Büchlein für die Jugend - Ludwig Aurbacher - E-Book

Büchlein für die Jugend E-Book

Ludwig Aurbacher

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Inhaltsverzeichnis: I. Ferien-Reise. II. Die Erzählung des Vaters: Placidus und seine Familie. III. Scenen aus dem Leben. IV. Das Mährchen von den Kücheln. - Der Reiter und sein Ross. - Der Lügner. - Der Vogel und der Bauersmann. V. Das Hirtenbüblein. - Marianne. - Die Christgeschenke. - Röschen. VI. Die Ruine Werdenfels. - Das Fräulein von Schroffenstein. VII. Die Erzählung der Tante: Der böse Fritz oder der Thierquäler. VIII. Die Pathengeschenke. - Des armen Waisen Leben und Tod. - Das Mährchen von der neugierigen Frau. - Das muthige und listige Schneiderlein. - Sankt Antonius und der Schwabe. - Dummrian. IX. Die Erzählung des Onkels: Die Volkssagen vom Untersberg. X. Das Zaunköniglein, eine Fabel. - Der Teufel und der Bauer, ein Schwank. - Die zwei Brüder, ein Mährchen. XI. Scenen aus der Geschichte. XII. Die Erzählung der Mutter: Marien-Kind. XIII. Rückkehr.

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Büchlein für die Jugend

Ludwig Aurbacher

Inhaltsverzeichnis:

Ludwig Aurbacher – Biografie und Bibliografie

Büchlein für die Jugend

I. Ferien-Reise.

II. Die Erzählung des Vaters: Placidus und seine Familie.

III. Scenen aus dem Leben.

IV. Das Mährchen von den Kücheln. – Der Reiter und sein Ross. – Der Lügner. – Der Vogel und der Bauersmann.

V. Das Hirtenbüblein. – Marianne. – Die Christgeschenke. – Röschen.

VI. Die Ruine Werdenfels. – Das Fräulein von Schroffenstein.

VII. Die Erzählung der Tante: Der böse Fritz oder der Thierquäler.

VIII. Die Pathengeschenke. – Des armen Waisen Leben und Tod. – Das Mährchen von der neugierigen Frau. – Das muthige und listige Schneiderlein. – Sankt Antonius und der Schwabe. – Dummrian.

IX. Die Erzählung des Onkels: Die Volkssagen vom Untersberg.

X. Das Zaunköniglein, eine Fabel. – Der Teufel und der Bauer, ein Schwank. – Die zwei Brüder, ein Mährchen.

XI. Scenen aus der Geschichte.

XII. Die Erzählung der Mutter: Marien-Kind.

XIII. Rückkehr.

Ludwig Aurbacher – Biografie und Bibliografie

Von Julius Hamberger

Der Verfasser des „Volksbüchleins“, geb. 26. Aug. 1784 zu Türkheim in der Grafschaft Schwabeck als der Sohn eines ganz unbemittelten Handwerkers, † 25. Mai 1847. Frühzeitig erwachte in ihm die Absicht, sich dem geistlichen Stande zu widmen. 1801 trat er in das weitberühmte Kloster zu Ottobeuren, und nach dessen gleich darauf erfolgter Aufhebung in der vorderösterreichische Stift Wiblingen als Novize ein. Die übermäßigen Anstrengungen aber, denen er sich in diesem Kloster zu unterziehen hatte, brachen seine Gesundheit leider für immer. Zudem bemächtigten sich seiner religiöse Zweifel, deren Lösung erst in viel späteren Zeiten bei ihm erfolgte, die ihm aber zunächst eine wahre Höllenpein verursachten. So schied er denn von Wiblingen aus und trat um 1804 bei einer sehr gebildeten Familie zu Ottobeuren als Hofmeister ein, in welcher Stellung er noch Muße genug fand, sich von der deutschen und französischen Literatur eine eingehende Kenntnis zu verschaffen. Zu Ostern 1809 erhielt er hierauf eine Anstellung als Professor der Rhetorik und Poetik am kgl. Cadetten-Corps zu München, welches Amt ihn zur Herausgabe verschiedener, auch jetzt noch schätzbarer Schriften, wie namentlich der „Andeutungen zu einem neuen und einfachen Entwurf der Psychologie“ und einer Abhandlung „Ueber die Methode des rhetorischen Unterrichtes“, beide zunächst für Lehrer bestimmt, dann eines „Lehrbuchs des deutschen Stils“ in 2 Teilen, der „Grundlinien der Rhetorik“ – der „Poetik“ – der „Rhythmik“, auch einer Theorie des militärischen Geschäftsstils veranlasste. In diese literarische Tätigkeit gehören auch, nächst der Redaktion der „Schulblätter“ in den Jahren 1829 bis 1832, seine „Philologischen Belustigungen“, sein „System der deutschen Orthographie“, sein kleines „Wörterbuch der deutschen Sprache“, seine „Vorschule zur Geschichte und Kenntniß der deutschen Literatur“, und weiterhin das anonym erschienene „Handbuch zur intellectuellen und moralischen Bildung für angehende Officiere“, sowie die sehr gehaltreichen „Pädagogischen Phantasien“. Wenn schon in allen diesen Arbeiten Aurbacher’s ernstes Bemühen um Förderung echter Humanität in der erfreulichsten Weise sich kund gibt, so hat er seinen tief religiösen Sinn auch durch eine „Anthologie deutscher katholischer Gesänge aus älterer Zeit“ und durch eine neue Ausgabe von Angelus Silesius’ „Geistlichen Hirtenliedern“ und dessen „Cherubinischem Wandersmann“ betätigt. Ja es gelang ihm sogar, in seinen „Perlenschnüren“ religiös-philosophischer Sprüche dem Tone des Angelus Silesius selbst bedeutend sich anzunähern. Seine „Dramatischen Versuche“, seine Novellen und lyrischen Gedichte kann man nicht zu seinem Besten rechen; gelungener ist sein dem J. 1834 angehörendes „Büchlein für die Jugend“; einen wahren Schatz echter Volkspoesie besitzen wir dagegen in seinem 1826 in erster, 1835 in zweiter Auflage erschienenen „Volksbüchlein“. Es einigten sich eben in seinem Wesen die beiden Haupteigenschaften des Volksschriftstellers: Ernst und muntere Laune, in vorzüglichem Maße, und wenn er gleich die Bahn des Gelehrten eingeschlagen hatte, so bewahrte sich ihm doch, bei der Schlichtheit und Einfalt seines Gemütes, der Sinn und die Liebe für das Volksleben, aus welchem er selbst hervorgegangen war, in vollster Kraft bis in seine späteren Lebenstage. So konnte denn sein „Volksbüchlein“, wodurch es sich wesentlich von ähnlichen Leistungen Anderer unterscheidet, nicht bloß ein Buch für das Volk, sondern ganz eigentlich ein Buch des Volkes, ein dessen Leben selbst entstammendes Buch werden. Währen die „Abenteuer der sieben Schwaben“ und die „Wanderungen des Spiegelschwaben“, welche beide A. scherzweise als die schwäbische Ilias und Odyssee bezeichnete und die von ihm merkwürdiger Weise in einer Periode der äußersten Melancholie verfasst worden, von dem köstlichen Humor ganz und gar erfüllt sind, so legt sich im „Doctor Faustus“, besonders aber in der „Geschichte des ewigen Juden“, bei aller Popularität der Darstellung, ein echtphilosophischer Tiefsinn zu Tage. Von nicht minderer Vortrefflichkeit sind die beigefügten „Ergötzlichen und erbaulichen Erzählungen“. Unter den Papieren Aurbacher’s, der im J. 1834 wegen zunehmender Kränklichkeit von seiner Professur zurücktrat, hat sich noch eine kleine volkstümliche Dichtung „Die Laienbrüder“ vorgefunden, welche bald nach seinem Dahinscheiden im V. Bande der Münchener „Fliegenden Blätter“ Dr. Friedrich Beck veröffentlich hat. Es enthielt aber sein literarischer Nachlass ferner noch sehr reiche Vorarbeiten zu einem „Schwäbischen Idiotikon“, welche von den Erben dem Prof. Adelb. v. Keller in Tübingen überlassen wurden. Eine Autobiographie Aurbacher’s bis zum Antritt seines Lehramtes am kgl. Cadetten-Korps bewahrt die kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München.

