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Carl Johnson hat es geschafft, er lebt als erfolgreicher Geschäfts-mann hoch über dem pulsierenden Los Santos. Doch plötzlich wird ein eng befreundetes Familienmitglied brutal ermordet und man klagt ihn wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung an. Er muss das luxuriöse Mulholland verlassen und zurückkehren ins bandenverseuchte Ganton, wo sein ungeliebtes Bruderherz eben-falls in sehr grossen Schwierigkeiten steckt. Niemand scheint etwas zu wissen, im Netz der Lügen, Korruption und Verbrechen, während er gezwungen ist, den Mordfall schnell aufzuklären.
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Inhaltsverzeichnis
Blue Monkeys
Al Capones Verhängnis
Scotch und Catalina
Nachtschicht
Peacekeeper
R.I.P. G
Impressum
1
1991, Sommer, Tierra Robada. Flimmernde Luft tanzte über dem asphaltierten Parkplatz. Trockener Wüstenwind wehte Hitze und feinen Sand herunter, vom nahegelegenen El Castillo del Diablo, wie die Ortsansässigen ihren so kargen Berg nannten. Eine hauchdünne Sandschicht bedeckte den Parkplatz, der zugleich auch Vorplatz des abgelegenen Instituts war. Das Forschungsinstitut war ein gut vierzig Meter breiter Betonbau, den man in die abfallende Ostflanke des Castillos hineingeschoben hatte. Trotz dem hellen Graufarbton hob sich der Bunkerkomplex vom steinigen Berghang deutlich ab. Granitfelsen schimmerten matt-rostfarbig um das Gebäude herum. Vorne links und rechts hatte man Dachecken gebrochen, dadurch wirkte es etwas freundlicher. Zudem war fast die ganze Unterfront leicht gegen innen einversetzt worden, so dass eine dicke, überstehende Flachdachform entstand. Man verkleidete das Untergeschoss mit schwarzem Spiegelglas, welches jeden Blick in die Anlage verunmöglichte. Auch der breite Mitteleingang war verglast und lag unter einem massiven Betonvordach. Seltsam anziehend wirkte die Anlage, obschon das dunkle Panzerglas und der komplett leere Parkplatz eigentlich Gegenteiliges versprachen.
Hinter einer Kaktee schlich eine grüne Eidechse hervor und wackelte suchend auf den Parkplatz. Insekten wurden von den Rissen im Teer angelockt, weil oft Pflanzensamen hergeweht wurden und sich darin ablagerten. Manchmal pfiffen regelrechte Sandstürme über den Platz, doch heute blieb es relativ ruhig, dafür aber derart heiß, dass die Echse nicht sehr lange an einer Stelle ausharren konnte, sondern schnell über den Beton huschte. Nachdem sie einen der hier seltenen Grashüpfer erbeutet hatte, sah sie beim Herunterschlingen eine Staubwolke. Alarmiert hob das Tier seinen Kopf, seine hellgrünen Reptilienaugen starrten auf die weit entfernte Landstrasse, mitsamt der noch weiter entfernten Staubwolke.
Ein Militärjeep verursachte die Wolke. Im Jeep saßen drei Männer. Als der Geländewagen die enge Zugangsstrasse zur Anlage hinaufpreschte, der Fahrer schien es eilig zu haben, flitzte die Eidechse über den Parkplatz zurück zur Stachelkaktee und verschwand in der Erdhöhle dahinter.
Satt quietschend hielt das Fahrzeug quer vor dem Eingang. Für den Lenker hatten die gelben Streifenparkplätze keinerlei Bedeutung.
Alle Insassen stiegen aus.
»Hast du’s gesehen?«
»Klar. Ich schwitze zwar wie ’ne Sau, aber ich bin nicht so blind wie ’n Maulwurf.«
»Soll ich dieses Scheissvieh erledigen, Sir …? Wär mir ’ne grosse Ehre, Sir.«
»Sachte, sachte, Lieutenant Jarvis. – Sie fahren zwar wie Dirty Harry, Sie parkieren auch wie Dirty Harry, aber Sie müssen nicht unbedingt wie John Wayne Scheissviecher abknallen! Unterdrücken Sie diesen Impuls, Jarvis, fokussieren Sie sich, reißen Sie sich vom Panorama los.«
»Natürlich, Sir. Danke, Sir.«
»Schon gut, Jarvis. Jedes Mal, wenn ich hier wieder rausfahre, schwitze ich wie in der Hölle! Und jedes Mal, wenn ich wieder zurückfahre, möchte ich jemanden erschiessen, wegen diesem gottverdammten Rosenberg! Sie sehen also, Jarvis, wie gut ich John Wayne verstehen kann.«
»Ich verstehe, Sir. Danke, Sir.«
»Trotzdem, Lieutenant Jarvis, wir gehören zur Army, wir sind keine Ungeziefervernichtung.«
»Natürlich, Sir. Selbstverständlich, Sir.«
»Sollte sich Rosenberg nicht darum kümmern?«
»Solange Geld fließt«, meinte Peter Steiger sarkastisch, »kümmert sich Rosenberg nur um Rosenbergs ureigene, bleiche Backen.«
»Dieser Mistkerl«, flüsterte Alan Fowler. Er streckte seine Beine aus, die während der langen Fahrt durch die Wüste eingeschlafen waren. Alan überblickte die steilen Felstürme im Hintergrund des Forschungsinstituts und er fühlte sich tatsächlich wie in einem Wildwestfilm. Bloss fehlten in dieser Einöde jegliche Rinderherden. Keine Longhorns, dafür flogen weit oben ein paar mächtige Geier über den Castillo und segelten majestätisch in den böigen Bergaufwinden. Kreisend schraubten sie sich hoch zum stahlblauen Himmel. Es war immer gespenstisch ruhig hier draussen, das merkte er schon vor drei Jahren, als ihre Versuche begannen.
Er zog seine hellbraune Uniformjacke an, auf welcher jeweils oberhalb der Schultern vier goldene Sterne aufgenäht waren. Major Steiger tat sofort das Gleiche, denn man hatte sich vor dem Wüstentrip gemeinsam verständigt, dass es auch ohne Uniformjacken schon heiß genug war. Einzig Lieutenant Jarvis hatte seine Jacke anbehalten, was für sie noch viel mehr glaubhaft machte, dass er erst vor sechs Monaten von Westpoint abging und dass die strengen Regeln der Militärakademie in ihn eingemeißelt waren. Und so wie die Schweißtropfen über seine rote Stirn perlten, mussten sie sehr tief in ihn eingemeißelt sein.
»Gehen wir!«, forderte Alan. »Bitte parkieren Sie korrekt, Lieutenant, wir wollen sämtliche Dienstvorschriften befolgen.«
»Natürlich, Sir. Danke für den Hinweis, Sir.«
»Schon gut, Jarvis«, entgegnete Alan; er lief mit Steiger zum schwarzen Eingang los.
Dan Jarvis parkierte den Jeep vorschriftsgemäß.
Sie konnten sich beobachten, im undurchsichtigen Panzerglas der Eingangstüre. Genau gleich wie eine Kamera über der Türe, die mechanisch summend ihr Teleobjektiv an ihnen ausrichtete. Erst nachdem sie den asphaltierten Streifen betraten, der zwischen dem Parkplatz und dem Eingangsbereich im Beton eingelassen war, und Bewegungssensoren ausgelöst hatten, fuhr die Sonex-Kamera hinter ihrer Wandverkleidung hervor und begann sie zu filmen.
Major Steiger zog geschickt einen Militärausweis aus seiner Jackentasche und hielt ihn dem Objektiv entgegen (die Kamera war auf über drei Meter Höhe angebracht); seine andere Hand winkte links freundlich zur Kamera. Lieutenant Jarvis stand unterdessen neben ihnen. Kurz hintereinander hörten sie das metallische Entriegeln der fünf elektronischen Stahlschlösser. In dem staubig beschlagenen Türglas erschien ein grüner Bildschirm, darauf konnten sie „OPEN“ lesen.
2
Alan Fowler griff nach der senkrecht-silbernen Türstange, die links angebracht war, und öffnete. Schwallweise schlug ihnen gekühlte Luft entgegen, als sie das Forschungsinstitut betraten. Jetzt wurde ihnen plötzlich bewusst, was für eine staubtrockene Wüstenluft sie die ganze Zeit eingeatmet hatten, und was es für ein unglaublich erfrischender Genuss sein konnte, wenn man danach die frisch gekühlte Luft einer Klimaanlage einatmete. Hinter ihnen schloss sich das Panzerglas fünffach zuschnappend. Vor ihnen lag, in grünliches Neonlicht getaucht, ein abgedunkelter, quadratischer Raum. Links war er unterteilt in einen Empfangsbereich, mit einer Art Empfangstheke, rechts in einen Wartebereich, mit einer sechsteiligen Lederpolstergruppe sowie passendem Salontisch aus Teakholz. Im hinteren Drittel befand sich eine riesige Stahlbetontüre, deren kreisrunde Form so aussah wie die Tresortüre einer Notenbank. Verteilt im Raum standen überall flimmernde Monitore, auf schwarzen Steelen, angeschlossen an empfindliche Überwachungskameras. Die Kameras zeigten die gesamte Umgebung der Anlage. Weiter ging es zur hellgrauen Empfangstheke, hinter der zwei Offiziere in tadellosen Army-Uniformen sassen. Beide standen zackig auf und salutierten.
»Rühren, Männer! Lieutenant Chart, Lieutenant Fawkes, bin äußerst erfreut, Sie zu sehen. Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?«
»Guten Tag, General Fowler, Sir. Keine besonderen Vorkommnisse, Sir«, meldete Lieutenant Chart und hielt dem General ein Unterschriftentablett entgegen, auf das Fowler schwungvoll seine Unterschrift setzte. Danach gab er es Major Steiger, der ebenfalls sein kurzes Autogramm darauf kritzelte und es Chart zurückgab.
»Heißer Tag heute, Lieutenant Fawkes. Ist Professor Rosenberg schon ins Schwitzen gekommen?«
»Ja, Sir. Ich meine nein, Sir. Professor Rosenberg erwartet Sie um Punkt vierzehnhundert, General Fowler, Sir«, antwortete Fawkes ehrfurchtsvoll und salutierte nochmals.
»Schon gut, Fawkes. In dem Fall wollen wir unseren guten Rosenberg nicht länger warten lassen«, betonte Alan, während Steiger bloß seinen Zeige- und Mittelfinger vor seine Mütze hielt.
