Briefe von Frauen, die zu sehr lieben - Robin Norwood - E-Book

Briefe von Frauen, die zu sehr lieben E-Book

Robin Norwood

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Beschreibung

Millionen Frauen haben Robin Norwoods Buch «Wenn Frauen zu sehr lieben» gelesen, geliebt, weiterempfohlen, in die Tat umgesetzt, in ein neues Leben verwandelt, in ein besseres – in ihr eigenes. Tausende von Leserinnen haben der Autorin geschrieben. Auf jedes Schreiben persönlich und hilfreich zu antworten – ein Ding der Unmöglichkeit. Denn: neben dankbaren Zeilen von Betroffenen, die sich in dem Buch wiedererkannt hatten und dadurch auf neue Gedanken, auf neue Gefühle, auf einen neuen Lebensweg gekommen waren – neben diesen Dankesbriefen gab es auch Zeugnisse von Verstrickung und Qual: verzweifelte Hilferufe und Fragen, Fragen, Fragen. Robin Norwood hat aus der bedrängenden Fülle eine exemplarische Auswahl getroffen, Briefe, die eine typische Entwicklung, ein spezielles Problem am genauesten umschreiben, um auf diese menschlichen Dokumente ausführlich und konkret einzugehen. So entstand dieses Buch: 71 Briefe (darunter auch 13 von Männern) werden abgedruckt und von Robin Norwood einfühlsam, kenntnisreich, liebevoll und richtungweisend kommentiert.

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Seitenzahl: 573

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Robin Norwood

Briefe von Frauen, die zu sehr lieben

Betroffene machen Hoffnung

Aus dem Englischen von Jürgen Peter Krause und Karin Petersen

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Millionen Frauen haben Robin Norwoods Buch «Wenn Frauen zu sehr lieben» gelesen, geliebt, weiterempfohlen, in die Tat umgesetzt, in ein neues Leben verwandelt, in ein besseres – in ihr eigenes.

Tausende von Leserinnen haben der Autorin geschrieben. Auf jedes Schreiben persönlich und hilfreich zu antworten – ein Ding der Unmöglichkeit. Denn: neben dankbaren Zeilen von Betroffenen, die sich in dem Buch wiedererkannt hatten und dadurch auf neue Gedanken, auf neue Gefühle, auf einen neuen Lebensweg gekommen waren – neben diesen Dankesbriefen gab es auch Zeugnisse von Verstrickung und Qual: verzweifelte Hilferufe und Fragen, Fragen, Fragen.

Robin Norwood hat aus der bedrängenden Fülle eine exemplarische Auswahl getroffen, Briefe, die eine typische Entwicklung, ein spezielles Problem am genauesten umschreiben, um auf diese menschlichen Dokumente ausführlich und konkret einzugehen.

So entstand dieses Buch: 71 Briefe (darunter auch 13 von Männern) werden abgedruckt und von Robin Norwood einfühlsam, kenntnisreich, liebevoll und richtungweisend kommentiert.

Über Robin Norwood

Robin Norwood, Jahrgang 1945, unterhält als staatlich anerkannte Ehe-, Familien- und Kindertherapeutin eine private Praxis in Santa Barbara, Kalifornien. Sie hat sich sowohl auf die Behandlung von neurotischen Beziehungsmustern als auch von Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Esssucht und Depressionen spezialisiert. Sie lebt in Santa Barbara.

Inhaltsübersicht

Was du in ...DankVorwortEinleitungKapitel 1: Briefe von FrauenKapitel 2: Briefe von Frauen, die ihre Genesung noch vor sich habenKapitel 3: Briefe von Frauen, die mißhandelt werdenKapitel 4: Briefe von Frauen, die sexuell belästigt wurden und/oder sexuell süchtig sindKapitel 5: Briefe von Frauen, die an anderen Abhängigkeiten leidenKapitel 6: Briefe von Frauen, die in Therapie sindKapitel 7: Briefe von Frauen, die an Selbsthilfegruppen für Beziehungssüchtige teilnehmenKapitel 8: Briefe von Frauen, die Fragen, Vorschläge und Beschwerden äußernKapitel 9: Briefe von MännernKapitel 10: Briefe von Frauen, die auf dem Wege der Besserung sindAnhangPraktische HinweiseLiteraturhinweiseRegister

Was du in Jahren nicht ergrübeln kannst, das Ziel «Erkenne dich selbst!», lehrt dich der Liebe Leidenschaft an einem einzigen Tag.

Ralph Waldo Emerson(1803 – 1882), «History»

Dank

Genau wie bei meinem vorigen Buch «Wenn Frauen zu sehr lieben» ist auch das Schreiben dieses neuen Textes wieder eine schwierige Geburt gewesen, bei der mir zwei Frauen unschätzbare Hebammendienste geleistet haben. Zum einen hat meine Lektorin Laura Golden Bellotti, die an der Entstehung und Gestaltung von «Wenn Frauen zu sehr lieben» schon so lebhaft Anteil genommen hatte, auch bei diesem Projekt wieder ihr feines Gespür und ihr großes Talent eingebracht. Obwohl sie sich auf die Geburt ihres eigenen Sohnes vorbereiten mußte und seither von den Pflichten und Freuden einer Mutter ganz in Anspruch genommen wird, hat sie als Lektorin weiterhin eine glückliche Hand gehabt, die mich stets sanft, fest und ermutigend geführt hat. Was für ein Segen, daß ich wieder mit ihr arbeiten durfte!

Zum anderen hat mir Victoria Raye Starr beigestanden. Während sie diese vielen Briefe und meine handschriftlichen Kommentare dazu abtippte, hat sie immer wieder eigene Bemerkungen an die Blätter geheftet und mich mit diesen vielen, vielen Notizzetteln darüber informiert, wie sie ganz persönlich und aufrichtig als Frau mit einer reichen Lebenserfahrung zu dem in diesem Buch behandelten Themenkreis steht. Häufig sah ich mich dann gezwungen, bestimmte Textpassagen im Lichte ihrer treffenden Randbemerkungen und auf Klärung drängenden Fragen noch einmal zu überarbeiten. Die Gespräche mit ihr waren mir eine unschätzbare Hilfe dabei, die in diesem Buch behandelten Themen auch anders zu sehen.

Für etwaige Fehler und Mängel bin ich allein verantwortlich, während diese beiden Frauen unendlich viel zu dem, was an diesem Buch wertvoll ist, beigetragen haben. Dafür bin ich ihnen zutiefst dankbar.

Vorwort

«Na, schreibst du an einem neuen Buch?» bin ich immer wieder gefragt worden, und mir scheint, das fing schon in dem Moment an, als ich «Wenn Frauen zu sehr lieben» abgeschlossen hatte. Meine Reaktion war immer die gleiche. Mir war wie einer frisch entbundenen Mutter zumute, die erschöpft daliegt und sich von einer langwierigen, schweren Geburt zu erholen sucht, und ständig kommen fröhliche Besucher ans Bett und fragen: «Na, und wann kommt das nächste Baby?» Allein die Frage zeigte schon, daß man das ganze Geschehen unterschätzte und für nichts Besonderes hielt, was mich meist etwas sauer reagieren ließ, wie das besagte Mutter vielleicht auch getan hätte: «Also daran will ich jetzt nicht einmal denken!» Insgeheim war ich mir sicher, daß mich keine zehn Pferde dazu bringen würden, die Schmerzen der Geburt noch einmal durchzumachen.

Doch die Saat, aus der dieser zweite Band gewachsen ist, wurde schon mit dem ersten Brief gesät, den ich auf das erste Buch hin erhielt. Sogar schon vor dem offiziellen Erscheinungstermin hatte eine Frau es in die Hände bekommen und gelesen und war davon so betroffen gewesen, daß sie mir einen Brief schrieb, den ich hier ungekürzt wiedergeben möchte.

Liebe Frau Norwood,

noch nie in meinem Leben hat mich ein Buch so berührt, daß ich an den Autor schreiben mußte. Ihr Buch habe ich zufällig entdeckt, als ich eigentlich nach betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern suchte, von denen ich mir Hilfe für mein gerade begonnenes neues Leben versprach. Ich muß sagen, Ihr Buch hat mich tiefbewegt. Es war für mich ein Schlüsselerlebnis, das mich dazu brachte, nach so vielen qualvollen und verworrenen Jahren eine neue, und zwar positive Richtung einzuschlagen. Dessen bin ich ganz sicher. Beim Lesen hatte ich manchmal das Gefühl, dieses Buch sei allein für mich geschrieben worden. Es hatte auf mich eine außerordentlich starke Wirkung. Ich kann mich erinnern, wie ich eines Abends in der Küche auf dem Boden saß und die Buchseiten naß wurden von meinen Tränen. Manchmal mußte ich das Buch zuklappen und beiseitelegen, bis mein Weinen etwas nachließ. Dem Himmel sei Dank für Ihre Klarheit, Ihre Sensibilität und Ausdruckskraft und vor allem für Ihren Entschluß, dieses Buch zu schreiben!

Ich bin mit einem sehr mächtigen Mann verheiratet gewesen. Ich mußte ihn verlassen, um selbst zu überleben – obwohl er mich doch auf seine Art sehr geliebt hat. Dank Ihrer Gabe, das alles so klar aufzuschreiben, erkenne ich jetzt so viel von dem, was zwischen uns abgelaufen ist und was ich bisher nie verstanden habe.

Elizabeth B.

