Wenn Frauen zu sehr lieben - Robin Norwood - E-Book

Wenn Frauen zu sehr lieben E-Book

Robin Norwood

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Beschreibung

«Ein Buch, das das Leben von Frauen verändert.» Erica Jong «Zu sehr lieben» bedeutet etwas ganz anderes als «zu viele Männer lieben» oder «sich zu oft verlieben» oder «einen anderen Menschen zu aufrichtig und tief lieben». «Zu sehr lieben» bedeutet: • sich für einen Menschen bis zur Selbstaufgabe verzehren, • diese Besessenheit mit Liebe gleichsetzen, • zulassen, dass sie die eigenen Gefühle und einen Großteil des Verhaltens bestimmt, • erkennen, dass sie sich auf die eigene körperliche und seelische Gesundheit negativ auswirkt, • und trotzdem nicht loslassen können. Es bedeutet, den Grad der Liebe zu einem anderen Menschen am Grad der mit ihr verbundenen Qualen zu messen.

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Seitenzahl: 517

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Robin Norwood

Wenn Frauen zu sehr lieben

Die heimliche Sucht, gebraucht zu werden

Aus dem Englischen von Sabine Hedinger

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Dieses Buch ist ...Vorwort von 2008VorwortWenn Liebe nicht erwidert wirdViel Sex um nichtsWenn ich für dich leide, wirst du mich dann lieben?Das Bedürfnis, gebraucht zu werdenWollen wir tanzen?Männer, die sich zu sehr lieben lassenDie Schöne und das TierWenn eine Sucht die andre nährtAus Liebe sterbenDer Weg zur GenesungGenesung und Nähe – die Lücke schließt sichWie Sie eine Selbsthilfegruppe gründen könnenWeiterführende LiteraturWo Sie Hilfe finden könnenAffirmationenQuellennachweis für die zitierten SongtexteDank
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Dieses Buch ist den anonymen Gemeinschaften gewidmet –

in Dankbarkeit für die Unterstützung,

die sie Betroffenen bei ihrer Genesung bieten.

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Vorwort von 2008

Seit fast einem Vierteljahrhundert haben Frauen nach dem Buch, das Sie in Ihren Händen halten, gegriffen, um ihren Schmerz zu lindern, den Männer und Liebe auslösten. Zunächst in den Vereinigten Staaten und dann überall in der Welt, übersetzt in 25 Sprachen, hat es Frauen in Deutschland, Frankreich und Finnland, Irland und Israel, Saudi-Arabien und Serbien, China und Brasilien geholfen – Millionen Frauen, deren Lebensgeschichten über kulturelle und sozioökonomische Unterschiede, über Bildungs- und Generationsgrenzen hinweg durch ihr Bedürfnis nach Hilfe miteinander verbunden sind, weil sie zu viel lieben.

Zum Glück hat sich die Einstellung dazu seit dem ersten Erscheinen von Wenn Frauen zu sehr lieben grundlegend geändert. Zu sehr zu lieben wird längst nicht mehr als natürlich und normal betrachtet, sondern gilt weithin als ein gefährlicher Schwächezustand. Jedoch genügt diese Erkenntnis nicht, um die charakteristischen Gefühle und Verhaltensmuster dieser Zwangshandlung stillzustellen.

Trudi, der Sie in Kapitel zwei und dann noch einmal in Kapitel elf begegnen werden, würde wohl nicht mehr aussehen und sich kleiden, ja nicht einmal ernähren wie Mitte der 80er Jahre, als dieses Buch zuerst erschien – und ganz sicher würde sie den Sommer nicht mehr zu Hause vor dem Telefon verbringen und auf einen Anruf warten, der nie kommt. Die Trudi von heute kann sich vielleicht sogar eingestehen, dass sie ein Problem damit hat, zu viel zu lieben, während sie fortwährend ihr Handy checkt in der Hoffnung auf eine Nachricht von IHM, um dann selbst eine SMS oder eine E-Mail mit einer verzweifelten Botschaft loszuschicken. Oberflächlich mögen sich Einzelheiten des Verhaltens geändert haben, aber das Grundgefühl ist so stark, wie es immer war.

Wenn wir unser Problem doch nun frank und frei benennen können – warum können wir es dann nicht lösen? – Die beschädigte Persönlichkeit, welche die Wurzel für das Zuviel-Lieben bildet, ist nicht stark genug, um sich selbst zu heilen – ebenso wenig, wie wir uns am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können. Wir brauchen Hilfe, um zu ändern, was sich so tief in unser Wesen eingegraben hat. Und hier kommt dieses Buch ins Spiel. Für jene, die sich ändern wollen, stellt es diese Hilfe bereit.

Die vielen Auflagen, die dieses Buch bereits erfahren hat, bestätigen und bekräftigen die anhaltende Bedeutung, Aktualität und Wirksamkeit einer Botschaft, die sich über die Zeiten hinweg rund um die Welt bewährt hat. Dieses Buch mit seinen Fallgeschichten, in denen es speziell um Abhängigkeit in Beziehungen geht, und seiner Anleitung, davon zu genesen, hat überall Frauen in die Lage versetzt, ihr Leben zu ändern.

Nutzen Sie es also, um auch Ihres zu ändern.

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Vorwort

Wenn Liebe für uns gleichbedeutend ist mit Schmerz und Leiden, dann lieben wir zu sehr. Wenn Gespräche mit unseren engsten Freundinnen sich meistens nur um IHN drehen, um SEINE Probleme, um SEINE Gedanken, SEINE Gefühle – wenn fast alle unsere Sätze mit «ER …» anfangen, dann lieben wir zu sehr.

Wenn er sich uns gegenüber launisch, gereizt oder gleichgültig verhält, wenn er uns vielleicht sogar demütigt und wir dieses Verhalten mit seiner unglücklichen Kindheit entschuldigen, wenn wir uns sozusagen zu seiner Therapeutin machen, dann lieben wir zu sehr. Wenn wir ein Selbsthilfebuch lesen und all die Stellen unterstreichen, von denen wir glauben, dass sie ihm helfen könnten, dann lieben wir zu sehr.

Wenn wir viele seiner Charakterzüge, Einstellungen und Verhaltensweisen eigentlich ablehnen, sie aber in dem Glauben hinnehmen, dass er sich uns zuliebe ändern wird, wenn wir nur attraktiv und verständnisvoll genug sind, dann lieben wir zu sehr.

Wenn die Beziehung zu einem Partner unser seelisches Wohlergehen, vielleicht sogar unsere körperliche Gesundheit und Sicherheit gefährdet, dann lieben wir zweifellos zu sehr.

Zu sehr lieben – diese Erfahrung ist unbefriedigend, sogar schmerzhaft, aber unter Frauen so weit verbreitet, dass wir versucht sind zu glauben, sie gehöre zum Wesen einer wirklich engen Beziehung. Die meisten von uns haben zumindest einmal im Leben zu sehr geliebt, und viele Frauen tun dies immer wieder aufs Neue. Einige von uns sind dermaßen auf ihren Partner fixiert, dass sie kaum noch in der Lage sind, mit ihrem Alltag zurechtzukommen.

In diesem Buch werden wir uns mit der Frage befassen, aus welchem Grund viele Frauen, die einen liebevollen Partner suchen, scheinbar unvermeidlich Beziehungen eingehen, die schädlich für sie sind und in denen sie nicht geliebt werden. Wir werden zudem untersuchen, woran es liegt, dass wir so große Schwierigkeiten haben, eine Beziehung zu beenden, von der wir wissen, dass sie unseren Bedürfnissen nicht gerecht wird. Wir werden erkennen können, dass «lieben» sich in «zu sehr lieben» verkehrt, wenn wir einen Partner haben, der nicht zu uns passt, der lieblos oder unzugänglich ist, und wenn wir dennoch nicht in der Lage sind, ihn aufzugeben, sondern ihn stattdessen nur noch mehr begehren, noch mehr brauchen. Wir werden lernen zu verstehen, wie aus unserem Wunsch nach Liebe, aus der Liebe, die wir unserem Partner entgegenbringen, eine SUCHT wird.

Sucht ist ein Wort, das Angst macht. Mit ‹Sucht› verbinden wir Vorstellungen von Heroinabhängigen, die sich selbst zugrunde richten. Wir mögen dieses Wort nicht und wehren uns dagegen, es auf unsere Beziehungen zu Männern anzuwenden. Aber viele von uns sind «männersüchtig» oder sind es zumindest gewesen, und wie bei jeder anderen Abhängigkeit müssen wir uns erst einmal eingestehen, wie schwerwiegend unser Problem ist, bevor wir uns auf den Weg zur Heilung machen können.

Wenn Sie jemals auf einen Mann total fixiert waren, dann haben Sie vielleicht schon vermutet, dass diese extreme Hinwendung gar nicht auf Liebe, sondern auf Angst basierte. Diejenigen, die so obsessiv lieben, stecken voller Angst: Angst davor, allein zu sein, Angst davor, nicht liebenswert oder überhaupt wertlos zu sein, Angst davor, nicht beachtet, verlassen oder zugrunde gerichtet zu werden. Wir lieben mit der verzweifelten Hoffnung, dass der Mann, auf den wir fixiert sind, uns genau diese Ängste nehmen wird. Stattdessen werden die Ängste größer – und damit auch das Ausmaß der Fixierung … bis wir an dem Punkt angelangt sind, an dem «Lieben, um geliebt zu werden» zur treibenden Kraft in unserem Leben wird. Weil unsere Strategie aber nicht zum Erfolg führt, wollen wir umso mehr Liebe geben. Wir lieben zu sehr.

