19,99 €
Laurence Sterne zum 250. Todestag: Michael Walters Übersetzung sämtlicher Briefe Sternes, erstmals auf deutsch und weltweit am vollständigsten. "Der freieste Schriftsteller aller Zeiten" (Friedrich Nietzsche), "Der Paganini der Abschweifungen" (Harry Rowohlt), "Der schönste Geist, der je gewirkt hat" (Goethe) – ungezählt sind die Verneigungen, Kniefälle und Lobeshymnen auf den Erfinder des modernen Romans. Autoren von Lessing bis Diderot, von Sigmund Freud bis Nabokov, von Borges bis Mann, von Marias bis Arno Schmidt, von Rushdie bis Calvino verehrten ihn und lernten von ihm. Sternes Romane lesen sich heute noch so modern, überraschend und unglaublich komisch wie vor 200 Jahren und sind seit Erscheinen Grundbestand jedes guten Bücherschranks. Freilich: außer dem Ewigkeitsklassiker Tristram Shandy und der Empfindsamen Reise gab es seit langer Zeit kaum etwas von ihm zu lesen. Und das, obwohl es einige kleine wunderbare Nebenwerke, und nachgelassene Schriften gab – und er zudem als einer der großen Briefautoren seiner Zeit gilt. Michael Walter, der in diesem Jahr mit dem Europäischen Übersetzerpreis ausgezeichnet wird, hat nicht nur seine bisher bestehenden Übersetzungen nochmals überarbeitet – er hat auch Werke wie das Fragment in der Art des Rabelais, das Journal für Eliza, Sternes Selberlebensbeschreibung und alle Briefe Sternes (auf die dieser z.T. großen literarischen Ehrgeiz verwendete) ins Deutsche übertragen. Sterne, endlich (und erstmals) in seiner ganzen literarischen Breite!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 794
Laurence Sterne
Mit Anmerkungen auf Grundlage der Florida-Edition versehen von Anke Albrecht und einem Vorwort von Wolfgang Hörner
Buch lesen
Titelseite
Über Laurence Sterne
Über dieses Buch
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
zur Kurzübersicht
Laurence Sterne (1713-1768), schrieb nur zwei literarische Bücher. Beide aber machten weltweit Furore wie kaum je andere: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman (1759-1767) und Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien, Von Mr. Yorick (1768). Er gilt (zu Recht) als Urvater des modernen Romans und seine Verehrer sind zahllos (um nur einige nicht-britische zu nennen: Lessing, Wieland, Diderot, Goethe, Jean Paul, Thomas Mann, Sigmund Freud, Nabokov, Arno Schmidt, Italo Calvino, Javier Marias). Seine Bücher sind seit Erscheinen Grundbestand jedes guten Bücherschranks.
Michael Walter lebt und arbeitet in München. Er studierte in Mannheim und Freiburg Anglistik & Philosophie und arbeitet seit 1978 als freier Übersetzer. In über 30 Jahren seiner beruflichen Tätigkeit hat er über 60 Werke nahezu aller literarischen Genres übersetzt, u.a. von Lewis Carroll, George Orwell, Julian Barnes, Henry James, Herman Melville. Er ist ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Johann-Heinrich-Voss-Preis und zuletzt den Europäischen Übersetzerpreis.
zur Kurzübersicht
»Madam«, beginnt Laurence Sterne seinen Brief an Jane Fenton vom 3. August 1760, »wenn eines Mannes Hirn so trocken ist wie eine ausgepreßte Pomeranze – & er nicht mehr Einfälle hat als ein Holzschlegel, so wäre es vergebliche Mühe, sich niederzusetzen und einer Dame von Ihrem Geist einen Brief schreiben zu wollen, es sei denn im redlichen Stockfisch-Stil« – vor solchen Schreibern allerdings, fleht er dann, »möge der Himmel mich bewahren, der ich in meinem ganzen Leben noch nie gewußt habe, was es heißt, auch nur ein einziges vorbedachtes Wort zu sagen oder zu schreiben ––«.
Einen Monat zuvor schon hatte er Mary Macartney vor Menschen gewarnt, die stilistisch »mit der trägen Gleichgültigkeit eines fühllosen Stockfischs« zu Werke gehen, »– Der Herr bewahre mich vor allem literarischen Verkehr mit jenen Leuten, die Episteln abfassen wie Rechtsanwälte ihre Urkunden fertigen, nämlich indem sie Blanketten ausfüllen, … statt mir das zu schicken, was ich erwarte – einen Brief«.
Womit zwei wesentliche Merkmale Sterneschen Briefeschreibens auf dem Tisch sind: Sterne verwendet seine Ideen und Formulierungen gerne oft mehrfach (freilich in Variationen), kaum ein Autor des Prä-Copy-And-Paste-Zeitalters kopiert sich in Briefen und in seinen Werken so oft selbst. Vor allem aber: Kaum ein Autor seines Zeitalters schreibt so »unvorbedacht«, so ungehemmt was ihn gerade umtreibt bzw. was ihm durch den Kopf geht.
Es ist auf den ersten Blick schon höchst ungewöhnlich, mit welcher Drastik und Ungehemmtheit Sterne bisweilen von sich berichtet, von Geldnöten, windigen Werbestrategien, Verliebtheiten, Todesangst, Blutstürzen, einer Syphilisbehandlung, Tränen, Weinkrämpfen oder den Problemen seiner Ehe.
Dieser Band versammelt erstmals sämtliche Briefe Laurence Sternes in deutscher Übersetzung, das Ganze reichhaltig kommentiert. Ein Meilenstein der Literaturpflege.
Vorwort
Die Briefe
1. An John Dealtary
2. [M] An Elizabeth Lumley
3. [M] An Elizabeth Lumley
4. [M] An Elizabeth Lumley
5. An Thomas Herring, Erzbischof von York
6. An Francis Blackburne
7. An Francis Blackburne
8. An Jaques Sterne
9. An Theophilus Garencieres
10. An Theophilus Garencieres
11. An Theophilus Garencieres
12. An Theophilus Garencieres
13. An Theophilus Garencieres
14. An John Fountayne, Dekan von York
15. An John Clough
16. Empfänger unbekannt
17. An John Blake
18. An John Blake
19. An John Blake
20. An John Blake
21. Empfänger unbekannt
22. An John Blake
23. An John Blake
24. An John Blake
25. An John Blake
26. An John Blake
27. An John Blake
28. An John Blake
29. An John Blake
30. An John Blake
31. An John Blake
32. An John Blake
33. An John Blake
34. An John Blake
35. An Robert Dodsley
36. An einen unbekannten Empfänger
37. An Robert Dodsley
38. An Catherine Fourmantel
39. An Catherine Fourmantel
40. An Catherine Fourmantel
41. An Catherine Fourmantel
42. [M] An Mrs. F–––
43. An Charles Watson-Wentworth, Marquis of Rockingham
44. An David Garrick
45. An David Garrick
46. [M] An Dr. ******
47. [M] An David Garrick
48. An Catherine Fourmantel
49. An Richard Berenger
50. An Catherine Fourmantel
51. An Catherine Fourmantel
52. An William Pitt
53. An Catherine Fourmantel
54. An Catherine Fourmantel
55. An Catherine Fourmantel
56. [M] An Stephen Croft
57. An Catherine Fourmantel
58. An Catherine Fourmantel
59. [M] An Stephen Croft
60. [M] An William Warburton
61. An William Warburton
62. An William Robinson
63. An Mary Macartney
64. An Jane Fenton
65. An Mr Brown in Genf
66. An Stephen Croft
67. An Elizabeth Montagu
68. [M] An Stephen Croft
69. [M] An Stephen Croft
70. [M] An Stephen Croft
71. [M] An Stephen Croft
72. An George Whatley
73. [M] An John Hall-Stevenson
74. [M] An John Hall-Stevenson
75. [M] An Lady –
76. [M] An John Hall-Stevenson
77. An David Garrick
78. Für Elizabeth Sterne
79. [M] An Lady D–––
80. An Henry Egerton
81. An Henry Egerton
82. [M] An David Garrick
83. An Henry Egerton
84. An Elizabeth Sterne durch Miss Willoughby
85. [M] An David Garrick
86. An Thomas Belasyse, Lord Fauconberg
87. [M] An David Garrick
88. An Thomas Becket
89. An Robert Hay Drummond, Erzbischof von York
90. An Thomas Becket
91. An Thomas Becket
92. [M] An Elizabeth Sterne
93. [M] An Elizabeth Sterne
94. An Humphry Morice
95. [M] An Elizabeth Sterne
96. [M] An Elizabeth Sterne
97. [M] An Elizabeth Sterne
98. [M] An Lady D.
99. [M] An William Edmonds
100. [M] An John Hall-Stevenson
101. [M] An Robert Foley
102. [M] An John Hall-Stevenson
103. [M] An Robert Foley
104. An Robert Foley
105. [M] An Robert Foley
106. An John Mill
107. An John Mill
108. An Richard Oswald
109. An John Mill
110. An Thomas Becket
111. An Richard Oswald
112. An Robert Foley
113. [M] An Robert Foley
114. [M] An Robert Foley
115. An Robert Hay Drummond, Erzbischof von York
116. [M] An Robert Foley
117. [M] An Robert Foley
118. [M] An Robert Foley
119. An Thomas Becket
120. An Thomas Becket
121. An Thomas Belasyse, Lord Fauconberg
122. [M] An Robert Foley
123. An Thomas Becket
124. An Robert Foley
125. An John Mill
126. An Richard Grosvenor
127. [M] An Robert Foley
128. [M] An Mrs. F.
