht aus jeder Frau eine Schönheit, sagte man das nicht so?

Sie tranken aus, brachten die Flaschen an die Bar und gingen in das Zimmer, das er zuvor mit Lee bewohnt hatte. Das dunkle Treppenhaus roch nach billigem Putzmittel, und im matten Licht der Wandleuchten fielen die Flecken auf dem uralten Linoleum nicht so auf.

Auf dem Weg durch den Flur drückte die Fremde ihre Hüften gegen seine. Sie roch nach Lust und Bier. Ihre Hände verkrallten sich unter seinem Shirt in seine Taille, genauso verschwitzt wie er. Es erinnerte an Knutschereien und Gefummel hinter den Zelten beim Stadtfest, als er jung genug gewesen war, um von der Nähe des Mädchens so berauscht zu werden, dass sein Denken ausgesetzt hatte.

Ein Mädchen, von dem er erst zwei Monate später in einer unglaublich peinlichen Szene auf dem Schulhof erfahren hatte, dass sie ihm nur deswegen einen geblasen hatte, weil sie seit mindestens einem halben Jahr in ihn verliebt gewesen war. Er hatte es nicht gewusst und es hatte ihn nicht wirklich interessiert. Immerhin hatte er sie nie angelogen oder ihr etwas vorgespielt.

Und doch hatte der peinliche Vorfall auf dem Schulhof die Erinnerung an diesen ersten sinnlichen und verruchten Moment geteilter Lust im Schatten der Zelte, in der Nähe der Zivilisation befleckt.

Jason und die Frau betraten das Zimmer, ohne das Licht einzuschalten. Die orangegelbe Straßenlaterne auf der Straße schien hell genug, dass man alles sah, was man sehen wollte. Er schloss die Tür und blickte sie an. Sein Schwanz drückte gegen die Hose. Der zarte Vanilleduft von Lees Haut schien immer noch in der Luft zu hängen, nur für eine Sekunde, und er hätte es lieber nicht bemerkt. Doch Lee war weit fort, und die Fremde war real.

Er räusperte sich. »Wie magst du es am liebsten?«

Sie sah ihn erstaunt an. »Was meinst du damit?«

»Wir kennen uns kaum.« Er lächelte und spürte, dass es schief geriet. »Wenn wir jetzt vögeln, dann sollte es sich nicht nur für mich lohnen, sondern auch für dich. Also … worauf stehst du, was gefällt dir besonders gut?«

Ihre Augen weiteten sich und sie lachte auf. »Das hat mich noch nie jemand gefragt.«

»Mich auch nicht.« Er grinste. »Aber es ist nicht die schlechteste Frage, um die Nacht damit zu beginnen, oder?«

Sie ließ sich auf die Bettkante sinken und überlegte. »Ich habe mir darüber noch nie richtig Gedanken gemacht. Normalerweise … Also, die meisten Männer scheinen genau zu wissen, was sie wollen. Dann mach ich halt mit.«

»Turnt dich das an?«

»Wie meinst du das?«

»Wenn jemand dir zeigt, was er will, und du einfach mitmachen darfst?« Er zwinkerte.

Sie wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah zu Boden. »Vielleicht.«

»Und was gefällt dir?«

»Keine Ahnung.«

»Also dann …« Er setzte sich neben sie aufs Bett und legte den Arm um ihre Schulter. Doch die verspielte Leichtigkeit, die sie unten in der Bar noch umgeben hatte, kehrte nicht zurück. Er zog sie an sich und sie wehrte sich nicht, doch sie zeigte auch nicht, dass sie es genoss.

Er wollte, dass Lee an ihrer Stelle saß, dass es sich mit Lee wieder so aufregend und verrucht anfühlte wie ganz am Anfang, als sie offiziell noch gar nicht zusammengehört hatten. Doch Lee war fortgelaufen. Deswegen zog er die Fremde enger an sich und küsste sie erneut. Ihre Zungen berührten sich, warm und feucht und irgendwie unanständig, doch sie schmeckten beide nach Bier und irgendwie passte das in diesem Augenblick.

Sie legte die Arme um ihn, und auch, wenn irgendwie die Leidenschaft fehlte, genoss er ihre Nähe. Jason schob ihr die Zunge rhythmisch in den Mund und hinaus und fühlte, wie seine Hose vorn wieder enger wurde. Er griff nach der Hand der Fremden und führte sie an seinen Schritt, wo sie gehorsam zupackte und massierte. Jason atmete tief aus und seufzte genüsslich, bevor er die Frau ins Ohr biss und über ihre Brüste streichelte.