Dass es sich bei diesem «Zu-sehr-Lieben» um ein ganz besonderes Syndrom, ein Zusammenwirken von Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen handelt, habe ich erstmals nach jahrelanger Beratungsarbeit im Bereich Alkohol- und Drogenmissbrauch erkannt. Nachdem ich Hunderte von Gesprächen mit Abhängigen und ihren Familien geführt hatte, machte ich eine überraschende Entdeckung: Manche der von chemischen Substanzen abhängigen Patienten waren in gestörten Familien aufgewachsen, andere wiederum nicht, aber ihre Partner stammten fast durchgehend aus schwer gestörten Familien, in denen sie seelische und körperliche Belastungen in einem Ausmaß erfahren hatten, wie es im Allgemeinen nicht üblich ist. Bei ihrem ständigen Bemühen, mit dem abhängigen Partner zurechtzukommen, ließen diese Menschen (im Umgang mit Alkoholikern als Co-Alkoholiker bekannt) unbewusst bedeutsame Aspekte ihrer eigenen Kindheit wiederaufleben.

Vor allem die Frauen und Freundinnen alkoholabhängiger Männer lehrten mich zu verstehen, was es wirklich bedeutet, zu sehr zu lieben. Ihre Lebensgeschichten offenbarten alle sowohl ein Bedürfnis nach Überlegenheit als auch den Wunsch zu leiden – beides erfuhren sie in ihrer «Retter»-Rolle … und das half mir wiederum zu erkennen, wie tiefverwurzelt ihre Abhängigkeit von einem Mann war, der seinerseits in Abhängigkeit von einer chemischen Substanz lebte. Offensichtlich benötigten beide Partner in einer solchen Beziehung gleichermaßen Hilfe, denn beide gingen an ihrer Abhängigkeit buchstäblich zugrunde: er an den Folgen des Drogenmissbrauchs, sie an den Folgen extremer seelischer Belastung.

Durch diese Co-Alkoholikerinnen wurde nur deutlich, welchen Einfluss, welche Macht ihre Kindheitserlebnisse darauf hatten, wie sie als Erwachsene die Beziehungen zu Männern gestalteten. Diejenigen von uns, die zur Selbstaufgabe neigen, können von diesen Frauen lernen, warum wir eine «Vorliebe» für gestörte Beziehungen entwickelt haben, warum wir uns immer wieder in dieselben Schwierigkeiten bringen, aber vor allem, wie wir uns ändern und gesund werden können.

Keinesfalls sollte hier der Eindruck entstehen, nur Frauen könnten zu sehr lieben. Es gibt durchaus auch Männer, die sich mit derselben Besessenheit in Beziehungen stürzen, wie es so viele Frauen tun. Die Gefühle und Verhaltensweisen dieser Männer entspringen denselben Kindheitserlebnissen, denselben Triebkräften. Trotzdem entwickeln Männer, die in ihrer Kindheit geschädigt wurden, nur selten eine Abhängigkeit von Beziehungen. Infolge einer Wechselwirkung zwischen kulturellen und biologischen Faktoren versuchen sie im Allgemeinen, sich zu schützen und ihrem Schmerz aus dem Weg zu gehen, indem sie Ziele anstreben, die eher außen als innen liegen, die mehr unpersönlicher als persönlicher Art sind. Diese Männer neigen eher zu einer Fixierung auf Arbeit, Sport oder ein Hobby, während Frauen auf Grund der kulturellen und biologischen Einflüsse, denen sie ausgesetzt sind, dazu tendieren, sich auf eine Beziehung zu fixieren – vielleicht gerade auf die Beziehung mit einem solchen emotional beeinträchtigten, abweisenden Mann.

Ich hoffe, dass dieses Buch allen Betroffenen hilfreiche Anstöße geben kann, aber ich habe es in erster Linie für Frauen geschrieben, weil «zu sehr lieben» in erster Linie ein weibliches Phänomen ist. Somit verfolgt mein Buch ein spezielles Ziel: den Frauen, deren Beziehungen zu Männern destruktive Muster aufweisen, zu helfen, diese Tatsache zu erkennen, die Ursprünge dieser Muster zu verstehen und sich das anzueignen, was für eine positive Veränderung ihres Lebens notwendig ist.

Wenn die Bezeichnung «zu sehr lieben» auf Sie zutrifft und die Lektüre Sie trotzdem kalt lässt, wenn Sie sich dabei langweilen, vielleicht sogar ärgern oder wenn Ihnen dabei nur in den Sinn kommt, wie sehr dieses Buch einem anderen Menschen helfen könnte, dann schlage ich Ihnen vor, es vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu lesen. Wir alle müssen gelegentlich Erkenntnisse abwehren, weil es zu schmerzhaft oder zu bedrohlich für uns wäre, sie zu akzeptieren. Diese Abwehr ist ein ganz natürlicher Selbstschutz, der sich automatisch, ohne unser Zutun einstellt. Vielleicht erreichen Sie ja beim nochmaligen Lesen, dass Ihnen bestimmte eigene Erfahrungen und Gefühle wieder stärker ins Bewusstsein rücken.

Lesen Sie langsam. Lassen Sie die Schilderungen der hier vorgestellten Frauen sowohl verstandes- als auch gefühlsmäßig auf sich einwirken. Die Fallgeschichten in diesem Buch werden bei Ihnen vielleicht den Eindruck erwecken, ich hätte besonders extreme Beispiele gewählt. Aber das stimmt nicht. Ich habe es beruflich wie auch privat mit Hunderten von Frauen zu tun gehabt, die zu sehr lieben, und ihre persönlichen Merkmale, Eigenarten und Erlebnisse sind hier keinesfalls übertrieben dargestellt. In Wirklichkeit sind die Schicksale dieser Frauen noch viel komplizierter und leidvoller. Wenn Ihnen diese Probleme nun weitaus schwerwiegender und bedrückender als Ihre eigenen vorkommen, dann ist dies eine Reaktion, wie ich sie nur allzu gut von den meisten meiner Klientinnen kenne. Jede glaubt, ihr eigenes Problem sei «nicht so schlimm», während sie gleichzeitig großes Mitgefühl für andere aufbringt, die ihrer Meinung nach «echte» Schwierigkeiten haben.

Es ist eine «Ironie des Schicksals», dass wir Frauen so viel Sympathie und Verständnis für das Leid anderer Menschen entwickeln können, während wir offenbar blind für (und durch) unser eigenes Leid sind. Ich selbst weiß dies nur allzu gut, denn auch ich habe die meiste Zeit meines Lebens zu sehr geliebt, bis irgendwann der Tribut an meine körperliche und seelische Gesundheit so hoch wurde, dass ich mich gezwungen sah, meine Beziehungsmuster im Umgang mit Männern einer genauen Prüfung zu unterziehen. Jahrelang habe ich hart daran gearbeitet, diese Muster zu ändern. Die Arbeit hat sich in jeder Hinsicht gelohnt.

Ich hoffe, dass dieses Buch Ihnen allen als Betroffenen helfen wird, Ihren Zustand realistischer einzuschätzen. Ich wünsche mir auch, dass Sie daraus den Mut schöpfen, eine grundlegende Veränderung in Angriff zu nehmen, indem Sie Ihre Energie nicht mehr dafür einsetzen, sich in der Liebe zu einem Mann zu verzehren, sondern sie für sich selbst, Ihre Genesung, Ihr eigenes Leben zu nutzen.

Ich beschreibe in diesem Buch eine Reihe von Schritten, die meiner Erfahrung nach zur Veränderung notwendig sind. Sollten Sie sich entscheiden, diese Anleitung zu befolgen, dann müssen Sie – wie bei allen therapeutischen Prozessen – mit jahrelanger Arbeit rechnen, die Ihren ganzen Einsatz fordert. «Zu sehr lieben» ist ein Muster, aus dem es kein schnelles Entrinnen gibt. Ein so früh erworbenes, so gut eingeübtes Muster aufzugeben, ist angsterregend und bedrohlich und bedeutet eine ständige Herausforderung. Diese Tatsache sollte Sie jedoch nicht entmutigen, denn selbst wenn Sie Ihr Beziehungsmuster nicht aufgeben, werden Sie auch in Zukunft kämpfen müssen. Aber in diesem Fall wird es bei Ihrem Kampf nicht um persönliche Weiterentwicklung gehen, sondern einfach nur ums Überleben. Die Entscheidung kann Ihnen niemand abnehmen. Falls Sie sich jedoch für den Weg der Veränderung entscheiden, werden Sie sich verwandeln: von einer Frau, die einen anderen Menschen so sehr liebt, dass es schmerzt, in eine Frau, die sich selbst genug liebt, um dem Schmerz ein Ende zu setzen.

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Wenn Liebe nicht erwidert wird

Victim of love,

I see a broken heart.

You’ve got your story to tell.

 

Victim of love;

It’s such an easy part

And you know how to play it so well.

 

… I think you know what I mean.

You’re walking the wire

Of pain and desire,

Looking for love in between.

– Victim of Love

In unserer ersten Sitzung machte Jill, eine junge, zierliche Frau mit blondem Lockenkopf, einen eher unsicheren Eindruck. Verkrampft saß sie mir gegenüber, auf dem äußersten Rand ihres Stuhles. Dabei wirkte alles an ihr rundlich: die Gesichtsform, die etwas mollige Figur und ganz besonders die blauen Augen, die jede einzelne der gerahmten Urkunden an der Wand musterten. Nachdem sie mir ein paar Fragen über meine akademische Ausbildung und die Praxiszulassung gestellt hatte, erwähnte sie mit deutlich hörbarem Stolz, dass sie Jurastudentin sei.

Danach entstand ein kurzes Schweigen. Sie blickte auf ihre gefalteten Hände hinunter. «Vielleicht sollte ich Ihnen besser gleich erzählen, warum ich hier bin», sagte sie hastig, als wollte sie sich mit dieser Eröffnung selbst Mut zusprechen.

