Cannibal Love - Ralf Kor - E-Book

Cannibal Love E-Book

Ralf Kor

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Beschreibung

Volker hat ein Problem mit seiner Aggression. Und mit Frauen. Sie sterben. Volker hat ein Problem mit seinem besten Kumpel. Dieser findet Geschmack an Menschenfleisch. Volker hat ein Problem mit seinem Boss. Der ist ein Choleriker mit einer Kettensäge. Volker hat ein Riesenproblem mit dem Pérez-Kartell und muss nach Mexiko. Dort lernt er eine Frau kennen, und mit ihr fangen seine Probleme erst richtig an. »Bissig, bitterböse und immer ein wenig drüber!«

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REDRUM

 

 

 

 

Cannibal Love

1. Auflage

(Deutsche Erstausgabe)

Copyright © 2019 dieser Ausgabe bei

REDRUM BOOKS, Berlin

Verleger: Michael Merhi

Lektorat: Jasmin Kraft

Korrektorat: Simon Kossov / Silvia Vogt

Umschlaggestaltung und Konzeption:

MIMO GRAPHICS unter Verwendung einer

Illustration von Shutterstock

 

ISBN: 978-3-95957-731-1

 

E-Mail: [email protected]

www.redrum-verlag.de

 

YouTube: Michael Merhi Books

Facebook-Seite: REDRUM BOOKS

Facebook-Gruppe:

REDRUM BOOKS - Nichts für Pussys!

Ralf Kor

Cannibal Love

Zum Buch:

 

Volker hat ein Problem mit seiner Aggression.

Und mit Frauen. Sie sterben.

 

Volker hat ein Problem mit seinem besten Kumpel. Dieser findet Geschmack an Menschenfleisch.

 

Volker hat ein Problem mit seinem Boss. Der ist ein Choleriker mit einer Kettensäge.

 

Volker hat ein Riesenproblem mit dem Pérez-Kartell und muss nach Mexiko. Dort lernt er eine Frau kennen, und mit ihr fangen seine Probleme erst richtig an.

 

»Bissig, bitterböse und immer ein wenig drüber!«

 

 

 

 

Zum Autor:

 

Ralf Kor wurde im Jahre 1983 geboren und ist ein waschechtes Kind des Ruhrgebiets. Schon in seiner Kindheit verschlang er B-Movies, Comics, Stephen-King-Bücher und hörte schrecklich laute Musik. Die langen Filmnächte und die blutige Lektüre hinterließen ihre Spuren. Er zog sich eine schwere Erkrankung des Scheitellappens zu und ist seitdem dazu verdammt, die Fantasien und Geschichten, die sein Gehirn zusammenspinnt, auf Papier zu bannen, ehe sie seinen Verstand langsam und qualvoll auffressen.

Heute lebt der Betriebswirt und Mittelklassebassist mit seiner Frau und den beiden Söhnen in Münster, wo er immer noch in regelmäßigen Abständen die Filme und Bücher konsumiert und um sein Leben schreibt.

 

 

Inhaltsverzeichnis

Benny’s Burger

Das halbe Dutzend

Kalter Kaffee von gestern

Schuhsohle Part I: Dreams in a Bitch’s House

Nebenjobs

Der Koffer

Benny ist auf den Geschmack gekommen

Der verlorene Appetit

Who the fuck is Fug?

Francesca Yumi García

Der letzte Gast

Don’t fuck with the Chain

Vom Leben und Sterben eines Antistressballs

Benny mag Beef

Bonusmeilen ’til Death

Risiken

Fight for your Armlehne

Die Don-Vito-Situation

Nur ein Film

Jesús und seine Kätzchen

Geschäftliches

Cojones zum Frühstück

Garpunkt

Dünger für den Garten

Wer nennt sein Kind Rodriguez?

Jesús Pérez Superstar

Frosty Mexican Bulldog Margarita

Ein Typ namens Valeria

Bite the Dust

Toilette ohne Wiederkehr

Wer ist eigentlich diese Cariba?

Volker bringts nicht mehr

Zwei Jahre zuvor …

Fug vs. Cariba

From Mexico with Love

Das Meerjungfrau-Gleichnis

Murat und die Gummiquetschkuh

Am Ende geht es immer nur um Frauen

Just a little Bite

Hannes kann es

Fünfzehn Minuten und mehrere Spülvorgänge später …

Kommt ein Mexikaner in eine Bar

Benny?

Splitter

Home is where your Bratpfanne is

Schuhsohle Part II: The Truth behind the Schuhsohle

Volle Kanne Showdown

Der Neue

Nachwort

VERLAGSPROGRAMM

 

 

Ralf Kor

Cannibal Love

FUNCORE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Benny’s Burger

Rod Nedza sah zu der Leuchtreklame auf. In roter Schreibschrift las er den Namen des Lokals: ›Benny’s Burger‹. Bei der Vorstellung, was einem in dem Laden serviert wird, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Er wischte sich die verschwitzte Hand am Sakko ab und fuhr beiläufig über die harte Wölbung, die sich darunter verbarg. Seine Versicherung für den Fall, dass die Sache aus dem Ruder lief.

