14,99 €
Zwischen Abenteuer, Pflichtgefühl und Leidenschaft: Der historische Roman »Captain Nelson – Unter der Flagge des Königs« ist der erste Band von Mac P. Lornes Dilogie über das Leben von Lord Nelson, Englands größtem Seehelden. Er gilt bis heute als der ruhmreichste Offizier der Royal Navy: 1784 erhält der junge Captain Horatio Nelson den Auftrag, das Handelsverbot zwischen den englischen Kolonien in Westindien und den abtrünnigen USA zu überwachen. Die verbotenen Geschäfte sind allerdings höchst lukrativ, weshalb der britische Gouverneur von Antigua beide Augen zudrückt. Bald hat sich der ebenso charismatische wie pflichtbewusste Nelson in der Karibik zahlreiche Feinde gemacht. Es werden nicht die letzten sein: Als im Zuge der Französischen Revolution ein neuer Krieg mit Frankreich ausbricht, wird Nelson ins Mittelmeer entsandt. In Neapel soll er die Verbündeten Englands um Unterstützung bitten und lernt dabei die Liebe seines Lebens kennen: die schöne Emma Hamilton. Doch sie ist bereits die Frau des britischen Botschafters ... Historischer Seefahrer-Roman mit lebendigen Schilderungen und glaubwürdig gezeichneten Charakteren In seinem historischen Roman über Lord Nelson entführt Mac P. Lorne erneut in die spannende Geschichte der Seefahrt und berühmter Seeschlachten. Nelsons Aufstieg zum Admiral bis zur legendären Schlacht bei Trafalgar und seine Liebe zu Emma Hamilton schildert der 2. Band der Dilogie, »Admiral Nelson – Unter Englands Flagge«. Entdecken Sie auch die anderen historischen Seefahrer-Romane von Mac P. Lorne: - Jack Bannister – Herr der Karibik - Der Pirat (Sir Francis Drake)
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 531
Mac P. Lorne
Unter der Flagge des Königs
Roman
Knaur eBooks
Vom jungen Captain zu Englands größtem Seehelden
Als junger Captain überwacht Nelson ein Handelsverbot zwischen den englischen Kolonien in Westindien und den abtrünnigen USA. Bald hat sich der ebenso charismatische wie pflichtbewusste Nelson in der Karibik zahlreiche Feinde gemacht. Als im Zuge der Französischen Revolution ein neuer Krieg mit Frankreich ausbricht, wird Nelson ins Mittelmeer entsandt. In Neapel lernt er dabei die Liebe seines Lebens kennen: die bildschöne Emma Hamilton. Doch sie ist bereits die Frau des britischen Botschafters ...
Der historische Roman »Captain Nelson – Unter der Flagge des Königs« ist der erste Band der Dilogie über das Leben des bis heute ruhmreichsten Offizier der Royal Navy.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Widmung
Personenverzeichnis
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
Epilog
Autorenanmerkungen zu historischen Hintergründen
Zeittafel
Glossar
Bibliografie
Wie immer meinen drei Frauen Inga, Jette und Svea gewidmet und für Christine Steffen-Reimann in großer Dankbarkeit.
Historische Personen, denen der Leser im Laufe des Romans begegnen wird
Horatio Nelson – Englands bekanntester Seeheld
Frances (Fanny) Nisbet – seine Frau
John Richardson Herbert – ihr Onkel und Präsident des Rates von Nevis
Edmund Nelson – sein Vater und anglikanischer Geistlicher
William Nelson – sein älterer Bruder
Richard Howe – Lord High Admiral
Admiral Sir Richard Hughes – Nelsons Vorgesetzter in Westindien
Cuthbert Collingwood – Captain, später Admiral und Freund Nelsons
Wilfred Collingwood – sein jüngerer Bruder
John Moutray of Roscobie – ein nicht sehr engagierter Vertreter der Krone auf Antigua
Mary Moutray – seine Frau, in die Nelson, wie in so viele andere Damen, verliebt war
Prinz William Henry, später König William IV. – Nelsons Freund und Trauzeuge auf Nevis
Admiral William Hotham, Admiral Samuel Hood, Admiral John Jervis, Kommodore Robert Linzee – Vorgesetzte Nelsons im Mittelmeer und im Atlantik
John Samuel Smith – Erster Offizier und später Captain der HMSAgamemnon
Lady Emma Hamilton – eine Lebedame am neapolitanischen Hof und später Nelsons Geliebte
Sir William Hamilton – deren Gemahl, Englands Botschafter in Neapel
Adelaide Correglia – eine Operndiva und Geliebte von Nelson
Sir John Udney – britischer Konsul in Livorno
George Cockburn – Captain unter Nelson, brachte später Napoleon nach Elba, stieg bis zum Ersten Seelord auf und beendete die Auspeitschungen und die Zwangsrekrutierungen in der Flotte
Thomas Masterman Hardy – zuerst Lieutenant unter George Cockburn, später Flaggkapitän unter Nelson, folgte Cockburn als Erster Seelord nach
Ralph Willett Miller – Flaggkapitän unter Nelson
Napoleon Bonaparte – Artillerieoffizier vor Toulon und späterer Kaiser der Franzosen
London, Februar 1784
Lord High Admiral Richard Howe hatte sich einst nicht gescheut, mit nur dreiunddreißig Schiffen sechsundvierzig gegnerische anzugreifen, und durch seinen damaligen Sieg die vierjährige spanische Belagerung von Gibraltar beendet. Doch jetzt plagte ihn die Gicht, und zudem hatte er die undankbare Aufgabe erhalten, die Flotte abzurüsten, und so sah er den jungen Captain, der in strammer Haltung vor seinem Schreibtisch stand, missbilligend an. Er hatte ihm bewusst keinen Platz angeboten, denn es war ihm schleierhaft, was sein alter Freund Samuel Hood, der zusammen mit George Rodney Englands Ehre vor zwei Jahren in der Seeschlacht bei den Saints in Westindien wiederhergestellt hatte, nachdem diese von den aufständischen Kolonisten in Nordamerika und den mit ihnen verbündeten Franzosen arg ramponiert worden war, an diesem mageren, gerade einmal fünfundzwanzig Jahre alten Jüngelchen fand. Jetzt, nachdem in Versailles endlich Frieden geschlossen worden war und er die vorrangige Aufgabe hatte, die Schiffe stillzulegen und Mannschaften nebst ihren Offizieren abzumustern – was ihm in der Seele wehtat und ständige Herzschmerzen bereitete –, gab es doch wahrlich bessere Männer als diesen blass-kränklichen Pfarrerssohn aus Norfolk, denen man ein Kommando anvertrauen konnte. Howes Vorstellungen von einem schneidigen Fregattenkapitän waren jedenfalls gänzlich andere.
Zugegeben, der Captain war wie er mit zwölf Jahren in die Navy eingetreten und hatte sich kontinuierlich vom einfachen Seemann bis in seine heutige Position hinaufgedient. Das schaffte man selbst mit Protektion nicht ohne seemännisches Können und Durchsetzungsfähigkeit, wie er aus eigener Erfahrung wusste. Er warf einen erneuten Blick in die vor ihm liegende Akte und seufzte vernehmlich. Der Mann, das konnte nicht bestritten werden, war seinen Weg beharrlich gegangen, hatte sich zum Midshipman qualifiziert, seine Leutnantsprüfung vorzeitig mit Bravour absolviert, in Ost- und Westindien gedient und sogar an einer Nordmeerexpedition teilgenommen, wo ihn um ein Haar ein Eisbär gefressen hätte.
Als Howe das gelesen hatte, hatte er sich ein Grinsen nicht verkneifen können. Wer griff denn ein solches Ungetüm mit einer umgedrehten Muskete an? Auf die Idee konnte doch nur ein völlig unbedarfter Grünschnabel oder Wahnsinniger kommen! Aber Commander Lutwidge hatte den Vorfall nach Ende des gescheiterten Versuchs, den Nordpol zu erreichen, geflissentlich geschildert und auch im Logbuch vermerkt. Demnach hatte sein Steuermann – diese Funktion übte der junge Mann damals auf der HMSCarcass aus – den Bären erlegen wollen, um dessen Fell seinem Vater zum Geschenk zu machen. Als die Muskete versagte, war er mit dem Kolben auf den Herrscher der Eiswüsten losgegangen, der aber wohl der Klügere von beiden gewesen war und sich getrollt hatte. Und solch einem unbeherrschten Draufgänger sollte er eine nahezu neue Fregatte anvertrauen, deren Rumpf gerade erst einen sündhaft teuren Kupferbeschlag erhalten hatte, welcher den Muschelbewuchs und Bohrwurm von den Planken abhalten sollte? Was dachte sich Hood nur dabei? Er musste offenbar einen Narren an dem jungen Captain gefressen haben, hatte er ihn doch sogar bei Hofe eingeführt und dem König vorgestellt.
Nun gut, ganz unerfahren war der Offizier nicht, musste selbst der Lord High Admiral zugeben. Kaum, dass er die Leutnantsprüfung abgelegt hatte, war er vor der nordamerikanischen Küste an der Kaperung mehrerer Rebellenschiffe beteiligt gewesen und hatte mit neunzehn Jahren bereits sein erstes Kommando erhalten. Die Little Lucy ist sicherlich, wie der Name schon sagt, ein kleines Schiff gewesen, sinnierte Howe, aber immerhin. Offenbar hatte der junge Kommandant später den Oberbefehlshaber von Jamaika, Sir Peter Parker – Howe natürlich bestens bekannt – derart beeindruckt, dass er ihn auf sein Flaggschiff geholt, nach kurzer Prüfzeit zum Captain befördert und ihm die Brigg HMSBadger anvertraut hatte. Captain mit zwanzig Jahren, diese unscheinbare, nahezu weißhaarige Gestalt? Respekt, gestand sich der Admiral ein. Das hatte nicht einmal er geschafft. In diesem Alter war er nur Commander gewesen und hatte eine Sloop befehligt.