«Ich habe mich zu diesem Schritt entschlossen – eine Therapeutin aufzusuchen, meine ich –, weil ich sehr unglücklich bin. Natürlich geht es um Männer. Ich meine, um mich und Männer. Immer tu ich irgendetwas, womit ich sie vertreibe. Dabei fängt es jedes Mal so gut an. Ein Mann interessiert sich ernsthaft für mich, und wenn er mich erst einmal richtig kennengelernt hat –» in diesem Moment verkrampfte sie sich, als könnte sie den aufkommenden Schmerz damit abwehren – «dann bricht alles auseinander.»

Sie sah zu mir hoch. In ihren Augen schimmerten Tränen. Etwas langsamer fuhr sie fort:

«Ich will wissen, was ich falsch mache, was ich an mir ändern muss – weil es so einfach nicht weitergehen kann. Ich werde auch alles tun, was dazu nötig ist. Ich kann wirklich hart arbeiten.» Sie sprach wieder schneller.

«Dabei will ich mich doch gar nicht verweigern. Das Problem ist nur: Ich weiß nicht, warum mir so was immer wieder passiert. Mittlerweile habe ich schon Angst vor Beziehungen – es ist jedes Mal bloß schmerzhaft und sonst nichts. Ich bekomme allmählich schon richtige Angst vor Männern.»

Sie schüttelte den Kopf und erklärte mit Nachdruck: «Ich will nicht, dass es so weitergeht. Ich bin sehr einsam. Das Studium fordert eine Menge Verantwortung von mir, und außerdem arbeite ich für meinen Lebensunterhalt. Allein diese Verpflichtungen könnten mich schon voll auslasten. Das ganze letzte Jahr habe ich praktisch kaum etwas anderes getan als arbeiten, zur Uni gehen, studieren und schlafen. Aber was mir fehlte, war ein Mann in meinem Leben.»

Dann sprudelte es aus ihr heraus: «Als ich vor zwei Monaten Freunde von mir in San Diego besuchte, lernte ich einen Mann namens Randy kennen, einen Rechtsanwalt. Eines Abends ging ich mit meinen Freunden tanzen, und da begegnete ich ihm. Na ja, wir haben uns sofort unheimlich gut verstanden. Wir redeten sehr viel miteinander – wobei ich sagen muss, dass ich wohl die meiste Zeit geredet habe. Aber das schien ihm wirklich zu gefallen. Und es tat mir einfach auch gut, mit einem Mann zusammen zu sein, der an denselben Dingen interessiert war wie ich.»

Sie zog die Augenbrauen zusammen. «Er schien tatsächlich etwas für mich übrig zu haben. Zum Beispiel fragte er mich, ob ich verheiratet bin – ich bin seit zwei Jahren geschieden – und ob ich allein lebe, in dieser Richtung eben.»

Ich konnte mir vorstellen, dass Jills Eifer, diesem Mann zu gefallen, schon am ersten Abend deutlich gewesen sein musste, als sie sich über die dröhnende Musik hinweg angeregt mit Randy unterhielt. Genauso eifrig versuchte sie, ihm zu gefallen, als sie ihn eine Woche später willkommen hieß – er hatte eine Geschäftsreise nach Los Angeles für einen Abstecher von hundert Meilen genutzt, um sie zu besuchen. Beim Abendessen bot sie ihm an, in ihrer Wohnung zu übernachten, damit er die lange Heimfahrt bis zum nächsten Tag aufschieben konnte. Er nahm ihre Einladung an, und in dieser Nacht begann die Affäre zwischen beiden.

«Es war toll. Ich konnte ihn bekochen, und es war ihm anzumerken, wie sehr er es genoss, dass ich mich um ihn kümmerte. Am nächsten Morgen bügelte ich ihm sogar noch sein Hemd. Ich kümmere mich einfach gern um einen Mann. Wir kamen unwahrscheinlich gut miteinander aus.» Sie lächelte wehmütig. Als sie dann ihren Bericht fortsetzte, wurde deutlich, dass sich Jill schon nach kürzester Zeit ausschließlich auf Randy fixiert hatte.

Kaum war er in seiner Wohnung angekommen, klingelte bereits das Telefon. Jill erzählte ihm, wie viel Sorgen sie sich wegen der langen Fahrt gemacht hätte und wie sehr es sie nun beruhigen würde zu wissen, dass er gut angekommen sei. Offenbar hatte Randy mit dem Anruf nicht gerechnet – zumindest reagierte er leicht verwirrt – und so entschuldigte sie sich für die Störung und legte auf. Aber schon bald machte sich ein nagendes Gefühl von Unruhe in ihr breit, von dem Bewusstsein geschürt, dass ihr schon wieder ein Mann weitaus mehr bedeutete als sie ihm.

«Randy hat mir einmal erklärt, ich solle ihn ja nicht unter Druck setzen, oder er würde verschwinden. Ich bekam schreckliche Angst. Alles hing an mir. Ich sollte ihn lieben und gleichzeitig in Ruhe lassen. Das konnte ich nicht, und dadurch wurde meine Angst immer größer. Und je panischer ich wurde, desto mehr lief ich ihm hinterher.»

Nach kurzer Zeit rief Jill fast jeden Abend bei ihm an. Sie hatten zwar vereinbart, sich wechselseitig anzurufen, aber wenn Randy an der Reihe war, saß sie oft so lange am Telefon, bis sie nicht mehr warten konnte. An Schlaf war sowieso nicht zu denken. Deshalb war sie es dann immer wieder, die den Hörer aufnahm. Diese Telefongespräche zogen sich jedes Mal in die Länge, ohne Klarheit zu bringen.

«Er sagte immer, er hätte vergessen, mich anzurufen, und ich sagte: ‹Wie kannst du so etwas nur vergessen?› Schließlich habe ich immer daran gedacht. Und genau um dieses Thema drehten sich dann unsere Gespräche. Er schien Angst davor zu haben, sich richtig auf mich einzulassen, und ich wollte ihm helfen, diese Angst zu überwinden. Er sagte immer, er wüsste nicht, was er vom Leben wollte, und ich bemühte mich, ihn darin zu unterstützen, seine Wünsche und Ziele herauszufinden.» Jill verfiel in die Rolle eines «Seelendoktors», indem sie ihm zu helfen versuchte, sich gefühlsmäßig tiefer auf sie einzulassen.

Dass er keine enge Bindung zu ihr wollte, war etwas, das sie nicht akzeptieren konnte. Für sie stand schon längst fest, dass er sie brauchte.

Zweimal flog Jill nach San Diego, um das Wochenende mit ihm zu verbringen; bei ihrem zweiten Besuch kümmerte er sich den ganzen Sonntag über nicht um sie, sondern saß vor dem Fernseher und trank Bier. Es war einer der schlimmsten Tage ihres Lebens.

«Hat er eigentlich viel getrunken?», fragte ich Jill. Sie sah überrascht aus.

«Also nein, das würde ich nicht sagen. Das heißt, ich weiß nicht. Natürlich trank er an dem Abend, als wir uns kennenlernten, aber das ist schließlich normal. Wir waren ja in einer Bar. Wenn ich mit ihm telefonierte, konnte ich manchmal Eiswürfel im Glas klirren hören, und ich habe ihn deswegen schon ein bisschen aufgezogen – warum er denn allein trinkt und so. Wenn ich mir’s recht überlege, hat er eigentlich immer etwas getrunken, wenn wir zusammen waren, aber ich muss wohl gedacht haben, dass er einfach ganz gerne mal einen trinkt. Das ist doch auch normal, oder?»

Sie brach ab und überlegte. «Wissen Sie, manchmal hat er am Telefon schon ein bisschen komisch geredet – vor allem, wenn man bedenkt, dass er Anwalt ist. Ziemlich unklar oder verschwommen; als ob er manchmal den Faden verloren hätte. Aber das brachte ich nie in Zusammenhang mit Alkohol. Ich weiß eigentlich auch nicht, womit ich es mir erklärt habe. Wahrscheinlich mochte ich überhaupt nicht darüber nachdenken.»

Sie sah mich traurig an.

«Vielleicht hat er wirklich zu viel getrunken, aber das lag sicher daran, dass es ihm mit mir langweilig war. Ich nehme an, er fand mich einfach nicht interessant genug und wollte deshalb auch nie richtig mit mir zusammen sein.» Nervös fuhr sie fort: «Mein früherer Mann wollte jedenfalls nicht mit mir zusammen sein, das war offensichtlich!» Ihre Augen schwammen in Tränen, als sie mühsam weiterredete. «Mein Vater übrigens auch nicht … Was ist denn nur mit mir los? Was mache ich bloß falsch?»

Sobald sich Jill darüber klar wurde, dass es massive Probleme zwischen ihr und einem Mann gab, der ihr wichtig war, entschloss sie sich nicht nur zu dem Versuch, diese Probleme zu lösen, sondern übernahm auch die Verantwortung für deren Entstehung. Wenn Randy, ihr früherer Mann und ihr Vater – wenn alle diese Männer sie nicht lieben konnten, dann musste der Grund dafür in etwas liegen, das sie getan hatte oder nicht hatte tun können.

