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Nachdem Thomas Mann in früheren Jahren noch eine klar antidemokratische Sichtweise vertreten hatte, markierte seine Rede ›Von deutscher Republik‹ (Oktober 1922) den Wendepunkt in seiner Entwicklung zum Befürworter der sozialen Demokratie. Aus seinem Treffen mit einem Mitglied der »Students for Federal World Government« im November 1946 entstand dieser Brief, »eine uneingeschränkte Kundgebung meines Glaubens nicht nur an die Schönheit und Hochherzigkeit, sondern an die brennende, praktische, reale Notwendigkeit Ihrer Bestrebungen«, wie Mann den Studenten versichert. Verlesen wurde der Text auf deren Kundgebung am 10. Dezember, wo er großen Effekt hervorrief. Da er mit einigen Positionen allerdings scharfe Kritik von verschiedener Seite riskierte, sah Mann von einer anschließenden Veröffentlichung ab. Der Brief erschien so gedruckt erst 1974 in den ›Gesammelten Werken‹ (dort unter dem Titel ›An David McCoy‹).
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Seitenzahl: 20
Thomas Mann
[Brief an die Studentenbewegung »Students for Federal World Government«]
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Mr. David McCoy, Vice-chairman of »Students for Federal World Government«.
Dear Mr. McCoy,
ich habe Ihnen und Ihren Freunden und Mitarbeitern erklären müssen, daß meine nach schwerer Krankheit noch schonungsbedürftige Gesundheit mich hindern wird, zu dem von Ihnen vorbereiteten peace rally on Thanksgiving Day nach Chicago zu kommen und dort für Ihre große und gute Sache zu sprechen. Nicht leichten Herzens habe ich eine Absage gegeben, die mir als Trägheit, Egoismus, Mangel an Pflichtgefühl und an Einsicht in den bedrohlichen Ernst der Situation ausgelegt werden könnte. Die Deutung, Gott weiß es, wäre falsch, und es ist nur ein Versuch, sie zu verhüten, wenn ich Ihnen, als Notbehelf, diesen Brief schreibe, – eine uneingeschränkte Kundgebung meines Glaubens nicht nur an die Schönheit und Hochherzigkeit, sondern an die brennende, praktische, reale Notwendigkeit Ihrer Bestrebungen; meiner Überzeugung, daß diese Bestrebungen übereinstimmen mit den Forderungen der Weltstunde, und daß es der gute Genius der Menschheit ist, der Ihnen den Mut, den heißen und heiligen Eifer verleiht, darin auszuharren.
Es gibt heute nichts Tröstlicheres und Erhebenderes in der Welt, nichts, was einer Ehrenrettung der Vernunft und der Menschlichkeit näher käme, als die Tatsache, daß in einigen 20 Städten der Vereinigten Staaten und in nicht weniger als 16 auswärtigen Ländern Gruppen junger Menschen sich gebildet haben, die in völlig uneigennütziger Hingabe ihr Leben {168}– jeden Tag ihres Lebens – der Arbeit für den Frieden gewidmet haben, allerorten, in garage offices, back rooms, classrooms für die Idee des Friedens werben, wirken, Proselyten machen, die Apathie, den Fatalismus bekämpfen, den trüben Wahn von der Unvermeidlichkeit eines neuen Weltkrieges zu zerstreuen suchen, – eines Krieges, der, wie sie wissen, mit den seit dem vorigen erfundenen Zerstörungsmitteln geführt, physische und moralische Verwüstungen ohnegleichen hinterlassen und tatsächlich die Menschheit ins Viehische, Untermenschlich-Verächtliche degradieren, sie sich selbst zum Ekel machen würde.