Ob da vielleicht der Onkel des jungen Mannes, Maurice Suckling, seine Finger im Spiel gehabt hatte? Schließlich hatte Captain Suckling während seiner Laufbahn viele einflussreiche Posten in der Navy innegehabt, zuletzt den eines Rechnungsprüfers der Marine, bevor er viel zu früh vor sechs Jahren verstorben war. Howe schüttelte es bei dem Gedanken, waren er und Maurice, den er ebenfalls gut gekannt hatte, doch im gleichen Jahr geboren worden. Und wenn dieser der Karriere seines Neffen am Anfang etwas nachgeholfen hatte, dann war das absolut nichts Ehrenrühriges, sondern allgemein anerkannte und geübte Praxis.
Es folgten im Lebenslauf des jungen Captains Kommandos auf den Fregatten HMSHinchinbrooke und HMSAlbemarle sowie Einsätze vor der Küste Nord- und Mittelamerikas und in der Karibik, wo er Sam Hood unterstanden hatte, aber auch in der Ostsee. Ist ganz schön rumgekommen, der Junge, sinnierte Howe und rieb sich nachdenklich das Kinn. Doch ein Admiral wie er, Hood oder gar der legendäre Rodney würde aus dem mickrigen Bürschchen niemals werden, davon war er aus tiefster Seele überzeugt. Dafür brauchte es eindrucksvolle Persönlichkeiten, die auf einem Flaggschiff etwas hermachen mussten, damit Mannschaften und Offiziere an Bord spurten und Respekt zeigten. Da war kein Platz für schmalbrüstige Möchtegerns, die besser an Land geblieben und in die Fußstapfen des geistlichen Herrn Vaters getreten wären. Dieses schmächtige Männchen würde doch auf jedem Achterdeck, von einer Fregatte aufwärts, nur verloren und verlassen aussehen.
So sah der Lord Admiral es jedenfalls, und am liebsten hätte er den vor ihm Stehenden auf Halbsold gesetzt und nach Hause geschickt, wären da nicht das Empfehlungsschreiben von Hood und der Kontakt des Offiziers zum Königshaus gewesen. Und so musste er gegen seine innere Überzeugung diesem hohlwangigen, von Krankheit gezeichneten Burschen erneut das Kommando über eine Achtundzwanzig-Kanonen-Fregatte anvertrauen und ihn zu den kleinen Antillen schicken, wo er die Navigation Acts rund um die Inseln über dem Winde durchsetzen sollte. Der Schmuggel in jener Region hatte derart überhandgenommen, dass drastische Maßnahmen nötig waren, um ihn einzudämmen, hatte das Parlament befunden und ausgerechnet diesen jungen Captain dazu ausersehen, ihn zu unterbinden. Verstehe einer die Welt, dachte Howe bei sich und seufzte zum wiederholten Male, was bei seinem Gast aber keinerlei erkennbare Reaktion hervorrief.
»Ihr seht ausgesprochen mitgenommen aus, Captain«, wandte sich der Admiral endlich an den neuen Kommandanten der HMSBoreas, wobei er hoffte, die Berufung vielleicht doch noch abwenden zu können. »Fühlt Ihr Euch der Aufgabe, die man Euch zugedacht hat, wirklich gewachsen? Ich lese in Eurer Akte da etwas von Fieberschüben aufgrund von Malaria, die Euch immer wieder einmal heimsuchen, und auch von Gelbfieber, das Ihr Euch offenbar während einer missglückten Landeoperation im Dschungel von Nicaragua zugezogen habt. Es wäre in Eurem Fall wahrlich keine Schande, wenn Ihr Euch aus dem aktiven Dienst verabschieden würdet. Ich bin mir sicher, dass ich eine auskömmliche Pension für Euch herausholen könnte, wenn Ihr aus Krankheitsgründen die Navy besser verlassen wollt.«
Howe hoffte, dem Captain eine Brücke gebaut zu haben, über die viele seiner Offizierskameraden sicher gern gegangen wären, fristeten sie doch jetzt in Friedenszeiten ein eher kärgliches Dasein, sah sich darin aber zu seiner Überraschung – oder auch Befürchtung – getäuscht.
»Mylord, bei allem gebotenen Respekt und voller Dankbarkeit für das Angebot, welches ich allerdings zu meinem Bedauern entschieden zurückweisen muss«, entgegnete der junge Mann selbstbewusst, und der Admiral bekam das erste Mal eine Ahnung davon, was diesen Offizier zum geachteten Kommandanten befähigte. Denn dessen Stimme war volltönend und machte jetzt, da er das Wort ergriff, auf einen Schlag eine gänzlich andere Person aus ihm. »Richtig ist, dass ich mir beim Dienst für den König und unser geliebtes Vaterland die eine oder andere Blessur zugezogen habe und auch, wie Ihr richtig in dem Akt gelesen habt, erkrankt bin. Aber das ist so gut wie jeder andere Marineangehörige auch, der in Ost- und Westindien gedient hat. Zugegeben, ich war auf Jamaika im Lazarett, hatte dort aber die beste Pflege, bin als geheilt entlassen worden und hatte im vergangenen Jahr auf einer Reise durch Frankreich, wo ich Sprachstudien betrieben habe, genügend Zeit, um mich ausreichend zu erholen. Jetzt brenne ich darauf, wieder den Dienst aufnehmen zu können, und versichere Euch, dass ich vollständig wiederhergestellt und voller Tatendrang bin. Einen einsatzbereiteren Offizier werdet Ihr in der gesamten Navy kaum finden, erlaube ich mir in aller Bescheidenheit anzufügen, wenn Ihr gestattet.«
»So?« Howe hoffte, dass seine Stimme nicht allzu sarkastisch klang. »Bescheiden klang das nach meinem Dafürhalten aber nicht gerade. Tagtäglich werden ein Dutzend ausgemusterte Captains mit mehr Dienstjahren als Ihr und reichlich Erfahrung auf dem Buckel bei mir vorstellig und betteln um ein Schiff. Ja, sie würden sogar als Lieutenants Dienst tun oder als Master anheuern, nur um wieder Schiffsplanken unter die Füße zu bekommen, und für Euer Kommando, dessen seid Euch besser bewusst, sogar töten. Ihr Neid wird Euch auf Schritt und Tritt begleiten, das solltet Ihr in Eurem eigenen Interesse nie aus den Augen verlieren. Aber gut, es ist nun einmal, wie es ist. Ich hoffe nur, Ihr enttäuscht Eure Gönner und Fürsprecher nicht. Hier, nehmt, das ist Eure Segelorder.«
Howe schob einen dicken Pack in Segeltuch eingeschlagener und mehrfach rot gesiegelter Papiere über den Tisch.
»Ihr begebt Euch unverzüglich nach Plymouth und an Bord der HMSBoreas. Euer Ziel sind die Kleinen Antillen. Die exakten Befehle entnehmt Ihr der Segelorder, die erst zu öffnen ist, wenn Ihr auf dem Atlantik seid. Wir wollen schließlich nicht, dass auf den Inseln schon vor Eurer Ankunft bekannt wird, wie Euer Auftrag lautet. So weit alles klar, Captain?«
»Selbstverständlich, Eure Lordschaft«, beeilte sich der Angesprochene zu versichern und nahm den Pack mit seinen Befehlen entgegen. »Wenn es Euch recht ist, breche ich umgehend nach Plymouth auf, und die HMSBoreas wird auslaufen, sobald sie verproviantiert ist und Wasser übernommen wurde.«
»Tut das, aber da wäre noch eines, das Euch wahrscheinlich ein paar Tage in London festhalten wird.« Howe lehnte sich genüsslich in seinem Sessel zurück, denn er wusste genau: Was er jetzt zu verkünden hatte, würde dem Captain ganz und gar nicht schmecken. »Euer erstes Ziel wird Barbados sein, wo Ihr Euch bei dem Stationskommandanten der Kleinen Antillen, Sir Richard Hughes, zu melden habt. Und bis dorthin habt Ihr zwei Passagiere an Bord, nämlich die Frau Eures Euch vorgesetzten Admirals auf den Inseln über dem Winde, Lady Jane Hughes, und deren Tochter Rose Mary. Ich sehe es Euch an, Ihr könnt Euer Glück kaum fassen, aber Ihr braucht mir nicht zu danken. Sorgt nur dafür, dass es den beiden Damen während der Reise an nichts fehlt, sodass mir keine Klagen von Sir Richard kommen, hört Ihr? Dass Ihr Eure Gäste an Bord auf Eure Kosten verpflegt und deshalb besser hier in London als im Marinedepot an der Südwestküste Verpflegung und gute Weine ordert, versteht sich wohl von selbst? Gleiches gilt selbstverständlich für die Dienerschaft der Damen, aber Lady Jane hat mir versichert, dass sie nur mit wenig Personal reisen wird. Nun, was sagt Ihr zu dieser angenehmen Nachricht, Captain? So wird Euch auf der langen Überfahrt sicher nicht langweilig, und Ihr habt angenehme Unterhaltung. Sicher seid Ihr entzückt und werdet mir gleich erfreut versichern, dass Ihr Euer Bestes geben werdet, die Damen nicht zu enttäuschen, nicht wahr?«
»Selbstverständlich, Eure Lordschaft«, beeilte sich der Captain zu bestätigen, dem der Schreck in alle Glieder gefahren war. Denn nichts scheute ein Seemann mehr als eine Frau an Bord, und er sollte gleich zwei, noch dazu die Frau und Tochter seines Admirals, auf einem doch recht kleinen Schiff über den Atlantik befördern. Das konnte doch nur in einer Katastrophe enden! Aber er wusste, dass er sich sein Entsetzen genauso wenig anmerken lassen durfte, wie wenn er auf dem Achterdeck seines Schiffes in Erwartung einer feindlichen Breitseite stände. In Gedanken verabschiedete er sich bereits von seiner Kajüte und auch von seinem letzten Prisengeld, das wohl für die Bewirtung der Passagiere draufgehen würde. Doch sich diese Überlegungen von seinem Gesicht ablesen zu lassen, diese Genugtuung wollte er dem Lord High Admiral, der sein Grinsen kaum verbarg, nicht gönnen. Deshalb zeigte er nach außen hin auch nicht die geringste Regung und fragte stattdessen so gelassen, wie es ihm möglich war: »Wenn das alles wäre?«
»Das ist es, Captain.« Howe war beeindruckt von der Selbstbeherrschung des vor ihm Stehenden. Er an dessen Stelle hätte geflucht, getobt und alle Götter angefleht, diesen Kelch an ihm vorübergehen zu lassen, doch dieser zuckte mit keiner Wimper. Sollte er genauso gelassen und kaltblütig auch dem Feind gegenübergestanden haben, ließe das die nahezu kometenhafte Karriere des jungen Mannes plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. »Dann bleibt mir nur noch, Euch eine gute Reise zu wünschen. Und grüßt mir meinen alten Freund, Admiral Hughes, Captain …«
Howe hatte den Offizier zum Abschluss des Gesprächs noch versöhnlich mit dessen Namen ansprechen wollen, doch da war er ihm doch glatt entfallen. Aber hilfreich sprang der junge Mann ein, bevor er sich zum Gehen wandte: »Nelson, Sir. Horatio Nelson.«
So, wie der junge Captain seinen Namen aussprach, glaubte der Admiral, dass er ihn sich vielleicht doch besser merken sollte.