Jills Verhalten, ihre Gefühle, Einstellungen und Lebenserfahrungen entsprechen genau denen einer Frau, für die Liebe und Leiden zusammengehören. Sie hat viele der Eigenschaften, die charakteristisch für Frauen sind, die zu sehr lieben. Trotz der Unterschiede in ihren Lebensgeschichten und unabhängig davon, ob sie nun eine lange, schwierige Beziehung mit einem einzigen Mann durchgemacht haben oder eine Reihe von unglücklichen Affären mit mehreren Männern – alle diese Frauen weisen typische gemeinsame Merkmale auf. «Zu sehr lieben» bedeutet etwas ganz anderes als «zu viele Männer lieben» oder «sich zu oft verlieben» oder «einen anderen Menschen zu aufrichtig und tief lieben». «Zu sehr lieben» bedeutet: sich für einen Menschen bis zur Selbstaufgabe zu verzehren, diese Besessenheit mit Liebe gleichzusetzen, zuzulassen, dass sie die eigenen Gefühle und einen Großteil des Verhaltens bestimmt, zu erkennen, dass sie sich auf die eigene körperliche und seelische Gesundheit negativ auswirkt – und trotzdem nicht loslassen zu können. Es bedeutet, den Grad der Liebe zu einem anderen Menschen am Grad der mit ihr verbundenen Qualen zu messen.

Während Sie dieses Buch lesen, stellen Sie vielleicht fest, dass Sie sich mit Jill oder einer anderen der Frauen identifizieren, deren Geschichte Sie hier kennenlernen, und vielleicht werden Sie sich fragen, ob auch Sie eine Frau sind, die zu sehr liebt. Auch wenn Sie ganz ähnliche Probleme mit Männern haben sollten, mag es Ihnen trotzdem schwerfallen, Parallelen zwischen sich und einigen der hier vorgestellten Frauen zu ziehen, weil Ihnen deren Familiengeschichte oder Lebensumstände zu extrem erscheinen. Wir alle reagieren gefühlsmäßig sehr stark auf Worte wie Alkoholismus, Inzest, Gewalt und Sucht, und manchmal können wir unser eigenes Leben nicht realistisch betrachten, weil wir große Angst davor haben, dass solche negativen Schlagworte auch auf uns oder die Menschen, die wir lieben, zutreffen könnten. Diese Unfähigkeit, Dinge beim Namen zu nennen, weil es zu peinlich, schmerzlich oder bedrohlich wäre, hindert uns leider auch oft daran, wirksame Hilfe zu suchen. Andererseits lässt sich vielleicht Ihr Leben mit keinem solchen Schlagwort beschreiben. In Ihrer Kindheit haben vielleicht Erfahrungen von weitaus subtilerer Art eine Rolle gespielt. Möglicherweise hat zum Beispiel Ihr Vater zwar für ein finanziell gesichertes Zuhause gesorgt, aber sein Verhältnis zu Frauen war im Grunde von Abneigung und Misstrauen bestimmt, sodass seine Unfähigkeit, Sie zu lieben, letzten Endes auch Sie unfähig machte, sich selbst zu lieben. Oder die Haltung Ihrer Mutter Ihnen gegenüber war von Eifersucht und Konkurrenzgefühlen beherrscht, was Sie aber nur im Privatbereich zu spüren bekamen, denn in der Öffentlichkeit brüstete sie sich gern mit ihrer Tochter. Sie lernten daraufhin, sich immer anzustrengen, alles gut zu machen, um von Ihrer Mutter anerkannt zu werden – und mussten doch gleichzeitig die Feindseligkeit fürchten, die Ihre Leistungen in ihr auslösten.

Es ist nicht möglich, in diesem Buch die unzähligen Formen von Familienstörungen zu beschreiben – das würde mehrere Bände füllen und zudem eher von unserem Thema wegführen. An dieser Stelle geht es vielmehr darum zu verstehen, was all die gestörten Familien gemeinsam haben: Es ist die Unfähigkeit, ursächliche Probleme zur Sprache zu bringen. Natürlich wird auch in solchen Familien – vielleicht sogar ständig – über die verschiedensten Probleme gesprochen, aber oft dient all dies nur dazu, die darunterliegenden «Geheimnisse» immer wieder zu verdecken, die die Familie dysfunktional machen. Das Ausmaß an Heimlichkeit (das heißt Unfähigkeit, die eigentlichen Probleme zur Sprache zu bringen) entscheidet somit eher, wie dysfunktional ein Familiensystem wird und wie ernsthaft seine einzelnen Mitglieder geschädigt sind, als die Bedeutsamkeit der Probleme selbst.

In einem dysfunktionalen Familiensystem spielen die Mitglieder starr festgelegte Rollen; ihre Kommunikation ist strikt begrenzt auf Aussagen, die diesen Rollen entsprechen. Den einzelnen Mitgliedern steht es nicht frei, ihre Erfahrungen, Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle in vollem Umfang zu äußern – sie müssen sich auf die ihnen im Familienrahmen zugewiesene Rolle beschränken. Nun gibt es natürlich in jeder Familie bestimmte Rollen, aber mit veränderten Lebensumständen müssen sich auch die Familienmitglieder ändern; sie müssen sich den Verhältnissen ständig neu anpassen, damit die Familie auch weiterhin «gesund» bleiben kann. Demnach wäre ein mütterliches Verhalten, das einem einjährigen Kind gegenüber angemessen ist, einem dreizehnjährigen gegenüber hochgradig unangemessen. Die Mutterrolle muss sich also der Realität entsprechend verändern. In gestörten Familiensystemen hingegen werden wesentliche Aspekte der Realität geleugnet, und die Rollen bleiben starr.

Wenn niemand über das sprechen kann, was sowohl jedes einzelne Familienmitglied als auch die Familie als Ganzes betrifft – wenn ein solches Gespräch verboten ist, entweder implizit (durch Themawechsel) oder explizit («Über so etwas reden wir nicht!») –, dann lernen wir, unseren eigenen Wahrnehmungen und Gefühlen nicht zu trauen. Weil unsere Familie die Realität leugnet, beginnen auch wir, sie zu leugnen. Und dadurch wird die Herausbildung der grundlegenden Fertigkeiten ernsthaft beeinträchtigt, die wir so dringend benötigen, um unser eigenes Leben zu leben und uns Menschen und Situationen gegenüber angemessen zu verhalten. Frauen, die zu sehr lieben, müssen genau mit dieser Beeinträchtigung leben. Wir werden unfähig, einzuschätzen, wer oder was nicht gut für uns ist. Bestimmte Situationen und Menschen, die von anderen als gefährlich, unangenehm oder ungesund eingeschätzt und deshalb von vornherein gemieden werden, haben auf uns nicht denselben Effekt, weil wir sie überhaupt nicht realistisch bewerten können. Damit fehlt uns ein Selbstschutzmechanismus. Wir trauen unseren Gefühlen nicht und lassen uns von ihnen auch nicht leiten. Stattdessen werden wir gerade von Gefahren, Intrigen, Dramen und Problemen angezogen, denen Menschen, die in relativ gesunder und ausgeglichener Umgebung aufgewachsen sind, aus dem Weg gehen. Was uns so anzieht, schadet uns gleichzeitig, weil es ganz häufig eine Wiederholung dessen ist, womit wir aufgewachsen sind. Also werden wir immer wieder aufs Neue verletzt.

Wir werden nicht zufällig zu Frauen, die zu sehr lieben. Allein die Tatsache, weiblich zu sein und in dieser Gesellschaft und einer solchen Familie aufzuwachsen, kann schon einige vorhersehbare Verhaltensmuster hervorrufen. Die folgenden Merkmale sind typisch für Frauen, die zu sehr lieben, für Frauen wie Jill und vielleicht auch wie Sie.

1. Im typischen Fall stammen Sie aus einem gestörten Elternhaus, in dem Ihren emotionalen Bedürfnissen nicht entsprochen wurde.

 

2. Sie haben selbst wenig Fürsorglichkeit erfahren und versuchen nun, dieses ungestillte Bedürfnis ersatzweise zu befriedigen, indem Sie besonders fürsorglich sind, vor allem Männern gegenüber, die in gewisser Hinsicht als bedürftig erscheinen.

 

3. Weil es Ihnen nicht gelang, die liebevolle, zärtliche Zuwendung, nach der Sie sich gesehnt haben, von Ihrem Vater und/oder Ihrer Mutter zu bekommen, reagieren Sie unbewusst auf den vertrauten Typus «emotional nicht zugänglicher Mann», den Sie wieder durch Ihre Liebe zu ändern versuchen.

 

4. Weil Sie so große Angst davor haben, verlassen zu werden, würden Sie alles tun, um zu verhindern, dass eine Beziehung auseinanderbricht.

 

5. Beinahe nichts macht Ihnen zu viel Mühe, nimmt zu viel Zeit in Anspruch oder ist Ihnen zu teuer, wenn es dem Mann «helfen» kann, mit dem Sie zusammen sind.

 

6. Mangel an Liebe in persönlichen Beziehungen ist Ihnen so vertraut, dass Sie willens sind, zu warten, zu hoffen und sich noch mehr darum zu bemühen, dem anderen zu gefallen.

 

7. Sie sind bereit, in jeder Ihrer Beziehungen weitaus mehr als die Hälfte der Verantwortung und Schuld zu übernehmen.

 

8. Der Grad Ihrer Selbstachtung ist alarmierend niedrig, und im Innersten glauben Sie nicht, dass Sie es verdienen, glücklich zu sein. Vielmehr glauben Sie, Sie müssten sich das Recht verdienen, das Leben zu genießen.

 

9. Sie haben das verzweifelte Bedürfnis, Ihren Partner und generell Ihre Beziehungen zu kontrollieren, weil Sie in Ihrer Kindheit wenig Sicherheit erlebt haben. Ihre Bemühungen, Menschen und Situationen unter Kontrolle zu bringen, maskieren Sie als «Hilfsbereitschaft».

 

10. In einer Beziehung stehen Sie mehr in Verbindung mit dem Traum davon, wie es sein könnte, als mit Ihrer realen Situation.

 

11. Sie sind abhängig von Männern und seelischem Schmerz.

 

12. Möglicherweise sind Sie psychisch und auch physiologisch anfällig dafür, von Drogen, Alkohol und/oder bestimmten – vorwiegend zuckerhaltigen – Nahrungsmitteln abhängig zu werden.