Büchlein für die Jugend, L. Aurbacher

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849602840

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Büchlein für die Jugend

I. Ferien-Reise.

Die Familie hatte beschlossen, die ersten September-Tage, welche im südlichen Bayern, ungeachtet des sonst rauhen Klima's, gewöhnlich einen heitern, freundlichen Charakter annehmen, auf dem Lande und zwar im Gebirge zuzubringen. Man hatte die Gegend gewählt, welche in frühern Zeiten die Grafschaft Werdenfels geheißen, und die, wie wenige Landschaften, das Freundliche, Heimliche, Idyllische zugleich mit dem Grandiosen und Majestätischen der Natur vereiniget. In Garmisch, einem Orte, der, mitten im Thale wohl gelegen, die freie Räumlichkeit eines Dorfes und zugleich die Bequemlichkeit eines Städtchens darbietet, hatte ihnen ein Freund eine Wohnung besorgt, welche die zahlreiche Familie wohl aufnehmen konnte, dergestalt, daß die Frauen ihr Hauswesen selbst auf leichte und wohlfeile Weise zu besorgen vermochten. Man vermißte nur das Angewohnte, Zierliche des heimischen Herdes, nicht aber das Bequeme, Naturgemäße.

Die ersten zwei, drei Tage hatte man in jener süßen Betäubung, in jenem träumerischen Zustande verlebt, den der Städter jederzeit erfährt, wenn er nach langer Zeit wieder einmal auf das Land, mitten in die freie, frohe Natur versetzt wird. Die mannichfachen, bunten Gestalten, die nahen Berge, die üppigen Wälder und Fluren, die entfesselten Bäche, das saftige Wiesengrün, frische Luft, freie Bewegung, heitere Muße – lauter Schönheiten und Genüsse, die, wenn auch früher schon und öfter erfahren, doch wieder in der Erinnerung erblaßt und untergegangen sind, – sie wecken den tauben Sinn, die schlummernde Seele zu plötzlichem Entzücken auf; man lebt ein neues Leben; man fühlt sich durchweg erfrischt, umgewandelt, beseligt. Den Tag über ergeht man sich in der freien, schönen Natur, und zerstreut sich an ihren Zerstreuungen, an ihren mannichfaltigen Reizen, und den Abend – wenn nicht eine wohlthuende Müdigkeit bald zur Ruhe einlädt – verplaudert man in kurzweiligen Gesprächen über das, was man den Tag über gesehen, genossen hat; oder man verliert sich wohl auch in Erinnerungen an die Heimath, an die Freunde in der Ferne, die man so gern sich herbei wünschen möchte, um bei ihrer Theilnahme die Freuden der Natur und des Landlebens doppelt zu genießen.