Und dann – immerhin hatte sie gesagt, dass sie es mochte, wenn der Mann die Richtung bestimmte – sagte er zu ihr: »Knie dich hin und blas mir einen.«

Sie erstarrte für einen Moment, aber als er ihre Schultern packte und nach unten drückte, gehorchte sie. Sie ging auf die Knie und senkte den Kopf so, dass ihr die Haare ins Gesicht fielen. Er ließ zu, dass sie seine Gürtelschnalle und den Jeansknopf löste, und hob die Hüfte, damit sie Hose und Boxershorts leichter nach unten ziehen konnte. Und dann schlossen sich ihre Lippen warm, sanft und sinnlich um seinen Schwanz.

Er sah zu, wie sie über die Eichel leckte, wie sie ihn in den Mund nahm und den Kopf auf und ab bewegte. Wie im Porno, dachte er, aber besser, denn hier spürte er es.

Im Vergleich zu den Pornobildern aus Headcams, die jede Bewegung filmten, kam ihm sein Schwanz plötzlich zu klein vor. Oder lag es daran, dass die Fremde einen zu großen Mund hatte?

Er griff ihr in die Haare, wie er es viele Male im Netz gesehen hatte, und bewegte ihren Kopf vor und zurück, stieß tiefer in ihren Mund, bis sie ein leichtes Würggeräusch machte und den Kopf nach hinten riss.

Sofort ließ er los. »Alles okay?« Sie verbarg ihr Gesicht hinter der Hand und nickte. »Willst du weitermachen?«

Für einen Moment schien sie zu erstarren, dann richtete sie sich auf. »Ich mache weiter«, sagte sie rau. »Tut mir leid, dass ich nicht so gut dabei bin.«

»Du machst das super«, sagte er. Er griff ihr in die Haare und führte ihren Kopf sanft an seinen Schwanz, wo sich ihre Lippen erneut warm um ihn schlossen. Sie ließ zu, dass er den Kopf vor- und zurückbewegte, tiefer und tiefer in ihren Mund und ihren Hals, bis er spürte, dass es nicht mehr weiterging und sie sich verkrampfte.

»Entspann dich«, sagte er und hielt still. »Einfach zulassen. Beim nächsten Mal geht es noch etwas tiefer … du machst das spitze.«

Die Fremde blickte flehend hoch zu ihm, ihr Gesicht in der Position unerwartet schmal und elfenhaft verletzlich, doch natürlich konnte sie nicht widersprechen. Das Gefühl erregte ihn. Es war das erste Mal, dass eine Frau ihm erlaubt hatte, einfach loszulassen, anstatt die ganze Zeit zu erwarten, dass er ihre Gedanken lesen konnte. Er wiederholte das Spiel mehrfach mit ihr, glitt jedes Mal so tief wie möglich und noch etwas weiter in ihren Hals und hielt sie fest, während sie gegen den Würgereflex ankämpfte. Schließlich spürte er, dass seine Beherrschung nicht länger ausreichte und er grob würde, wenn sie jetzt nicht die Stellung wechselten.

Er ließ sie los und lächelte sie an. »Komm aufs Bett.«

Sie wischte sich über die Mundwinkel und setzte sich wortlos neben ihn.

Jason streichelte ihr über den Rücken und zog sie aus. Sie schloss die Augen, als er ihre Brüste umfasste und zudrückte. Er verstärkte den Druck, bis sie scharf einatmete. Dann streichelte er weiter nach unten und fasste ihr zwischen die Beine. Sie war noch nicht feucht, also spreizte er ihre Beine und legte sich dazwischen. Mit Zunge, Fingern und viel Spucke sorgte er dafür, dass sie bereit wurde, dann legte er sich auf sie. In letzter Sekunde dachte er an das Kondom.

Ihre Augen blieben die ganze Zeit geschlossen. Die Fremde bewegte sich nicht und zeigte nicht, was ihr gefiel. Für einen Moment beschlich Jason das Gefühl, dass er etwas Falsches tat. Lee hatte jedes Mal heftig reagiert, wenn er sie geleckt hatte, und sich gewünscht, dass er es häufiger tat. Aber Lee war jedes Mal bereits feucht gewesen, wenn er ihr das Höschen ausgezogen hatte, warum also hätte er sich so viel Mühe machen sollen? Lee war trotzdem jedes Mal zu mindestens einem lautstarken Höhepunkt gekommen, der so intensiv gewesen war, dass er unmöglich vorgetäuscht hatte sein können.