Als ich diesen Brief las, mußte ich weinen. Drei lange, schwere Jahre hatte es gedauert, bis mein Buch «Wenn Frauen zu sehr lieben» das Licht der Welt erblickte. Aber jetzt wußte ich, daß es der Mühe wert gewesen war. Vorher, während mein Buch langsam heranwuchs, hatte es so manche schwierigen Momente gegeben: Leute, die das Verlagsgeschäft weit besser kannten als ich, hatten immer wieder gesagt, mein Buch müsse heiterer, positiver, weniger deprimierend sein und dürfe nicht so sehr auf den Aspekt der Sucht abheben, wenn es sich gut verkaufen solle. Aber ich sah meine Aufgabe darin, das zu schildern, was bei meinen Klientinnen, meinen Freundinnen und Bekannten und bei mir selbst in unseren täglichen Kämpfen mit den Männern unseres Lebens wirklich passierte. Ich wollte zeigen, wie oft süchtige Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit in unseren Erzählungen auftauchen und wie ungeheuer gefährlich es für uns ist, wenn wir in unseren Beziehungen und im Zusammenleben mit Männern weiterhin solchen ungesunden Verhaltensmustern folgen. Und ich wollte klarmachen, welch ein enormes Stück Arbeit vor uns liegt, wenn wir uns dazu entschließen sollten, diese Verhaltensmuster zu ändern. Da ich versucht hatte, das oft qualvolle Leben von Frauen, die zu sehr lieben, ohne Beschönigung zu schildern, war mein Buch nicht das flotte, leicht lesbare Selbsthilfebuch geworden, das einige Leute erwartet hatten. Aber es war genau das Buch, das ich hatte schreiben wollen.

Durch Elizabeth B.s Brief wußte ich, daß mein erstes Buch zumindest einer Frau etwas gegeben hatte. Doch abgesehen davon, daß das Buch offenbar seinen Zweck erfüllte, gab es in Elizabeths Brief noch etwas, das mich innerlich ansprach. Ich wußte nur zu gut, wie das ist, auf dem Fußboden zu hocken und zu weinen – vor Schmerz, Erlösung und Dankbarkeit darüber, daß eine andere Frau ihren eigenen Kampf so ehrlich geschildert hatte, einen Kampf, der in so vielem an meinen eigenen erinnerte. Es war Anfang der siebziger Jahre: Da las ich einen Artikel, in dem die Autorin schilderte, was es in unserer Kultur bedeutet, eine Frau zu sein – aufzuwachen und endlich klar zu erkennen, auf wie vielerlei Art Frauen als Klasse beleidigt werden. Während ich diesen Artikel las, wußte ich, daß ich nicht mehr allein war. Diese Erkenntnis kam wie ein Schock über mich. Hier schrieb eine Autorin so tief und wahrhaftig über das Bedürfnis, über mein Bedürfnis, Augen und Ohren zuzumachen und einfach nichts wahrnehmen zu wollen, um nur den Schmerz, die Wut und die Demütigung nicht spüren zu müssen, die in unserer männerbeherrschten Gesellschaft zum Frausein dazugehören. Aber der Preis, den ich bisher dafür gezahlt hatte, daß ich so viele meiner eigenen Erfahrungen und Reaktionen nicht wahrhaben wollte, war hoch, und so sprach der Artikel in mir den Wunsch an, mir meiner Erfahrung voll bewußt zu werden und alles, was ich erlebte, wirklich zu sehen, zu hören und zu spüren – und nicht länger stillschweigend an meiner eigenen Entwertung mitzuwirken. Das, was für die Autorin jenes Artikels wahr war, traf auch auf mich zu, und durch ihr Beispiel war ich in der Lage, solchen Gefühlen freien Lauf zu lassen, die ich zuvor sogar mir selbst verheimlicht hatte. Ihre Wahrheit hatte mir geholfen, stärker, mutiger und erwachsener zu werden. Als ich nun, über ein Jahrzehnt später, Elizabeths Brief las, konnte ich mich an diesen inneren Wandlungsprozeß von damals lebhaft erinnern. Jetzt hatte mein Buch «Wenn Frauen zu sehr lieben» eine Frau ebenso tief berührt wie damals jener Artikel mich; und an dieser Erfahrung ließ sie mich jetzt teilhaben. So begann ein Austausch zwischen uns, der immer umfassender, immer tiefer und immer erhellender werden sollte.

Diesem ersten Brief folgte sehr schnell eine Lawine von Zuschriften. Brieflich und telefonisch wollten Frauen und auch einige Männer mit mir Kontakt aufnehmen, um mir zu sagen, was ihnen das Buch bedeutete. (Bald sah ich mich wegen der zahllosen Anrufe gezwungen, mir eine neue Telefonnummer zu besorgen, die nicht mehr im Telefonbuch stand.) Sie wollten mir ihr Herz ausschütten, mir von ihren eigenen Erfahrungen erzählen und, sehr häufig, sich bei mir bedanken. Viele suchten aber auch nach Antworten auf spezielle Fragen, oder sie hatten Probleme, auf die das Buch ihnen nicht gründlich genug eingegangen war.

Diese Fragen waren wichtig. Manche hatte ich schon bei meiner Arbeit mit Suchtkranken immer wieder gehört. Andere Fragen bezogen sich auf Punkte, die ich in «Wenn Frauen zu sehr lieben» behandelt hatte, und kamen nicht nur in vielen Briefen vor, sondern auch bei meinen Vortragsveranstaltungen und Seminaren zu diesem Thema. Als die viele Post nicht mehr auf meinem Schreibtisch Platz hatte und so langsam beinahe jede Fläche im Haus von Briefen bedeckt war, und als es für mich zum Problem wurde, alle Schreiben zu beantworten, da mußte ich mir Gedanken machen, wie ich sie möglichst effizient und möglichst individuell beantworten könnte. Obwohl es aus Zeitgründen und schon allein wegen der riesigen Anzahl von Briefen unmöglich war, verspürte ich doch den Wunsch, jeden einzelnen Brief ausführlich zu beantworten – und zwar zum einen aus meiner eigenen Sicht als Frau, die zu sehr geliebt hat (ja, die die meiste Zeit ihres Lebens beziehungssüchtig gewesen ist), und zum anderen aus meiner Sicht als Therapeutin mit meiner langjährigen Erfahrung auf dem Gebiet der Suchttherapie.

Doch ich wußte auch, daß die Menschen, die mir da schrieben, viel mehr brauchen als nur einen Antwortbrief. Sie brauchen sich gegenseitig. Diese Frauen und Männer, die mir so viel von sich mitteilten, müßten eigentlich gegenseitig ihre Geschichten hören, um gemeinsam zu entdecken, welche Rolle ihre Krankheit, ihre Beziehungssucht, bislang in ihrem Leben gespielt hat. Ich wollte ihnen gerne die Möglichkeit verschaffen zu erfahren, wie sehr es das eigene Leben verändern kann, wenn man von anderen, die das gleiche Problem haben, hört, wie es ihnen damit ergeht. Wahrscheinlich haben die meisten noch nie etwas von einer solchen Möglichkeit gehört, oder aber sie haben noch nicht erlebt, wie wirksam diese Methode auch bei der Behandlung von Beziehungssucht ist.

Als Therapeutin und als selber Betroffene bin ich davon überzeugt, daß Selbsthilfegruppen von enormem Wert sind. In solchen Gruppen arbeiten Menschen, die offen und ehrlich miteinander über ein Problem reden wollen, das jeder von ihnen hat. Sie halten sich dabei an einfache Regeln und spirituelle Grundsätze und kommen so ohne äußere Leitung aus. Nach meiner Erfahrung stellen diese Selbsthilfegruppen die stärkste und intensivste Heilquelle dar, die uns überhaupt zur Verfügung steht. Sie bieten die Grundlage, auf der man sich von jeder Art von Sucht befreien kann, sei sie nun körperlich oder verhaltensmäßig begründet. Mit Hilfe einer derartigen Gruppe kann jeder Süchtige auf ein neues, besseres Leben hoffen.

«Briefe von Frauen, die zu sehr lieben» verfolgt demnach einen doppelten Zweck. Zum einen kann ich auf diesem Wege all die vielen Briefe ausführlich beantworten, deren Thematik und Fragestellung gleichgelagert sind. Zum anderen kann ich Menschen, die alle mit dem Problem der Beziehungssucht konfrontiert sind, auf diese Weise die Möglichkeit geben, voneinander zu erfahren, wie sie mit ihrer Sucht umgehen und – falls sie sich von ihr schon etwas haben freimachen können – wie sie diesen Schritt geschafft haben.

Wer aus dem vorliegenden Band einen möglichst großen Gewinn ziehen möchte, sollte zuvor «Wenn Frauen zu sehr lieben» gelesen haben – und zwar langsam, sorgfältig und am besten mehr als einmal. Ich empfehle sehr, das frühere Buch noch einmal zu lesen, ehe Sie mit diesem neuen anfangen. Solange Sie «Wenn Frauen zu sehr lieben» nicht gründlich verarbeitet haben, werden Ihnen diese «Briefe von Frauen, die zu sehr lieben» nicht viel helfen, da sie nicht etwa veröffentlicht werden, um nur die im vorangegangenen Buch entwickelten Gedanken noch etwas weiter auszuführen. Vielmehr soll hier anhand von Fragen und Erfahrungen von Leserinnen (und Lesern) erörtert werden, was es heißt, diese Einsichten in die Tat umzusetzen.