Zwischen den Lamellen erkannte er Bewegungen. Er sog die Luft tief ein und drückte die Tür auf. Ein Queen-Song mischte sich mit dem Zischen von erhitztem Fett. Der köstliche Geruch von gewürztem Fleisch drang ihm in die Nase und es widerte ihn an, dass ihm davon das Wasser im Mund zusammenlief.

Hinter einer langen Theke stand ein Koch, der ihm den Rücken zugewandt hatte und vier Burger-Pattys auf die Grillplatte schmiss.

Zu seiner Rechten unterhielten sich vier Halbstarke über die Wahrscheinlichkeit, dass Dortmund diese Saison Deutscher Meister werden würde. Eine Bedienung servierte einem Pärchen üppig belegte Burger. Die beiden machten sich, kaum, dass sie ihnen einen guten Appetit gewünscht hatte, gierig darüber her.

Die Bedienung bemerkte den Neuankömmling und bewegte sich auf ihn zu. Eine rassige Südländerin, so viel vermochte er zu sagen, mit aufgehelltem Haar, das sie zu einem Knoten gebunden hatte.

»Guten Abend«, begrüßte sie ihn. »Möchten Sie einen Tisch oder zum Mitnehmen?«

Rod befeuchtete sich die Lippen. »Ich würde gern den Besitzer sprechen.«

Sie hob eine Augenbraue und betrachtete den Kunden abschätzend. Mit dem Kinn deutete sie zum Koch, der die Bassline des Songs mitpfiff und die Pattys beim Garen beobachtete. »Wenden Sie sich bitte an meinen Kollegen.«

»Danke«, antwortete Nedza und begab sich an die Theke. Mit einem Räuspern versuchte er, die Aufmerksamkeit des Kochs auf sich zu ziehen. Vergeblich. Der Koch pfiff weiterhin den Song mit, ohne Notiz von ihm zu nehmen.

Nedza sah sich um und entdeckte eine Klingel, wie man sie an der Rezeption eines altmodischen Hotels vermutet hätte und schlug mit der Handfläche darauf. Das Bimmeln ließ den Koch herumfahren. Der Küchenchef trug einen langen Vollbart, den er sich mit Silberperlen zu einem Zopf gezwirbelt hatte. Was er an Haarpracht im Gesicht trug, ließ er auf dem Kopf vermissen, denn den Schädel hatte er kahl rasiert, wie ein alternder Rocker, der den Anblick der Geheimratsecken nicht mehr ertrug. Er sah verbraucht aus und hatte sich einen neuen Stil zugelegt, aber Nedza erkannte ihn dennoch. Die seltsame Narbe auf der Stirn verriet ihn. Er war es!

»Entschuldigen Sie«, sagte der Koch und drehte den Lautstärkeregler runter, »aber Another One bites the Dust ist mein Lieblingssong von Queen. Was darfs sein?«

Nedza hatte Schwierigkeiten den Koch zu verstehen, da der beim Reden die Zähne nicht auseinandernahm und deshalb nuschelte. Statt zu antworten, starrte Nedza auf die sonderbare Narbe auf der Stirn des Kochs.

Dieser roch den Braten und fragte: »Na, sagen Sie es schon.«

»Bitte?«, fragte Nedza perplex.

»Woran erinnert Sie die Narbe?«

Nedza kniff die Augen zusammen.

»Na los, aber seien Sie bloß kreativ«, drängte ihn der Koch.

»An eine Banane?«, antwortete Nedza. Ja, die Silhouette einer Banane kam der Narbe auf der Stirn des Mannes am nächsten.

»Tausendmal gehört«, schnaubte der Koch. »Kriegen trotzdem was auf die Gabel. Also: Was darfs sein?«

Ohne Umschweife, da er wusste, was er in diesem Laden definitiv nicht essen wollte, fragte er: »Haben Sie auch was ohne Fleisch?«

Der Koch legte die Stirn in Falten, als verstünde er die Frage nicht.

»Sie bieten doch vegetarische Gerichte an, oder nicht?«, hakte Nedza nach.

»Natürlich«, nickte der Koch. »Wir haben Veggieburger, verschiedene Salate, Tapas, … aber es ist seltsam.«

»Seltsam? Heutzutage bekommt man überall vegetarische Varianten.«

»Da gebe ich Ihnen recht«, pflichtete ihm der Koch bei, »aber sehen Sie die Jungs da hinten?«, er zeigte auf die Fußballfans. »Drei von denen haben Burger mit Fleisch und Fritten bestellt.«

»Na und?«

Der Koch hob den Zeigefinger. »Einer hat ’nen Veggieburger mit Fritten bestellt.«

Nedza zuckte mit den Schultern. »Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.«

»Ich will damit sagen, dass es normal ist, dass ein Vegetarier oder Veganer mit Freunden hierherkommt. Benny’s Burger ist aber über die Grenzen der Stadt bekannt für seine herausragend leckeren Fleischburger. ›So schmackhaftes Fleisch bekommt man nirgends‹, sagt man. Die Veggieburger sind köstlich, aber locken kaum einen Vegetarier über die Türschwelle.«

Nedza dachte darüber nach. »Dann bin ich die Ausnahme. Ich komm nicht von hier und habe Lust auf einen Veggieburger.«