Die Witterung änderte sich, es trat Regen ein. Bei Leuten, die bloß des Vergnügens und der Erholung wegen auf dem Lande sich aufhalten, ist dieser Umstand von Entscheidung; er veranlaßt sie, auf Zerstreuungen anderer Art zu sinnen, als welche die Natur und sonst wohl die Stadt darbieten, und nöthigt sie, durch Rückkehr auf sich selbst und in enger Beschlossenheit des Familienlebens angenehme Unterhaltung zu suchen.

Der Vater verwendete den Morgen zur Besorgung der nöthigsten Correspondenzen und Rechnungen; die Mutter gab sich in der Küche zu schaffen, und änderte Manches im Hause zu besserer Wohnlichkeit; die Großmutter stand ihr bei in dem Geschäfte, rathend und nachhelfend; die Tante beschäftigte sich mit den beiden Mädchen; der Großvater saß geruhig am Fenster oder erhob sich wohl auch, das Thun und Treiben der Leute zu beschauen; der Onkel endlich war, trotz des schlimmen Wetters, hinausgegangen, und trieb sich im Dorfe und im Freien umher mit den beiden Knaben.

Als die Familie gegen Mittag wieder vereinigt war (die Kinder spielten noch vor Tisch auf dem geräumigen Söller), da nahm der Vater das Wort, und sprach: »Der heutige unfreundliche Morgen hat uns alle gemahnt, daß wir bei unserm längern Landaufenthalte, wollen wir uns nicht mitunter der bösen Langweile bloß stellen, wohl noch auf andere Unterhaltung denken müssen, als welche uns die Natur gewähren kann; denn obgleich übrigens ein stilles, ruhiges Beisammenwohnen einer Familie, wie die unsrige, für sich schon behaglich und gemüthlich genug ist, so will doch auch der Geist seine angemessene Beschäftigung, und er findet sie zumeist in einer bestimmten Aufgabe und in einer freiwilligen Beschränkung innerhalb eines gegebenen Spielraums. Nun haben die Frauen, vor unserer Abreise, uns Männern die schwere Verbindlichkeit auferlegt, daß wir keine Bücher mitnehmen sollen in die ländliche Einsamkeit, und damit so recht den Nerv unsers geistigen Lebens durchschnitten; wogegen sie freilich aber auch das ungeheure Versprechen gethan und gehalten, daß sie keine Schachteln in den Wagen mitnehmen wollten, mit Zier- und anderm Unrath; was denn freilich ihnen große Resignation gekostet hat.«

Die Mutter unterbrach ihn, und bemerkte lächelnd: »die Uebereinkunft sey von beiden Seiten mit gleich schweren Opfern geschehen, da der Männer Lectüre doch auch gewöhnlich nur als solcher Zier- und Unrath anzusehen sey.«

»Um nun die freiwillige Einbuße dieses Zier- und andern Unraths wo möglich zu ersetzen – fuhr der Vater fort – möge denn folgender Rath erwoben und angenommen werden. Da wir doch zunächst der Kinder wegen, und um ihnen Erheiterung und Erholung zu verschaffen, die Stadt verlassen und das Land aufgesucht haben, so wollen wir auch vor Allem darauf bedacht seyn, daß wir diesen unsern Lieben recht viel Angenehmes bereiten, nebst allem nur möglichen Nützlichen. Und darum mache ich den Vorschlag, der auch gewiß euren Beifall erhalten wird: daß wir jeden Tag, oder doch so oft, als es Umstände erlauben und Neigungen einladen, eine Stunde ausschließlich ihrer Unterhaltung widmen, und mit angemessenen Vorträgen und andern, Geist und Herz anregenden, ernsten und heitern Mittheilungen sie erfreuen.«

»Diesen Fall habe sie voraus gesehen – sagte die Tante – und darum habe sie ja eben in Ansehung der jugendschriften Nachsicht empfohlen und Ausnahme hingerathen, um der Kinder willen.«

»Damit sie nämlich – neckte der Onkel – auch einige Nachsicht und Ausnahme hätte erlangen mögen in Ansehung einer und der andern Schachtel.«

»Das Vorlesen aus Büchern, Kindern gegenüber – sagte der Großvater – erscheint mir so unnatürlich und wirkungslos zu seyn, wie eine abgelesene Predigt vor einer Dorfgemeinde. Das Volk und die Kinder wollen das lebendige Wort haben; sie wollen Aug' in Aug', Mund an Mund genießen; und an ihre Herzen geht nur, was von Herzen (par cœur) geht.

Mir wenigstens – sagte die Großmutter – kommt nichts unnatürlicher und verkehrter vor, als z.B. ein Mährchen, das vorgelesen wird. Wie es entstanden, so soll es auch fortgeleitet werden, als lebendige Sage. Die Frucht schmeckt am besten, wenn sie frisch vom Baume gepflückt wird. Ein niedergeschriebenes und vorgelesenes Mährchen erscheint mir wie ein Schmetterling, unter Glas und Rahmen gefaßt. Lieber schau' ich ihn, wie er sich regt und bewegt auf Blumenkelchen, in den Lüften.«