Plymouth, März 1784
Nelson hatte Quartier im King Richard Inn genommen, stand an dem kleinen Fenster seiner Kammer und schaute auf den Plymouth Sound hinaus, wo die HMSBoreas, kaum erkennbar in dem dicht fallenden Regen, auf Reede ankerte. Ein böiger Südwest peitschte graubraune, meterhohe Wellen gegen die Kaimauer, und die Gischt spritzte über die Mole bis an die Scheiben des Gasthofes und ließ Salzkristalle auf ihnen zurück. Er empfand tiefe Dankbarkeit beim Anblick des Schiffes, war ihm doch das Schicksal der vielen Kapitäne erspart geblieben, die sich in den Gängen der Admiralität drängten oder in den Schenken rund um St. James auf genau die Chance warteten, die ihm soeben zuteilgeworden war, auch wenn sein Auftrag einen leichten Beigeschmack hatte. Aber das war nun einmal der Preis, den er für das Kommando zahlen musste. Er sollte also besser nicht hadern, sondern sich glücklich schätzen, dem grässlichen englischen Wetter bald entkommen zu können, und sich auf die warmen Gewässer, die weißen Sandstrände und die sich im ständigen Wind wiegenden Palmen in der Karibik freuen.
Der Hafen von Plymouth hatte seit den glorreichen Zeiten, in denen Männer wie John Hawkins oder gar Francis Drake von hier aufgebrochen waren, um Englands Ruhm und Größe zu mehren und unendliche Reichtümer von ihren Kaperfahrten mitzubringen, an Bedeutung verloren. Denn die vorgelagerte Bucht, in die gleich drei Flüsse einmündeten, war von tückischen Kalksteinriffen durchzogen, die für große Tiefwassersegler, wie es die Linienschiffe oder Ostindienfahrer waren, eine ernste Gefahr darstellten. Ebenso wie die durch die Strömung und Gezeiten immer wieder wandernden Sandbänke, weswegen kaum ein Captain in Plymouth ein- oder auslief, ohne einen tüchtigen Lotsen an Bord zu haben. Southampton und vor allem der durch die Isle of Wight geschützte Hafen von Portsmouth mit der Reede von Spithead hatten deshalb über die Jahrzehnte hinweg deutlich an Bedeutung für die Kriegsflotte gewonnen. Aber Plymouth lag nahezu genau gegenüber von Brest, dem großen französischen Kriegshafen, doch obwohl gerade einmal Frieden zwischen den beiden rivalisierenden Mächten diesseits und jenseits des Kanals herrschte, hieß das noch lange nicht, dass man den Erbfeind und dessen Unternehmungen zur See unbeobachtet lassen konnte.
Fregatten, so sah es zumindest Nelson, waren die Augen der Flotte, und er konnte gut verstehen, dass man die HMSBoreas in diese Gewässer beordert hatte, damit man von Bord aus beobachtete, was in den französischen Häfen südlich des Kanals vor sich ging, Kriegsschiffe zählte und notfalls schnell Bericht erstattete. Ihr letzter Captain, Charles Thompson, hatte sich seine Beförderung auf ein Linienschiff redlich verdient, und so war das Kommando für Nelson frei geworden. Zuvor hatte sich die vor neun Jahren in Dienst gestellte Fregatte, die nach dem griechischen Gott des winterlichen Nordwindes benannt worden war, in mehreren Gefechten und Seeschlachten wacker geschlagen. In der königlichen Werft hier in Plymouth war sie jetzt gründlich überholt worden. Und da sie in die warmen Gewässer der Karibik segeln sollte, wo Muschelbesatz und Schiffsbohrwurm ein ernstes Problem darstellten, hatte man sie zusätzlich mit einem neuen, sehr teuren Kupferboden versehen, der den gefürchteten Bewuchs hoffentlich verhindern würde. Schließlich hatte sie den Auftrag, Schmuggler zu jagen, weshalb ihre Schnelligkeit und Manövrierfähigkeit durch nichts beeinträchtigt werden sollte.
Jeder Captain konnte sich glücklich schätzen, ein solches Schiff befehligen zu dürfen, das war Nelson völlig klar. Dass die Wahl auf ihn gefallen war, sah er als besonders gnädige Laune des Schicksals an. Noch dazu, weil er Lord Howe nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, denn er war keineswegs schon wieder vollständig genesen. Nach wie vor machten ihm Fieberschübe zu schaffen und würden ihn, glaubte man den Ärzten, auch sein ganzes restliches Leben lang begleiten und immer wieder heimsuchen. Trotzdem wünschte er sich nichts sehnlicher, als endlich wieder Planken unter den Füßen zu spüren. Gleichzeitig aber fürchtete er sich davor, dass ihn wie stets die Seekrankheit packen und zeitweise niederstrecken würde, er sich in der Abgeschiedenheit seiner Kajüte erbrechen und die mitleidigen Blicke des Stewards sowie der gesamten Besatzung ertragen müsste, wenn dieser nicht dichthielt. Glücklicherweise verging die ihm peinliche Übelkeit meist nach ein paar Tagen wieder. Aber bis dahin stellte sie eine nahezu unerträgliche Qual dar, die ihm früher, als er sich noch nicht in ein eigenes Quartier zurückziehen konnte, den Hohn und Spott seiner Schiffskameraden eingebracht hatte. Er liebte die See nahezu abgöttisch, seit er das erste Mal ein Schiff betreten hatte. Doch diese wies seine Zuneigung schnöde zurück und schickte ihm immer wieder neue Leiden, an denen er laborierte und die ihn seine so dringend benötigten Kräfte kosteten.
Noch hielten Nelson wichtige Geschäfte und vor allem der Sturm an Land fest, aber er hatte der Fregatte schon signalisieren lassen, dass er angekommen war. Gegenwärtig war es allerdings aufgrund des starken Seegangs und Sturmes unmöglich überzusetzen, aber sobald beide es zuließen, erwartete er ein Boot, das ihn an Bord bringen sollte.
Nachdem sich in London herumgesprochen und in der Gazette, dem amtlichen Mitteilungsblatt der Royal Navy, veröffentlicht worden war, dass er ein neues Kommando erhalten hatte, war er von Bittstellern nahezu überrannt worden. Unzählige Familien hatten ihm ihre Söhne als Kadetten angedient, doch die Fregatte war vollständig bemannt und kein Posten als Midshipman, geschweige denn als Offizier, mehr verfügbar. Aber was sollte er machen? Schließlich war es allgemein üblich, dass man Verwandte und Freunde bedachte, wenn man ein Kommando übertragen bekam. Er war damals letztlich auch nur durch die Protektion seines Onkels auf ein Schiff gekommen und rasch zum Midshipman, der ersten Sprosse auf seiner Karriereleiter, aufgestiegen.
Seufzend hatte er sich daher in sein Schicksal gefügt, dreißig junge Männer, eigentlich noch Kinder, aus mehr als fünfzig Bewerbern ausgewählt und ihren Eltern versprochen, sie in die Stammrolle der Navy einzutragen, sobald ein Platz frei werden würde. Dass das nur erfolgen konnte, wenn ein anderer Seemann ums Leben kam, sei es durch Unfall, Krankheit oder im Kampf, musste jedem, der an Bord eines Schiffes anheuerte, klar sein. Und auch, wie schnell dieses Schicksal einen selbst treffen konnte.
