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Die letzte Schlacht beginnt – wird der Lichtbringer kommen?
Zahlreiche Schlachten wurden geschlagen, unzählige Intrigen gesponnen. Doch die entscheidene Frage wurde noch nicht geklärt: Ist Kip Guile wirklich der prophezeite Lichtbringer, wie seine Freunde hoffen? Kip selbst ist sich nicht sicher, ob er ein Messias sein möchte. Denn der skrupellose Orden des gebrochenen Auges hat bereits Pläne für den wiedergeborenen Lichtbringer, und sollte Kip nicht seinen Befehlen gehorchen, muss er die Konsequenzen tragen. Denn ob Kip lebt oder stirbt, liegt im Ermessen des Ordens – und der Mann, der Kip ermorden soll, ist einer seiner engsten Vertrauten …
Die Licht-Saga bei Blanvalet:
1. Schwarzes Prisma
2. Die blendende Klinge
3. Sphären der Macht
4. Schattenblender
5. Düsterer Ruhm
6. Brennende Spiegel
7. Lichtbringer
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Seitenzahl: 1131
Buch
Zahlreiche Schlachten wurden geschlagen, unzählige Intrigen gesponnen. Doch die entscheidene Frage wurde noch nicht geklärt: Ist Kip Guile wirklich der prophezeite Lichtbringer, wie seine Freunde hoffen? Kip selbst ist sich nicht sicher, ob er ein Messias sein möchte. Denn der skrupellose Orden des gebrochenen Auges hat bereits Pläne für den wiedergeborenen Lichtbringer, und sollte Kip nicht seinen Befehlen gehorchen, muss er die Konsequenzen tragen. Denn ob Kip lebt oder stirbt, liegt im Ermessen des Ordens – und der Mann, der Kip ermorden soll, ist einer seiner engsten Vertrauten …
Autor
Brent Weeks betrachtete das Schreiben fantastischer Geschichten schon immer als seine Berufung, inzwischen ist es auch sein Beruf geworden. Brent Weeks lebt mit seiner Frau in Oregon.
Die Licht-Saga bei Blanvalet:
1. Schwarzes Prisma
2. Die blendende Klinge
3. Sphären der Macht
4. Schattenblender
5. Düsterer Ruhm
6. Brennende Spiegel
7. Lichtbringer
Die Schatten-Saga bei Blanvalet:
1. Der Weg in die Schatten
2. Am Rande der Schatten
3. Jenseits der Schatten
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BRENTWEEKS
BRENNENDESPIEGEL
ROMAN
Deutsch von Michaela Link
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »The Burning White, Part 1« bei Orbit, Hachette Book Group USA, Inc., New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Copyright © der Originalausgabe 2019 by Brent WeeksDieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2020 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft unter Verwendung einer Illustration von Larry RostantKartenillustration: Chad Roberts DesignRedaktion: Alexander GroßHK – Herstellung: samSatz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN978-3-641-24198-8V002www.blanvalet.de
Für Kristi, meine Frau, die viel zu praktisch war, um vorzuschlagen, ichsolle meine Arbeit aufgeben, um zu schreiben, und viel zu klug, umüber fünf Jahre hinweg beständig zu wiederholen: »Verzichten wir auf einen Plan B.« Aber sie hat doch einen gehabt.
Und für meine hartnäckigen Leser, die es verdienen, belohnt zu werden.*
* Ich habe gesagt, »die es verdienen«. Nicht, dass sie es auch tatsächlich werden.
Karte: Sieben Satrapien
Kurze Zusammenfassung der bisherigen »Licht-Saga«-Reihe
Im Reich der Sieben Satrapien wird eine kleine Anzahl von Menschen mit der Fähigkeit geboren zu lernen, Licht in ein stofflich-materielles Produkt namens Luxin zu verwandeln. Das Luxin jeder Farbe hat jeweils spezielle physische und metaphysische Eigenschaften und dient ungezählten Verwendungszwecken, vom Gebäudebau bis zur Kriegskunst. Ausgebildet werden diese sogenannten Wandler in der Chromeria, der Hauptstadt des Reiches, wo sie ein privilegiertes Leben führen, während sowohl die Satrapien als auch die mächtigen Familien des Reiches um ihre Dienste rivalisieren. Als Gegenleistung für ihre Privilegien gehen sie eine Verpflichtung ein: Sobald sich ihre Fähigkeit, gefahrlos von Magie Gebrauch machen zu können, erschöpft hat – erkennbar daran, dass die Halos ihrer Iris von den Farben, die sie wandeln, durchbrochen werden – , lassen sie sich im Zuge einer am heiligsten Tag des Jahres, dem Sonnentag, vollzogenen Zeremonie vom Prisma, dem Herrscher des Landes, rituell töten. Die Wandler, die den Halo durchbrochen haben, sogenannte Wichte, verfallen dem Wahnsinn – schuld ist das durch ihren Körper zirkulierende Luxin. Ergreifen sie die Flucht, statt sich in ihr Schicksal zu ergeben, müssen sie gejagt und getötet werden. Nur das Prisma verfügt über eine unbegrenzte Fähigkeit zu wandeln, und nur er oder sie allein kann all die Farben in den Satrapien in ein ausbalanciertes Gleichgewicht bringen, um zu verhindern, dass das chaotisch gewordene Luxin die Länder überflutet und verwüstet. Alle sieben Jahre – es kann sich auch um ein Mehrfaches von sieben Jahren handeln – gibt das Prisma ebenfalls sein oder ihr Leben hin, und der regierende Rat ernennt ein neues Prisma. Weigert sich das Prisma zu sterben, wird er oder sie ebenfalls zur Strecke gebracht.
Das gegenwärtige Prisma ist Gavin Guile.
Buch 1: Schwarzes Prisma
Prisma Gavin Guile erfährt, dass er einen unehelichen Sohn hat, der in einer Satrapie lebt, der zum zweiten Mal innerhalb von fünfzehn Jahren ein Bürgerkrieg droht. Aber Gavin ist in Wirklichkeit Dazen Guile, der sich nur als Gavin ausgibt; nach der Schlacht, die den letzten Krieg beendet und seinem Bruder das Leben gekostet hat, hat er Gavins Identität geraubt. Jetzt muss er die Verantwortung für den Bastard seines Bruders übernehmen. Zusammen mit Karris, seiner ehemaligen Verlobten und jetzt ein Mitglied seiner elitären Schutztruppe Schwarze Garde, reist Gavin nach Tyrea. Sie finden seinen Sohn Kip gerade rechtzeitig, um ihn vor einem rebellischen Satrapen zu retten, der sich selbst König Garadul nennt. Der König lässt sie ziehen, nimmt Kip aber sein Messer ab – das Einzige, was ihm seine verstorbene Mutter hinterlassen hat. Während Gavin mit Kip in die Chromeria zurückkehrt, damit dieser seine magische Ausbildung beginnen kann, bleibt Karris in Tyrea, um sich heimlich mit einem Spion in der Armee des Königs zu treffen.
Karris wird von den Soldaten des Königs gefangen genommen, und sie findet heraus, dass König Garaduls rechte Hand, ein Wicht, der sich selbst der Farbprinz nennt, die eigentliche treibende Kraft hinter der Rebellion ist. Und er ist ihr seit langem tot geglaubter Bruder.
Kip besteht den Aufnahmetest für die Wandlerschule in der Chromeria und trifft eine Freundin aus seiner Heimatstadt, Liv Danavis, die Tochter eines von Dazens bedeutendsten Generälen. Derweil ist Gavin damit beschäftigt, Wichte zu töten und eine politische Lösung für den Krieg zu finden. Aber darüber hinaus muss er sich auch um den Mann kümmern, den er im Geheimen tief unter der Chromeria eingekerkert hat: seinen Bruder. Andross, Gavins Vater, beauftragt ihn, nach Tyrea zurückzukehren, um zu verhindern, dass aus der Rebellion ein Krieg wird, der das ganze Reich erschüttert. Außerdem soll er ebenjenes Messer zurückholen, das Gavin bei der Rettung Kips dem König überlassen hat.
Als Gavin, Kip und Liv in Garriston ankommen, Tyreas Hauptstadt, begegnen sie Livs Vater, dem ehemaligen General Corvan Danavis. Sie erkennen, dass die Stadt so nicht zu verteidigen ist, daher beginnt Gavin eine ganze Mauer um die Stadt zu wandeln. Gavin hat die Mauer fast vollendet, als eine Kanonenkugel das Tor zerstört, das er gerade gewandelt hat. Gavins Streitkräfte schützen den Rückzug von Garristons Bürgern, die nun versuchen, mithilfe von Barkassen zu entkommen. Kip erfährt, wo sich Karris befindet, und beschließt, sie zu retten. Liv folgt ihm, aber sie werden getrennt, als die Truppen des Farbprinzen Kip gefangen nehmen.
Kip wird zusammen mit Karris eingekerkert, aber im Durcheinander der Schlacht gelingt es ihnen, sich der Armee anzuschließen, die auf die Stadt zumarschiert. Kip tötet König Garadul, und Liv rettet sowohl Kip als auch Karris, indem sie sich bereit erklärt, sich dem Farbprinzen anzuschließen, wenn er im Gegenzug seine besondere Begabung als Scharfschütze dazu einsetzt, den Tod der beiden in der Schlacht zu verhindern.
Kip eilt inzwischen einer weiteren Bedrohung entgegen: Er weiß, dass Zymun, ein junger Polychromat, den Auftrag bekommen hat, Gavin zu ermorden. Das Attentat selbst kann er nicht verhindern, aber dank Kips Eingreifen überlebt Gavin. Kip nimmt den Dolch an sich, mit dem Zymun den Mordversuch begangen hat, und stellt fest, dass es sich um ebenjene Klinge handelt, die seine Mutter ihm zuvor gegeben hat. Gavin, Kip und Karris entkommen zusammen mit einem großen Teil der Zivilbevölkerung auf Barkassen aus der Stadt. In diesem Moment ahnt Gavin nicht, dass sein Bruder daheim in der Chromeria aus der ersten seiner vielen Gefängniskammern entkommen ist.
