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Laszlo Duchovny macht Ferien, so hat es den Anschein - doch der Moderator vom Nachrichtensender WCTR taucht nicht wegen des Springbreaks in Vice City auf. Vielmehr geht Laszlo Hinweisen nach, die eine illegale Wahlfinanzierung eines Gouverneurs betreffen. Er ist sicher, dass ihn dieser sensationelle Fall vom Radio ins Fernsehen bringen wird, wo er Quizshows moderieren möchte. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit, weil fast niemand vom Sender diese Hinweise kennt, oder den mysteriösen Auftraggeber, der Laszlo auf das Schwarzgeld gebracht hat. Unverhofft lernt er eine atemberaubende Frau kennen und ihr Geheimnis um das Schwarzgeld, das seit dem tragischen Flugzeugabsturz des Gouverneurs verschwunden ist.
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Inhaltsverzeichnis
Sumpf
Coitus Interruptus
Ganton Boys
Rio
Explosiv
Springbreak
Afterparty
High School
Wüstentrip
Impressum
1
Süd-Florida, Swamplake, den 7. Mai, Nachmittag. »Hab sie wirklich vermisst, diese Sonnenuntergänge …«, sagte Laszlo anerkennend, sein Whiskeyglas auf den runden Campingtisch stellend.
»Gibt’s in Los Santos nicht so schöne?«, erkundigte sich Sally Gendron.
»Doch, schon, wenn sie der Smog nicht verschluckt. Man muss schon zur Küste rausfahren«, erklärte Laszlo, während das Farbgemisch aus orangen, pinken und violetten Wolkenbänken den Horizont über dem Meer ausfüllte.
»Wird niemals langweilig«, stimmte Brian zu. »Ich wohne schon seit siebzehn Jahren hier. Ich brauch höchstens ’nen Fernseher wenn’s regnet.«
»Kleiner Hurrikan vor Kuba«, scherzte Laszlo freundlich lächelnd.
»Na ja, es kann manchmal sehr ungemütlich werden. Aber der böse Wolf bläst so schnell kein Steinhaus weg. Und für irgendwas gibt’s auch Versicherungen«, informierte Brian.
»Richtig. Habt euch ’nen netten Alterssitz gekauft«, lobte Laszlo, was ihm bereits beim Parkieren seines Mietwagens aufgefallen war; Brian und Sally Gendron lebten außerhalb der Stadt, in einem ländlichen Vorort von Vice City. Vom Freeway brauchte man ungefähr dreißig Minuten, bis nach Swamplake, weshalb die gesamte Hinfahrt gute zwei Stunden gedauert hatte.
»Ist nichts Teures«, schwächte Brian ab. »Ein paar Zimmer mit Dach samt Grünzeug darum.«
»Kurznachrichten, Brian …? Ich dachte, dass pensionierte Senderchefs mehr Zeit hätten?«
»Soll ich ’ne Biographie schreiben, Laszlo? Pleite gegangene Direktoren und ihre Florida-Villen? Echt heißer Titel«, meinte Brian sarkastisch, er trank leicht nervös Zitronenlimonade.
»Bitte sei nicht so albern, Liebling«, bat Sally, »Laszlo ist unser Gast. – Veräppeln kannst du deine Fischer-Freunde, Long John Silver, Kapitän Schwarzbart … und wie sie alle heißen.«
»Unsere goldene Hochzeit war nur pures Glück, wie ein Affe der ein Buch schreibt«, neckte Brian weiter.
Irritiert überlegte Laszlo, was er darauf erwidern könnte; Sallys Gesicht zeigte keinerlei Regung, welches früher sehr hübsch gewesen war, die 67-jährige schaute ihn gleichbleibend amüsiert an. Kleinere Sticheleien gehörten also zum Ehealltag der Gendrons, kam er zum Schluss. Er lernte Sally erst heute persönlich kennen, sah sie aber früher auf diversen Schreibtischfotos seines Chefs. Sally wirkte entspannt, trug bunte Bermuda-Shorts, hellbraune Freizeitschuhe und ihr verwaschenes Hawaiihemd passte zu ihrer lockeren Art. Eine graue Kurzhaarfrisur und eine schwarze Hornbrille ebenso. Genüsslich nippte sie an ihrem Eistee.