»Sie werden hier warten, Lieutenant Jarvis, wie immer. Sie wissen ja, höhereDienstgrade.«
»Natürlich, Sir. Wie immer, Sir.«
Fowlers Anweisung gehorchend, marschierte Jarvis zur mokkafarbenen Polstergarnitur im Wartebereich, sass in einen der vier Ledersessel und nahm eines der Magazine vom Salontisch. Er begann das vertraute „NEW GUNS“ durchzublättern.
Unterdessen liefen Fowler und Steiger auf die runde Stahlbetontüre im hinteren Bereich des Raums zu. Drei Meter hoch und so breit, dass man mühelos kleinere Elefanten hindurchtreiben konnte – dies war Fowlers erste Idee gewesen, als er das Ungetüm zum ersten Mal sah.
Rasch drehte sich Fowler zur Empfangstheke um, die zwischen einer Vielzahl von Computern und Monitoren postiert war, und nickte Lieutenant Chart dahinter zu. Chart nickte retour; er drückte vor sich auf einen roten Schaltpultknopf.
An der (mit schwarzen Granitplatten) verkleideten Wand, rechts neben Fowler und Steiger, fuhr geräuschlos eine kleine Abdeckplatte nach oben. Sie gab den Blick frei auf ein Display. Darunter waren große, nummerierte Tasten, ähnlich wie Computertasten, jedoch massiver. Ihre Dienstausweise steckten die Offiziere in den länglichen Metallschlitz, gleich links davon. Sekundenlang geschah gar nichts, dann begann das Display blau aufzuleuchten. Leuchtend weiß geschrieben stand:
Gen. A. Fowler Code ...
Maj. P. Steiger Code ...
Nachdem sie ihre jeweiligen Dienstnummern eingegeben hatten, spuckte der Apparat ihre Plastikkartenausweise wieder aus. Es erschien ein neuer Befehl im Display, direkt hinter ihren Namen, der simpel lautete:
Fingerprint …
Sie drückten zusammen ihre Daumen auf den Bildschirm. Gleißend helles Licht tastete ihre Fingerkuppen ab. Danach geschah wieder eine Weile nichts, bis im Display erschien:
Welcome ...
Durch die Stahlbetontüre floss plötzlich Strom, so hörte sich das leise Summen an. Außerdem konnte man Metallräder hören, die im Innern der Türe auf Stahlgleisen in verschiedene Richtungen liefen. Das Summen verlagerte sich später zum Rand der Panzertüre. Es ploppte und die Türe fuhr automatisch aus. Langsam öffnete sie sich. Ein wenig heller Gang wurde dahinter sichtbar, fest verschlossen am anderen Ende.
Alan befahl etwas lauter zur Empfangstheke: »Lieutenant Chart, wir sind im Gang! Filter starten!«
»Verstanden, Sir. Ich starte Filter, Sir.«
Ohne Chart zu antworten, betraten Fowler und Steiger den runden Gang. Als die drei Meter Stahlbeton luftdicht abgeschlossen waren, begannen über ihren Köpfen Düsen zu arbeiten, welche alte Luft einsogen, und andere Düsen, welche neue, gereinigte Luft ausstießen. Innerhalb einer Minutenfrist wurde die gesamte Luft im Gang komplett ausgetauscht. Der Gang war fünfzehn Meter lang und eine glänzende Stahlschiebetüre beendete ihn. Daran waren sechs kreisförmige Leuchtdioden befestigt, die nacheinander grün aufgeleuchtet hatten, sobald das Sauerstoffgemisch den strengen Normen entsprach. Sie liefen zur Schiebetüre. Diesmal war kein Dienstausweis, Code oder Fingerabdruck nötig, um den Stahl zu öffnen, diesmal reichte es, wenn Fowler und Steiger daran klopften. Zischend teilte sich der flache Stahl, wobei blendendes Licht in den Gang fiel, das dem eines sterilen Operationssaals ähnelte. Mehrere Sekunden pressten sie leicht ihre Augenlider zusammen.
»Hallo, General Fowler, Sir. Hallo, Major Steiger. Wirklich nett, Sie wiederzusehen. Herzlich willkommen.«
»Ganz unsererseits – Professor Rosenberg«, entgegnete Alan; die Offiziere betraten den kleinen Raum hinter dem Gang. Der leere Raum maß vier auf drei Meter. Rechts hinten sah man eine abwärts führende Steintreppe.
Ausgiebiges Händeschütteln folgte.
Herschel konstatierte lobend: »Sehr pünktlich, knapp vierzehn Uhr, fast überpünktlich.«
»Wir sind immer pünktlich, Rosenberg ... Wichtige Forschungsaufträge erhöhen unsere Pünktlichkeit. – Und Sie wissen, wie besonders wichtig uns Ihr Forschungsauftrag ist.«
»Selbstverständlich, General Fowler, selbstverständlich«, stimmte Herschel zu, an der Wand einen schwarzen Schalthebel drückend, wonach sich die Schiebetüre gleich wieder schloss. »Alle Vorbereitungen sind getroffen, General. Wir können unsere Vorführung beginnen.«
»Gut, Rosenberg. Erstaunlich, dass Sie Ihre Schauspiele immer noch Vorführungen nennen. Besonders, weil schon 123 von ihnen blutig geendet haben«, tadelte Alan sarkastisch.
»Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Jede neuartige Forschung kostet Opfer, genau gleich wie jeder neue Waffentyp. Doch Sie wissen exakt, was Ihre Army für militärische Vorteile haben wird, falls unser Projekt erfolgreich abgeschlossen wird«, verteidigte sich Herschel. Er machte eine auffordernde Handbewegung, damit ihn Fowler und Steiger zur Granittreppe begleiteten. Verwinkelt führte die weiße Treppe achtundzwanzig Meter hinunter, bis zum Herz des geheimen Forschungsinstituts. Beim Hinuntersteigen fuhr Herschel fort: »Aber keine Sorge, meine Herren, unser heutiger Versuch wird ein Erfolg werden. Nach diesem harten Training, das meine Probanden durchlaufen haben, werden sie Ihre Erwartungen zweifellos erfüllen. Ich wage sogar zu behaupten, dass sie Ihre kühnsten Vorstellungen sprengen werden!«
»Das sollten sie auch, Professor Rosenberg, unser Budget ist praktisch aufgebraucht. Und für ein neues Budget fehlt uns ein positives Ergebnis. Irgendein positives Ergebnis«, präzisierte Peter misstrauisch, seinem Blick entsprechend.
»Ich kann Ihre Bedenken verstehen, meine Herren, aber war nicht schon der letzte Versuch fast erfolgreich?«
»Ja, Rosenberg, fast. Nur leider hat sich Ihr Proband das Gehirn aus dem Schädel gepustet. Kein besonders guter Erfolg, Professor.«
Herschel Rosenberg sah den General nach dessen Kritik beleidigt an; er hatte die Army noch nie gemocht, außerdem verabscheute er begriffsstutzige Militärs. Aber die Army bezahlte seine so ungewöhnliche Forschung, welche manche Leute wahrscheinlich als abartig, pervers, krank oder gar als völlig verrückt bezeichnet hätten. Dagegen würden sie normale Gentechnik nur als lauwarmen Furz abtun, verglichen mit seinen visionären Ideen. Kein noch so renommiertes Institut würde es auch nur ansatzweise wagen, solche Versuche durchzuführen – geschweige denn, wäre in der Lage, jene zu finanzieren. Für ihn hatten deshalb diese Army-Idioten trotzdem gute Seiten. Und er bemühte sich, stets zivilisiert mit ihnen zu reden, manchmal sogar nett. Aber es fiel ihm schwer. Wirklich schwer. Erinnerungen ans Berkeley College leuchteten kurz in seinem Gedächtnis. Er sah sich nochmals, das musste im fünften oder sechsten Semester gewesen sein, im weißen Verbindungshaus von ALPHA BETA MEDICUS:
Haschgeschwängerter Dunst füllte sein Studentenzimmer aus, welches er mit Larry Norville teilen musste. Doch Larry war nicht da, denn es war Presidents-Day und sein pickliger Zimmergenosse besuchte seine Eltern, irgendwo in Iowa. Dafür war Jessica da. Sie lag mit ihm nackt und zugedröhnt auf seinem Bett, blickte hinauf an die Zimmerdecke, vom zerknüllten Kopfkissen, und in ihrem Mund steckte der größte Joint, den Herschel jemals gesehen hatte. Jessica zog so daran, als ob es um ihr Leben ginge. Der Joint glimmerte rötlich und aus Jessicas Mundwinkeln stieg gräulicher Rauch zur Decke empor.
Dort hüllte ihr Rauch das Poster über dem Bett ein, wie wallender Nebel. In dem Moment (und schon vorher) hatte er sich gewünscht, dass ein Spiegel dort hängen sollte, anstatt ein dümmlich lächelnder Charlie Brown, der unbekleidet (samt schwarzem Balken über den Augen und riesiger Erektion) dastand. Links von Charlie standen Lucie und Peppermint-Petty, hielten jeweils ihre Hände über ihre Kugelbäuche, und musterten Charlie anklagend. Ein echtes Witzposter.
Es gab noch eine ganze Reihe davon, in seiner Studentenbude. Verdammt cool, hatte sie Jessica gefunden. Jessica Juperski, die für ihre Freizügigkeit in ganz Berkeley bekannt war und die als Cheerleaderin auch den richtigen Körper dazu hatte. Trotzdem brauchte er viele Wochen, bis sie endlich ein paar Turnübungen auf seinen Lacken vorführte. Vielleicht, weil sie beide über das Feiertagswochenende nicht nach Hause fuhren, und er Jessica darauf hingewiesen hatte, dass er massenweise frisches Dope gebunkert hätte, das unbedingt gleich geraucht werden sollte, bevor es schlecht würde. Sie stimmte seinem Vorschlag zu, obwohl Herschel kein bewundernswerter Sportler war und weder im Football- noch im Basketballteam mitspielte. Bei muskulösen Sportlern wurde Jessica schwach. Aber Jessica hatte eine noch wesentlich größere Schwäche für guten Stoff – und Herschel hatte den besten gekauft, der zu kriegen war.
Zwar waren dabei seine kompletten Ersparnisse draufgegangen, aber wenn er den sich hebenden und senkenden Busen von Jessica Juperski neben sich sah, dann wusste er, dass er richtig gehandelt hatte. Er griff danach und es fühlte sich so an wie weicher Wackelpudding. 1978 kannte niemand Silikon.
