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Lernen Sie das Stuttgarter Umland mal anders kennen: über seine Cafés und Ateliers und die Ideen sowie Lebensgeschichten der Macher dahinter. Reisen Sie mit durch den Rems-Murr-Kreis und durch die Kreise Ludwigsburg, Böblingen und Esslingen zu Blumencafés, Food Lovern und Seelenschmeichlern. Was sich dort verbirgt? Dieser etwas andere Ausflugsführer und die Protagonisten dahinter – Künstler und Kulturschaffende – verraten es Ihnen.
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Seitenzahl: 153
Ute Friesen
Besondere Menschen und Orte laden ein
Für Eugene
Vorwort
Rems-Murr-Kreis
Angela Munz
Beatriz Schaaf-Giesser
Cafeline bei Blumen Dürr
Martin Hertfelder
Klenks Konditorei
Valentin Vitanov
Claudia Gadient
Hof Heukeshoven
Sabin Brendle
Hegnacher Scheunenladen
Kreis Esslingen
Aslimay Altay Göney
Rolf Bay
Hygge Café und Bistro
Margit Schranner
Schwarzes Rössl
Iris Schlichte
Blumencafé VergissMeinNicht
Anja Scafuro
Verena Könekamp
BuchCafé Aroma
Christoph von Haussen
Kreis Böblingen
Café B21
Margarete Grandjot
Röstkammer Kaffeewerkstatt und Café
Ellys Café
Die Seelenschmeichler
Kreis Ludwigsburg
Lore Wild
Café Kaffee-Klecks
Katrin Köhler
Sigrid Artmann
Tatjana Seehoff
Register
Impressum
Blick aus dem Rems-Murr-Kreis auf den Hohenstaufen, einen der drei Kaiserberge.
Sonnengelbe Husarenknöpfchen am Hegnacher Scheunenladen
Um Stuttgart herum liegt ein großer Speckgürtel. 140 Gemeinden bilden die Landkreise Böblingen, Esslingen, Ludwigsburg und den Rems-Murr-Kreis. Hier leben fast zwei Millionen Menschen, mehr als dreimal so viele wie in der baden-württembergischen Landeshauptstadt selbst.
Es ist eine wirtschaftlich erfolgreiche Region, ein Zentrum des Exports, aber nicht weniger ein Zentrum für kulturelle und kulinarische Leckerbissen. Und so wundert es nicht, dass es im Speckgürtel nicht nur ausgezeichneten Speck, sondern jede Menge Cafés und Konditoreien gibt. Es war unglaublich schwierig, die empfehlenswertesten auszuwählen. Ausgesucht habe ich Kuchenbäckerinnen und Baristas mit Ideen, mit Lebensgeschichten, die es wert sind, erzählt zu werden, weil es die Gründerinnen und Gründer sind, die ein Café zu einem inspirierenden, behaglichen Ort machen. Alle hatten den beachtlichen Mut, eine persönliche Oase der Ruhe und der genüsslichen Schlemmerei im Gewimmel der Metropolregion zu schaffen und zu hoffen, dass das Angebot angenommen wird.
Auch mit Ateliers um Stuttgart hätten sich Bände füllen lassen. Deshalb ist auch hier die Auswahl nur ein Anstoß, ein kleiner Einblick in das Leben von Menschen, die mit unterschiedlichen Materialien arbeiten, verschiedene Ziele verfolgen und ihren Gedanken künstlerische Gestalt geben. Sie alle tragen dazu bei, unsere Region zu einem bunten, lebendigen und toleranten Fleckchen Erde zu machen. Ich habe neben Künstlern mit Renommee auch Kunsthandwerkerinnen aufgenommen. Es ging darum, die Vielfalt des Schaffens und der Schaffenden, wenn schon nicht abzubilden, so doch anzudeuten. Die Porträts sollen Lust darauf machen, aufzubrechen zu den beschriebenen Orten. Einige der Ateliers werden als Kursraum genutzt, in dem jeder kreativ werden kann. Vielleicht werden auch Sie angeregt, hier künstlerisch zu arbeiten?
Eine kurze Anmerkung: Das Buch entstand in turbulenten Zeiten: Öffnungszeiten von Cafés haben sich schnell verändert und Kurse in Ateliers haben sich verschoben. Um Leserinnen und Leser vor Enttäuschungen zu bewahren, habe ich die Öffnungszeiten nicht angegeben, sondern bitte Sie, diese auf den jeweiligen Homepages nachzusehen oder telefonisch zu erfragen.