»Und so ist es denn meine Meinung und mein Vorschlag – fuhr der Vater fort – es sollte jedes von uns, abwechselungsweise und zu festgesetzter Stunde, irgend eine Legende, ein Mährchen, eine Volkssage, oder sonst eine Erzählung mittheilen, die für die Kinder unterhaltend und belehrend, und auch für uns Große immerhin noch anziehend genug wäre. Den letztern Punkt dürfte man, wohlgemerkt! nicht aus dem Auge verlieren, damit man nicht Gefahr laufe, daß das Kindliche ins Kindische ausarte. Und ich glaube auch, daß dieser Forderung zu genügen sey. Denn gleichwie unser Umgang mit Kindern nicht nur nicht störend wirkt für sie und uns, sondern im Gegentheil recht sehr fördernd und jede herzliche Annäherung und geistige Erkräftigung anregend: also muß es auch, dünkt mich, eine Sprache, eine Auffassung und Darstellung der Gegenstände geben, welche Jung und Alt gleichmäßig anziehet und befriediget; wie denn in der That die echte Einfalt weise, und die echte Weish it einfältig ist.«

Die Tante bemerkte scherzend, daß dieß doch kaum möglich sey, zumal im Angesicht der Männer, deren Schul- und Weltweisheit zu eng und zu weit sey, um das rechte Maß zu erkennen und anzuerkennen.

»Das sey unsere Sorge – erwiederte der Onkel – an mir wenigstens soll es nicht fehlen, daß der kritische Maßstab richtig gehandhabt werde; und ich werde es jederzeit zu rügen wissen, wenn z.B. die Einfalt gar zu einfältig, oder die Weisheit gar zu naseweis erscheinen würde.«

»Weil nun aber ich es war, der diesen Vorschlag gemacht hat – sagte der Vater – so ziemt es sich wohl, daß ich mit gutem Beispiele voraus gehe, und sohin gleich heute Abends mit einer solchen Unterhaltung beginne, die auch, ihres frommen Inhaltes wegen, dem Tage des Herrn, den wir morgen feiern werden, als vorbereitende Erbauung angemessen seyn sollte. Auch in Ansehung der Form wird die Erzählung genügen, und (setzte er lächelnd hinzu) ihr Uebrigen mögt nur geradezu ein Muster daran nehmen, wie man zu Kindern sprechen soll.«

II. Die Erzählung des Vaters: Placidus und seine Familie.

Als die Kinder vernommen, welche Unterhaltungen ihnen zugedacht worden, so jubelten sie laut auf. Sie sahen der Abendstunde mit Sehnsucht entgegen, die ihnen diese Gabe bringen würde. Fritz, der lebhafte, wollte zum voraus den Inhalt erfahren, oder mindestens, ob es ein Mährchen, oder sonst etwas Liebliches der Art sey. Der Vater erwiederte: »was er zu erzählen gedenke, sey eine schöne Geschichte, eine Sage aus dem christlichen Alterthum, und für Groß und Klein gleich lehrreich und unterhaltend. Das Weitere werde er zur Stunde erfahren, bis wohin er sich gedulden solle.«

Abends, als nach genossenem Mahle die Familie noch in trautem Kreise beisammen sitzen geblieben, begann der Vater also:

Im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt lebte zu Rom am Hofe des Kaisers Trajanus ein Mann, der hieß Placidus. Er war der Feldhauptmann des Kaisers, und stand in großen Ehren bei ihm. Denn er war mannhaft im Felde, anschlägig im Rathe, dabei eines gar gütigen und leutseligen Gemüthes. Wiewohl ein Götzendiener, befliß er sich dennoch der Werke der Barmherzigkeit, und gab den Armen reichlich. Auch ließ er zwei Söhne, die ihm seine gar wackere und fromme Hausfrau geboren hatte, mit großer Sorgfalt erziehen, wie es seinem Rang und Reichthum nicht anders gebührte. – Placidus Wandel gefiel Gott wohl. Darum beschloß er, vom eiteln Götzendienst ihn zu erlösen, und sich ihm zu offenbaren in seiner Herrlichkeit, auf daß er möchte selig werden, sammt seinem Weibe und seinen Söhnen. – Eines Tages, als der Feldhauptmann Placidus der Jagd oblag, geschah es, daß ein Rudel Hirsche vor ihm aufsprang, unter welchen einer sich vor allen andern unterschied durch seine Größe und Schönheit. Dieser eine sonderte sich ab von dem Haufen, und entsprang in das Dickicht. Während nun die übrigen den andern Hirschen nachsetzten, verfolgte Placidus jenen einen Sprosser durch Strauch und Busch, und spürte eine absonderliche Begierde, ihn zu fahen. Der Hirsch, nachdem er den Placidus lange durch die wildesten Gegenden des Waldes geführt, sprang endlich auf eines steilen Felsen gähe Zinne, und stand daselbst. Placidus ritt an den Fels hinan, um zu sehen, wie dem Thier am besten beizukommen wäre. Indem er aber das schöne große Thier mit großem Verlangen betrachtete, ward er zwischen den Geweihen des Hirschen das Bildniß des gekreuzigten Heilands gewahr, welches ihn ansah mit vielem Ernst und mit Wehmuth. »Placidus, sprach der Heiland, was verfolgst du mich? Ich bin Christus, welchem du dienest, ohne ihn zu kennen. Deine Almosen sind vor mich gekommen, und haben Gnade vor mir gefunden. Darum bin ich vom Himmel herabgestiegen, um mittelst dieses Hirschen, den du jagtest, dich selbst zu erjagen und zu fahen.« Als Placidus dieses hörte, fiel er vor großer Furcht vom Pferd auf die Erde, und lag daselbst fast sinnlos bei einer halben Stunde lang. Als er hierauf wieder zu sich selbst gekommen, sprach er: »Herr, wer bist du, der du mit mir redest? offenbare dich mir, auf daß ich an dich glaube.« Da sprach der Herr zu ihm: »Ich bin Christus, des lebendigen Gottes Sohn. Ich bin auf die Welt gekommen, um das sündige Menschengeschlecht zu erlösen durch meinen Tod. Nun aber lebe ich, und es werden durch mich Alle leben, die an mich glauben.« Als Placidus diese Worte hörte, fiel er abermal auf sein Angesicht, und sprach: »Ich glaube, Herr, daß du es bist, der die Irrenden bekehret und die Sünder erlöset.« »Wohlan, sprach der Herr, wenn du glaubest, so gehe eilends zu dem Bischofe der Stadt und lasse dich taufen.« Placidus sprach: »Gefällt es dir, o Herr, so will ich diese Dinge auch meinem Weibe und meinen Söhnen verkündigen, auf daß sie zugleich mit mir der Taufe theilhaftig werden.« Der Herr antwortete: »Verkündige ihnen nur, auf daß sie gereiniget werden, gleich dir. Morgen aber um diese nämliche Stunde komm wieder her zu mir an diesen Ort, so will ich dir offenbaren, was zukünftig ist.«