Buch 2: Die blendende Klinge
Gavin verhandelt mit dem Dritten Auge, einer mächtigen Seherin, um den Flüchtlingen aus Garriston auf der Insel der Seherin ein neues Zuhause zu verschaffen. Karris und Gavin legen einen Hafen für die Flüchtlingsflotte an, und Gavin jagt den blauen Gottesbann, ein Gräuel, das sich in der Azurblauen See bildet. Wenn es ihm nicht gelingt, den Gottesbann zu zerstören, wird ein vorzeitlicher Gott wiedergeboren.
Kip kehrt in die Chromeria zurück, um die Aufnahmeprüfung in die Schwarze Garde abzulegen. Er freundet sich mit einigen seiner Mitkandidaten für die Schwarze Garde an, darunter Teia, eine farbenblinde Paryl-Wandlerin. Sie ist eine Sklavin, und ihre Besitzerin zwingt sie, wertvolle Gegenstände zu stehlen und Kip auszuspionieren. So hart die Schwarzgardistenausbildung auch ist – das neue Interesse, das sein Großvater inzwischen an Kip entwickelt hat, ist schlimmer. Andross verlangt von Kip, mit ihm ein Kartenspiel um hohe Einsätze zu spielen: Neun Könige.
Rea Siluz, eine Bibliothekarin, macht Kip mit Janus Borig bekannt, einer Künstlerin, die »echte« Neun-Könige-Karten erschafft; Karten, die es Wandlern erlauben, die Geschichte so, wie sie wirklich geschehen ist, hautnah zu erleben. Aber es dauert nicht lange, bis Kip Janus sterbend vorfindet, tödlich verletzt von zwei Meuchelmördern. Es gelingt Kip, beide umzubringen, ihre magischen Schimmermäntel an sich zu nehmen und Janus’ Deck von echten Neun-Könige-Karten zu retten. Kip bedient sich eines weiteren neuen Decks, das Janus angefertigt hat, um Andross beim Spiel zu besiegen und dadurch Teias Besitzvertrag zu gewinnen. Kip händigt das Messer seiner Mutter, die Schimmermäntel und die Karten seinem Vater aus, der soeben mit Karris zurückgekehrt ist. Gavin hat den blauen Gottesbann zerstört und die Flüchtlinge umgesiedelt, und so ist er jetzt bereit, das Spektrum (den regierenden Rat der Chromeria) durch geschickte Manipulation dazu zu bringen, die Seherinsel zu einer neuen Satrapie zu erklären und Corvan Danavis zu ihrem neuen Satrapen zu ernennen.
Karris bekommt einen Brief überreicht, der von Gavins verstorbener Mutter stammt, und erfährt, dass Gavin sie die ganze Zeit über geliebt hat. Er hat einst ihr Verlöbnis gelöst, damit Karris keinen Mann zu heiraten brauchte, den sie womöglich nicht liebte. Noch am gleichen Abend begibt sich Karris zu Gavin, aber er liegt bereits mit einer anderen Frau im Bett – einem Mädchen, das er gar nicht zu sich eingeladen hat. Erzürnt darüber, Karris abermals zu verlieren, wirft Gavin die Frau auf seinen Balkon hinaus. Sie fällt über das Geländer und stürzt in den Tod.
Davon überzeugt, dass man ihn wegen Mordes verhaften wird, beschließt Gavin, dass er seinen Bruder befreien muss, damit der seinen Platz als Prisma einnehmen kann. Aber Gavin begreift, dass sein so lange eingekerkerter Bruder wahnsinnig geworden ist, daher tötet er ihn. Gavin kehrt aus dem Gefängnis zurück, um festzustellen, dass das Spektrum den Krieg erklärt hat und seine beiden Schwarzgardisten, die einzigen Zeugen des tödlichen Sturzes, geschworen haben, Gavin habe in Notwehr gehandelt, sodass er weiterhin in Freiheit das Prisma bleiben kann.
Während die auszubildenden zukünftigen Schwarzgardisten ihre Ausscheidungskämpfe fortsetzen, gelingt es Kip beinahe, in die Reihen der Schwarzen Garde aufzurücken – er fällt jedoch im letzten Augenblick durch, weil einige seiner Mitstreiter schummeln. Aber sein Freund Kruxer nutzt ein Schlupfloch, um Kip dennoch das Bestehen der Prüfung zu ermöglichen.
Gavin und Karris versöhnen sich und heiraten, um direkt danach in den Krieg gegen den Farbprinzen zu ziehen. Zusammen mit den neuen Rekruten der Schwarzen Garde und den Truppen der Chromeria müssen sie einen grünen Gottesbann zerstören, der eine neue Gottheit gebiert, Atirat. Liv befindet sich noch immer bei der Armee des Farbprinzen und benutzt ihre Ultraviolett-Fähigkeiten, um bei der Erschaffung Atirats zu helfen.
Kip, Gavin und Karris töten den Gott, verlieren jedoch die Stadt Ru und die dazugehörige Satrapie an die Armee des Farbprinzen.
Nach der Schlacht wird Kip bewusst, dass Andross in Wirklichkeit ein Rotwicht ist. Während er Andross zur Rede stellt, zieht Kip das Messer, das er von seiner Mutter erhalten hat, und rammt es Andross in die Schulter. Gavin versucht, die beiden aufzuhalten, kann Kips Messer aber nur in seinen eigenen Körper umleiten. Er geht über Bord, und Kip springt ihm nach. Das Schiff segelt weiter, und nur Andross weiß, was wirklich passiert ist. Gavin wird von einem Mann namens Kanonier aufgelesen, der auf einem Schiff, das Gavin und seine Kämpfer einige Zeit zuvor zerstört haben, als Kanonier wahre Meisterleistungen vollbracht hat. Kip wird von Zymun gerettet, der ihm mitteilt, dass er, Zymun, in Wirklichkeit Gavins und Karris’ lange verschollener unehelicher Sohn ist. Als Gavin erwacht, stellt er fest, dass er vollkommen farbenblind ist … und Rudersklave auf einem Schiff.
Bücher 3 und 4: Sphären der Macht/Schattenblender
Kip gelingt es, aus Zymuns Gefangenschaft zu fliehen. Wochen später erreicht er die Chromeria, nachdem er den Dschungel, nagenden Hunger und Schlimmeres überlebt hat.
Weil sie das Prisma geheiratet hat, wird Karris gleich nach ihrer Rückkehr in die Chromeria ihr Rang in der Schwarzen Garde entzogen; stattdessen erhält sie den Auftrag, das Spionagenetzwerk der Weißen (des Oberhaupts der Chromeria) zu übernehmen. In der Zwischenzeit wird offenbar, dass Andross Guile auf wundersame Weise geheilt wurde und kein Rotwicht mehr ist. Da Gavin Guile nicht wieder zurückgekehrt und der Krieg in vollem Gange ist, wählt das Spektrum ihn eilig zum Promachos – dem obersten Kriegsherrn der Chromeria.
Teia wird von Mörder Spitz angeworben, einem talentierten Paryl-Meuchelmörder vom Orden des Gebrochenen Auges. Als der Orden ihr zuerst ihre Sklavenpapiere stiehlt und ihr dann noch einen Mord in die Schuhe schiebt, sieht sich Teia außerstande, sich Spitz’ Komplott zu erwehren, und ergibt sich in ihre Situation. Sie bemüht sich, ihre Ausbildung als Rekrutin der Schwarzen Garde mit den Aufträgen des Ordens unter einen Hut zu bringen, aber irgendwann beichtet sie alles Eisenfaust, dem Hauptmann der Schwarzen Garde, und der Weißen. Die beiden beauftragen sie, den Orden im Auftrag der Chromeria auszuspionieren, und Karris wird zu ihrer Kontaktfrau bestimmt. Während Teia den Prozess ihrer Aufnahme in den Orden fortsetzt, entdeckt sie, dass sie eine Lichtspalterin ist, ein seltener Wandlertypus, der Schimmermäntel (wie jene, die Kip sichergestellt hat) dazu verwenden kann, sich selbst weitestgehend unsichtbar zu machen.
Bei seiner Heimkehr informiert Kip das Spektrum und Karris darüber, dass Gavin noch lebt, aber er vermeidet es, Andross mit Gavins Unfall in Verbindung zu bringen, was Kip einen mächtigen, aber keineswegs vertrauenswürdigen Verbündeten beschert. Karris erteilt ihm Unterricht im Wandeln, und er wird wieder mit seiner alten Schwarzgardistengruppe vereint, den sogenannten Mächtigen: Kruxer, Ben-hadad, dem großen Leo, Teia, Ferkudi, Winsen, Goss und Daelos. Andross gewährt der Gruppe Zutritt zu den nicht öffentlich zugänglichen Bibliotheken, damit sie Nachforschungen zu den ketzerischen Neun-Könige-Karten und zur Gestalt des Lichtbringers anstellen können, jenes in den alten Prophezeiungen angekündigten Retters der Satrapien. Dabei hoffen sie auch, Informationen zu finden, mit deren Hilfe sich der Krieg gewinnen ließe. Im Zuge seiner Bibliotheksbesuche freundet sich Kip mit dem schüchternen Quentin Naheed an, einem Luxiaten mit einer außerordentlichen Begabung als Gelehrter.