Ich danke allen Menschen, die bereit waren, mich in ihren Werk- oder Gasträumen zu empfangen und sich mir und den Leserinnen und Lesern zu öffnen. Ich danke auch für die köstlichen Rezepte. Wie sollte es in einer Region mit Streuobstwiesen anders sein: Es sind drei Apfelkuchenrezepte darunter, aber sehr, sehr spezielle. Und wer nach dem Lesen nicht losfahren kann, möchte vielleicht losbacken und die Region am eigenen Backofen erkunden.
Ute Friesen
Leuchtendes aus weißem Gold
Aichstrut liegt im Welzheimer Wald. Man glaubt kaum, dass man sich noch im Großraum Stuttgart befindet. Gegenüber dem Atelier von Angela Munz befinden sich ein Misthaufen und eine Scheune. Die Künstlerin ist hier im Hofwiesenweg aufgewachsen, das Keramik-Atelier befindet sich im großelterlichen Haus. Die Landwirtschaft hat die Künstlerin schon vor langer Zeit aufgegeben. Sie ist aber froh über die ländliche und ruhige Umgebung. Die Kunden kommen auch hierher, ans gefühlte Ende der Welt. Es sind Wanderer und Radfahrer, Ausflügler und Touristen – Limesweg, Mühlenweg, Aichstrutsee. Das Atelier liegt günstig. Und doch hat Angela Munz genug Platz. Nur wenn sie auf Keramik-Märkte möchte, wird es etwas kompliziert. Zur nächsten Autobahn ist es eine Stunde Fahrtzeit.
Die bodenständige Künstlerin im Rollkragenpulli und in roter Schürze hat ihre Haare mit einem Tuch zurückgebunden. Ein Regal in ihrem Laden ist reserviert für all das, was die Leute aus der Nachbarschaft kaufen möchten: preisgünstiges, solides, haltbares und schönes Alltagsgeschirr. Es ist bunt bemalt. Es gibt Kaffeebecher, Müslischalen, Suppenschüsseln – und auf Bestellung stellt Angela Munz auch Namenstassen oder Knoblauchtöpfe her. Das hat sie gelernt – an der Drehscheibe eines Betriebs in Alfdorf, einem ehemaligen Zentrum für Töpferwaren. Sie hat gelernt, mit dem Malbällchen Muster aufzubringen. Und sie kann es noch.
Angela Munz ist nicht im Dorf geblieben, sondern hat nach der grundständigen Töpferlehre alle Abschlüsse erworben, die auf dem Gebiet möglich sind. Sie ist Meisterin für Baukeramik und staatlich geprüfte Keramikgestalterin. Ihre Gussformen für den Porzellanguss stellt sie selbst her. Sie ist und bleibt neugierig, probiert Neues aus, arbeitet gern mit Handwerkern anderer Gewerke zusammen, um gemeinsam Ideen zu entwickeln. Sie hat in den verschiedensten Töpfereien der Region gearbeitet – in Tübingen, in Heidenheim – aber auch festgestellt, wie unkompliziert es ist, in anderen Ländern in eine Töpferei zu gehen, mitzuarbeiten und dabei zu lernen. Selbst in China, ohne die Sprache zu kennen, konnte sie ihre Art, mit Porzellan zu arbeiten, zeigen. Die schien den chinesischen Keramikern ungewöhnlich. Sie selbst konnte im Gegenzug chinesischen Herstellern über die Schultern sehen.
Der abnehmbare Hals der mattweißen Vasen erleichtert das Spülen. Bei Angela Munz kann man zusehen, wie sie und andere Porzellanobjekte entstehen – vom Füllen und Ausgießen der Form bis zum Brand.
Das in China erfundene Porzellan ist das Lieblingsmaterial von Angela Munz. Porzellan ist ein Gemisch aus Porzellanerde, Feldspat und Quarz. Das macht das Material, das sorgfältiger verarbeitet werden muss und heißer gebrannt wird als Steingut, leicht durchscheinend und sehr hart. Diese Lichtdurchlässigkeit nutzt Angela Munz, um aus Porzellan Lampenschirmchen herzustellen. Bei denen, die sie auf der Scheibe geformt hat, kann man sehen, wo das Porzellan eine Spur dünner und damit transparenter ist. Andere Schirmchen sind gegossen und gelocht. Wiederum andere sind mit dem Malbällchen verziert worden. Das Muster hebt sich vom durchscheinenden Untergrund ab. Spiralige Muster überziehen die becherförmigen Leuchten. Man kann die verschiedenen Lämpchen kombinieren. Gerne gestaltet Angela Munz die Lampe nach den Wünschen der Kundinnen und Kunden. Manche möchten die Lampenschirme an einem gefundenen Stück Treibholz aufhängen, andere an einem alten Leitungsrohr. Jede Lampe ist ein Unikat.