Wenn wir uns einsam und verlassen fühlen, sehnen wir uns nicht einfach nur nach Gesellschaft, sondern nach Menschen, denen es ähnlich geht wie uns. Ich bin überzeugt, daß die «Kummerbriefkästen» der Presse nicht so sehr wegen der Antworten, sondern wegen der Fragen gelesen werden. Wir möchten wissen, daß wir nicht allein sind – daß unter all den anderen Menschen, deren Leben sich nicht vor unseren Augen abspielt, doch auch welche sind, die genauso zu kämpfen haben wie wir. Indem ich dieses Buch schreibe, bin auch ich nicht allein, und dafür bin ich dankbar. So viele von Ihnen haben mir erzählt, was sie durchmachen, und mir dadurch geholfen, meinen eigenen Kampf zu bestehen und mich ins Freie vorzuarbeiten. Und das ist schon all die Jahre so gewesen, in denen ich langsam von meiner eigenen Sucht genesen bin. Durch diese «Briefe von Frauen, die zu sehr lieben» können Sie jetzt, so hoffe ich, wechselseitig an Ihrer aller Lebensgeschichten Anteil nehmen.

Ihnen allen ist dieses Buch gewidmet.

Einleitung

Die Briefe, die in diesem Buch abgedruckt sind, existieren wirklich und werden hier mit Genehmigung der jeweiligen Verfasser/innen wiedergegeben. Viele der Schreiber/innen, deren Briefe hier zitiert werden, haben darin auch zum Ausdruck gebracht, wie dankbar sie für das sind, was «Wenn Frauen zu sehr lieben» ihnen gegeben hat. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird dieser Briefteil im folgenden allerdings nicht mitabgedruckt. Außerdem sind die Briefe geringfügig bearbeitet worden, um sie an manchen Stellen klarer zu machen und um die Anonymität der Verfasserinnen zu gewährleisten.

Die Briefe und meine Antworten sind – wie könnte es anders sein – in Kapitel eingeteilt worden, die sich jeweils mit einem bestimmten Thema befassen. Etliche Briefe enthalten jedoch eine Vielzahl von Fragen und Problemen. Suchtkrankheiten, zu denen auch die Beziehungssucht gehört, überschneiden sich im wirklichen Leben oft, und das kommt folglich auch in den Briefen zum Ausdruck. So kann es etwa sein, daß in einem einzigen Brief die Themen Alkoholismus und Co-Alkoholismus, sexuelle Abhängigkeit, Inzest, Eßzwang und Genesung zur Sprache kommen. Von daher muß jede Einteilung dieser Briefe willkürlich sein. Erwarten Sie deshalb bitte nicht, daß der Inhalt eines bestimmten Briefes genauso eng gefaßt oder eindeutig ist, wie die jeweilige Kapitelüberschrift vielleicht vermuten läßt.

Beim Beantworten der Briefe kommt mir meine fünfzehnjährige Erfahrung aus der Arbeit mit Suchtkranken sowie meine eigene Betroffenheit zugute, denn auch ich habe fast mein ganzes Leben lang zu sehr geliebt, kann aber inzwischen dankbar auf sieben Jahre der Genesung zurückblicken. Das heißt jedoch keineswegs, daß meine Antworten «richtig» sind. Es sind eben meine Antworten und also unvollkommen, subjektiv und nicht frei von Vorurteilen. Ich versuche nie, absolut umfassende Antworten zu geben. Ich beantworte jeden Brief vielmehr unter dem Blickwinkel der Sucht als Krankheit, und in jeder Entgegnung oder Anmerkung kommen meine festen Ansichten darüber zum Ausdruck, wie eine Therapie auszusehen hätte. Zu diesen Ansichten bin ich erst im Laufe vieler Jahre gelangt, in denen ich Fehler gemacht und daraus gelernt habe. Vielleicht gefällt Ihnen unter Umständen die eine oder andere meiner Antworten nicht; mit manchem mögen Sie nicht einverstanden sein. Ich gebe gerne zu, daß auch andere Antworten möglich sind, die vielleicht hilfreicher, verständnisvoller oder sachbezogener wären als die, die Sie in diesem Buch kennenlernen. Jede von uns wird diese Briefe mit ihren Augen und ihrem Herzen lesen, so wie wir das bei einer Serie von Rorschach-Tintenklecksen täten, bei deren Interpretation unsere individuelle – durch unsere unverwechselbare eigene Lebensgeschichte gefärbte – Wahrnehmung entscheidend ist. Beim Lesen fließen unsere eigenen Erfahrungen mit ein; die Briefe spiegeln unsere eigenen Projektionen. Deshalb wird jede von uns in ihnen natürlich etwas anderes sehen und dabei etwas anderes empfinden. Ich glaube sowieso, daß meine Kommentare gar nicht so wichtig sind. Was zählt, sind die Briefe selbst mit ihren schmerzvollen und ergreifenden Stellen, ihren Lernschritten, Rückschlägen, Fortschritten und manchmal sogar ihren Triumphen.

Wir alle suchen Lösungen für unsere Fragen, unsere Ängste und Zweifel und unser Ringen mit Problemen. Aber letztlich erhalten wir die Antworten nicht durch Ratschläge, die uns jemand gibt, sondern durch dessen persönliches Beispiel und unseren eigenen Einsatz; wir müssen unser Leben wirklich verändern wollen. Der Weg zur Genesung fällt uns leichter, wenn wir uns auf einen Pfad begeben, den schon andere beschritten haben und beschreiten, die mit den gleichen Problemen konfrontiert sind und die gleichen Ängste, Zweifel und Kämpfe kennen, die dabei aber ihren Weg nicht aus den Augen verlieren. Wenn wir von anderen hören, wie es ihnen dabei ergeht, welche Fehler sie machen und welche Siege sie erringen, dann hilft uns das, auch unseren eigenen Weg zu finden.

Darüber hinaus muß ich betonen, daß der vorliegende Band keinesfalls eine allgemeine Abhandlung über die Liebe sein soll oder darüber, wie man den richtigen Mann findet oder wie man es am besten anpackt, damit eine Beziehung klappt. Ganz im Gegenteil, genau wie «Wenn Frauen zu sehr lieben» habe ich dieses Buch in erster Linie für heterosexuelle Frauen geschrieben, die beziehungssüchtig sind. Es soll Frauen helfen, die mit ihrem Leben immer weniger zurechtkommen, entweder weil sie auf einen langjährigen Partner oder auf ihre neueste Eroberung völlig fixiert sind oder aber – wenn eine Beziehung gerade zu Ende gegangen ist –, weil sie wie besessen nach einem neuen Mann suchen und bei alldem zunehmend Kräfte lassen. Wenn ich das Thema dieses Buches solchermaßen eingrenze, will ich damit nicht behaupten, daß nur heterosexuelle Frauen beziehungssüchtig werden können, denn das ist keineswegs der Fall. Auch viele heterosexuelle Männer entwickeln in ihren Beziehungen eine suchtartige Abhängigkeit, und ebenso ist für zahlreiche homosexuelle Paare die Beziehungssucht ein nicht zu übersehendes Thema. Ich habe beschlossen, mich auf heterosexuelle Frauen zu konzentrieren, weil ich das, was sie bei ihrer Beziehungssucht durchmachen, sowohl persönlich als auch beruflich am besten verstehe.

Obwohl dieses Buch hauptsächlich Briefe von Frauen enthält, die sich in ihren Beziehungen mit Männern verzehren, umfaßt es auch Briefe von homosexuellen Männern und Frauen, von heterosexuellen Männern, von Eltern, die zu sehr auf ihre Kinder, und von Kindern, die zu sehr auf ihre Eltern fixiert sind. Ich hoffe, daß «Briefe von Frauen, die zu sehr lieben» all diesen Gruppen etwas geben kann und auch Wertvolles für diejenigen enthält, die zwar nicht gerade eine suchtartige, aber auch keine ganz problemlose Beziehung haben. Dennoch wendet sich der Text in erster Linie an Frauen, deren geistige und körperliche Gesundheit entweder in Gefahr ist oder bereits gelitten hat, deren Arbeitsfähigkeit potentiell oder tatsächlich beeinträchtigt ist, die sehr wahrscheinlich Geldprobleme haben, die ihre Kinder, Freundinnen und andere Familienmitglieder sowie ihre anderen Interessen vernachlässigen oder mißachten, die potentiell oder tatsächlich selbstmordgefährdet sind – die in ihrer Abhängigkeit von Männern und von dem, was sie selbst «Liebe» nennen, mit den Jahren krank und kränker werden.

Wie ich bereits in «Wenn Frauen zu sehr lieben» gesagt habe, betrachte ich Beziehungssucht als einen definierbaren, diagnostizierbaren und therapierbaren Krankheitsprozeß, der deutliche Ähnlichkeiten mit anderen Suchtkrankheiten wie Alkoholismus und Eßzwang aufweist. Genau wie diese anderen Suchtkrankheiten schreitet auch die Beziehungssucht immer weiter fort (das heißt, sie verschlimmert sich), solange sie nicht behandelt wird, spricht aber umgekehrt auch auf eine spezielle, die körperlichen, emotionalen und geistigen Komponenten berücksichtigende Therapie an. Es ist meine Überzeugung, daß eine Therapie, die einen dieser Aspekte vernachlässigt, sich im Laufe der Zeit als unwirksam erweisen wird.

All das mußte gesagt werden, damit die kompromißlose Methode, die ich auf dem Weg zur Genesung für erforderlich halte, nicht auf Unverständnis stößt. Die wirksamste Methode, um sich von einer Sucht zu befreien, ist diejenige, die von den Gruppen der Anonymen (Alkoholiker, Eßsüchtigen und so weiter) angewendet wird, und dieser Ansatz ist meines Erachtens auch der beste, um von einer Beziehungssucht loszukommen. Sie ist die einzige Methode, die ich persönlich empfehlen kann.