129. An Thomas Becket
130. [M] An Lydia Sterne
131. An John Hall-Stevenson
132. An Elizabeth Montagu
133. An Robert Hay Drummond, Erzbischof von York
134. An William Combe
135. [M] An Thomas Kilvington
136. [M] An Robert Foley
137. An Sarah Tuting
138. [M] An John Hall-Stevenson
139. [M] An John Hall-Stevenson
140. [M] An Robert Foley
141. An Robert Hay Drummond, Erzbischof von York
142. An Robert Foley
143. [M] An John Hall-Stevenson
144. [M] An Robert Foley
145. [M] An David Garrick
146. An Thomas Astle
147. An David Garrick
148. [M] An Robert Foley
149. An Mrs. F –––
150. [M] An Lady P.Mount Kaffeehaus
151. An »teure Lady«
152. An Thomas Howard, Earl of Effingham
153. An William Combe
154. An die Countess ******/Eliza
155. An Thomas Hesilrige
156. [M] An Robert Foley
157. An Lady Caroline Hervey
158. An Mr. Dodsley
159. [M] An John Wodehouse
160. An Werter Sir
161. [M] An John Wodehouse
162. An John Spencer, Viscount Spencer of Althorp
163. [M] An Robert Foley
164. An Thomas Becket
165. [M] An Isaac Panchaud
166. An Isaac Panchaud
167. An Isaac Panchaud
168. An Isaac Panchaud
169. [M] An Lydia Sterne
170. [M] An Robert Foley
171 .[M] An John Hall-Stevenson
172. [M] An Isaac Panchaud
173. An William Hamilton
174. An Richard Chapman
175. An Dr. Richard Gem
176. An Mrs. T –––
177. [M] An John Hall-Stevenson
178. An Elizabeth Vesey
179. [M] An Isaac Panchaud
180. An John Hall-Stevenson
181. [M] An Werter Sir
182. An Ignatius Sancho
183. An Thomas Becket
184. [M] An Isaac Panchaud
185. An John Hall-Stevenson
186. [M] An Robert Foley
187. [M] An Isaac Panchaud
188. An Thomas Belasyse, Lord Fauconberg
189. An William Combe
190. An Thomas Belasyse, Lord Fauconberg
191. An Thomas Belasyse, Lord Fauconberg
192. An Elizabeth (Eliza) Draper
193. An Elizabeth Draper
194. An Isaac Panchaud
195. [M] An Lydia Sterne
196. An Isaac Panchaud
197. An Eliza Draper
198. An Eliza Draper
199. An Eliza Draper
200. An Eliza Draper
201. An Eliza Draper
202. An Eliza Draper
203. An Eliza Draper
204. An Eliza Draper
205. [M] An Lydia Sterne
206a. An Anne James
206b. [M] An Anne und William James
207. [M] An Ignatius Sancho
208. [M] An William Petty, Earl of Shelburne
209. [M] An John Dillon
210. [M] An John Hall-Stevenson
211. An Daniel Draper
212. [M] An A. L––– e, Esq.
213. An Richard Davenport
214. [M] An A. L––– e, Esq.
215. An Ignatius Sancho
216. [M] An Anne und William James
217. An Reverend Sir
218. [M] An Isaac Panchaud
219.[M] An Anne und William James
220. An John Clough
221. An Anne James,
222. [M] An John Hall-Stevenson
223. [M] An Lydia Sterne
224. An Thomas Becket
225. [M] An Hannah
226. [M] An Sir W.
227. [M] An Sir W.
228. [M] An Isaac Panchaud
229. [M] An Mrs. F –––
230. [M] An Anne und William James
231. [M] An Anne James
232. An Hannah
233. An Hannah
234. [M] An A. L–––e, Esq.
235. [M] An den Earl of ––
236. [M] An Sir George Macartney
237. [M] An A. L–––e, Esq.
238. An Elizabeth Sterne
239. An Anne oder William James
240. [M] An Anne oder William James
241. [M] An Anne oder William James
242. An Dr. John Eustace
243. [M] An Luke Scrafton
244. [M] An Anne und William James
245. An Elizabeth Montagu
246. An Elizabeth Montagu
247. [M] An Lydia Sterne
248. An Elizabeth Montagu
249. [M] An Anne James
Anhang
Zu dieser Edition
Deutsche Ausgaben der Briefe Sternes
Weiterführende Lektüre
Weitere Briefausgaben
Biographien
Sonstiges
Förderhinweis
Vorwort von Wolfgang Hörner
»Madam«, beginnt Laurence Sterne seinen Brief an Jane Fenton vom 3. August 1760, »wenn eines Mannes Hirn so trocken ist wie eine ausgepreßte Pomeranze – & er nicht mehr Einfälle hat als ein Holzschlegel, so wäre es vergebliche Mühe, sich niederzusetzen und einer Dame von Ihrem Geist einen Brief schreiben zu wollen, es sei denn im redlichen Stockfisch-Stil« – vor solchen Schreibern allerdings, fleht er dann, »möge der Himmel mich bewahren, der ich in meinem ganzen Leben noch nie gewußt habe, was es heißt, auch nur ein einziges vorbedachtes Wort zu sagen oder zu schreiben ––«.
Einen Monat zuvor schon hatte er Mary Macartney vor Menschen gewarnt, die stilistisch »mit der trägen Gleichgültigkeit eines fühllosen Stockfischs« zu Werke gehen, »– Der Herr bewahre mich vor allem literarischen Verkehr mit jenen Leuten, die Episteln abfassen wie Rechtsanwälte ihre Urkunden fertigen, nämlich indem sie Blanketten ausfüllen, … statt mir das zu schicken, was ich erwarte – einen Brief.«
Womit zwei wesentliche Merkmale Sterneschen Briefeschreibens auf dem Tisch sind: Sterne verwendet seine Ideen und Formulierungen gerne oft mehrfach (freilich in Variationen), kaum ein Autor des Prä-Copy-And-Paste-Zeitalters kopiert sich in Briefen und in seinen Werken so oft selbst. Vor allem aber: Kaum ein Autor seines Zeitalters schreibt so »unvorbedacht«, so ungehemmt, was ihn gerade umtreibt bzw. was ihm durch den Kopf geht.
Das hat Sternes Andenken schwer geschadet: Nachdem der viktorianische Autor William Makepeace Thackeray einen Packen bisher unveröffentlichter Sterne’scher Briefe im unzensierten Original zugespielt bekommen hatte, schrieb er eine der vernichtendsten Beurteilungen, die die englische Literatur kennt: Laurence Sterne, von Beruf Geistlicher, predige das Wasser des Sentiments und der Menschenliebe, trinke aber den Wein der Lüsternheit und sei ein eitler, geiziger, hartherziger Mensch gewesen, der die eigene Mutter im Gefängnis verrotten ließ, mehreren Frauen heuchlerisch gleichzeitig den Hof gemacht habe und zudem zutiefst verlogen sei; »vain, wicked, witty, false« (also: eitel, verderbt, witzelsüchtig und falsch) sei Sterne, wettert Thackeray in English Humorists, und in einem Brief vom 12.9.1851 an Thomas Washbourne Gibbs, der Thackeray das von ihm aufgefundene Manuskript des Tagebuchs des Brahmanen und einige Originalbriefe Sternes zum Studium zur Verfügung gestellt hatte, schreibt er: »es schmerzt mich, daß die Lektüre der Briefe des Brahmanen an seine Brahmanin meinen Respekt vor dem Reverend Laurence Sterne nicht eben gehoben hat … schwerlich hat man je von einem falscheren und verderbteren Mann gelesen«, um Sterne (und Swift) dann auch noch die Bezeichnungen »traitors and renegades« (Verräter und Renegaten) hinterherzuwerfen.
Und auch wenn Thackeray aufgrund von mißdatierten Briefen, Fehlinformationen und falschen Schlüssen über das Ziel wesentlich hinausschoß – es ist auf den ersten Blick schon höchst ungewöhnlich, mit welcher Drastik und Ungehemmtheit Sterne bisweilen von sich berichtet, von Geldnöten, windigen Werbestrategien, Verliebtheiten, Sexgeilheit, Todesangst, Blutstürzen usw. – und es nimmt nicht wunder, daß einen sittenstrengen Viktorianer entsetzt, wie Sterne z.B. der zweiundzwanzigjährigen verheirateten Elizabeth Draper (und nicht nur ihr) von seinen körperlichen Gebrechen, seiner Liebe zu ihr, seiner Syphilisbehandlung, seinen Tränen, Weinkrämpfen und Blutstürzen, den Problemen seiner Ehe und der Erwartung des baldigen Todes seiner schon seit Jahren von ihm getrennt in Südfrankreich lebenden Frau schreibt.
Anders als bei den meisten berühmten Briefeschreibern seiner Zeit, war es ihm nicht daran gelegen, sich in bestem Licht in stilistisch polierten Briefen darzustellen; Alexander Pope etwa wußte schon kurz bevor er die Feder ansetzte, daß der gerade entstehende Brief früher oder später gedruckt werden würde.
Sterne durfte erst nach dem durchschlagenden Erfolg seines Tristram Shandy, also ab 1760, davon ausgehen, daß man sich für seine Briefe interessieren könnte. Aber selbst das war ihm egal: Bevor er sich 1762 zur Frankreichreise aufmachte, hinterließ er seiner Familie eine Auflistung von Dingen, die man im Fall seines Todes zu Geld machen könnte.