Fleetwood Mac begannen einen neuen Song. Nachttisch, Plattenspieler, Busen, alles vibrierte leicht. Sie nahm den Joint aus ihrem Mund und blies Rauchkringel gegen die Decke. Dicke, fast perfekte Rauchkringel. Um ihre Lippenfertigkeit beneidete Herschel sie.
»Oh Baby, das ist guter Stoff. Verdammt guter Stoff! Das Zeug geht genau da rein, wo es hinsollte«, lobte Jessica anerkennend und zog erneut am Joint. Sie behielt den Rauch im Rachen, drehte ihren Kopf zu Herschel und beäugte ihn mit glasigen Augen. Ihr Blick schien zu fragen, woher ein derart mickriger Judenboy einen solch guten Soff herhaben konnte. Behutsam zog Herschel seine Hand zurück. Leutseliges Lächeln huschte über ihr Gesicht, kurz bevor sie den Mund zu einem verführerischen „O“ formte und absichtlich Rauchkringel gegen Herschels Nase pustete. Er musste sehr stark niesen, denn er hatte ihren dichten Rauchschwall überhaupt nicht erwartet. »Gesundheit, Baby! Du verträgst wohl nicht soviel?«, fragte sie; jetzt war ihr Lächeln eher schadenfroh.
»Mal sehen, was du verträgst!«, antwortete Herschel und rollte sich auf Jessicas Körper. Beide waren immer noch ein wenig verschwitzt, von den ersten Turnübungen, und rochen auch dementsprechend.
Aus den Philips-Lautsprechern sang die blonde Stevie Nicks: Well it’s – hard to be civil and it’s real hard tobe nice, but you get in my love – every time.
»Was sagen Sie dazu, Rosenberg?«, riss ihn Alan Fowler aus wundervollen Erinnerungen.
Inzwischen waren er, Fowler und Steiger ganz im Untergeschoss angekommen. Vor einer neuen Stahltüre stehend, deren vergittertes Bullauge nur wenig Durchsicht gewährte, entgegnete Herschel unwirsch: »Zuerst muss ein totes Individuum leben, bevor es sich etwas wegpusten kann, Mister General.«
Fowlers Stirnrunzeln zeigte erneut Zweifel.
Peter Steiger übernahm: »Wir haben es endgültig satt, für Ihre Selbstmord-Zombies zu zahlen. Ja, Mister Rosenberg, Forschungsgelder sollten …«, pausierte er.
»Nein, müssen nützliche Resultate bringen!«
»Ich habe Ihnen bereits am Telefon gesagt, dass wir das Problem gelöst haben. Es lag an zu hohen Spannungen. Unsere Rückenmarksonden hatten zu hohe Spannungen. Heute werden wir alle Bedenken vertreiben, durch unsere eindrucksvolle Demonstration.«
»Hoffen wir es, Professor Rosenberg, hoffen wir es«, betonte Alan wenig überzeugt.
Herschel drückte seinen persönlichen Zahlencode fest ins schwarzgraue Kontrollkästchen der Stahltüre. Das Kästchen piepste und geräuschlos fuhr die Türe auseinander. Dahinter war ein länglicher Raum, ähnlich einem Chemielabor. Auf glänzenden Metalltischen standen unzählige Ampullen aus Glas, darin schimmerten verschiedenfarbige Flüssigkeiten. Außerdem gab es technische Apparaturen, womit chemische Zusammensetzungen bestimmt wurden. Daneben Mikroskope und teilweise runde Glasschälchen darunter. In den Glasschälchen waren Zellkulturen angelegt. Fünf Bunsenbrenner, jedoch ausgemacht. Chemische Lösungen und Basen wurden in vielen Kunststoffflaschen aufbewahrt; sie standen verstreut, zwischen einem Sammelsurium von Ordnern, Papieren, Listen sowie Dokumentationen. Auch Computerbildschirme samt Tastaturen standen zur Verfügung. Wissenschaftliche Bücher und 5 Computerdisketten lagen ringsumher. Durchsichtige Kunststoffregale erfüllten ihren Ablagezweck.
Fast alle Bildschirme zeigten merkwürdige Zahlenformeln. Einer zeigte abgestufte rote, blaue und gelbe Balkendiagramme. Ständig verschoben sich die Balken gegen oben und unten, wobei die Verschiebungswerte mit weißen Prozentzahlen angezeigt wurden. Wahrscheinlich wurde das Zahlenmaterial im übermannsgroßen Hauptspeicher gesammelt, der aussah wie ein blinkender, schwarzer Turm, am Ende des Raums.
Links davon war ein voluminöser Canon-Kopierer platziert. Graue Bürorollstühle (vor den Labortischen) sahen so aus, als ob sie erst vor wenigen Augenblicken verlassen worden wären. Rosenberg, Fowler und Steiger bemerkten sogar einen Pappbecher voll dampfendem Kaffee, bei dem grauen Fotokopierer, den jemand vergessen haben musste.
Nachdem sie den Raum durchquert hatten, ohne sich für irgendetwas darin ernsthaft zu interessieren, erreichten die Männer einen Verbindungsgang. Dieser lange Verbindungsgang glich eher einem breiten Flur, an dessen Seiten sich verschlossene Türen befanden.
Sie gingen zur hintersten, welche offen stand, und betraten den Vorführraum. Ein Mann und eine Frau begrüßten sie. Beide trugen weiße Doktorkittel, genau wie Rosenberg.
Fowler und Steiger schüttelten erneut Hände.
Rosenberg ging nach vorne zum Projektor; er kontrollierte sämtliche Funktionen, nahm eine der Videokassetten vom braunen Pult daneben, steckte sie in den Sony-Videorekorder und spulte zurück auf Anfang. Dann nahm er sein grünes Plastikmäppchen vom Pult, in dem seine zahlreichen Notizen abgelegt waren.
Währenddessen verteilte die hübsche Frau den Offizieren eine dicke Dokumentation. Zweihundertfünfundachtzig Seiten hatte das bebilderte Werk. Über der ersten hellblauen Seite, die im Vergleich zu normalem Papier ein wenig stärker und fester war, stand vergrößert:
PROJECT BLUE MONKEYS
PRACTICAL FIELD TEST
MONKEYS 124 + 125
Das Lächeln der jungen Frau wirkte ansteckend, jedenfalls auf General Alan Fowler. Er hatte gleich etwas für Eva Johansson übrig gehabt, nachdem er sie kennen lernte, was am Anfang der Versuche geschah, denn Eva bekleidete bei Professor Rosenberg den Posten einer Assistentin. Major Steiger empfand sicher etwas Ähnliches, aber Steiger rühmte sich, glücklich verheiratet zu sein, und würde Eva keinesfalls zu nahe treten. Fowler hingegen hatte drei böse Scheidungen hinter sich und steckte gerade in seiner vierten. Mehr als eine Freundin wollte er nie mehr haben, das hatte er sich fest bis zu seinem Lebensende vorgenommen, als der Richter die Höhe der zu zahlenden Alimente festlegte. Natürlich schützte ihn sein abgeschlossener Ehevertrag (ziemlich gut) vor den übertriebenen Forderungen seines Ehedrachens, er hatte aus drei Scheidungen etwas gelernt, aber jeder Dollar, den er dieser Furie nachwerfen musste, war ein Dollar zuviel.
Eva würde eine ganz phantastische Freundin abgeben, das wusste er, und so unterhielt er sich ausführlich mit ihr – versuchte charmant zu sein. So charmant, wie das seine achtundfünfzig Jahre und sein Militärjargon noch zuließen. Der Zahn der Zeit hatte schon sichtbar an seinen Haaren geknabbert, andere waren grau geworden. Sein Bauch versperrte den Blick auf stets blankpolierte Militärstiefel, und fürs Nahelesen brauchte er eine Lesebrille, aber sonst hielt er sich für einen strammen Kerl. Zudem beeindruckten seine Orden und Auszeichnungen jede nette Dame. Spätestens beim Wort General wurden sie sowieso sehr wohlwollend, sehr aufgeschlossen. Deswegen wunderte es ihn nicht, dass er Eva zu einem Date einladen konnte, obschon sie seine Tochter hätte sein können. Aus einem Date wurden mehrere Dates, welche jeweils in noblen Restaurants mit der Vorsilbe „Chez“ stattfanden, und die Fowler französisches Essen und vor allem gesalzene, französische Rechnungen näher brachten. Doch Eva Johansson brachten sie ihm nicht näher, was ihn irritierte, weil Eva gesagt hatte, dass ihre Grosseltern aus Skandinavien stammten, genauer gesagt aus Schweden. Konnte es das geben, eine Schwedin, die ihn nicht in ihre Wohnung ließ?
Er begleitete Eva sogar in Nachtclubs, trug dabei modische Sportanzüge, wie gewöhnliche Zivilisten, was er sonst niemals im Leben getan hätte. Versuchte in Wildlederschuhen zu tanzen, wenn man das Gezappel so nennen konnte, zu dem unschönen Gejaule eines gewissen „Madd Dogg“, eines komplett hirnrissigen Vollidioten, der sich selber als Gangsterrapper bezeichnete. In der Army wäre der Nigger dafür standrechtlich erschossen worden, sofort, ohne Verhandlung bei irgendeinem Militärgericht. Was Eva an dem Kerl so faszinierend fand, wusste sie wahrscheinlich nur alleine.
Doch nicht einmal dieses Opfer brachte ihn näher an Evas Schlafzimmer. Sie fand ihn zwar nett und sympathisch, aber eher auf eine freundschaftliche Art und Weise. Eva vermied es väterlich zu sagen, obschon eben das in ihrem Gesicht stand und er es daraus ablesen konnte.
Zuerst vermutete er, dass vielleicht Rosenberg und Eva ein Techtelmechtel haben könnten. Schließlich hockten sie tagtäglich in der Forschungsanlage und arbeiteten eng zusammen. Bloß übers Wochenende verließen sie den abgelegenen Militärkomplex, denn jeder, der darin seinen Dienst versah, hatte sein eigenes Personalzimmer, welches mit allen nur erdenklichen Annehmlichkeiten ausgestattet war. Diese Regel, an welche sich jeder Offizier und Mitarbeiter halten musste, vereinfachte die Geheimhaltung des Forschungsinstituts wesentlich.
Als er Rosenberg jedoch darauf ansprach, verneinte dieser heftig, und versicherte ihm, dass Eva gar keine nähere Beziehung wünsche, weil sie größtenteils von Ordensschwestern aufgezogen wurde, religiöse Vorsätze hätte und als Jungfrau ins Eheleben gehen wolle. Fowlers Frage nach einem bekannten Freund, verneinte der Professor ebenfalls.