Aber das schreckte nur die wenigsten ab, winkte doch auf der anderen Seite eine hoffnungsvolle Laufbahn in der Royal Navy, nebst Ruhm, Ehre und vielleicht auch erheblichen Prisengeldern. Bis zur Aufnahme in die reguläre Mannschaft mussten die jungen Leute ohne Heuer Dienst tun und auch für ihre Verpflegung selbst aufkommen. Doch das war immer noch günstiger, als sich ein Offizierspatent bei der Armee zu kaufen, für das gerade in Friedenszeiten horrende Summen verlangt wurden. Der Captain hatte den jungen Leuten außerdem unmissverständlich klargemacht, dass sie wie jeder andere Matrose an Bord behandelt werden würden und bei Nachlässigkeit oder gar Ungehorsam die neunschwänzige Katze zu schmecken bekämen. Das war allerdings eine mehr oder weniger leere Drohung, denn Nelson versuchte stets, Auspeitschungen zu vermeiden und nur als letztes Mittel einzusetzen, wenn es ihm zur Wahrung der Schiffsdisziplin unumgänglich erschien.
Seinem älteren Bruder, der sich fest in den Kopf gesetzt hatte, als Schiffskaplan auf der HMSBoreas anzuheuern, konnte er damit allerdings nicht kommen. William war in die Fußstapfen ihres Vaters getreten und der Meinung, endlich etwas von der Welt sehen zu müssen. Und was war dazu besser geeignet als eine Position als Geistlicher auf dem Schiff, das sein jüngerer Bruder kommandierte und welches noch dazu zu den paradiesischen Inseln in der Karibik segelte, wo er vielleicht ein paar Eingeborene oder Sklaven bekehren könnte?
Nelson hatte sich mit Händen und Füßen gegen Williams Ansinnen gesträubt, letztlich aber auf Druck seines Vaters nachgeben müssen. Und nun wartete er hier sowohl auf seinen Bruder als auch auf die beiden Damen, hoffte aber, vor ihnen an Bord gehen zu können, um das Schiff zu inspizieren und alles für ihre Unterbringung und Bequemlichkeit herrichten zu lassen. Wenn doch nur der verdammte Sturm endlich abflauen würde! Es war schier zum Verzweifeln, aber auch niemandem damit gedient, wenn sein Boot in der rauen See kenterte und er womöglich samt der Besatzung absoff.
Seufzend wandte sich Nelson vom Fenster und dem Ausblick auf die unfreundlichen Naturgewalten ab, als es an der Tür klopfte und gleich darauf der Wirt seinen Kopf in das Zimmer steckte.
»Meine Verehrung, Captain, aber sollen wir Ihnen hier oben das Nachtmahl servieren, oder wollt Ihr in der Gaststube mit den anderen speisen? Dort gibt es auch einen wärmenden Kamin, und Ihr hättet außerdem etwas Gesellschaft«, wollte der Inhaber des King Richard Inn wissen.
»Auf meinem Schiff wird es auch kein wärmendes Feuer geben, Mr. Blacksmith«, meinte Nelson gallig. »Und demnächst werde ich mit zweihundertdreißig Männern auf engstem Raum kampieren, da kommt mir ein bisschen Einsamkeit gerade recht. Aber sagt, Ihr verbringt doch sicher schon Euer gesamtes Leben hier in Plymouth, wie lange hält denn solch ein Wetter wie dieses erfahrungsgemäß an?«
»Ich denke, heute Nacht wird der Sturm abflauen und morgen spätestens gegen Mittag könnt Ihr übersetzen, Captain«, gab der Wirt bereitwillig und unbeeindruckt von der ruppigen Art seines Gastes Antwort. Bei ihm stiegen viele Kapitäne und selbst Admirale ab, bevor sie sich auf ihre Schiffe begaben, und die meisten von ihnen zeichneten sich durch ein herrisches Wesen und demonstrative Unfreundlichkeit aus. Offenbar glaubten sie, dies ihrer Stellung schuldig zu sein. Gegen sie war sein Gegenüber aber noch harmlos, und der Wirt hatte schon lange erkannt, dass man selbst dem schlimmsten Grobian am besten mit Freundlichkeit begegnete. Das war gut fürs Geschäft, und wenn ihm einer gar zu dumm kam, setzte er einfach dessen Rechnung entsprechend nach oben und hielt sich so schadlos.
»Euer Wort in Gottes Ohr, Mr. Blacksmith.« Nelsons Ungeduld stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Meint Ihr, dass heute noch eine Kutsche ankommen wird? Wie Ihr wisst, erwarte ich meinen Bruder und zwei Damen, für die ich das große Zimmer mit dem Kamin habe reservieren lassen.«
»Captain, wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, benutzt das beste Zimmer unseres Hauses besser selbst, anstatt es ungenutzt zu lassen und trotzdem zu bezahlen«, meinte der Wirt gutmütig. »Jeder Kutscher mit Verstand hat bei diesem Regen irgendwo Unterschlupf gesucht, bevor er bei den aufgeweichten Straßen seine Pferde und den Wagen nebst den Passagieren aufs Spiel setzt. Bevor das Unwetter sich nicht verzogen hat, kommt hier garantiert niemand an, das versichere ich Euch. Ich denke, Ihr könnt morgen an Bord gehen und dort auf Eure Passagiere warten. Es wäre schade um das schöne prasselnde Kaminfeuer und das große, weiche Bett in dem anderen Zimmer. Genießt doch noch einmal die Segnungen der Zivilisation, bevor Ihr in See stecht und sie für lange Zeit entbehren werden müsst.«
Einen Moment lang war Nelson versucht, dem Drängen des Wirtes nachzugeben. Es wäre seiner Gesundheit sicherlich zuträglich, sich am Kamin zu wärmen, ein Glas Wein zu genießen, etwas anderes als ranziges Salzfleisch und harten Zwieback – die übliche Schiffskost – zu sich zu nehmen und anschließend unter warmen Decken zu ruhen. Aber schnell verwarf er den Gedanken wieder, denn was sollten die Damen nur von ihm denken, wenn sie doch noch einträfen und er das einzige vernünftige Zimmer in diesem Gasthof für sich in Anspruch genommen hätte? Nein, er würde hier in der kleinen Kammer und in seinen Mantel gehüllt nächtigen, nachdem er etwas zu sich genommen hatte, und in aller Herrgottsfrühe am Kai stehen und hoffen, endlich zu seinem Schiff übersetzen zu können. Und so wies er das Angebot des Wirtes höflich, aber bestimmt zurück und bat ihn stattdessen, ihm hier oben ein bescheidenes Mahl und einen wärmenden Grog zu servieren. Der zuckte resigniert mit den Achseln und schickte eine Magd zu dem seltsamen Kauz nach oben, der auf alle angebotenen Annehmlichkeiten verzichtete, nur um sich ja keine Blöße zu geben. Aber des Menschen Wille war schließlich sein Himmelreich, wie der Pfarrer immer von der Kanzel predigte, und aus diesem Captain würde wohl nie etwas Höheres in seinem Leben werden.
Als der Morgen graute, hingen zwar noch schwere Wolken über dem Plymouth Sound, aus denen aber nur noch leichter Sprühregen fiel. Der Wind blies nach wie vor kräftig, war aber gegenüber der Nacht und dem gestrigen Tag deutlich abgeflaut, auch wenn die Wellen noch Schaumkronen trugen. Nelson hatte nach dem Erwachen nur einen kurzen Blick aus dem Fenster geworfen, sich dann rasch angekleidet und war zum Hafenmeister geeilt, um ihn zu bitten, der Fregatte zu signalisieren, dass man ein Boot schicken sollte, um ihn schnellstmöglich trotz des Seegangs an Bord zu holen. Erst als von dort die Bestätigung kam, kehrte er in den Gasthof zurück, um sich zu rasieren und seine beste Uniform anzulegen. Schließlich wollte er sein neues Kommando nicht wie ein Strauchdieb antreten, und die Männer würden wohl eine gute Stunde zu pullen haben, bis sie den Kai erreichten. Für ein Frühstück nahm er sich allerdings keine Zeit, sondern instruierte nur den Wirt, dass er sofort Bescheid haben wollte, wenn die Passagiere eintrafen.
Nelson hatte richtig kalkuliert, denn als er die Kaimauer erreichte, trennten das Ruderboot immer noch gut hundert Yards Wasser vom Land. Aber die Mannschaft war gut gedrillt und hielt trotz der querschlagenden See den Takt, und schon bald warf ein Maat ein Tau über einen Poller, an dem zu Nelsons Erstaunen aber nicht die Kapitänsgig festmachte, sondern die große Barkasse der Fregatte. Ein junger Midshipman, sicher nicht älter als fünfzehn Jahre, sprang auf die glitschigen Stufen, die zur Kaimauer emporführten, sichtlich bemüht, nur ja nicht auszurutschen und womöglich vor den Augen des neuen Captains rückwärts in die See zu stürzen. Aber es gelang ihm wider Erwarten, unfallfrei nach oben zu kommen, und noch etwas außer Atem nahm er vor Nelson Haltung an und salutierte.
»Midshipman John Pryce sowie die Bootsmannschaft der HMSBoreas zur Stelle, um Sie an Bord zu bringen, Sir«, meldete er mit möglichst fester Stimme, und Nelson versuchte krampfhaft, ernst zu bleiben und nicht zu lächeln.