Jason wünschte sich eine Reaktion von ihr, ein Stöhnen, ein tiefes Atmen, irgendetwas, was ihm zeigte, dass es ihr gefiel. Doch alles, was sie tat, war mich geschlossenen Augen die Hände auf seinen Schultern liegen zu lassen. Er hatte zu viel Bier getrunken und ahnte, dass es ewig dauern würde, bis er kam.

Schließlich erlahmten seine Oberschenkelmuskeln und Oberarme, und er spürte, dass er nicht mehr lange in dieser Stellung weitermachen konnte. Er umfasste die Hüften der Frau und signalisierte ihr, dass sie nach oben gehen sollte. Sie schüttelte wortlos den Kopf. Also zog er sich aus ihr zurück. Er drehte die Fremde sanft auf den Bauch, was sie zuließ, und zog ihren Hintern nach oben, bis sie auf allen vieren vor ihm kniete. Ihr Po war rund und fest und verlockte dazu, mit der flachen Hand draufzuschlagen, doch er beherrschte sich.

In dieser Position war es leichter, tief in sie zu stoßen. Er fühlte sie intensiver und genoss es, langsam in sie hineinzugleiten und sich wieder herauszuziehen. Noch einmal. Schneller. Sie zuckte zusammen und gab ein leises, unterdrücktes Schmerzgeräusch von sich. Das turnte ihn an. Sein Schwanz, der wegen dem Alkohol und den Gedanken an Lee zwischendurch immer an der Grenze zwischen hart genug und zu weich geschwankt hatte, wurde härter und gieriger. Jason wurde schneller, hielt die Hüften der Fremden fest und holte sich, was Lee ihm viel zu lange nicht gegeben hatte. Und weil die Fremde im Gegensatz zu Lee nicht überfloss, spuckte er auf seine Hand, rieb seinen Schwanz damit ein und brachte zu Ende, was sie schon vorhin in der Bar begonnen hatten.

Die Fremde wimmerte, als er kam, und brach dann unter ihm zusammen.

»Alles klar bei dir?«, fragte er, als er wieder Luft bekam und den leeren Blick der Frau bemerkte.

Sie schüttelte den Kopf. In ihrem Gesicht lagen Kälte und eine Wand, die undurchdringlich schien. »Ich kann mit diesem Kram nichts anfangen. Vor allem nicht bei einem Fremden. Ich brauche Vertrauen, wenn es Spaß machen soll.«

»Und warum …?« Er krauste die Stirn. »Warum hast du es dann getan?«

Sie zuckte mit den Schultern. Traurigkeit lag in ihren Augen. »Was hätte ich denn sonst tun sollen? Er hat mich verlassen.«

»Also …« Jason sprach es nicht aus.

Sie war von ihrem Freund verlassen worden und hatte sich einen völlig Fremden für Sex gesucht, um es dem anderen heimzuzahlen. Jason war in dieser Nacht nichts als ein Instrument der Rache in einem Beziehungsdrama, dessen Details er vermutlich nie erfahren würde. Wenn er ehrlich war, interessierten sie ihn auch nicht besonders.

Stattdessen brannte ihm eine andere Frage auf der Zunge, aber er wusste nicht, wie er sie stellen sollte. Stand sie wirklich darauf, wenn ein Mann den Ton angab? Denn wenn nicht, dann war es nicht richtig gewesen, sich ihr in den Hals zu schieben, bis sie würgen musste. Aber sie hatte doch gesagt, dass es ihr gefiel! Oder hatte sie das nur behauptet, weil sie zu fantasielos war, um sich etwas Eigenes einfallen zu lassen, weil es ihr in dieser Nacht nicht um Lust gegangen war, sondern um Rache?

Bei diesem Gedanken fühlte er sich schmutzig.

Das Gefühl vertiefte sich, als ihm klar wurde, dass Lee in dieser Nacht – oder einer anderen – vielleicht ebenfalls nach einem Fremden suchte, um das Gleiche zu tun wie diese Frau.

Er widersprach nicht, als die Fremde aufstand, nach ihren Klamotten suchte und sich anzog. Sie verabschiedete sich mit einer höflichen Floskel, genau wie er … Und dann war es dunkel und still im Zimmer, und Lee war allein da draußen ohne ein Dach oder Wände oder einen Jason, der sie vor sich selbst beschützen konnte.

