Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In 'Briefe eines Verstorbenen', einem Reisetagebuch von Hermann von Pückler-Muskau, wird der Leser in eine faszinierende und poetische Welt des Reisens und der Natur eingeführt. Das Buch präsentiert eine Sammlung von Briefen, die während Pücklers Reisen durch Europa und Ägypten geschrieben wurden, und bietet einen einzigartigen Einblick in die Gedanken und Erfahrungen eines passionierten Reisenden des 19. Jahrhunderts. Der literarische Stil ist geprägt von Pücklers tiefer Bewunderung für die Schönheit der Landschaften, die er besucht, und seiner poetischen Art des Schreibens, die den Leser in seinen Bann zieht. Als einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller seiner Zeit stellt Pückler mit diesem Werk sein Talent für die Beschreibung von Landschaften und Charakteren unter Beweis. Seine lebendige und detailreiche Darstellung seiner Reisen bietet dem Leser eine einzigartige Perspektive auf die Welt des 19. Jahrhunderts. 'Briefe eines Verstorbenen' ist ein absolutes Muss für Leser, die sich für Reiseliteratur, Naturbeschreibungen und die Romantik des 19. Jahrhunderts interessieren. Durch Pücklers einzigartigen Blick auf die Welt eröffnet das Buch dem Leser eine neue Dimension des Reisens und der literarischen Darstellung von Landschaften und Emotionen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 1653
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England, geschrieben in den Jahren
Schon seit mehreren Monaten hatte mich mein Verleger um die Übersendung der zwei letzt-ersten Teile der Briefe eines Verstorbenen gemahnt, und doch war es mir fast unmöglich, sein Verlangen zu erfüllen, weil mir in den verworrenen, oft auch nicht vollständigen Manuscripten zu vieles dunkel oder ganz unverständlich blieb.
In dieser Not verfolgte mich unablässig der sonderbare Gedanke: ob es nicht möglich sei, mit dem Verstorbenen noch einmal mündlich zu verkehren, und – so unverständig, ja wahnwitzig manchem das vorkommen mag – diese Unterredung hat dennoch wirklich stattgefunden. Gegen facta gehalten, müssen aber alle Theorien verstummen.
Wie sich so Unerhörtes jedoch höchst wunderbarerweise gestaltet und zugetragen, werde ich hier kürzlich erzählen.
Die unerwartet günstige Beurteilung, welche vom Gipfel des Parnasses, wie belebender Resurrektionstau, auf die Totenblätter gefallen war, hatte meine Sehnsucht nach dem Freunde, um ihm wo möglich so erfreuliche Kunde mitzuteilen, noch mehr als je gesteigert, und ich begann eines Abends schon, mich mit heidnisch-kabbalistischen Beschwörungen zu beschäftigen, als ein ärztlicher Freund mich noch zur rechten Zeit unterrichtete, wie ich weit christlicher und schneller zum Zwecke kommen könne.
Der Leser ahnet wohl schon, auf welchen Weg er mich führte. Ja, er sandte mir jenes außerordentliche Buch, jene neueste Offenbarung: Die Seherin von Prevorst.
Man denke sich, wie in so günstiger, empfänglicher Stimmung jedes letzte Vorurteil des gesunden Menschenverstandes schwinden, wie der überirdische Funke gewaltsam zünden, und gleich einem Blitze mein Inneres erleuchten mußte! ›O ihr edlen Wohltäter der Menschheit‹, rief ich, ebenso triumphierend als gläubig, aus, ›Dank Euch, das Geisterreich ist von Neuem erschlossen, und ist auch die erste Seherin in ihrem Berufe gestorben, warum sollte ihr nicht bald eine zweite folgen? Was einmal da war, kann auch wieder kommen, ja trügt mich die süße Hoffnung nicht, so ist diese Zweite schon gefunden!‹
Dieser Ausruf, geneigter Leser, hatte seinen guten Grund, denn schon seit geraumer Zeit lebte in meiner Nähe ein Mädchen, deren wunderbare Reizbarkeit des Nervensystems in der ganzen Gegend fast zum Sprichwort geworden war. Sie hatte früher als fromme Nonne im B... Kloster zu B... gestanden, und dort seltsame Fata erlebt, wo sie, bei allen echt weiblichen Eigenschaften, zugleich vielfache Gelegenheit gehabt, auch eine wahrhaft männliche Entschlossenheit zu bekunden. Man raunte sich sogar ins Ohr, daß sie im Verlauf gewisser Verfolgungen mehr als einmal vergiftet worden; durch schleunigen Gebrauch der Magenpumpe jedoch immer glücklich wiederhergestellt worden sei. Wegen dieser geheimnisvollen Avantüren hatte man ihr den lugubren Namen des Nonnerich beigelegt, ihr eigentlicher Name war aber Theresel, und ihr Geburtsort Böhmen. Nach Aufhebung des Klosters zog sie sich zu einer mütterlichen Freundin zurück, und lebte jetzt, nach dem Hingange dieser, still für sich, nur den Mysterien eines glühenden Pietismus, und den Werken der ausgedehntesten Menschenliebe rücksichtslos hingegeben.
Dieses hochbegabte Wesen hatte sich so oft im Zustande freiwilliger magnetischer Ekstase befunden, daß durch eine, nach den Regeln der Kunst fortgesetzte, wissenschaftliche Manipulation, die höchsten Resultate unfehlbar erwartet werden durften, und an ihrer Einwilligung war, bei jener bekannten Richtung ihres Naturells, kaum zu zweifeln.
Ich verlor also keinen Augenblick, und schrieb sogleich an meinen Freund, den Doktor Ypsilon, einen sehr gebildeten und gemütlichen Mann, der auch, wo es Experimente betrifft, keiner unpassenden Gewissenhaftigkeit Raum gibt, und bat ihn dringend um seine beste Hilfe, das große Resultat hervorzubringen, welches ich beabsichtigte.
Doktor Ypsilon war auch, wie ich erwartet, für mein Projekt sofort Feuer und Flamme. »Verlassen Sie sich auf mich«, erwiderte er, »und sollte ich selbst darüber den Kopf und Theresel das Leben verlieren, so muß sie doch bon gré mal gré den höchsten Grad des Hellsehens erreichen, und hinter der großen Seherin in keiner ihrer wunderbaren Fakultäten zurückbleiben.«
In der Tat segnete der Himmel unsern guten Vorsatz auf das sichtlichste. Der Erfolg übertraf noch die kühnsten Wünsche, denn ehe sechs Wochen vergingen, sah Theresel schon oben und unten, rechts und links, geistig und körperlich, durch sich und andere hindurch, und Geister aller Taillen und Farben gingen bei ihr aus und ein, wie in einer Schenke. Man muß zwar gestehen, es waren nicht immer die geistreichsten. Wir hatten sogar in diesem Punkt Unglück, aber ein sonderbares Vorurteil dieser Erde ist es auch, zu glauben: daß alle Geister Geist haben müßten – gewiß ebenso wenig, als alle Menschen menschlich sind. Gibt es doch sogar dumme Teufel, warum sollte es nicht auch dumme Geister geben!
Dem sei nun wie ihm wolle, kurz, der von mir so lang ersehnte Zeitpunkt war da, der Zweck aller Mühe erreicht, und bei der ersten besonders aufgeregten Stimmung der Prophetin, legte ich ihr meinen Wunsch auf den – Magen, das inbrünstige Wollen aller meiner verschiedenen Seelen und Geister: den verstorbenen Busenfreund noch einmal zu sehen.
Sie besann sich eine Weile, und sagte dann: »Was verlangst du Lieber! wisse, L... kann nicht anders als zu Pferde erscheinen.« »Comment«, rief ich erstaunt, »à cheval wie Napoleon?« »Nicht anders, mein Freund, so wollen es die unwandelbaren Gesetze des Zwischenreichs, denn L..., erinnere Dich, hatte unter vielen andern Fehlern auch den, ein viel zu leidenschaftlicher Reiter zu sein, und wie bei meiner Seelen-Freundin von Prevorst alte Ballvortänzer auch jetzt noch tanzend umherhüpfen müssen, so darf auch L... bei mir nur reitend eingelassen werden. Seine Erscheinung wird fürchterlich sein, ich sage es Dir vorher, waffne Dich mit Mut, doch Du hast es gewollt, ich rief ihn, und höre... da kömmt er schon!« Obgleich bereits passabel an den Umgang mit der andern Welt gewöhnt, durchrieselte doch ein kleiner Schauer mein Gebein, als ich jetzt – ›Tap... Tap... Tap...‹ vor der Türe erschallen hörte, und gleich dem Comthur in ›Don Juan‹ eine dämmernde, furchtbare Gestalt, mit dem Haupte schrecklich nickend, langsam ins Zimmer ritt.