Memoranden, hinterlegt bei Mrs Montague, im Falle meines Versterbens im Ausland.
L. Sterne
Meine Predigten in einem Koffer bei meinem Freund Mr Hall, St John Street. – Daraus soll man eine Auswahl für 2 Bde treffen – N.B. Sie reichen für 3 Bde. –
Meine Briefe in meinem Schreibtisch in Coxwold & ein Bündel in dem Koffer mit meinen Predigten –
Anmerkung. Die großen Briefstöße in den Dachkammern in York sollen nach Briefen voll Witz oder Humor – oder, was noch besser ist als beides – voll Menschlichkeit & Güte durchgesehen werden – diese ergeben noch etliche weitere Bde; und da kein einziger davon wie die Briefe Popes oder Voitures geschrieben wurde, um gedruckt zu erscheinen, wird man sie wohl um so lieber lesen –.
Das Tagebuch des Brahmanen war wohl in der Tat das einzige Schriftstück, das Sterne vor seiner Familie verbarg und der Familie James in London zur Aufbewahrung übergab. Alle anderen Kopien seiner Briefe (er fertigte oft Kopien an), scheint er abgelegt zu haben. Sterne verstand sich in der Tat als öffentliche Figur – kein zweiter Autor seiner Zeit vermischt so bewußt privates Leben und Werke. In seinen periodisch erscheinenden Büchern werden ganz offen private Erlebnisse verarbeitet, mehr noch: die Grenzen zwischen Sternes literarischer Figur Yorick und dem realen Laurence Sterne verschwimmen bis zur Unkenntlichkeit; Sterne stellt sich auch im realen Leben bisweilen als Yorick vor und unterschreibt so zahlreiche Briefe: »diese Fadheit im französischen Wesen hat Ihrem Freund Yorick einen Widerwillen beigebracht«, schreibt er einer Freundin am 1.2.1764. Und im März 1767 erinnert er Eliza an das Porträt, das sie von ihm bekommen hat – allerdings nicht als realer Laurence Sterne, sondern als Yorick: »Yorick lächelt zufrieden bei allem, was Du tust; sein Bild gibt sein Wohlgefallen nicht annähernd wieder!«
Es ist ein Verhängnis, daß es bald nach Sternes Tod der Schwager John Botham war, der als erster Zugang zu den Briefen erhielt. Eigentlich baten die Ehefrau und Sternes Tochter Lydia ihn, ihnen alle Papiere Sternes zusammenzupacken und zu schicken. Allein, Botham kam, las die Briefe – und vernichtete, was ihm als für die Damen unzumutbar vorkam. Worüber sich Sternes Tochter bitterlich beklagte: »Mama wollte nicht, daß irgendwer die Hinterlassenschaften meines Vaters las … und davon irgendwelche zu verbrennen war abscheulich.« Was übrigblieb gab Lydia dann 1775 als Letters of the late Rev. Mr. Laurence Sterne, to his most intimate friends. With a fragment in the manner of Rabelais. To which are prefix’d, memoirs of his life and family. Written by himself. And published by his daughter, Mrs. Médalle. In three volumes, bis heute die wichtigste Quelle für Sternes Briefwerk. Für 95 der 250 Briefe der vorliegenden Ausgabe gibt es keine andere. Allerdings: Es ist sicher keine Übertreibung, die Herausgeberschaft von Lydia Sterne als das zweite Verhängnis zu bezeichnen, das über Sternes Nachlaß kam.
Schon beim Sammeln der Briefe ging sie bisweilen wohl recht unkonventionell zu Werk – als John Wilkes ihr schrieb, er habe die an ihn gerichteten Briefe nicht mehr, schlug sie ihm angeblich vor, er solle sie einfach im Stile seines Vaters neu schreiben und ihr zusenden. In ihrer Edition machte sie dann viele Klarnamen und Daten unkenntlich, schrieb falsch zu und datierte fehl. Zudem änderte sie die Briefe ihres Vaters z.T. orthographisch, syntaktisch, von der Diktion her – und auch inhaltlich. Fast durchgängig tilgte sie Stellen, von denen sie fand, sie rückten ihre Mutter in ein schlechtes Licht, nahm Explizitem die Spitze und unterdrückte Nennungen der als Konkurrentin wahrgenommenen laurence-sterneschen Spätliebe Elizabeth Draper (wobei ein auf Latein geschriebener Brief an Hall-Stevenson, in dem er rundheraus bekennt, seiner Ehefrau überdrüssig zu sein, und das als Brief veröffentlichte hochanstößige Impromtu ihrer Jätarbeit entgingen – ersterer wohl, weil sie kein Latein konnte, zweiteres, weil sie es wohl schlicht nicht verstand).
Als drastisches Beispiel für ihr Verständnis editorischer Arbeit mag eine Passage aus einem Brief vom August 1767 dienen, der glücklicherweise auch als Manuskript erhalten ist. In Sternes Original liest er sich so:
… Soeben habe ich von einem Right Honble –– eine höchst elegante, eigens für mich in Paris gefertigte goldene Tabaksdose zum Geschenk erhalten – Ich wünschte, Eliza wäre hier – ich würde sie ihr zu Füßen legen – allerdings werde ich meine goldene Dose mit ihrem Bild schmücken, – und sollte der Geber eine solche Bereicherung seines Unterpfands der Freundschaft nicht gutheißen –– so werde ich ihm die Dose zurückschicken –
Darf ich mir erlauben, Ihnen den Brief beizulegen, den ich an Mrs Draper schreiben werde – Ich weiß, Sie werden ihr auch selber schreiben – & mein Brief wird dann die Ehre haben, den Ihrigen nach Indien zu eskortieren. Mrs Sterne & meine Tochter kommen aus dem fernen Avignon, um ein paar Monate bei mir zu verbringen – & kehren dann wieder zurück – Das heiße ich mir Gefälligkeit, denn ich habe im letzten Frühjahr einen Umweg von 500 Meilen auf mich genommen, um meine Frau für eine Woche zu besuchen – und sie mutet sich eine Postkutschenfahrt von tausend Meilen zu, um mir einen Gegenbesuch abzustatten: –– Was für ein glückliches Paar! –– indes en passant, sie nimmt sechzehnhundert Pfd mit zurück nach Frankreich – und wird mir die Ehre erweisen, mir auch sonst alles abzuknöpfen, was ich besitze –
– ausgenommen Elizas Bild.
Adieu
In der Bearbeitung von Sternes Tochter Lydia Médalle liest sich das so:
… Soeben habe ich von einem Mann, den ich allezeit lieben werde, eine höchst elegante, eigens für mich in Paris gefertigte goldene Tabaksdose zum Geschenk erhalten – es ist nicht der erste Beweis seiner Freundschaft, den ich erhalten habe.
Darf ich mir erlauben, Ihnen ein wenig briefliches Geplauder beizulegen, das ich an Mrs Draper schreiben werde – Ich weiß, Sie werden ihr auch selber schreiben – & mein Brief wird dann die Ehre haben, den Ihrigen nach Indien zu eskortieren. Keiner von beiden wird einer solchen Begleitung wegen weniger willkommen sein – ich besorge aber, sie werden spät im Jahre ihren bestimmten Hafen erreichen, da sie zuerst nach Bengal laufen müssen.
Für alle Briefe, für die es allein ihre Briefausgabe als Quelle gibt, gilt: der Text ist unzuverlässig. Wir haben sie in dieser Edition deshalb mit einem [M] am Briefkopf gekennzeichnet.
Das dritte Verhängnis für jeden Herausgeber der Briefe Sternes sind seine Fälscher. Wie dramatisch die Situation ist, mag ein Blick auf die Publikationsgeschichte der ersten unter seinem Namen erschienenen Briefeditionen geben. Den Reigen eröffneten 1773 die in London erschienen Letters from Yorick to Eliza, die wohl echt sind und mit Erlaubnis Elizabeth Drapers in Indien angefertigte Kopien von zehn Briefen Sternes an sie zur Grundlage haben. Als zweites erschienen dann im April 1775 Letters from Eliza to Yorick – eine dreiste Fälschung. Komplizierter ist der Fall mit den im Juli 1775 folgenden Sterne’s Letters to his Friends on various Occasions, für die wohl William Combe verantwortlich zeichnen muß, ein Bekannter Sternes, der auch selbst Briefe mit ihm wechselte – er hatte offenbar Zugang zu einer ganzen Reihe von Briefen Sternes sowie anderem biographischen Material – und druckte in dem Buch eine krude Mischung aus echten Briefen, passagenweise aus echten Briefen entnommenen, aber mit Erfindungen angereicherten Schreiben und kompletten (aber auf autobiographischem Material basierenden) Fälschungen ab. Erst im Oktober 1775 folgte Lydia Médalles ihrerseits unzuverlässige Briefausgabe, die zum Teil (auch unechte) Briefe aus der Combe-Ausgabe übernahm.
1788 legte Combe dann noch einmal nach und veröffentlichte unter dem fast schon zynischen Titel Original Letters of the Late Reverend Mr. Laurence Sterne: Never before Published 39 neue Briefe – von denen die heutige Forschung nur drei als authentisch anerkennt, der Rest gilt als Fälschung. »There is nothing unmixed in this world«, heißt es in der Sentimental Journey (Der Pass, Versailles) – auf die Briefe Sternes trifft dies ganz besonders zu.