Gavin, der nun außerstande ist, überhaupt irgendeine Farbe zu wandeln, verbringt Monate als Galeerensklave auf dem Piratenschiff von Kanonier, wo er neben einem wahnsinnigen Propheten rudert, der den respektlosen Spitznamen Orholam trägt – den Namen der Gottheit, der Gavin dient. Im Tumult einer Seeschlacht mit einem Schiff, das sie zu entern versuchen, springt Antonius Malargos, ein junger ruthgarischer Edelmann, an Bord ihres Schiffes und erbietet sich, die versklavten Ruderer zu befreien, wenn sie ihm ihrerseits helfen, sein Schiff zu befreien. Sie haben Erfolg, nehmen Kanonier gefangen und gelangen in den Besitz der Blendenden Klinge. Aber Antonius bringt Gavin nach Ruthgar, wo Antonius’ Cousine Eirene Malargos ihn einkerkert. Dort trifft ihre Verbündete, die Nuqaba von Paria, die nötigen Vorkehrungen, um Gavin öffentlich blenden zu lassen.
Die Mächtigen entdecken, dass alles über die ketzerischen Karten und vieles über den Lichtbringer aus den Aufzeichnungen der Chromeria getilgt worden ist. Kip begreift außerdem, dass die Waffe, mit der jemand zum Prisma gemacht wird – oder durch die man dieses Amt verliert – , genau jenes Messer ist, mit dem Gavin verletzt wurde. Als Kip Karris aufsucht, zerstreiten sie sich wegen eines zur Unzeit gemachten Scherzes. Kurz darauf tritt Tisis Malargos an Kip heran, Eirenes Schwester, die ihm eine Heirat mit ihr vorschlägt, um ihre Familien fest aneinanderzubinden. Später findet Kip die echten Neun-Könige-Karten wieder, die sein Vater versteckt hat. Als er versehentlich in ihrer Nähe wandelt, verliert er das Bewusstsein und betritt die Große Bibliothek, wo er dem Unsterblichen Abaddon begegnet. Kip nimmt jede einzelne der Karten in sich auf – mit Ausnahme der Karte des Lichtbringers. Es gelingt ihm, Abaddons Schimmermantel an sich zu bringen; nachdem er so viele Karten gewandelt hat, stirbt er, doch Teia schafft es, ihn wiederzubeleben. Dann gibt Kip Teia den Mantel, den er Abaddon gestohlen hat. Sie begreift später, dass es sich dabei um den Mustermantel der anderen Mäntel handelt und dass er mächtiger ist als alle anderen Schimmermäntel.
Andross bringt Kip dazu zuzugeben, sowohl Andross’ verlorenes Deck als auch Janus Borigs echte Karten gefunden zu haben, aber Kip lügt und behauptet, diese Karten seien alle leer gewesen. Andross trägt ihm auf, Tisis zu heiraten und als sein Spion nach Ruthgar zu gehen, während nun Zymun (der gerade in die Chromeria gekommen ist und bekanntgegeben hat, dass er Karris’ und Gavins lange verschollener Sohn ist) sieben Jahre lang als Prisma dienen soll.
Karris erfährt gerade rechtzeitig, wo sich Gavin befindet, um eine kleine Truppe um sich zu versammeln und ihn zu retten – wenn auch nicht rechtzeitig genug, um ihn davor bewahren zu können, auf einem Auge geblendet zu werden. Nach ihrer gemeinsamen Rückkehr auf die Jasperinseln, wo sich die Chromeria befindet, übergibt Karris Gavin zur Genesung in ärztliche Behandlung und findet sich selbst plötzlich bei der Zeremonie zur Wahl der oder des neuen Weißen wieder – da die bisherige Weiße soeben gestorben ist. Überraschenderweise ist sie selbst einer der Kandidaten.
Kip und Tisis kommen überein, zu heiraten und aus der Chromeria zu fliehen, und die Mächtigen bestehen darauf, sie zu begleiten. Als Zymun der neu ins Leben gerufenen Lichtgarde befiehlt, sie zu töten, kämpfen sie sich den Weg frei. Auch wenn Goss umgebracht und Daelos verwundet wird, gelingt es den übrigen Mächtigen zu entkommen, und sie treffen sich mit Tisis am Hafen. Zitterfaust, Eisenfausts Bruder, sichert ihre Flucht und wird bei der Explosion getötet, die er auslöst, um zu verhindern, dass die Lichtgardisten Kip und seine Gruppe verfolgen. Kip und Tisis heiraten, bevor sie an Bord des Schiffes gehen, und Teia beschließt, in der Chromeria zu bleiben. Sie glaubt, den Kriegsanstrengungen besser dienen zu können, indem sie gegen den Orden kämpft, als wenn sie an Kips Seite ist.
Obwohl bei der Wahl der Weißen der Zufall regieren soll, merkt Karris, dass der Prozess manipuliert werden soll, und es gelingt ihr, den Schwindel zu verhindern. Sie tötet in Notwehr zwei der anderen Kandidaten und wird zur neuen Weißen erklärt.
Bevor Eisenfaust seinen sterbenden Bruder findet, trifft er sich heimlich mit seinem Onkel: dem hinterhältigen Grinwoody, der, sozusagen vor aller Augen versteckt, als der Sklave von Andross Guile außerdem der Alte Mann aus der Wüste ist, das Oberhaupt des Gebrochenen Auges. Auch Eisenfaust ist seit Jahren Mitglied des Ordens. Er übergibt Grinwoody den schwarzen Saatkristall, zu dem nur die Weiße und der Hauptmann der Schwarzen Garde Zutritt haben.
Unterdessen hat Liv Danavis auf Befehl des Farbprinzen Jagd auf den ultravioletten Saatkristall gemacht. Aber obwohl der Farbprinz sie dazu zu zwingen versucht, ein Halsband aus schwarzem Luxin zu tragen, um sie auf diese Weise unter seiner Kontrolle zu halten, durchkreuzt sie sein Vorhaben und bemächtigt sich des Saatkristalls, um ihn für sich allein zu nutzen.
Gavin wird aus der Fürsorge seiner Ärzte auf Großjasper entführt und erwacht in einer Gefängniszelle.
Buch 5: Düsterer Ruhm
Teia und Mörder Spitz entführen Marissia und rauben ihr Dokumente, die von entscheidender Bedeutung für Karris’ Regierungsarbeit als die neue Weiße sind. Gavin erwacht und findet Marissia bei sich in der blauen Gefängniszelle, mit dem Auftrag, sich um seine Verletzungen zu kümmern. Sie gesteht ihm, dass sie nicht nur Orea Pullawrs oberste Spionin gewesen ist, sondern auch deren Enkeltochter. Sobald Gavin auf dem Weg der Besserung ist, taucht Andross auf und nimmt Marissia mit sich, führt sie vermutlich in den Tod.
Karris übersteht ihr erstes Treffen mit Andross als die Weiße. Karris hat während des Auswahlverfahrens zur Weißen zwei Männer getötet, und Andross erklärt sich bereit, die Sache in Ordnung zu bringen. Anschließend trifft Karris ihren Sohn Zymun, der für sie immer noch wie ein fremder Mensch ist. Er erzählt ihr von seiner traumatischen Kindheit, und sie schwört, ihn nie wieder im Stich zu lassen.
Teia hat ihre erste Zusammenkunft mit dem Alten Mann aus der Wüste, der ihr den Auftrag erteilt, in Karris’ Nähe vorzudringen. Zudem trägt er ihr auf, jemanden für ihn zu markieren, den er dann ermorden wird – als ein »Geschenk« dafür, dass sie ihm bisher so treue Dienste geleistet hat. Auf dieses Treffen folgt ein weiteres mit Fisk, nun neuer Hauptmann der Schwarzen Garde. Sie spürt sein Unbehagen, nachdem die Mächtigen herausgefunden haben, dass er sich kompromittiert hat. Fisk teilt ihr mit, dass er glaube, sie sei um Kips willen zurückgeblieben, und versichert ihr, dass die Schwarze Garde für die Mächtigen da sein werde, wenn sie sie bräuchten. Er informiert Teia außerdem darüber, dass sie am nächsten Tag ihre Abschlussgelübde als voll ausgebildete Schwarzgardistin ablegen werde; in dieser Nacht habe sie Wache zu halten. Teia begibt sich danach hinunter zu den Gefängniszellen, um die Gefangenen aufzusuchen, die am Sonnentag hingerichtet werden sollen. Unter ihnen findet sie Quentin, der für seinen Mord an Lucia während ihrer Schwarzgardistenausbildung verhaftet worden ist. Teia markiert ihn mit Paryl und wählt ihn damit als Opfer des Meuchelmordes aus, entfernt diese Markierung vor der Hinrichtungszeremonie jedoch wieder.
Während des Sonnentags verurteilt Karris den Hohen Luxiaten Tawleb zum Tod auf Orholams Blendblick, weil er Quentin mit dem Meuchelmord an Kip beauftragt hat. Auf seine Hinrichtung folgt die von Pheronike, einem Spion des Farbprinzen; während er verbrennt, gibt Pheronike Nabiros frei, einen dreiköpfigen Dschinn, der von ihm Besitz ergriffen hatte. Karris verschont Quentins Leben und entscheidet, ihn als ein Beispiel für die Gier und die Verderbtheit des Magisteriums zu einem Sklaven zu machen.
In der Zwischenzeit haben Kip und Tisis erfolglos versucht, ihre Ehe zu vollziehen – ein Punkt, der immer dringlicher wird, weil ansonsten ihre Ehe annulliert werden muss. Tisis möchte die Mächtigen begleiten, wenn sie im Blutwald in den Krieg ziehen. Auf dem Weg dorthin gerät ihr Schiff ins Zentrum eines gewaltigen Luxin-Sturms, und Kip rettet sie, indem er ineinander verdrehte Ströme von Chi und Paryl auseinanderzieht, bis das Schiff passieren kann. Die Anstrengung lässt ihn für drei Tage erblinden, aber Rea Siluz heilt seine Augen. Als Kip wieder erwacht ist, machen sich die Mächtigen auf einem von Ben-hadad neu konstruierten Gleiter auf den Weg, und Tisis beginnt, der Gruppe ihren Wert unter Beweis zu stellen.