Es schien wirklich, als habe mein Freund, zur Strafe für seine einstige Eitelkeit: immer die schönsten Pferde haben zu wollen, jetzt das magere Tier der Apokalypse besteigen müssen, ein fahles Ungeheuer, dessen Nüstern stahlblaue Dämpfe von sich stießen, und dessen Augen wie Feuerräder im Kopfe rollten. Daß es übrigens bei seinen ungeheuren Dimensionen, die gewiß dem trojanischen Pferde nichts nachgaben, dennoch in unsrer kleinen Stube Platz fand, war gewiß ein so offenbares Wunder, daß es auch dem Ungläubigsten jeden Gedanken an mögliche Täuschung der Sinne benehmen mußte. »O teurer Freund!« rief ich zitternd, noch ganz außer mir vor Schrecken und Freude, »bist Du es wirklich? Ja, jetzt erkenne ich schon wieder die alten lieben Züge, und, bei allen Geistern des Zwischenreichs, wirklich besser konserviert, als ich erwartete. Wieviel, o Freund, habe ich mit Dir zu reden, wieviel zu melden, wieviel zu erfahren, doch vor allem höre jetzt das: Was von Dir auf Erden allein zurückblieb – Deine posthumen, harmlosen Briefe – sie haben mehr Gnade daselbst gefunden, als Du je im Traume gehofft, und dürfte ich mich etwas orientalisch ausdrücken, was besser zu Deiner exotischen Erscheinung paßt, so würde ich sagen: daß aus dem unansehnlichen Feuerstein der edelste Stahl einen helleuchtenden Rubin geschlagen, daß die Sonne das Stückchen Glas durch ihre Strahlenkraft einen Augenblick zum Brennspiegel erhoben hat – mit einem Wort, um plan zu sprechen...«: Hier ergriff ich ein schon in der Tasche bereitgehaltenes Papier, und las, wie auf der Tribüne der französischen Deputiertenkammer, den Rest meiner Rede, und die Nr. 59 der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, dem erstaunten Geiste vor.
Dieser (ein sanft aschgrauer, also nach den Regeln der Uniformierung des Zwischenreichs, schon beinahe halbseliger) war bei der ersten Nennung des salomonischen Namens etwas erblaßt, dann schnell errötet, und hörte hierauf, ohne ein Wort zu sprechen, dem Anschein nach tief in sich versunken, andächtig zu.
Als ich geendet, entschwebte seinen Lippen ein behaglicher Seufzer, und lächelnd lispelte er (ganz wie im Leben): »Auf Erden wollte mir das Glück nie wohl, Heil aber sollte mir dennoch von daher, hier im Zwischenreich widerfahren! Wandelte ich noch irdisch umher, mir würde sein, wie einem Türken, der, in der Menge verborgen, plötzlich einen Gesandten des Sultans auf sich zukommen sieht, um ihn mit dem Ehrenpelz zu bekleiden, und zum Pascha einiger Roßschweife zu ernennen. Lächle nicht über die scheinbare Eitelkeit dieses Vergleichs, mein guter Hermann; denn es steht mir ja wohl an, stolz zu sein auf Jupiters Lob, und es ist sogar Pflicht, meine eigne Bescheidenheit hier gefangen zu nehmen – denn wäre es nicht anmaßend, mich selbst richtiger schätzen zu wollen als Er?
Ist es mir aber vergönnt, nun auch dem Gehörten einige demutsvolle Worte zu entgegnen, so muß ich vor allem mein Staunen ausdrücken, wie der achtzigjährige Greis so jugendlich frisch noch in jeden mutwilligen Scherz des Weltkindes, in jede Kinderfreude an der Natur so teilnehmend freundlich einzugehen vermag, und wie hoch er dabei dennoch in seiner Dichter-Glorie oben über uns schwebt, und alle Zustände der Menschen, wie einer der Herzen und Nieren prüft, erkennt und schildert, ohne nötig zu haben, sie selbst zu teilen, noch sie aus eigner Erfahrung sich zu abstrahieren. Nicht richtiger hat Rhadamanth, als ich in der Unterwelt ankam, mir im Herzen gelesen, und selbst wenn mit wohlwollender Feinheit der gütige Meister andeutet, wie manche heterogene Aufsätze in jenem wunderlichen Buche wohl auch von fremder Hand sein könnten, so hat er auch darin im Wesentlichen Recht, denn zeigte es sich auch am Ende, daß Herausgeber und Autor nur eine Person wären, und ein und derselbe das Ganze geschrieben (was jedoch nur mystisch möglich sein könnte, da ich tot bin, und Du noch lebst) so wissen wir doch, daß es auch in demselben Individuo verschiedene Naturen geben könne, und daß, wenn die Linke nicht wissen soll, was die Rechte tut, auch manchmal die Linke tut, wovon die Rechte nichts wissen will.
Du, mein treuer Herausgeber, gehst ebenfalls nicht leer aus, und es wird Dir zum Verdienst angerechnet, daß Du ›offen aber nicht aufrichtig‹ bekanntest, wie gewisse besondere Umstände Dich nötigten, das Ende zum Anfang zu machen, während Du dadurch doch nur ein heilsames clair-obscur über das Ganze breiten, und ihm, wie der Richter sagt, einen epischen Anstrich geben wolltest. So erscheinst Du denn, neben dem glücklichen Autor, auch als gewandter Editor, vor Reich und Zwischenreich, uns beiden aber wird schließlich Absolution erteilt, wenn wir auch wirklich gewagt haben sollten, hie und da Dichtung (bescheidner, Fiktion) mit Wahrheit zu vermischen.«
Der Verstorbene (wie man sieht, mit ziemlicher Redseligkeit begabt) machte Miene noch länger fortfahren zu wollen, als eine dröhnend schallende Glocke ertönte, und ihm plötzliches Stillschweigen auflegte. Es war, wie wir bald merkten, ein warnendes Zeichen für ihn: sein stündliches Strafpensum abzureisen, welches diesmal in dreimal drei Volten, in neun verschiedenen Gangarten, rund um die Stube bestand. Es war schrecklich anzusehen, wie der ungeheure, uns mehr als spanisch vorkommende Tritt des höllischen Gaules ihm fast den Atem zu benehmen schien. Noch mehr schauderten wir aber, als jetzt der, gleich einem Kometen in elliptischen Bahnen kreisende Schweif des Untiers, vor unsern Augen mehrere schöne Porzellantassen (alles echte altsächsische) von einer Konsole herabkehrte, die in Scherben auf dem Boden zertrümmerten, ohne dennoch das mindeste Klirren vernehmen zu lassen – denn die Prevorst'schen Geister haben nicht nur die Fähigkeit, immaterielle Klänge hervorzubringen, die materiell gehört werden, sondern auch solche, die ihnen unangenehm oder nicht anständig scheinen, unhörbar zu machen, ein Vorrecht der Zwischenregionen, welches verschiedene Bequemlichkeiten darbieten muß.
Als mein Freund endlich wieder still hielt, und sich keuchend den Schweiß von der Stirne trocknete, benutzte ich den günstigen Augenblick schnell, um von neuem also zu sprechen: »Die guten Nachrichten, die ich Dir zu bringen habe, sind noch nicht zu Ende. Vernimm, daß auch eine andere gewichtige Stimme in Deutschlands kritischen Gauen zu Deinem Preise erschallte, und den eigenen Glanz Dir als wohltuende Folie unterlegte – und manche andere wertvolle Namen sind demselben Beispiel gefolgt. Ein Freimütiger darunter, der Dich wahrlich nicht übel kennt, obgleich er Dich sichtlich mit einer andern Person verwechselt, hat sogar ausgemittelt, daß Du bei aller Liberalität, doch gerade noch genug Adelstolz besäßest (gestehe, verehrtester Zwischengeist, er hat nicht ganz Unrecht), und dabei uns zugleich seine Theorie vom Adel mitgeteilt, nämlich daß dieser sein und nicht scheinen solle. Viel verlangt in der Tat! denn, wäre nur gesagt, der Adel solle nicht bloß scheinen, sondern auch sein, so wäre dies zwar immer noch, in Sandomir wenigstens, unmöglich, jedoch denkbar – aber Sein ohne allen Schein, sozusagen, eine unsichtbare Existenz, ein Licht ohne Flamme – voilà qui est difficile!, O Gott! da entfuhr mir wieder eine französische Floskel, die, wie ich selbst fühle, zarten deutschen Ohren doch so empfindlich sein muß! Pardon, es soll nicht mehr geschehen. ausgedrückt, wenn er sich herabgelassen hätte, statt dem hier unpassenden, harten, auch nicht ganz deutschen Wort: Skandal, das englische › scandal‹ zu gebrauchen.
Noch schmeichelhafter ist die, in seiner reichen Bildergalerie ausgesprochene Anerkenntnis jenes liebenswürdigen deutschen Humoristen, der, wenn er dem Auge eine Träne entlockt, während sie herabfällt, die Lippen schon wieder zwingt, sie mit Lächeln aufzufangen.