Die Grundformen für die gegossenen Porzellanwürfel oder die hornförmigen Kleiderhaken kann Angela Munz häufiger verwenden. Sie hat einmal die Grundform geformt und dann ein Negativ aus Gips hergestellt. Die zwei zueinander passenden Halbschalen werden zusammengefügt zu einem Quadrat mit Loch. In dieses gießt die Künstlerin die vor dem Brennen noch hellgraue, flüssige Porzellanmasse. Sie stellt den Wecker, damit die Masse exakt lange genug in der Form bleibt, um sich an den Rändern abzusetzen. Sofort wischt sie den Rand des Eimers ab, um ein Antrocknen zu verhindern. Die Porzellanmasse ist sensibel. Es darf kein Staub und kein Haar hineinfallen.
Wenige Minuten später hat der Gips Flüssigkeit aus dem Porzellan aufgenommen und es hat sich eine dünne Schicht von innen an der Form angelagert, die nun ausgegossen wird. Die Objekte müssen noch eine Weile in der Form trocknen, schrumpfen dabei, dürfen aber nicht unter Spannung geraten. Sonst reißen sie. In die Würfel, die später als Wanddekoration dienen sollen, wird deswegen eine Platte eingelegt, damit die Form sich nicht verzieht. Dieser Geradehalter kann nur ein einziges Mal verwendet werden. Bei 1340 °C im Ofen schmilzt der Quarzanteil, die Masse verliert ihre graue Farbe und beginnt, weiß und edel zu strahlen.
Viele Objekte belässt Angela Munz in Weiß, etwa die originellen, edlen Wippvasen, die sich immer nach einer Seite neigen. Andere, die verknautscht oder eingedrückt wirken, faszinieren, weil das harte Material und die weichen Formen in Kontrast zueinander stehen, genauso wie die Porzellanhörner, die als Kleiderhaken dienen. Bei einigen der ansonsten glatten und schlichten weißen Vasen ist der obere, filigran gestaltete Rand abnehmbar, damit der Rest der Vase mit der nun vergrößerten Öffnung in die Spülmaschine wandern kann, falls sich in ihr Ablagerungen vom Blumenwasser gebildet haben. Angela Munz lacht: »Bisher fand das jede Kundin praktisch, aber noch nie hat ein männlicher Kunde nach dem Zweck des abnehmbaren Vasenhalses gefragt.«
Angela Munz‘ Tipp:
Der Lieblingsort von Angela Munz ist die Hägelesklinge – bei Regen, wenn dort keine Touristen sind. Sie liebt die raue, pure und wilde Atmosphäre zwischen den Felsen. Gerne stellt sie sich dann die Geschichten vor, die sich dort abgespielt haben.
ANGELA MUNZ
Hofwiesenweg 16 • 73642 Welzheim • munz-keramik.de • Tel. 07182/491 90
Der dunkle Lastwagen mit der hell gekleideten jungen Frau zeigt die Mutter der Künstlerin auf dem Weg in die Stadt. Sie hatte schnell Spanisch gelernt und übernahm Behördengänge für die anderen Bewohner der Kolonie.
Im Filz der Erinnerungen
Viele der Werke von Beatriz Schaaf-Giesser erzählen Geschichte. Sie bewahren Erinnerungen auf, Erinnerungen an eine ungewöhnliche Familiengeschichte zwischen Deutschland und Südamerika. An den weißen Wänden des Ateliers ist zweimal ein Porträt der Mutter zu sehen, einmal in Filz, einmal als Druck.
Das geräumige Atelier der Künstlerin liegt in der alten Messerfabrik in der Badstraße in Winnenden. Die ehemalige Produktionsstätte beherbergt neben einer Physiotherapiepraxis und der verbliebenen Premium-Messermanufaktur Räume für Kreativität.