»Danke, Mr. Pryce«, meinte er dann und tippte sich an den Dreispitz. »Aber warum schickt der wachhabende Offizier nicht meine Gig, sondern die Barkasse?«
»Mr. Jones, der Erste Lieutenant, meinte, so könnten wir gleich Eure Seekisten mit an Bord bringen. Außerdem sind die Beplankung und das Dollbord höher, und bei dem Seegang nimmt das größere Boot nicht so viel Wasser über wie die Gig.«
Schau an, ein Offizier, der mitdenkt, sinnierte Nelson und war schon gespannt, seinem Stellvertreter persönlich gegenüberzutreten. Denn davon, wie er und sein Erster harmonierten und zusammenarbeiteten, würde viel abhängen, vielleicht sogar das Schicksal des Schiffes nebst seiner gesamten Besatzung.
»Dann wollen wir es auch so halten, Mr. Pryce«, stimmte Nelson zu. »Schicken Sie die Männer zum King Richard Inn, das ist nur fünfzig Yards die Straße hoch. Sie sollen aber nur die Seekisten bringen, für das übrige Gepäck müssen wir später den Kutter bemühen.«
Der Midshipman zog fragend eine Augenbraue nach oben, doch Nelson dachte gar nicht daran, sich zu erklären. Sollte der junge Mann doch denken, er reiste wie so mancher Kapitän mit seinem gesamten Hausstand. Dass es sich um Lebensmittel, Wein und andere Dinge handelte, die den Damen die Überfahrt so angenehm wie möglich machen sollten, ging ihn schließlich bei seinem niedrigen Dienstrang nichts an.
Die Bootsmannschaft war mit dem wenigen Gepäck des Captains rasch zurück und verstaute die Kisten mittschiffs. Dann stieg auch Nelson zu der Barkasse hinunter und war wie zuvor Pryce dankbar, auf den ausgewaschenen und von der Gischt überspülten Stufen nicht ausgerutscht zu sein. Eine ihm helfend entgegengestreckte Hand ignorierte er geflissentlich. So weit kam es noch, er war schließlich kein alter Mann! Nelson zog seinen Mantel enger um sich und nahm im Heck der Barkasse Platz, das Zeichen für den Bootsführer, abzulegen. Das Kommando »Riemen bei, Ruder an!« erschallte, und schon glitt die Barkasse in den Plymouth Sound hinaus. Der Captain hoffte, dass er nicht völlig durchnässt bei der Fregatte ankommen würde, und vor allem, ohne sich übergeben zu haben.
Nelson musterte die Ruderer mit zusammengekniffenen Augenlidern, während diese angestrengt seinen Blick mieden. Er wusste genau, was die Männer jetzt dachten: Der neue Captain – jeder Captain – kam gleich nach Gott. Er besaß die absolute Gewalt an Bord, und niemand hatte außerhalb des Hafens oder eines Geschwaderverbandes auch nur den geringsten Einfluss auf ihn. Ob er gerecht, uninteressiert am Wohlergehen seiner Männer oder gar grausam war, würde sich erst mit der Zeit herausstellen. Ihm allein oblag es, die Männer an Bord zu belohnen oder zu züchtigen, sich um ihr Überleben zu kümmern oder sie auszupeitschen, vielleicht sogar an einer Rah für das kleinste Vergehen aufhängen zu lassen.
Da dem Captain das alles bekannt war, und auch, dass er sich vor seiner Mannschaft würde beweisen müssen, wandte er seinen Blick von den schwer an den Riemen arbeitenden Männern ab und dem langsam näher kommenden Schiff zu. Die HMSBoreas war eine wirklich schmucke, wenn auch kleine und mit ihren vierundzwanzig Neun- und vier Dreipfündern nicht übermäßig stark armierte, der Mermaid-Klasse zugehörige Fregatte. Doch in Friedenszeiten und zur Jagd auf Schmuggler würden die Kaliber sicherlich genügen. Das Schiff strahlte über die ganze Länge von der vergoldeten Galionsfigur bis zu den ebenfalls dick mit Blattgold versehenen Schnitzereien an der Fensterfront am Heck Kraft und Anmut aus.
Die HMSBoreas zerrte an den straffen Ankertauen, als könnte sie es gar nicht erwarten, endlich wieder durch die Weiten der Ozeane zu pflügen. Die Wellen und der nach wie vor steife Südwest hoben die zierliche Fregatte immer wieder empor, sodass der Rumpf mit dem Kupferbeschlag von Zeit zu Zeit zu sehen war und in den ersten Sonnenstrahlen, denen die düsteren Wolken Durchlass gewährten, wie rotes Gold glänzte.
Der Captain ließ seine Augen über die Masten, Rahen, das Rigg und das laufende Gut schweifen, entdeckte aber nirgends die geringste Nachlässigkeit. Alles war, wie es sein sollte, nichts schlug lose, und obwohl das Schiff ständig überholte, hörte man auch keine Kanonenlafette rollen. Die Stückpforten waren natürlich geschlossen und fest verschalt, aber jeder, der eine solche Fregatte kannte, wusste – hinter ihnen lauerte der Tod.
Nelson konnte sich gar nicht sattsehen an seinem neuen Schiff und bemerkte auch die Geschäftigkeit, die an Bord herrschte. Achtern hatten die Marinesoldaten bereits zu seiner Begrüßung Aufstellung genommen und bildeten ein exakt ausgerichtetes Karree. An der Reling hingegen standen die Offiziere, und gleich mehrere hatten ihr Glas auf das näher kommende Boot gerichtet, um sich einen ersten Eindruck von ihrem neuen Captain zu verschaffen. Deshalb versuchte er, so gelassen wie nur möglich dreinzuschauen, verbarg seine Gefühle hinter einer starren Miene und hoffte, dass niemand erkannte, wie aufgewühlt er in Wirklichkeit war.
Als das Boot am Fallreep anlegte und der Maat es mit dem Bootshaken an den Rüsten fixierte, knöpfte Nelson seinen Mantel auf und schlug ihn über die Schultern zurück, um einerseits ungehinderter an Bord zu gelangen, andererseits aber auch, um die goldenen Tressen und Abzeichen seiner Kapitänsuniform sehen zu lassen. Schließlich sollten erst gar keine Zweifel darüber aufkommen, wer hier gleich durch die Pforte im Schanzkleid trat.
Das Boot war jetzt längsseits, und der Captain wartete, bis es sich unter einer Welle anhob, bevor er sich vom Dollbord abstieß und das gischtübersprühte Fallreep hinaufkletterte. Gleichzeitig begann ein ohrenbetäubender Lärm, den Nelson aber schon von anderen Kommandoübernahmen kannte. Die Bootsmänner pfiffen Seite, die Trommelbuben der Royal Marines ließen ihre Schlegel ein wildes Stakkato schlagen, und die Musketen der Seesoldaten knallten auf die Planken, während die Sergeanten die Befehle zum Präsentieren brüllten.
Nelson atmete insgeheim auf, als er endlich, ohne ins Straucheln gekommen zu sein, das Deck betrat. Er selbst hatte schon einen Captain erlebt, der im letzten Moment unachtsam gewesen und gestolpert war. Der arme Kerl hatte sich dann zu Füßen seiner Offiziere wiedergefunden, anstatt vorschriftsmäßig beim Betreten eines Schiffes als Erstes die Flagge zu grüßen, die straff über dem Heck auswehte.
Nachdem die Offiziere salutiert hatten, trat ein groß gewachsener Lieutenant vor, der Nelson um einen ganzen Kopf überragte und, wie dieser sofort erkannte, auch etliche Jährchen älter war als er. Innerlich seufzte der Captain, denn er glaubte zu wissen, was jetzt in nächster Zeit auf ihn zukam. Sicher hatte der Offizier gehofft, selbst das Kommando über die schmucke Fregatte zu erhalten, und war nun überhaupt nicht glücklich, übergangen worden zu sein. Aber zumindest im Moment ließ er sich davon nichts anmerken, sondern begrüßte Nelson mit einem freundlichen Lächeln, das nicht einmal aufgesetzt wirkte.
»Willkommen an Bord, Captain. Ich bin Richard Jones, der dienstälteste Offizier an Bord, und habe bisher die Funktion des Ersten Lieutenants innegehabt. Gestattet Ihr, dass ich Euch jetzt die anderen Offiziere und Unteroffiziere gemäß ihrem Rang vorstelle, Sir?«
»Danke, das ist sehr freundlich, Mr. Jones, muss aber leider warten. Hier ist meine Bestallungsurkunde zu Ihrer freundlichen Kenntnisnahme. Nachdem Sie ordnungsgemäß Einsicht genommen haben, bitte ich Sie, mich in meine Kajüte zu begleiten. Es gibt Wichtiges und Unaufschiebbares zu besprechen. Und schicken Sie bitte nach dem Schiffszimmermann, es wird Arbeit auf ihn zukommen. Jetzt lassen Sie wegtreten, die Vorstellung verschieben wir auf später in der Offiziersmesse.«
Das fängt ja gut an, dachte der Erste bei sich, versuchte aber, sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. Stattdessen wies er dem Captain den Weg zu seiner Kajüte, den dieser allerdings auch selbst gefunden hätte, denn die HMSBoreas war schließlich nicht die erste Fregatte, die er befehligte.
Jones hielt ihm die Tür auf, und Nelson betrat das Quartier, das eigentlich das seine sein sollte, er aber wohl zumindest für die Überfahrt würde abgeben müssen. Die schrägen Heckfenster liefen über die ganze Breite der Kajüte, und durch die Scheiben sah er auf die bewegte See und den immer noch grauen Himmel. Wieder in die Sonne zurückzukehren, das blaue Meer und immergrüne Inseln zu sehen, hat schon etwas für sich, dachte er bei diesem Anblick.