Kapitel 1: Briefe von Frauen

Liebe Robin Norwood,

ich habe Ihr Buch gehaßt.

Ich habe «Wenn Frauen zu sehr lieben» gehaßt.

Ich habe dieses Buch so sehr gehaßt, daß ich

Monate gebraucht habe, um es zu lesen.

Manchmal habe ich am Tag nur eine Seite lesen können.

Ich habe die Frauen gehaßt, über die Sie geschrieben haben. Ich habe die Geschichten gehaßt.

Ich habe Ihre Kommentare gehaßt.

Und dann hatte ich das Buch durchgelesen.

 

Und dann

 

– habe ich mit einer Gruppentherapie angefangen;

– habe ich zum erstenmal in meinem Leben darüber geredet, daß ich sexuell mißbraucht worden bin;

– habe ich mit meinen Freßorgien aufgehört;

– habe ich eine neue Arbeit angenommen;

– habe ich zum erstenmal (ich bin dreiunddreißig) mein Geld eingeteilt und meine Ausgaben geplant;

– habe ich ein neues Leben angefangen.

 

Früher war ich verrückt und nicht zu bremsen. Ich bin 1,60 Meter groß und habe 90 Pfund gewogen, weil ich soviel gefuttert und gleichzeitig Abführmittel geschluckt habe. Jetzt kann ich mir keinen Tag vorstellen, an dem mich «Wenn Frauen zu sehr lieben» nicht begleitet. Ich habe es auf dem Eßtisch liegen, und ein zweites Exemplar liegt in meiner «Privatschublade» im Büro.

Ich danke Ihnen.

Wendy D.

***

Wendys Brief spricht meiner Meinung nach so ziemlich alles an. Wenn wir unser Leben ändern wollen, reicht es niemals, einfach nur ein Buch zu lesen, wie tief es uns auch berührt. Im besten Falle kann ein Buch ein Wegweiser sein – ein Pfeil, der die Richtung anzeigt, die wir einschlagen müssen. Es liegt bei uns, ob wir unsere Schritte in diese Richtung lenken wollen. Aber Wendys Brief erinnert an einen sehr wichtigen Punkt. Wann beginnt eigentlich der Gesundungsprozeß? Wodurch fängt man an, sich von einer Sucht zu befreien?

Der Gesundungsprozeß beginnt, wenn wir uns wie Wendy entschließen, die Energie und Mühe, die wir bisher auf unsere Krankheit(en) ver(sch)wendet haben, statt dessen auf unsere Genesung zu konzentrieren. Wendy wird viel Zeit, Arbeit und Durchhaltevermögen brauchen, um sich von ihrer Sucht zu befreien, aber auf der anderen Seite hat ihre Sucht sie ja auch eine ganze Menge gekostet. Deshalb hat sie sich entschlossen, vor nichts zurückzuschrecken und alles zu tun, um gesund zu werden – und sie entschließt sich dazu jeden Tag aufs neue. Damit hat ihr Gesundungsprozeß begonnen, und er wird weiter anhalten, solange sie diesen Entschluß immer wieder aufrechterhält.

Wo setzen diejenigen von uns an, die den ersten Schritt auf dem Weg zur Genesung von der Beziehungssucht noch vor sich haben? Wir fangen damit an, daß wir die Bereitschaft entwickeln, die Energie und Mühe, die wir bisher darauf verwendet haben, jemand anderen ändern zu wollen, nun darauf zu konzentrieren, uns selbst zu ändern. Unsere ersten Schritte in diese neue Richtung sind nicht unbedingt leicht und schnell und erscheinen anfangs vielleicht als sehr klein, aber wir müssen lernen, sie wichtig zu nehmen. Auf dem Weg zur Genesung ist keiner unserer Schritte wirklich klein, denn jeder einzelne ändert die Ausrichtung unseres gesamten Lebens.

Der nächste Brief liefert ein gutes Beispiel, wie ein solcher erster Schritt auf dem Wege zur Genesung aussehen könnte. Daß die Frau diesen kleinen Schritt unternimmt und keinen Rückzieher macht, wird sich auf den Rest ihres Lebens auswirken. Sie hat angefangen, sich zu ändern.

Liebe Robin Norwood,

dem Valentinstag habe ich immer voller Hoffnung entgegengesehen und ihn gleichzeitig gefürchtet, da ich Angst davor hatte, wieder einmal enttäuscht zu werden, weil niemand an mich gedacht hatte.

Vor zwei Tagen hatte ich gerade die ersten dreißig Seiten von «Wenn Frauen zu sehr lieben» gelesen. In meiner Schreibtischschublade lag eine Valentinskarte – süß und vielsagend – an einen Mann, der sich im Grunde genommen schon mehrere Wochen lang um unsere Beziehung überhaupt nicht gekümmert hat. Diese Karte nicht abzuschicken, scheint bloß eine Kleinigkeit zu sein, und doch wäre dies das erste Mal, daß ich mich bewußt entschieden hätte, keine Energie für einen Mann und für eine Beziehung mehr aufzuwenden, die nicht auf Gegenseitigkeit beruht.

Ich habe das Buch noch nicht zu Ende gelesen. Ja, es fällt mir tatsächlich schwer, es zu lesen, weil es so klar anspricht, warum ich eine gescheiterte Beziehung nach der anderen gehabt habe. Vielleicht könnte das endlich ein Ansatzpunkt sein, um mich zu befreien.

Die Karte habe ich immer noch. Ich werde sie nicht abschicken. Vielleicht wird der Geschenktag mein Gedenktag.

Thea P.

Damit Theas Gesundungsprozeß weiter voranschreitet, ist es erforderlich, daß sie einem Mann, der an ihr kein Interesse hat, nicht nur keinen Liebesgruß schickt, sondern daß sie auch etwas Schönes für sich tut, um die solchermaßen entstandene Leere auszufüllen. Wir können ein Suchtverhalten nicht einfach beenden, ohne an seine Stelle ein anderes (hoffentlich positiveres) Verhalten zu setzen. Sonst wird sich das Suchtverhalten nur um so stärker melden. Das liegt wohl daran, daß die Natur ein Vakuum im Bereich des menschlichen Verhaltens und der Gefühle genausowenig ertragen kann wie in der Physik.

Da Thea das, was sie sich bislang die ganze Zeit von jemand anderem ersehnt hat, nicht nur empfangen, sondern auch geben kann, muß sie nicht – innerlich leer – warten, bis endlich ein Mann kommt und ihr Leben mit Freude und Liebe erfüllt. Sie kann sich selbst Liebe geben, wenn sie nur will. Je liebevoller und großzügiger sie zu sich selbst ist, desto weniger wird sie zulassen, daß jemand anders schlecht oder gleichgültig mit ihr umgeht.

All das ist leicht einzusehen, aber nicht so leicht auszuführen, denn nichts ist so schwer zu verändern wie die Art unseres Denkens, Fühlens und Handelns – vor allem mit Blick auf uns selbst. Thea gibt zu, daß sie «Wenn Frauen zu sehr lieben» noch nicht zu Ende gelesen hat, weil es ihr so unangenehm ist, sich ihr eigenes Verhaltensmuster in Beziehungen vor Augen zu führen. Doch wenn wir von einer Sucht loskommen wollen, müssen wir uns ändern, und das ist nur möglich, wenn wir uns als erstes unser Verhalten bewußt machen. Wir müssen bereit sein, uns unser Leben offen und ehrlich anzusehen – und das erfordert Mut. Wir müssen bereit sein zuzugeben, daß wir nicht vollkommen sind, daß wir Hilfe brauchen und daß wir es nicht allein schaffen – und das erfordert Demut. Mut und Demut sind unbedingt erforderlich, damit der Gesundungsprozeß in Gang kommen kann.

In dem folgenden Brief wollen wir sehen, was nötig ist, damit der einmal in Gang gekommene Gesundungsprozeß auch weiter anhält.

Liebe Robin Norwood,

meine Eltern haben ein Alkoholproblem, und obwohl ich weder Alkohol trinke noch Drogen nehme, ist mir jetzt aufgegangen, daß auch ich süchtig bin, und zwar süchtig nach selbstzerstörerischen Männern. Durch Drohungen, verführerisches Verhalten, Lob, Predigten und alle möglichen anderen scheinbar erfolgversprechenden Manipulationsmethoden habe ich versucht, die drei Männer, mit denen ich zusammengelebt habe, in meinem Sinne zu beeinflussen.

Ich sehe jetzt, daß ich genauso selbstzerstörerisch bin wie sie, weil ich mir anscheinend immer nur die bedürftigen Männer aussuche, denen irgend etwas fehlt. Bei Männern, die gesund und tüchtig sind, läßt mein Interesse immer bald nach.

Mein jetziger Freund hat mich gerade von der Kaserne aus angerufen. Er muß fünfundvierzig Tage Arrest absitzen, weil man ihn mit Marihuana erwischt hat. Er meint, das werde ihm eine Lehre sein und er werde sich ab sofort nie wieder in Schwierigkeiten bringen. Ich habe ihm gesagt, wie gern ich das höre. Und ich hoffe wirklich, er nimmt sich in acht. Mir ist klar geworden, daß ich nur auf mich selbst achtgeben kann, und in ein paar Tagen werde ich zu meinem ersten Selbsthilfegruppen-Treffen gehen.