Eine durchscheinende Schiebewand durchzieht das Atelier mit seinem industriellen Charme. Auf der einen Seite steht der große Filztisch mit der metallenen Arbeitsplatte und mehrere weitere Arbeitstische, gedacht für Seminare, die jedoch seit dem Einzug ins Atelier 2020 nicht stattfinden konnten. Die auf die Türe zum Gang zuführende Wand ist mit Tafellack schwarz eingefärbt. Auf der Wand gehen mehrere, von kleineren Gästen gemalte bunte Dinos spazieren. Selbst auf dem Werkstattboden prangen einzelne Zeichnungen.
Im abtrennbaren Teil der Werkstatt steht eine Druckerpresse. In diesem Bereich liegen Zinkplatten, die mit Aquatinta-Technik, Ätzradierung oder Kaltnadel bearbeitet wurden. Hier entstehen auch geprägte Papiere. Momentan ist dieser Teil des Ateliers, in dem Beatriz Schaaf-Giesser Druckgrafiken anfertigt, der, in dem sie besonders oft arbeitet. »Ich behaupte, dass ich beim Filzen und in der Textilkunst Vollprofi bin. Bei den Radierungen habe ich noch zu lernen, auszuprobieren, zu entdecken«, sagt sie. Das Ausprobieren führt zu interessanten Bildern, etwa einer Darstellung der Lunge, in der die Fingerabdrücke der Künstlerin Lungenbläschen darstellen.
Die Lunge, das ist für sie die Basis der Existenz, ein Organ, in dem die Luft der Orte, an denen wir gelebt haben, aber auch Erinnerungen an Düfte der Vergangenheit gespeichert sind. Beeindruckend ist es, im Zentrum der von Beatriz Schaaf-Giesser aus Catgut gehäkelten, begehbaren Lunge zu stehen, hergestellt aus einem chirurgischen Nahtmaterial. Es war Schaaf-Giessers Vater, der das Material, gezwirnt aus dem Dünndarm von geschlachteten Rindern, in Montevideo beruflich hergestellt hat. »Heb es auf!«, hat sie den inzwischen wieder in Stuttgart lebenden Vater gebeten. »Ich will da was draus machen!«
B. Schaaf-Giessers Tipp
Der Gießübel, eine Kuppe zwischen Winnenden-Bürg und Birkmannsweiler, ist Beatriz Schaaf-Giessers Lieblingsziel für Spaziergänge. Es gibt dort alte Eichen und eine 270-Grad-Aussicht. Hier spürt die Hofenerin die Weite, die sie in ihrer Kindheit am Meer genossen hat.
Und wie kam der in Bad Cannstatt geborene Vater der Künstlerin dazu, in den Schlachthöfen von Montevideo die Därme abzuholen? Er war nach Ende des Krieges in die Schweiz gegangen, bis er genug gespart hatte, um von Genua aus nach Rio einzuschiffen und dann mit dem Zug nach Uruguay zu reisen, um seine Frau zu treffen. Ein Bild aus dem Familienalbum zeigt den Tag, als sich ihre Eltern, die sich in Stuttgart verliebt hatten und inzwischen per Ferntrauung verheiratet waren, in der Nähe der brasilianischen Grenze wiederbegegneten. Dieses und viele andere Bilder, die immer wieder erneuerten Pässe der Mutter, die Fingerabdrücke, hat Schaaf-Giesser eingefilzt. Auch Filzschalen, die außen aus dem Haar der Moorschnucke, innen aus Merinofilz bestehen und mit denen die Künstlerin auf der Textilkunstbiennale in Argentinien 2009 den ersten Preis belegt hat, bewahren die fotografische Erinnerung der persönlichen Migrationsgeschichte: Die Mutter war im Großen Werder bei Danzig geboren worden und mit der Großmutter der Künstlerin 1944 nach Dänemark geflohen, dort nach dem Krieg nicht weiter geduldet worden und daraufhin auf der »Vohlendam« nach Uruguay aufgebrochen, ein Land, das bereit gewesen war, die Heimatlosen aufzunehmen. Ein Bild zeigt die Mutter mit dem Lastwagen eines schon länger dort ansässigen deutschsprachigen Bauern, der die Ernte wöchentlich in die Stadt brachte und das Mädchen mitnahm, um in der Stadt Papierkram für die anderen Geflüchteten zu erledigen. Ein anderes Bild zeigt das Lehmhaus, das die Großmutter in der Kolonie Delta errichtet hat, benannt nach dem Nogat- und Weichseldelta im heutigen Polen. Die Großmutter war eine der Mitbegründerinnen der Kolonie. Heute engagiert sich Beatriz Schaaf-Giesser, die selbst in Montevideo aufwuchs, mit ihrem Sohn für ein Museum und ein neues Ortszentrum in Delta.