Für jeden Brief Sternes, zu dem es einen Holographen gibt, darf man also dankbar sein; ebenso für jeden Brief Sternes, der bis heute überliefert wurde.
Hunderte müssen verloren gegangen sein – Ende 1767, kurz bevor er ein letztesmal nach London ging, zählte Sterne seiner Frau auf, wer alles noch Briefe von ihm besitze: allein sein Busenfreund Hall-Stevenson habe »hunderte bekommen« – die meisten davon seien allerdings in »too careless a way« geschrieben. Was zu einer letzten Anmerkung zu Sternes Briefen führen soll: Sie sind nicht nur die bei weitem wichtigste Quelle biographischer Informationen über ihn, sie sind in ihrer Art nicht nur höchst außergewöhnlich für ihre Zeit – allen eigen ist, daß Sterne für jeden seiner Adressaten gewissermaßen eine andere Maske aufsetzt, in seinen Briefen spricht er wie ein Schauspieler, der Rollen spielt, er spricht in vielen Stimmen. Schon im Tristram Shandy war eine der untergründigsten Fragen des Buches die nach der Identität gewesen: »Wer bin ich eigentlich?« – und als Antwort hatte Sterne eine mehrstimmige, fast chorische Schreibweise entwickelt. Auch in den Briefen zeigt er viele Ichs. Für seine Bankiers schlägt er einen parlierend-selbstbewußten Ton an, bei dem die Bitte um Geld dann wie selbstverständlich nebenher kommt. Die Briefe an seinen Zech- und Studienkumpan John Hall-Stevenson sind anspielungsreich, mutwillig, mitunter gar obszön, hier übt sich Sterne im Ton von Rabelais. Die Briefe an seine Dienstherren haben Humor, klingen aber auch immer zart demütig; die an Ignatius Sancho, einen früheren Sklaven, sind mitfühlend, milde & ergeben. In den Briefen an Elizabeth Draper übt Sterne den ›empfindsamen‹ Ton, den er dann in der erzählerischen Maske von Yorick in der Empfindsamen Reise verarbeitet. In seinem letzten Brief an Eliza, dem wirklich letzten, als er weiß, daß sie sich niemals im Leben wiedersehen werden, kommt Laurence Sterne gar nicht mehr vor; es spricht allein die literarische Figur Yorick: »Adieu, noch einmal, Eliza, möge keine Herzenspein eine Furche in Dein Antlitz ziehen, bis ich es wieder sehe; mögen weder Zweifel noch Besorgnisse Dein heiteres Gemüt trüben oder Dir einen schmerzlichen Gedanken an Deine Kinder erwecken, denn es sind Yoricks Kinder, und Yorick ist Dein Freund auf ewig – Adieu, adieu, adieu –«.
In seinen Briefen erzählt Sterne hie und da die unglaublichsten Einzelheiten aus seinem Leben, von peinlichen Erlebnissen, Liebeswahn, Todesängsten, einer Syphilisbehandlung, Geldnöten undundund – wie es ihm als Mensch dabei eigentlich geht, welche Grundsätze er hat, was er denkt usw. erfährt man eher selten. Der Mensch Laurence Sterne bleibt auch nach der Lektüre der Briefe so sehr ein Rätsel wie die sagenumwobene »Moral der buntscheckigen Seite« im Tristram Shandy III, Kap. XXXVI.
Sterne gibt Nüsse, aber er knackt sie nicht auf.
Laurence Sterne
[Skelton[2], Dienstag, 20. November 1739]
Lieber Dealtary,
ob mir gleich Entschuldigungen zuwider sind, muß ich doch diesen scheinbaren Widerspruch in meinem Betragen erklären; nämlich, erst eine Korrespondenz mit Ihnen anzuzetteln und anschließend zu riskieren, diese durch ein längeres Schweigen gänzlich abzubrechen; dies ließe sich völlig natürlich als freundliches Mittel deuten, einem Briefpartner mitzuteilen, daß man des Umgangs überdrüssig ist: ich würde sowohl Ihnen als auch mir Unrecht tun, wollte ich zulassen, daß Sie diesen Schluß ziehen, denn unter all meinen Freunden findet sich keiner, dessen Briefe ich mit mehr Vergnügen empfange und die ich sorgsamer lese; ich war die letzten drei Wochen mit Mr Hall[3] zu einem Besuch in Durham[4] und bin eben erst nach Skelton zurückgekehrt, wo mich außer Ihrem Brief noch dreizehn weitere erwarteten, welche die Familie verabsäumt hatte, nach Durham weiterzuschicken: Nie im Leben habe ich mir Ihre Gesellschaft so herbeigewünscht wie itzt, ich möchte tausend Dinge mit Ihnen bereden, die nur für ein Gespräch taugen & schlecht zu Papier gebracht werden können: soviel müssen Sie erfahren, daß Sie jetzt einen Brief von einem der unglücklichsten und mißmutigsten Geschöpfe auf Erden erhalten haben; denn seit ich Ihnen zuletzt schrieb, habe ich mit Miss C––[5] einen Briefwechsel angesponnen, dessen Fortgang zusammen mit dem von Beginn an gleichförmigen Betragen gegen mich es mir zur Gewißheit werden läßt, daß sie den festen Entschluß gefaßt hat, niemals zu heiraten; und da all mein geplantes Glück auf diesen einen Punkt gebauet war, bleibt mir gegenwärtig nur der schlimme Prospekt auf Verdruß & Kummer.
An meinem Fall ist etwas sehr Merkwürdiges und Absonderliches, was ich Ihnen in einem Brief aber nicht mitteilen darf, aus Sorge vor einem Mißgeschick &c –– Es ist mir leicht, beredt in meinen Wünschen für andere zu sein, denn mir selbst bleibt nun nichts mehr zu wünschen. Meine aufrichtige Bitte für Ihr Wohlergehen mag dies Ihnen sogleich zeigen: »Möge Ihnen ein dauerhaft ruhiges & gleichmütiges Leben beschieden sein, weder gestört durch Leidenschaften noch Enttäuschungen«, oder wäre der Wunsch zu ausgefallen und man müßte annehmen, daß ein paar der zehntausend verschiedenen Kümmernisse, mit denen ich kämpfe, irgendwann einmal Ihr Los sein werden, dann »Mögen Sie einen Freund finden, der ein offenes Ohr und Mitleid mit Ihnen hat und sich von Anstand & Menschlichkeit anleiten läßt, Ihnen aufrichtig und freundlich zu begegnen.« Es trifft sich vermutlich gut für Sie, daß ich mit dieser Post eine Unzahl von Briefen beantworten muß, sonst fände ich wohl kein Ende. Ich verbleibe in großer Eile Ihr Ihnen
zugetaner
L. Sterne
Skelton, Dienstag.
[?1740]
Ja! Ich will mich aus der Welt stehlen, und keine Plauderzunge soll ausschwatzen, wo ich bin – Echo soll meinen Unterschlupf nicht einmal flüsternd verraten – Deine Einbildung mag ihn Dir immerhin als kleine, von der Sonne vergoldete Hütte am Hang eines romantischen Hügels vormalen – glaubst Du wohl, ich werde Liebe und Freundschaft dahinten lassen? Nein! sie sollen mir in der Einsamkeit Gefährten sein, denn sie werden in der liebenswerten Gestalt meiner L. mit mir niedersitzen und aufstehen. – Wir wollen so vergnügt sein und unschuldig wie unsere Stammetern im Paradiese, ehe der Erzfeind die unerhörte Szene betrat.
In unserer Abgeschiedenheit werden die zärtlichsten Neigungen Raum haben zum Wachsen und Gedeihen, und sie werden Früchte tragen, die Tollheit, Neid und Ehrsucht allezeit in der Knospe ersticken. – Laß menschliche Stürme und Unwetter doch in der Ferne wüten – die Verheerungen streifen den Horizont des Friedens nicht. – Meine L. hat eine Tuberose im Dezember blühen sehen – eine freundliche Mauer hat sie vor dem schneidenden Wind beschirmt. Kein Einfluß der Planeten soll uns erreichen, außer demjenigen, der die lieblichsten Blumen hegt und pflegt. – Gott erhalte uns, wie köstlich ist die Aussicht auch nur in Gedanken! Wir werden gestalten und pflanzen nach unserem Gutdünken – die Schlichtheit soll nicht entstellt werden durch Kunst – von der Natur wollen wir leben lernen – sie soll unsere Alchimistin sein, die das Beste des Lebens zu einem Heiltrank mengt. – Die trübsinnige Sippschaft des Kummers und Argwohns soll verbannt sein aus unserer Heimstatt, die Dein gütiger Schutzgeist bewacht – wir werden unsere Dankchoräle singen und uns bis ans Ende unserer Pilgrimschaft erfreuen.
Adieu, meine L. Kehre zurück zu einem, der nach Deiner Gesellschaft schmachtet.