 

13. Indem Sie sich zu Menschen hingezogen fühlen, deren Probleme ungeteilte Aufmerksamkeit verlangen, oder sich in Situationen verstricken, die chaotisch, unsicher und Ihrer seelischen Verfassung abträglich sind, vermeiden Sie es, sich auf Ihre Verantwortung Ihnen selbst gegenüber zu konzentrieren.

 

14. Möglicherweise neigen Sie zu depressiven Verstimmungen, denen Sie mit den Aufregungen beizukommen versuchen, die Ihnen eine labile Beziehung ständig bietet.

 

15. Zu freundlichen, stabilen, verlässlichen Männern fühlen Sie sich nicht hingezogen. Solche «netten» Männer finden Sie langweilig.

Bei Jill waren fast alle dieser charakteristischen Merkmale mehr oder weniger deutlich ausgeprägt. Die Eigenschaften, die sie in sich vereinigte, aber auch all das, was sie über Randy erzählte, ließen mich vermuten, dass er ein Alkoholproblem hatte. Frauen mit einer solchen emotionalen Disposition fühlen sich geradezu magisch angezogen von Männern, die – aus welchen Gründen auch immer – emotional nicht zugänglich sind. Und Abhängigkeit ist eine der Urformen emotionaler Unzugänglichkeit.

Von Anfang an war Jill bereit, mehr Verantwortung als Randy dafür zu übernehmen, dass ihre Beziehung zustande kam und bestehen blieb. Wie so viele Frauen, die zu sehr lieben, zeichnete auch sie sich durch Zuverlässigkeit und Erfolgsorientiertheit aus und erreichte wirklich in weiten Teilen ihres Lebens das, was sie sich vorgenommen hatte – und dennoch war ihr Selbstwertgefühl sehr niedrig. Durch die Verwirklichung akademischer und beruflicher Ziele konnte sie das Gefühl persönlichen Versagens nicht ausgleichen, das sie in ihren Liebesbeziehungen erfuhr. Jedes Mal, wenn Randy vergaß, sie anzurufen, versetzte dies ihrem brüchigen Selbstbild einen Schlag. Um es zusammenzuhalten, musste sie versuchen, ihm Beweise seiner Zuneigung zu entlocken. Ihre Bereitschaft, die gesamte Schuld am Scheitern einer Beziehung zu übernehmen, war genauso typisch wie ihre Unfähigkeit, die Situation realistisch einzuschätzen, sich selbst zu schützen und die Beziehung abzubrechen, als deutlich war, dass ihre Gefühle nicht erwidert wurden.

Frauen, die zu sehr lieben, schenken ihrer persönlichen Integrität wenig Beachtung. Stattdessen verwenden sie ihre Energie darauf, das Verhalten und die Gefühle des Partners ihnen gegenüber zu verändern – wenn es sein muss, auch mit verzweifelten Manövern. Jills teure Ferngespräche und Flüge nach San Diego (obwohl ihr nur wenig Geld zur Verfügung stand) sind ein Beispiel dafür. Ihre telefonischen «Therapiesitzungen» mit Randy waren viel eher der Versuch, ihn zu dem Mann zu machen, den sie brauchte, als mit ihm gemeinsam herauszufinden, wer er wirklich war. Übrigens ging es Randy sowieso nicht darum. Hätte er nämlich Interesse an einem solchen Selbstfindungsprozess gehabt, dann hätte er selbst auch mehr dafür getan, als passiv herumzusitzen, während Jill versuchte, ihn zu einer Selbstanalyse zu zwingen. Sie wiederum nahm diese Mühe auf sich, weil ihr sonst nur eine Alternative geblieben wäre: Sie hätte ihn als den Mann erkennen und akzeptieren müssen, dem sowohl ihre Gefühle als auch die Beziehung zu ihr im Grunde gleichgültig waren.

Um zu verstehen, warum Jill eine Therapie machen wollte, müssen wir noch einmal zu ihrer ersten Sitzung zurückkehren.

Irgendwann kam sie auf ihren Vater zu sprechen.

«Er war ein unheimlich dickköpfiger Mann. Ich habe mir mal geschworen, eines Tages würde ich bei einem Streit mit ihm gewinnen.» Sie überlegte einen Moment lang.

«Dazu ist es aber nie gekommen. Vielleicht habe ich ja deshalb angefangen, Jura zu studieren. Hart um eine Sache kämpfen und gewinnen – diese Vorstellung ist schon faszinierend.» Der Gedanke brachte sie zum Lächeln, aber sehr schnell wurde sie wieder ernst.

«Wissen Sie, was ich einmal gemacht habe? Ich habe ihn dazu gebracht, mir zu sagen, dass er mich liebt, und mich zu umarmen.» Jill versuchte, dies wie eine lustige Anekdote aus der Jugendzeit zu erzählen, aber es gelang ihr nicht. Die Stimme des verletzten jungen Mädchens war deutlich herauszuhören.

«Nie wäre es dazu gekommen, wenn ich ihn nicht gezwungen hätte. Aber er hat mich wirklich geliebt. Das konnte er bloß nicht zeigen. So, wie er es sonst auch nicht sagen konnte. Ich bin sehr froh, dass ich ihn wenigstens einmal dazu gebracht habe. Sonst hätte ich nie aus seinem Mund gehört, dass er mich liebt. Und darauf hatte ich jahrelang gewartet. Mit achtzehn erklärte ich ihm: ‹Du wirst mir jetzt sagen, dass du mich liebst›, und ich rührte mich so lange nicht von der Stelle, bis er diese Worte aussprach. Dann bat ich ihn, mich zu umarmen, aber auch damit musste ich anfangen. Er hat mich nur irgendwie gedrückt und meine Schulter ein bisschen getätschelt, aber das war für ihn schon eine ganze Menge. So etwas hatte ich wirklich gebraucht.» Ihr strömten Tränen übers Gesicht.

«Warum ist es ihm bloß so schwergefallen? Der eigenen Tochter sagen können, dass man sie liebt – das wäre doch eigentlich etwas ganz Natürliches.»

Wieder blickte sie auf ihre gefalteten Hände hinunter.

«Ich habe mir so viel Mühe gegeben. Und nur aus diesem Grund wollte ich mich mit ihm auch dauernd auseinandersetzen. Ich dachte, wenn ich in einem solchen Streit einmal die Stärkere wäre, dann müsste er stolz auf mich sein. Dann würde er zugeben müssen, dass ich auch etwas konnte. Was ich am allermeisten wollte, war seine Anerkennung, aber das ist wohl nur ein anderes Wort für Liebe …»

Im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde deutlich, dass Jills Familie für die Ablehnung, die ihr Vater ihr entgegenbrachte, die Tatsache verantwortlich machte, dass er einen Sohn gewollt und eine Tochter bekommen hatte. Diese oberflächliche Erklärung für seine Kälte dem eigenen Kind gegenüber war für alle Beteiligten – einschließlich Jill – viel leichter zu akzeptieren als alles, was der Wahrheit über ihn näher gekommen wäre. Aber nach einer Reihe von Therapiestunden erkannte Jill, dass ihr Vater keinerlei enge persönliche Bindungen gehabt hatte, dass er im Grunde unfähig gewesen war, auch nur einem Menschen in seiner näheren Umgebung gegenüber Zärtlichkeit, Liebe oder Anerkennung auszudrücken. Immer hatte es für seine emotionale Unzulänglichkeit «Gründe» gegeben, beispielsweise Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten oder eben unabänderliche Tatsachen wie die, dass Jill ein Mädchen war. Jedes einzelne Familienmitglied entschloss sich dazu, diese Gründe als berechtigt zu akzeptieren, statt sich weitere Gedanken darüber zu machen, warum ihre Beziehungen zu ihm immer distanziert bleiben mussten.

Jill fiel es tatsächlich schwerer zu akzeptieren, dass ihr Vater liebesunfähig war, als sich weiterhin Selbstvorwürfe zu machen. Solange sie an allem schuld war, gab es ja noch Hoffnung – die Hoffnung, sich selbst ausreichend verändern zu können, um beim anderen Veränderungen hervorzurufen.

Wenn sich etwas ereignet, das uns emotional verletzt, und wir uns sagen, es sei unser Fehler gewesen, dann behaupten wir damit in Wirklichkeit: Wir haben die Kontrolle über das Ereignis und können derartige Verletzungen in Zukunft verhindern, wenn wir uns ändern. Diese Dynamik steckt hinter vielen Selbstvorwürfen von Frauen, die zu sehr lieben. Indem wir uns selbst die Schuld geben, halten wir gleichzeitig an der Hoffnung fest, herausfinden zu können, was wir falsch machen, um es zu korrigieren, dadurch die Situation unter Kontrolle zu bringen und weiteren Schmerz zu verhindern.

Auch Jill hatte dieses Muster entwickelt, wie in einer der folgenden Sitzungen besonders deutlich wurde – als sie nämlich auf ihre Ehe zu sprechen kam. So wie sie sich unausweichlich zu jemandem hingezogen fühlte, mit dem sie das emotional unterkühlte Klima, in dem sie großgeworden war, wiedererschaffen konnte, bot ihr die Ehe gleichzeitig die Möglichkeit, noch einmal zu versuchen, die Liebe zu gewinnen, die ihr versagt worden war.

Als Jill berichtete, wie sie ihren Ehemann kennengelernt hatte, fielen mir die Worte eines anderen Therapeuten ein: Hungrige Leute sind unkritische Käufer. Total ausgehungert nach Liebe und Anerkennung, zudem gewöhnt an Zurückweisung, ohne sie jedoch beim Namen nennen zu können – unter diesen Bedingungen war es Jill geradezu vorherbestimmt, einen Mann wie Paul zu finden.