Also hatte er seine Strategie geändert. Er erinnerte sich dabei an eine teuflische Strategie aus dem Vietnamkrieg, oft und gerne angewandt vom Vietkong. Ihre erfolgreiche Strategie wurde allgemein „Good Friend“ genannt. Es ging bei „Good Friend“ darum, den Gegner möglichst freundlich und zuvorkommend zu behandeln. Ihm schöne Worte, kleine Gefälligkeiten sowie unbedeutende Geschenke zukommen zu lassen. Ihn quasi einzulullen. Sicherheit vorzugaukeln. Und zwar solange, bis der Gegner ein wenig Vertrauen aufgebaut hatte. Danach galt es abzuwarten, bis der Gegner in eine Notlage kam. Diese wurde dann nicht ausgenutzt, sondern man ließ die Gelegenheit absichtlich aus, bot vielleicht sogar unverbindlich Hilfe an. Nun hatte der Gegner endgültig Vertrauen gefasst und man konnte in aller Ruhe eine Falle aufbauen, in die man den Gegner nun durch sein Vertrauen locken konnte. Saß der Gegner erst mal in der Falle, zeigte man sein wahres Gesicht und ließ ihn seine ganze Härte spüren. Und Fowler würde Eva Johansson die ganze Härte eines Army-Generals spüren lassen.
Alan legte die Dokumentation ungeöffnet auf den Massivholztisch vor sich, welcher zehn Leuten Platz bot. Es war der einzige Redwood-Tisch im Raum. Acht bequeme Bürostühle standen davor. Im dem Forschungslabor waren identische. Seine andere Hand griff ins äußere, linke Jackenfutteral und holte ein schmales Schmucketui hervor: »Danke, Eva«, sagte er. »Hier ist eine kleine Aufmerksamkeit für dich«, und übergab das Schmuckkästchen der Assistentin.
Eva nahm es und meinte überrascht: »Vielen Dank. Aber ich habe dir doch oft gesagt, dass du mir nichts schenken sollst.«
»Ach was. Das ist doch kein richtiges Geschenk. Ist bloß ’ne Kleinigkeit, um dir für deine hervorragende Arbeit zu danken. Siehst du, es ist nicht mal ’ne Schleife um das Etui, also ist es auch kein richtiges Geschenk«, beschwichtigte Alan.
»Okay, gut, wenn das so ist«, ließ sich Eva umstimmen. Ihre zarten Finger öffneten das Schächtelchen. Darin lag ein silberfarbenes Kreuz mit gleichfarbiger Kette. Das Kreuz war zirka sieben Zentimeter lang und kleine, eingefasste Diamanten funkelten darauf. Sie zog die Kette aus dem roten Samt. Evas Augen weiteten sich: »So etwas kann ich ganz unmöglich annehmen! So etwas ist viel zu wertvoll für mich!«
»Jetzt mach dich nicht selbst verrückt, Eva. Die Kleinigkeit ist wirklich nicht der Rede Wert«, widersprach Alan, nahm das Schmuckstück und streifte es über Evas Kopf. Er musste ihren dicken Pferdeschwanz am Hinterkopf hindurchheben, den sie neuerdings trug, und der wegen den langen, blonden Haaren sehr vorteilhaft aussah. Über ihrem Ärztekittel baumelte das Kreuz. Fowler konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine Ärztin gesehen zu haben, die einen Ärztekittel (oben rum) so gut ausfüllen konnte wie Eva Johansson. Auf den oberen vier Knöpfen musste ungeheurer Druck lasten, vermutete Fowler. Auch ihre restliche, grandiose Figur veranlasste ihn, seine geplante Strategie kompromisslos durchzuziehen. Deswegen gaffte er sie nicht an, sondern lobte: »Siehst du, die Kreuzkette steht dir ausgezeichnet!«
»Findest du? Was finden Sie, Major Steiger?«
Peter Steiger machte jenen Fehler, den Alan Fowler vermieden hatte. Er starrte mehrere Augenblicke zu lange, auf die weißen Wölbungen. Stellte sich zu genau vor, was sich darunter verbergen könnte. Vielleicht ein neckischer Blümchenmuster-BH? Vielleicht fast durchsichtig? Vielleicht so angespannt wie jener von Claudia Schiffer, als er diese im Fernsehen den Catwalk herunterstolzieren sah?
Erst letzten Sonntag war das gewesen, in der Halbzeitpause des Footballspiels zwischen seinen New York Jets und den Miami Dolphins. Natürlich hatte er viel herumgezappt, denn niemand ertrug saudämliche Werbespots besonders lange, und er war rein zufällig bei einer Modenschau von Victoria Secret gelandet. Ausgerechnet dann kam natürlich Mary ins Wohnzimmer hereinspaziert: Solch dürre Bohnenstangen nennst du also Football, klagte sie ihn an und fuhr damit fort bis zum Abendessen. Dabei hätte sie eigentlich Claudia dankbar sein müssen, wenigstens diese Sonntagnacht. »Kreuz und Kette passen fabelhaft zu Ihnen, Miss Johansson«, brachte er schnell heraus; sein Blick wanderte hinauf in klare Bergsee-Augen. Steigers Fantasie blieb jedoch beim Kreuz hängen und malte sich aus, wie es auf der nackten Haut aussehen würde. Könnte man es überhaupt sehen, zwischen den fleischigen Zwillingshügeln?
»Na gut, ich behalt es«, sagte Eva und steckte Fowlers Geschenk unter ihre rosa Bluse, die sie unter dem Ärztekittel trug. Aus ihrem Ton konnte man pures Missfallen heraushören. Sie fragte: »Möchte jemand etwas zu trinken? Ist wahrscheinlich heiß draußen? Ich schätze über 35 Grad.«
»Kaffee klingt nicht schlecht«, antwortete Alan.
Steiger nickte zustimmend.
»Ich hol welchen«, kündigte Eva an und verließ den Vorführraum.
»Das Kreuz muss dich eine Stange Geld gekostet haben. Solche Geschenke konnte ich Mary noch nie machen – werde es wahrscheinlich auch nie können. Echtes Silber? Echte Klunker?«
»Silber? Peter, ich besorg keine Geschenke für Werwölfe. Kreuz und Kette sind aus Platin. Deine Klunker sind Brillanten. Jeweils ¼ Karat hat der Strass!«
»Ich korrigiere, das Kreuz muss dich ein Vermögen gekostet haben! Wie viel und woher?«
»Bist du mein Buchhalter oder mein Steuerprüfer?«
»Nein, aber als dein Controller weiß ich, was du verdienst. Auch unser Army-Rechnungswesen hat gewisse Vorteile.«
»Ich dachte, stellvertretender Controller? Was ist mit unserem guten alten Mister Pangborn passiert?«
»Bill ist noch älter geworden. Bill verbringt mehr Zeit auf dem Golfplatz als im Büro. Bill wird bald pensioniert, dann wird aus dem Stellvertreter der Leiter der Abteilung.«
»Gratuliere, Major Chiefcontroller!«
»Lenk nicht ab. Wie viel und woher?«
»Wieso willst du das genau wissen? Glaubst du, ich kaufe Geschenke für Eva und rechne sie über mein Spesenkonto ab?«
»Du wärst nicht der Erste, der so etwas täte. Und du wärst nicht der Erste, der danach zu mir kommen würde, und mich bitten würde, seine Rechnungen ganz unauffällig auszutauschen. Wieso …? Ganz einfach, weil der Anwalt deiner Exfrau zu schnüffeln begonnen hat, weil dieser Aasfresser nichts lieber täte, als dir ein Disziplinarverfahren anzuhängen. Und das würde dann richtig teuer!«
»Keine Angst, Mister Chiefcontroller, es gibt keine unsittliche Spesenabrechnung. Ursprünglich kaufte ich es nämlich für meine Frau, zum Hochzeitstag. Meine Alte musste ihre Klamotten ständig bei Didier Sachs kaufen, oben am Los Santos Rodeo-Drive. Cinderella konnte gar nie genug von meinem Geld rausschmeißen. Deswegen hab ich sie mal begleitet. Da kaufte gerade so ’n Nigger ein Kreuz, als meine Alte in der Umkleidekabine war. Hieß glaube ich CJ, oder so ähnlich. War wohl Stammkunde dort, denn jeder Verkäufer nannte ihn CJ, was auch immer das heißen soll. Jedenfalls frage PrivateSchwarzarsch, ob man nicht noch mehr Brillanten auf dem Kreuz anbringen könnte, hatte wohl gerade einer Großmutter ihre Handtasche geklaut. Der Verkäufer sagte kein Problem. Langsam wurde ich neugierig, sah mir das Kreuz näher an, dachte, wenn irgendetwas deine Ehe noch retten kann, dann ist es so etwas Überkandiertes. Am nächsten Tag beantrage meine Alte die Scheidung.«
»Pech gehabt, General Werwolf. Deine Exfrau hat dieses Kreuz nie gesehen?«
»Niemals, sonst wäre es schon längst weg!«
»Verstehe.«
Alan Fowler musterte Doktor Brian Gansoni, den Assistenten von Professor Rosenberg, der bis jetzt geschwiegen hatte. Dafür hatte er ihre Diskussion mitverfolgt. Gansoni war jünger als sie und redete nur, wenn er es unbedingt notwendig fand. Fowler hielt das (für einen Italo-Amerikaner) sehr merkwürdig.
Woher seine Eltern stammten, verrieten italienische Gesichtszüge (plus bräunlicher Haut) sofort. Es fehlte bloß jener sizilianische Akzent, den Antonio und Luzia Gansoni auch in den USA nicht loswurden. Wie sein Mentor studierte Brian in Berkeley, wo er Rosenberg vom medizinischen Fakultätsrat empfohlen wurde. Brian war einer der besten seines Jahrgangs. Vor allem bei menschlicher und tierischer Anatomie übertraf Brian alle anderen Studenten. Unverhofft erzählte ihm Rosenberg von einem streng geheimen Army-Projekt, welches eben diese anatomischen Kenntnisse dringend brauchte. Brian war Feuer und Flamme gewesen. So wurde Brian, nachdem er seine Doktorarbeit geschrieben hatte, Rosenbergs Assistent.
Diesen Schritt bereute er seit damals keine Sekunde, weil sich das Projekt als unglaublich spannend herausstellte. Außerdem gab es da noch Eva Johansson. Doch leider stellte er bald fest, dass Eva in einer höheren Liga spielte. Zudem erwartete seine Mama eine Freundin, die jegliche berufliche Wünsche aufgeben sollte, die sich ganz der Familie und ihren mindestens fünf Bambinos widmen sollte. Natürlich müsste sie obendrein römisch-katholisch sein – für Mama gab es sonst keine anderen Religionen.