Nacht in Granada

Lee schritt, so schnell sie konnte, über den rissigen Asphalt durch die Nacht. Sie hatte kein Ziel, aber sie spürte, dass sie schreien würde, wenn sie zu gehen aufhörte. Jason. Die blonde Frau. Das nagende Gefühl, dass etwas nicht stimmte, von dem sie wach geworden war. Es stimmte schon seit Wochen nicht mehr oder seit Monaten, seit dem Februar, als …

Nicht daran denken.

Lee ging über das schwarze leicht zur Straßenmitte geneigte Pflaster. In der Mitte gab es eine Rinne, um das Wasser abzuleiten, einen Überrest aus der Zeit vor der Erfindung des Automobils und der Kanalisation in jeder Straße. Es war ein seltsames Gefühl, über einen solchen leicht geneigten Weg zu gehen. In England waren alle Straßen waagerecht und neigten sich höchstens in die Richtung, in die sie führten.

Die Luft roch nach Staub und Wüste, nach Blumen, die sich in den Innenhöfen der engen, gelb und siena gestrichenen Häuser verbargen. Von irgendwo plätscherte leise Wasser, von einem Brunnen auf einem öffentlichen oder privaten Platz, den sie nicht sehen konnte. Alle Häuser hatten zwei Stockwerke und waren schmal genug, um aus einer Zeit zu stammen, in der Menschen nicht so viel Platz für sich selbst eingefordert hatten. Die Straßenlaternen entsprangen aus den Häuserwänden, statt vom Boden emporzuragen, um Platz zu sparen.

Lee vermisste das Gefühl, verliebt zu sein. Wenn man sich neu verliebte, kribbelten die Fingerspitzen und die ganze Welt schien vor Kerzenlicht und flackernden Öllampen zu strahlen. Hunger vibrierte im Bauch, der das Verlangen nach Nahrung überflüssig machte. Stattdessen schimmerten überall Schönheit und Verheißung.

Als sie Jason kennengelernt hatte, hatte er sie ständig zum Lachen gebracht. Ein Blick von ihm reichte, um den Hunger in ihr zu wecken, der nie völlig gestillt wurde. Sie war verrückt nach seinem Anblick, nach dem sinnlichen Funkeln in seinen Augen und seinen spontanen Ideen wie Sex unter der belebten kleinen Brücke über den Bach in ihrer Heimatstadt, während nichts ahnende Passanten am Sonntagnachmittag auf ihren Spaziergängen über die Holzbohlen schritten.

Im Lauf ihrer Beziehung hatte sie realisiert, dass Jason zu übertriebener Eifersucht neigte. Er hatte sie Monat für Monat mehr unter Druck gesetzt, dass sie das Haus nicht ohne ihn verlassen sollte, am liebsten nicht mal für die Uni. Du hast zu viel Libido für einen einzigen Mann, hatte er mehr als einmal behauptet. Das würde jeden unter Druck setzen. Es sei ihre Schuld, wenn er Angst davor hatte, was sie ohne ihn anstellte.

Nur weil sie ihm gegenüber so freizügig war, galt das nicht für alle Männer!

Doch statt ihn zu beruhigen, verschärften ihre Erläuterungen seine Eifersucht jedes Mal.

Er hatte nach ihrem Handgelenk gegriffen, wenn sie auf einer Party mit einem anderen Mann geplaudert hatte, und sie fortgezogen. Einmal hatte er so fest zugedrückt, dass sie später einen roten Fleck am Handgelenk entdeckt hatte, der sich am nächsten Tag bläulich verfärbt hatte. Es war, als würde er versuchen, ein unsichtbares Netz um Lee zu weben, das sie von allen anderen Männern fernhielt.

Vielleicht sogar von allen Menschen, denn er hatte im Lauf der vergangenen Monate zunehmend damit angefangen, sie von ihren Freundinnen zu isolieren. Warum willst du heute Abend weggehen? Triffst du wirklich Victoria, oder ist es nicht doch ein Victor, ha, ha? Wann hast du wieder Zeit für mich? Liebst du mich nicht mehr, warum sind alle anderen Männer wichtiger als ich, du hast mir schon seit Wochen keinen mehr geblasen, hast du Geheimnisse vor mir?