Gavin hat mit dem toten Mann in der blauen Gefängniszelle gesprochen, der ihm mitteilt, dass Gavin die toten Männer in den Gefängniszellen mittels Willensübertragung geschaffen habe, um seinen Bruder zu foltern. Der tote Mann enthüllt ihm auch, dass Gavin das Schwarze Prisma ist – ein Schwarzwandler, der durch die Ermordung anderer Wandler das Vermögen, Schwarz zu wandeln, in sich absorbiert hat. Gavin versucht, aus den Zellen zu entfliehen, und schafft es durch die grüne hindurch und in ein kleines Gelass hinein, wo er auf niemand anderen als auf seinen Vater Andross stößt, der dort auf ihn wartet. Andross versucht, mit Gavin eine Abmachung zu treffen, aber statt darauf einzugehen, findet sich Gavin in der gelben Zelle wieder, wo er nach Ermordung seines Bruders einst dessen Leiche zurückgelassen hat.
Die Mächtigen treffen sich mit den Geistern von Schattenhain, einer Gruppe von Willensüberträgern unter Führung von Schulte Ruadhán Arthur; es gelingt ihnen, den Schulten dazu zu überreden, sich Kips Armee anzuschließen. Sie beginnen einen erfolgreichen Krieg aus dem Hinterhalt gegen die Blutröcke und lernen die Cwn y Wawr (die »Hunde der Morgendämmerung«) kennen, eine Gruppierung aus geübten Kriegswandlern mit sehr gut dressierten Hunden. Die Beziehung zwischen den Geistern und den Cwn y Wawr ist aufgrund von Ereignissen in der Vergangenheit schwer belastet, aber den beiden Gruppen gelingt es, ihre Meinungsverschiedenheiten beiseitezuschieben, um fortan zusammen zu kämpfen.
An einem anderen Ort der Sieben Satrapien ist Liv zur ultravioletten Göttin Ferrilux geworden, und nun trifft sie sich in Rekton mit Samila Sayeh respektive der Göttin Mot. Samila teilt Liv mit, dass der Weiße König ihren Gottesbann in seinem Besitz habe und dass Liv ihn nur dann für sich beanspruchen könne, wenn sie sich einverstanden erklärt, sich ganz an den Weißen König zu binden und dessen Halskette aus schwarzem Luxin zu tragen. Sie weigert sich jedoch.
Eirene hat Antonius, der sowohl Tisis’ als auch ihr eigener Cousin ist, ausgesandt, um Tisis zurückzubringen, aber Tisis gelingt es, Antonius davon zu überzeugen, sich Kips Armee anzuschließen und stattdessen ihm die Treue zu schwören. Da seine Armee somit immer weiter wächst, setzt es sich Kip nun zum Ziel, eine belagerte Stadt zu retten.
Gavin bemerkt, dass sich der Körper seines Bruders nicht in der gelben Luxin-Zelle befindet, und nach einem weiteren Gespräch mit dem toten Mann begreift er, dass er seinen Bruder überhaupt nie gefangen gesetzt hat; er hat den echten Gavin vielmehr an den Getrennten Felsen ermordet, und sein Schwarzwandeln hat jegliche Erinnerung an dieses Ereignis ausgelöscht. Andross, Felia und Orea hatten alle die Wahrheit über Gavin gewusst und abgewartet, ob und wie er von seinem Wahnsinn beziehungsweise seinem Verlust der Erinnerung genesen würde. Gavin wird schließlich ohnmächtig, nachdem er mit einem Betäubungsmittel versetztes Brot gegessen hat, und wacht im schwarzen Luxin-Gefängnis wieder auf.
Teia wird sowohl vom Orden als auch von Karris zu einem Einsatz nach Paria entsandt – vom Orden dazu beauftragt, die Nuqaba zu ermorden, während ihr Karris den Befehl erteilt hat, Satrapa Tilleli Azmith (die oberste Spionin der Nuqaba) zu meucheln. Im Zuge der Ausführung ihrer Aufträge macht Teia die Entdeckung, dass die Nuqaba Haruru ist, Eisenfausts Schwester, und dass Eisenfaust lebt und von seiner Schwester gefangen gehalten wird. Teia erfüllt ihre Aufträge, wird dabei aber von Eisenfaust entdeckt. Daraufhin kehrt Teia zur Chromeria zurück und berichtet Karris, dass Eisenfaust noch lebt.
Corvan und seine frisch angetraute Frau, das Dritte Auge, verbringen ihre letzte Nacht zusammen, bevor das Dritte Auge von Mörder Spitz ermordet werden wird. Sie enthüllt Corvan, dass Kip nach Dúnbheo marschiert, um die Stadt zu befreien, ohne zu bemerken, dass er damit in eine Falle tappt, die ihm der Weiße König gestellt hat.
Gavin verbringt Monate in der schwarzen Zelle und findet schließlich heraus, dass der tote Mann kein Produkt von Willensübertragung ist, sondern etwas vollkommen anderes. Grinwoody erscheint irgendwann später bei ihm und lässt ihn wissen, dass er der Alte Mann aus der Wüste ist und dass er Gavin aus seinem Gefängnis freilassen wird, wenn er sich einverstanden erklärt, auf einem Schiff zum Weißnebelriff zu reisen, dort den Turm des Himmels zu erklimmen und Orholam – der nach Ansicht des Alten Mannes die Verknüpfung sämtlicher Magie in den Satrapien darstellt – mit der Blendenden Klinge zu vernichten. Gavin erklärt sich dazu bereit, lässt ein Stück schwarzen Luxins über seiner Augenhöhle anbringen, das seinen Gehorsam sicherstellt, und macht sich auf den Weg zu dem Schiff. Es ist die Goldene Mitte, und ihr Kapitän ist niemand anderes als Kanonier.
Teia wird vom Orden ein letzter Auftrag erteilt, um sie auf die Probe zu stellen. Sie wird angewiesen, jemanden (Gavin) zu ermorden, sobald er eine Mission für den Orden erfüllt hat. Wenn sie versagt, wird der Orden ihren Vater ermorden.
Karris trifft sich mit Andross, der ihr mitteilt, dass sich Eisenfaust zum König von Paria ernannt hat. Anschließend muss sie den Schwarzgardisten Gavin Gräuling umbringen, der auf der Suche nach Karris’ Mann seine Halos durchbrochen hat. Nach Gavin Gräulings Befreiung ordnet Karris an, dass die Schwarze Garde nicht mehr nach Gavin Guile suchen soll, und akzeptiert den Tod ihres Mannes als Tatsache.
Liv beschließt, sich dem Weißen König anzuschließen, um in ihre volle Macht als Göttin eingesetzt zu werden, nachdem sie erfahren hat, dass er sich darauf vorbereitet, mit dem Gottesbannheer in See zu stechen, um die Chromeria zu erobern.
Kip und seine Armee befreien erfolgreich die belagerte Stadt Dúnbheo. Dabei erleidet Schulte Arthur einen großen persönlichen Verlust, mit der Folge, dass er nach der Schlacht desertiert. Kip enthebt die in der Stadt herrschenden Adelsleute ihrer Ämter und beansprucht die Stadt für sich selbst und für seine Armee. Er und Tisis beteuern einander ihre Liebe und sind nun endlich in der Lage, ihre Ehe zu vollziehen. Kip setzt alle Luxin-Farben dazu ein, um ein uraltes Mauerbild in ihrem Schlafgemach zu reparieren, das als das Túsaíonn Domhan bekannt ist: »Eine Welt beginnt«.
Vorbemerkung des Autors
Aufgeweckte Leser – oder solche, die zufällig Autorenbemerkungen lesen – werden registrieren, dass sich Teias erste Szenen dieses Buches zur gleichen Zeit abspielen wie die letzten Szenen verschiedener Figuren in Düsterer Ruhm. Schummle ich da etwa? Versuche im Nachhinein, Fehler im Handlungsablauf auszubessern? Nein, nichts dergleichen. Ich hatte diese sich zeitlich überschneidenden Szenen bereits geschrieben, und durch sie ändert sich nichts an dem, was die anderen Figuren tun, doch ich habe entschieden, sie aus Düsterer Ruhm herauszulösen und sie hier einzufügen.
Warum? Eine der Herausforderungen, die damit verbunden sind, ein episches Werk zu verfassen, das sich über mehrere Bände hinweg erstreckt, besteht darin, die dramatischen Einheiten gegeneinander auszubalancieren. Die Licht-Saga erzählt eine einzige große, zusammenhängende Geschichte, aber mein Ziel ist es gewesen, diese Geschichte so zu unterteilen, dass jeder einzelne Band auch seine eigene Geschichte umfasst, sodass jeweils sowohl die Stationen der Reise als auch das Ziel den Erwartungen der Lesenden gerecht werden. Manchmal müssen die Bedürfnisse eines Einzelbuchs den Anforderungen der ganzen Reihe untergeordnet werden – zum Beispiel, wenn zentrale Fragen der Handlung in einem Band aufgeworfen, aber erst einige Bücher später beantwortet werden. In anderen Fällen bin ich der Auffassung, dass die Ansprüche eines Einzelbandes denen der Serie überzuordnen sind.
Diese Saga hat wahrlich keine größere Komplexität nötig, und daher wird die ganz überwiegende Mehrheit der Szenen in chronologischer Folge präsentiert. Aber was soll ein Autor tun, wenn eine Figur (in diesem Fall Teia) die Sache überstürzt und sich bereits in ihre Probleme aus Buch sechs verstrickt, während die anderen Charaktere noch immer damit beschäftigt sind, mit ihren Problemen aus Buch fünf zu einem Ende zu kommen?