Der Kajütdiener kam angewieselt, um seinen neuen Herrn nach seinen Wünschen zu fragen, aber Nelson scheuchte ihn mit einer Handbewegung wieder hinaus, denn was er mit dem Ersten Lieutenant zu besprechen hatte, ging vorläufig niemand anderen etwas an.
»Mr. Jones, ich bitte mein ungewöhnliches Verhalten zu entschuldigen, aber Sie sollen gleich erfahren, warum wir keine Zeit zu verlieren haben. Es wird im Übrigen das erste und gleichzeitig das letzte Mal sein, dass ich um Pardon bitte, denn ich halte das für eine Schwäche, die ein Kommandant nicht zeigen sollte. Nun zur Sache. Wir werden so schnell als möglich zu den Kleinen Antillen aufbrechen. Unser erstes Ziel wird Barbados sein, aber das sollte besser vorläufig niemand außerhalb dieser Kajüte erfahren. Und wir bekommen Passagiere auf unserer Reise an Bord, und zwar zwei Damen.«
»Frauen an Bord, Sir?«, entfuhr es Jones erschrocken, der sich für diese Bemerkung am liebsten im nächsten Moment die Zunge abgebissen hätte. Aber nun war sie heraus und nicht mehr zurückzuholen.
»Ganz recht, Mr. Jones«, merkte Nelson an und zog missbilligend eine Augenbraue nach oben. »Die Gemahlin und die Tochter des Stationskommandanten der englischen Besitzungen auf den Inseln über dem Winde, Konteradmiral Sir Richard Hughes. Die Damen werden jeden Moment in Plymouth erwartet und sind wahrscheinlich nur durch das Unwetter aufgehalten worden. Sobald sie am Hafen eintreffen, sollen sie unverzüglich an Bord geholt werden. Sie verstehen sicher, dass umgehend alles für die Bequemlichkeit der Ladys vorbereitet werden muss. Wir wollen doch nicht, dass sie sich bei uns an Bord unwohl fühlen und sich nach ihrer Ankunft auf Barbados bei unserem dortigen Befehlshaber beschweren, oder?«
»Selbstverständlich nicht, Sir«, stimmte der Erste sofort zu, der auf der Stelle erkannte, was da auf das gesamte Schiff, vorrangig aber auf den Captain, zukam. »Wie lauten diesbezüglich Ihre Befehle?«
»Lassen Sie meine Koje in den Kartenraum bringen, ich werde während der Überfahrt dort schlafen, wenn ich denn überhaupt dazu komme. Hier in der Heckkajüte soll der Schiffszimmermann eine Zwischenwand mit Tür einziehen und sie in zwei Drittel und ein Drittel unterteilen. Der größere Raum wird das Schlafgemach der Damen, der kleinere ist für deren Dienerschaft und das Gepäck bestimmt. So weit alles klar?«
»Aye, Sir! Ich werde dem Schiffszimmermann sofort Anweisungen geben.« Der Erste wollte schon davoneilen, doch Nelson hielt ihn zurück.
»Nicht so hastig, Mr. Jones, das war noch nicht alles. Mein Bruder wird ebenfalls an Bord kommen und uns als Schiffskaplan begleiten. Für ihn sehen Sie bitte eine Unterkunft bei den Offizieren vor. Er wird auch mit uns speisen, weil ich hoffe, dass er mit erbaulichen Gesprächen zur Unterhaltung der Damen beiträgt und ich davon weitestgehend verschont bleibe. Ansonsten wünsche ich, dass er keinerlei Vergünstigungen erhält. Ebenso wenig wie die jungen Männer, die mir aufgedrängt wurden und die ich gezwungen bin, mit nach Westindien zu nehmen. Teilen Sie sie zu den Wachen ein und lassen Sie sie harten Dienst verrichten. Diese Sprösslinge aus gutem Hause haben es schließlich nicht anders gewollt. Und wenn sie nachlässig sind, können sie auch einmal einen Tampen spüren. Aber gleichzeitig teilen Sie bitte erfahrene Seeleute ein, die auf sie achtgeben. Ich will nicht, dass einer von den Jungs zu Schaden kommt und ich dann in die entsetzten Augen der Eltern schauen muss, wenn ich die Nachricht zu überbringen habe. Im Kriegsfall, Gefecht oder bei Krankheit ist das natürlich etwas anderes, aber es sollte besser keiner von der Rah ins Meer stürzen. Ist das alles so weit verstanden worden, Mr. Jones?«
»Aye, Sir!«, wiederholte der Erste wie nicht anders zu erwarten, sah aber Unmengen von Arbeit auf sich zukommen. Von genug Schlaf verabschiedete er sich besser schon einmal, aber der Captain sah das offenbar ebenso. Dabei hatte sich der Lieutenant bereits auf eine geruhsame Überfahrt, paradiesische Inseln im Frieden, samthäutige, willige Frauen und Rum, viel Rum gefreut. »War das jetzt alles?«
»Zumindest fürs Erste, Mr. Jones. Lassen Sie sich nicht länger aufhalten. Ach, noch eins. Veranlassen Sie bitte, dass die Logbücher in den Kartenraum gebracht werden. Sobald ich Zeit finde, werde ich mich mit ihnen beschäftigen. Und auch das Strafregister. Erfahrungsgemäß sagt es immer viel über die Schiffsführung aus.«
Das kann ja heiter werden, ging es Jones auf, aber er verkniff sich natürlich jede Erwiderung, salutierte nur und war auch schon wie ein Schiffsgeist verschwunden, um die Befehle des Captains in Taten umzusetzen.
Es wurde allerdings Nachmittag, bis das Signal kam, dass die beiden Ladys und auch Nelsons Bruder eingetroffen waren. Glücklicherweise war mittlerweile aber auch der straffe Südwest zu einer milden Brise abgeflaut, und die See hatte sich beruhigt, sodass einem problemlosen Übersetzen nichts im Wege stand. Jones schickte erneut die Barkasse und ließ den Korbstuhl, mit dem man Passagiere an Bord holte, denen man den Weg über das Fallreep oder die Jakobsleiter nicht zumuten konnte, vorbereiten. Erneut nahmen die Royal Marines Aufstellung, um die hochgestellten Passagiere an Bord gebührend zu begrüßen, und als die Bootsmänner Seite pfiffen und auf ihren kleinen Flöten trällerten, gesellte sich auch Nelson zu dem Begrüßungskomitee.
Der Captain war gespannt auf die beiden Damen, hegte er doch seit einiger Zeit Heiratsabsichten. Während seiner Zeit in Quebec hatte er sich unsterblich in Mary Simson, die Tochter des Profossmarschalls der Garnison, verliebt. Er hatte sogar kurz überlegt, mit ihr durchzubrennen, um vollendete Tatsachen zu schaffen, denn die Eltern der erst Sechzehnjährigen waren gegen die Verbindung gewesen. Glücklicherweise hatte ihn aber sein Freund Alexander Davison, der über mehr Lebenserfahrung und praktischen Verstand verfügte, von dieser Torheit abgehalten, die das Ende seiner Marinekarriere bedeutet hätte. Als dann noch der Befehl gekommen war, dass der frischgebackene Fregattenkapitän sich mit seinem Schiff nach New York zum Geschwader von Admiral Hood begeben sollte, endete die Liaison zumindest bei der jungen Frau tränenreich.
In New York war Nelson auf Prinz William Henry getroffen, der auf dem Flaggschiff von Hood der Form halber als Kadett diente, als Sohn des Königs und potenzieller Thronfolger aber natürlich über weitreichende Privilegien verfügte. An seiner Seite lernte der junge Captain das locker-leichte Leben des Hochadels kennen und in gewisser Weise auch zu schätzen. Ausschweifende Gelage, schöne Frauen und keinerlei Geldsorgen – welcher Vierundzwanzigjährige wäre davon nicht beeindruckt gewesen?
Doch schnell holte ihn die Realität wieder ein, seine Fregatte wurde nach Westindien beordert und der von ihm unternommene Versuch, die von den Franzosen gehaltenen Turks-Inseln einzunehmen, scheiterte ebenso kläglich und unter hohen Verlusten wie die Eroberung einer spanischen Festung im Dschungel von Nicaragua. Nelson war nach England zurückbefohlen worden, musste sein Kommando abgeben und wurde auf Halbsold gesetzt. Die ihm dadurch zur Verfügung stehende Zeit hatte er genutzt, um nach Frankreich überzusetzen, wo er die Sprache der Nation lernen wollte, mit der sich England bald wieder im Krieg befinden würde. Davon ging er jedenfalls aus, schließlich war das seit Jahrhunderten so, und nur wenn beide Völker zu erschöpft waren, um den Kampf weiterzuführen, herrschte für einige Zeit Frieden. Als Captain musste er, wenn sie ein französisches Schiff aufgebracht hatten, mit den gefangenen Offizieren sprechen oder auch vorgefundene Dokumente sichten. Dass viele englische Schiffsführer bis hin zur Admiralität keine Fremdsprache beherrschten, nicht einmal wenige Worte, entzog sich seinem Verständnis. Hatte er sich doch während seiner Zeit in Mittelamerika und der Karibik bemüht, zumindest die Grundlagen des Spanischen zu erlernen.