Lee hatte sich immer weiter in sich zurückgezogen und ein unsichtbares Netz um sich gewoben, durch das Jasons Sticheleien nicht hindurchgedrungen waren – und das sie zunehmend von anderen Menschen getrennt hatte. Denn wie sollte sie ihren Freundinnen erklären, was in ihrer Beziehung schieflief?

Jason war der aufmerksamste Mann, den man sich wünschen konnte. Er wartete oft vor den Seminarräumen oder der Bibliothek auf sie, oft genug mit Blumen, wenn er damit rechnen musste, dass es Zuschauer gab. Andere Studentinnen beneideten sie und erzählten von Partnern, die drei Abende die Woche und jeden Samstag beim Fußball verbrachten.

Und Lee lächelte und zog das unsichtbare Netz fester um sich und merkte, wie sie immer häufiger Kopfschmerzen bekam, wenn jemand sie nach einem gemeinsamen Abend fragte. Bis es seltener wurde, dass man sie fragte. Sie war ja in einer Beziehung, und jeder wusste, wie glücklich sie war und wie viele Abende sie mit Jason verbrachte.

Auch wenn sie nie erzählte, dass diese Abende meist so verliefen, dass Jason Computer spielte und sie für die Uni lernte oder seine Wohnung putzte und so tat, als merke sie nicht, dass er sich zwischendurch Pornos reinzog, anstatt sie in den Arm zu nehmen und zu sagen, wie sehr er sie liebe.

»Miau!« Eine Katze kam aus einem Winkel hervorgeschossen und rieb sich an Lees Beinen.

Lee erschrak für einen Moment. Sie hatte noch nie erlebt, dass eine fremde Katze so zutraulich war. Hatte das Tier Tollwut?

»Mraauwwww!«, sagte die Katze noch einmal, strich hinter Lees Beinen entlang und reckte das Köpfchen empor, um zwischen den Ohren gekrault zu werden.

Lee musterte das Mäulchen. Kein Schaum. Die Katze sah wohlgenährt und zufrieden aus. Ganz offenbar gehörte sie in eines der Häuser und hatte sich daran gewöhnt, dass ihr von allen Seiten Liebe entgegengebracht wurde.

»Wer bist du denn?« Lee wollte in die Hocke gehen, verlor durch den Rucksack das Gleichgewicht und setzte sich unsanft auf den Hintern.

Die fremde Katze zuckte zurück, lief einen halben Meter fort und kam wieder her.

Lee kraulte durch das getigerte Fell. »Du bist ja eine Schönheit!«

Schönheit schnurrte und bekräftigte Lees Einschätzung voller Selbstbewusstsein. Sie legte sich auf den Rücken und präsentierte den Bauch, aber Lee ignorierte die Aufforderung. Sie war katzenerprobt und wusste, dass das eine Einladung zum Spielen war, die mit in den Unterarm geschlagenen Krallen endete.

»So viel Selbstbewusstsein hätte ich auch gern …« Lee lächelte. »Warum bringen sie einem nicht in der Schule bei, sich im eigenen Körper so wohlzufühlen wie du?«

Schönheit wedelte mit den Vorderpfötchen in der Luft herum, als ob sie sagen wollte, dass weder Instagram noch Schulabschlüsse auch nur halb so interessant waren wie dieser Augenblick unter dem sternklaren Himmel, den Lee am Rand ihres Blickfeldes zweimal hatte aufblitzen sehen, als sie die Häuserfassaden betrachtet hatte.

»Du meinst, ich soll hochsehen?« Lee lächelte die Katze an und gehorchte.

Und dann sagte sie nichts mehr.

Der Himmel war ein dunkles Feld, mehr schwarz als blau, auf dem die Sterne voller Brillanz und Intensität leuchteten. Lee vergaß zu lächeln und wurde still vor Staunen.

Sie hatte nie Sternbilder gelernt und suchte nicht danach. Jeder einzelne Lichtpunkt schimmerte, flirrte leise voller Stolz und Fröhlichkeit und schien dadurch auf seltsame Weise mit der Katze verwandt, die Lee zu diesem Blick nach oben verführt hatte.

»Ich hatte ganz vergessen …« Sie wusste nicht, wie sie den Satz beenden sollte. Dass man sich so fröhlich und vergnügt fühlen durfte, nachdem man betrogen worden war? Dass die Welt voller Schönheit war, für die man weder bezahlen noch Opfer bringen musste, weil sie sich an einen schmiegte und vom Himmel herab über einen wachte, bis sprudelnde Freude in einem emporstieg und den Bauch mit einem Gefühl beinah wie Verliebtheit erfüllte?