L. Sterne
[?1740]
Nun hat meine L. beim hohen Gerichtshof der Freundschaft Beschwerde gegen mich geführt – Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage und unterwerfe mich ganz der Gnade dieses liebenswürdigen Tribunals. – Dies möge meine Strafe mildern, wenn es nicht ausreicht, mein Vergehen zu sühnen – sage mir nicht, daß ich wieder in derselben Weise freveln werde, obgleich eine zu rasche Begnadigung bisweilen Anlaß schafft zur Wiederholung des nämlichen Fehltritts. – Ein Geizhals spricht: Ob ich schon heute nichts Gutes mit meinem Gelde wirke, so soll doch der morgige Tag mit einer Wohltat bezeichnet sein. – Der Wüstling spricht: Laßt mich nur diese Woche verbotenen und ausschweifenden Freuden frönen, und ich will die nächste ernsten Gedanken und Betrachtungen weihen. – Der Spieler spricht: Laßt mich nur einmal noch mein Glück beim Würfelspiel versuchen, und ich will die Zeit meines Lebens die Finger davon lassen. – Die Schurken aller Stände erstreben nur die Unabhängigkeit, und dann möchten sie ehrliche Männer werden. – Die Coquette frohlockt, wenn sie ihren inamorato[7] quält, aus Furcht, er möchte, nach der Hochzeit, ihr gegenüber kein Erbarmen mehr kennen.
Dein In-Erscheinung-Treten vom fünften des laufenden[8] (denn Briefe lassen sich beinahe als Erscheinung bezeichnen) war mir desto willkommener, da ich nicht damit rechnete. Oh! meine L ––, Du bist in der Tat sehr gütig, indem Du etwas zu meiner Entschuldigung vorbringst, und Du wirst diesen Liebesdienst sicherlich niemals bereuen – denn da ich Dein Schuldner bin, werde ich Dich mit Zins und Zinseszins bezahlen. – Warum klagt meine L. darüber, von Freunden verlassen zu sein? – Wo lebt denn ein menschliches Wesen, das nicht in diese Klage einstimmte? – Es ist dies eine so allgemeine wie vielleicht allzu wahre Einsicht, daß sich Verheiratete nur selten über den heimischen Herd hinaus bekümmern. Man kann mit Wertschätzung ebenso knausern wie mit Geld – indes, da jene doch nichts kostet, so dürfte man sie getrost etwas freigebiger austeilen. Wir können keine Trauben von Dornen lesen[9], also dürfen wir auch keine Anhänglichkeit von solchen Menschen erwarten, die ganz in selbstische Pläne verwoben sind. – Ich weiß nicht, ob ich derlei Charaktere mehr verachte oder bedauere – die Natur hat nie noch ein unfreundliches Wesen erschaffen – Grausamkeit und üble Gewohnheiten haben eine schöne und liebliche Schöpfung entstellt.
Meine L! – Du bist von aller melancholischen Düsternis des Winters umgeben; wärest Du allein, so würde die Abgezogenheit angenehm sein. Enttäuschter Ehrgeiz mag eine solche Zuflucht wohl beneiden und enttäuschte Liebe sie gern aufsuchen. – Wimmelnde Städte und geschäftige Gesellschaft ergötzen vielleicht die Achtlosen und Leichtlebigen – aber die Einsamkeit ist die beste Amme der Weisheit. – Mich dünkt, ich sehe mein gedankenvolles Mädchen itzt im Garten auf das Eintreffen des Frühlings warten. – Bemerkst Du nicht voller Entzücken die ersten Frühlingsknospen? die Schneeglöckchen und Schlüsselblumen, die als frühe und willkommene Vorboten zu Deinen Füßen sprießen. – Flora und Pomona[10] giltst Du bereits als Gehilfin; und binnen kurzem werden sie Dich mit ihren holdesten Segnungen überhäufen. – Die ganze gefiederte Schar ist Dein, und mit ihr wird eine ungelernte Harmonie bald Deine Morgen- und Abendspaziergänge aufheitern. So köstlich dies auch sein mag, komm zurück – komm zurück – die Vögel von Yorkshire werden ihre Kehlchen stimmen und so melodisch flöten wie die von Staffordshire[11].
Adieu, meine geliebte L., mein Frieden ist dahin, ich bin zu sehr der Deine,
L. Sterne
[?1740]
Ich habe sie verletzt, die ich so zärtlich liebe! – wie nur ließ ich mich dazu verleiten! doch sollte ein Bettler an Dein Tor klopfen, würdest Du ihm nicht die Türe auftun und vor Mitleid zerfließen. – Ich weiß, es wäre so, denn das Mitleid hat sich in Deinem Busen einen Tempel erbaut. – Süßeste und beste aller menschlichen Empfindungen! laß Dein Gespinst der Zärtlichkeit die schwermütige Gestalt der Betrübnis bedecken und die dunkelsten Schatten des Elends mildern! Ich habe diese Entschuldigung nochmals erwogen, doch, ach! was wird sie verschlagen? Argumente, und seien sie auch feinst gesponnen, können die Natur der Dinge niemals verändern – wie wahr – also still davon.
Ich habe durch ein trauriges Unglück einen überaus schätzbaren Freund[12] verloren, und was es noch schlimmer macht, er hinterläßt eine Witwe und fünf kleine Kinder, welche diesen plötzlichen Schicksalsschlag beweinen. – Hätten wahre Nützlichkeit und Lauterkeit des Herzens ihn davor bewahren können, dann müßten seine Freunde seinen unzeitigen Tod nun nicht betrauern. – Dies dunkle und dem Anscheine nach grausame Walten der Vorsehung läßt oft die besten menschlichen Herzen klagen. – Wer kann den Jammer einer liebenden Mutter schildern, die in einem Augenblicke zur Witwe wird und über eine zahlreiche hilf- und vaterlose Nachkommenschaft bittere Zähren weint? – Gott! diese Züchtigungen kommen von dir und erfordern (harte Pflicht) eine fromme Ergebung.
Verzeih mir diese Abschweifung und erlaube, daß ich eine Träne ausgieße für einen abgeschiedenen Freund und, was ihn noch höher auszeichnet, einen ehrenwerten Mann. Meine L! alles, was Freundschaft einflößen kann, wirst Du empfinden, ob des Todes von ––. Der Fall trat jäh ein, und Dein sanfter Sinn mag darüber desto mehr erschrocken sein. – Indes, meine L., Du hast weniger zu beklagen, denn das Greisenalter kroch heran, und ihre Zeit, Gutes zu tun und sich nützlich machen zu können, war schier vorüber. – Mit sechzig Jahren wird die irdische Behausung bald morsch und ihre Bewohner bedenken bang den Auszug. – In einer solchen Lage mag der Dichter[13] wohl sagen
»Die unbehagliche Seele, &c.«
Meine L. spricht davon, das Land zu verlassen – möge ein freundlicher Engel Deine Schritte hieher lenken. – Einsamkeit wird mit der Zeit beschwerlich. – Du sagst, Du werdest von dem Ort mit Bedauern scheiden – ich denke das nämliche. – Mischt sich nicht ein gewisses Unbehagen in den bloßen Gedanken an den Abschied davon? Es ist, als trennte man sich von einem alten Freund, mit dessen Wesen und Gesellschaft man seit langem vertraut gewesen ist. Mich dünkt, ich sehe Dich zwanzigmal des Tags das Haus betrachten – fast jeden Ziegelstein und jedes Fensterglas zählen und ihnen zugleich seufzend gestehen, daß Du sie verlassen wirst. – O der glücklichen Beschränktheit der toten Materie! sie wird fühllos bleiben gegenüber Deinem Verlust. – Wie aber wirst Du’s über Dich bringen können, von Deinem Garten zu scheiden? – Die Erinnerung an so viele angenehme Spaziergänge muß ihn Dir lieb und teuer gemacht haben. Die Bäume, die Büsche, die Blumen, die Du mit eig’ner Hand zogest – werden sie nicht nach Deinem Fortgang die Köpfe noch schneller sinken lassen und abwelken. – Wer wird Dir in Deiner Abwesenheit nachfolgen, sie zu hegen und zu pflegen. – Du wirst Deinen Namen auf dem Myrtenbaum[14] zurücklassen. – Verstünden Bäume, Büsche und Blumen, Elegien zu dichten, so erwartete ich wohl über dies Thema eine sehr traurige.
Adieu, adieu. Glaube mir, ich bin auf immer und ewig Dein
L. Sterne
[Sutton-on-the-Forest, Mai 1743]
1. Es gibt etwa einhundertundzwanzig Familien in meinem Sprengel; davon sind fünf Quäker.
2. Es gibt ein Bethaus für die Quäker, konzessioniert; wo sich gemeinhin etwa zwanzig von ihnen jeden Sonntag versammeln. –
3. Es gibt zwei private Schulen[16]; eine ohne Dotation, die andere dotiert mit zwanzig Schilling per annum. Die Anzahl der dort unterrichteten Kinder beträgt etwa 40. Mit welcher Sorgfalt sie in den Grundsätzen der christlichen Religion unterwiesen werden, beantworte ich unter Artikel neun.
4. Es gibt in meiner Pfarre keine Armenhäuser &c keine Ländereien oder Pachtungen, welche der Kirche zugehören. Es gibt eine kleine Brotspende, die pünktlich jeden Sonntag an die Armen ausgeteilt wird, welche zur Früh- & Abendandacht kommen, gemäß dem Wunsch des Stifters. –
5. Ich residiere persönlich auf meinem Pfarramt und in meinem Pfarrhaus.
6. Ich habe keinen Kuraten.
7. Nein.[17] Außer einer Quäkerfrau, die ich zwar vermocht habe, zur Kirche zu kommen, aber noch nicht gewinnen konnte, sich taufen zu lassen.