»Lassen Sie es mich anders ausdrücken: Ich arbeite schon eine ganze Weile als Koch in diesem Laden. Nämlich seit dem Bestehen«, erklärte der Bärtige und beugte sich vor. »Es kommt durchaus mal vor, dass ein einzelner Vegetarier sich hierher verirrt und einen Veggieburger bestellt. Um genau zu sein, passiert das durchschnittlich zehnmal im Jahr.«

»Und?«

»Sie sind Nummer vierzehn, und es ist erst Oktober.« Der Koch ließ Nedza stehen und kümmerte sich um den Grill. Mit dem Wender drehte er die Fleischscheiben, die ihm zischend applaudierten. Dann wandte er sich wieder dem Gast zu. »Ich kann mich täuschen, aber was wollen Sie wirklich, abgesehen von einem köstlichen Veggieburger?«

Nedza trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, subtiler vorzugehen, aber wenn es direkt zur Sache ging, was brachte es da, um den heißen Brei herumzureden?

»Mein Name ist Rod Nedza und ich hoffe, Sie können mir etwas über einen gewissen Benjamin Grinder erzählen.« Er zog den Namen unnötig in die Länge, als ob er ihn von einem Zettel ablesen würde. Gespannt wartete er auf eine Reaktion des Kochs.

Der reagierte gar nicht. Er drehte sich stattdessen wieder zum Grill, holte die Pattys von der Platte und schöpfte die Fritten ab. Nedza sah zu, wie der Küchenchef mit souveräner Gelassenheit die Teller zusammenstellte.

»Ignorieren Sie mich etwa?«, setzte er an, da steckte sich der Koch die Finger in dem Mund und ließ ein schrilles Pfeifen erklingen.

Die Bedienung eilte herbei, balancierte die üppig gefüllten Teller zu den Halbstarken und servierte ihnen die Mahlzeiten.

Nedza nahm sich vor, wütend auf die Glocke zu hämmern, da lehnte sich der Koch vor und fragte: »Sie suchen Benny?« Unstet sah er sich im Laden um und nickte. »Er ist der Boss.« Mit dem Zeigefinger tippte er auf eine Speisekarte am Tresen, wo das Logo abgedruckt war. »Wie der Name schon sagt: Benny’s Burger.«

Nedza nickte. »Verraten Sie mir auch Ihren Namen?«

Der Koch wischte sich an der Schürze die Hand ab und reichte sie dem Gast. »Volker Raugh.«

Nedza ergriff sie. Sie war ebenso verschwitzt wie seine eigene. »Was Sie nicht sagen. Wo steckt denn Ihr … Boss? Ich würde ihn gern kennenlernen. Ich hab da nämlich ein paar Fragen.«

Volker biss auf seine Unterlippe und sagte: »Das kann dauern, bis er heute Abend erscheint. Wenn Sie wollen, kann ich ihm …«

»Ich hab Zeit«, unterbrach ihn Rod Nedza. »Ich hatte eine lange Anreise und habe gewaltigen Hunger.«

Die Bedienung kam angerauscht und beugte sich über die Theke. »Kann ich helfen?«

»Das ist Rod Nedza.« Der Koch nickte in Richtung des Gastes. »Er möchte den Boss sprechen.«

Die Thekenkraft musterte den Gast und rang sich ein Lächeln ab. »Ist nicht der Koch der Boss in einem Restaurant?«, bemerkte sie augenzwinkernd.

Nedza zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, das wäre ein Imbiss?«

»Das ist ein Restaurant«, erklärte Volker mit tiefer Stimme.

Die Kellnerin reagierte nicht auf den Kommentar und fragte Nedza: »Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?«

»Kaffee. Einen großen, wenns keine Umstände macht.«

»Gern doch«, bestätigte sie und huschte um die Theke.

Nedza sah ihrem Fahrgestell hinterher.

»Veggieburger war das?«, knurrte der Koch ihn an. »Oder haben Sie sich bereits sattgesehen?«

Nedza ignorierte die Anspielung geflissentlich und antwortete: »Veggieburger. Danke.«

»Sie haben Glück, dass Sie Vegetarier sind«, erklärte Volker und zog ein Kühlfach auf. »Es ist kaum noch Fleisch da. Benny muss dringend für Nachschub sorgen.«

Nedza reckte den Hals, um sich zu versichern, dass der Koch ihm auch die vegetarische Variante aus dem Kühlfach angelte. Zu seinem Bedauern stellte er keinen optischen Unterschied zu der Fleischvariante fest. Den tiefgefrorenen Patty warf der Koch auf die Platte und die Flüssigkeit verdampfte zischend. Routiniert verfrachtete der Koch eine Ladung Pommes in die Fritteuse und versenkte sie im dampfenden Ölbad. Während der wenigen Minuten zwischen Wenden und Abschöpfen, bereitete der Koch das Brot und den Salat vor.

»Darf ich fragen, weshalb Sie ihn sprechen wollen?«, fragte Volker beiläufig.