Ich weiß nicht, ob er und ich je wieder zusammenkommen werden, und das ist eigentlich auch gar nicht wichtig, denn ich lerne gerade, mit mir allein zurechtzukommen.

Viele Grüße von einer, die dabei ist, sich von ihrer Männersucht zu befreien.

Britt J.

An Britt können wir beispielhaft das erste Genesungsstadium von einer Beziehungssucht erkennen: Sie macht sich von dem Problem ihres Freundes frei, konzentriert sich statt dessen auf ihr eigenes ungesundes Verhaltensmuster und holt sich äußere Hilfestellung, um dieses zu ändern. Ob sie über dieses erste Stadium hinauskommt, hängt davon ab, wie konsequent sie weiter an ihrer eigenen Genesung arbeitet. An den anderen hier abgedruckten Briefen von Beziehungssüchtigen werden Sie sehen, daß es keine bestimmte Schmerzschwelle gibt, jenseits derer ein Mensch sich auf jeden Fall aus vollem Herzen um seine Gesundung kümmert. Manche lassen sich sogar von einem unglaublichen Maß an persönlicher Demütigung und Erniedrigung nicht dazu bringen zu kapitulieren; und ohne Eingeständnis der eigenen Niederlage kann es zu keiner Gesundung kommen. Ähnlich wie ein zwanghafter Spieler, der mit dem Spielen nicht aufhören kann, weil er schon so viel verloren hat, benutzen auch diese Beziehungssüchtigen ihre Erniedrigung, um ihre immer verzweifelteren Versuche zu rechtfertigen, einen anderen Menschen zu kontrollieren und eine immer schlimmer werdende Situation noch zu retten. Mit anderen Worten: manche Menschen werden als Folge ihrer sich verschlimmernden Beziehungssucht immer kränker. Andere hingegen erreichen irgendwann den Tiefstpunkt und sind dann zumindest vorübergehend bereit, alles Erforderliche zu tun, um nur gesund zu werden.

Manchmal ist es schwer zu verstehen, wie es sein kann, daß ein Mensch zwar die zerstörerische Kraft der Sucht in seinem Leben erkennt und für eine Weile auch bereit ist, dagegen anzugehen, später diese Bereitschaft aber wieder völlig aufgibt. Doch so ist es in der Mehrzahl der Fälle. Deshalb muß zwischen drei Phasen der Genesung oder Gesundung unterschieden werden: Zuerst muß man den Krankheitsprozeß erkennen, der sich im eigenen Leben abspielt (das kann durch ein Buch wie «Wenn Frauen zu sehr lieben» geschehen); als nächstes gilt es, die Bereitschaft zu entwickeln, diese Krankheit als die lebensbedrohende Sucht, die sie ist, anzugehen (indem man zu einer der Anonymen-Gruppen geht, die sich mit dem betreffenden Suchtproblem befaßt); und schließlich gilt es, die eigene Gesundung täglich aufs neue zur persönlich wichtigsten Angelegenheit zu machen (indem man regelmäßig an den Gruppensitzungen teilnimmt und täglich liest und betet). So schwer es auch ist, die eigene Genesung in Gang zu setzen, so ist das doch nur ein erster Schritt und keine Garantie dafür, daß die Gesundung zwangsläufig weiter voranschreitet. Viele Alkoholiker schaffen es zwar, trocken zu werden, aber nur einem geringen Teil von ihnen gelingt es, dauerhaft trocken zu bleiben. Und ebenso gelingt es nur einem kleinen Teil von Beziehungssüchtigen, nach den ersten Schritten zur Gesundung auch weiter durchzuhalten.

Es ist ein unerklärliches Merkmal jeder Art von Sucht und jedes Typs von Süchtigen, daß auch bei noch so großer Erfahrung und noch so vielseitigem Fachwissen kein Mensch vorhersagen kann, wer nun von einer bestimmten Sucht loskommen wird und wer nicht. Alles, was sich mit einiger Sicherheit sagen läßt, ist, daß die meisten Süchtigen es nicht schaffen werden. Und dennoch wird es denjenigen, die sich jeden Tag aufs neue nichts sehnlicher wünschen als gesund zu werden und das zu ihrem Hauptanliegen machen, schließlich doch gelingen – langsam, Schritt für Schritt und häufig mit Hilfe anderer Menschen, die den gleichen Kampf durchgestanden haben und ihnen Anleitung und Unterstützung geben können.

Um den Gesundungsprozeß in Gang zu halten, müssen wir zu den genannten Voraussetzungen (Bereitschaft, Mut und Demut), die so notwendig für das Ingangsetzen des Prozesses sind, zusätzlich zwei weitere Eigenschaften entwickeln: die Fähigkeit zu rückhaltloser Aufrichtigkeit und Selbsterforschung und das Vertrauen in eine Macht, die größer ist als wir. Diese Höhere Macht braucht gewiß nicht dem zu entsprechen, was irgendein anderer Mensch in ihr sieht oder gerne in ihr sähe. Man kann sie «Gott» nennen. Sie kann aber auch ohne Namen sein. Man kann sie genausogut in einer Selbsthilfegruppe wie in einer Kirche oder einem Tempel finden. Sie ist ein höchst persönliches, individuell formuliertes Prinzip und – wenn man sie anruft – eine unerschöpfliche Quelle der Kraft und des Trostes.

Cecilias Brief zeigt beispielhaft, wie sehr wir diese Quelle der Kraft brauchen, wenn wir durch den unser Leben verändernden Gesundungsprozeß neu geformt werden.

Liebe Robin,

ich möchte Ihnen schreiben, wie es mir ergangen ist, seit ich vor zwei Jahren Ihr Buch gelesen habe. «Wenn Frauen zu sehr lieben» hat mir die Augen dafür geöffnet, daß ich aus einer Alkoholikerfamilie komme und daß diese Krankheit wirklich die ganze Familie betrifft. Ich bin zu ein paar Al-Anon-Treffen gegangen und habe angefangen, mich selbst und mein Entscheidungsverhalten viel besser zu verstehen. Ich hatte das Gefühl, «geheilt» zu sein.

In Wahrheit war es erst der Anfang.

Ich habe früh geheiratet und eine unglückliche Ehe geführt. Danach kam eine (katastrophale!) Affäre mit einem Mann, der ein langes und häßliches Vorstrafenregister hatte. Aber mit dem, was ich inzwischen gelernt habe, bin ich nun vor kurzem in der Lage gewesen, eine für mich gesündere Wahl zu treffen. Ich habe wieder geheiratet, diesmal jedoch einen wunderbaren Mann, der mich auf Händen trägt. Ab und zu werde ich ärgerlich, wenn er mir sagt, daß er mich liebt. Manchmal fange ich auch einen Streit an. Ich fühle mich wohler, wenn ich zornig bin. Ich kann noch nicht einfach zulassen, daß ich geliebt werde.

Ein Erlebnis aus meiner Vergangenheit ist jahrelang wie verschüttet gewesen. Mit Gottes Hilfe habe ich mich jetzt kürzlich daran erinnern können. Als vor fünf Monaten die Erinnerung daran wieder hochkam, dachte ich zuerst, ich müßte sterben, so weh tat es. Ich habe mich daran erinnert, daß mein Vater sich an mir vergangen hat, als ich vier war. Als ich mir das schließlich eingestehen konnte, ergab für mich auf einmal so vieles einen Sinn. Ich habe meine Mutter nie leiden können; sie hat mir dauernd leid getan. Aber jetzt habe ich angefangen, sie zu verstehen. Natürlich hat sie getrunken. Was hätte sie sonst tun sollen? Der Wahrheit ins Auge sehen? Wohl kaum. Sie hätte sich damit an keinen anderen Menschen wenden können.

Ich habe schon so lange in einem Zustand des Verleugnens gelebt. Ich möchte Ihnen schreiben, wie stark es sich auswirkt, wenn die Wahrheit geleugnet wird. Als bei mir die Erinnerungen an die wahren Umstände meiner Kindheit hochkamen, hat sich das auf mich körperlich ausgewirkt. Ich bekam «Herzanfälle», bei denen mir die Brust weh tat und ich das Gefühl hatte, bewußtlos zu werden. Ich habe einen EKG-Belastungstest gemacht, und der Arzt sagte mir, es gebe keinerlei organische Anzeichen dafür, daß ich Herzprobleme hätte. Ich hätte im Gegenteil ein sehr kräftiges Herz. Daran lag es also nicht. Aber die panikartigen Anfälle kehrten ständig wieder, selbst wenn ich nicht an meinen Vater oder meine Mutter dachte. Ich versuchte immer noch, alles zu verdrängen. Ich wollte mich nicht daran erinnern. Ich wollte es nicht wissen. Ich hatte das Gefühl, alles, was ich von meiner Familie geglaubt hatte, sei eine einzige Lüge. Ich bin fast verrückt geworden. Bei uns zu Hause hat man gelernt zu lügen, auch wenn die Wahrheit gar nicht zu übersehen war. Nun konnte ich mich an nichts mehr halten, konnte nichts mehr glauben.

In dieser schrecklichen Zeit hat Gott mich so sanft und liebevoll wie möglich gebeten, nicht mehr zu trinken. In meinem Kummer über die Verrücktheit meiner Eltern hatte ich zu einem sehr feinen Pinot noir gegriffen, um den Schmerz zu bekämpfen. Ich hatte längst beschlossen, niemals so zu werden wie meine Eltern, und merkte gar nicht, daß ich genauso eine Alkoholikerin war wie die beiden. Jetzt bin ich dankbar, daß ich vom Alkoholismus erlöst worden bin, den es bei uns schon seit drei oder mehr Generationen in der Familie gegeben hat.