Eine streng chronologische Einordnung würde unvermittelt in das jeweilige Finale der anderen Figuren aus Buch fünf hineinplatzen, und bei Erscheinen von Buch sechs hätte erneut eingeführt werden müssen, was Teia nur Stunden zuvor getan hat. Schlimmer noch, eine solche Anordnung hätte unser Gefühl von Befriedigung unterlaufen, das sich am Buchende einstellen soll – jenes kostbare, gefährdete Gefühl, dass, auch wenn diese epische Reise weitergehen wird, wir nun gewissermaßen eine Art logisch konsequentes Basislager erreicht haben.
Romanfiguren, die sich an einem Feuer wärmen und zu einem Berggipfel hinaufschauen, dessen Besteigung sie am nächsten Tag versuchen werden? Das ist ein guter Aufhänger, der Lust auf die Fortsetzung macht. Figuren, die einfach immer weiterwandern, bis das Buch plötzlich zu Ende ist? Das ist schlechte Gestaltung.
In einem anderen Fall hier spielen sich die interessantesten Szenen einer Figur aus dem Hinterland in unmittelbarer Folge an einem einzigen Tag ab, während die Szenen aller anderen über Wochen verteilt sind.
Chronologische Reihenfolge mag die einfachste Anordnung sein, aber wo das Verhalten einer Figur (noch) keinen Einfluss auf das Agieren der anderen Charaktere hat, habe ich mich dafür entschieden, eine kleine Anzahl von Szenen stattdessen in derjenigen Anordnung wiederzugeben, die meiner Ansicht nach das beste Leseerlebnis ermöglicht.
Man möge mir vertrauen: Wenn die Figuren wieder zusammenkommen, funktioniert alles, wie es soll. Jedenfalls, was Chronologie betrifft. Ob das auch hinsichtlich der Handlung gilt, ist nicht gesagt.
Brent Weeks
in einem Loch in der Erde, außerhalb von Portland, Oregon
Ich warne dich davor, ohne Not Blut zu vergießen … denn Blut schläft nie.
– An-Nasir Salah ad-Din Yusuf ibn Ayyub (Saladin)
1
Erstes Anzeichen für den Plan des Weißen Königs, Kip Guile zu vernichten, war ein Mordanschlag. Erstes Anzeichen für den Mordanschlag war der Duft von Gewürznelken.
»Ich bin ja schrecklich gern einer der Mächtigen, versteh mich nicht falsch«, wandte sich der große Leo an Ferkudi, »aber manchmal sind unsere Pflichten als Leibwache für uns fünf einfach zu viel, findest du nicht auch? Die Schwarze Garde verfügt immer über mindestens hundert Krieger. Das sind ungefähr zehnmal so viele. Oder fünfzehnmal? Verdammt noch mal, es sind sogar zwanzigmal so viel. Siehst du? So müde bin ich. Und natürlich, sie müssen auch mehr Leute beschützen als wir …«
Ferkudi zog geräuschvoll die Nase hoch.
Der große Leo brach ab. Zum ersten Mal an diesem Abend wandte er den Blick von den plappernden Adligen ab und sah Ferkudi an. Wie fast alles, was er machte, war auch Ferkudis Nasehochziehen irgendwie anders als bei anderen, er atmete dreimal schniefend ein, kurz, kurz, lang.
Den beiden war anlässlich der großen Abendgesellschaft, die Kip (den die Mächtigen Brecher nannten) als den Befreier von Dúnbheo feierte, die Rolle der Türwachen zugefallen. Nachdem ihm der Rat der Heiligen anfangs einen kühlen Empfang bereitet hatte – und einige Leute gehängt worden waren – , versuchten die Adligen der kulturellen Hauptstadt des Blutwaldes nun, sich freundlich zu stellen.
Da Ferkudi keine Antwort gab, wertete der große Leo sein Naserümpfen als Zustimmung. »Ich meine«, fuhr er fort, »heute Abend wird wohl niemand einen Anschlag auf den großen Retter der Stadt begehen, oder? Stört es dich eigentlich, dass offenbar niemand bemerkt hat, dass Lord Kip Guile die Stadt nicht ganz allein gerettet hat?«
Alles war in Ordnung, so Leos Eindruck. Niemand führte sich seltsam auf. Sicher, alle versuchten, aus Brecher irgendwie ihren speziellen Verbündeten zu machen, was immer wieder für Anspannung sorgte, aber der Lärm der Menge klang ganz so, wie es sich auch gehörte. Die Menschen schienen sich sogar zu amüsieren.
Ferkudi zog erneut die Nase hoch.
»Jetzt sag mir nicht, dass du dich erkältet hast«, brummte Leo, diesmal ohne zu ihm hinüberzuschauen.
Ferkudi atmete tief ein, wie ein Soldat, der in den Krieg ziehen muss und sich zuvor sorgfältig den Duft des Haares seiner Frau einprägt. »Was?«, fragte er verständnislos. »Erkältet? Hä?«
»Ja, schon gut. Wo war ich stehen geblieben … Ach ja, ich meine, Brecher rettet die Stadt und verteilt all unser Essen an die Hungernden. Und er repariert dieses Deckenkunst-Dings. Das hat den Menschen etwas bedeutet. Er ist hier jetzt so etwas wie ein Gott. Würde der Rat der Heiligen oder einer von den Adligen des Blutwaldes irgendetwas gegen ihn unternehmen, würden die Menschen rebellieren. Sie würden die Kernbäume der Adligen niederbrennen, jeden einzelnen von ihnen aufknüpfen und …«
Ferkudi unterbrach ihn. »Ist eigentlich irgendwer nachträglich auf die Gästeliste gesetzt worden?«
Ferkudi liebte Listen, Listen jeglicher Art. Als ihm die Palastherrin ihre einwandfrei geführten Geschäftsbücher gezeigt hatte, hatte aus seinem Gesicht zunächst tiefstes Erstaunen gesprochen, dann Ungläubigkeit, dann reinste Verzückung, bis es schließlich den Ausdruck der absoluten Vernarrtheit in die bebrillte Sechzigjährige und ihre perfekt fehlerfreien Zahlen angenommen hatte. Im Zuge seines mittlerweile täglichen Gerangels mit Händlern, Bankiers und Adligen hatte Kip – Brecher – Ferkudis eigenartig funktionierendes Gehirn einer guten Verwendung zugeführt. Die Mächtigen machten sich zumeist einen Spaß daraus: In jüngster Zeit war es eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen gewesen, Ferkudi Armeeeinheiten nach den Jauchemengen einordnen zu lassen, die sie produzierten. (Nach Gewicht? Nein, nach Volumen. Und wie lange nach der Ausscheidung bemessen?)
Aber wenn jemand die Rolle des Türstehers übernommen hatte, war nichts Komisches daran, immer einen Überblick über die Gästeliste zu haben. »Auf keinen Fall!«, antwortete der große Leo mit sehr ernster Stimme. Da war etwas in seinem Knurren oder in seiner veränderten Körperhaltung, das einige der umstehenden Adligen einen Schritt zurückweichen ließ.
Es war eine Lektion, die sie bei der Schwarzen Garde gelernt hatten – wenn sie für die Sicherheit zuständig waren, durfte es nie verspätete Ergänzungen der Gästeliste oder gar Überraschungsgäste geben, absolut niemals. Wenn ein Mitglied der Schwarzen Garde bei einem gesellschaftlichen Anlass jemanden bemerkte, der nicht auf der offiziellen Liste stand, hatte er oder sie freie Hand, den Betreffenden als eine Bedrohung zu betrachten.
Aber das ging nur, wenn die Schwarzgardisten jeden Gast vom Sehen kannten und ihn richtig zuordnen konnten. Am zweiten Abend der Mächtigen in Dúnbheo mochte Ferkudi vielleicht zu etwas Derartigem in der Lage sein, aber der große Leo war es mit Sicherheit nicht. Eine nervöse Welle angespannter Empörung durchlief ihn. Nur zu fünft sollten sie den Lichtbringer persönlich beschützen? Unmöglich!
Verdammt noch mal, Kruxer, das ist jetzt alles schon ein Jahr her. Du hättest inzwischen fünfzig von uns anwerben sollen.
Aber noch immer schien alles in Ordnung zu sein.
»Ferk?«, fragte er.
»Ich habe mit den Köchen gesprochen«, antwortete der große junge Mann mit den runden Schultern und zog erneut schnüffelnd die Nase hoch. »Es gibt heute keine Gerichte mit Gewürznelken.«
Gewürznelken. Ultraviolettes Luxin roch ein wenig wie Gewürznelken. Ein Schauer lief Leo den Rücken hinunter. »Brecher ist der einzige bekannte Ultraviolette im Raum«, betonte er. Kip saß am Ehrentisch, wo er leutselig mit einer älteren Frau plauderte, die eine Art Autorität in Sachen kulturelle Antiquitäten war.
Er war viel zu weit entfernt, als dass der Duft von ihm hätte kommen können.
»Eine Geheimbotschaft?«, überlegte der große Leo. Ultraviolett wurde oft für diplomatische Nachrichten eingesetzt. Das hier war genau die Art Menschenansammlung, bei der der eine oder andere eine solche Botschaft bei sich haben könnte, und selbst ein Adliger könnte angerempelt werden und dabei ein bisschen zerbrechliches ultraviolettes Luxin zerstören, mit dem etwas auf ein Stück Pergament gekritzelt worden war.
Oder die Köche hätten einem der Gerichte im letzten Moment doch noch eine Prise Gewürznelken hinzugeben können. Oder etwa nicht?
Verdammt, möglicherweise hatte auch nur eine Dame, die gerade am großen Leo vorbeigegangen war, ein nach Gewürznelken duftendes Parfüm aufgetragen.