Seine drei Brüder hatten bereits solche Freundinnen gefunden – und – nachdem sie von Mama abgesegnet und als tauglich befunden wurden – gleich geheiratet. Somit fragte ihn Mama ständig, wann er denn endlich eine anständige Freundin haben würde? Wann sie sich endlich keine Sorgen mehr um ihn machen müsse? Sie ging ihm damit andauernd auf die Nerven. Und italienische Mamas konnten einem ganz gehörig auf die Nerven gehen. Aber wie sollte er hier draußen eine Freundin finden? Sollte er vielleicht aus Kojoten, giftigen Schlangen oder hässlichen Eidechsen auswählen? Ich schaue mich ganz gründlich für dich um. Unser Viertel hat scharenweise züchtige Mädchen, die gerne einen Doktor zum Freund hätten, bot ihm seine Mama an. Kommt gar nicht in Frage, hatte er geantwortet. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, seine Mama auf Brautschau.
Am liebsten, und vermutlich am einfachsten, hätte er ihr wirklich Eva Johansson vorgestellt. Doch Brian wusste, dass Eva niemals ihren Beruf aufgeben würde und mit einem Kochherd vorlieb nehmen würde, dazu war sie viel zu gerne Biologin, war viel zu sehr angefressen vom Projekt. Abgesehen davon, ginge ihre Freundschaft nur bis zu einem gewissen Punkt, den sie niemals zusammen überschreiten würden, hatte Eva ihm klar und deutlich gesagt. Sie fände nur rebellisch gefährliche Männer anziehend, was er nun ganz bestimmt nicht wäre.
Leider musste ihr Brian da zustimmen; er war sicher sehr intelligent, aber das einzig rebellische, was er einmal tat, war ohne Krawatte zur Arbeit zu erscheinen. Und gefährlich war einmal, als er so eine Art Lagerkoller bekam und fünf Wodka-Colas hintereinander trank. Das Erste löste Rügen von Professor Rosenberg aus, der absolut keine Nachlässigkeiten in punkto Kleidung duldete, denn schließlich ginge es um ein Fünzigmillionen-Dollar-Projekt. Das Zweite verursachte schmerzvolle Ohrfeigen von Eva, die es verabscheute, wenn man sie betatschte – ganz besonders angetrunken.
Ab diesem Zeitpunkt gab er es auf, Eva beeindrucken zu wollen. Er wechselte seine flippigen Hawaiihemden wieder gegen die seiner Mama aus, welche allerhöchstens leicht gestreift waren. Er trug wieder öde, langweilige Krawatten, die ebenfalls Mama ausgesucht hatte. Seine neuen Kontaktlinsen behielt er.
Eine Freundin würde er erst dann suchen, wenn er nach dem Abschluss des Projekts genug Geld für eine eigene Arztpraxis haben würde. Die Army entlohnte ihn sehr gut. Auf alle Fälle wesentlich besser, als das irgendeine Spital-Assistenzstelle oder Klinikanstellung je tun würden. Brian wollte später einmal Schönheitschirurg werden, um seine Kenntnisse der Anatomie gewinnbringend anwenden zu können. Eva hatte ihn dazu nicht unwesentlich inspiriert. Möglicherweise würde er sie irgendwann selbst behandeln können, wenn die rebellisch gefährlichen Männer korpulent und glatzköpfig geworden waren. Wenn ihre Doppelkinne und fetten Breitschädel ihr zu abstoßend vorkamen.
Deswegen empfand er es als Frechheit, dass sich so ein uralter Bock, wie General Fowler, für Eva interessierte, dass er ihr so kostspielige Luxusgeschenke machte, die eigentlich für seine Ehefrau gedacht waren, und dass er diese dann erst noch als Kleinigkeiten abtat. In seiner Vorstellung sah er das Bild eines Ziegenbocks, der anstatt die Mutterziege zu besteigen, das kleine, unschuldige Zicklein bestieg. Dabei wurde es Brian speiübel.
»Sie können doch unser Gespräch für sich behalten, Doktor Gansoni?«, fragte ihn der Fowler-Bock.
Brian überwand sich, setzte ein harmloses Gesicht auf und antwortete vertrauensvoll: »Aber sicher ... Ich werde Eva nichts verraten. Wir verstehen uns sowieso nicht so gut.« Diese Antwort fiel ihm relativ leicht, weil er wusste, dass sich der Fowler-Bock am Eva-Eisberg die Hörner abbrechen würde – ganz egal, wie viele Male er gegen ihn anrannte. Und so etwas war nur mehr als gerecht.
»Bedauerlich, Doktor Gansoni, aber Frauen sind unberechenbar, meistens sogar unverständlich. Ich schätze jedoch Ihr Schweigen. Ich schätze es sehr, Gansoni«, betonte Alan, wobei unterschwellig deutlich eine Warnung mithallte, dieses Schweigen auch tatsächlich einzuhalten.
»Danke«, entgegnete Brian leise.
»Was ist eigentlich draußen los? Es wimmelt überall von Maracas. Wann macht Rosenberg endlich den Viechern den Gar aus?«, schwenkte Peter thematisch um.
»Warmer Asphalt lockt Reptilien an. Eidechsen sind nun mal Kaltblüter und …«
»Soviel ist mir auch bekannt, Doktor Gansoni ...«, unterbrach Peter. »Ich fragte, wann beseitigt Rosenberg endlich die Viecher, bevor sie unseren Parkplatz vollständig zugeschissen haben?«
»Keine Ahnung. Wir kommen nur am Wochenende …«
»Dann fragen Sie Rosenberg, Doktor! Mary jammert jedes Mal, meine Stiefel würden wie ein Scheisshaus aussehen, nachdem ich hier draußen war. Vielleicht sollte ich sie mal Rosenberg zum putzen geben, damit er kapiert, dass er auch für den Parkplatz verantwortlich ist! – Oder braucht diese Station einen neuen Leiter?«
»Nein, braucht sie nicht …«, widersprach Brian kleinlaut und lief zum vorderen Rednerpult. »Ich frage Professor Rosenberg.«
Als Brian außer Hörweite war, lästerte Peter: »Solche Muttersöhnchen kann auch nur Rosenberg anheuern. Ist kurios, dass das Doktorchen nicht weinend davonrennt, sobald es Reptilien sieht.«
Kurz blitzte ein hämisches Lächeln über Alans Gesicht. Er beugte sich beipflichtend näher zu Steiger: »Richtig, in der Army würde das Bübchen höchstens Latrinen putzen. Ich glaube, sogar dann müsste man ihn gut überwachen.«
Steiger lachte, und er bemühte sich intensiv aufzuhören, weil Eva Johansson hereinkam.
Eva trug ein hellrotes Tablett, auf dem zwei volle, dunkelbraune Pappbecher standen: »Kaffee Milch-Zucker. Kaffee Schwarz-Süßstoff.«
»Danke, Eva, fehlerfrei wie immer«, bedankte sich Alan, nahm seinen Becher und begann das schwarze Gebräu zu trinken.
»Danke, Miss Johansson. Was würden wir nur ohne Sie tun? Ohne Ihre charmante Hilfe, die uns immer wieder neu antreibt?«
»Eh, wahrscheinlich würden Sie unseren Kaffeeautomaten besser kennen lernen, Major Steiger.«
»Ja – wahrscheinlich würden wir ihn tatsächlich besser kennen lernen, Miss Johansson. Umso mehr sind wir Ihnen dankbar«, versicherte Peter.
»Gern geschehen. Wir sind alle etwas nervös, wegen dem Test. Wir haben lange und hart dafür gearbeitet. Außerdem schlief ich heute Nacht wirklich schlecht.«
»Tut mir leid, Eva. Am besten, du assistierst jetzt Professor Rosenberg. Jeder hat mal eine schlechte Nacht, doch davon sollte man sich nicht den Tag verderben lassen. Ganz besonders, keinen so wichtigen Tag.«
»Stimmt, davon sollte man sich wirklich nicht seinen Tag verderben lassen, Alan«, bestätigte Eva. Sie stellte das Tablett auf den Redwood-Tisch, drehte sich um und ging wortlos zu Rosenberg.
»Ganz schön zickig geworden, deine Eva«, bemerkte Peter und setzte sich grinsend. Der Bürostuhl quietschte.
Fowler nahm ebenfalls Platz. Er leerte seinen Becher endgültig, die Fahrt hatte ihn durstig gemacht. Lausig schmeckte das Kaffeegebräu, was üblich bei den Getränkeautomaten der Army war und er dem Saccharin-Natrium-Süßstoff zuschrieb.
Früher hatte er ihn immer gezuckert getrunken, doch sein Arzt verschrieb ihm eine Diät, weil seine Cholesterinwerte zu hoch seinen und Zucker am einfachsten zu vermeiden wäre. Gar nichts gönnte einem der Kurpfuscher, aber er wollte keinen neuen Herzinfarkt riskieren, den er gehabt hatte, als Sally ihn verließ. Es war nur ein schwacher Infarkt gewesen, und er vermutete, dass er ihn bekommen hatte, weil bereits seine vierte Rosenkriegsehe den Bach runterging, aber er war dennoch so stark gewesen, um ihn ans Spitalbett zu fesseln.
Während dieser dreizehn Tage, in denen Alan gründlichen Untersuchungen unterzogen wurde, nahm er sich vor, von nun an besser auf seinen Medizinmann zu hören. Denn obwohl John Wayne in vieler Hinsicht sein Vorbild war, wollte er nicht so frühzeitig wie dieser in die ewigen Jagdgründe eingehen. Oh nein, Pilger, imitierte er den Duke gedanklich, wusste jedoch nicht mehr, ob Waynes Ausspruch aus Hondo oder aus Rio Bravo stammte. Dann verzog er sein Gesicht, das üble Gesöff hatte einen chemisch-bitteren Nachgeschmack.