Als Placidus wieder nach Hause gekommen, so entdeckte er seiner Frau Alles, was ihm begegnet wäre. Sie erwiederte: »Mein Herr und Gemahl, ein Aehnliches ist auch mir geoffenbaret worden. Ich habe einen Unbekannten neben mir stehen sehen in der vergangenen Nacht, welcher zu mir sprach: Morgen sollst du und dein Gemahl und deine Kinder zu mir kommen. Jetzt sehe ich, daß solches kein Anderer gewesen, als der Herr Christus.« Als Placidus dieses hörte, stand er auf in derselbigen Nacht, nahm Frau und Kinder zu sich, und begab sich, sammt ihnen, zum Bischof, welchen er bat, daß er sie taufen möchte. Der Bischof that solches mit Freuden, und nannte den Placidus Eustachius; seine Hausfrau nannte er Theospita; die beiden Söhne aber Agapitus und Theospitus. Am folgenden Morgen befahl Eustachius seinen Dienern sich wieder zur Jagd anzuschicken, und ritt mit ihnen in denselbigen Wald, wo sie gestern gejagt. Als sie daselbst angelangt waren, vertheilte er die Diener hiehin und dorthin, vorwendend, daß sie auf diese Weise das Wild am besten würden aufspüren können. Er selbst aber folgte der Fährte des vorigen Tages, und gelangte glücklich wieder an die wohlbekannte Klippe. Daselbst sah er den gekreuzigten Heiland wieder stehen zwischen den Hörnern des Hirschen. Eustachius fiel nieder auf sein Angesicht, und sprach: »Gefällt es dir, Herr, so offenbare mir, was du mir versprochen hast.« Der Herr antwortete: »Selig bist du, Eustachius, der du abgewaschen wurdest durch das Bad der heiligen Taufe. Hinfort hat der Feind kein Recht mehr über dich. Du hast der Schlange den Kopf zertreten; doch wird sie dich in die Fersen stechen. Du wirst noch viel erleiden müssen, Eustachius, bevor du die Krone erlangest. Gleich Hiob wirst du gedemüthiget werden; wenn du aber gleich ihm bewährt erfunden bist, wirst du gleich ihm wieder erhoben werden. So sage nur, ob du gleich jetzt die Anfechtung zu erproben wünschest, oder dereinst am Ende deines Lebens.« »Herr, erwiederte Eustachius, kann es nicht anders seyn, so laß die Anfechtung gleich jetzt hereinbrechen. Nur gib mir Kraft, sie zu ertragen, auf daß ich nicht zu Schanden werde.« Der Herr sprach: »Sey getreu! Meine Gnade wird dir nicht fehlen.« Also fuhr der Herr wieder gen Himmel. Eustachius aber kehrte nach Hause zurück, und hinterbrachte seiner Frau alle diese Dinge.