»Es geht um eine Frau.«

Der Koch lachte. »Tut es das nicht immer?«

»Wissen Sie …«, Nedza lehnte sich vor. »Mein Mandant will wissen, was seiner Tochter zugestoßen ist, und dieser Benjamin Grinder weiß etwas darüber, da bin ich mir sicher. Ich soll der Sache nachgehen.«

Der Koch musterte Nedza. »Ihr Mandant, hm? Was sind Sie? Eine Art Detektiv?«

»Das kann man so sagen«, bestätigte Nedza. »Ich schätze, Sie können mir mehr über ihn erzählen, oder, Herr Raugh?«

Ohne etwas zu entgegnen, drehte sich Volker zum Grill und wendete den Patty. Dann lehnte er sich wieder über den Tresen und hob eine Augenbraue. »Ich könnte Ihnen Dinge über Benny erzählen, da würden Sie schreiend aus dem Laden rennen.«

»Lassen wir es drauf ankommen.«

 
Das halbe Dutzend

»Schluck endlich!«, schrie ich sie an. Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf und sah mich aus wässrigen Manga-Augen an. Die Veilchen wirkten wie natürlicher Eyeliner und ließen ihre Glupscher größer wirken.

»Jetzt reicht es mir!« Meine Faust traf sie frontal auf die Kauleiste. Ihr Kopf knallte gegen den versifften Fliesenspiegel. Es knackte und ein dünner Riss zog sich durch eine der kotzgrünen Fliesen hinter ihr. Die Zähne brachen aus ihrer Verankerung und verschwanden in der Mundhöhle, der Körper sackte in die Badewanne. Das Mädchen würgte und spuckte ihre Zähne aus, die ihr wie Tic Tacs aus dem Mund schossen und in die Wanne kullerten.

Ich zählte nach. Zwei … drei … vier. Gar nicht übel! Soweit ich mich erinnerte, lag der Rekord vom Boss bei fünf.

»Das ist der Hammer!«, rief ich.

Dann krümmte sich der dürre Körper und sie würgte erneut. Ihr Magen pumpte wie ein Blasebalg und die Rippen zeichneten sich unter der Haut ab. Ein Hustenanfall schüttelte sie durch und weitere Zähne purzelten in die Emaille.

Ich zählte die kariösen kleinen Scheißerchen. Fünf … sechs! Ich ließ das Mädchen los und hielt mich am Badewannenrand fest. Ein halbes Dutzend Zähne!

Aufgeregt angelte ich mein Handy aus der Hosentasche, arrangierte ihre Beißerchen fotogen neben ihrem Körper und schoss mehrere Selfies von uns. Zwar schielte die Kleine auf dem Bild, aber mit meiner Grimasse am Bildrand wirkte es surreal. Nicht auszudenken, was alles hätte aus mir werden können, wenn meine Eltern mir zu Weihnachten eine Kamera geschenkt hätten …

»Ich finde das ja nicht so gut«, kommentierte Benny, der auf der Toilette saß und die Arme vor der Brust verschränkt hatte, meine Aktion.

Ich sah meinen Kumpel über den Rand des Handys an. »Wolltest du mit aufs Bild?«

»Mach dich nicht lächerlich«, antwortete er mit erhobenen Händen. »Ich rede von deinen Wutausbrüchen und der ausschweifenden Gewalt, Volker. Merkst du nicht, dass sie kein Wort von dem versteht, was du sagst?«

»Sie soll das Brechmittel trinken.« Ich machte die international verständliche Schluckspechtgeste. »Was ist daran missverständlich?«

Benny wiegte den Kopf. »Handzeichen haben in anderen Ländern unterschiedliche Bedeutungen. Wenn du bei uns in Deutschland was Leckeres gegessen hast, sagen wir ein Lammsteak …«

»Ich hasse Lamm«, unterbrach ich ihn, »das weißt du.«

»Darum geht es nicht. Es ist ein Beispiel.«

»Aber ein schlechtes, wenn ich kein Lammsteak esse.« Ich verabscheute es wirklich.

»Was isst du denn, Volker?«

Ich kratzte mir über die Stoppel am Kinn. Die Idee, mir einen Bart wachsen zu lassen, lag zurzeit in weiter Ferne. »Ich esse gern Ratatouille.«

»Mit was?«, fragte Benny.

»Wie, mit was?«

»Du willst mir nicht erzählen, dass du nichts dazu isst?«

»Nee, ich versuche, mehr auf meine Gesundheit zu achten. Ich hab in letzter Zeit einen gereizten Magen und fühle mich aufgebläht.«

»Kein Fleisch?« Benny rümpfte die Nase.

»Zu viel Fleisch ist nicht gesund«, erklärte ich. »Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, maximal drei- bis sechshundert Gramm pro Woche.« Ich rieb mir den Bauch und nickte in Richtung von Bennys Plauze. »Könnte uns beiden nicht schaden.«

»Das ist barbarisch«, entgegnete er und schlug nach meiner Hand wie nach einer lästigen Fliege. »Wie dem auch sei. Stell dir vor, du sitzt im Restaurant und hast einen Teller von dem geschmorten Gemüse verputzt. Du kaust noch auf dem letzten Bissen …«

Bennys Blick sagte mir, dass er keine Ahnung hatte, was in Ratatouille steckt. »Aubergine?«, warf ich ein.

Benny verzog das Gesicht, als verteilte sich der Saft einer schimmeligen Cocktailtomate in seinem Mund. »Von mir aus, Aubergine. Dann kommt der Kellner. Du erkennst in den Augen, dass er wissen will, wie es dir geschmeckt hat. Was tust du?«

»Ich kaue zu Ende, schlucke es runter und lobe das Essen.«

Benny stöhnte. »Nun ist der Kellner von Natur aus ungeduldig und verlangt eine sofortige Reaktion.«

»Das wäre reichlich unhöflich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein solcher Kellner lange in dem Job halten würde.«

»Ich sag dir, was du tust«, drängte mein Kumpel. »Du bildest mit Zeigefinger und Daumen ein O, wenn es dir geschmeckt hat, richtig?«

»Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, gab ich klein bei.