»Du solltest vielleicht über Nacht hier bleiben, es dämmert schon. Nachts sind auf dem Freeway ’ne ganze Menge Spinner unterwegs. Viele wollen sich in Vice City Stoff besorgen, wenn das Wochenende ruft. Und viele probieren den Stoff auch gleich im Auto. Florida hat die meisten Geisterfahrer der USA, rate mal warum.«
»Dachte, das liegt an den Rentnern, Sally.«
»Ja, ja, Rentner«, bestätigte Brian lakonisch.
Sally Gendron schüttelte bloß ihren Kopf: »Wir haben ein nettes Gästezimmer.«
»Danke, für euren herzlichen Empfang und das Mittagessen, aber ich habe andere Pläne«, erklärte Laszlo. Er hatte den Verdacht, dass Sally öfters Gäste einlud, die die Abgeschiedenheit des Orts genießen konnten. Swamplake wurde einst auf einem trockengelegten Sumpf errichtet, erzählte ihm Brian. Östlich des Dorfs erstreckte sich noch heute eine Sumpflandschaft.
»Schade«, bedauerte Sally.
»Mach uns bitte Abendessen, Liebling, damit unser Gast zurückfahren kann. Liegt doch drin, oder?«
»Klar, mein Hotelzimmer kann warten.«
»Na fein, okay«, raunte Sally leicht missmutig, ihr Teeglas austrinkend.
Brian ging schon weg vom Campingtisch und dem Sonnenschirm, er warf Laszlo auffordernde Blicke zu. Laszlo verstand und begleitete ihn zum Bootssteg. Am Steg dümpelte Brians schnittiges Motorboot. Es sah zwar schnell aus, war aber kein echtes Rennboot. Trotzdem liebte Brian sein Boot, so wie es Sally liebte, ihr dreistöckiges Anwesen Gästen und Freundinnen zu präsentieren und stundenlang über den perfekten Rasen, den perfekten Palmengarten und die perfekteste Inneneinrichtung zu diskutieren. Daher konnte Laszlo (bis spät Nachmittags) das Thema gar nie anschneiden, weswegen er seinen alten Kollegen aufgesucht hatte. Dieser musste das registriert haben, obwohl ihre Erinnerungen an den stillgelegten Radiosender sehr unterhaltsam waren. V-Rock spielte hauptsächlich harte Rockmusik, fand jedoch nicht genug Sponsoren, hieß es damals. Die genauen Umstände der Stilllegung blieben mysteriös. Natürlich gab es Gerüchte, Spekulationen, als irgendein Krimineller einige Senderschüsseln sprengte und V-Rock lahm legte. Der Kerl wurde nie gefasst. Cops nannten es Sabotage, möglicherweise durch puritanische Bürger, für die ihr Hardrock Teufelsmusik war. Etliche Sponsoren sprangen ab und neue blieben aus. Deswegen wählte Brian seinen vorzeitigen Ruhestand. Laszlo zog nach San Andreas, wo er einen begehrten Job beim Nachrichtensender WCTR ergatterte.
Den Namen vom Bug ablesend, bemerkte Laszlo: »White Rose – klingt eher wie Segelschiff.«
»Segelschiff?«, fragte Brian verwundert und beobachtete Sally beim Sonnenschirm, die weiterhin das Schauspiel des Sonnenuntergangs genoss; sie machte keinerlei Anstalten, das Abendessen zuzubereiten. Wahrscheinlich würde Sally wieder mal irgendeine Dose aufmachen, und dazu Nudeln kochen. Bestimmt rechnete sie damit, dass er und Laszlo mit ihr auswärts Essen gingen, wie sonst bei Gästen üblich, wenn Cora keinen Dienst hatte, und sie war eingeschnappt, glitt deshalb nicht Hula-Hula tanzend zur bestens ausgestatteten Designerküche. Allerdings war das Thema, welches er mit Laszlo besprechen musste, und das ihm seit Wochen auf der Seele lag, weder für Sally, Cora Rodriguez noch für Restaurantbesucher geeignet. Also zeigte er seinem Ex-Diskjockey sein entfernt vertäutes Boot, denn nervtötende Gespräche über Boote hasste Sally.
»Ja, Segelschiff. Bedeutet White Rose etwas?«
»Du wunderst dich, warum ich keinen kraftvolleren Namen genommen habe. Sagen wir Puma, Schwertfisch oder Korsar.«
»Genau, White Rose klingt nach Gemüsebeet«, resümierte Laszlo.