Sie erzählte: «Wir haben uns in einer Bar kennengelernt. Ich war gerade im Waschsalon gewesen, und während meine Sachen im Trockner lagen, ging ich nebenan einen Schluck trinken. Die Bar war übrigens ziemlich heruntergekommen. Paul spielte dort Billard und forderte mich gleich auf, mitzumachen. Ich sagte ja, und so fing alles an. Er fragte mich, ob wir uns nicht mal treffen könnten. Ich sagte nein, ich treffe mich nicht mit Männern, die ich in einer Bar kennenlerne. Und dann ging er mir einfach hinterher, in den Waschsalon, und redete unentwegt auf mich ein. Schließlich gab ich ihm meine Telefonnummer, und am nächsten Abend gingen wir zusammen aus.

Was dann geschah, werden Sie kaum glauben: Zwei Wochen später lebten wir schon zusammen. Er hatte keine Wohnung, und ich musste sowieso aus meiner ausziehen, also haben wir uns gemeinsam was gesucht. Eigentlich war es gar nicht besonders gut mit ihm, weder sexuell noch im Zusammenleben überhaupt. Aber nach einem Jahr machte sich meine Mutter allmählich Sorgen über das, was ich dort tat, und so haben wir eben geheiratet.» Wieder schüttelte sie den Kopf.

Obwohl es zwischen ihnen so zwanglos begonnen hatte, richtete sie ihr Leben bereits nach kurzer Zeit völlig nach ihm aus. Weil Jill schon seit ihrer Kindheit all das, was nicht in Ordnung war, in Ordnung bringen wollte, übertrug sie dieses Denk- und Verhaltensmuster auch auf ihre Ehe.

«Ich habe mir so viel Mühe gegeben. Ich will damit sagen: Ich hab ihn wirklich geliebt und war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass er mich auch liebt. Ich wollte die perfekte Ehefrau werden. Ich kochte und putzte wie eine Wahnsinnige, und gleichzeitig versuchte ich auch noch, mein Studium fortzusetzen. Einen Großteil der Zeit arbeitete er überhaupt nicht. Er hing einfach nur rum oder verschwand – manchmal tagelang. Dieses Warten und Grübeln, es war die Hölle. Aber ich lernte, ihn nicht zu fragen, wo er gewesen war, weil …» Sie zögerte und rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her.

«Das zuzugeben, fällt mir echt schwer. Ich war mir so sicher, dass ich alles hinkriegen würde, wenn ich mir nur genug Mühe gab, aber manchmal war er einfach zu lange weg, das machte mich wütend, und dann hat er mich geschlagen. Darüber habe ich noch nie mit jemandem gesprochen. Ich schämte mich doch so sehr. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass mir das wirklich passierte, verstehen Sie? Dass ich zu den Frauen gehören sollte, die sich schlagen lassen.»

Jills Ehe war zu Ende, als ihr Mann auf einer seiner ausgedehnten «Touren» eine andere Frau kennenlernte. Obwohl die Ehe unerträglich geworden war, brach Jill zusammen, als Paul sie verließ.

«Ich wusste nur eins: Ganz gleich, was diese Frau an sich hatte, es war all das, was ich nicht hatte. Ich konnte mir genau vorstellen, weshalb mich Paul verließ. Ich bekam das Gefühl, ich hätte überhaupt nichts zu bieten – weder ihm noch irgendjemandem sonst. Ich gab ihm nicht die Schuld dafür, dass er mich verließ. Schließlich konnte ich mich ja selbst kaum ertragen.»

Ein Großteil meiner Arbeit mit Jill bestand darin, dass ich ihr half, den Verlauf ihrer Krankheit zu verstehen, die ihr Leben so lange beherrscht hatte: ihre Abhängigkeit von zum Scheitern verurteilten Beziehungen mit Männern, die emotional nicht zugänglich waren. Der Suchtaspekt von Jills Verhalten in Beziehungen lässt sich mit dem suchthaften Gebrauch einer Droge vergleichen. In jeder ihrer Beziehungen gab es ein anfängliches Hoch, ein Gefühl von Euphorie und Erregung. In dieser ersten Phase glaubte sie jedes Mal, dass ihre geheimsten Bedürfnisse nach Liebe, Aufmerksamkeit und emotionaler Sicherheit endlich befriedigt werden könnten. In diesem Glauben wurde Jill allmählich abhängig von Partner und Beziehung, weil sie auf dieses Hochgefühl nicht verzichten konnte. Wie ein Süchtiger, der immer mehr von einer Droge konsumieren muss, weil sie immer weniger Wirkung zeigte, begann auch Jill mit der Zeit, sich immer mehr in die Beziehung zu stürzen, während sie ihr gleichzeitig immer weniger Befriedigung und Erfüllung gab. Bei dem Versuch, das aufrechtzuerhalten, was sie einmal als so wundervoll, so viel versprechend erlebt hatte, lief sie ihrem Partner unterwürfig hinterher, bettelte um mehr Zuneigung, mehr Sicherheit, mehr Liebe – und bekam immer weniger davon. Je schlimmer die Situation wurde, desto schwerer fiel es ihr loszulassen. Sie konnte nicht aufgeben. Sie brauchte die Beziehung zu sehr.

Jill war 29 Jahre alt, als sie zum ersten Mal zu mir kam. Ihr Vater war sieben Jahre zuvor gestorben, aber er bedeutete ihr noch immer mehr als jeder andere Mann. In gewisser Hinsicht war er der einzige Mann in ihrem Leben, weil die Beziehung zu jedem anderen, von dem sie sich angezogen fühlte, in Wirklichkeit doch nur der Versuch war, eine Beziehung zu ihrem Vater herzustellen und endlich die Liebe von ihm zu bekommen, die er ihr aufgrund seiner eigenen Probleme nie hatte geben können.

Wenn unsere Kindheitserfahrungen besonders schmerzlich waren, stehen wir oft hinter dem Zwang, das ganze Leben hindurch unbewusst gleichartige Situationen immer wieder neu zu inszenieren – unter dem Druck, endlich die Herrschaft über jene Erfahrungen zu erlangen.

Wenn wir also wie Jill von einem Elternteil, den wir liebten und brauchten, nicht wiedergeliebt wurden, dann suchen wir uns als Erwachsene oft einen Partner – oder einen nach dem anderen –, der diesem Elternteil ähnelt. Es ist der Versuch, den alten Kampf ums Geliebtwerden doch noch zu «gewinnen». Jill zum Beispiel fühlte sich immer wieder zu Männern hingezogen, die nicht zu ihr passten.

Es gibt den alten Witz von einem kurzsichtigen Mann, der spätabends seinen Schlüsselbund verloren hat und nun im Licht einer Straßenlaterne danach sucht. Jemand anders kommt vorbei und bietet an, ihm bei der Suche zu helfen, fragt aber zunächst: «Sind Sie sicher, dass Sie die Schlüssel hier verloren haben?» Der Mann antwortet: «Nein, aber hier ist es hell genug zum Suchen.»

Wie dieser Mann suchte auch Jill nach etwas, das in ihrem Leben fehlte, aber sie suchte nicht da, wo die Hoffnung bestand, es zu finden. Als eine Frau, die zu sehr liebt, suchte sie da, wo die Suche am einfachsten für sie war.

In diesem Buch werden wir herausfinden, was «zu sehr lieben» heißt, warum wir es tun, wo wir es gelernt haben und wie wir uns von dieser Form des Liebens trennen können, um unsere Beziehungen befriedigend zu gestalten. Zunächst will ich noch einmal Punkt für Punkt auf die typischen Merkmale von Frauen, die zu sehr lieben, eingehen.

1. Im typischen Fall stammen Sie aus einem gestörten Elternhaus, in dem Ihren emotionalen Bedürfnissen nicht entsprochen wurde.

Die Bedeutung dieses Satzes lässt sich wohl am einfachsten erschließen, wenn wir uns zunächst seiner zweiten Hälfte zuwenden: «… in dem Ihren emotionalen Bedürfnissen nicht entsprochen wurde.» Dabei sind mit «emotionalen Bedürfnissen» nicht nur die nach Liebe und Zuwendung gemeint. Noch schwerwiegender als diese wichtigen Aspekte ist es, dass Ihre Wahrnehmungen und Gefühle weitgehend unbeachtet blieben oder sogar verleugnet wurden, statt anerkannt und bestätigt zu werden. Hierzu ein Beispiel: Die Eltern streiten sich. Das Kind verspürt Angst und fragt die Mutter: «Warum bist du so böse auf Papa?» Die Mutter antwortet: «Ich bin doch gar nicht böse», sieht dabei aber wütend und erregt aus. Das Kind spürt Verwirrung und noch mehr Angst und sagt: «Ich habe dich aber schimpfen hören.» Die Mutter erwidert aufgebracht: «Noch einmal: Ich bin nicht böse, aber das wird sich gleich ändern, wenn du so weitermachst.» Das Kind erlebt jetzt Gefühle von Angst, Verwirrung, Ärger und Schuld. Die Mutter hat damit indirekt zu verstehen gegeben, dass die Wahrnehmung des Kindes nicht korrekt ist, aber wenn das stimmt, woher kommen dann die Angstgefühle? Nun muss das Kind eine Entscheidung treffen: zwischen dem Wissen, dass es recht hat und von seiner Mutter absichtlich belogen wurde, und dem Glauben, dass es mit dem, was es hört, sieht und fühlt, im Unrecht ist. Häufig bleibt dem Kind damit nichts als Verwirrung. Es muss seine Wahrnehmungen «abschalten», um nicht in die unangenehme Lage zu kommen, dass sie ihm im Nachhinein abgesprochen werden. Dies beeinträchtigt die Fähigkeit des Kindes und späteren Erwachsenen, sich und seinen Wahrnehmungen zu trauen – vor allem in engen Beziehungen.