Peter deutete seine Mimik falsch: »So schlimm?«
»Scheiss-Kaffee. Ich glaub, die machen den aus Abwaschwasser.«
»Ach so. Ich dachte, du wärst sauer wegen Eva.«
»Blödsinn! Frauen sind manchmal zickig, ähnlich wie junge Fohlen. Sobald du sie aber richtig zugeritten hast, fressen sie dir aus der Hand. Und eines schönen Tages, werde ich die ganze Herrlichkeit von Evas knospenden Rocky Mountains erblicken, Pilger.«
»Im Augenblick klingst du eher wie John Denver und gar nicht wie John Wayne. Stellenweise auch wie John Holmes. Kleiner Hinweis, alle drei sind bereits tot. Sie konnten ihre Finger auch niemals von ungesunden Sachen weglassen. Eva könnte zu deiner Sucht werden.«
»Ich werd’s mir merken, Pilger. Hast du das Spiel gesehen?«
»Klar. Die verdammten Jets haben mich hundert Dollar gekostet ...! Solange die sich keinen anständigen Running-Back zulegen können, soll jemand anders auf diese Idioten wetten. Wenigstens haben mir meine Colts irgendetwas eingebracht, die standen doch tatsächlich fünf zu sechzehn.«
»Hast du nicht gerade etwas von ungesunden Sachen gesagt? Von Finger weglassen?«
»Diesen Monat stehe ich im Plus, Mister General.«
»Diesen Monat.«
»Ja, mein Buchhalter hat gleich wieder einen freundlichen Ton bekommen. Wenn die verdammten Bears gewonnen hätten, hätte er mich wahrscheinlich wieder Sir genannt. Nächstes Wochenende wird es soweit sein, Alan. Ich habe da nämlich einen fantastischen Typ bekommen. Es schadet nun mal nicht, wenn man selber professionell gespielt hat.«
»Vermutlich würdest du heute noch spielen, das Feuer dazu hast du noch.«
»Wer weiß, wenn mein Bänderriss nicht gewesen wäre. Ich bin zwar schon fünfunddreißig, aber ich halte mich fit. Letztes Jahr hat mich die Army aufgeboten, für das Spiel gegen die Navy, aber der verfluchte Rosenberg kam dazwischen.«
»Ich erinnere mich. War reine Zeitverschwendung.«
»Du sagst es. Wenn du willst, kannst du übrigens bei der Wette noch mitmachen. Ist fast todsicher. Wenn sie klappt, kannst du Eva einen Kleinwagen kaufen. Ist ’ne Spagetti-Wette, diese Typen wissen, wie man richtig bescheisst.«
»Danke für das Angebot, aber ich habe in den 80ern schon genug Geld an der Börse verloren. Außerdem waren meine Scheidungen auch eine Art Glücksspiel, für das ich immer noch zahle. Mir ist definitiv jede Lust zum Wetten vergangen.«
»Okay«, murmelte Peter, ohne nicht geringfügige Enttäuschung kaschieren zu können. Er strich über die dicht behaarten Unterarme, denn er wollte elektrische Spannungen aus den Haaren wegstreichen. Das braune, kurze Militärhemd ließ beide Unterarme frei. Danach öffnete er Rosenbergs Dokumentation: »Ich hoffe, Rosenberg hat begriffen, dass das heute seine letzte Chance ist. Sollten seine Affen versagen, werde ich kein neues Budget mehr befürworten. Obschon Blue Monkeys im nahen Osten sehr nützlich wären.«
»Sie wären Gold wert«, ergänzte Alan.
»Sie wären Gold wert, wenn sie funktionieren würden«, präzisierte Peter.
Alan öffnete die Dokumentation ebenfalls: »Denk bloß an unsere Special-Forces, denk bloß an riskante Einsatzkommandos. Es wäre eine Schonung unserer Kräfte, es wäre eine Minimierung unserer Verluste. Solche militärischen Vorteile besitzt sonst niemand.«
»Besäße sonst niemand. Benutzen wir Möglichkeitsform und achten wir auf Fakten.«
»Natürlich. Ich telefonierte geschlagene zwanzig Minuten. Ich habe ihm unsere und seine Lage klar gemacht. Ich befürworte dieses Horrorkabinett so wenig wie du, das kannst du mir glauben. Aber ohne irgendwelche Resultate, stünde nicht nur Rosenberg wie ein Trottel da, sondern wir genauso. Und wir müssten dafür unseren Arsch hinhalten, weil Rosenberg schlussendlich ein Zivilist bleibt. Ein gottverdammter Zivilist, dem unsere Vorgesetzten Millionen reingeblasen haben! Doch unsere hohen Politköpfe reden nur über Verantwortung, wir müssen sie ausbaden!«
»Deshalb also diese Dokumentation, deshalb das Video. Du brauchst ’ne kleine Versicherung.«
Alan nickte: »Richtig. Sollte Stompy da vorne nochmals versagen, haben wir Beweise, die wenigstens unseren Arsch retten!«
»Wenigstens etwas. Wer zum Teufel ist Stompy?«
»Rio Bravo – Stompy – dieser leicht dämliche Gehilfe des Sheriffs?«
»Lass mich raten, der Sheriff war natürlich John Wayne.«
»Du erkennst Zusammenhänge erstaunlich schnell, Mister Chiefcontroller.«
Peter lächelte höhnisch: »Manchmal findet man Sterne, wenn man genügend viel Mist wegschaufelt. Hatte Johny-Boy nicht auch ’ne Köchin?«
»Du verblüffst mich, Pilger«, lobte Alan freundschaftlich, Steigers Schulter tätschelnd.
Neben Rosenberg wurde vorne die Projektionswand heruntergefahren. Sie kam direkt aus der oberen Decke und maß über drei Meter. Langsam fuhr sie matt-silberfarben aus. Hinter Fowler und Steiger wurde ein Filmprojektor ausgeklappt, der sich zuvor in der Rückwand verbarg. Das Licht wurde automatisch gedämmt. Herschel schaltete sein Mikrofon an, welches auf dem Rednerpult stand. Er klopfte darauf, um die Lautstärke zu überprüfen. Es klang so, als klopfte ein Riesenfinger darauf. Er stellte es leiser. Danach stützte er sich am Rednerpult ab, beugte sich hinunter zum Mikrofon und sagte: »Ihr Problem werde ich mir durch den Kopf gehen lassen, meine Herren. Seit Ihre Männer etliche Kojoten abgeknallt haben, explodieren alle Eidechsenpopulationen, weil gar niemand mehr für irgendeinen Ausgleich sorgt.«
Die Offiziere schauten zum Pult.
»Wir halfen bloß den Bürgern von Las Payasdas, Professor. El Alcalde klagte damals, dass nachts Kojoten kämen und Hühner stehlen würden. Wir haben richtig gehandelt. Früher gab’s hier fast keine Kojoten. Problematisch wurden Kojoten erst, als verkohlte Kadaver ausgegraben wurden. Wahrscheinlich wimmelt die Wüste davon. Und wir wissen wohl exakt, von wem diese verwesten Kadaver stammen.«
»Schieben Sie mir jetzt Ihren Schwachsinn nicht unter, Major Steiger! Ist nicht meine Schuld, wenn Ihre Gefreiten keine tiefe Grube graben können. Ihre Männer hätten vielleicht besser aufpassen sollen, beim Sandgrabenunterricht vom Kindergarten.«
»Verd…!«, wollte Peter losfluchen, Fowler hielt ihn eilig zurück.
»Sachte, sachte, Gentlemen. Wir wollen doch nicht unsere Beherrschung verlieren. Haben Sie irgendetwas dagegen, wenn wir uns um das Ungeziefer kümmern, Professor Rosenberg?«
»Nicht das Geringste, General Fowler.«
»Na also, Problem gelöst«, folgerte Alan jovial.
Steiger blickte giftig zu Rosenberg und Herschel blickte giftig retour. Eva redete mit dem Professor, was genau, das konnten die Offiziere nicht verstehen.
»Starten wir. Bitte öffnen Sie Seite Nummer Eins unserer Dokumentation«, bat Herschel, er drückte ohne Umschweife den Startknopf des Videorekorders.
PROJECT BLUE MONKEYS erschien Hellblau über der Projektionswand, danach kam die eingekreiste Zahl 10. Der Countdown begann. Ab Zehn wurde langsam rückwärts gezählt. Ein Bild flackerte auf, das Rosenberg in einem Käfig zeigte. Im geräumigen Gitterkäfig waren auch zwei ausgewachsene Schimpansen, welche hinter dem Professor flink über einen Kletterbaum turnten. In einem fensterlosen weiß gekachelten Raum, künstlich beleuchtet, befand sich der Käfig. Den Boden des Käfigs hatte man mit Sägemehl ausgelegt. Nervös grunzten und kreischten die fast schwarzen Schimpansen, vermutlich hatten sie noch nie zuvor eine Videokamera gesehen.
Rosenberg ließ sich dadurch aber nicht stören; er kannte die Affen gut, so wie es aussah. Rechts hob er grüßend seine Hand, links hielt er ein Blatt Papier, das Herschel vorlas: »Willkommen zu Projekt Blue Monkeys. Dieser Film unterliegt der Sicherheitsstufe 5 der United States Army. Dieser Film wird ausschließlich autorisierten Army-Offizieren vorgeführt. Jede nicht autorisierte Person wird strafrechtlich belangt werden, sobald sie diesen Film widerrechtlich ansieht oder vorführt. Grundlage hierfür ist das US-Army Militärgesetzbuch, Protokoll 1, Punkt 7.«
Nach seiner Erklärung traten Dr. Brian Gansoni und Dr. Eva Johansson ins Bild. Die Wissenschaftler wurden von ihm vorgestellt und deren Tätigkeitsbereiche detailliert beschrieben. Am Ende gingen Brian und Eva wieder aus dem Bild, sie verharrten im toten Kamerawinkel.
»Wir werden jetzt Projekt Blue Monkeys starten. Hinter mir befinden sich unsere Probanden Nummer 124 und 125. Ich bitte den ausgezeichneten Gesundheitszustand zu beachten.«
Von Rosenberg schwenkte das Teleobjektiv auf die Schimpansen und machte eine Nahaufnahme von ihnen. Jene merkten es sofort, stoppten herumzutollen und schauten neugierig ins Objektiv. Der Professor machte auffordernde Gesten, worauf sie vorsichtig zu ihm kamen. Er nahm jeweils eine Vorderpfote und richtete sie auf, ähnlich einem Vater, der seine Kinder auf die Beine stellt. Bis über beide Hüften reichten sie ihm, was etwas heißen wollte, denn Herschel war ein großer Mann. Gewisse Leute bezeichneten ihn sogar als Bohnenstange.
Das war schon während Berkeley so gewesen, von wo er seinen Spitznamen „Berkeley“ herhatte. Damals interessierte er sich stark für Technik und baute unzählige Modellflugzeuge, Modellautos und Modellhubschrauber. Daraus resultierte mit der Zeit ein Geschäft, weil er schlicht zuwenig Platz hatte, um alle Modelle aufzubewahren. Deswegen begann er sie zu verkaufen und machte dabei nette Gewinne. So riesig war die Gewinnmarge, dass er bald auf den Gedanken kam, seinen eigenen Laden aufzutun. Was er dann auch in San Fierro tat. In San Fierro, weil seine Eltern damals dort wohnten und weil er sie für das neue Ladengeschäft begeistern konnte.