»Nun, ich konnte es nicht fette Abfindung nennen, wollte Rosenberg aber meine Dankbarkeit zeigen. Schlussendlich verdanke ich Ken meine vorzeitige Pensionierung.«
»Ich glaube eher, cleveren Vertragsklauseln.«
»Höhere Gewalt kann man vieldeutig auslegen. Zweifellos ist es höhere Gewalt, wenn ein Saboteur Satellitenschüsseln auf einem Polizeirevier sprengt. V-Rock zahlte der Stadt ’ne Menge Geld, zum Schutz, jeden Monat. Wer trägt also die Verantwortung?«
»Ken ist ein Rechtsverdreher erster Güte.«
»Kann sein, Laszlo. Aber lauter Rock interessierte niemanden mehr. Bill wusste es, ich wusste es – und vor allem – unsere Sponsoren wussten es. Damals wollten Teenys beschissene Technomusik. Hättest du da investiert? Hättest du da neue Satellitenschüsseln gekauft?«
Laszlo verzog zweifelnd sein Gesicht: »Meine Kohle …«
»Nein, hättest du nicht. Sowenig wie es Bill getan hat.«
»Bill gehören viele rentable Sender. Ich glaube, wir standen auf seiner Abschussliste.«
»Alte Geschichten, Laszlo. Hat’s uns geschadet?«
»Nein, wir sahen nie einen Gerichtssaal von Innen.«
»Außergerichtliche Einigung. Gibt’s ’nen schöneren juristischen Begriff?«
»Wer weiß, Brian.«
»Ich glaub auch nicht, dass Bill Miller ’ne Abschussliste brauchte. Unser Sender machte bloß kleinere Verluste. Ich glaub, die zahlte Billy-Boy aus der Portokasse. Der Saboteur nahm Bill unsere Senderschliessung und Entlassungen ab, verschaffte ihm sogar Ansprüche auf rechtlichen Schadenersatz.«
»Wenn Bill Miller diesen Saboteur also nicht beauftragt hat, müsste er ihm also danken«, resümierte Laszlo.
»Komische Sichtweise, aber eigentlich ja. Hätte Bill den Saboteur wirklich beauftragt, wäre er ein Risiko eingegangen. Und solche Risiken vermeidet Bill immer, sonst gäbe es V-Rock noch.«
»Stimmt, das ist logisch, das entspricht Bills Geschäftsphilosophie. Kommen wir wieder zu White Rose«, schwenkte Laszlo um.
»Ist auch besser, die Saboteurgeschichte hat schon Staub angesetzt. – Archivstaub …«, entgegnete Brian nüchtern. »Sally mag Rosen, deshalb der Bootsname. Und du erinnerst dich sicher noch, dass Rosenberg immer ein weißes Näschen hatte. Macht zusammen White Rose.«
Laszlo überdachte Brians humorvolle Erklärung; Ken Rosenberg hatte einst die rechtliche Vertretung von V-Rock, führte eine Anwaltskanzlei in Vice City. Jedoch lastete Ken der Ruf an, kriminelle Leute würden seine Kanzlei finanzieren. Mafiöse Banden, deren Haupteinnahmequelle der Drogenschmuggel war. Ob aber Bill Miller darüber Bescheid wusste, als er Ken anheuerte, blieb Bills Geheimnis. Brian äußerte nie etwas davon, zumindest nichts Stichhaltiges. Braungebrannt (mit schlohweißem Kurzbart) machte er den Eindruck eines urtypischen Florida-Rentners, dessen Dolphins-Baseballkappe seine ebenso braungebrannte Glatze verdeckte. Außerdem trug er ein Poloshirt, blau-rot quergestreift, sowie eine graue Freizeithose. – Die Hose und die schwarzen Bootsschuhe sahen abgenutzt aus. Laszlos verengte Augen gingen vom gutmütigen Gesicht zum langgestreckten Boot. Schon bei seinem ersten Besuch, vor mehreren Monaten, präsentierte ihm Brian das Schmuckstück. Sieben Meter lang, zweieinhalb Meter breit und knapp siebzig Zentimeter Tiefgang. Ideal für küstennahe Gewässer. Kajüte plus zwei weich gepolsterte Kojen. Sonnenliege auf dem Oberdeck. Modernste Navigationsinstrumente und bequeme Sessel für sechs Passagiere. Getönte, hochgezogene Windschutzscheiben vor dem Steuerrad. Schnell realisierte Laszlo, dass die Gendrons Haus und Boot strikt aufgeteilt hatten. Komfortabel waren ihr Haus und ihr Boot – sowie kostspielig.