Nelson musste aber zugeben, dass seine Sprachstudien nicht allzu weit gediehen waren. Grund dafür war die Tatsache, dass er sich in Saint-Omer erneut verliebt hatte, diesmal in die älteste Tochter der Familie, bei der er Quartier genommen hatte. Als er noch dazu erfuhr, dass die junge Dame nicht mittellos war, kannte er kein Halten mehr und machte ihr einen Antrag, wurde aber schnöde und unter Gelächter zurückgewiesen, was seinen Stolz nicht unerheblich verletzt hatte. Hals über Kopf reiste er wieder nach England zurück und schüttelte wutschnaubend den Staub des Landes von den Füßen, das seine Liebe verschmäht hatte. Jetzt fragte er sich, ob die Tochter seines kommandierenden Admirals nicht vielleicht eine gute Partie für ihn wäre und eine Verbindung mit ihr nicht seine Marinelaufbahn befördern könnte.
Aber schon als der Kopf von Lady Hughes in dem Sessel des Korbgestells über der Reling auftauchte, zerplatzten seine Träume wie Seifenblasen. Selten hatte er eine hässlichere Frau gesehen. Das widerborstige Haar, nur mühsam von einer Haube verdeckt, hatte die Farbe von Straßenschmutz, das Gesicht war von mehreren Warzen entstellt, und die Matrosen, die den Korb nach oben hievten, hatten ihre liebe Not, denn die Dame wog geschätzt mehr als zweihundert Pfund. Als sie endlich an Deck war und auf ihren Füßen stand, begann sie sofort, zu zetern und sich über alles und jedes zu beschweren. Gegen ihren Wortschwall kamen nicht einmal die Bootsmannspfeifen an, geschweige denn die Trommelwirbel der beiden Buben.
Nelson verstand nicht einen Bruchteil von dem, was die Lady von sich gab, bemühte sich aber um größtmögliche Freundlichkeit bei der Begrüßung. Dabei schielte er zur Pforte im Schanzkleid, wo jetzt der Korb erneut auftauchte, denn noch hatte er die Hoffnung, dass die Tochter nicht nach ihrer Mutter schlug. Doch das hätte er sich schenken können, denn Rose Mary war das, wenn auch jüngere, Abbild von Lady Jane Hughes und schien ihr in allem, vom Äußeren über das Gewicht bis hin zu der schrillen, nicht verstummenden Stimme nacheifern zu wollen.
Am liebsten hätte sich der Captain, der bei Frauen Anmut, Grazie und Schönheit über alles schätzte, schaudernd abgewandt, doch das verbot ihm schlichtweg die Höflichkeit. Nie im Leben allerdings würde er auf der Überfahrt der jungen Lady Hughes den Hof machen, woran er kurzzeitig gedacht hatte. Natürlich bemühte er sich nach außen hin so liebenswürdig wie nur möglich um die beiden Passagiere, begrüßte sie nahezu übertrieben herzlich, reichte sie dann aber schnell an seinen ersten Offizier weiter, dem er befahl, sie zu ihrer Kajüte zu begleiten, da er noch auf seinen Bruder warten wollte. Einer Sorge war er allerdings jetzt schon ledig, nämlich dass sich ein Mann seiner Besatzung – gerade junge Midshipmen und Lieutenants waren dafür prädestiniert – den beiden Damen unziemlich nähern würde. So viel abstoßende Hässlichkeit auf einem Haufen war kaum zu überbieten und bildete einen natürlichen Schutzschild gegen jedwede Zudringlichkeit.
Nelson brauchte nicht lange zu warten, bis auch sein Bruder an Deck gehievt wurde und ächzend und stöhnend aus dem Korb kletterte. Im Gegensatz zu ihm war William ein großer, massiger Mann, dessen Kopf scheinbar direkt auf dem Rumpf saß. Der Hals wurde fast gänzlich von einem ausgeprägten Doppelkinn verdeckt, und die Unterlippe ragte über die Oberlippe hinaus, was nahezu grotesk wirkte und den Eindruck erweckte, als würde der Reverend fortwährend schmollen und mit seinem Schicksal, seiner Umgebung – einfach allem – permanent unzufrieden sein.
Die Augen der noch angetretenen Offiziere wanderten zwischen den beiden Brüdern hin und her, und in ihren Gesichtern spiegelte sich Fassungslosigkeit, denn unterschiedlicher konnten Männer von gleichem Blut wahrlich nicht sein.
William stolperte auf Nelson zu, denn die Fregatte holte gerade über, als er sich aus dem Sessel im Korb erhoben hatte, und wollte ihm offenbar um den Hals fallen, was dieser allerdings durch einen Schritt zur Seite vermeiden konnte. Fast wäre der neue Schiffskaplan dadurch der Länge nach auf das Deck geschlagen, hätten nicht helfende Hände zugegriffen und den Sturz im letzten Moment verhindert.
»Du solltest als Erstes die Flagge grüßen, William, wenn du an Bord eines königlichen Kriegsschiffes kommst. Hast du dich denn kein bisschen vorab über die Gewohnheiten auf See informiert?«, meinte der Captain mit schneidender Stimme, aus der nicht übermäßig viel Sympathie für den Ankömmling herauszuhören war, und befahl dann der Ehrenwache und seinen Offizieren, wegzutreten, damit er ungestört mit seinem Bruder sprechen konnte.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen, Horatio«, bellte der Reverend zurück. »Ehrlich gesagt hatte ich erwartet, nach der langen Zeit, in der wir uns nicht gesehen haben, von dir etwas freundlicher begrüßt und brüderlich umarmt zu werden. Ich soll dir im Übrigen Grüße von unserem Vater ausrichten, der sich nicht gerade bester Gesundheit erfreut und auf deinen Besuch gehofft hatte.«
»Dafür war zu meinem Bedauern keine Zeit, denn der Dienst für den König nimmt mich jederzeit voll und ganz in Anspruch«, gab Nelson zurück, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber er hatte einfach keine große Sehnsucht nach der Enge, der Ärmlichkeit sowie der Bigotterie seines Vaterhauses verspürt. Er war sich bewusst, dass William das zumindest ahnte, und so fuhr er schnell fort, bevor ihm dieser widersprechen konnte. »So wie jetzt im Übrigen auch, was du sicher verstehen wirst, denn wir laufen umgehend aus. Mein Zweiter Lieutenant wird dich deshalb zu deinem Quartier in der Offiziersmesse führen. Mich musst du leider entschuldigen. Wir sehen uns dann später zum Nachtmahl, bei dem ich erwarte, dass du die beiden Damen unterhältst, genauso wie du dich während der ganzen Reise um sie kümmern wirst. Ich werde dafür wohl bedauerlicherweise wenig Zeit erübrigen können. Kann ich mich darauf verlassen, William? Versprich mir das oder verlasse besser gleich wieder das Schiff.«
»Ich werde mein Bestes geben, Horatio, das versichere ich dir. Aber wieso bist du so abweisend? Passt es dir etwa nicht, mich an Bord zu haben? Vergiss nicht, dass Familie immer füreinander da sein muss. Der König in allen Ehren, aber wird er dir auch in Not und Pein beistehen? Ich habe viele verarmte und verstümmelte Seeleute in London und ebenso hier am Hafen gesehen, die niemanden haben, zu dem sie gehen können, und für ein paar Pennys ihre Seele verkaufen würden. Nach dir hingegen sehnt sich ein liebender Vater, der dich jederzeit mit offenen Armen aufnehmen und willkommen heißen würde. Das solltest du besser nicht gering schätzen.«
Nelson konnte schlecht zugeben, dass ihm die Seekrankheit wie stets am Beginn einer Reise zu schaffen machte und er deshalb so grantig war. Aber er nahm sich vor, sich das zukünftig nicht mehr derart deutlich anmerken zu lassen, obwohl er gegenüber dem salbungsvollen Gehabe seines Bruders schon immer eine gewisse Abneigung verspürt hatte, die er wohl auch nie ganz würde ablegen können.
»Das tue ich auch nicht, William, und danke dir für die übermittelten Grüße«, meinte er deshalb versöhnlich. »Später kannst du mir mehr von Vater und seinem Gesundheitszustand berichten. Doch jetzt muss ich dich bitten, das Deck zu verlassen, denn wir werden schnellstmöglich alles zum Auslaufen vorbereiten, und ich will nicht, dass du dabei womöglich zu Schaden kommst oder gar über Bord gehst. Richte dich in deiner Koje ein, verstaue dein Gepäck und schaue dann nach den Damen, ich bitte dich.«
»Aye, aye, Sir«, salutierte der Schiffskaplan und bewies damit, dass ihm doch nicht alle Gewohnheiten an Bord eines Kriegsschiffes fremd waren. Allerdings grinste er dabei über das ganze Gesicht, was der Befehlsbestätigung jede Ernsthaftigkeit nahm. Aber Nelson hatte sich schon von ihm ab- und dem soeben zurückkehrenden Ersten Offizier zugewandt, um Order zum Ankerlichten zu geben.
»Mr. Jones, wir stechen umgehend in See«, befahl er kurz und knapp. »Noch drückt die Flut nicht in die Bucht, sodass wir auch bei dem schwachen Wind auslaufen können. Ich will vor Einbruch der Nacht Rame Head hinter uns gelassen und freies Wasser gewonnen haben.«
»Aye, Sir«, bestätigte der Erste und tippte an seinen Hut. »Ich lasse sofort nach dem Lotsen signalisieren.«
»Dafür ist keine Zeit, Mr. Jones, sonst hält uns die auflaufende Flut bis tief in die Nacht in der Bucht fest und wir können frühestens im Morgengrauen Segel setzen. Lassen Sie alle Mann pfeifen, die Anker kurzstag holen und die Gangspillmannschaft fertig zum Ausbrechen machen, sobald Vor-, Mars- und Besansegel fertig zum Fallenlassen sind. Dann schicken Sie zwei erfahrene Lotgasten in die Rüsten, die ständig die Wassertiefe aussingen. Wir laufen ohne Lotsen aus. Ich kenne die Gewässer hier ganz gut und werde den Rudergasten den Kurs vorgeben. Und jetzt voran, worauf warten Sie?«
Dem Ersten klappte fast der Unterkiefer herunter, so überrascht war er. Captain Charles Thompson hätte das nie im Leben gewagt, noch dazu bei der kabbeligen See, aber wenn der Neue das Schiff unbedingt auf Grund oder ein Riff setzen wollte, bitte sehr. Es war schließlich dessen Beerdigung.