Am College gründete er einen Modellbauclub, dem vor allem Technikfreaks beitraten, die nichts lieber taten, als an Bauplänen, Minimotoren und Fernsteuerungen herumzutüfteln. Also an jenen Dingen, welche er dann später im Familiengeschäft weiterverkaufen konnte. Erstaunlich gut lief der Laden – es gab fast keine Konkurrenz in San Fierro. Jedenfalls keine, die er dazumal ernst nahm.
Dank den Einkünften konnte Rosenberg einen Teil seines Studiums finanzieren. Den anderen Teil verdiente er durch Nachhilfestunden, hauptsächlich in der Grundlagenmedizin und Biochemie. Und als Herschel ferner noch sagen konnte, dass Jessica Juperski, ihrerseits Cheerleader-Anführerin, bei ihm Nachhilfestunden nahm, (er sagte niemals, dass er sie flachgelegt hatte; das war auch unnötig) konnte er sich vor Anfragen gar nicht mehr retten.
Wenn du Berkeley überleben willst, dann musst du zu Berkeley gehen, war damals ein geflügeltes Sprichwort unter den Studenten gewesen. Jessica hatte ihn zuerst kleiner Berkeley genannt, aber klein war er nun wahrlich nicht, deshalb wurde er nur noch zu Berkeley. Allmählich nannten ihn auch sämtliche Lehrer ebenfalls bei seinem Spitznamen. Aus diesem Grund half er ihnen, etliche hirnschwache Footballspieler durch ihr Studium zu bringen. Manche Schüler kannten nicht mal mehr seinen richtigen Namen, aber das störte ihn keineswegs, es machte ihn eher stolz.
Gleich stolz wie seine Eltern, die noch einen anderen Sohn auf dem College hatten, der Anwalt werden wollte. Jedoch scherte sich Brüderchen angehender Anwalt keinen Deut um Studiengebühren und lag ihnen andauernd auf der Tasche. Im Grunde genommen, brachte sein Modellbauladen Bruder Doof durchs College. Nicht, dass er ihm dafür dankbar gewesen wäre, oh nein, Bruder Blödmann spielte lieber Florida-Drogendealer. Später, als Vice City schiefging, Vermittler zwischen Mafiosos, denen ein Casino im glitzernden Las Venturas gehörte. – Vermutlich leistete Bruder Knallkopfanwalt niemals so etwas wie ehrliche Arbeit ab – während keinem Tag seines verkoksten Lebens!
Die Schimpansen zogen an Rosenbergs Armen und rissen ihn aus seiner Erinnerung. Herschel drehte sie um ihre eigene Achse, wie in einem seltsamen Walzer. Es sah so aus, als wolle er der Welt eine neue Spezies präsentieren, und er brauchte dazu Filmbilder, damit man sehen konnte, dass die neue Spezies keinerlei versteckten Makel hatte. Keine Krankheiten oder sonstige körperliche Abnormitäten: »Unsere Probanden sind männlich, jeweils fünfzehn Jahre alt und stammen aus Simbabwe. Sie wurden uns vom Armeecamp Harare zur Verfügung gestellt. Bitte entnehmen Sie die Aufzuchtdetails und die Verschiffung aus den Seiten 3 bis 10 unserer Dokumentation. Durchgeführte Tests finden Sie auf den Seiten 11 bis 30. Vor allem Reaktionsfähigkeit, Schnelligkeit, Auffassungsgabe, Intelligenz und Ausdauer umfassten unsere Tests. Wie Sie aus praktisch allen Resultaten ersehen können, hat jeder Proband überdurchschnittliche Fähigkeiten und ist deswegen für Projekt Blue Monkeys geeignet.«
Rosenberg ließ die Schimpansen los. Diese machten kehrt und sprangen wieder auf ihren Kletterbaum. Von dort beäugten sie ihn misstrauisch.
»Überdies ergaben unsere dreimonatigen Tests keine auffälligen Verhaltensmuster. Demzufolge bestätigt Doktor Eva Johansson die völlige geistige Gesundheit. Ihre Dissertation können Sie auf den Seiten 31 bis 60 nachlesen. Wir beginnen Stufe 2.«
Fowler und Steiger hatten jede Angabe des Professors in der Dokumentation überprüft und blätterten zur Seite 61. Der ganze wissenschaftliche Text sowie sämtliche Versuche waren leicht verständlich gehalten, damit sie auch Laien verstehen würden. Spezialausdrücke wurden separat definiert. Erfreut nickten sie einander zu; Rosenberg hatte sich an Fowlers Vorgaben gehalten.
Im Film ging Rosenberg aus dem Gitterkäfig, worauf die Kamera zurückfuhr. Erst jetzt erkannte man, dass der Käfig vom übrigen Raum abgetrennt war. Nun verließ die Kamera endgültig den Raum. Das Bild wackelte gehörig, es schien kein Profikameramann das Werk zu filmen. Danach wurde der Raum mit einer Stahltüre verschlossen.
Eine Zeitlang war die Projektionswand nur dunkel, dann öffnete sich ein Spalt, durch den Licht fiel, und man sah, wie er langsam größer wurde. Waagrecht vergrößerte sich der Spalt, bis man erneut den Gitterkäfig sehen konnte. Aber man sah ihn durch Glas. Durch Spiegelglas.
Aus dem Hintergrund erklärte Herschels teilnahmslose Stimme: »Unsere Probanden werden jetzt eingeschläfert. Lesen Sie dazu bitte meinen vierzigseitigen Detailbericht.«
Düsenzischen wurde gut hörbar und die Schimpansen im Käfig begannen herumzutoben. Immer wilder kreischten und tobten sie. Schlussendlich rasten sie wie verrückt durch ihren Gitterkäfig, rüttelten panisch an Gitterstäben und verzogen ihre Gesichter zu angsterfüllten Grimassen. Sie bleckten die gelben Zähne und brüllten ohrenbetäubend. Nach einer schier endlos erscheinenden Weile zuckten beide Affenkörper grotesk. Rücklings fielen sie hart vom Gitter. Am Boden zitterten ihre Körper weiter. Ihr Atem war nur noch ein röchelndes Keuchen, das übel rasselnd das Gaszischen unterbrach. Abrupt stoppte ihr Keuchen; die Affen waren tot. Aus dem grässlichen Zischen wurde ein Sauggeräusch, als das Nervengas wieder abgesogen wurde. Eine Nahaufnahme zeigte die Affen, wie sie mit leeren Augen zur Decke hinaufstarrten.
Plötzlich kamen Dr. Eva Johansson und Dr. Brian Gansoni in den Raum. Das Sauerstoffgemisch musste wieder atembar sein. Brian schob mehrere Stahlriegel der Gittertüre auf und betrat den Käfig. Eva folgte ihm. Im Käfig untersuchten sie die verschiedenen Körperfunktionen der Primaten und hörten ihren Puls ab. Nachdem auch die Stethoskope keinerlei Lebenszeichen diagnostizierten, füllten sie ein Formular aus, welches Todeszeitpunkt sowie Todesart nochmals bestätigte und das der Dokumentation beilag.
Eva hielt ihr Formular ins Kamerabild, damit man sah, dass es das gleiche war. Währenddessen rollte Brian eine tischhohe Bahre neben Eva. Dank den altmodischen Gummirädern konnte die Bahre geschoben werden. Angestrengt hievten sie beide Kadaver darauf. Dann rollten sie gemeinsam die Bahre aus dem Käfig in einen Verbindungsgang, verfolgt vom Kamerafilm.
Zu einem Operationssaal führte der dunklere Gang, rund vierzig Meter entfernt, welcher augenscheinlich bereits für chirurgische Eingriffe vorbereitet war. Sie legten die Kadaver auf getrennte Operationstische. Vor den Metalltischen wurde die Videokamera an ein Stativ geschraubt, damit sie selbstständig filmen konnte. Deutlich erkannte man chromfarbene Stativbeine, bevor das Objektiv in Grossaufnahme zu den Operationstischen zurückkehrte.
Herschel stand ins Bild. Er trug weiße Gummihandschuhe, einen grünen Chirurgenkittel und eine grüne Operationshaube. Es blieb unersichtlich, wann er sich umgezogen hatte: »Wir beginnen OP Blue Monkeys. Detaillierte Operationsschritte finden Sie bitte jeweils unter Abschnitt C unseres OP-Berichts, Seite 101 bis Seite 160. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir erstmals unser weiterentwickeltes Biooxichlorid verwenden. Ebenso unsere technisch verbesserten Rückenmarksonden, deren neue Chipkonfiguration im Bericht ebenfalls umfangreich beschrieben ist«, erläuterte er so, als müsse er eine lästige Pflichtübung kommentieren.
Eva und Brian kamen erneut ins Bild; sie trugen jetzt ganz gleiche Operationskittel wie der Professor. Sie stülpten sich weiße Gummihandschuhe über. Rosenberg nickte ihnen zu, wonach alle drei Atemschutzmasken anzogen. Flott liefen sie zu den großformatig gezeigten Operationstischen.
Zuerst konzentrierten sich die Wissenschaftler auf den rechten Schimpansen und drehten ihn auf seinen Rücken. Brian schaltete riesige, über dem Tisch hängende Operationslampen an. Fünf grelle Lampen erstrahlten. Eva rollte ein Gerät zum Tisch, das aussah wie eine Art elektrische Pumpe. Es ähnelte stark einem Dialysator, also einem Gerät, das für die Blutwäsche von Nierenkranken verwendet wird. Der Professor rollte seinerseits einen Beistelltisch zwischen beide Operationstische. Operationsbesteck lag fein säuberlich darauf. Danach stach er sehr lange Nadeln, verbunden mit durchsichtigen Schläuchen am Gerät, in die Arm- und Beinarterien des Schimpansen. Eva startete das Gerät.