Schaaf-Giesser kam mit 20 nach Deutschland. Sie betrachtet ihre Arbeit als Respekt vor der Vergangenheit, aber auch als Therapie. In ihr sei immer noch von dem Schmerz der Generation ihrer Eltern und Großeltern vorhanden. Ihre Großmutter habe die Auswanderung nicht verkraftet. Obwohl die Künstlerin erst ein Jahr alt war, als ihre Oma ihrem Leben ein Ende setzte, und deswegen keine echte Erinnerung mehr an sie hat, fühlt sie immer noch die Traurigkeit, die ihre Großmutter empfunden haben muss.
Ihre Werke stellt Beatriz Schaaf-Giesser auf beiden Seiten des Ozeans aus. Sie war Gastkünstlerin bei der Textilbiennale in Uruguay 2017 und hat den ersten Preis bei der Biennale 2020 durch einen Videobeitrag verliehen bekommen, für den sie alte Webspulen verlängert und sie mit Wolle umwickelt hat, bis tanzende Figuren entstanden. Sie lassen sich wie Gebetsmühlen drehen und beginnen zu tanzen.
Hier ging es der Künstlerin nicht um die Erinnerung, sondern um Optimismus, darum, an etwas drehen zu können, was sich bewegt, was bunt ist und einen Moment der Freude zaubert.
BEATRIZ SCHAAF-GIESSER
Atelier: Badstraße 6 • 71364 Winnenden • beatriz-schaaf-giesser.de • Tel. 07195/17 80 95
Köstlichkeiten werden zwischen Blumen serviert
Dunkles Holz, viel Fensterfläche, geschmackvolle, natürliche Deko: Evelyn Weiblen hat in ihrem Blumenladen vor vier Jahren ein wunderschönes Café eingerichtet – und damit das Beste aus dem vorhandenen Platz gemacht, was eine begeisterte Kuchenbäckerin tun kann. Gebacken hat sie schon immer nebenher. Nun aber tut sie es für die Cafégäste. Was sie serviert, ist keine Massenproduktion. Das schmeckt man.
Früher, als die Gärtnerei noch den Eltern gehörte, brauchte man viele Gewächshäuser und jede Menge Platz. Die Topfpflanzen wurden vor Ort gezogen, vom Steckling bis zur verkäuflichen Pflanze. Es ging eng zu bei Blumen Dürr. Alles stand voller Zimmerpflanzen. Das hat sich geändert. Es gibt Blumen im Baumarkt, es gibt Blumen im Gartenmarkt und sogar bei Lidl. Hergestellt werden sie von spezialisierten Erzeugern, die sich nur einer Gattung widmen und ihre Gewächshäuser ganz auf diese eine Pflanzenart einstellen, damit sie schnell und zuverlässig gedeiht. Eine kleine Gärtnerei kann da nicht mithalten. Zwischendrin waren Topfpflanzen zudem nicht zeitgemäß. Bei Blumen Dürr wurden Zwischenwände eingezogen, um überflüssige Flächen nicht mitzuheizen.
65 Jahre lang existiert der Betrieb bereits. Evelyn Weiblen ist in Schwaikheim aufgewachsen. Sie wollte erst Krankenschwester werden. Es gab zwei Jahre Wartezeit an der Krankenpflegeschule. So lange wollte Evelyn Weiblen nicht warten. Also lernte sie Floristin und schloss die Meisterschule an. Sie heiratete einen Gärtnermeister aus Bad Herrenalb, dessen Eltern ebenfalls eine Gärtnerei hatten, die zwar malerisch lag, aber nicht rentabel betrieben werden konnte. Als beide den Betrieb in Schwaikheim übernahmen, habe das ihre Eltern sehr gefreut, berichtet Evelyn Weiblen.