Damit Dir aber nichts Wünschenswertes fehle, ward Dir auch von den Pharisäern einiger obskure Tadel. Ja, eine arme Seele ist sogar auferstanden, um den Verstorbenen hienieden mit einem schwülstigen Mischmasch anzugreifen, der jedoch bei Freund und Feind nichts als den lebhaftesten Wunsch erregt hat, jene Verschollene möge doch lieber ruhig schlafen geblieben sein, statt das Publikum von neuem gähnen zu machen. Noch mehr. Selbst mit dem großen Unbekannten brachte man Dich in einige entfernte Berührung, indem manche, – die überhaupt heutzutage gar nicht mehr begreifen können, wie ein Minister wohl etwas ohne seine Räte, ein General ohne seinen Generalstab, ein Monarch ohne sein Ministerium, allein hervorbringen könne – auch Dein Büchlein, gleich jenes Erhabnen unsterblichen Romanen, einer ganzen compagnie größerer und kleinerer Autoren beiderlei Geschlechts zugeschrieben, und sich, hie und da gereizt, (denn Wahrheit tut weh) schmählig in Unschuldige, oder gar in die bloße Luft verbissen. So haben sich denn, lieber Toter, auf die glücklichste Weise für Dich, Licht und Schatten aus den verschiedensten Regionen vereinigt, um...«
»Mon cher«, unterbrach mich hier Theresel, und ergriff verdrießlich meinen Arm, »vergiß nicht, que tous les genres sont bons hors le genre ennuyeux, der einzige Umstand, in welchem ich mit meiner Freundin von Prevorst nicht harmoniere. Es ist genug für diesmal: Ihr müßt uns jetzt alle verlassen, denn die Zeit naht heran, wo der Geist vom Rosse steigen wird, um die Nacht bis zum Hahnenschrei mit mir zuzubringen. Ihr wißt, wie die unmittelbare Atmosphäre der Erwählten seine Seligkeit um Jahrhunderte beschleunigen kann, und es liegt mir ob, dies Werk christlicher Liebe keinen Augenblick länger zu verschieben, so entsetzlich ich auch dadurch geschwächt werde – aber was ist mein elender Körper gegen eine so hohe Bestimmung, gegen eine so heilbringende Einwirkung auf das Geisterreich!«
Ehrfurchtsvoll traten wir Lebenden zurück. Mein Freund lächelte, fast so sarkastisch, als sei er noch ein schwarzer Geist, sagte, indem er seine Hand küssend mir zuwinkte: »Au revoir mon ami« und verschwand, eben als ich die Türklinke ergriff, hinter Theresels Bettvorhängen. Sein Roß aber wirbelte, als der angenehmste Duft von essence de bouquet, im Kamine empor.
Auf die Straße gekommen, sah ich, noch in halber Betäubung, nach meiner Uhr, o horror! in der ganzen Stadt hatte es 5 Uhr geschlagen, als ich in das Haus der Seherin eintrat, jetzt war es drei. Die Zeit also war seitdem, man schaudert, statt vorwärts – rückwärts gegangen! Brauche ich noch zu sagen, daß ich nach dieser ersten entrevue, nicht nur meinen Freund öfters sah, und jede von ihm gewünschte Auskunft erhielt, sondern daß ich auch überhaupt an dem Geisterverkehr ebensoviel Vergnügen zu finden anfing, als mein Gehilfe, Doktor Ypsilon? Tag für Tag mußte Freund und Feind uns erscheinen, für ein Billiges erlösten wir manchen armen Schlucker, der seit Jahrhunderten als Geist herumlief, weil es ihm an vier Groschen fehlte, um eine gute Tat zu tun, und wollte ich hier erzählen, welche Aufschlüsse uns da geworden, welche Rätsel uns gelöst, welche überraschende Aufklärungen wir über die Geschichte erhalten, was uns Moses und die Propheten, die ›Eiserne Maske‹, Sebastian von Portugal, der falsche Waldemar, Cagliostro und der Graf von St. Germain vertraut – wir endeten kaum. Es ist wahr, Theresel, die uns oft vergebens um Mitleid anflehte, hielt es nicht aus. – Sie ruht nun auf dem Kirchhof, wie ihre große Vorläuferin, und starb – man muß es gestehen – einen elenden Tod. Aber wohl dem, der für das allgemeine Beste sich opfert, oder auch geopfert wird. Für die Überbleibenden ist wenigstens Beides Eins.
Doch auch wir brachten ein Opfer, und bezahlten unsere Schuld. Denn da wir bei jedem Experiment von neuem in der Zeit rückwärts schritten, so hatten wir am Ende nicht bloß, wie die Weltumsegler, einen ganzen Tag, sondern wohl mehr als Jahre verloren, ja oft wollte es uns dünken, es seien soviel Jahrhunderte.
Dresden, den 8ten Sept. 1826
Meine teure Freundin!
Deine Liebe bei unserm Abschied in B... hat mir so wohl und weh getan, daß ich mich noch nicht davon erholen kann. Immer steht Deine kummervolle Gestalt vor mir, ich lese noch den tiefen Schmerz in Deinen Blicken und Tränen, und mein eigenes Herz sagt mir nur zu sehr, was Du dabei empfunden haben mußt. Gott gebe uns bald ein so freudiges Wiedersehen, als der Abschied traurig war!
Ich kann vorderhand nichts sagen, als Dir in's Gedächtnis rufen, was ich so oft wiederholte, daß ich ohne Dich, meine Freundin, mit mir in dieser Welt zu wissen, keine ihrer Freuden mehr ungetrübt genießen könnte, daß Du also, wenn Du mich liebst, vor allem über Deine Gesundheit wachen, Dich durch Geschäfte, so viel Du kannst, zerstreuen, und auch die ärztlichen Anordnungen nicht verabsäumen sollst.
Als mich auf dem Wege die Schwermut, welche allen Gegenständen einen so trüben Anstrich gibt, ganz überwältigen wollte, suchte ich eine Art Hilfe bei Deiner Sévigné, deren Verhältnis mit ihrer Tochter in der Tat viel Ähnliches mit dem unsrigen hat, mit der Ausnahme jedoch: que j'ai plus de votre sang, als Frau von Grignan von dem ihrer Mutter. Du aber gleichst der liebenswürdigen Sévigné, wie dem Portrait einer Ahnfrau. Die Vorzüge, welche sie vor Dir hat, gehören ihrer Zeit und Erziehung an, Du hast andere vor ihr voraus, und was dort vollendeter und abgeschlossener als klassisch erscheint, wird bei Dir – reicher und sich in das Unendliche versenkend – romantisch. Ich schlug das Buch au hasard auf. Artig genug war es, daß ich gerade auf diese Stelle traf:
›N'aimons jamais ou n'aimons guères 17 est dangéreux d'aimer tant!‹
worauf sie gefühlvoll hinzusetzt,
›Pour moi j'aime encore mieux le mal que le remède, et je trouve plus doux d'avoir de la peine à quitter les gens que j'aime, que de les aimer médiocrement.‹
Ein wahrer Trost ist es mir schon jetzt, Dir ein paar Zeilen geschrieben zu haben. Seit ich mich wieder mit Dir unterhalte, glaube ich Dir auch wieder näher zu sein.
Reiseabenteuer kann ich Dir noch nicht mitteilen, ich war so sehr mit meinen innern Empfindungen beschäftigt, daß ich kaum weiß, durch welche Orte ich gekommen bin.
Dresden erschien mir weniger freundlich als gewöhnlich, und ich dankte Gott, als ich mich im Gasthof auf meiner Stube wieder häuslich eingerichtet fand.
Der Sturm, der mir den ganzen Tag gerade in's Gesicht blies, hat mich übrigens sehr erhitzt und fatiguiert, und da ich ohnedem, wie du weißt, nicht ganz wohl bin, so bedarf ich der Ruhe.
Der Himmel gebe auch Dir in M... eine sanfte Nacht, und einen lieben Traum von Deinem Freunde!
Den 10ten früh
Vous avez sans doute cuit toutes sortes de bouillons amers, ainsi que moi. Indessen bin ich heiterer und wohler aufgestanden, als gestern, und gleich zur Aufräumung meiner Sachen, wie zu allen den kleinen Geschäften geschritten, welche die Vorbereitung für eine weite Reise nötig machen. Am Abend fühlte ich mich wieder recht angegriffen, und da ich einen Rückfall meines nervösen, hypochondrischen Übelbefindens befürchtete, was Du meine ›maladie imaginaire‹ tauftest, so ließ ich den Hofrat W... kommen, den Lieblingsarzt der hier durchreisenden Fremden, weil er, seine Geschicklichkeit abgerechnet, ein amüsanter und lustiger Gesellschafter ist. Du kennst meine Art, Ärzte zu gebrauchen. Niemand kann mehr homöopathischer Natur sein – denn in der Regel kuriert mich schon das bloße Gespräch mit ihnen über meine Übel und ihre Heilmittel zur Hälfte, und nehme ich dann ja noch etwas von dem Verschriebenen, so geschieht es gewiß nur in Tausendteilchen. Dies bewährte sich auch heute, und nach einigen Stunden, die W... an meinem Bette zubrachte, und mit mancher pikanten Anekdote würzte, soupierte ich mit besserem Appetit, und schlief leidlich bis zum hohen Morgen. Als ich meine Augen aufschlug, fielen sie auf ein Briefchen von Dir, das der ehrliche B... mir auf die Decke gelegt hatte, wohl wissend, daß ich den Tag nicht freudiger beginnen könnte. In der Tat, nach dem Vergnügen von Dir zu hören, habe ich nur noch eins – Dir zu schreiben. – Fahre nur fort, so ganz zwanglos Deinen Gefühlen Worte zu geben, und schone auch die meinigen nicht. Ich weiß es ja wohl, daß Deine Briefe noch lange einer ernsten, trüben Landschaft gleichen müssen! Ich werde beruhigt sein, wenn ich nur manchmal ein liebliches Sonnenlicht seine Strahlen hineinwerfen sehe.
Leipzig, den 11ten
In einem recht schönen Zimmer mit wohlgebohntem Parkett, eleganten meubles und seidenen Vorhängen, alles noch in der ersten fraicheur, deckt man soeben den Tisch für mein dîner, während ich die Zeit benütze, Dir ein paar Worte zu schreiben.