»Fälschlich auf einen bevorstehenden Attentatsversuch hinzuweisen ist das Schlimmste, was man tun kann«, hatte Hauptmann Eisenfaust von der Schwarzen Garde sie einst belehrt, »einmal abgesehen davon, plötzlich über dem Leichnam Eures Schutzbefohlenen stehen zu müssen. Vor einem bevorstehenden Attentatsversuch zu warnen bedeutet, eine brennende Fackel in das Pulverhaus der Geschichte zu werfen. Ihr seid diejenigen, denen man Waffen und Speere und die Möglichkeiten des Wandelns an die Hand gegeben hat, während die mächtigsten und paranoidesten Menschen auf der Welt schlafen und dinieren und reden und … herumhuren.« Sie hatten gelacht, aber die Aussage war ernst: Mehrere Prismen waren von gehörnten Gatten und verschmähten Geliebten ermordet worden. »Wenn mächtige, paranoide Menschen euch brüllend, bewaffnet und wandelnd in einen Raum stürmen sehen, werden plötzlich irgendwie bei Leuten Pistolen auftauchen, von denen ihr wisst, dass sie durchsucht und für waffenfrei erklärt worden sind. Ihr werdet es mit Nichtwandlern zu tun bekommen, die plötzlich irgendwie zu wandeln in der Lage sind. Ihr werdet es mit Menschen zu tun bekommen, die sich, von ihrer Dummheit einmal abgesehen, nicht das Geringste zuschulden haben kommen lassen, und sie werden euch Gründe liefern zu glauben, dass ihr sie umbringen müsst. Bei einem falschen Alarm seht ihr womöglich Menschen allein aus dem Grund sterben, weil ihr gebrüllt habt. Und vielleicht tötet ihr sie ja sogar selbst. Angesichts all dessen sagen manche, dass es schändlich sei, einen falschen Alarm zu geben«, hatte Hauptmann Eisenfaust hinzugefügt. »Aber ich sage, ein Schwarzgardist, der in seinem Leben kein einziges Mal ›Neun Töten‹ gerufen hat, ist nicht mit höchster Aufmerksamkeit bei der Sache. Wir beschützen die wichtigsten Menschen auf der Welt. Ihr müsst immer voll und ganz bei der Sache sein.«
Der Code war eine Kurzform für die Zahl der Angreifer, deren vermutete Absicht und ihre Fähigkeiten. Ein normaler Ruf konnte etwa »Eins tötet fünf« sein (ein einzelner Angreifer, der ein Attentat versucht, wahrscheinlich ein Rotwandler) oder »Zwei schnappen zehn« (zwei mit Musketen bewaffnete Angreifer, die eine Entführung versuchen). Neun war »nicht näher festgelegt«, und hier war die Wahrscheinlichkeit am größten, dass das Ganze nicht stimmte.
Leo schaute zu Ferkudi hinüber und betete, dass er gleich sagen würde, er habe sich geirrt.
Ferkudi sah sich mit finsterem Stirnrunzeln im Raum um. Sein Gehirn arbeitete so langsam wie ein knirschender Mühlstein und genauso unerbittlich.
Hinter ihrem zur Schau getragenem Lächeln mochten wohl einige der Schulten aus dem Blutwald in der Tat Kips Tod wollen, aber keiner von ihnen würde es wagen, offen etwas gegen ihn zu unternehmen, und ganz bestimmt nicht, solange seine Armee in ihrer Stadt stationiert war. Aber auch noch jemand anders hatte einen guten Grund, Kips Tod zu wollen. Jemand, der vor nichts haltmachen würde. Der Weiße König.
Er sollte eigentlich niemanden in dieser Stadt haben, der ihm untertan war. Aber es war auch nicht ausgeschlossen.
Der große Leo suchte Ferkudis Blick. Da war kein Zögern in seinen Augen.
»Neun töten sieben!«, brüllte Leo …
Und genau im selben Moment schrie Ferkudi: »Neun töten null!«
Wie bitte?! »Null« war nicht Ultraviolett. »Null« bedeutete einen Attentäter, der Paryl benutzte.
Aber sie hatten ihre Stimmen bereits in die Welt hinausgesandt, wie aus ihren Händen geflogene Fackeln, und sie waren inmitten von Freunden, Feinden und Volltrotteln gelandet, unter den Nervösen und den Naiven, alle gleichermaßen paranoid und mächtig.
Und das Schwarzpulver der Geschichte ließ seine brüllende Antwort ertönen.
2
Kip Guile war zu tausend Händen geworden, die zweitausend Schnüre hielten, die sich alle in seinen Fäusten wanden und in alle erdenklichen Richtungen davonschossen, jede im Glauben, ihr eigenes kleines Glück sei wichtiger als das Überleben von ihnen allen. Er lächelte die mausgraue Lady Stolzhirsch an und fand eine gewisse aufrichtige Freude an ihrem aufgeregten Geplapper über seine Reparatur der Deckenkunst des Túsaíonn Domhan, »Eine Welt beginnt«. Er fragte sich, ob das, was er jetzt tat, einfacher oder schwerer war als jene Reparatur – die unzähligen Magien unter einem einzigen Joch zusammenzuweben und das Ganze aus dem Ausgestorbensein zurückzubringen und mit neuem Leben zu erfüllen.
Nur dass hier die zweitausend Schnüre Schulten und Schultinnen waren, Handelsprinzen, Edelpiraten, Gesandte, Sklavenhändler, Spione, Hochstaplerinnen, Deserteure, Verbannte und Flüchtlinge, deren Zahl in die Zehntausende ging – und darunter sogar eine schüchterne und sagenhaft wohlhabende Kunstsammlerin. Einige der Schnüre ließen sich klaglos von ihm formen, gaben dem Ganzen mehr Gewicht, machten es brauchbarer. Viele widerstanden seinem Zug, zu Recht von Misstrauen erfüllt – Misstrauen gegenüber einem weiteren Krieg, einem weiteren Guile. Viele versuchten, ihn zu verbiegen, ihn in ihre eigenen selbstsüchtigen Zwecke zu zwingen. Aber hinter den anderen konnte Kip selbst heute Abend eine übermäßige Anspannung spüren, die gegen ihn gerichtet war.
Er hatte hier, um Orholams willen, nicht vor, für sich selbst den Mantel eines Kaisers zu weben; er verfertigte nur ein schlichtes Joch, mit dem er die Sieben Satrapien womöglich vom Rand des Abgrunds würde wegwuchten können.
Es war der Weiße König. Koios war heute Abend hier am Werk, in ebendiesem Raum. Kip spürte es.
»Mit Eurer Entdeckung, dass die alten Meister tatsächlich über eine Vollspektrumsmagie verfügten, Großer Lord Guile …«, begann Lady Stolzhirsch gerade. »Neun Farben! Nicht sieben! Wer hätte das zu glauben gewagt …? Mit diesem neuen Wissen können wir eine Kunst wieder zum Leben erwecken, die diese Erde seit Jahrhunderten nicht mehr mit ihrer wahren Schönheit geschmückt hat. Ja, ja, es wird der Chromeria nicht gefallen, aber ohne Frage ist Kunst bereits selbst eine Form der Schöpfung, die ihrerseits Ruhm und Glorie des göttlichen Schöpfers beträchtlich mehrt, nicht wahr? Die Schöpfung von Schönheit ist Anbetung! Wer könnte das leugnen?« Diese kleinwüchsige Frau war, wenn es um die Antiquitäten der Waldbewohner ging, die oberste Expertin auf der Welt, so in etwa hatte Tisis es Kip jedenfalls berichtet. Sie war hier auch sehr gut vernetzt und überall beliebt. »Wenn Ihr die diesbezüglichen Bemühungen anführt, Schulte Guile – du meine Güte, ist mir das jetzt einfach rausgerutscht? Habt Ihr gewusst, dass die Heiligen beabsichtigen, Euch heute Abend diesen Titel zu verleihen? Ein kleines Geschenk. Inoffiziell natürlich, bis zur förmlichen …«
Auf der anderen Seite des Raums riefen Ferkudi und der große Leo plötzlich gleichzeitig: »Neun töten null!« und »Neun töten sieben!«
Für einen peinlich langen Moment verstand Kip nicht, warum sie so unhöflich waren, während eines zivilisierten Festes zu schreien.
Eben war es noch Kips größte Angst gewesen, dass ihn Lady Stolzhirsch im nächsten Moment darum bitten würde, persönlich Dutzende unbezahlbarer zerbrechlicher Kunstwerke zu reparieren. Es war unvermeidlich, dass er bei einem solchen Versuch die Hälfte dieser Kunstwerke zerstören würde. Er war schließlich immer noch der verdammte Schildkrötenbär.
Und jetzt, eine Sekunde später, katapultierte ihn ein zweifaches Krachen aus seinen gesellschaftlichen Ängsten in eine Furcht um Leib und Leben. Er war wie ein Mann, der durch einen Dieb in seinem Zimmer aus unruhigen Träumen geweckt wird. Luxin-Fackeln flammten auf, Ben-hadad warf eine blaue und eine grüne Fackel auf die Festtafel, und beide loderten empor, brannten hell, spien Magnesiumhitze in den Raum und versengten das kostbare Walnussholz.
Kip wurde plötzlich zurückgeschleudert, als ihn Kruxer an den Schultern packte und ihn mitsamt seinem Stuhl zur Seite riss, um ihn so schnell wie möglich aus jeder erdenklichen Schusslinie zu bringen.
Dann stoppte Kruxer jäh die über den Boden rutschenden Stuhlbeine mit den Füßen und riss den Stuhl ruckartig um, sodass Kip in die Luft flog.
Kip machte eine Rolle rückwärts und zog zu spät die Knie an.
Als sie das trainiert hatten, war er auf den Füßen gelandet. Jedenfalls genau ein Mal.
Doch diesmal nicht. Mit einem Krachen landete er hinter Kruxer auf Händen und Knien.