Das Trinken ist für mich eine Art Schutz gewesen, der mir jetzt abgeht. Neben Sarkasmus, unfairem Verhalten und ständiger Wut ist der Alkohol für mich ein weiteres Mittel gewesen, um den Schmerz in mir nicht mehr spüren zu müssen. Nun hat Gott mich gebeten, auch diese anderen Taktiken aufzugeben.

Während der ganzen Zeit hatte ich Herzstolpern, und drei- bis viermal in der Woche bekam ich Migräne. Weil ich den Wunsch hatte, meine Vergangenheit zu verleugnen, machte mein Körper einen inneren Krieg durch, und ich wurde davon matt und traurig.

In letzter Zeit habe ich viel geweint, während ich das früher als Kind nie konnte. Es hat mir angst gemacht, die innere Tür zu meinen Tränen und meinem Kummer aufzustoßen. Manchmal war es, als ob ich nie mehr aufhören könnte zu weinen.

Ich schreibe Ihnen, Robin, weil ich meine, daß es für Sie wichtig ist zu wissen, was manche Leute unter Umständen durchmachen, wenn sie Ihr Buch lesen. Die Schmerzen, die man bei einer wirklichen Veränderung erlebt, sind das Qualvollste, was ich bisher kennengelernt habe und hoffentlich nie wieder durchmachen werde. Sie sind nicht schlagartig über mich gekommen und gehen jetzt auch nicht einfach über Nacht wieder weg. Wahrscheinlich werde ich viele Jahre und Gottes Liebe brauchen, um mit diesem verheerenden Familiengeheimnis fertig zu werden, es akzeptieren zu lernen, diese Wunde heilen zu lassen und allen Beteiligten zu verzeihen. Es ist ein sehr hartes Stück Arbeit, und es kostet mich eine Menge Energie, mir das alles wirklich vor Augen zu führen. Aber wenn ich die Augen davor verschließe, kostet es mich noch viel mehr Energie.

Ich möchte, daß die anderen Menschen das erfahren.

Mir geht es im Moment sehr gut. Das, wovon ich geschrieben habe, tut mir weh, es bringt mich zum Weinen, und es heilt auch. Ich versuche nicht mehr dieses «Aber sie hat ja wieder geheiratet!»-Image zu verbreiten und bin langsam etwas weniger auf die Anerkennung aller möglichen anderen Leute angewiesen. Ich stecke mir realistische Ziele und gebe mir liebevoll gesetzte Grenzen. Ich muß nicht mehr jeden angeknacksten Menschen retten, der mir zufällig über den Weg läuft. Ich finde es immer mehr okay, zuerst an mich zu denken. Ich finde es sogar langsam okay, geliebt zu werden!

Ich habe immer geglaubt, daß ich einfach geliebt werden wollte, und dabei habe ich mir in Wirklichkeit nur Menschen ausgesucht, die nicht fähig waren, mich zu lieben. Diesmal habe ich besser gewählt, und ich lerne jetzt, stillzuhalten und diese Liebe anzunehmen.

Gott hat mich in so kurzer Zeit so viel gelehrt, und er hat mir gesagt, daß er auch auf dem übrigen Weg meine Hand halten wird, egal wie lange das dauert. Die Migräne und die Herzschmerzen lassen jetzt nach. Ich akzeptiere, was mit mir geschehen ist, und wenn ich es brauche, trauere ich über meine verlorene Kindheit.

Mein wundervoller Mann stützt und hält mich und versteht sogar, warum es mir so schwerfällt, seine liebevolle Zuwendung anzunehmen. Ich sehe, daß er mit mir zu kämpfen hat, und ich wünschte, wir hätten es schon hinter uns und ich wäre gesund – auch um seinetwillen. Wie Sie sehen, war Ihr Buch nur der Anfang – ein sehr hilfreicher, sanfter, liebevoller Anfang …

Cecilia

Wenn es leichter und angenehmer wäre, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, dann würden wir dazu vielleicht nicht die Hilfe einer Macht brauchen, die größer ist als wir. Wie Cecilias Brief zeigt, kann es jedoch schrecklich weh tun, wenn wir uns selbst und unser Leben offen und ehrlich ansehen. Das kann so schmerzhaft sein, daß die meisten von uns nicht die Kraft aufbringen, sich dieser Aufgabe zu stellen.

Auch ein Mensch, der keinen Glauben hat und keinen haben will, kann den Versuch unternehmen, gesund zu werden, aber für ihn ist es schwieriger. Er wählt den schwereren Weg zur Genesung – etwa so, als würden Sie einen steilen Pfad hinaufgehen, rückwärts, in hochhackigen Schuhen. Ihr Ziel würden Sie vielleicht schon erreichen, aber es gibt eben eine schnellere, wirksamere, weniger anstrengende Möglichkeit, dort hinzugelangen. Menschen können erstaunlich schnell einen Glauben entwickeln, wenn sie nur bereit dazu sind – das heißt, wenn sie bereit sind, so zu handeln, als wäre im Universum eine Intelligenz am Werk, die größer ist als die menschliche. Nichts, gar nichts ist aber eine persönlichere Angelegenheit, als die Suche nach einem Glauben, und keiner kann einem anderen sagen, wie er danach suchen soll. Jeder Mensch entdeckt seinen Gott allein und in der Stille.

***

Es hätte keinen Sinn, Briefe von Frauen, die zu sehr lieben, zu sammeln, wenn diese Briefe nicht der Gesundung all derer, die sie lesen, förderlich sein könnten. Die Genesung von der Beziehungssucht ist jedoch eine weit subtilere, weniger leicht definierbare Leistung als die Genesung von den meisten anderen Suchtkrankheiten wie etwa Alkoholismus, Verschwendungssucht, Spielsucht und sogar Eßsucht. Beim Lesen dieses Buches werden Sie sich immer selbst eine Meinung dazu bilden, worin die Genesung von der Beziehungssucht besteht, was ihr förderlich und was ihr hinderlich ist und warum es bei einigen Menschen mit der Genesung klappt, bei anderen aber nicht. All diese Fragen und die dazugehörigen Antworten werden für Sie von großer Bedeutung sein, wenn Sie selbst von Ihrer Abhängigkeit loskommen wollen.

Thea und Britt fangen gerade an, erste Schritte hin zur Genesung zu erkunden. Wendy und Cecilia sind auf ihrem Weg schon ein gutes Stück vorangekommen, denn die Schritte, die sie um ihrer Heilung willen unternommen haben und unternehmen, sind inzwischen zu einem festen Bestandteil ihres täglichen Lebens geworden. Aber jeder Mensch muß für sich allein entscheiden, ob er sich auf diese Reise begeben will, und auch, ob er sie dann fortsetzen will. Nichts und niemand kann uns diese Entscheidung abnehmen. Wir müssen – wie Wendy – Mut und Demut entwickeln, um die ersten notwendigen Schritte zu unternehmen, und dann – wie Cecilia – Ehrlichkeit aufbringen und eine Quelle spiritueller Kraft und Hilfe finden, um uns den Anforderungen stellen zu können, die uns auf unserem Weg erwarten.

In den folgenden Kapiteln schildern Frauen (und Männer) die «Wenn Frauen zu sehr lieben» gelesen haben, ihr Leben, ihre Situation, ihre Beziehungssucht und sehr häufig auch ihre anderen Süchte. Genau wie bei den vier bisher zu Wort gekommenen Frauen werden wir auch von den übrigen ab und zu hören, welche konkreten Schritte sie unternommen haben, um ihre Genesung einzuleiten und weiter voranzutreiben. Diejenigen von Ihnen, die sich gerade auf den gleichen Weg machen, können aus den geschilderten Schritten und Fortschritten von Menschen, die schon auf dem Wege der Besserung sind, hoffentlich Inspiration und Anleitung schöpfen.

Kapitel 2: Briefe von Frauen, die ihre Genesung noch vor sich haben

Die Wurzeln einer Beziehungssucht lassen sich immer bis zu seelischen Traumatisierungen in der Kindheit zurückverfolgen (Verlust, Leiden, mißhandelt, mißbraucht oder verlassen werden). Aus diesen traumatischen Erfahrungen haben sich dann die späteren Beziehungsmuster entwickelt. Diese schrecklichen Erlebnisse sind in ihren konkreten Einzelheiten bei allen Menschen verschieden, und genauso unterschiedlich sind die suchthaften Verhaltensweisen, die vom einzelnen entwickelt werden und später beim Erwachsenen als Beziehungssucht zu Tage treten. Frauen aus Familien, in denen Gewalttätigkeiten an der Tagesordnung sind, neigen zum Beispiel dazu, sich einen gewalttätigen Partner zu suchen. Frauen aus Alkoholikerfamilien suchen sich häufig einen (drogen- oder alkohol-)süchtigen Partner und so weiter. Eine Dynamik läuft bei der Beziehungssucht jedoch immer ab: Es besteht der unbewußte Drang, den in der Vergangenheit erlebten Kampf in der Gegenwart zu wiederholen, um nun siegreich daraus hervorzugehen. Einfacher gesagt, geht es dabei um den inneren Zwang, das Spiel noch einmal zu spielen und diesmal zu gewinnen. Aus dem Bemühen, das zu bezwingen, was uns in der Vergangenheit eine Niederlage beigebracht hat, wird eine Obsession, ein zwanghaftes Verhalten. Solange dieses Motiv noch wirksam ist, ist auch die Beziehungssucht noch vorhanden, und zwar unabhängig davon, ob man derzeit einen Partner hat oder nicht.