Ich verließ heute früh um 10 Uhr Dresden in ziemlich guter Stimmung, das heißt, bunte Phantasiebilder für die Zukunft ausmalend, nur die Sehnsucht nach Dir, gute Julie, und die daraus folgende Vergleichung meines faden und freudelosen Alleinseins gegen die herrliche Lust, mit Dir in glücklicheren Verhältnissen diese Reise machen zu können, griffen mir oft peinlich an's Herz.
Vom Wege hieher ist nicht viel zu sagen, er ist nicht romantisch, selbst nicht die, mehr Sand als Grün zur Schau tragenden, Weinberge bis Meißen. Doch erregt die zu offene, aber durch Fruchtbarkeit und Frische ansprechende Gegend zuweilen angenehme Eindrücke, unter andern bei Oschatz, wo der schön bebuschte Culmberg, wie ein jugendlich gelocktes Haupt in das Land hineinschaut. Die Chaussee ist gut, und es scheint, daß auch in Sachsen das Postwesen sich verbessert, seitdem in Preußen der vortreffliche Nagler eine neue Post-Ära geschaffen hat. Nichts ist mir dabei belustigender als B...s frischer Eifer, der selbst die Gutwilligsten unter den Phlegmatischen rastlos antreibt, und sich gegen sie benimmt, als habe er bereits mit mir die ganze Welt durchreist, und es, wie sich von selbst versteht, überall besser gefunden, als im Vaterlande.
Bei dem gereizten Zustande meiner Gesundheit ist der bequeme englische Wagen eine wahre Wohltat. Ich tue mir überhaupt etwas darauf zugute, das Reisen in gewisser Hinsicht besser als andere zu verstehen, nämlich die größte Bequemlichkeit, wozu auch das Mitnehmen der möglichsten Menge von Sachen gehört (in der Ferne oft liebe, gewohnte Andenken) mit dem geringsten embarras und Zeitverlust zu verbinden zu wissen. Diese Aufgabe habe ich besonders diesmal vollkommen gelöst. Ehe ich in Dresden einpackte, glaubte man ein Warenlager in meinen Stuben zu sehen. Jetzt ist alles in den vielfachen Behältnissen des Wagens verschwunden, ohne diesem dennoch ein schweres überladenes Ansehen zu geben, das unsre Postillone so leicht erschreckt, und den Gastwirten einen auf der großen tour Begriffenen anzeigt. Jede Sache ist bei der Hand, und dennoch wohl gesondert, so daß, im Nachtquartier angekommen, in wenigen Minuten das ›häusliche Verhältnis‹ in dem fremden Orte schon wieder hergestellt ist. Unterwegs aber geben mir die hellen Kristallfenster vom größten Format, die kein Gepäck und kein Bock verbaut, ebenso freie Aussicht als eine offene Kalesche, und lassen mich zugleich Herr der Temperatur, die ich wünsche. Die Leute auf ihrem hinter dem Wagen befindlichen hohen Sitze, übersehen von dort alles Gepäck und die Pferde, ohne in das Innere neugierige Blicke werfen, noch eine Konversation daselbst überhören zu können, wenn ja, im Lande der Brobdingnags oder Lilliputs angelangt, einmal Staatsgeheimnisse darin verhandelt werden sollten. – Ich könnte ein Kollegium über dieses Kapitel lesen, das dem Reisenden gar nicht unwichtig ist, bin aber hier nur deshalb so weitläufig geworden, um Dir ein vollständiges Bild zu liefern, wie Du mich, die Welt durchziehend, Dir denken sollst, und das nomadische Wohnhaus, mit dem die wechselnden Postgäule mich täglich weiter Deinem Gesichtskreise entrücken.
Der Wirt im Hôtel de Saxe, gewiß einem der besten Gasthöfe in Deutschland, ist ein alter Bekannter von mir, der, als ich in Leipzig studierte, sich sogar manches Recht auf meine Dankbarkeit erwarb. Viele fröhliche, zuweilen ausgelassene Mahle wurden damals in seinem Hause gehalten, und ich lud ihn daher ein, auch heute mein einsameres zu teilen, um mir von der Vergangenheit und dem wilden Jünglingsleben wieder etwas vorzuerzählen. Die jetzigen Zeiten sind leider überall ernster geworden, sonst ward das Vergnügen fast zum Geschäft erhoben, man dachte und studierte nur darauf, und den stets Tanzlustigen war gar leicht aufgespielt – heutzutage findet man das Vergnügen nur noch im Geschäft, und großer Reizmittel bedarf es, um außerdem froh zu werden, wenn es überhaupt noch erlangt wird.
Weimar, den 13ten abends
Ich will Dich mit keiner einzigen Tirade über die Schlachtfelder von Leipzig und Lützen, noch einer Beschreibung des chetiven Monuments Gustav Adolphs, noch der magern Schönheiten der Umgegend von Schulpforte ermüden. In Weißenfels, wo ich ein Buch zu kaufen wünschte, war ich verwundert, zu hören, daß in des großen Müllners Wohnort kein Buchhändler zu finden sei. Wahrscheinlich haben sie gefürchtet, daß er ihnen dort aus erster Hand einen Prozeß an den Hals hängen würde.
Die Fluren von Jena und Auerstädt betrat ich mit eben den Gefühlen, die zwischen den Jahren 1806 und 1812 ein Franzose der großen Armee gehabt haben mag, wenn er über Roßbachs Felder schritt, denn der letzte Sieg bleibt (wie das letzte Lachen) immer der beste – und als nach so vielen Schlachterinnerungen mich der Musensitz, das freundliche Weimar in seinen Schoß aufnahm, segnete ich den edlen Fürsten, der hier ein Monument des Friedens aufgerichtet, und einen Leuchtturm im Gebiete der Literatur aufbauen half, der so lange in vielfarbigem Feuer Deutschland vorgeflammt hat.
Am nächsten Tage stellte ich mich diesem, meinem alten Chef, und den sämtlichen hohen Herrschaften vor, die ich wenig verändert, den Hof aber durch zwei liebenswürdige Prinzessinnen vermehrt fand, die, wären sie auch im geringsten Privatstande geboren, durch äußern Reiz und treffliche Erziehung ausgezeichnet erscheinen müßten. Man ist übrigens hier noch von einer, anderwärts ganz aus der Mode gekommenen, Artigkeit gegen Fremde. Kaum war ich angemeldet, als schon ein Hoflakai bei mir erschien, um sich nebst einer Hofequipage für die Zeit meines Hierseins zu meiner Verfügung zu stellen, und mich zugleich ein für allemal zur Mittagstafel einzuladen.
Der Großherzog hatte am Morgen die Güte, mir seine Privatbibliothek zu zeigen, die elegant arrangiert, und besonders reich an prächtigen englischen Kupferwerken ist. Er lachte herzlich, als ich ihm erzählte, kürzlich in einem Pariser Blatte gelesen zu haben, daß auf seinen Befehl Schiller ausgegraben worden sei, um sein Skelett in des Großherzogs Bibliothek in natura aufzustellen. Die Wahrheit ist, daß bloß seine Büste mit denen anderer die Säle ziert, sein Schädel aber dennoch, wenn ich recht hörte, im Postamente derselben verwahrt wird, allerdings eine etwas sonderbare Ehrenbezeugung.
Den Park sah ich mit erneutem Vergnügen wieder. Die Gegend ist zwar nicht eben reich an pittoresker Schönheit, aber die Anlagen sind so verständig erdacht, die einzelnen Partien so sinnig und schön ausgeführt, daß sie ein Gefühl der Befriedigung zurücklassen, welches ähnliche Bestrebungen, auch bei günstigerer Natur, selten in dem Grade hervorbringen. Als neuen Zusatz fand ich in einem weiten Rondell, in dessen Mittelpunkt ein herrlicher alter Baum steht, einen kleinen botanischen Garten angelegt, wo man, nach dem Linnéischen System geordnet, einzelne Exemplare aller im Freien aushaltenden Bäume, Sträucher und Pflanzen antrifft, die der hiesige Park und Garten enthält. Es kann keinen freundlichern Ort zum lebendigen Studium der Botanik geben, als den Sitz unter diesem alten Baume, der wie ein ehrwürdiger Stammvater auf die ihn umgebende Jugend von allen Formen, Blättern, Blüten und Farben herabschaut. Im Verlauf meiner Exkursion besah ich auch noch ein Mustervorwerk des Großherzogs, wo kolossales Schweizervieh wenig Milch gibt – denn diese Verpflanzungen des Fremden taugen gewöhnlich nicht viel; ferner die anmutige Fasanerie, die reich an Gold- und Silberfasanen und weißen Rehen ist. Einen seltsamen Anblick gewährte der große Trutenbaum, auf welchen 70 bis 80 dieser schwerfälligen Vögel vom Fasanenjäger gewöhnt sind, gemeinschaftlich hinaufzuklettern, wo dann die alte Linde, über und über mit solchen Früchten behangen, ein wunderbar exotisches Ansehen gewinnt.