8. Der öffentliche Gottesdienst findet regelmäßig zweimal an jedem Tage des Herren statt.
9. Unterweisungen im Katechismus erteile ich während der Fastenzeit jeden Sonntag in meiner Kirche, hingegen erkläre ich unsere Religion den Kindern und dem Gesinde meiner Gemeindemitglieder in meinem eigenen Haus jeden Sonntag in der Fastenzeit von sechs bis neun Uhr. Ich erwähne die Dauer zur Begründung, warum ich es nicht in der Kirche tue.
10. Das heilige Abendmahl wird in meiner Kirche fünfmal in jedem Jahr[18] gespendet. Daran nehmen etwa 250 Kommunikanten teil, von denen mehr als über die Hälfte letzte Ostern das Abendmahl empfangen haben.
11. Ich kündige das Abendmahl rechtzeitig an, bevor es gespendet wird. Meine Pfarrkinder reichen ihren Namen nicht ein, ich habe es auch nicht von ihnen verlangt. Ich habe niemand das Sakrament verweigert.
L. Sterne
Sutton [Samstag,] 3. Nov. 1750
Hochgeehrter Sir,
Als ich letzten Donnerstag in York war, um stellvertretend für den Dekan zu predigen[20], sagte mir der Buchhändler Hilyard[21] – der letzte Woche bei mir nachgefragt hatte, ob ich Sie bei der Predigt vertreten würde, im Falle Sie kämen nicht selber –, er habe soeben einen Brief von Ihnen erhalten, worin Sie ihn beauftragten, für eine Vertretung zu sorgen – Indes mit dem Fingerzeig, sollte ich dies übernehmen, so möchte es auf eine Weise geschehen, an der Ihr Freund der Präzentor[22] keinen Anstoß nimmt. Hätte der Umstand, daß ich Sie in irgendeiner Weise vertrete, diese Gefahr womöglich heraufbeschworen, dann können Sie meiner Rücksicht in jedem Betracht versichert sein und darauf bauen, daß mich keinerlei Erwägungen hätten dazu bestimmen können, meine Dienste anzubieten, noch würde ich der Aufforderung gefolgt sein, hätten Sie mich sorglos dazu gedrängt; daß ich mich überhaupt erbot, nachdem Hilyard mir gesagt, er brauche einen Prediger, geschah im Wissen, daß es dem, was Sie besorgten, vernünftigerweise und auch tatsächlich nicht die geringste Handhabe bieten würde. Ich vermute dies hier nicht bloß, sondern weiß es aus verschiedentlicher Erfahrung, da ich seit unserem Streit für so viele von Dr Sternes vertrautesten Freunden gepredigt habe, ohne daß sie die geringsten Zeichen oder entferntesten Andeutungen merkten, daß er es ungnädig aufnahm. Was Sie mir desto leichter glauben werden durch folgenden schlagenden Beweis, nämlich daß ich in den vergangenen zwei Jahren am 29sten Mai[23] die Predigt für den Präzentor gehalten habe (nicht auf seine Bitte, so steht unser Verhältnis nicht), sondern auf Bitten von Mr Berdmore, den er ersucht hatte, sich darum zu kümmern, was dieser auch tat, indem er sich ohne die geringsten Befürchtung oder Bedenken direkt an mich wandte, – Und wäre meine Predigt im ersten Jahr unwillkommen gewesen, so bin ich moralisch gewiß, Mr Berdmore[24], der ein sanftes und friedfertiges Wesen besitzt, hätte es nicht gewagt, mich zu bitten, ein 2tes Mal für ihn die Predigt zu halten, was ich vorbehaltlos im vergangenen Sommer getan habe. Der Zwist zwischen uns war ohne Zweifel scharf, indes er ist nicht dadurch verschärft worden, daß wir unsere gemeinsamen Freunde mit hineingezogen haben, die sich uns gegenüber überhaupt in allem (außer uns gemeinsam zum Essen einzuladen) so erzeigt haben, als sei dieses Unglück nie geschehen, & dies ist ihnen gelungen, ohne daß ich oder, wie ich glauben will, er unsere Meinung über sie geändert hätten, es sei denn in punkto ihrer Ehrbarkeit und zu ihrem Vorteil. Ich hielt es für meine Pflicht, Sie wissen zu lassen, wie es in dieser Sache steht, um Ihnen jeden unnötigen Kummer zu ersparen, der in dieser Hinsicht daraus erwachsen könnte, daß ich für Sie predige, denn in jeder anderen schmeichele ich mir, wären Sie zufrieden, wie es gemeinhin nicht nur das Ansehen der Kirche mehrt, sondern auch das des abwesenden Präbendars, wenn an seine Stelle ein Präbendar der Kirche tritt, so einer verfügbar ist, anstatt jemand anders, mag er auch ebenso verdienstvoll sein.
Wie ich Ihnen oben mitgeteilt, habe ich mit Hilyard diesen Gegenstand besprochen und hätte ihm eigentlich das meiste vom dem sagen sollen, was ich Ihnen gesagt, aber sein unerträgliches Betragen hat es mir verunmöglicht. Unser Dialog ging irgendwie merkwürdig, und ich glaube, ich kann Sie für diesen lästigen Brief am besten entschädigen, wenn ich Ihnen eine genaue Schilderung davon gebe, und auch über die Art und Weise, wie ich mit ihm verfahren mußte, wobei ich apropos noch etwas gröber hätte sein sollen, doch er nahm Schutz in der Rolle Ihres Bevollmächtigten; wie sehr Ihro Exzellenz dabei seine Anweisungen überschritt, werden Sie gewiß dem Bericht entnehmen, den ich über den erwähnten Fingerzeig in Ihrem Brief gab, der einzigen Grundlage für das Geschehen. Ich betrat gleich nach der Predigt an Allerheiligen seinen Laden, da bat er mich auch schon mit ernster und wichtiger Miene in ein weiter hinten gelegenes Zimmer; kaum hat er die Türe geschlossen – mit der entsetzlichen Feierlichkeit eines Premierministers, der einen Lettre de cachet[25] in Händen hält, dessen Inhalt über mein Leben oder meine Freiheit entscheidet –– da eröffnet er nach einer Minute seine Ordre wie folgt. Sir –– da mein Freund der Erzdekan von Cleveland seinen Predigtdienst, wie ich vermutete, nicht versehen möchte, hat er es mir überlassen, einen Prediger zu besorgen, – doch ehe ich in dieser Sache, was Euch betrifft, irgendwelche Schritte unternehmen kann – begehre ich zuvörderst zu wissen, in welchem Verhältnis Ihr und Dr Sterne steht? – In welchem Verhältnis! – Ja, Sir, wie’s um Euren Streit bestellt ist? – Was schert Euch das? – Wie’s um unseren Streit bestellt ist! Was schert Euch das, Lümmel? Aber Sir, Mr. Blackburn möchte gerne wissen –– Was schert ihn das? – Aber Sir, ereifert Euch doch nicht, ich will nur von Euch wissen, ob’s Dr Sterne nicht mißfiele, prediget Ihr –– Ei was; ich habe soeben gepredigt, und es hätte Euch keine bessere Gelegenheit werden können, Eure Zweifel zu heben. – Hoffentlich, Mr. Sterne, seid Ihr nun nicht verärgert. Doch, das bin ich; noch mehr allerdings erstaunt mich Eure Unverschämtheit. Ich weiß nicht, ob die Dazwischenkunft des Kanzlers, der zur Türe geschlappt kam,[26] seiner zarten Seele die Pein des letzten Wortes ersparte; wie dem auch sei, er jedenfalls weicht vor der unerwarteten Abfuhr zurück, nimmt den Kanzler beiseite, holt sich von ihm Rat, kehrt demütig zurück, erbittet Pardon, sagt mir, Dr. Hering habe seinem Skrupel abgeholfen (seiner Narrheit freilich nicht), und beschwört mich alsdenn, ihm die Sache nicht nachzutragen & und die Vertretung für die Predigt zu übernehmen. Woraufhin ich, den, wie Percy in Heinrich IV.[27] klagt
die kalt gewordnen Wunden schmerzten,
Nun so geneckt von einem Papagei,
In dem Verdruß und in der Ungeduld Antwortete so hin, ich weiß nicht was:
Er sollte oder nicht, – mich macht’ es toll,
Daß er so blank gliss und roch so süß,
Und wie ein Kammerfräulein von Kanonen,
– ihn verschwinden hieß – & sich einen anderen, der tauglicher zur Sache, suchen.
Aber weil ich zu verärgert war und mir das wahre Vermögen mangelte, eine Dichtung zu memorieren, wie füglich auch immer für meinen Fall, mußte ich ihm klipp & klar sagen, wenn auch in gehobenen Worten – ich würde nicht predigen, & er möge sich gefälligst irgendwo nach einem anderen Pfarrer umschauen. Doch als ich durch einiges Nachdenken, ob nicht Don John seine Befugnis mit Sicherheit gewiß überschritten hatte, zu just diesem Schluß gelangte und meine Vermutung genau bestätigt fand – daß nämlich Ihr Brief bloß einen behutsamen Wink enthielt – und weil ich aus diesem & zwanzig vergleichbaren Fällen überzeugt war, daß seine Unverschämtheit, wie so viele andere, weniger Ausfluß seines Herzens denn seines Hirns war, für dessen Schwächen vernünftigerweise niemand verantwortlich zu machen ist, hielt ich es für unrecht, mich daran zu erinnern, und wir schieden als Freunde & ich sagte ihm, ich wolle die Predigt übernehmen, was ich mit Freuden tun werde.