»Er hat mich betrogen«, sagte sie leise und sah zurück zur Katze.

Schönheit verzog das Gesicht, sprang auf und rannte in einen Durchgang zwischen zwei Häusern.

»Warte doch«, sagte Lee und kämpfte sich hoch. »Tut mir leid, dass ich wieder die bösen Dinge gedacht habe, obwohl du dir so viel Mühe gegeben hast, mir die Schönheit in der Welt zu zeigen.«

Sie ging zu dem Durchgang und hielt die Augen offen, doch Schönheit schien verschwunden. Lee stellte erstaunt fest, dass der Durchgang nicht nur in einen Innenhof führte, sondern den Eingang zu einer weiteren und noch schmaleren Gasse bildete, die bergauf führte. Die Häuser waren niedriger und schmaler, die Fenster enger und die Balkongitter im ersten Stock wirkten teilweise wackelig.

»Schönheit?«, flüsterte Lee, doch die Katze war verschwunden.

Entschlossen überschritt Lee die Steinreihe, die den Übergang von der gepflasterten Gasse zu ihrem Hostel zu diesem schmalen, mit rissigem Asphalt ausgelegten Durchgang bildete. Wenn die Katze ihr diesen Weg gezeigt hatte, gab es hier vielleicht etwas, was sie finden sollte.

Das Gewicht des Rucksacks drückte zunehmend auf sie herab. Lee fragte sich, wie weit sie noch gehen würde, bevor sie einsah, dass sie zurückmusste. Sie konnte nicht in einer Stadt unter offenem Himmel ihre Isomatte ausbreiten und sich ausstrecken, um endlich den Schlaf zu finden, nach dem sie sich sehnte. Wenn die Sterne nicht so hell geleuchtet hätten, und wenn Schönheit nicht aus der Gasse zu ihr gelaufen wäre, wäre sie bereits auf dem Rückweg. Jason und sie würden sich aussprechen. Es musste einen Weg geben, wie sie sich versöhnen konnten.

Gleich würde sie umdrehen. Nur noch ein paar Schritte. Es machte nichts, dass sie sich erschöpft fühlte. Immerhin ging es bergauf. Der Rückweg würde sich leichter laufen lassen. Bergab ging es immer leichter als in die andere Richtung.

Die Häuser wurden niedriger und schäbiger. Immer öfter wurde die Gasse nicht mehr durch Häuserwände, sondern durch Mauern zu duftenden Gärten begrenzt. Riesige Blumen wuchsen über die Mauerwände nach außen und erfüllten die warme Sommernacht mit ihrem schweren, betäubenden Duft. Lee sah erneut zum Himmel. Die Sterne waren immer noch da, genau wie der konvexe Mond. Diese Nacht war verzaubert und gehörte ihr allein. Wenn sie nicht losgelaufen wäre, hätte sie diesen Weg niemals gefunden.

Schließlich ging der rissige Asphalt in Steine und einen ungepflegten Weg über. Links und rechts davon wuchsen Bäume empor, zunächst nur wenige Handbreit höher als sie. Je weiter die Stadt hinter Lee zurückblieb, desto selbstbewusster wurden die Bäume, präsentierten ihre knorrigen Stämme und strömten einen Duft aus, der weniger gefällig als die blühenden Nachtblüten war. Erde. Grün. Schattige Kühle, die Wassertropfen am Boden festhielt und Schutz vor der am Tag vom Himmel hinabglühenden Mittelmeersonne bot.

Menschen gingen seit Jahrhunderten in die Wälder, wenn sie Schutz und Frieden suchten, schoss es Lee durch den Kopf.

Sie lief weiter, ertastete den Weg genauso, wie sie ihn im schummrigen Mondlicht zwischen den Bäumen erahnte, und spürte, dass sie irgendwo den Kontakt zum steinernen Weg verlor. Stattdessen befand sich jetzt staubige Walderde unter ihren Füßen.

Lee stolperte von Waldwurzel zu Waldwurzel, bis sie eine Nische zwischen zwei Bäumen fand, die wie ein guter Lagerplatz wirkte. So nah an der Stadt würde es keine wilden Tiere geben, beruhigte sie sich und verdrängte den Gedanken an vagabundierende Leoparden, die in die Gärten am Stadtrand strömten und sich von den menschlichen Abfällen dort ernährten. Jeder wusste, dass es in Spanien keine Leoparden gab.

Oder?