Da man sehr zeitig bei Hofe speist, hatte ich kaum Zeit, mich en costume zu werfen, und fand, etwas spät kommend, schon eine große Gesellschaft versammelt, unter der ich mehrere Engländer bemerkte, die jetzt sehr vernünftigerweise hier deutsch studieren, statt früher mit vieler Mühe den Dresdner ungraziösen Dialekt zu erlernen, und äußerst gastfrei aufgenommen werden. Die Unterhaltung bei Tafel wurde bald sehr animiert. Du kennst die Jovialität des Großherzogs, der hierin ganz seinem Freunde, dem unvergeßlichen Könige von Bayern, gleicht. Man rekapitulierte mehrere scherzhafte Geschichten aus der Zeit, wo ich noch sein Adjutant zu sein die Ehre hatte, und nachher mußte ich mein großes cheval de bataille reiten – die Luftballon-Fahrt. Interessanter waren Herzog Bernhards Erzählungen von seiner Reise in Nord- und Süd-Amerika, die wir, wie ich höre, bald mit Anmerkungen von Goethe versehen, gedruckt lesen werden. Dieser Prinz, den die Geburt hoch gestellt hat, steht als Mensch noch höher, und niemand konnte, namentlich den freien Amerikanern, eine vorteilhaftere Idee von einem deutschen Fürsten geben, als gerade er, der freie Würde im Benehmen mit echter Liberalität der Gesinnung, und anspruchloser Liebenswürdigkeit des Umgangs verbindet.
Abends war große assemblée, eine Art Vereinigung, die ihrer Natur nach nicht zu den genußreichsten gehört. Jede Annehmlichkeit aber kehrte für mich zurück, als ich beim Spiel der Frau Großherzogin gegenüber meinen Platz eingenommen hatte. Wer hat nicht von dieser edlen und vortrefflichen deutschen Frau gehört, die selbst Napoleon mit ihrer stillen Klarheit zu imponieren wußte, und von jedem geliebt wird, der ihres milden und liebreichen Umgangs sich erfreuen darf. Wir saßen zwar, wie gesagt, am Spieltisch, gaben aber wenig auf die Whist-Regeln Achtung, und heitere Unterhaltung nahm den größten Teil der Zeit hinweg.
An einem Hofe wie der hiesige, den so viele Fremde besuchen, kann es nicht daran fehlen, daß oft seltsame Originale sich einfinden, die, auch den am wenigsten zum Medisieren Geneigten, Stoff zu pikanten Anekdoten liefern müssen. Einige ganz lustige wurden mir nach beendigtem Spiele, als ich mich wieder unter die Gesellschaft gemischt, erzählt, unter andern auch eine merkwürdige, Visiten-Karte in natura gezeigt, die einer bekannten, von einem Engländer kursierenden Anekdote wahrscheinlich ihr Dasein verdankte. Dies Vorbild brachte nämlich den, wegen seiner lustigen Laune fast berüchtigten, Baron J... auf den Gedanken, die Sache mit einem seiner Tisch-Freunde, einen ehemaligen Hauptmann, dem die Welt und ihre Sitten ziemlich fremd geblieben waren, von neuem ins Leben zu rufen. Er insinuierte zu diesem Endzweck dem bisher ganz einsam in D... Lebenden, daß es die Höflichkeit von ihm jetzt durchaus erfordere, eine Visiten-Runde in der Stadt zu machen, worauf der harmlose Capitaine geduldig erwiderte, er wisse zwar damit keinen Bescheid, wolle sich aber gern der Leitung J...s überlassen. »Wohlan«, sagt dieser, »ich werde die Visiten-Karten, die französisch sein müssen, und alles übrige selbst besorgen, und Dich in drei Tagen in meinem Wagen abholen. Du wirst Uniform anziehen, und auf den Karten muß bemerkt werden, in wessen Diensten Du früher gestanden.« Alles geschah, wie verabredet, man kann sich aber denken, welchen lachenden Gesichtern die Besuchenden begegneten, da ihnen überall Visiten-Karten folgenden Inhalts vorangeschickt worden waren:
Le Baron de J... pour présenter: feu Monsieur le Capitaine de M..., jadis au service de plusieurs membres de la confédération du Rhin.
Den 14ten
Diesen Abend stattete ich Goethe meinen Besuch ab. Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stube, deren clair-obscur nicht ohne einige künstlerische Koketterie arrangiert war. Auch nahm sich der schöne Greis mit seinem Jupiters-Antlitz gar sittlich darin aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum geschwächt, er ist vielleicht weniger lebhaft als sonst, aber desto gleicher und milder, und seine Unterhaltung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller Grandezza, wohl zuweilen überraschte. Ich freute mich herzlich über seine gute Gesundheit, und äußerte scherzend, wie froh es mich mache, unsern Geister-König immer gleich majestätisch und wohlauf zu finden. »O, Sie sind zu gnädig«, sagte er mit seiner immer noch nicht verwischten süddeutschen Weise, und lächelte norddeutsch, satirisch dazu, »mir einen solchen Namen zu geben.« – »Nein«, erwiderte ich, wahrlich aus vollem Herzen, »nicht nur König, sondern sogar Despot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltsam mit sich fort.« Er verbeugte sich höflich, und befrug mich nun über einige Dinge, die meinen früheren Aufenthalt in Weimar betrafen, sagte mir dann auch viel Gütiges über M... und mein dortiges Streben, mild äußernd, wie verdienstlich er es überall finde, den Schönheitssinn zu erwecken, es sei auf welche Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer auch das Gute und alles Edle sich mannigfach von selbst entwickele, und gab mir zuletzt sogar, auf meine Bitte, uns dort einmal zu besuchen, einige aufmunternde Hoffnung. Du kannst Dir vorstellen, Liebste, mit welchem empressement ich dies aufgriff, wenn es gleich nur eine façon de parler sein mochte. Im fernern Verlauf des Gesprächs, kamen wir auf Sir Walter Scott. Goethe war eben nicht sehr enthusiastisch für den großen Unbekannten eingenommen. ›Er zweifle gar nicht‹, sagte er, ›daß er seine Romane schreibe, wie die alten Maler mit ihren Schülern gemeinschaftlich gemalt hätten, nämlich, er gäbe Plan und Hauptgedanken, das Skelett der Szenen an, lasse aber die Schüler dann ausführen, und retouchiere nur zuletzt.‹ Es schien fast, als wäre er der Meinung, daß es gar nicht der Mühe wert sei, für einen Mann von Walter Scotts Eminenz seine Zeit zu so viel fastidiösen Details herzugeben1. »Hätte ich«, setzte er hinzu, »mich zu bloßem Gewinnsuchen verstehen mögen, ich hätte früher mit Lenz und andern, ja ich wollte noch jetzt Dinge anonym in die Welt schicken, über welche die Leute nicht wenig erstaunen, und sich den Kopf über den Autor zerbrechen sollten, aber am Ende würden es doch nur Fabrikarbeiten bleiben.« Ich äußerte später, daß es wohltuend für die Deutschen sei, zu sehen, wie jetzt unsere Literatur die fremden Nationen gleichsam erobere, »und hierbei,« fuhr ich fort, »wird unser Napoleon kein Waterloo erleben.«
»Gewiß«, erwiderte er, mein etwas fades Kompliment überhörend, »ganz abgesehen von unsern eignen Produktionen, stehen wir schon durch das Aufnehmen und völlige Aneignen des Fremden auf einer sehr hohen Stufe der Bildung. Die andern Nationen werden bald schon deshalb deutsch lernen, weil sie inne werden müssen, daß sie sich damit das Lernen fast aller andern Sprachen gewissermaßen ersparen können. Denn von welcher besitzen wir nicht die gediegensten Werke in vortrefflichen deutschen Übersetzungen? Die alten Klassiker, die Meisterwerke des neueren Europas, indische und morgenländische Literatur, hat sie nicht alle der Reichtum und die Vielseitigkeit der deutschen Sprache, wie der treue deutsche Fleiß und tief in sie eindringende Genius besser wiedergegeben, als es in andern Sprachen der Fall ist? Frankreich«, fuhr er fort, »hat gar viel seines einstigen Übergewichts in der Literatur dem Umstande zu verdanken gehabt, daß es am frühesten aus dem Griechischen und Lateinischen leidliche Übersetzungen lieferte, aber wie vollständig hat Deutschland es seitdem übertroffen!«
Im politischen Felde schien er nicht viel auf die so beliebten Constitutions-Theorien zu geben. Ich verteidigte mich und meine Meinung indes ziemlich warm. Er kam hier auf seine Lieblings-Idee, die er mehrmals wiederholte, nämlich daß jeder nur darum bekümmert sein solle, in seiner speziellen Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe fortzuwirken, so werde der allgemeine Segen auch unter keiner Regierungsform ausbleiben. Er für seine Person habe es nicht anders gemacht, und ich mache es in M... ja ebenfalls so, setzte er gutmütig hinzu, unbekümmert was andere Interessen geböten. Ich meinte nun freilich, mit aller Bescheidenheit, daß, so wahr und herrlich dieser Grundsatz sei, ich doch glaube, eine konstitutionelle Regierungsform müsse ihn eben erst recht ins Leben rufen, weil sie offenbar in jedem Individuum die Überzeugung größerer Sicherheit für Person und Eigentum, folglich die freudigste Tatkraft und zugleich damit die zuverlässigste Vaterlandsliebe begründe, hierdurch aber dem stillen Wirken in eines jeden Kreise eben eine weit solidere allgemeine Basis gegeben wurde, und führte endlich, vielleicht ungeschickt, England als Beleg für meine Behauptung an. Er erwiderte gleich, das Beispiel sei nicht zum besten gewählt, denn in keinem Lande herrsche eben Egoismus mehr vor, kein Volk sei vielleicht wesentlich inhumaner in politischen und Privat-Verhältnissen2, nicht von außen herein durch Regierungsform käme das Heil, sondern von innen heraus durch weise Beschränkung und bescheidene Tätigkeit eines jeden in seinem Kreise. Dies bleibe immer die Hauptsache zum menschlichen Glücke, und sei am leichtesten und einfachsten zu erlangen.