Es ist Zeit, Ihre Verzeihung dafür zu erbitten, daß ich Ihnen mit einem so langen Brief über eine solche Bagatelle beschwerlich gefallen bin – was mir, da es dem erwähnten Beweggrund entsprang, Ihnen alles Unbehagen zu benehmen, vermischt mit dem Bestreben, weder eines vortrefflichen & charaktervollen Mannes Wertschätzung noch deren äußere Anzeichen früher einzubüßen, als bis ich sie durch eigenes Verschulden verspielt, Ihre Gerechtigkeit vergeben wird.
Ich verbleibe, ehrwürdiger Sir,
mit redlicher Hochachtung & Wertschätzung, für welche ich Sie bitte, diesen Brief als Zeugnis zu nehmen.
Ihr aufrichtiger & wohlaffektionierter Untertänigster Diener
Lau: Sterne
PS
Unser Dekan trifft am Samstag hier ein.
Meine Frau empfiehlt sich Ihnen & Ihrer Gemahlin.
Ich habe diesen Brief erbrochen, um Ihnen zu sagen, daß mir unterwegs zur Post Hilyard begegnete, der mich eindringlich beschwor, die Sache nur nicht ruchbar werden zu lassen – & Ihnen unter keinen Umständen bekannt zu machen – deshalb bitte ich Sie, es ihn nie fühlen, nicht einmal wissen zu lassen, daß Sie alles darüber wissen – habe ich es ihm doch halb versprochen, – ob ich gleich den Brief, als er geschrieben wurde, nur zu Ihrem eigenen Nutzen schicken konnte – darum bitte ich, er möge ihm durch einen darin erweckten schlechten Eindruck nicht schaden, denn er hat mich vollends überzeugt, daß alles einzig mangelndem Urteilvermögen entsprungen.
Sutton. [Montag,] 12ter Nov. 1750 –
Hochgeehrter Herr,
Ich durfte mich glücklich schätzen, Ihren äußerst zuvorkommenden Brief erhalten zu haben, dessen Art zwar gleichsam einlöste, was ich, sowohl Ihrem Charakter als auch der Meinung nach, die ich mich erkühnt, mir über Sie zu bilden, erwartet hatte. Indes übertraf das Maß bei weitem alles, was ich hoffen durfte, so daß ich mir weder das Vergnügen, Ihnen für Ihren Brief zu danken, noch die Billigkeit versagen möchte, Ihnen anzuzeigen, welche Verpflichtung angesichts der großen Artigkeit und Politesse ich empfinde.
Als ich meinen letzten Brief zu Papier brachte, fühlte ich im Grunde meines Herzens nicht so sehr Verdruß als vielmehr den Wunsch (wie ich damals anklingen ließ), mich Ihrer Wertschätzung zu vergewissern: Sie sagen mir, diese besäße ich, & ich versichere Sie, es gibt niemand, dessen Wertschätzung mir höher gölte: Mit der Erklärung, wieviel sie zu der wenigen Reputation, die ich besitzen mag, bestimmt beitragen wird, will ich Ihnen nicht mißliebig werden. Ich bin überzeugt, ein Mensch, der es fertigbringt, einen so bescheidenen Wink auf die geringe eigene Erheblichkeit anzubringen, kann in der Sache nicht zum Richter taugen, & da er sich unmöglich wird überzeugen lassen, muß ich mich damit begnügen, ihm zum wenigsten zu melden, welchen Preis ich dafür veranschlage, durch mein Trachten nämlich, sie bei jeder Gelegenheit zu wahren & zu mehren. –
Was nun die künftige Erfüllung etwelcher Ihrer offenen Predigeraufgaben[28] betrifft, so dürfen Sie versichert sein, daß ich willens bin, diese zu übernehmen, wann immer Sie einen Stellvertreter brauchen – und sollten Sie keinen Freund wissen, den sie hierbei bevorzugen möchten, erwiesen Sie mir damit sogar eine Gunst, überließen sie diese Verpflichtungen mir – eine Gunst, sage ich, denn, nebenher bekommt meine Tochter[29] zwanzig Pfund mehr ins Vermögen durch die Begünstigungen, die mir dieses Jahr in diesem Punkt vom Dekan & den ansässigen Geistlichen zuteil geworden sind. & da ein jeder, der die Predigten halten möchte, mindestens soviel jährlich und ohne große Mühe auf unserer Kanzel verdienen kann – werden Sie als ein Vater meine Gründe leicht erraten und ebenso leicht verzeihen.
Ich war mir empfindlich bewußt, wieviel ich einem so freundlichen Wunsch schuldete, als Sie mir letzten Sommer sagten, wie gerne Sie eine Versöhnung stiften würden, und hätte mein ungestümes Reden mir nur die mindeste Muße zum Nachdenken erlaubt, wäre meine Erwiderung unmöglich so unverdient & scharf ausgefallen, wie sie mir geriet, (was schert &c), wiewohl als Verweis für Hilyard gedacht – reut es mich, daß mir die Äußerung entfleuchte: Es war meine Wut, welche aus mir sprach & nicht ich selbst, deshalb bitte ich, dies möge in Frieden ruhen benebst dem übrigen, an das zu erinnern ich weder jemals Neigung verspürte, noch das Vermögen dazu besaß, hätten Sie dies nicht gewünscht.
Und nun, hochgeehrter Sir, lassen Sie mich, so es mir gelingt, diese freundschaftliche Ästimation ins Gleichgewicht heben, indem ich aus ganzem Herzen dieselben guten Wünsche für Ihr Wohlergehen erwidere, die Sie dem meinen angedeihen ließen – Dies also wünsche Ihnen und alles andere, was diese törichte & unbeständige Welt zu Ihrem Glücke & dem Ihres Hauses beitragen kann, denn ich bin, ehrwürdiger Sir, mit der allergrößten Hochachtung (und es wäre für mich beschämend, müßte ich sie aus diesem Anlaß oder irgendeiner anderen Sache wegen gemehrt finden)
Ihr sehr verbundener und affektionierter
Bruder & demütiger Diener
L: Sterne
PS
Ich entbiete unsere besten Empfehlungen an Ihre Gemahlin. Der Dekan kam am Samstag, ist aber immer noch so stark erschüttert von diesem heftigen Schicksalsschlag[30], daß er sich nicht ermannen konnte, am Sonntag in der Kirche zu erscheinen, ob wir gleich alle zusammen mit ihm speisten.
[Sutton, Freitag, 5. April 1751]
Sir,
Es ist jetzt drei Jahre her, daß ich Sie mit einem Brief zu meiner Rechtfertigung in Rücksicht auf meine Mutter[31] belästigte; ich erbat darin – um Ihnen auf denkbar beste Weise die Überzeugung beizubringen, wie übel sie mit mir umgesprungen und zugleich wie ungeheuerlich Sie getäuscht wurden durch die, wie ich herausfand, verdrehte Darstellung meines Betragens gegen sie – die Erlaubnis für einen Besuch meiner Frau, um Ihnen unsere Verhältnisse offen darzulegen & ebenfalls Rechenschaft darüber zu geben, was wir für meine Mutter getan haben, auf daß Sie sich aus beiden Gesichtspunkten überzeugen ließen, wie so ganz grundlos meine Mutter geklagt hat.
Mit dem Anerbieten, in dieser besonderen Angelegenheit lieber meine Frau zu entsenden, statt selbst zu erscheinen, wollte ich zuallererst lediglich alle Heftigkeit zwischen Ihnen und mir vermeiden, welche aus irgend etwas erwachsen könnte, das mit der Sache nichts zu tun hat und diese am Ende scheitern ließe – & zweitens, da ich Grund besaß zu der Annahme, Ihr Eifer in dieser Sache stehe im Voraus fest, & die Achtung, so Sie meiner Frau als einer Dame von Stande schuldeten, würde dessen Aufflammen verhüten, so daß sie infolgedessen bei Ihnen wahrscheinlich ein offeneres Ohr fände, worauf es mir einzig ankam, und was in der Tat auch das einzige ist, dessen eine schlichte, schmucklos und ohne Kunstgriffe erzählte Geschichte wohl bedarf. Da es Ihnen schicklich dünkte, den Klagen meiner Mutter gegen mich zu sekundieren, hielt ich es für ausgemacht, daß Sie mir diesen Akt reiner Gerechtigkeit nicht verweigern konnten: Als mein Diener dann mit Ihrer schriftlichen Antwort retournierte »Sie wünschten, von jedem Gespräch mit meiner Frau entschuldigt zu sein, ich aber dürfe vor Ihnen erscheinen«, sah ich in Hinsicht dieser Behandlung voraus, daß eine solche Unterredung wohl nur einen zornigen Wortwechsel bewirken würde (der nichts Gutes bringen konnte, aber Schaden anrichten mochte) – und bat meinerseits darum, mich zu entschuldigen; und da Sie bereits das untadelige Angebot, meine Verteidigung zu hören, abgelehnt hatten, vermutete ich natürlich, Sie würden nun auf ewig über dies Kapitel schweigen; & deshalb schloß ich mit der Bemerkung, da für mich keine Notwendigkeit bestünde, bei Ihnen vorstellig zu werden, und ich in meinen privaten Angelegenheiten von niemand geleitet oder beraten zu werden wünschte, würde ich mich so gut wie möglich mit dem Bewußtsein beruhigen, meine Pflicht erfüllt zu haben & dies auch beweisen zu können, wann immer ich es für angezeigt hielte; und daß ich für die Zukunft entschlossen sei, Sie nie wieder mit der Sache zu behelligen.