Die Prophezeyung des Herrn ging bald in Erfüllung. Einige Tage darauf kam die Pestilenz unter das Gesinde des Eustachius, und tödtete alle seine Knechte und Mägde. Nicht lange darnach starben ihm seine Rosse und sein sämmtliches Vieh. In kurzer Zeit darauf benutzten böse Menschen die Verödung und Bestürzung des Hauses, brachen bei nächtlicher Weile ein, und raubten die Wohnung rein aus; alles Gold und Silber, alle kostbaren Geräthe, sammt Kleidern und Lebensmitteln, wurden fortgeführt, also daß nichts übrig blieb. Eustachius lobte Gott für Alles, nahm Weib und Kinder, und floh arm und bloß von dannen. – Verlassen von allen seinen Freunden, und sich schämend seiner jetzigen Armuth in einem Lande, wo er früherhin in Pracht und Herrlichkeit zu leben gewohnt war, beschloß er mit den Seinigen in Aegypten-Land zu ziehen. Er begab sich an das Gestade des Meeres, und da gerade ein Schiff nach Aegypten abgehen wollte, bestieg er solches sammt seiner Frau und beiden Söhnen. Als sie über das Meer gekommen waren und jetzt ans Land steigen wollten, verlangte der Schiffsherr die Bezahlung. Da sie aber nichts hatten zu geben, begehrte der Schiffsherr, daß des Eustachius Frau bei ihm zurückverbleibe zur Bürgschaft, so lange bis, er Bezahlung erhalten. Eustachius weigerte sich dessen. Als aber der Schiffsherr drohte, ihn ins Meer zu werfen, wenn er nicht nachgebe, mußte er es leider geschehen lassen, nahm seine Kinder auf den Arm, und schlich traurig davon. Nachdem er eine Strecke gewandert war, gelangte er an einen Fluß. Das Wasser war breit, der Strom reißend. Eustachius getraute sich nicht, beide Kinder zugleich durch den Strom zu tragen, legte daher das eine diesseits ins Gras, und trug zuvor das andere über. Sobald er dieses jenseits ins Gras gelegt, eilte er zurück in den Strom, um das andre nachzuholen. Mittlerweile kam aus dem nahen Walde ein Wolf, faßte das Kind, das er eben hingelegt hatte und lief damit auf den Wald zu. Eustachius sah es, vermochte gleichwohl nicht zu helfen, verzieh sich dieses einen Kindes, und eilte nun, das andere zu holen. Ehe er aber noch das Ufer erreichen konnte, kam ein Löwe gelaufen aus dem diesseitigen Wald, faßte das Kind zwischen den Zähnen, und rannte damit waldein. Eustachius weinte bitterlich, raufte sein Haar, und würde sich in den Fluß gestürzt haben, wenn Gottes Gnade ihm nicht beigestanden wäre. »Wehe mir! rief er, der ich grünte wie ein grüner Baum, und jetzt gleiche einem geschälten Stamm; der ich von Schaaren dienender Krieger umgeben war, und jetzt bin ich allein auf der weiten Welt. Heiliger Gott! fuhr er fort, du hast mir geweissagt, daß ich versucht werden solle, gleichwie Hiob versucht ward. Meine Trübsal aber ist herber, denn die seinige. Ihm blieb, nachdem er seine Güter verlassen, wenigstens ein Aschenhaufen übrig, auf dem er ruhen konnte, mir aber gebricht auch dieser. Ihm blieben Freunde übrig, welche mit ihm klagten; mir aber sind die Kinder von den wilden Thieren geraubt worden. Ihm blieb sein Weib übrig; das meinige aber besitzt ein Fremder. Hilf, heiliger Vater, oder ich muß verzagen.« Als er dieses mit vielen Thränen gesprochen, wanderte er traurigen Sinnes weiter, und um das tägliche Brod zu haben, verdingte er sich als Gärtner in einem Landhause, das einem vornehmen Aegyptier gehörte.

Der allbarmherzige Gott hat es aber geschehen lassen, daß die beiden Knaben gerettet wurden, ohne Wissen des Vaters. Der Löwe, der den einen Knaben davon getragen, wurde von den Hirten wahrgenommen, die in derselben Gegend die Schafe hüteten. Eilends setzten sie dem Löwen nach mit den Hunden. Der Löwe, der sich jetzt seiner Haut wehren mußte, ließ das Kind durch Gottes Schickung fallen, ohne daß es einigen Schaden genommen hatte. Die Hirten nahmen das Kind, sahen, daß es schön und stark sey, und brachten es in ihr Dorf, um es groß zu ziehen. Mittlerweile waren auch einige Ackerleute, die im Walde ein Stück Acker pflügten, des Wolfes ansichtig geworden, der ein lebendiges Kind im Rachen trug. Augenblicklich verfolgten sie ihn, warfen ihn mit Prügeln und Steinen, und zwangen ihn, den Raub fahren zu lassen. Die Ackerleute waren aus demselben Dorfe mit jenen Hirten. Also brachten sie das Kind, über dessen Schönheit sie sich sehr verwunderten, in dasselbe Dorf, und wollten es auferziehen. – Inzwischen geschah es durch die Fürsehung Gottes, daß auch Theospita, die Mutter der beiden Knaben, aus der Gefangenschaft erlöset wurde, worin sie von dem Schiffsherrn gehalten ward. Dieser fiel nämlich in eine gefährliche Krankheit; und Theospita versprach ihm, im Vertrauen auf die Gnade Gottes, daß sie ihn heilen wolle, wenn er verspräche, sie nach erlangter Gesundheit frei zu geben. Der Schiffsherr wurde auch wirklich gesund durch ihr Gebet, und aus Dankbarkeit entließ er sie, wie er versprochen. Nun war ihr angelegentlichstes Geschäft, ihren Gemahl aufzusuchen und ihre Kinder; und sie durchzog das Land nach allen Seiten. Nach einigen Monaten kam sie auch in das Dorf, wo die beiden Knaben wohnten; und es wurde erzählt, wie sie wunderbarlich aus den Rachen der Raubthiere gerettet worden. Alsobald, wie Theospita die Knaben zum ersten Mal sah, erkannte sie solche als ihre Söhne, und, da sie dieselben nicht unter den Händen der Heiden lassen wollte, so entfloh sie mit ihnen heimlich in der Nacht, und begab sich in die Wüste, um vor den Nachstellungen der Heiden sicher zu seyn, verhoffend, daß ihr Gott endlich auch ihren verlornen Mann wieder zuführen werde. Nach vielem Suchen entdeckte sie endlich eine Höhle, die sie ganz geeignet fand zu einem verborgenen Aufenthalt. Der Eingang war sehr eng; je tiefer man aber hinein kam, desto breiter und höher wurde sie; und da, wo sie am geräumigsten war, hatte das Felsengewölbe eine Oeffnung, durch welche das Tagslicht herein fiel, so daß man drinnen alles wohl sehen mochte. Auch sprang nicht fern von der Höhle ein frischer, klarer Quell aus einem Felsen hervor, und in der Gegend gab's Beeren und andere Früchte genug, um tägliche Nahrung zu finden ohne Mühe und Sorge. Also konnte Theospita Gott nicht genug danken für ihre und ihrer Kinder Rettung, und sie beschloß, da zu verweilen, so lange, bis Gottes Willen sie von dannen rufen würde.