Von Lord Byron redete er nachher mit vieler Liebe, fast wie ein Vater von seinem Sohne, was meinem hohen Enthusiasmus für diesen großen Dichter sehr wohl tat. Er widersprach unter andern auch der albernen Behauptung, daß ›Manfred‹ eine Nachbetung seines ›Faust‹ sei, doch sei es ihm allerdings als etwas Interessantes aufgefallen, sagte er, daß Byron unbewußt sich derselben Maske des Mephistopheles wie er bedient habe, obgleich freilich Byron sie ganz anders spielen lasse. Er bedauerte es sehr, den Lord nie persönlich kennengelernt zu haben, und tadelte streng, und gewiß mit dem höchsten Rechte, die englische Nation, daß sie ihren großen Landsmann so kleinlich beurteile und im allgemeinen so wenig verstanden habe. Doch hierüber hat sich Goethe so genügend und schön öffentlich ausgesprochen, daß ich nichts weiter hinzuzufügen brauche. Ich erwähnte zuletzt der Aufführung des ›Faust‹ auf einem Privattheater zu Berlin, mit Musik vom Fürsten Radziwill und lobte den ergreifenden Effekt einiger Teile dieser Darstellung. »Nun«, sagte Goethe gravitätisch, »es ist ein eigenes Unternehmen, aber alle Ansichten und Versuche sind zu ehren.«
Ich grolle meinem schlechten Gedächtnis, daß ich mich nicht mehr aus unsrer ziemlich belebten Unterhaltung eben erinnern kann. Mit hoher Ehrfurcht und Liebe verließ ich den großen Mann, den dritten im Bunde mit Homer und Shakespeare, dessen Name unsterblich glänzen wird, solange deutsche Zunge sich erhält, und wäre irgend etwas von Mephistopheles in mir gewesen, so hätte ich auf der Treppe gewiß auch ausgerufen:
Es ist doch schön von einem großen Herrn, mit einem armen Teufel so human zu sprechen3 Munde entfallen, ist ein teures Geschenk für so viele, und sollte mein seliger Freund ihn irgendwo falsch verstanden, und nicht vollkommen richtig wiedergegeben haben, so ist wenigstens nichts in diesen Äußerungen enthalten, was, meines Bedünkens, eine Indiskretion genannt werden könnte. A. d. H. .
Den 15ten abends
Ich war heute beim Erb-Großherzog im Belvedere zur Tafel eingeladen, und fuhr um zwei Uhr auf einem angenehmen Wege dahin. Das Wetter ist, seit ich hier bin, wundervoll, Tage von Kristall, wie Deine Sévigné sagt, wo man weder Hitze noch Kälte fühlt, und die nur Frühjahr und Herbst so geben können.
Der Erb-Großherzog und seine Frau Gemahlin leben im Belvedere ganz wie Privatleute, und empfangen ihre Gäste ohne Etikette, nur mit der zuvorkommendsten Artigkeit. Die Großfürstin schien noch sehr gedrückt vom Tode des Kaisers, demohngeachtet machte sie später, als die Unterhaltung animierter ward, der Gesellschaft eine ergreifende Beschreibung von der Überschwemmung in Petersburg, deren Augenzeugin sie gewesen war. Ich habe immer die vortreffliche Erziehung und die mannigfachen Kenntnisse bewundert, welche die russischen Prinzessinnen auszeichnen. Bei der verstorbenen Königin von Württemberg konnte man es Gelehrsamkeit nennen. Ich hatte dieser Fürstin einst in Frankfurt einen Brief zu überbringen, und blieb, nachdem ich ihn übergeben, auf ihren Befehl im Zirkel stehen, bis die Übrigen entlassen sein würden. Ein Professor der Pestalozzischen Schule war der erste, welcher an die Reihe kam, und selbst weniger von seinem Systeme zu wissen schien als die Königin (damals noch Großfürstin Katharine), da sie seine weitschweifigen Antworten mehreremal mit der größten Klarheit rektifizierte. Ein Diplomat folgte, und erhielt ebenso in seiner Sphäre, so weit die allgemeine Unterhaltung es gestattete, die feinsten und gewandtesten Antworten. Hierauf begann sie ein gründliches Gespräch mit einem berühmten Ökonomen aus A.... und zuletzt schlossen tiefsinnige und glänzende Reflexionen in einer lebhaften Kontroverse mit einem bekannten Philosophen die merkwürdige Audienz.
Nach der Tafel führte uns der Erb-Großherzog in die Pflanzenhäuser, welche, nach Schönbrunn, wohl die reichhaltigsten in Deutschland sind. Du weißt, liebe Julie, daß ich auf die bloße Seltenheit wenig Wert lege, und auch in der Pflanzenwelt mich nur an dem Schönen ergötze. Daher gingen viele Schätze an mir verloren, und ich konnte das Entzücken nicht teilen, in welches mehrere Kenner ausbrachen, als sie eine Staude erblickten, die zwar nur sechs Zoll hoch war, und nicht mehr als fünf Blätter ohne Blüte aufwies, aber 60 Guineen gekostet hatte, und bis jetzt noch kein anderes deutsches Pflanzenhaus zierte. Dagegen machte mir ein roter Cactus grandiflorus, der wundervoll reich blühte, und eine Menge anderer ausgezeichneter Prunkpflanzen viel Freude; mit aller Ehrfurcht besah ich das Prachtstück eines großen Brotfruchtbaumes, und fand es artig, auf dem Cactus, den die Cochenille bewohnt, mir mit einigen dieser Tierchen sofort die Finger karminrot zu färben. Die ganze Masse der Pflanzen übersteigt 60 000 verschiedene Arten. Auch die Orangerie ist prächtig, und ein Veteran von anderthalb Ellen Umfang darunter, der bereits 550 nordische Sommer glücklich ausgehalten.
Den Abend brachte ich bei Herrn v. G... zu, einem geistreichen Manne, und alten Freund der Madame Schopenhauer, die auch für mich eine freundliche Gönnerin ist. Frau v. G...e kam später, unsere Gesellschaft auf sehr angenehme Weise zu vermehren. Sie ist eine muntere, originelle und geistreiche Frau, auf welche der dem Schwiegervater mit so viel Recht gestreute Weihrauch billig nicht ohne allen Einfluß geblieben ist. Sie zeigte sich sehr erfreut, vom englischen Verfasser des ›Granby‹, welcher in Weimar deutsch studiert hat, soeben ein erstes Exemplar seines Romans überschickt erhalten zu haben. Ich fand die Opfergabe nicht sehr bedeutend, und wünschte ihr, daß der Verfasser interessanter gewesen sein möge, als sein Werk. Ich sagte dies vielleicht aus debit denn man schmeichelt hier, wie überall auf dem Kontinent, den Engländern viel zu viel, und Gott weiß, wie sehr mal à propos!
Den 16ten
Nachdem ich mich bei allen hohen Herrschaften diesen Morgen beurlaubt, widmete ich den Rest des Tages meinem Freunde Sp..., der mit seiner Familie zeigt, daß man das Hofleben und die große Welt mit der einfachsten Häuslichkeit und gewinnendsten Herzensgüte sehr wohl verbinden kann. Ein junger Engländer, Sekretär bei Herrn Canning, der deutsch wie seine Muttersprache redet, unterhielt uns mit launigen Schilderungen der englischen Gesellschaft, deren Unbeholfenheit und Mangel an Gutmütigkeit er bitter rügte, wobei er natürlich gute Gelegenheit fand, den Deutschen, wie besonders den Anwesenden Verbindliches zu sagen. So urteilen die Engländer jedoch nur im Auslande. Zurückgekommen, nehmen sie schnell wieder die gewohnte Kälte und stolze Indifferenz an, die einen Fremden wie ein geringeres Wesen betrachtet, und lachen höhnisch der deutschen bonhomie, die sie früher gelobt, so lange sie der Gegenstand derselben waren, während sie doch zu jeder Zeit die wahrhaft lächerliche Ehrfurcht, die wir für den Namen ›Engländer‹ hegen, nur als schuldigen Tribut ihrer hohen Vorzüge ansehen.
Dies ist der letzte Brief, liebe Julie, den Du von hier erhältst. Morgen früh, nicht mit dem Hahnenschrei, sondern nach meinem Kalender, um 12 Uhr, gedenke ich abzureisen, und mich bis London nicht viel unterwegs aufzuhalten. Schone, ich bitte Dich, Deine Gesundheit um meinetwillen, und erheitere Deinen Geist so viel Du es vermagst, mit jener wunderbaren Kraft, die ihm der Schöpfer verlieh: sich selbst zu bezwingen. Doch liebe mich deshalb nicht weniger – denn meine Kraft ist Deine Liebe.
Dein treuer L.
1. Sir Walters offizielle Erklärung, daß alle jene Schriften von ihm allein seien, war damals noch nicht gegeben. A. d. H.