Vielleicht wird auch dem Bedürfnis nach Zuwendung überhaupt nicht oder nur unzureichend entsprochen. Wenn Eltern miteinander streiten oder in andere Formen der Auseinandersetzung verstrickt sind, bleibt oft wenig Zeit oder Aufmerksamkeit für die Kinder in der Familie übrig. Infolgedessen verzehrt sich das Kind nach Liebe, ohne dabei zu wissen, wie es ihr trauen und sie akzeptieren soll. Zugleich hat es das Gefühl, diese Liebe nicht zu verdienen.

Nun komme ich zum ersten Teil des Satzes. Ein Elternhaus ist dann gestört, wenn mindestens einer der folgenden Punkte zutrifft:

Missbrauch von Alkohol und/oder anderen Drogen (legale wie zum Beispiel Medikamente oder illegale)

Zwangsverhalten wie zwanghaftes Essen, Arbeiten, Putzen, Spielen (um Geld), Einkaufen, zwanghafte Durchführung von Diäten oder sportlichen Übungen und so weiter. Bei diesen Beispielen handelt es sich sowohl um Suchtverhalten als auch um eine Krankheit mit fortschreitender Tendenz, deren schädliche Wirkung unter anderem darin besteht, dass sie aufrichtige Bindungen und wirkliche Intimität in einer Familie zerstört oder von vornherein verhindert.

körperliche Gewalt gegen Ehepartner und/oder Kinder

unangemessenes Sexualverhalten eines Elternteils dem Kind gegenüber, das von verführerischem Auftreten bis zum Inzest reichen kann

ständiges Streiten und ständige Spannung

länger andauernde Perioden, in denen die Eltern sich weigern, miteinander zu sprechen

Eltern, deren Ansichten oder Wertvorstellungen äußerst gegensätzlich sind oder die sich mit einander widersprechenden Verhaltensweisen der Loyalität ihrer Kinder versichern wollen.

Eltern, die miteinander oder mit ihren Kindern konkurrieren

ein Elternteil, der keine echte Beziehung zu anderen Familienmitgliedern herstellen kann, ihnen deshalb bewusst aus dem Weg geht, sie dabei aber für sein eigenes Verhalten verantwortlich macht

extrem starre Festlegungen in Bezug auf Geld, Religion, Arbeit, Zeiteinteilung, Äußerungen von Zuneigung, Sexualität, Freizeit, Hausarbeiten, Sport, Politik und so weiter. Solche rigiden Fixierungen können Aufrichtigkeit und Intimität verhindern, da der Schwerpunkt nicht auf den Beziehungen untereinander liegt, sondern auf dem Befolgen von Regeln.

Ist ein Elternteil auf eine oder mehrere der hier aufgeführten Verhaltensweisen oder Vorstellungen fixiert, erleidet das Kind Schaden. Sind beide Elternteile daran beteiligt, kann dies sogar noch schwerwiegendere Folgen haben. Oftmals weisen Eltern krankmachende Verhaltensformen auf, die sich gegenseitig ergänzen. Alkoholiker beispielsweise gehen häufig die Ehe mit jemandem ein, der zwanghaft essen muss. Jeder der beiden Partner kämpft dann darum, die Sucht des anderen zu kontrollieren. Oft halten sich die verschiedenen schädlichen Eigenschaften der Eltern gleichsam die Waage: Wenn die Mutter Fürsorglichkeit auf geradezu erdrückende Weise zeigt und der Vater ein sehr erregbarer, abweisender Mensch ist, dann macht das Verhalten des einen es dem anderen jeweils möglich, den eigenen schädlichen Einfluss auf die Kinder weiterhin auszuüben.

Dysfunktionale Familien existieren in allen denkbaren Variationen, aber sie alle haben etwas gemeinsam: Die Kinder, die in ihnen aufwachsen, sind in unterschiedlichem Ausmaß gefühls- und beziehungsmäßig behindert.

2. Sie haben selbst wenig Fürsorglichkeit erfahren und versuchen nun, dieses ungestillte Bedürfnis ersatzweise zu befriedigen, indem Sie besonders fürsorglich sind, vor allem Männern gegenüber, die in bestimmter Hinsicht als bedürftig erscheinen.

Denken Sie einmal daran, wie sich Kinder – vor allem kleine Mädchen – verhalten, wenn sie die Liebe und Anerkennung nicht bekommen, die sie wollen und brauchen. Während ein kleiner Junge vielleicht wütend wird und seine Verletztheit durch irgendeine Form destruktiven Verhaltens ausagiert, wird ein kleines Mädchen sich eher seiner Lieblingspuppe zuwenden. Indem es die Puppe wiegt, ihr gut zuspricht und sich auf einer bestimmten Ebene mit ihr identifiziert, unternimmt das kleine Mädchen den angestrengten Versuch, auf Umwegen die Fürsorglichkeit zu bekommen, die es braucht. Im Grunde tun Frauen, die zu sehr lieben, dasselbe, vielleicht ein wenig subtiler. Fürsorglichkeit wird für uns sehr häufig zum Berufs- oder gar zum Lebensinhalt. Frauen aus dysfunktionalen Familien (nach meinen Beobachtungen gilt das ganz besonders für Familien mit Alkoholproblemen) sind in den so genannten Helferberufen überrepräsentiert, arbeiten als Krankenschwestern, Beraterinnen, Therapeutinnen oder Sozialarbeiterinnen. Wir fühlen uns zu denen hingezogen, die bedürftig sind, identifizieren uns einfühlsam mit ihren Leiden und versuchen, diese zu lindern – und oft tun wir all dies, damit es uns selbst besser geht. Dass die Männer, für die wir uns am meisten interessieren, gleichzeitig diejenigen sind, die als besonders bedürftig erscheinen, leuchtet ein, sobald wir verstehen, dass es unsere eigene Sehnsucht nach Liebe und Hilfe ist, die hinter dieser Attraktion steckt.

Ein Mann, der bedürftig auf uns wirkt, braucht nicht unbedingt bettelarm oder kränklich zu sein. Vielleicht ist er ja auch unfähig, echte Beziehungen einzugehen, oder gefühlsarm und lieblos oder eigensinnig und egoistisch oder mürrisch und melancholisch. Vielleicht ist er ein bisschen zügellos und unzuverlässig oder nicht fähig, sich zu binden oder treu zu bleiben. Vielleicht erzählt er uns aber auch, dass er noch nie in der Lage war, jemanden zu lieben. Je nach familiärem Hintergrund reagiert jede von uns auf eine bestimmte Form von Bedürftigkeit. Aber am wichtigsten ist, dass wir reagieren, und zwar mit der Überzeugung, dieser Mann brauche unsere Hilfe, unser Mitgefühl und unsere Klugheit, um sein Leben besser in den Griff zu bekommen.

3. Weil es Ihnen nicht gelang, die liebevolle, zärtliche Zuwendung, nach der Sie sich gesehnt haben, von Ihrem Vater und/oder Ihrer Mutter zu bekommen, reagieren Sie unbewusst auf den vertrauten Typus «emotional nicht zugänglicher Mann», den Sie wieder durch Ihre Liebe zu ändern versuchen.

Vielleicht bemühten Sie sich verzweifelt um einen Elternteil, vielleicht sogar um beide. Aber was auch immer in der Vergangenheit falsch, nicht vorhanden oder schmerzhaft war – genau das versuchen Sie jetzt in Ordnung zu bringen.

Nun wird allmählich deutlich, dass bei uns etwas abläuft, was äußerst schädlich und zudem völlig sinnlos ist. Es wäre ganz in Ordnung, wenn wir all unsere Sympathie, unser Mitgefühl und Verständnis in die Beziehung zu einem wirklich liebesfähigen Mann einbringen würden, einem Mann also, der unseren Bedürfnissen auch entsprechen könnte. Aber Männer, die uns geben könnten, was wir brauchen, interessieren uns nicht. Sie kommen uns langweilig vor. Wir fühlen uns zu Männern hingezogen, mit denen wir die Qualen noch einmal erleben können, die wir mit unseren Eltern durchgemacht haben: Damals versuchten wir, gut, liebenswert, nützlich und intelligent zu sein, um Liebe, Aufmerksamkeit und Anerkennung von denen zu bekommen, die uns nicht geben konnten, was wir brauchten, weil sie mit anderen Problemen beschäftigt waren und sich für andere Dinge interessierten. Nun verhalten wir uns, als wenn Liebe, Aufmerksamkeit und Anerkennung nur dann wirklich zählen, wenn wir sie einem Mann entlocken können, der ebenfalls nicht in der Lage ist, uns all das bereitwillig zu geben, weil er mit anderen Problemen beschäftigt ist und sich für andere Dinge interessiert.

4. Weil Sie so große Angst davor haben, verlassen zu werden, würden Sie alles tun, um zu verhindern, dass eine Beziehung auseinanderbricht.

Verlassen werden – das ist ein sehr hartes Wort. Es heißt, allein zurückzubleiben, vielleicht zu sterben, weil wir nicht fähig sind, allein weiterzuleben. Verlassen werden – das kann eine Erfahrung im buchstäblichen, aber auch im übertragenen Sinne sein: Unser Partner kann uns emotional verlassen. Jede Frau, die zu sehr liebt, hat zumindest einmal erfahren, was emotionales Verlassensein wirklich bedeutet – mit all dem Schrecken und der unendlichen Leere, die damit verbunden sind. Wenn wir als Erwachsene von einem Mann verlassen werden, der in vieler Hinsicht die Menschen für uns verkörpert, die uns zuerst verlassen haben, wird auch das gesamte Ausmaß von Angst und Schrecken in uns wieder wach. Natürlich würden wir alles tun, um dieses Gefühl nicht noch einmal erleben zu müssen. Das führt uns zum nächsten Punkt.