Eines Tags, als sie mit den Kindern aus der Höhle gegangen war, um Früchte und Beeren zu sammeln zu ihrer Nahrung, da sah sie von fern einen alten, ehrwürdigen Mann herkommen, begleitet von einem Diener. Jener trug ein hölzernes Kreuz an der Brust, und alsobald erkannte sie an diesem Zeichen, daß es ein Christ sey, und ein Bischof. Theospita näherte sich ihm mit Ehrfurcht, und sagte: »Herr, sehet an eure demüthige Magd, und gebt mir euren heiligen Segen. Ich bin Theospita, die Gemahlin des Placidus, des Feldhauptmanns, und dieses sind meine Kinder. Durch Gottes Gnade sind wir getauft, und in die christliche Gemeinde aufgenommen worden. Aber der Herr hat uns schwere Leiden und Versuchungen auferlegt; mein Gemahl hat alles verloren, Ehren, Güter, Vaterland. Er selbst ist mir und meinen Kindern entrissen worden, und ich weiß nicht, ob er noch lebe, und wo. Ich habe mich mit diesen in diese Wüste geflüchtet, und wir leben hier allein, verlassen, ohne Tröstungen der Religion. Herr, habt Erbarmen mit mir und mit meinen Kindern, und erquicket uns mit den Worten und den Segnungen des Heils.« Nachdem der Bischof ihre Rede vernommen, gab er ihr und den Kindern den Segen. Dann sprach er: »Gelobt sey der Herr, der mich in diese Wüste geführt! Als mich die Heiden verstießen aus der Gemeinde, da jammerte ich, wie ein Hirte, dem seine Heerde geraubt wird. Nun aber finde ich, zu meiner Freude, hier in der Wüstenei zerstreute Schäflein, die ich auf der Weide des Lebens ernähren, und von dem Quell des Heiles tränken kann. Sey mir gesegnet, Tochter, und ihr, meine Kinder! Ihr sollt an mir den Vater haben, den ihr verloren, und den Freund, der euch ins Vaterland geleitet des ewigen Lebens.« Hierauf ging er mit ihnen in die Höhle, um ihren Aufenthalt kennen zu lernen; und nachdem er dort ein Gebet gesprochen, und die Wohnung gesegnet hatte, verließ er sie mit dem Versprechen, daß er sie von Zeit zu Zeit heimsuchen werde, um sie in der Lehre des Heils zu unterrichten, und der Gnaden Gottes theilhaftig zu machen.

Es war eine Woche vor Weihnachten, als der fromme Bischof mit dem Bruder, der ihn immer begleitete, wieder zur Höhle kam. Nachdem er, wie er immer zu thun pflegte, ein Gebet verrichtet, setzte er sich auf einen Stein, nahm den kleinern Knaben auf seinen Schoß, den größern stellte er zur andern Seite, ihn bei der Hand fassend; und die Mutter saß gegenüber, um auf sein Wort zu horchen, während der Bruder seitwärts in der Ferne stand. Und er that seinen Mund auf, und lehrte: »Daß es nur Einen Gott gebe, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde; daß er den Menschen geschaffen habe nach seinem Ebenbilde; daß er ihn in einen überaus schönen Garten gesetzt voll der herrlichsten Früchte, und mit ihm Umgang gehabt habe, wie ein liebevoller Vater mit seinem Kinde; daß aber der Mensch undankbar und ungehorsam geworden sey gegen den himmlischen Vater, und durch seine schwere Sünde sich den Zorn Gottes und Elend und Tod zugezogen habe. Aber, fuhr er fort, der gnädigste Gott hat sich des gefallenen Menschen, und derer, die von ihm abstammten, erbarmet, und er hat seinen eingebornen Sohn gesandt, Jesum Christum, daß er die Verirrten aufsuche, die Fluchbeladenen versöhne, die Elenden in ihre Heimath zurück führe, die Todten wieder auferwecke zum ewigen Leben. Dieses große, heilige Geheimniß der Geburt und Ankunft Christi auf Erden, sagte er, werde nun nach wenigen Tagen gefeiert von allen, die sich Christen nennen, und der Verdienste Christi theilhaftig werden wollen. Zu diesem Feste nun sollen sie sich vorbereiten durch Heiligung ihres Sinnes und Wandels, daß sie ihre Gedanken und Begierden zu Gott richten, unter sich Friede und Eintracht bewahren, und ihr Herz von allen bösen Gelüsten rein erhalten.« – Hierauf nahm er von ihnen Abschied. Der alte, ehrwürdige Bruder aber, der den Bischof begleitete, besuchte sie alle Tage in ihrer Höhle. Er war ein gar kunstreicher Mann, und wußte aus Holz und Gebein gar schöne Bildlein zu schnitzen, daß sie einen ansahen, als wären sie lebendig. Auch aus Moos und Gestein und Pflanzen und Muscheln, und aus allem, was er fand, konnte er Häuser und Wälder und Berge und allerlei andere wundersame Gestalten hervorbringen, daß es schier aussah, wie eine Welt im Kleinen. Ein solches künstliches Werk wollte er nun in der Höhle aufrichten zur Freude der Kinder und zu ihrer Erbauung. Da, wo das Licht am hellsten herab leuchtete durch die gebrochene Felsendecke, in einer Vertiefung der Felsenwand, fing er zu bauen an. Im Hintergrunde erhob sich ein hoher Berg, aus Felsstücken zusammengefügt, mit Moosen und Bäumen theilweise bekleidet, und mit glitzerndem Sande beworfen, daß alles gar lieblich schimmerte. Einzelne Rehe, Gemsen und Hirsche standen auf den Absätzen der Felsen, und der Jäger fehlte auch nicht, der sich sein Wild schoß. Auf dem Berge ward die Stadt Jerusalem erbaut, mit ihren Mauern und Palästen und mit dem Tempel Salomonis. Den Berg auf und ab wanderten Juden jedes Geschlechtes und Alters. Auf der Ebene aber, die ganze Bühne entlang, da weideten Schafe und Ziegen und Kühe; und die Hirten hüteten sie. Und in der Mitte, wo der künstlich erbaute Berg eine Höhlung hatte, ward ein Stall erbauet, von eitelm Holz, mit einem Strohdach; darinnen standen an der Krippe ein Ochs und ein Esel. – Alles dieses ward von dem fleißigen und geschickten Bruder in den ersten Tagen errichtet und vollendet; und die Knaben hatten ihre große Freude an allem, was sie da werden sahen, und brannten vor Begierde, was noch endlich werden soll. – Am Vorabende der heiligen Weihnachten endlich kam der Bischof selbst, und mit ihm wieder der Bruder, der in seinem Korbe das Schönste mitbrachte, um sein Werk zu vollenden. Indem der Bischof die schöne Geschichte von der Geburt Christi erzählte, und wie sich alles begeben mit Joseph und Maria; und wie die Engel den Hirten zuerst die frohe Botschaft gebracht, daß der Heiland der Welt geboren sey; und wie diese aber schaarenweise gekommen, um ihn anzubeten: da vollführte der Bruder alles, wie es die Geschichte anzeigte; und das Jesuskindlein wurde im Stalle auf Stroh gelegt, und Maria und Joseph standen dabei, und Hirten brachten Milch und Eier und Früchte; und oben an der Wölbung erschien ein Engel, mit den Worten: Ehre sey Gott in der Höhe, und Friede auf Erden den Menschen! – Es herrschte eine feierliche Stille in der weiten Höhle, und die Kinder waren ganz Andacht und Liebe und Freude. Nachdem der Bischof das Gebet und den Segen gesprochen, beschenkte er noch die Knaben mit Früchten und Broden, und verließ sie, mit dem Versprechen, daß er zu seiner Zeit wieder kommen werde.