2. Hier habe ich meinen Freund fast in Verdacht, daß er Goethe nur seine eigene Meinung in den Mund gelegt hat. A. d. H.
3. Ich glaube nicht, daß der erhabene Greis die Bekanntmachung dieser Mitteilung tadelnd aufnehmen wird. Jedes Wort, auch das unbedeutendere, seinem
Wesel den 20sten Sept. 1826
Geliebte Freundin!
Nachdem ich von Goethe und seiner Familie noch Abschied genommen, und eine vornehme und reizende Malerin zum letztenmal in ihrem Atelier besucht, verließ ich voll angenehmer Erinnerungen das deutsche Athen.
In Gotha hielt ich mich nur so lange auf als nötig war, um einen alten Freund und Kriegs-Kameraden, den Minister und Astronomen (Himmel und Erde in seltner Berührung) Baron von L... zu besuchen, welchen ich noch immer an den Folgen seines unglücklichen Duells in Paris leiden, aber dieses Ungemach auch mit eben der Ruhe des Weisen tragen sah, die er in allen Lagen des Lebens zu behaupten wußte.
Es war schon dunkel, als ich in Eisenach ankam, wo ich an einen andern meiner ehemaligen Kameraden einen Auftrag des Großherzogs hatte. Ich sah sein Haus hell erleuchtet, hörte Tanzmusik und trat mitten in eine große Gesellschaft, die verwundert mein Reise- costume und meine Jagdmütze betrachtete. Es war die Hochzeit der Tochter vom Hause, welche man feierte, und herzlich bewillkommte der Vater mich dabei, als er mich erkannte. Ich entschuldigte bei der Braut mein unhochzeitliches Kleid, trank ein Glas Eispunsch auf ihr Wohlergehen, ein anders auf das des Vaters, tanzte eine Polonaise und entschwand à la française.
Gleich darauf machte ich meine Nachttoilette und legte mich im Wagen behaglich zur Ruhe.
Als ich erwachte, befand ich mich schon eine Station vor Kassel, an demselben Ort, wo wir vor 10 Jahren die seltsame entrée mit einer aufrechtstehenden, zerbrochenen Wagendeichsel machen mußten, auf der der Postillon zu reiten schien. Ich frühstückte hier, vielfach jener Reise gedenkend, fuhr durch die traurig schöne Hauptstadt ohne mich aufzuhalten, später durch einen herrlichen Buchenwald, der im hellen Sonnenschein wie grünes Gold erglänzte, machte bei Vestuffeln romantische Betrachtungen über einen komischen Berg, den der Vorzeit moosige Trümmer deckten, und traf, durch lange einförmige Gegenden forteilend, zu meiner Eßstunde im alten Bischofssitze zu Osnabrück ein.
Die zweite Nacht schläft man immer noch besser als die erste im Wagen, dessen Bewegung, auf mich wenigstens, wie die Wiege auf Kinder wirkt. Ich fühlte mich sehr wohl und heiter am nächsten Morgen und bemerkte, daß das Land allgemach anfing, einen holländischen Charakter anzunehmen. Altväterische Häuser mit vielfachen Giebeln und Schiebfenstern, ein unverständliches Plattdeutsch, welches an Wohllaut dem holländischen nichts nachgibt, phlegmatischere Menschen, besser meublierte Stuben, wiewohl noch ohne holländische Reinlichkeit, Tee statt Kaffee, überall vortreffliche frische Butter und Rahm, nebst erhöhter Prellerei der Gastwirte – alles zeigte eine neue Schattierung dieser bunten Welt.
Die Gegenden, durch welche mein Weg führte, gehörten einer anmutigen und sanften Natur an, besonders bei Steele an der Ruhr, ein Ort, für den gemacht, der sich vom Getümmel des Lebens in heitre Einsamkeit zurückzuziehen wünscht. Nicht sattsehen konnte ich mich an der saftig frischen Vegetation, den prachtvollen Eichen- und Buchen-Wäldern, die rechts und links die Berge krönen, zuweilen sich über die Straße hinzogen, dann wieder in weite Ferne zurückwichen, aber überall den fruchtbarsten Boden begrenzten, braun und rot schattiert, wo er frisch geackert war, hell- oder dunkelgrün schimmernd, wo junge Wintersaat und frischer Klee ihn bedeckten. Jedes Dorf umgibt ein Hain schön belaubter Bäume, und nichts übertrifft die Üppigkeit der Wiesen, durch welche sich die Ruhr in den seltsamsten Krümmungen schlängelt. Ich dachte lachend, daß, wenn einem prophezeihet würde, an der Ruhr zu sterben, er sich hier niederlassen müsse, um auf eine angenehme Weise die Prophezeihung zugleich zu erfüllen und zu entkräften. Als ich gegen Abend noch diese freundliche Landschaft mit unsern düstern Föhren-Wäldern verglich, erschien, wie durch Zauberspruch, plötzlich eine Zunge heimisches Land mit Kiefern, Sand und dürren Birken, so weit das Auge reichte, über den Weg gelagert. Nach zehn Minuten schon begrüßten uns aber wieder grüne Matten und stolze Buchen. Welche Revolution hat diesen Sandstrich hier hineingeschoben?
Einige Meilen von Wesel wird indessen das ganze Land tout de bon vaterländisch, und da hier auch die Chaussee aufhört, watet man von neuem in Berliner Streusande. Ich kam unglücklicherweise einen Tag zu spät, um sogleich mit dem Dampfboot von hier abgehen zu können, sonst hätte ich, von Weimar aus gerechnet, London in 4½ Tagen erreicht. Nun werde ich zu Lande bis Rotterdam reisen, und dort die Abfahrt des nächsten Schiff es erwarten müssen.
Rotterdam, den 25sten
Meine Reise von Wesel bis Arnheim war ziemlich langweilig. Langsam schlichen die Pferde durch eine wenig ansprechende Gegend im endlosen Sande hin. Nichts Interessantes zeigte sich als große Ziegeleien an der Straße, die ich aufmerksam besichtigte, da sie den unsrigen so sehr vorzuziehen sind. Desto belohnender, und wirklich von magischer Wirkung ist dagegen der weite Garten, welcher sich zwischen Arnheim und Rotterdam ausbreitet. Auf einer Chaussee, von Klinkern (sehr hart gebrannte Ziegel) gebaut, und mit feinem Sande überfahren, eine Straße, die durch nichts übertroffen werden kann, und nie auch nur die schwächste Spur eines Gleises annimmt, rollte der Wagen mit jenem leisen, stets den gleichen Ton haltenden Gemurmel des Räderwerks hin, das für die Spiele der Phantasie so einladend ist. Obgleich es in dem endlosen Park, den ich durchstrich, weder Felsen noch selbst Berge gibt, so gewähren doch die hohen Dämme, auf welche der Weg zuweilen hinansteigt, die Menge, große Masse bildender Landsitze, Gebäude und Türme, wie die vielen aus Wiesen, Ebnen, oder über klare Seen auftauchenden kolossalen Baum-Gruppen, der Landschaft ebensoviel Abwechselung von Höhe und Tiefe, als malerische Ansichten der verschiedensten Art; ja ihre größte Eigentümlichkeit besteht eben in dieser unglaublichen Bewegung und Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die ohne Aufhören die Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Städte, Dörfer, Schlösser mit ihren reichen Umgebungen, Villen von jeder Bauart mit den niedlichsten Blumengärten, unabsehbare Grasflächen mit Tausenden weidender Kühe, Seen, die im Umfang von 20 Meilen bloß durch Torfstich nach und nach entstanden sind, unzählige Inseln, wo das baumlange Schilf, zum Decken der Dächer sorgfältig angebaut, Myriaden von Wasservögeln zur Wohnung dient – alles bietet sich fortwährend die Hand zu einem freudigen Reigen, in dem man wie im Traume durch flüchtige Pferde fortgerissen wird, während immer neue Paläste, immer andere Städte am Horizont erscheinen, und ihre hohen gotischen Türme in dämmernder Ferne mit den Wolken sich verschmelzen. Ebenso läßt in der Nähe eine oft groteske und stets wechselnde Staffage keinem Gefühl der Einförmigkeit Raum. Bald sind es seltsam mit Schnitzwerk und Vergoldung verzierte Wagen ohne Deichsel, und von Kutschern regiert, die in blauen Westen, kurzen schwarzen Hosen, schwarzen Strümpfen und Schuhen mit ungeheuren silbernen Schnallen, auf einer schmalen Pritsche sitzen; oder zu Fuß wandernde Weiber mit sechs Zoll langen goldnen und silbernen Ohrringen behangen, und chinesischen Sommerhüten, gleich Dächern auf den Köpfen; bald zu Drachen und fabelhaften Ungetümen verschnittene Taxus-Bäume, oder mit weiß und bunter Ölfarbe angestrichene Lindenstämme, asiatisch mit vielfachen Türmchen verzierte Feueressen, absichtlich schief liegend gebaute Häuser, Gärten mit lebensgroßen Marmor-Statuen in altfranzösischer Hofkleidung durch das Gebüsch lauschend, oder eine Menge 2-3 Fuß hoher, spiegelblank polierter Messingflaschen auf den grünen Wiesen am Wege stehend, die wie pures Gold im Grase blinken, und doch nur die bescheidne Bestimmung haben, die Milch der Kühe aufzunehmen, welche daneben von jungen Mädchen und Knaben emsig gemolken werden – kurz, eine Menge ganz fremder ungewohnter und phantastischer Gegenstände bereiten jeden Augenblick dem Auge eine andere Szene, und drücken dem Ganzen ein vollkommen ausländisches Gepräge auf. Denke Dir nun dieses Bild noch überall in den Goldrahmen des schönsten Sonnenscheins gefaßt, geziert mit der reichsten Pflanzenwelt, von riesenhaften Eichen, Ahorn, Eschen, Buchen bis zu den kostbarsten ausgestellten Treibhaus-Blumen herab, so wirst Du Dir eine ziemlich genaue, und keineswegs übertriebene Vorstellung von diesem wunderbar herrlichen Teile Hollands machen können, und dem hohen Vergnügen meiner gestrigen Fahrt.