Pfeifen schrillten, Männer fluchten, nackte Füße trampelten die Niedergänge herauf, und die jeweiligen Mannschaften fanden sich am Gangspill und den Masten zusammen, enterten in luftige Höhen auf und kletterten an den Rahen entlang, um im richtigen Moment die Reffbändsel zu lösen, damit sich die großen Segel entfalten konnten. Wie immer beim Auslaufen herrschte enorme Geschäftigkeit auf dem Schiff, Befehle wurden gebrüllt, immer wieder schrillten die Pfeifen – und Nelson beobachtete alles mit wachem Blick und Augen, denen nichts entging und die alles, was vor sich ging, genau registrierten. Jetzt mussten sich das Schiff, seine Mannschaft und die Offiziere beweisen, denn auch von der Mole, der Hafenmeisterei, den Werften und Befestigungsanlagen aus – ganz zu schweigen von den anderen vor Anker liegenden Schiffen – wurde die HMSBoreas und wie sich ihr neuer Captain schlug, äußerst aufmerksam beobachtet.
Nelson war neben das Doppelrad des Steuerruders getreten, wo zwei Rudergasten und der Master auf seine Befehle warteten. Er warf einen Blick auf den Kompass und blickte dann zu Jones hinüber.
»Anker einholen, Klüver, Mars- und Vormarssegel sowie Besan setzen, Mr. Jones«, befahl er dann, und der Erste gab es sofort an die Deckoffiziere weiter. »Kurs Südsüdwest«, erging gleich darauf Order an die Rudergänger. »Wir segeln nach den Angaben der Lotgasten zwischen den Untiefen hindurch, westlich an Drake’s Island vorbei und lassen Rame Head eine gute Meile an Steuerbord liegen. So weit verstanden worden?«
»Aye, Sir«, bestätigte der Master für seine Rudergasten und verdrehte hinter dem Rücken des Captains die Augen.
Hoffen wir, dass wir heil aus dieser vermaledeiten Bucht rauskommen, dachte er bei sich, denn zu dem schmalbrüstigen Jüngelchen hatte er kein besonders großes Vertrauen. Aber vielleicht war Gott ja mit ihnen, und sie erreichten tatsächlich ohne Schiffbruch die offene See. Wenn der neue Kaplan dafür betete, konnte es jedenfalls nicht schaden.
Knatternd hatten sich die großen Segel entfaltet, fingen den ablandigen Wind ein und setzten damit das Schiff in Bewegung, das sich verhielt, als könne es noch gar nicht fassen, endlich seiner Ketten ledig zu sein und wieder auf das Meer hinauszudürfen.
Die Gangspillmannschaften griffen in die Speichen, warfen sich mit ganzer Kraft dagegen und sangen die Anker ein, die Rahen wurden angebrasst, damit die Segel nicht killten, und die Lotgasten riefen die Wassertiefe aus. Die HMSBoreas hatte gut acht Faden unter dem Kiel, und Nelson wollte dafür sorgen, dass das auch so blieb. Er ließ zwei Strich nach backbord abfallen, um eine Untiefe zu umgehen, über der sich das Wasser kräuselte, und wich einem bekannten Riff westlich von Drake’s Island aus, der mitten in der Bucht gelegenen und nach dem berühmten Freibeuter benannten Insel.
So ging es eine ganze Weile kreuzend und jede Untiefe vermeidend durch den Plymouth Sound. In weitem Bogen wurde Penlee Point gerundet, und jetzt konnten bereits die Bramsegel gesetzt werden. Als dann von Weitem St. Michael’s Chapel auf dem Felsen von Rame Head grüßte – meist das Erste oder auch das Letzte, was Seeleute sahen, die Plymouth anliefen oder verließen –, lief die Fregatte auf Nelsons Befehl hin trotz der steifen Brise und kabbeligen See bereits unter Vollzeug und war nun am ehesten vergleichbar mit einem feurigen Pferd, das endlich den Stall verlassen durfte. Doch die HMSBoreas wollte nicht auf eine saftige Weide, sondern auf den Ozean, und so stürmte sie, die Wogen mit ihrem Kiel ähnlich scharf zerschneidend, wie es ein Pflug mit der Ackerscholle tat, auch dahin. Und ihr junger Captain hatte sich mit seiner kühnen Aktion innerhalb kürzester Zeit den Respekt seiner Mannschaft und seiner Offiziere verdient, die jetzt weit hoffnungsvoller in die Zukunft schauten als noch zuvor.
Atlantik, Frühjahr 1784
Kaum hatte die HMSBoreas den Kanal erreicht und sich von der klippenreichen Küste freigesegelt, schienen Himmel und Meer eins zu werden. Wolken wie Wellen waren bleigrau und die Kimm kaum auszumachen. Trotzdem jagte Nelson die Fregatte durch die See, als wäre sie ein Postschiff und es seine Absicht, einen neuen Rekord in der Übermittlung von Nachrichten zwischen England und Barbados, dem Sitz des Stationskommandanten der Inseln über dem Winde, aufzustellen. Das Ganze hatte seinen Grund darin, dass dem Captain beim Auslaufen aus dem Plymouth Sound sowohl beim Offizierskorps als auch bei der Mannschaft jede Menge Nachlässigkeiten beim Segelsetzen, Anluven und Kurswechsel aufgefallen waren. Und das war etwas, was er absolut nicht dulden konnte und wollte. Dagegen half nach seinem Dafürhalten nur eins: ständiges Wiederholen der Manöver bei jedem Wetter und zu jeder Tages- und Nachtzeit, bis die Handgriffe selbst im Schlaf saßen und vom jüngsten Schiffsjungen bis hoch zum Ersten Offizier keiner sagen konnte, er wüsste nicht, was zu tun war.
Die Besatzung fluchte natürlich ob des andauernden Segeldrills und konnte das Kommando »Alle Mann!« nicht mehr hören, das bedeutete, dass auch die Freiwache, die sich vielleicht gerade erst nach anstrengendem Dienst in die Hängematten gerollt hatte, wieder an Deck zu erscheinen hatte – und das sofort und im Laufschritt. Auch die Wanten bei stürmischem Seegang und stark krängendem und überholendem Schiff zu erklimmen und sich dann noch auf den Fußpferden, den Tauen unterhalb der Rah, bis an deren äußerste Enden vorzuarbeiten, um Segel zu reffen oder zu setzen, ganz wie es dem Captain beliebte, war wahrlich kein Vergnügen.
Doch Nelson wusste, dass das, was sie hier in heimischen Gewässern erlebten, ein Fliegenschiss gegen einen Hurrikan in der Karibik war, und darauf wollte er die Männer vorbereiten, so gut es nur ging. Denn auch dann würden sie bis zum Großtopp aufentern müssen, um die Leinwand zu bergen oder Sturmsegel zu setzen, wollten sie nicht die Kontrolle über das Schiff verlieren und auf eine Klippe geworfen werden. Oder einfach nur in den Weiten der See verschwinden, wie so viele andere Schiffe zuvor, von denen man nie wieder etwas gehört hatte.
Aber genauso, wie der Captain seine Mannschaft bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit trieb, so wenig schonte er sich selbst. Es gab kein Manöver, das er befohlen hatte, bei dem er sich nicht selbst an Deck befand, keinen Wachwechsel, bei dem er nicht anwesend war, sei es im Morgengrauen oder in stockfinsterer Nacht. Und als Lizard Point, der südlichste Flecken Englands, an Steuerbord voraus lag, ließ er das erste Mal Schiff klar zum Gefecht pfeifen, stand an der Querreling des Achterdecks wie festgewachsen, doch jedem an Bord war klar, dass seinem wachsamen Blick nicht das Geringste entging.
Besonders dem Ersten Offizier stießen die ständigen Befehle des Captains, die er für Launen hielt, und auch dessen nahezu permanente Anwesenheit auf dem Achterdeck – schlief dieser Mann eigentlich nie? – übel auf. Schließlich hatte er das Schiff über Monate hinweg verantwortlich geführt, bis ihm dieser junge Schnösel vor die Nase gesetzt worden war. Und er, der Dienstältere, erhielt einfach kein eigenes Kommando, obwohl er doch schon längst an der Reihe gewesen wäre. Woher sollte Jones auch wissen, dass seine lasche Dienstauffassung, aber auch seine oft zutage tretende Unbeherrschtheit sowohl von Captain Thompson im Logbuch eingetragen als auch an anderer Stelle nicht unbemerkt geblieben war. Man hielt ihn dort zwar für einen guten Zweiten Mann, aber das auch nur, wenn er straff geführt wurde. Mehr allerdings traute man ihm vonseiten der Admiralität nicht zu und gab ihm deshalb kein eigenes Kommando.
Nelson hingegen hatte rasch erkannt, woran er mit seinem Ersten war, und handelte danach. Als er Zeuge wurde, wie Jones einem Geschützführer androhte, ihm das Fell von den Rippen peitschen zu lassen, wenn er beim nächsten Mal nicht schneller Feuerbereitschaft meldete, war die längst nötige Aussprache zwischen dem Captain und seinem Stellvertreter fällig.