In den darauf folgenden Wochen erschien der gottselige Bruder von Zeit zu Zeit öfter in der Höhle, wo die Mutter mit ihren Kindern beisammen wohnte in stiller, frommer Einsamkeit. Und immer brachte er wieder andere Bilder mit, womit er die Krippe verzierte, und erklärte ihnen allzeit, wie sich's weiter begeben hat mit dem Jesus-Kindlein; wie es in acht Tagen nach seiner Geburt Gott geweiht wurde durch die Beschneidung; wie die heiligen drei Könige aus Morgenland gekommen, um dem König der Könige zu huldigen, mit vielen Dienern und Kriegern und Kamelen, in aller Pracht; sodann wie der böse Herodes dem Christkindlein nachstellen, und viele, viele Kinder in und um Bethlehem auf grausame Weise ermorden ließ; wie Maria und Joseph mit dem göttlichen Kinde nach Aegypten geflohen, und erst nach langer Zeit wieder nach Judäa zurückgekehrt ist. Alles dieß und noch vieles Andere stellte der Bruder in der Krippe bildlich dar, und erklärte es ihnen ausführlich nach der Geschichte und dem heiligen Evangelium. – Vieles erzählte er ihnen auch, was er aus frommer Leute Mund und durch einfältige Ueberlieferung von dem Kinde Jesu erfahren, wie folgt: Als das neugeborne Kind in der Krippe lag, und bei offenem Stalle, in der grimmigsten Kälte und in schlechten Windeln, auf Stroh und Heu, gar sehr von Frost litt: da sollen, wie man sagt, das Oechslein und das Eselein, die bei der Krippe gestanden, sich gebeugt und das Kind mit ihrem Athem erwärmet haben, zum Zeichen, daß sich die unvernünftige Creatur den Herrn des Himmels und der Erde erkannt und verehrt habe. – Ein andersmal erzählte er: Ein Lämmlein, das ein Hirt dem Kindlein geschenkt, sey nicht mehr von seiner Seite gewichen; es habe sich zu des Schlafenden Füßen gelegt, sey des Gehenden Schritten gefolgt; und das Kindlein selbst habe es gar lieb gehabt, und oft umhalset und geküßt; zum Zeichen, daß er selbst wie ein unschuldiges Lamm geschlachtet werden solle zur Erlösung des sündigen Menschengeschlechtes. – Weiter erzählte er: Eines Tages, als Maria vor der Hütte saß, und der Jesusknabe vor ihr auf dem Rasen, machte er aus den Reisigzweiglein, die um ihn lagen, lauter Kreuzlein, so daß die Mutter, die das endlich sah, gar sehr erschrak, aus Furcht, es möchte dieß eine Vorbedeutung seyn, daß ihrem Sohne die Schmach des Kreuzes werde; was freilich damals Maria noch nicht begriff, daß aus dieser Schmach die Ehre und das Heil der Welt erwachsen werde. – Es war auch alles, setzte der Bruder hinzu, ganz wunderbar an dem Kinde, der Blick, die Gebärde, der Gang, die Sprache; sogar das Kleidchen, das ihm die Mutter verfertigt, zerriß nie, und wuchs gleichsam mit ihm auf; und es war dasselbe, um das die gottlosen Soldaten die Loose geworfen unter dem Kreuze des Sterbenden.