Nur ein Teil derselben machte, hinsichtlich der Vegetation und Mannigfaltigkeit eine Ausnahme, war mir aber in anderer Hinsicht, wenn auch nicht so angenehm, doch nicht weniger interessant. Nämlich zwischen Arnheim und Utrecht findet man 4 Meilen lang den Sand der Lüneburger Heide, so schlecht als die schlechtesten märkischen Ebenen. Demohngeachtet, und so viel wirkt verständige Kultur! wachsen neben den Kiefern-Gebüschen, die der Boden nebst dürrem Heidekraut allein von selbst hervorbringt, die wohl bestandendsten Anpflanzungen von Eichen, Weiß- und Rotbuchen, Birken, Pappeln u. s. w. freudig auf. Wo der Boden zu wenig Kraft hat, werden sie nur als Strauchwerk benutzt, und alle 5-6 Jahre abgetrieben, wo er etwas besser ist, als Stämme in die Höhe gelassen. Die herrliche Straße ist hier durchgängig mit wohlerhaltenen dichten Alleen eingefaßt, und, was mir merkwürdig war, ich fand, daß trotz des dürren Sandes Eichen und Buchen noch besser als Birken und Pappeln zu gedeihen schienen. Eine Menge der so überaus netten holländischen Häuser und Villen waren mitten in der wüsten Heide aufgebaut; mehrere noch im Werden, so wie die Anlagen darum her. Ich konnte mir nicht erklären, daß so viele sich gerade dies unwirtbare Terrain zu kostspieligen Etablissements ausgesucht, erfuhr aber, daß das Gouvernement weise genug gewesen sei, diesen ganzen, bisher als unbrauchbar liegengelassenen Landstrich den angrenzenden Gutsbesitzern und andern Vermögenden auf 50 Jahr unentgeltlich und abgabenfrei zu überlassen, mit der einzigen Bedingung, es sogleich durch Anpflanzungen oder Feldbau kultivieren zu müssen. Später zahlen ihre Nachkommen eine sehr billige entsprechende Rente. Ich bin überzeugt, nach dem, was ich hier gesehen, daß der größte Teil unsrer hungrigen Kiefernwälder durch ähnliches Verfahren und fortgesetzte Kultur in hundert Jahren in blühende Fluren verwandelt, und die ganze tote Gegend dadurch wahrhaft umgeschaffen werden könnte.
Utrecht ist zierlich gebaut, und wie alle holländischen Städte musterhaft reinlich gehalten. Das buntfarbige Ansehn der Häuser sowohl, als ihre verschiedenen Formen, die engen gekrümmten Straßen, und ihr altväterisches ensemble erscheinen mir viel gemütlicher als die sogenannten schönen Städte, die sich wie eine mathematische Figur überall rechtwinklicht durchkreuzen, und wo jede Straße in trostlos langer Linie mit einem Blick zu übersehen ist. Die Umgegend ist reizend, die Luft sehr gesund, da Utrecht am höchsten in Holland liegt, und wie man mir sagt, auch die Gesellschaft im Winter und Frühling sehr belebt, weil der reichste Adel des Landes sich hier aufhält. Der Handel dagegen ist unbedeutend, und die ganze allure der Stadt und Menschen mehr aristokratisch.
Von hier fuhr ich nach Gouda, dessen Dom durch seine köstlichen Glasmalereien berühmt ist. Für eins dieser Fenster wurden von einem Engländer ohnlängst 80 000 Gulden vergebens geboten. Es gleicht an Ausführung einem Miniatur-Gemälde und glänzt in unbeschreiblicher Farbenpracht, ja die Edelsteine und Perlen an dem Schmuck der Priester wetteifern mit echten. Ein anderes schenkte Philipp II. der Kirche, dessen eine Hälfte der Blitz kurz darauf zerschmetterte, was gewiß in jener Zeit als ominös angesehen wurde. Er selbst ist darauf abgebildet, und zwar in einem Mantel von echter Purpurfarbe, nicht das gewöhnliche Rot, sondern ein violett schimmerndes, zwischen Veilchenblau und cramoisi spielend, schöner als ich es je noch auf altem Glase sah. Auf einem dritten befindet sich das Portrait des Herzogs von Alba. Alle Fenster sind von ungewöhnlich großen Dimensionen, und mit wenigen Ausnahmen tadellos erhalten, sämtlich aus dem 15. und 16. Jahrhundert bis auf eins, welches erst im 17. gemalt wurde, und auch den Verfall dieser Kunst sehr verrät, indem es den übrigen sowohl an Glut der Farben, als an Erfindung und Zeichnung weit nachsteht.
Wer Gouda gesehen hat, kann sich die Reise nach dem schiefen Turme zu Pisa ersparen, denn hier scheint die halbe Stadt nach diesem Prinzip aufgeführt worden zu sein. Obgleich den Holländern, die man in mancher Rücksicht nicht unpassend die Chinesen Europas nennen könnte, gar wohl zuzutrauen wäre, absichtlich für ihre Häuser eine so seltsame Bauart gewählt zu haben, so rührt dieses, fast Schrecken erregende Schiefstehen der hiesigen Gebäude doch wahrscheinlich größtenteils nur von dem unsichern morastigen Grunde her4. Fast alle Häuser stehen mit den Giebeln nach der Straße zu, und jeder derselben ist verschieden ausgeschmückt. In sehr engen Gassen sieht man sie sich fast erreichen und ein Dreieck bilden. unter dem man nicht ohne Besorgnis hingeht.
Da es Sonntag war, fand ich die Stadt höchst belebt, wiewohl nur durch stillen und dezenten Jubel. Die meisten Menschen standen müßig, gafften, zogen aber sehr höflich den Hut vor meinem Wagen ab.
Bevor man Rotterdam erreicht, fährt man durch eine lange Reihe Landhäuser mit fortlaufenden Blumenparterres, die auf beiden Seiten durch schmale Kanäle von der Straße getrennt sind. Zu jedem derselben führt eine mächtige Zugbrücke, welche seltsam mit der Unbedeutendheit des Wassers kontrastiert, denn ein herzhafter Sprung brächte zur Not auch von einem Ufer auf's andere. Ebenso barock sind die turmhohen Windmühlen vor der Stadt. Sie sind vielfach vergoldet und mit dem absonderlichsten Schnitzwerke versehen, bei manchen aber außerdem die Mauern noch mit dichtem Rohre so fein bedeckt, daß es in der Entfernung Pelzwerk gleichsieht, andere bieten einen beschuppten Krokodilenleib dar, einige gleichen chinesischen Glockentürmen, alle zusammen machen aber dennoch einen imponierenden Effekt. Dazwischen ragen die Maste des Hafens und die großen mit Glas gedeckten Schuppen hervor, in denen die Kriegsschiffe gebaut werden, und kündigen die See- und Handelsstadt an.
Bald nahm mich eine lange von Menschen wimmelnde Straße auf, der ein hohes schwarzes Turm-Zifferblatt mit feurig rosenroten Zahlen und Weisern zum point de vue diente, und ich brauchte wohl eine gute Viertel-Stunde, bevor ich im Hôtel des Bains auf dem Quai anlangte, wo ich jetzt sehr gut und bequem logiert bin. Vor meinen Fenstern übersehe ich eine breite Wasserfläche mit den vier Dampfschiffen, von denen eines mich übermorgen nach England bringen soll. Boote rudern emsig auf und ab, und die geschäftige Menge eilt auf dem Quai rastlos durcheinander, dessen Rand mit himmelhohen Rüstern geschmückt ist, die wahrscheinlich schon zu Erasmus' Zeiten hier gepflanzt wurden. Nach einem kleinen Spaziergang unter diesen Bäumen nahm ich eine gute Mahlzeit ein, und schrieb dann an diesem ellenlangen Brief, der leider mehr Porto kosten wird, als er wert ist. Mit meiner Gesundheit geht es immer noch nicht ganz nach Wunsch, obgleich von Tag zu Tag besser. Vielleicht kuriert mich völlig das Meer, und einige Gläser Seewasser, welches ich zu mir nehmen werde, sobald ich auf seinen Wellen schaukele.
Den 26sten
Die Lebensart nähert sich hier den englischen Sitten. Man steht spät auf, ißt an table d'hôte um 4 Uhr, und trinkt abends Tee. Übrigens ist für Fremde in der großen Stadt wenig Abwechselung vorhanden, da sich nicht einmal ein stehendes Theater hier befindet. Nur zuweilen geben die Schauspieler vom Haag einige Vorstellungen in einem schlechten Lokal. Alles scheint mit dem Handel beschäftigt, und findet seine Erholung nachher, sehr angemessen, nur in häuslichen Freuden, an denen aber ein bloß Durchreisender freilich keinen Teil nehmen kann. Um einiges englische Geld einzuwechseln, ging ich in das comtoir