Dieses Kapitel enthält Briefe von Frauen, die zugeben, beziehungssüchtig zu sein, und die auch einige der in Kindheitserlebnissen wurzelnden Faktoren erkennen, die zu dieser Sucht beigetragen haben. Aber auch wenn wir uns der Bedingungen und Ereignisse bewußt sind, die uns für die Entwicklung eines suchthaften Beziehungsmusters anfällig gemacht haben, heißt das noch lange nicht, daß wir damit dieses Verhaltensmuster schon überwunden hätten.

Jede dieser Frauen glaubt, ihre Genesung fester im Griff zu haben, als es meines Erachtens tatsächlich der Fall ist. Um meine Bedenken in bezug auf gerade diese Berichte über angeblich erzielte Fortschritte zu verstehen, denken Sie doch bitte an die Faktoren, die eine Genesung ermöglichen und fördern. Mut und Demut sind genauso vonnöten wie die Fähigkeit zu rückhaltloser Aufrichtigkeit. Man muß bereit sein, vor nichts zurückzuschrecken und wirklich alles zu tun, um gesund zu werden. Für die erfolgreiche Fortsetzung des Heilungsprozesses ist es meist auch erforderlich, sich einer Intelligenz zu unterstellen, die größer als die eigene ist, und sich von dort Hilfestellung und Trost zu holen.

Bewußtsein allein reicht nicht aus, um die gewaltigen Veränderungen einzuleiten und voranzutreiben, die unumgänglich sind, damit es zu einer Genesung kommt. Wenn eine Frau dann auch noch trotzig, ja dickköpfig darauf beharrt, das eigene Suchtverhalten allein aus eigener Kraft zu überwinden, dann rückt die Möglichkeit einer Besserung in noch weitere Ferne, da die Betreffende dann gegen ihre Suchtkrankheit mit der gleichen ungesunden Verhaltensweise und Einstellung angeht, die sie nun schon so lange Zeit anderen Menschen gegenüber bewiesen hat. Nichts hat sich da wirklich geändert. Sie handelt immer noch aus der Überzeugung, daß sie für ihr Problem selbst die richtige Lösung kennt und selber die Kraft hat, sich zu einer Veränderung zu zwingen. Es ist am Anfang ganz natürlich (und tröstlich), wenn man glaubt, allein der feste Wille zur Veränderung werde dem Problem schon ein Ende machen. Doch wenn das alles wäre, was man dazu braucht, dann gäbe es so etwas wie Sucht gar nicht. Wer – bei welcher Art von Sucht auch immer – meint, sich selbst kontrollieren zu können, muß damit scheitern, weil bei allen Suchtkrankheiten gerade die Kontrollfähigkeit beeinträchtigt ist. Wir versuchen in dem Fall immer wieder etwas zu kontrollieren, was wir gar nicht kontrollieren können, und werden dabei immer kränker. Eine Sucht ist dem eigenen Willen nicht zugänglich. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu kapitulieren und zuzugeben, daß die Sucht stärker ist als wir und daß wir sie nicht allein überwinden können.

Die folgenden Briefe sollen Ihnen helfen, eine eventuelle Beziehungssucht schneller zu erkennen und außerdem festzustellen, ob dabei eigenwillige «Dickköpfigkeit» am Werk ist. Dickkopf gehört zu den festen Merkmalen einer Beziehungssucht und bildet ein enormes Hindernis auf dem Weg zur Genesung.

Liebe Robin Norwood,

es ist mir sehr schwergefallen, Ihr Buch zu Ende zu lesen. Ich habe es wirklich mehrere Male weggelegt und mir eingeredet, ich könne nicht mehr weiterlesen – es war einfach zu schmerzhaft, die Wahrheit über mich zu lesen. Jedesmal wenn ich versucht war, das Buch in der hintersten Schublade zu vergraben, habe ich Seite 14 aufgeschlagen, auf der ich die Worte unterstrichen hatte: «Falls Sie sich jedoch für den Weg der Veränderung entscheiden, werden Sie sich verwandeln: von einer Frau, die einen anderen Menschen so sehr liebt, daß es schmerzt, in eine Frau, die sich selbst genug liebt, um dem Schmerz ein Ende zu setzen.» Das half mir dann, durchzuhalten und weiterzulesen. Ich weiß, ich kann meinem Schmerz nicht einfach über Nacht ein Ende setzen. Aber endlich zuzugeben, daß ich wirklich leide, ist schon ein Anfang.

Ich bin achtunddreißig, habe zwei Kinder, bin zweimal verheiratet gewesen und habe gerade heute abend eine längere Beziehung zu einem verheirateten Mann beendet. Das, was ich in «Wenn Frauen zu sehr lieben» gelesen habe, hat mir die Kraft gegeben, die Beziehung zu beenden. All diese Männer brauchten Hilfe, mußten wieder «in Ordnung» gebracht werden. Ich habe dieses «Wieder-in-Ordnung-Bringen», dieses zwanghafte Helfen sogar zu meinem Beruf gemacht. Ich unterrichte stark verhaltensgestörte Schüler. Ich habe viele Auszeichnungen und sehr viel Anerkennung für meine Arbeit mit diesen Kindern bekommen, aber jetzt sehe ich das, was ich da all die Jahre gemacht habe, mit ganz anderen Augen. Wenn man mich früher fragte, warum ich mir eine solche Arbeit mit verrückten Kindern ausgesucht hätte, dann habe ich gesagt, daß ich mir meinen Beruf nicht ausgesucht hätte, sondern daß es fast wie eine Berufung gewesen sei. Wie falsch ich damit doch gelegen habe! Was könnte es für eine zwanghafte «Helferin» besseres geben als einen solchen Beruf! Ich werde vor meiner Arbeit nicht weglaufen. Aber wenn ich im September wieder in die Schule gehe, wird das mit einem neuen Bewußtsein und einer gesünderen Einstellung geschehen.

Sie sprechen in Ihrem Buch dysfunktionale Familien und Alkoholismus an. Ich komme aus einer dysfunktionalen Familie, aber daß sie so war, lag nicht am Alkohol, sondern daran, daß mein vierzehn Monate jüngerer Bruder so früh gestorben ist. Mit neun Jahren erkrankte er an einem unheilbaren Gehirntumor und starb drei Jahre lang jeden Tag ein bißchen mehr, und meine Mutter, mein Vater und ich starben langsam mit ihm. Er starb im Oktober, meine Eltern ließen sich im Dezember scheiden, meine Mutter heiratete im Februar wieder und mein Vater im Mai. Die letzten fünfundzwanzig Jahre lang habe ich ständig versucht, unsere Familien wieder «in Ordnung» zu bringen – doch das ist mir erst klar geworden, als ich Ihr Buch las. In dieser Zeit habe ich zwei lieben Männern und auch meinen Kindern weh getan. Falls Sie noch einmal ein Buch schreiben, schreiben Sie bitte auch darüber, was der Tod eines Kindes in einer Familie auslöst. Außer mir gibt es sicher noch viele andere Menschen, die einen Bruder oder eine Schwester verloren haben und gar nicht erkennen, was das bei ihnen immer noch auslöst. Wenn ein Kind stirbt, erhalten die Eltern Zeichen der Anteilnahme, aber die Geschwister wissen nur eins: Sie können diesen Verlust für den überlebenden Teil der Familie niemals wieder «in Ordnung» bringen; sie können niemals gut genug, intelligent genug, schön genug oder stark genug sein, um diese Lücke zu schließen. Sie können niemals genug lieben oder perfekt genug sein, um ihr Dasein zu rechtfertigen – um zu rechtfertigen, daß sie noch leben, während ihre Schwester oder ihr Bruder tot ist. Bitte versuchen Sie, den ahnungslosen Menschen zu helfen, denen eine Schwester oder ein Bruder gestorben ist und die vielleicht das gleiche empfinden wie ich! Sie können so viele Menschen erreichen; ich kann das nicht.

Ich habe meinen College-Abschluß mit fast nur sehr guten Noten gemacht und weiß noch, daß ich damals dachte, wie stolz meine Eltern doch gewesen wären, wenn ich nur diese eine Zwei nicht bekommen hätte, die mir die Gesamtnote verdarb. Irgendwie war ich überzeugt, ich hätte uns alle enttäuscht.

Ich hoffe, ich habe jetzt für eine Weile genug geweint und werde nun morgens aufwachen, in den Spiegel schauen und sagen: «Moira, du wirst geliebt, vor allem von dir selbst!» Dann werde ich genug Mut haben, diesen Brief auch wirklich abzuschicken.

Moira D.

Moiras erster Brief beschreibt sehr klar eine der vielen Arten, auf die ein Kind so sehr Schaden nehmen kann, daß es als Erwachsene eine Beziehungssucht entwickelt. Wenn eine Familie ein Kind durch Tod verliert, ist das für die Hinterbliebenen ein schwerer und in seiner Wirkung lang anhaltender Schlag, der sich bis zu einem gewissen Grad dauerhaft auf ihr Verhältnis zueinander auswirkt. Die übrigbleibenden Familienmitglieder sind sehr glücklich zu schätzen, wenn sie mit ihren Schuldgefühlen, ihrem Schmerz und ihrer Angst, noch jemand zu verlieren, bewußt umgehen können, und wenn es ihnen in ihrem gemeinsamen Leid gelingt, eine noch tiefere und ehrlichere Bindung zueinander zu knüpfen. Statt dessen geschieht es nur zu oft, daß die Menschen sich verschließen und ihre Gefühle aussperren, weil sie ganz natürlicherweise Angst davor haben, noch einmal jemand zu verlieren, den sie lieben. Wenn das geschieht, kann es sein, daß die überlebenden Kinder eine enorm schwere Bürde auf sich laden und versuchen, ihr Möglichstes zu tun, damit für die Familie wieder alles gut wird.