Vor zwölf Jahren starb Evelyn Weiblens Mann, woraufhin sie die Gewächshäuser aufgab und sich auf Blumen konzentrierte. Sie beschäftigt eine Floristin in Teilzeit, eine in Vollzeit, zwei Aushilfen und zwei Azubis. Es gibt viel zu tun: Pflege der Pflanzen, Auszeichnen, Wegbringen der Kartonagen, Grabpflege, Trauerfloristik, jahreszeitliche Blumendekoration. Blumen Dürr hat außerdem bei dem Blumenversand Fleurop ein großes Liefergebiet. Man kann sich Sträuße im Internet ansehen und bestellen. Evelyn Weiblen lächelt: »Wenn wir sie machen, ähneln sie schon den Vorgaben, aber wir binden sie schöner und geschmackvoller als auf den Fotos.«
Die Upcycling-Möbel und Blumengirlanden machen den Innenraum des Cafés gemütlich, in das durch die großen Scheiben viel Licht fällt. Hier kehren nicht nur Käuferinnen und Käufer der ebenfalls angebotenen Schnittblumen ein.
Evelyn Weiblens Tipp:
Wer sich nicht nur für Blumen, sondern auch für Nutzpflanzen interessiert, dem legt Evelyn Weiblen einen Besuch im Lehrgarten des Obst- und Gartenbauvereins ans Herz. Im Vereinsheim gibt es immer wieder öffentliche Veranstaltungen wie das Mostfest und das Blütenfest. Der Garten ist unabhängig davon immer zugänglich.
Die Blumen kommen oft von der Blumenwiese hinter dem Garten, wo einst ein Gewächshaus stand. Dort wachsen Mädchenaugen und Zinnien, Malven, Cosmea, Kornblumen und für die Vögel Hirse und Amaranth. Die Samenmischung habe ihr der Lieferant des Samenhauses aus Gönningen zusammengestellt, dem schon ihre Eltern vertraut haben. Manches kauft die Floristin auf dem Großmarkt, anderes vom Lieferanten aus Ludwigsburg, der mit zirkulierenden Bewässerungssystemen, einem eigenen Blockheizkraftwerk und Niedrigenergiegewächshaus ökologisch verantwortungsbewusst arbeitet. Importblumen gibt es nur im Winter.
Ein Import aber fällt dem Cafébesucher sogleich ins Auge: In München auf einer Messe sah die Blumenliebhaberin eine Theke – ihre Theke. Sie war hergestellt aus dem bunten Frontteil eines Lastwagens aus Indien. Verkauft wurde sie von einem dänischen Anbieter für Upcycling-Möbel. Diese Theke wollte die Floristin haben. Und mit der Theke war der Entschluss gefasst: Ein Blumencafé sollte eröffnet werden! Die Cafégründerin bestellte Möbel im Stil der Theke aus Altholz. Das wirkt zugleich gemütlich und modern. Um die Werbung musste sie sich nicht sorgen. Es gibt in der Blumenstraße keine weiteren Einkaufsläden. Man bummelt zwar nicht vorbei, aber der Blumenladen hat seit 65 Jahren eine große Stammkundschaft. Und die nahm das Café gerne an.
Die Idee für das Café war schnell entwickelt, und Kuchen backen kann Evelyn Weiblen vorzüglich, doch nach der Entscheidung begann der Behördenparcours. Die Betreiberin musste ein zusätzliches Gewerbe anmelden, zusätzliche Stellplätze nachweisen, brauchte eine Genehmigung, um den Außenbereich zu nutzen. Gerade der ist ein Magnet. »Wenn das Wetter gut ist, sitzen alle draußen«, sagt Evelyn Weiblen. Verständlich, denn es ist wirklich heimelig in den eingewachsenen Ecken des Gartens.
Die Sträuße für die Gasttische innen und außen gestalten meist die Azubis und dürfen sich austoben. Werden sie den Traditionsbetrieb weiterführen, wenn die Inhaberin sich zur Ruhe setzt? Es sei schwierig, in der Branche Betriebe weiterzugeben, bedauert die Inhaberin. Nicht alle Unternehmen bilden so eifrig aus wie Blumen Dürr. Einst war Floristin ein Modeberuf. Es gebe inzwischen auch Männer – und gerade unter denen, die an Wettbewerben teilnehmen und dort auch gewinnen, sind viele männliche Blumenkünstler. Aber insgesamt habe das Interesse am Binden von Blumen nachgelassen. Und viele, die es gelernt haben, scheuen das Risiko der Selbstständigkeit. »Schön wäre es schon, wenn es weitergeführt würde«, findet Evelyn Weiblen. Darin ist sie sich sicher mit den Stammkundinnen und Stammkunden einig.
CAFELINE BEI BLUMEN DÜRR
Blumenstraße 9 • 71409 Schwaikheim • blumen-duerr-schwaikheim.de • Tel. 07195/512 88