Als Kip wieder auf den Beinen war, hatte Kruxer ein ahnungsloses Schankmädchen mit einem kraftvollen Stoß aus dem Weg gerammt, sodass es zu Boden stürzte, und sich vor Kip aufgebaut, der inzwischen mit dem Rücken zur Wand stand. Die eine Seite von Kruxers blauer Brille war nach oben geschlagen worden, doch er starrte auf die blau brennende Luxin-Fackel auf dem Tisch und wandelte.
Kips hochgewachsener Leibwächter wirbelte mit beiden Händen im Kreis und baute mit wedelnden Bewegungen nach links und rechts einen blauen Luxin-Schild auf, als würde er seinen kristallinen Schutz direkt in die Luft malen.
Um kein unbewegtes Ziel abzugeben, duckte sich Kip in dem Raum hinter Kruxer abwechselnd nach links und nach rechts und wandelte so viel von den Lux-Fackeln, wie er konnte, während er zugleich versuchte, eine Bedrohung auszumachen.
Ferkudi und der große Leo kamen durch den geräumigen Gemeinschaftssaal auf ihn zugerast. Die Musik von Leier, Tamburin und Psalter verstummte.
Kip hatte um eine kleine Feier gebeten – was (jene nicht eingerechnet, die in den Küchen und Schlachthöfen schufteten) bedeutete, dass hundert Adlige, Lakaien und Speichellecker zugegen waren, außerdem noch über dreißig Diener und Sklaven, fünfzig Kriegerwachen (die auf Kruxers Beharren hin nur mit Tischmessern bewaffnet waren) sowie ein Dutzend Schausteller und Musiker.
Sie alle wichen vor der Mitte des Raums mit dem Ehrentisch zurück. Einige der Wachen stellten sich vor ihre Schutzbefohlenen oder zerrten sie in Richtung Türen. Andere Kriegerwachen waren immer noch benommen wie glotzende Kälber, viel zu schwer von Begriff, um jene Arbeit zu leisten, für die sie in Dienst genommen worden waren.
Über hundert Menschen im Raum, und keinen einzigen davon konnte Kip als eine Bedrohung identifizieren.
In einer Ecke auf der anderen Seite des Saals war der kleine Winsen auf eine Dienstbotenanrichte gesprungen, um den ganzen Raum überblicken zu können, sein Bogen bereits bespannt, ein Pfeil eingelegt, aber die Sehne noch locker, und die Pfeilspitze wanderte zusammen mit Winsens Blick von links nach rechts durch den Raum.
Dann wurde Kip die Sicht versperrt, da Kruxer nun mit seinem blasenförmigen Schild aus blauem Luxin fertig geworden war.
Es war keine sonderlich elegante Arbeit. Obwohl der Schild aus transparentem blauem Luxin bestand, war er fast undurchsichtig, aber Kip wusste, dass er stabil war. Kruxer machte keine halben Sachen.
»Mehr Leute«, murmelte Kruxer. »Wir brauchen mehr Leute.«
Erst jetzt hatte Kip die letzten Informationen vollends verarbeitet: »Neun töten sieben« bedeutete eine mögliche Mordattacke durch eine unbekannte Anzahl von Wandlern, unter denen sich auch ein Ultraviolettwandler befinden konnte. Da sich jetzt niemand auf ihn stürzte, klang das nach einem falschen Alarm. »Neun töten«-Rufe waren häufig ein Fehlalarm.
Aber »Neun töten null« bedeutete einen Paryl-Wandler.
Einen Meuchelmörder aus dem Orden des Gebrochenen Auges. Einen Schatten.
Was wiederum bedeutete, dass der Attentäter womöglich unsichtbar war, die Art von Monstrum, die mit ihrem Paryl ungesehen durch Kleider, Fleisch und Luxin hindurchdringen und einem das Herz in der Brust stehen bleiben lassen konnte.
Mit einem Knall wie beim Zungenschnalzen eines frechen Kindes zerplatzte Kruxers massive Schildblase aus blauem Luxin und zerfiel einfach zu Staub.
Entsetzt zögerte Kruxer, verwirrt, wie etwas, das er eigentlich als etwas Unzerstörbares geschaffen hatte, einfach versagen konnte, doch bei Kip hatte es nun endlich klick gemacht. Paryl war zerbrechlich. Es konnte durch Luxin oder durch Fleisch gleiten, in Gelenke und Herzen hinein. Doch es konnte sich nicht ausdehnen, konnte nicht zerschneiden, konnte keine heftigen Bewegungen überstehen.
Als ein Nerv in seinem Bein unsichtbar getroffen wurde, knickte Kruxers Knie unter ihm weg. Im gleichen Moment hechtete Kip davon und ließ sich zu Boden fallen.
Kip sprang wieder auf die Füße und stürmte dann direkt in Richtung Ehrentisch. Auf keinen Fall wollte er mit dem Rücken zur Wand gefangen sein, wenn ein Paryl-Meuchler in der Nähe war. Er rief: »Paryl!«, und setzte zwischen den großen Tonkrügen mit Wein über den Tisch.
Ganz in der typisch üppig-großspurigen Manier der Waldbewohner gab es bei großen Festen die Tradition, dass der Schulte den gesamten Wein, den er seinen Gästen zu servieren gedachte, in riesigen Krügen auf der Ehrentafel aufreihte, als Zeichen seiner Freigebigkeit und seines Wohlstands. Von den Gästen ihrerseits wurde erwartet, dass sie alles austranken. Natürlich wurden die Krüge proportional zu den Egos der Gastgeber größer.
Hier waren nun für den Mann, der die Stadt gerettet hatte, über die ganze Länge der Ehrentafel wie ein Regiment alkoholischer Soldaten einige der beeindruckendsten Repräsentanten dieser Riesenkrüge aufgereiht, die je gefertigt worden waren.
In seiner ganzen eleganten Erhabenheit streifte der Schildkrötenbär, als er über den Tisch sprang, einen von ihnen. Er rollte sich in den offenen Raum in der Mitte des von allen Tischen gebildeten großen U.
Der kostbare Krug aus glasiertem Ton, der mit ornamentalen goldenen Tiergestalten bemalt und mit Edelsteinen besetzt war, geriet ins Wackeln, die Gegenbewegung des in ihm hin und her schwappenden Weins verstärkte sein Schwanken, bis er kippte und vom Tisch stürzte – und in tausend Scherben zersprang.
Ein wahres Vermögen an Wein und Töpferkunst zerspritzte in alle Richtungen.
Hinter der sich ausbreitenden Weinpfütze hielt Kip bereits in Infrarotsicht Ausschau nach dem Meuchelmörder, der sich vielleicht noch in Kruxers Nähe befand.
Alle anderen waren Richtung Wände zurückgewichen oder auf die Türen zugerannt, sodass sich ein durcheinanderschreiendes Menschenknäuel gebildet hatte.
Nichts.
Selbst wenn er einen Schimmermantel trug, bedurfte es eines sehr geschickten Schattens, um sich vor Infrarotsicht zu verbergen.
Wie die beängstigenden Zwillingsstoßzähne eines angreifenden Eisenbullen kamen Ferkudi und der große Leo rechts und links an Kips Seite geeilt.
Kruxer lag noch immer auf dem Boden und trat mit dem Bein um sich, um das taube Gefühl daraus zu vertreiben und das Paryl zu zerbrechen. Er würde noch für eine Weile kampfunfähig sein, aber sein Blick war in den Raum gewandt, und trotz seiner Hilflosigkeit blaffte er bereits mit absolut furchtloser Stimme seine Befehle. »Ferk, Leo, sucht alles ab! Bleibt in Bewegung! Paryl!«
Der große Leo hatte bereits die schwere Kette gelöst, die er normalerweise um den Hals hängen hatte, das andere Ende in seinen Gürtel gestopft. Er ließ sie durch die Luft um ihn herumwirbeln, sodass sie zu einem fliegenden Panzer aus glänzendem Stahl wurde. Kein zerbrechlicher Paryl-Finger würde es durch diese Schutzwand hindurchschaffen. Dank Teia hatten die Mächtigen eine gute Vorstellung davon, was man mit Paryl alles anstellen konnte.
Ferkudi, der Ringkämpfer, hatte Knoten von Luxin in jeder Hand und um jede Hand herum – einen funkelnden Brocken aus kristallinem blauem Luxin in der rechten und einen sich vergrößernden waldgrünen Prügelstock in der linken. Er verließ sich darauf, jedwede Angriffe mit Luxin lange genug abwehren zu können, bis er dem Angreifer nahe genug gekommen war, um ihn zu packen.
Kip überlegte. Wenn Infrarot nicht funktioniert …
Während er mit seinen unberechenbaren, sprunghaften Bewegungen fortfuhr und sich weiterhin suchend umschaute, machte sich Kip daran, die Augen in den Bereich von Chi zu verengen. Ein wenig verspätet fiel ihm ein, dass er, als er das letzte Mal mit Chi experimentiert hatte, drei Tage lang blind gewesen war.
Zu spät.
Der Donnerschlag einer aus unmittelbarer Nähe abgefeuerten Pistole erschütterte Kip. Er sah Feuer aus einem Lauf zischen und fühlte, wie es direkt an seinem Gesicht vorbeifegte, hörte das Knallen einer Bleikugel und spürte die gewaltige Wucht der Druckwelle, die seine Wange eindellte wie der Hieb eines Boxers.
In der nackten, absoluten Konzentration, die das Geräusch der Schritte des Todes nach sich zieht, verschwand die Welt. Kein Laut. Keine Menschen. Da war nur die mitten in der Luft schwebende Pistole, gehalten von der körperlosen, behandschuhten Hand des unsichtbaren Mörders. Als die Pistole losging, durchlief die Welle des Rückschlags den Schimmermantel des Schattens und verlieh dem Meuchelmörder für einen kurzen Moment eine körperliche Gestalt.