»Wenn du unserem Muli«, er zeigte auf die benommene Mexikanerin, »das zeigen würdest, dann wäre das in ihrem Land eine Aufforderung zum Sex.«

Ich zeigte dem Mädchen das angeblich so verfängliche O-Zeichen.

Sie blinzelte mich aus angeschwollenen Augen an und stöhnte. Die Empörung blieb aus. Auch hielt sie mir keine ihrer Körperöffnungen hin oder sprang mir an den Hals. Außer, dass sie hustete wie nach einer Nacht mit selbstgebranntem Fusel und einer Stange Zigaretten, geschah nichts. Mit dem Blut an meinem Finger malte ich ›QED‹ auf eine Fliese.

»Was zu beweisen war«, übersetzte Benny zähneknirschend und schüttelte den Kopf. »Ich erzähl aber keinen Mist!«, beteuerte er. »In Brasilien bedeutet ein und dasselbe Zeichen ›Fick dich‹. Glaubt man das?«

»Das kann zu echten Problemen führen«, gab ich zu. »Aber woher soll man das alles wissen? Toni muss uns endlich einen Spanischkurs bezahlen. Dann kann ich auch vernünftig mit … verdammt, ich kann mir die Namen der Mulis einfach nicht merken.«

»Henriette«, half mir Benny auf die Sprünge, doch sein feixender Blick lies mich stutzen.

»Sie heißt nicht wirklich Henriette, oder?«

»Nein«, kicherte Benny, »das ist Bertha.«

»Jedenfalls könnte ich mit … Bertha vernünftig diskutieren und ihr verdeutlichen, dass es besser für ihr Gebiss wäre, das Mittel zu schlucken.«

»Kannst du vergessen«, winkte mein Kumpel ab. »Jeder Antrag wird in der Luft zerrissen. ›Das Kartell übernimmt keine Weiterbildungskosten‹, behauptet er.«

»Das ist wieder typisch«, seufzte ich. »Toni erwartet von uns Professionalität, aber wenn es um die Qualität unserer Arbeit geht, wirft er uns Steine in den Weg. Da darf er sich nicht beschweren, dass ich es auf die altmodische Tour versuche.«

»Du musst zugeben«, warf Benny ein, »dass du mit der Klobürste echt übers Ziel hinausgeschossen bist. Die sah alles andere als appetitlich aus. Es ist erstaunlich, dass sie nicht gekotzt hat.«

»Das ist doch der Punkt. Die bringt rein gar nichts zum Kotzen. Irgendwie müssen wir doch das Kokain aus ihr herausbekommen. Du bist dir ja zu schade dafür, ihr deine Wurstfinger in den Hals zu schieben.«

Mein Kumpel hob abwehrend die Hände. »Ich bin für die Säuberung zuständig und fungiere als moralischer Kompass.«

»Mein moralischer Kompass lässt mich lateinische Redewendungen mit Blut an Badezimmerwände schmieren«, spottete ich.

»Du leidest an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, die sich durch exzessive Gewaltausbrüche äußert«, attestierte Benny mir. »Das ist typisch für unsere Gesellschaft. Du bist gefühlskalt, hast einen Hang zu Gewalt und neigst zu Kriminalität.«

»Das hört sich irgendwie nach dir an, findest du nicht?«

»Hier geht es nicht um mich«, antwortete Benny. »Meine Seele ist im Gleichgewicht.«

»Wie kannst du in unserem Business von Ausgeglichenheit sprechen? Oder von einer Seele?«, fuhr ich ihn an. »Wenn die Hölle eine Disko wäre, würden wir beide an der Warteschlange vorbei in die VIP-Lounge geführt werden.«

Benny warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Du solltest anfangen, über deinen Horizont hinauszusehen, ansonsten wirst du in deinem Leben nie glücklich. Und du, Volker«, er zeigte mit dem Finger auf mich, »bist alles andere als das. Du musst dringend an dir feilen!«

»Aber ich bin glücklich!«, log ich ihn an. Ich durfte vor den Mädchen keine Schwäche zeigen. Das wäre nicht förderlich für die weitere … nennen wir es Zusammenarbeit.

»Das bist du ganz und gar nicht.«

»Doch!«, widersprach ich. »Sieh dir das an!« Ich forderte ihn auf, in die Badewanne zu sehen. »Siehst du das? Sechs Zähne. Sechs – fucking – Zähne. Das macht mich glücklich.«

Benny spähte in die Badewanne. »Volker, du hast den Rekord vom Boss geknackt!« Mein Kumpel klatschte in die Hände. »Ich bin schwer beeindruckt, Volker. Dennoch sehe ich mehr in dir, als einen einfachen Schläger.«

Ich verdrehte die Augen. »Hör auf mit dem Selbstfindungsscheiß. Ich kann gar nicht aussprechen, was für eine kranke Scheiße du treibst, Benny. Deine Art zu leben nennst du im Gleichgewicht sein?«

Was es mit Bennys … Leidenschaft auf sich hat, werde ich später erläutern. Nur so viel: Es ist ein ziemlich abgefuckter Scheiß. So was liest man in keiner Biografie.