Daß Moira als Überlebende Schuldgefühle hat und noch dazu ständig perfekt sein möchte, um die Familie für den erlittenen Verlust zu entschädigen, sind Reaktionen, die bei Kindern, denen ein Bruder oder eine Schwester gestorben ist, häufig anzutreffen sind. Nicht selten nehmen diese Reaktionen ein solches Ausmaß an, daß die Familie es nicht mehr schafft, mit dem Schmerz über den Tod des Kindes bewußt umzugehen. Aber im vorliegenden Fall hat Moira einen weit größeren Verlust erlitten, als sich selbst aus dem Tod ihres Bruders erklären ließe. Ihre Familie, ihr ganzes Bezugssystem, ist im wesentlichen gleichzeitig mit ihrem Bruder gestorben. Die Ehe ihrer Eltern war der Belastung durch das qualvoll langsame Sterben ihres Kindes nicht gewachsen. Moiras Eltern waren nicht fähig, über die Krankheit und den Tod ihres Sohnes zu trauern, und so suchte jeder der beiden Trost und Rettung in einer außerehelichen Beziehung. Durch die Scheidung und schnelle Wiederverheiratung wurde Moira emotional alleingelassen. Sie versuchte, ihren eigenen verzweifelten Schmerz und ihre Verlustgefühle zu unterdrücken, indem sie sich darauf konzentrierte, das Leid ihrer Eltern zu lindern. Sie bemühte sich, perfekt zu sein, um die Familie zu retten und einen Ausgleich für alles Verlorene zu schaffen. Doch als sie dabei zwangsläufig scheiterte, verdoppelte sie – aus ihrem eigenen schmerzlichen Bedürfnis heraus – nur ihre Anstrengungen … und hatte immer stärker das Gefühl, zu versagen.

In der Suchttherapie gibt es einen sehr weisen Satz: «Es ist nicht der Alkoholismus, der in einem Menschen, einer Beziehung oder einer Familie Probleme schafft; er vergrößert nur die, die schon da sind.» Dieser Grundsatz gilt nicht nur, wenn Alkohol im Spiel ist, sondern immer, wenn es in einer Familie zu einer stark belastenden Situation kommt, die nicht offen zu erkennen und zu bereden ist. Dieser Satz trifft zweifellos auf Moiras Familie und auch auf sie selbst zu. Ich denke, wir können mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß es Moira und ihrer Familie schon vor dem Tod ihres Bruders schwergefallen ist, einander nah zu sein und offen und ehrlich miteinander zu reden. Die tragischen Ereignisse haben die Auswirkungen dieser Unfähigkeit, miteinander echt und natürlich umzugehen, nur verstärkt. Und ich würde meinen, daß Moira, schon bevor ihr Bruder krank wurde, das stark entwickelte Bedürfnis hatte, «brav» und «gut» zu sein. Durch seinen Tod verstärkte sich dieses Bedürfnis nur, und aus einer Charaktereigenschaft wurde eine Charakteranomalie. Ihr Perfektionismus stellte den Versuch dar, etwas Unkontrollierbares (in diesem Fall das Auseinanderbrechen ihrer Familie) zu kontrollieren. Sie hatte Angst vor unkontrollierbaren Situationen, fühlte sich aber gleichzeitig von ihnen angezogen (da sie ja das Bedürfnis hatte, derartige Situationen wieder «in Ordnung» zu bringen) – und beides übertrug sie auf jeden Bereich ihres Erwachsenenlebens. Den Kampf mit diesen Problemen war sie von Kindheit an gewöhnt, und so wendete sie das ihr vertraute Handlungsrepertoire jeweils auch in ihren Männerbeziehungen, ihren Freundschaften, ihrer Beziehung zu ihren Kindern und in ihrem Beruf an.

Als Antwort auf meine Bitte, ihren ersten Brief für dieses Buch verwenden zu dürfen, schrieb Moira in ihrem nächsten Brief gleich zu Anfang, sie mache sich Sorgen, daß auch ihre Tochter möglicherweise eine Anfälligkeit für Beziehungssucht mitbekommen habe. So wie Moira geht es vielen Frauen, die zu sehr lieben. Wenn Beziehungssüchtige sich nicht gerade auf ihren Partner konzentrieren, wenden sie sich sehr häufig ihren Kindern zu und versuchen, sie «in Ordnung» zu bringen – um Moiras Worte zu gebrauchen.

In diesem nächsten Brief wird schnell deutlich, daß in Moiras Familiengeschichte Macht und Kontrolle schon lange wichtige Themen sind und daß auch Moira selbst – unter dem Vorwand zu helfen – sich dieser Methoden im Umgang mit den ihr nahestehenden Menschen bedient. In der Tat enthält ihr Brief klare Hinweise darauf, daß in allen ihren zwischenmenschlichen Beziehungen ein eiserner Wille zum Tragen kommt, und der Brief zeigt auch, daß man diesen rigiden Eigensinn – zumindest vor sich selbst – verbergen kann, indem man abwechselnd die Rolle der Helferin und die Rolle des Opfers übernimmt.

Moira ist in einem mittlerweile alteingefahrenen Beziehungsmuster gefangen. Es funktioniert nicht, es führt nicht zu den ersehnten glücklichen Ergebnissen, und dennoch kann sie nicht damit aufhören. Das Verhaltensmuster selbst schafft Druck, und wenn Moira unter Druck steht, weiß sie sich nicht anders zu verhalten.

Liebe Robin,

meine Kinder sind gerade wieder nach Hause gekommen, nachdem sie drei Wochen bei ihrem Vater waren. Seit ich mich vor fünf Jahren von ihm scheiden ließ, hatten sie ihn nicht mehr gesehen. Die dreiwöchige Trennung hat uns allen gutgetan, vor allem mir, denn dadurch hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, was mein «Zu-sehr-Lieben» bei ihnen angerichtet hat. Ihre Bitte, meinen Brief verwenden zu dürfen, hat mich auf den Gedanken gebracht, daß es wohl gut wäre, Ihnen das zu schreiben; es scheint nämlich, daß diese Krankheit von einer Generation auf die nächste übertragen werden kann. Meine Tochter war mein erstes Baby und sozusagen meine Gegenleistung dafür, daß ich am Leben geblieben war und schließlich geheiratet und eine Familie gegründet hatte, während es meinem Bruder nicht einmal vergönnt war, ein Teenager zu werden. Bei ihrer Geburt wog sie 4791 Gramm und war 59,7 Zentimeter groß. Alle Schwestern und viele Ärzte, die ich nicht einmal kannte, haben kurz ins Zimmer geschaut, um mir zu diesem wundervollen Baby zu gratulieren. Ich war im siebten Himmel! Ich hatte meinen Eltern bewiesen, daß ich perfekte Leistungen bringen konnte, sogar beim Kinderkriegen. Meine Tochter war ein Muster-Baby. Sie war schön. Sie lernte alles früh, mühe- und fehlerlos. Im Supermarkt und auf der Straße wurden wir von wildfremden Leuten angesprochen, die das Baby gar nicht genug bewundern konnten. Mein Vater war ganz vernarrt in die Kleine, doch meine Mutter benahm sich, als wünschte sie, meine Tochter wäre nie geboren worden, sie wollte auf gar keinen Fall «Omi» genannt werden.

Inzwischen ist mir klar, daß ich meinen Mann nie so richtig an das Baby herangelassen habe. Ich glaubte, er sei nicht fähig, unserer Tochter das zu geben, was sie brauchte. Nur ich allein konnte ihr die erforderliche Liebe geben und das Richtige beibringen. Die Ärmste! Als sie in die Schule kam, ging sie natürlich gleich in eine Hochbegabtenklasse und rechtfertigte dadurch erneut mein Dasein. Ich fand das gar nicht aufregend und war auch nicht besonders beeindruckt, denn ich habe das von ihr einfach erwartet. Schließlich war sie ja meine Tochter! Wie hätte es da überhaupt anders sein können? Als sie in der vierten Klasse war, ging ich wieder an die Uni zurück, um meinen Magister zu machen. Meine Tochter wollte unbedingt, daß ich alle ihre Zeugnisnoten in einen Punktedurchschnitt umrechnete, damit sie sie mit meinen Noten vergleichen konnte. Ich habe natürlich nur Einser gehabt. Sie hatte auch ein paar Zweien. Ihre Lehrerin bat mich, zu ihr in die Sprechstunde zu kommen. Sie hatte den Eindruck, daß meine Tochter nicht so glücklich sei, wie sie es hätte sein können. Irgend etwas fing da an, in die falsche Richtung zu laufen.

Jetzt, mit fünfzehn, ist sie längst nicht mehr so perfekt wie früher. Letztes Jahr hat sie in zwei Fächern versagt. Sie will einfach nicht glauben, daß sie gut aussieht, auch wenn sie von den Jungen nur so umschwärmt wird. Ich habe immer wieder versucht, ihr zu sagen, wie toll sie in Wirklichkeit ist, aber da es von mir kommt, will sie es einfach nicht glauben. Robin, geben die meisten der Frauen, die so sind wie ich, diese Krankheit an ihre Töchter weiter? Was für ein furchtbarer Gedanke! Es scheint, als würde meine Tochter nicht genug