Eine schwarze brennende Pulverwolke raste direkt hinter der Musketenkugel her.
Die brennende Wolke traf Kip im Fallen im Gesicht. Er hatte nicht bemerkt, dass er über seine Füße gestolpert war, aber er sah nun definitiv eine zweite Pistole aus der Tarnung des Schimmermantels auftauchen.
Ein weiterer Knall und dann ein Klirren.
Kip schlug mit der rechten Seite auf dem Boden auf und sah Ferkudi über ihn hinwegspringen und versuchen, sich den Attentäter zu schnappen. Er hatte sich gewaltige gezackte Krallen aus blauem und grünem Luxin geformt, um die Reichweite seiner Arme zu verdoppeln.
Doch Ferkudi fing nichts ein, seine suchenden Arme und seine Luxin-Krallen schlossen sich um leere Luft. Er landete mit einem dumpfen Aufprall auf der Brust und verlor das Luxin, beide Krallen brachen auseinander und zerfielen auf dem Boden.
Der große Leo folgte Ferkudis Angriff auf den Fersen. Er schleuderte seine Kette in voller Länge von sich und ließ sie in einem weiten Bogen auf Hüfthöhe herumwirbeln.
Das letzte Kettenglied verfing sich im Mantelsaum des zurückweichenden Schattens und öffnete den Schimmermantel weit. Der plötzliche Blick auf Stiefel, Hose und Gürtel, während der Rest des Mannes unsichtbar blieb, erweckte den Eindruck, als würden sie durch einen Riss in der Realität hindurchschauen. Ein Knistern durchlief einen Teil des Mantels, wo der Kettenschlag dessen Magie durcheinandergebracht hatte, und kurz verloren die Farben dort ihre Übereinstimmung mit dem übrigen Raum, um dann wieder ganz mit ihm zu verschwimmen, während der Meuchler außer Reichweite wirbelte.
Dann war der Mantel wieder herabgesunken und umhüllte den Attentäter mit Unsichtbarkeit.
Während sich Kip hochrappelte, betäubt, aber unverletzt, nutzte der große Leo seinen Vorteil gegenüber dem Meuchelmörder und preschte hinter dem Schatten her wie ein Bluthund, der eine Fährte aufgenommen hat. Seine Kette peitschte abermals durch die Luft und traf ins Leere …
Aber für einen Moment wurden Stiefel sichtbar, als der Meuchler auf eine Wand zuschoss.
Diesmal krachte die wirbelnde schwere Kette mit der ganzen Wucht nieder, die der bullige Körper des Kriegers hergab. Sie zersplitterte die Bodenfliesen und ließ Funken aufstieben, traf aber kein Fleisch – der Schatten war schnell.
Menschen kreischten und duckten sich angstvoll weg, als der große Leo auf sie zustürmte. Der Schatten musste schon fast mitten unter ihnen sein. Wenn Leo noch einmal zuschlug, würde er mehr als nur einen der Umstehenden töten oder verstümmeln.
Aber der große Leo blieb jäh stehen und ließ das Ende der Kette bis ganz knapp vor die Leute schnappen, die jetzt vollends in Panik geraten waren. Einer rempelte den anderen an, um durch die nächste Tür zu gelangen, und es war, als drücke man eine Korken in eine Weinflasche.
Mit der mühelosen Eleganz von jemandem, der schon so lange mit anderen zusammenarbeitet, dass alle in der Gruppe wie ein einziger Körper funktionieren, lenkte der große Leo den Wirbelwind der schweren Kette für einen Moment zur Seite, um Ferkudi an sich vorbeipreschen zu lassen.
Der große Leo konnte nicht allzu nahe an der Menschenmenge angreifen – Ferkudi kannte keine derartigen Bedenken. Wieder stürmte er mit vollem Tempo vorwärts, die luxingefüllten Arme gespreizt, und machte unter Einsatz seiner beträchtlichen Leibesfülle einen großen Satz auf die zusammengedrängte Menge zu, genau an der Stelle, wo er den Schatten vermutete.
Ferkudis Angriff ließ mindestens ein Dutzend Menschen durch die Luft fliegen – keiner von ihnen der Schatten – , und er ging mit ihnen allen zusammen in einem Durcheinander von Leibern zu Boden.
Was bedeutete, dass sich der Schatten nur in eine Richtung weiterbewegt haben konnte – direkt zurück zum Ehrentisch.
Kip sah Ben-hadad am anderen Ende der Ehrentafel stehen. Er trug seine Knieschiene, humpelte aber trotzdem noch immer aufgrund der Verletzung, die er sich bei ihrer Flucht aus der Chromeria zugezogen hatte. Er hatte seine schwere Armbrust geladen und zielte – mitten auf die Menge. Doch auf den Schatten zu schießen bedeutete auch, auf die Menge dahinter zu schießen. Die Frustration stand ihm in sein bebrilltes Gesicht geschrieben.
Ben fühlte sich nutzlos, wie Kip wusste. Trotz all seiner Brillanz konnte er mit seinen Fähigkeiten nicht punkten. Er konnte nicht kämpfen. Konnte seinen sich in Todesgefahr befindenden Freunden nicht helfen. Konnte nicht schießen, es sei denn, ihm bot sich eine ideale Gelegenheit dazu – was nicht der Fall sein würde, nicht bei all den in Panik geratenen Fremden überall.
Dann, schneller, als Kip denken konnte, wirbelte Ben-hadad auf seinem gesunden Bein herum, sodass er direkt auf die vordere Tischkante zielte. Er feuerte seinen Bolzen auf nichts, was Kip hätte sehen können …
… und zerschmetterte die Frontseite eines jeden der kostbaren Weinkrüge, die auf der Ehrentafel aufgereiht standen. Sie spritzten Ströme von Wein auf den Boden vor dem Tisch, als hätte jemand Zapfhähne an ihnen geöffnet.
Dann kippten sie in wohlgeordneter Abfolge um und zerbarsten auf dem Boden.
Die breite Weinwelle spülte in alle Himmelsrichtungen davon. Dann teilte sich die Welle um zwei im ersten Moment nicht klar auszumachende Hindernisse herum, umrundete sie und machte sie sichtbar: Wein bedeckte den Boden überall – von zwei fußförmigen Vertiefungen abgesehen.
Um ein Haar hätte Kip die Salve des magischen Todes entfesselt, die er in seiner rechten Hand gesammelt hatte, da sah er im letzten Moment das geschockte Gesicht von Lady Stolzhirsch genau in der Schusslinie, direkt hinter der Stelle, an der der unsichtbare Schatten stand. Die Adelsdame saß noch immer auf ihrem Stuhl. Hatte sich nicht von der Stelle gerührt, vor Schreck erstarrt.
Dann hörte man ein Spritzen, als der Schatten begriff, dass er entdeckt worden war, und davonrannte.
Weinnasse Fußabdrücke markierten seinen Weg, aber Kip wusste jetzt, was Sache war. Wenn der Schatten so gut in seinem Werk war, dass er sich nicht einmal in Infrarot sehen ließ, dann …
Kip verkrampfte die Augen, zog sie zusammen, bis sie unmenschlich verengt waren, und blickte in Chi auf die Welt. Schwach erkennbare Skelette grinsten ihn überall durch ihre Überzüge aus Fleisch an. Metall in kaltem Schwarz und Knochen wie rosafarbene Schatten; alles andere ringsum war lediglich farbiger Nebel.
Doch im Chi loderte der von unheimlichen Energien erfüllte Schimmermantel auf, Magie stieg von ihm in Wolken in die Höhe; der Mann war wie ein verschwitztes Pferd, das an einem kalten Morgen dampfte.
Der Schatten hörte auf weiterzurennen, seine Schuhe endlich trocken genug, um keine Fußabdrücke mehr zu hinterlassen. Er drehte sich um, wieder der Mitte des Raums zu, vergewisserte sich, dass man ihn nicht sehen konnte, und zog mit Skeletthänden die Falten des Umhangs zurecht.
Kip bewegte weiter den Kopf hin und her, als sei auch er blind.
Der Schatten zückte ein Kurzschwert, hielt es aber gesenkt, von seinem Mantel bedeckt. Er schritt auf Kip zu, und er fühlte sich offensichtlich in seiner Unsichtbarkeit sicher.
Orholam, er gab nicht auf, obwohl sie jetzt alle alarmiert waren. Kip war sich unschlüssig, ob eher übertriebener Stolz oder eine beängstigende Professionalität der Grund dafür war, dass dieser Mann glaubte, trotz all der Widerstände noch immer seinen Auftrag ausführen zu können.
Kip wartete ab, bis der Schatten nahe an ihn herangekommen war, dann sah er ihm unvermittelt direkt ins Gesicht. »Ihr habt eine Nachricht für mich«, sprach er ihn an. »Wie lautet sie?«
Der Schatten hielt so jäh inne, als hätte ihn jemand geohrfeigt. Kip sah, dass der Mann den Kopf senkte, um den Blick auf sich selbst zu richten. Nein, nein, ich bin immer noch unsichtbar. Es ist eine Finte.
»Ihr habt eine Nachricht«, wiederholte Kip.
Der Skelettmann verharrte reglos, als sei er überzeugt, dass Kip nur versuche, ihn mit einer List zum Sprechen zu bringen, damit er seine Position verriet. Nach einem Moment schüttelte er schwach den Kopf.
»Ach so«, sagte Kip und schaute direkt dorthin, wo die unter seiner Kapuze verborgenen Augen des Mannes sein mussten. Kip spürte, wie sich seine Kräfte sammelten und die Luft ringsum förmlich zu summen begann. »Dann seid also Ihr die Nachricht.«
Der Schatten zuckte leicht, als er nun endlich anerkennen musste, dass Kip ihn wirklich sehen konnte. Er machte einen Satz nach vorn, stach mit seinem Schwert nach Kip …