»Ich finde einfach, dass du mit den Mädchen nicht so umspringen darfst«, belehrte er mich.

»Das sind doch nur Mulis«, stellte ich klar.

Benny räusperte sich.

»Was ist los?«, fragte ich ihn.

Benny räusperte sich. Dann hielt er sich schützend die Hand vor die Lippen: »Erklär bitte, was es mit den Mulis auf sich hat.«

Ich schlug mir gegen die Stirn. Zeit für den …

 

***

Infodump: Muli

 

Ein Muli, beziehungsweise Maultier, ist nicht nur ein Hybrid aus Pferd und Esel, sondern auch ein Begriff aus dem Drogenjargon. Er bezeichnet das Schmuggeln von Rauschgift. Drogen werden in speichel- und magensäureresistenten Beuteln, wie beispielsweise Kondomen, verpackt, und im Darm oder der Vagina versteckt. Der Begriff für diese Methode ist Bodypushing. Nicht zu verwechseln mit Bodypacking, wo die Drogen oral in den Körper eingeführt werden. Das Risiko für die …

 

***

 

Das Mädchen erbrach sich und kippte bewusstlos zur Seite. Mit dem Schädel knallte sie gegen den Badewannenrand und Blut sickerte augenblicklich aus einer Platzwunde an der Schläfe.

»Fuck!«, zischte ich und setzte die Kleine wieder aufrecht hin. Ich klatschte ihr mehrmals mit der flachen Hand ins Gesicht. Ihre Augenlider flatterten, aber ich brachte sie nicht zur Besinnung. Sie spie erneut und Schaum quoll ihr aus den Mundwinkeln.

»Nein, nein, nein! Da ist etwas kaputtgegangen!« Ich schlug ihr ins Gesicht. Keine Reaktion. Der Körper hing wie eine Marionette, der man die Fäden gekappt hatte, in meinen Händen. Ich schüttelte sie und ihr Kopf flog hin und her.

»Hör auf!«, rief Benny und ich ließ von ihr ab.

Ihr Körper rutschte in die Wanne. Die aufgerissenen Augen blickten mich anklagend an. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Ein Kondom muss geplatzt sein. Fuck!«

»Das ist bereits die Vierte diese Woche«, merkte Benny an.

»Stimmt.«

»Und wir haben erst Mittwoch.«

»Richtig.«

»Toni wird pissig sein.«

»Das wird er, ganz sicher.«

»Und jetzt?«

Es pulsierte in meinem Schädel. Scheißmigräne. Es ist die Hölle. Mit Zeige- und Mittelfinger massierte ich die Narbe an meiner Stirn, wie andere ihre Schläfen. Das half ein wenig. »Ich werde Toni anrufen und ihm die Sache erklären.«

Benny sog die Luft scharf durch die Zähne. »Hältst du das für eine gute Idee?«

»Pass auf, es wird folgendermaßen ablaufen«, sagte ich und sah meinem Kumpel eindringlich in die Augen. »Ich gehe vor die Tür, schnappe frische Luft und rufe Toni an. Er wird es verstehen. Er weiß, wie zickig die Mädels sein können.«

»Nein, Mann. Du kennst Toni.«

Oh ja, das tat ich.

***

Personal Infodump: Antonio García

 

AKA Toni (für seine Freunde) – AKA the Chain (für seine Feinde) –, ist Sohn mexikanischer Migranten. Aufgewachsen ist er in Gelsenkirchen und hat das harte Leben auf der Straße kennengelernt. Bereits im zarten Alter von neun Jahren ist er ins Drogengeschäft eingestiegen. Er versuchte sich ein eigenes Gebiet in der Stadt zu erkämpfen, aber die arabischen Clans und Familien verteidigten ihr Revier verbissen. Toni witterte seine Chance und zog mit sechzehn Jahren nach Münster, wo die Revierverteilung noch in den Kinderschuhen steckte. Ein Volltreffer, wie sich herausstellte.

Der aufstrebende Mexikaner baute sich in kürzester Zeit ein Kartell auf und beherrschte mit eiserner Hand die Drogengeschäfte der Stadt.

Kleinere Clans kontrollierten zwar gewisse Bezirke, mussten Toni jedoch einen Tribut dafür zollen. Das geschah nicht auf freiwilliger Basis. The Chain kannte Mittel und Wege, seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Feinde und Abtrünnige erhielten von dem Soziopathen eine Sonderbehandlung mit der Motorsäge. Er erfand sogar ein eigenes Wort dafür: Man wird von ihm gechained!

Besser man überlegte sich vorher zweimal, ob man ihm ans Bein pisste, oder sich an seine kleine Schwester ranmachte, denn sie war ihm neben dem Kartell das Liebste auf der Welt.

Ich habe von einer Geschichte gehört, das war in einer Ballerdisco am Hafen. Der Name ist mir entfallen. Ein Kerl hat Tonis Schwester einen Klaps auf den Arsch verpasst. Nur einen Klaps. Sexistisch und unangebracht, aber eben nur ein beschissener Klaps. Am nächsten Morgen fand man seine Gliedmaßen in alle Himmelsrichtungen verteilt in der Stadt. Die Krönung war der abgeschnittene Kopf des Burschen, aus dessen Fresse sein eigener Schwanz hing. Er steckte in einem der Wiedertäufer-Käfige der Lambertikirche. Keine Attraktion in Münster wurde an jenem Tag häufiger fotografiert.