Gleichmäßig wurde Blut abgesaugt und füllte (schwallartig) leere Infusionsbeutel. Die Infusionsbeutel hingen an einer hohen Stange hinter dem Gerät. Unerwartet flackerte ein Monitor auf, der bis dahin matt und leer geblieben war. Man sah ihn seit Operationsbeginn im Hintergrund; er war in die Rückwand des Raums integriert. Man dachte sich aber nichts dabei, wie das meistens so ist, wenn man leere Bildschirme betrachtet. Und auch seine erstaunliche Größe änderte daran nichts. Doch nun zeigte das grüne Monitorbild den schematischen Körper des Affen und sämtliche seiner Körperfunktionen, die allerdings bei null verharrten. Nur eine Prozentzahl veränderte sich, je mehr Blut aus dem toten Körper herausgepumpt wurde, es war jene Zahl, welche die Gesamtmenge des Affenbluts anzeigte. Nach wenigen Minuten stoppte diese Zahl ebenso und blieb bei 1,5 % stehen. Wahrscheinlich konnte gar nicht sämtliches Blut, bis zum letzten Tropfen, herausgepumpt werden. Trotzdem verlangte der Monitor: Blutentnahme abgeschlossen! Infusion Biooxichlorid ausführen!
Wie ein rotes Warnsignal blinkte die Anweisung. Daneben begann eine andere Prozentzahl zu addieren, sie zeigte den stetigen Verfall, dem jeder Kadaver früher oder später unterliegt.
Herschel drehte sich erklärend ins Kamerabild: »Zellzerfall! Vor 28 Prozent muss infusioniert werden. Andernfalls sind Zellen und Zellstruktur so stark beschädigt, dass keine Wiederbelebung mehr möglich ist. Wir erhielten unseren Erfahrungswert durch Testprogramme des Biooxichlorids. Unsere Weiterentwicklungen sind auf Seite 161 vermerkt. Spätere Tier- und Kontrollversuche haben diesen Grenzwert bestätigt. Meine Molekular- und Zelltestabhandlung finden Sie nach unserem OP-Bericht auf Seite 195.«
Kurz blätterten die Offiziere in der Dokumentation, überprüften Rosenbergs Aussagen.
Danach galt ihre Aufmerksamkeit wieder dem Film.
Brian ging darin zur Monitorrückwand. Immer noch blinkte der Befehl. Inzwischen waren 18 % erreicht. Er zog darunter eine Metallschublade heraus und entnahm einen Plastikbehälter, der relativ schwer zu sein schien. Er ließ die Schublade offen und kehrte zum Operationstisch zurück. Eva erwartete ihn bereits ungeduldig und entfernte den Deckel des Behälters. Sie nahm fünf Infusionsbeutel aus dem Behälter, jeweils gefüllt mit einer hellblauen Flüssigkeit. Sie steckte die Beutel an eine neue Chromstange und verband mehrere Schläuche am Pumpgerät. Als sämtliche Schläuche ordnungsgemäß angeschlossen waren, begann das Gerät das hellblaue Biooxichlorid in die Adern des Schimpansen zu pumpen. Dann stellte Eva die alte Stange beiseite.
In den Beuteln konnte man das dunkelrote Affenblut gut erkennen. Sobald das Biooxichlorid durch die Adern von Blue Monkey 124 schoss, verschwand der Befehl auf dem Monitor. Ein hellblauer Beutel nach dem anderen wurde in das Tier gepumpt. Die Prozentzahlen, die den Zellverfall anzeigten, hatten gestoppt. Nicht nur das, sie hatten auf wundersame Weise begonnen sich zu subtrahieren und näherten sich dem Nullpunkt. Schließlich ging auch der letzte Infusionsbeutel zur Neige.
Eva entfernte den Schlauch des Beutels vom Pumpapparat. Nun schloss Rosenberg Schläuche für die Beinarterien an. Danach links Schläuche für die Armarterien. Stetig pumpte seine Maschine weiter; sie stellte so einen künstlichen Blutkreislauf sicher.
Brian legte den Plastikbehälter auf Operationstisch Nr. 2. Er wiederholte die ganze Prozedur bei Blue Monkey 125.
Eva und Rosenberg packten Blue Monkey 124 und drehten ihn sehr vorsichtig um. Zwischen den Schulterblättern, am Nacken, war eine Stelle kahlrasiert. Auf das Hautquadrat war 124 tätowiert worden, wodurch man die Schimpansen zweifelsfrei unterscheiden konnte.
Rosenberg nahm einen grünen Filzstift, der beim Operationsbesteck bereitlag, und markierte weiter unten einen Bereich direkt über dem Genick. Ungefähr zwanzig Zentimeter Länge hatte der Bereich. Eva strich Rasierschaum darüber und begann ihn zu rasieren. Das scharfe Rasiermesser gehörte zu jener altmodischen Sorte, die aufgeklappt werden mussten. Am Schluss reinigte sie den Bereich mit einem nassen Tuch.
Herschel hob sein Skalpell ins Kamerabild, so als wolle er sicherstellen, dass man es gut sah, und machte einen perfekt senkrechten Schnitt. Man erwartete Blut, doch es floss nur hellblaues Biooxichlorid aus der Schnittwunde. Metallklammern öffneten den Schnitt, welche Eva routiniert einsetzte. Fleisch und Muskelgewebe wurden sichtbar. Beides schimmerte blässlich hellblau. Rosenberg schnitt noch tiefer, bis obere Wirbelsäulenknochen zum Vorschein kamen. Gleichzeitig tupfte Eva sorgfältig Wundränder ab. Ihre andere Hand gab dem Professor eine zylinderförmige Rückenmarksonde.
Aus weißem Kunststoff bestand die Sonde, war hinten und vorne abgerundet, und verfügte über sechs anatomisch geformte Edelstahlhaken, welche sich bei korrektem Einsatz vollständig um den Wirbelknochen legten. Besser gesagt, sie schnappten automatisch zu und sie ließen sich später nicht mehr lösen. Ähnlich einer Bärenschnappfalle, jedoch ohne deren zerstörerischer Wirkung.
Gesamthaft fand diese Sonde problemlos Platz in Rosenbergs ausgestreckter Handfläche. Er setzte sie gewissenhaft ein, wobei er zuerst die Wirbelsäule ein bisschen hochheben musste. Als sich sämtliche Haken um den Wirbelknochen geschlossen hatten, nahm er ein elektronisches Gerät vom Beistelltisch. Herschel nannte es Tricorder. Seine Eigenkonstruktion ähnelte einem Star-Trek-Tricorder, und weil ihn Captain Kirk sowie die Science Fiction von Kindesbeinen an faszinierten, taufte er seine neue Erfindung auch tatsächlich dementsprechend.
Hellgrün leuchtete das Display des Tricorders; je näher er damit zur Sonde kam, desto höher wurde ein elektronischer Summton, den der Tricorder ausstieß. Schnell wurde der Ton derart nervig hoch, dass Rosenberg ihn leiser stellen musste. Dazu gab es einen kleinen Regler.
Genau über der Sonde befand sich nun das Tricordergerät und sein Display hatte sich verändert. Aus grün war blau geworden; merkwürdige Zahlenkombinationen liefen fünfstellig über den Bildschirm. Plötzlich endete jede Kombination, als ein pulsierender Ton den Summton ablöste. Jetzt war das Display orange und der Pulston zeigte sich kreisförmig darauf. Winzig begannen die Kreise, wurden größer und verschwanden schließlich über eckige Bildschirmränder ins Nichts. Gleichmäßig liefen die pulsierenden Kreise ab.
»Perfekt! Sonde 124 funktioniert perfekt! Wir können zunähen«, konstatierte Herschel, er fuhr abermals mit dem Tricorder über die Sonde und legte ihn wieder auf den Beistelltisch. Eva erledigte das Restliche; sie brauchte dreiundzwanzig Stiche zum vernähen der Operationsnaht.
Erneut drehten die Wissenschaftler den Schimpansen um. Der Monitor zeigte immer noch kein Lebenszeichen. Herschel blickte sprechend zur Kamera: »Wir starten unsere Sonde. Drücken Sie uns die Daumen, meine Herren, unsere Reanimation muss gelingen!«
Fowler und Steiger schauten gebannt, wie im Film Rosenberg den Tricorder aufhob und einen weiteren Regler einschaltete. Das Display wechselte von orange zu violett, der Pulston blieb unverändert. Eine Weile geschah nichts, dann flimmerte das Herz von Blue Monkey 124, dargestellt auf dem Wandmonitor. Am Anfang war das Herzflimmern nur schwach, später wurde es stärker, und schließlich schlug das Herz so, als wäre es nie stehen geblieben.
Rosenberg und Eva stießen einen tiefen Seufzer aus. Die Prozentzahlen des Wandmonitors erwachten zu neuem Leben und der Herzschlag stabilisierte sich. Gleich nachdem die Atmung einsetzte, drückte Eva dem Affen eine Spritze in den linken Oberarm, denn man wollte ihn ruhig weiterschlafen lassen. Sämtliche Arteriennadeln wurden entfernt, weil nun das Biooxichlorid vom Affenherzen durch die Blutbahnen gepumpt wurde.
Stolz verkündete Herschel: »Reanimationserfolg beim ersten Versuch! Alle Körperfunktionen Normalzustand.«
Lächeln strahlte über die Gesichter der Wissenschaftler.
Fowler und Steiger applaudierten beeindruckt.
»Gratuliere, Professor! Dieses Mal ohne Defibrillator. Ihre Fortschritte sind sagenhaft«, lobte Alan.
Dankbar nickte Rosenberg, erwiderte jedoch nichts.
Im Film wurde der chirurgische Eingriff bei Blue Monkey 125 wiederholt; auch dieser verlief erfolgreich. Danach kam ein Filmschnitt und man sah die Affen in einem Raum, welcher am ehesten einem Schulzimmer ähnelte. Überall, im fensterlosen Raum, lag Spielzeug verteilt. Es gab Bauklötze, Spielzeugautos, Modellflugzeuge, Malfarben und Malpapier. Ebenso Bilderbücher für Kleinkinder. Und vor allem gab es täuschend echte Nachbildungen von Waffen. Fast jede Art von Waffen, ob nun Trommelrevolver, Pistolen, Gewehre, Maschinengewehre oder einfache Messer, alles war vorhanden und alles war aus Plastik. Primitive Zeichnungen hingen an den Wänden. Vor einer schwarzen Wandtafel standen Eva und Rosenberg.
»Willkommen zur Ausbildung unserer Blue Monkeys. Wie Sie sehen, verwenden wir dazu einen ganz speziellen Ausbildungsraum. Sämtliche Lernprogramme und erzielten Leistungen finden Sie auf Seite 196 bis 247. Ich möchte Ihnen jetzt unseren kleinen Lerntest vorführen, der Ihnen die Verbesserung unserer Rückenmarksonden veranschaulicht«, erläuterte Herschel, er gab Eva Zeichen.
Eva Johansson nahm ein Stück weißer Kreide und begann eine Pyramide aus Bauklötzen auf die Wandtafel zu zeichnen.