Briefe aus Deutschland V - Thomas Mann - E-Book

Briefe aus Deutschland V E-Book

Thomas Mann

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Beschreibung

Nicht nur in künstlerischer, sondern auch in praktischer Hinsicht war der Austausch Thomas Manns mit dem österreichischen Dramatiker Arthur Schnitzler fruchtbar – entstand daraus doch der Kontakt zu dem Herausgeber der New Yorker Zeitschrift The Dial, wo Mann zwischen 1922 und 1928 insgesamt acht ›German Letters‹ veröffentlichte. Ein Auftrag, der sich auch in Anbetracht der in Deutschland grassierenden Inflation als besonders vorteilhaft erwies. Laut der Datierung im Typoskript verfasste Mann diesen fünften Brief im April des Jahres 1924, abgedruckt wurde er im November. Mann, der das Theater sehr schätzte, ließ sich dabei offenbar von eigenen Erlebnissen inspirieren – zwei »bizarren Theaterabenden«, welchen er in den Wochen zuvor beigewohnt hatte. Der Brief wurde erst 1972, beziehungsweise 1974 gemeinsam mit den anderen ›Briefen aus Deutschland‹, auch auf Deutsch publiziert.

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Seitenzahl: 15

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Thomas Mann

Briefe aus Deutschland [V]

Essay/s

Fischer e-books

In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk

{745}Briefe aus Deutschland [V]

München, April 24.

Wenn ich der Kundgebung meines Vorsatzes, von zwei bizarren Theaterabenden, die hinter mir liegen, zu berichten, den Namen Ernst Barlach folgen lasse, so muß ich wohl auf ein höflich verwundertes Steigen der Augenbrauen gefaßt sein. Gewiß nicht, weil dieser Name in der Welt draußen ganz unbekannt wäre, – man kennt ihn sicher, und man verbindet damit die Vorstellung gewisser plastischer Kunstwerke – plastisch in der Tat in einem sehr reinen und echten Sinn dieses Wortes –, maserig-breitflächiger Holzskulpturen von großer Ausdruckskraft, russisch-christlich beeinflußt in ihrer Menschlichkeit, ihrer Leidens- und Bettlergebärde und unverwechselbar in ihrer Formensprache. Ein genialischer Bildhauer also, wir wissen. Es sollte jedoch von theatralischen Dingen die Rede sein? – Er hat sich also auf dem Gebiete der Ausstattung versucht? – Nein, weitergehend, auf dem des Dramas – und mit dem größten Glück, so möchte man hinzufügen, wenn man zu sagen wüßte, bei wem er mit dieser Eskapade Glück gemacht hat: beim Publikum jedenfalls nicht. Soweit es noch vorhanden war bei der Aufführung seines Stückes, die ich sah – es war die zweite –, legte es durch seine Mienen, sein vielsagendes Schweigen Gefühle an den Tag, die sich bei Wagner einmal in den Stabreim gekleidet finden: »Staunend versteh’ ich dich nicht!« Oder bei den Fachleuten, den Literaten, den Berufsdramatikern? Ich zweifele. Gar zu unkollegialisch sondert sich dieser Outsider mit seinem Stück von ihnen ab – es steht tatsächlich außer aller Literatur, etwas Wildbürtiges, schwerfällig Urwüchsiges und Unzünftiges, etwas Unmodisches, ja Unzivilisiertes haftet ihm an, es ist ein Werk sui generis, ausgefallen {746}und unmöglich, grundkühn und grundsonderbar – das Stärkste und Eigentümlichste, meiner unmaßgeblichen Meinung nach, was das jüngste Drama in Deutschland hervorgebracht hat.