 

***

 

»Er wird dich so was von chainen«, meinte Benny und schüttelte den Kopf.

»Uns wird er chainen«, korrigierte ich ihn und führte den Plan weiter aus: »Du kümmerst dich unterdessen um die Kleine. Versuch so viel Kondome wie möglich unbeschadet aus ihr herauszuholen. Denk bitte auch daran, die Säckchen zu reinigen, bevor du sie in den Koffer packst. Toni mag keine Sauerei auf dem Schreibtisch.«

»Klar, Volker«, antwortete Benny und erhob sich. Es knackte, als er den Rücken durchstreckte. »Ich sitze zu viel«, jammerte er. »Weißt du, dass Sitzen das neue Rauchen ist?«

»Ich verspreche dir«, sagte ich und drehte mich zu Benny, »dass wir nicht auf diese Art draufgehen werden.«

»Wenn du das sagst«, erklärte mein Kumpel schulterzuckend, und machte sich unverzüglich ans Werk. Er bückte sich über die Leiche und hielt ein Messer in der Hand.

Dann schloss ich die Badezimmertür. Ich konnte ihm einfach nicht bei der Arbeit zusehen. Ich verließ die Wohnung und eilte das Treppenhaus hinab. Nicht, dass ich es eilig gehabt hätte, aber es stank in dem alten Gemäuer bestialisch nach Pisse.

Vor der Tür sog ich die frische Luft ein und zählte von zehn an rückwärts, bis mein Herzschlag wieder einem normalen Rhythmus folgte. Dann kramte ich das Handy aus der Hosentasche und rief Tonis Nummer auf. Ich musste mich auf einiges gefasst machen.

 
Kalter Kaffee von gestern

»Trinken Sie Ihren Kaffee, sonst wird er kalt.«

Nedza betrachtete die Tasse vor sich. Aus ihr stieg Kaffeedampf empor, der nach einer kräftigen Bohnensorte duftete. Die Hand, die den Henkel hielt, zitterte. »Sie haben mir soeben einen Mord gestanden, ist Ihnen das bewusst?«

Volker zuckte mit den Schultern. »Was werden Sie mit diesem Wissen anfangen? Zur Polizei gehen?« Er lachte auf. »Es gibt keine Leiche, keinen Namen und die, die es interessiert, leben viele, viele Kilometer entfernt auf einem anderen Kontinent.«

Nedza störte der selbstgefällige Blick des Kochs und die Tatsache, dass er recht behalten würde. Ein plattgewalztes Eichhörnchen am Straßenrand würde mehr Aufmerksamkeit erregen. Die Gewissheit, dass er ihn so oder so am Wickel hatte, besänftigte ihn ein wenig. Er hob die Tasse an, pustete den Dampf fort und nippte an dem Getränk. Allein das Aroma der frischen Bohnen weckte seine Lebensgeister. Er war der Meinung, dass die belebende Wirkung von Kaffee weniger vom Koffein herrührte, als von der Einbildung, dass er einen wachhielt.

Der Koch sah ihn breit grinsend an.

Nedza nervte es und er bohrte weiter: »Was ist mit Ihrer Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und der Handel mit Drogen?«

»Beweisen Sie es mir«, entgegnete Volker, holte unter dem Tresen eine Bierflasche hervor und trank einen großen Schluck. Er rülpste zwei-, dreimal, bis er sich fing und erklärte: »Es ist ja nicht so, als hätte Toni Sozialabgaben für uns geleistet. Und heute«, er breitete seine Arme aus, »arbeite ich in der Burgerbude meines Kumpels. Bevor Sie mich aber vorschnell verurteilen, sollten Sie wissen, dass ich einst ein funktionierendes Mitglied unserer Gesellschaft war. Ich war sogar verheiratet.«

 
Schuhsohle Part I: Dreams in a Bitch’s House

Ich stach die Gabel in den grauen Klumpen vor mir. Mit dem Messer zerteilte ich das Fleisch und ließ es in meinem Mund verschwinden. Ich kämpfte gegen das zähe Stück an, doch egal wie viel Spucke ich beisteuerte, ich schaffte nicht, es in zwei Teile zu zerkauen. Resigniert schluckte ich es im Ganzen hinunter. Auf halber Strecke blieb es stecken und ich stürzte hastig das Glas Wein hinterher.

Ich betrachtete das handgroße Stück Schuhsohle, von dem Silke behauptete, es sei Lamm und widerstand dem Drang, das Besteck wegzuschmeißen. Wenn ich das Möchtegern-Lamm bezwingen wollte, brauchte ich dringend mehr Wein. Literweise.

»Ich sehe, es schmeckt dir«, deutete Silke den Versuch, das Stück zu zerteilen, als bewusstes Kauen fehl und schob sich ein Häppchen ihrer Gemüsefrikadelle in den Mund. Am liebsten hätte ich ihr die Scheibe totgekochtes Tier ins Maul gestopft und mit der Gabel tief in den Hals geschoben.