Bei diesem Entschluß bin ich drei Jahre lang geblieben und hätte auch bis ans Ende meines Lebens daran festgehalten –– Als ich aber jüngst von einigen meiner Freunde erfuhr, dieses Geschrei wider mich werde weiterhin angestimmt & ein Anschlag von unerhörter Boshaftigkeit gegen einen wehrlosen Mann geführt, der zurückgezogen auf dem Land lebt & wenig Gelegenheit hat, die Welt eines Besseren zu belehren, daß weiterhin meine Mutter an eben jenem Ort festgesetzt sei, wo eine ernste Anklage mir (als Geistlichen) vielleicht am meisten nachteilig sein kann, – wurde ich durch den Rat meiner Freunde ermuntert, auf Mittel und Wege zu meiner Verteidigung zu sinnen; was ich, ich gestehe es, auch unverzüglich getan und meine Geschichte vor der Welt öffentlich gemacht haben würde – hätte dem nicht folgender Nachteil entgegengestanden, daß ich mir nämlich so keine Gerechtigkeit widerfahren lassen konnte, ohne mir gleichzeitig zu schaden, indem ich die Dürftigkeit meiner Verhältnisse offenbarte, wodurch ich, meines Wissens, bei der einen Hälfte der Welt mehr an Ansehen verlöre, als ich bei der anderen Hälfte durch die klarste Verteidigung womöglich gewönne.
In der Not dieser verdrießlichen Klemme wandte ich mich sogleich an meinen alten Freund & Bekannten vom College, unseren ehrwürdigen Dekan[32], offenbarte ihm meine unglückliche Lage und erbat seinen Rat, wie ich mich am besten herauswinden sollte. Er meinte, nichts wäre besser als ein Treffen von Angesicht zu Angesicht mit Ihnen und meiner Mutter, & aus gewohnter Freundschaft und Menschlichkeit wollte er alle Hebel in Bewegung setzen, um dies zu bewerkstelligen.
Demgemäß nutzte er vor etwa drei Monaten eine Gelegenheit, Sie um diese Gefälligkeit zu ersuchen, welche Sie nur, wie er mir sagte, bis zur Erledigung Ihrer drängenden Angelegenheit mit den Nonnen[33] aufzuschieben wünschten.
Seit dem Ende besagter Angelegenheit hat er Ihnen erinnerlich gemacht, was Sie mir in Aussicht gestellt, freilich ohne Erfolg; Sie hätten sich (wie er mir sagt) nun strikt geweigert, auch nur ein Wort von dem zu hören, was ich zu sagen habe. Mir dieses allgemeine Recht zu verweigern bedeutet die härteste Maßregel, die wider jemand in meiner Lage getroffen werden kann; und obschon die Unannehmlichkeiten hievon wohl, wie beabsichtigt, unmittelbar mich inkommodieren dürften, hoffe ich doch, Dr Sterne, daß nicht ein Großteil davon auf Sie selbst zurückschlägt: Denn weshalb, mag sich manch einer fragen, befaßt Ihr Euch mit einer Klage gegen Euren Neffen, wenn Ihr festen Sinnes seid, nicht anzuhören, was er selber vorzubringen hat? – und wenn Ihr ihm so jede angestrebte Möglichkeit zur Rechtfertigung verweigert – ist es dann nicht allzu offensichtlich, daß Ihr nicht wünscht, daß er sich entlastet, oder daß es Euch leid täte, eine so nützliche Handhabe gegen ihn zu verlieren?
Wie auch immer es anderen erscheint, die Sache nun in diesem Licht zu betrachten hat mich bestimmt – entgegen meinem früheren Versprechen: »Sie mit keinen weiteren Unannehmlichkeiten mehr zu behelligen« – diese hinzuzufügen. Nicht um erneut zu erbitten, was Sie mir dem Dekan gegenüber abschlugen (denn nach dieser erfahrenen harten Behandlung würde ich das Angebot, sollten Sie es jetzt selbst unterbreiten, nicht annehmen), vielmehr habe ich im Sinn, Ihnen durch eine schlichte & wahrheitsgemäße Darstellung meines Betragens (& auch des Betragens meiner Mutter) für die Zukunft die Waffen aus der Hand zu nehmen: Denn da Sie mich nicht von Angesicht zu Angesicht mit meinen Anklägern anhören wollten – sollen Sie mir nicht davonkommen, ohne vom wahren Sachverhalt des Falles überzeugt oder wenigstens unterrichtet worden zu sein.
Für meine Verteidigung ist es unnötig, zurückzugehen bis zum Heimgang meines Vaters, Ihres Bruders, dessen Tod mich im Alter von 16 Jahren auf der Welt[34] ohne einen Penny zurückließ und, so darf ich hinzufügen, damals ohne einen einzigen Freund darin außer meinem Vetter Sterne in Elvington[35], der mir ein Vater wurde, & dessen damaliger Protektion ich hauptsächlich verdanke, was ich heute bin; denn da Sie mir beim Tode meines Vaters ihre Hilfe völlig verweigerten, muß Ihnen bewußt sein, daß ich, jung wie ich war, ohne die seine nackt in die Welt hinzugestoßen worden wäre, um mich so gut wie möglich auf eigene Faust durchzuschlagen:
Für meine Verteidigung, sage ich, ist es unnötig, soweit zurückzugehen –– ich mache Ihnen dies auch nicht erinnerlich, um Sie im Gegenzug einer scheinbaren Härte gegen mich zu beschuldigen (denn die hernach erfahrenen Gefälligkeiten[36] gaben mir Grund, diese zu vergessen) & und außerdem denke ich, kannten Sie Ihre Pflicht und Schuldigkeit in einem solchen Fall selbst am besten & waren nur Gott und Ihrem eigenen Gewissen verantwortlich. Ich erwähne diese besonderen Umstände im Voraus nur einer einzigen Überlegung halber, die ich anstellen werde, um nach und nach Kapital daraus zu schlagen.
Mein Vater starb, wie Sie wissen, auf den Westindischen Inseln im Dienst des Königs. Meine Mutter lebte zu dieser Zeit bei ihren Verwandten in Irland & kam bei der Nachricht von seinem Tod sogleich herüber nach England; sie hatte damals gewisse Schwierigkeiten wegen ihrer Pension[37] & wollte Sie dazu bewegen, Ihren Einfluß zu nutzen, um ihr die Pension von der Englischen Regierung zu beschaffen.
Doch ich entsinne mich gut, daß sie umkehren mußte, weil sie zu unbedeutend war, um der Gunst teilhaftig zu werden, vor Ihnen erscheinen zu dürfen. (Sie durfte nicht einmal bis York kommen) –– Als sie jetzt zum 2ten Mal von Irland nach Chester reiste & von dort nach York, um diese Klage gegen mich zu führen, stieß sie nicht auf derlei Schwierigkeiten, – wurde von Ihnen mit offenen Armen empfangen; ich habe Sie daran erinnert, um Ihnen zu sagen – woher die unterschiedliche Aufnahme zweifellos rührt, die sie in diesen beiden Fällen bei Ihnen gefunden hat. Bei dem letzten Gesuch empfahl sie sich Ihrem Mitgefühl durch eine Klage gegen mich; bei der ersten Bitte, hatte sie nichts vorzuweisen als ihre wirkliche Notlage. Doch dies nur nebenbei.
Seit dem Tod meines Vaters bis zu der Zeit, da ich selbst in der Welt seßhaft wurde, in diesen elf Jahren also, lebte meine Mutter in Irland –– & da ich während dieser ganzen Zeit nicht imstande war, ihr Geld zukommen zu lassen – hörte ich nur selten von ihr; & wenn es einmal der Fall war, so erfuhr ich meistens, daß sie von der Stickereischule, die sie eröffnet hatte, sowie von ihrer pünktlich ausbezahlten Pension, die zwanzig Pfund per annum beträgt, recht auskömmlich leben könnte – was auch bis zur Stunde so geblieben wäre, hätte die Nachricht von meiner Vermählung mit einer wohlhabenden Frau[38] sie nicht sogleich nach England getrieben.
Sie hat Ihnen anscheinend erzählt, sie habe Irland damals auf meine ausdrückliche Einladung verlassen ––
Das ist eine handfeste Lüge –– & auch weit entfernt von jeder Wahrscheinlichkeit, da wir nämlich aufgrund der Schilderung, welche sowohl Sie wie Mrs Costobadie[39] mir & meiner Frau von ihrem aufdringlichen & habgierigen Charakter gaben, in beständiger Sorge lebten, sie könnte sich uns aufdrängen. Daß ich hierüber die Wahrheit gesprochen, dafür mag Ihnen der Schritt, den ich in der Folge unternahm, triftiger Beweis sein.
Noch in der nämlichen Stunde, da mich die Kunde von ihrem Eintreffen in Liverpool erreichte, eilte ich zu ihr, um sie daran zu hindern, mir noch näher zu kommen, – blieb drei Tage bei ihr und brachte alle ziemlichen Argumente vor, um sie zu bewegen, nach Irland zurückzukehren & ihre Tage bei ihren Verwandten zu beschließen.
Ich überzeugte sie davon, daß ich, neben den Zinsen aus dem Vermögen meiner Frau, damals nur armselige hundert Pfund hatte, von denen ich meiner schlechten Gesundheit[40] wegen einen Kuraten[41]