5. Beinahe nichts macht Ihnen zu viel Mühe, nimmt zu viel Zeit in Anspruch oder ist Ihnen zu teuer, wenn es dem Mann «helfen» kann, mit dem Sie zusammen sind.

Hinter all den Hilfeleistungen steckt die Idee, es ließe sich damit erreichen, was Sie eigentlich wollen: einen neuen Mann aus ihm machen, der Ihnen das geben wird, was Sie wirklich brauchen. Während wir also oft bescheiden leben und uns nur wenig gönnen, geben wir bereitwillig und mit vollen Händen, wenn es darum geht, ihm zu helfen. Als Beispiele seien einige Leistungen genannt, die wir um seinetwillen erbringen:

Sie kaufen ihm Kleidung, um sein Selbstbewusstsein zu stärken.

Sie kümmern sich um einen Therapeuten für ihn und bitten ihn inständig, diesen aufzusuchen.

Sie finanzieren ihm teure Hobbys, die dazu beitragen sollen, dass er seine Zeit besser nutzt.

Sie ziehen mit ihm um, selbst wenn der Ortswechsel für Sie persönlich nur Nachteile bringt – mit der Begründung: «Er wird hier nicht glücklich.»

Sie geben ihm die Hälfte Ihres Eigentums, damit er sich Ihnen gegenüber nicht minderwertig vorkommt.

Sie stellen ihm Wohnraum zur Verfügung, damit er sich geborgen fühlen kann.

Sie lassen sich emotional von ihm missbrauchen – mit der Begründung: «Er hat noch nie seine Gefühle zum Ausdruck bringen dürfen.»

Sie beschaffen ihm Arbeit.

Daneben gibt es natürlich viele andere Formen von «Hilfe». Wir fragen uns kaum jemals, ob sie überhaupt angemessen sind, aber wir verwenden eine Menge Zeit und Energie darauf, uns neue Methoden auszudenken, die vielleicht besser funktionieren könnten als diejenigen, die wir bereits ausprobiert haben.

6. Mangel an Liebe in persönlichen Beziehungen ist Ihnen so vertraut, dass Sie willens sind, zu warten, zu hoffen und sich noch mehr darum zu bemühen, dem anderen zu gefallen.

Menschen mit einer anderen Lebensgeschichte wären fähig, sich in einer solchen Lage zu sagen: «Es ist so schrecklich. Ich fühle mich so schlecht dabei, dass ich die Sache lieber beende.» Wir hingegen nehmen an, dass wir irgendwie noch nicht genug für unsere Beziehung getan haben, sobald etwas nicht unseren Vorstellungen entspricht und wir dabei unglücklich sind. Jede Kleinigkeit im Verhalten unseres Partners werten wir als möglichen Hinweis darauf, dass er endlich doch beginnt, sich zu ändern. Wir leben mit der Hoffnung, morgen werde alles ganz anders sein. Darauf zu warten, dass der andere sich ändert, ist für uns tatsächlich bequemer, als uns selbst und damit unser eigenes Leben zu ändern.

7. Sie sind bereit, in jeder Ihrer Beziehungen weitaus mehr als die Hälfte der Verantwortung und Schuld zu übernehmen.

Diejenigen von uns, die aus gestörten Familien stammen, hatten häufig Eltern, die unzuverlässig, kindisch und schwach waren. Wir wuchsen zu schnell heran und wurden Pseudo-Erwachsene, ohne reif für die Belastungen zu sein, die eine solche Rolle mit sich bringt. Aber wir fanden auch Gefallen an der Macht, die von der Familie und anderen Menschen auf uns übertragen wurde. Heute glauben wir, es sei allein unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass eine Beziehung funktioniert. Wir suchen uns häufig Partner, die unzuverlässig sind, Schuld generell anderen zuschieben und uns damit in dem Gefühl bestärken, die Sorge um die Beziehung und die Arbeit an ihr sei allein unsere Aufgabe. Wir sind schließlich Experten im Umgang mit Belastungen.

8. Der Grad Ihrer Selbstachtung ist alarmierend niedrig, und im Innersten glauben Sie nicht, dass Sie es verdienen, glücklich zu sein. Vielmehr glauben Sie, Sie müssten sich das Recht verdienen, das Leben zu genießen.

Wenn unsere Eltern uns nicht das Gefühl gaben, ihre Liebe und Aufmerksamkeit zu verdienen, wie sollen wir dann überhaupt glauben können, liebenswert zu sein? Nur ganz wenige der Frauen, die zu sehr lieben, haben die feste innere Überzeugung, dass sie allein durch ihre Existenz berechtigt sind, zu lieben und geliebt zu werden. Wir glauben stattdessen, mit schrecklichen Fehlern und Makeln behaftet zu sein und zum Ausgleich dafür besonders viel Gutes tun zu müssen. Wir fühlen uns schuldig für diese Unzulänglichkeiten und leben in der ständigen Angst, sie könnten entdeckt werden. Tag für Tag mühen wir uns ab, als «gute» Menschen zu erscheinen, weil wir nicht glauben, dass wir es sind.

9. Sie haben das verzweifelte Bedürfnis, Ihren Partner und generell Ihre Beziehungen zu kontrollieren, weil Sie in Ihrer Kindheit wenig Sicherheit erlebt haben. Ihre Bemühungen, Menschen und Situationen unter Kontrolle zu bringen, maskieren Sie als «Hilfsbereitschaft».

Ein Kind, das in einer Familie lebt, die chaotische Formen von Störungen aufweist (wie bei Alkoholismus, körperlicher Gewalt oder Inzest), wird durch den Verlust an Kontrolle in dieser Familie zwangsläufig in Panik versetzt. Die Menschen, auf die das Kind angewiesen ist, entziehen sich, beschützen es nicht, weil sie dafür zu krank sind. Statt Sicherheit und Schutz zu gewähren, bedeutet eine solche Familie für das Kind eher Bedrohung und Gefahr. Weil diese Art von Erfahrung so überwältigend, so verheerend ist, versuchen diejenigen, die sie erleiden mussten, gewissermaßen den Spieß umzudrehen. Indem wir anderen gegenüber stark und hilfsbereit sind, schützen wir uns vor der Panik, die in uns aufsteigt, sobald wir jemandem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Wir brauchen das Zusammensein mit Menschen, denen wir helfen können, um uns selbst sicher zu fühlen und Kontrolle zu gewinnen.

10. In einer Beziehung stehen Sie mehr in Verbindung mit dem Traum davon, wie es sein könnte, als mit Ihrer realen Situation.

Wenn wir zu sehr lieben, leben wir in einer Phantasiewelt, wo sich der Mann, mit dem wir so unglücklich oder unzufrieden sind, schon magisch verwandelt hat. Damit nähren wir den Glauben, dass er sich – mit unserer Hilfe – auch in Wirklichkeit verändern kann, ja sogar verändern wird. Weil wir gar nicht recht wissen, was es heißt, in einer Beziehung glücklich zu sein und mit unseren emotionalen Bedürfnissen ernst genommen zu werden, wagen wir es am ehesten in dieser Traumwelt, uns zu holen, was wir wollen.

Wenn wir nämlich einen Partner hätten, der schon all das verkörperte, was wir wollen – wozu sollte der uns überhaupt noch brauchen? Unsere Begabung (und unser zwanghaftes Bedürfnis) zu helfen würde das Betätigungsfeld verlieren. Ein großes Stück unserer Identität würde sozusagen brachliegen. Also suchen wir uns einen Mann, der nicht verkörpert, was wir wollen – und träumen weiter.

11. Sie sind abhängig von Männern und seelischem Schmerz.

Stanton Peele schreibt in seinem Buch ‹Love and Addiction› (Liebe und Abhängigkeit): «Abhängigkeit ist eine bestimmte Empfindung, die das Bewusstsein einer Person absorbiert und wie ein Analgetikum Angst- und Schmerzgefühle lindert. Es eignet sich wohl kaum etwas so gut dazu, unser Bewusstsein zu absorbieren, wie ein bestimmter Typus von Liebesbeziehung. Eine Abhängigkeit erzeugende Beziehung ist zum einen gekennzeichnet durch das Verlangen nach der beruhigenden Gegenwart eines anderen Menschen … Zum Zweiten setzt sie die Fähigkeit dieser Person herab, sich überhaupt noch anderen Lebensbereichen zuzuwenden.»

Wir benutzen unsere zwanghafte Fixierung auf die Männer, die wir lieben, um eigene Gefühle von Schmerz, Leere, Angst und Wut zu vermeiden. Wir benutzen unsere Beziehungen wie Drogen, um die Erfahrung zu umgehen, unsere Gefühle ganz allein mit uns selbst aushalten zu müssen. Je schmerzhafter die Interaktionen mit unserem Partner sind, desto mehr Ablenkung bietet er uns. Eine besonders schreckliche Beziehung dient für uns demselben Zweck wie eine starke Droge. Wenn der Mann, auf den wir uns ausschließlich konzentriert hatten, nicht mehr da ist, machen wir eine Art Entzug durch, oft sogar mit vielen der körperlichen und seelischen Symptome, die den eigentlichen Drogenentzug begleiten: Übelkeit, Schwitzen, Schüttelfrost, Zittern, Unruhe, Zwangsvorstellungen, Depressionen, Schlaflosigkeit, Angst- und Panikzustände. In dem Bemühen, diese Symptome zu lindern, kehren wir zu unserem letzten Partner zurück oder suchen verzweifelt einen neuen.

12. Möglicherweise sind Sie psychisch und auch physiologisch anfällig dafür, von Drogen, Alkohol und/oder bestimmten – vorwiegend zuckerhaltigen – Nahrungsmitteln abhängig zu werden.