Stattdessen schenkte ich ihr ein breites Verarschen-kann-ich-mich-allein-Lächeln, was sie mit einem typischen Fick-dich-ins-Knie-Augenzwinkern quittierte.

Wir hatten in unserer Ehe die nonverbale Beleidigung auf ein neues Level befördert. Wir taten es, ohne ein übles Wort über den anderen zu verlieren. Keine wüsten Beschimpfungen, keine Tränen, keine Nächte auf der unbequemen Klappcouch, auf die ich meine Schwiegereltern verfrachtet hätte, wären sie zu Besuch gekommen. Taten sie zum Glück nie.

Manchmal vögelten wir sogar. Silke und ich – nicht mit den Schwiegereltern. Kein Sex zwischen Verliebten, den man uns einredet, ihn haben zu können, wenn man an seiner Beziehung arbeitet, sondern wütender Hass-Sex. Verschwitzte Leiber klatschten aneinander, bissen und kratzten, im ewigen Kampf um die Krone des besseren Liebhabers. Es war okay für uns.

Obwohl ich bei dem zähen Lappen, der auf dem Rosenmustergeschirr lag – im Übrigen die hässlichste Mitgift, die man von reichen Schwiegereltern erhalten konnte – tatsächlich einen Streit vom Zaun gebrochen hätte. Natürlich aus reinem Selbstschutz. Ich besaß keine Zahnzusatzversicherung.

Ich hustete einen Klumpen hoch, der sich partout nicht in den Magen verbannen lassen wollte, und versuchte mich in Small Talk. »Ich habe dir doch von der neuen Werbemaßnahme erzählt, die mir Beckmann aufs Auge gedrückt hat.«

Silke zog die Stirn kraus.

Ich hatte ihr erst heute Morgen davon berichtet. »Für die Truthahn-Spezialmischung«, half ich ihr auf die Sprünge.

Ich war zu der Zeit in der Werbeabteilung für einen angesagten Katzenfutterproduzenten tätig. Mancher erinnert sich an den Spot mit der Katze, die zum Samtpfoten-Mister-Hyde mutierte, nachdem das Herrchen ihr das Futter der Konkurrenz zu fressen gegeben hatte. Der Stubentiger hatte dem armen Tropf gehörig die Visage poliert. Das ist auf meinem Mist gewachsen!

»Ach, richtig.« Sie schenkte mir ein müdes Lächeln. »Was ist damit, Volker?«

Sie kratzte sich gelangweilt hinterm Ohr. Eine ihrer vielen Marotten. Vor allem, wenn ich sie mit den Geschichten von der Arbeit nervte. Beim Zubettgehen war mir aufgefallen, dass die Stelle hinterm Ohr schorfig war.

»Es hat sich dummerweise herausgestellt, dass …«

»Da fällt mir ein«, unterbrach sie mich und hörte auf, sich zu kratzen, »hast du die Einladungen für meine Eltern zum Frühlingsfest in die Post geworfen?«

»Ja, ich glaube schon«, antwortete ich und kratzte mich an der Stirn. Da verunzierte die Narbe noch nicht meinen Kopf.

»Du glaubst?«, äffte sie mich nach. »Entweder hast du sie eingeworfen oder nicht. Weißt du, wo du glauben kannst?«

Bitte nicht diesen verschlissenen Scherz. »Ich hab sie eingeworfen.«

»Jetzt weißt du es, hm?«

»Warum schickst du deinen Eltern nicht eine Email? Sie kommen doch eh nicht zu Besuch.«

Silke seufzte. »Bei einer solchen Stimmung bestimmt nicht.«

»Wie auch immer. Darf ich weitererzählen?«

»Jaja, dieser Speckmann.« Sie kratzte sich.

»Beckmann«, korrigierte ich und bemerkte den Blick, den sie auf meinen Teller warf.

»Stimmt was damit nicht? Ist es nicht durch?«

Verdammt. Ich hatte gehofft, dass es bis zum Ende der Geschichte erkaltet wäre.

»Ist es«, bestätigte ich ihr. »Ich mags, wenn es durch ist.«

Silke zog eine Augenbraue hoch. »Das stimmt nicht, du isst es am liebsten medium.«

Ertappt. »Nein, ich mag es durch.«

Sie klimperte sechs Mal mit den Wimpern. Ihr Tick, wenn sie jemanden, im Speziellen mich, einer Lüge überführt hatte. Lang. Kurz. Kurz. Lang. Kurz. Kurz. Was so viel bedeutet wie: Du dreckige Ratte lügst mich an, obwohl ich dir absichtlich das Essen so zubereitet habe, wie du es garantiert nicht herunterbekommst. Das nächste Mal kippe ich dir Rattengift in deinen Wein.

In zehn Ehejahren lernt man vieles über seinen Partner. Obwohl man mich dafür nicht besonders gut zu kennen brauchte. Wer mag bitteschön durchgegartes Lamm?

»Du magst es nicht. Ich weiß es ganz genau.«

Ich lockerte die Kiefermuskulatur, die bereits schmerzte. Die Welt um mich herum drehte sich und ich massierte mir die Schläfen. Die Migräne brach wieder aus. Als würden sich Mäuse mit ihren Pfoten einen Ausweg aus meinem Schädel graben.

---ENDE DER LESEPROBE---