»Was sagt Bill? Ich meine, wegen Pierce & Pierce.«
»Bill kennt Pierce & Pierce, aber ganz Vice City kennt die Brüder. Pierce & Pierce finanzieren hauptsächlich Bauprojekte.«
»Brüder?«, hakte Laszlo nach.
»Zwillingsbrüder, deswegen Pierce & Pierce«, informierte Brian. »Und beide so schwul wie rosarote Negerküsse.«
»Du meinst Schokoküsse …«, korrigierte Laszlo schmunzelnd, langsam Brians Entspanntheit beneidend. Den früheren Berufsstress schien Brian endgültig vergessen zu haben; Negerkuss durfte längst kein Reporter mehr schreiben.
»Wenn du es sagst. Mir fallen wesentlich diskriminierendere Dinge ein. Im Süden sowieso.«
»Einverstanden. Was sonst noch?«
»Pierce & Pierce ist ’ne Finanzgesellschaft, jeder kann ihre Geschäftsberichte ansehen. Da gibt’s überhaupt nichts Ungewöhnliches …«, führte Brian aus. »Das hätte ich dir auch selbst sagen können, ohne Bill.«
Laszlo vernahm jetzt doch eine Spur Gereiztheit in Brians Stimme: »Ist das alles?«
»Nein, aber Bill ist nicht Detektiv und gefährdet Freundschaften. Miller warnte mich, oder besser gesagt uns, dass Pierce & Pierce tabu wären. Schlafende Hunde – oder hier unten – schlafende Alligatoren. Verstehst du?«
Seit Laszlo die Idee erläutert wurde, Brian Gendrons Kontakte zu nutzen, fand er sie absurd. Er stieg aufs Motorboot, welches leicht schwankte. Blitzblank war das Boot geputzt. Frische Windstösse vom Ozean durchfuhren seine nach hinten gekämmten Haarsträhnen und seinen blonden Pferdeschwanz, welcher verstärkt graue Einschlüsse bekam. Wieso nutzten die Chinesen nicht ihre eigenen Kontakte? Zudem war er ebenfalls kein Detektiv, sondern bekannter Moderator einer Musikshow, ausnahmsweise auch Reporter. Bills Warnung machte aus einer ungeliebten Idee eine gefährliche Idee, kam es ihm vor.
»Kleine Spritztour, Laszlo?«
»Heute nicht mehr.«
»Du verpasst etwas, ich habe ’nen neuen Motor gekauft. Sind ’ne Menge Pferdchen drin.«
»Warum unterhielten wir uns nie über deine Abfindung?«
»Vermutlich, weil meine Kohle weg ist«, konterte Brian. »Sally hat meine Kohle und irgendein bescheuertes Computerprogramm hat meinen Job ... Ich vermiete sogar mein Boot, Touristen hat’s genug. Jeder kommt mal nach Vice City. Du bist das beste Beispiel.«
»Nicht freiwillig, Brian. Los Santos hat mindestens genauso viel zu bieten. Wäre ich bloß dem dämlichen Chinesen nie begegnet.«
»Mister Wu … Äh, wie war noch mal sein Name?«
Laszlos Augen inspizierten Brians hölzernen Bootsunterstand, zehn Meter entfernt, der einer Garage glich: »Wu Ze Mi, Leiter des Four Dragons Casino«, raunte er.
»Ich wusste noch, dass es ein Casinoleiter war. Nützte aber nichts, Bill hielt dicht, bis auf die Warnung.«
»Bill ist intelligenter als ich«, folgerte Laszlo.
»Denkt dieser Chinese, Bill wäre bescheuert? Wirklich Bill Miller, unser Medienmogul? Ich kann froh sein, dass er mir ’nen Termin gab. Ich möchte keine Scherereien, Laszlo, ich bin weg vom Schuss. Das Leben hat keinen Rückwärtsgang. Für Pensionisten sowieso nicht.«
»Verstehe, trotzdem danke. Du hast Haus und Boot auf einer hübschen Halbinsel, umringt von Palmen und Laubbäumen. Wer will mehr?«
»Ich nicht«, entgegnete Brian schnell. »Und Bill gab dir damals hervorragende Reverenzen. – Wärst du sonst bei WCTR reingekommen? Ich hab meine Zweifel, obwohl du gut gearbeitet hast. Am Debakel mit V-Rock warst du unschuldig.«
»Ich habe es diesem Chinesen gleich gesagt, dem sturen Schlitzauge.«
»Hat dich gelockt, nicht wahr?«
»So ähnlich.«
»Machen Sie Ferien in Vice City, besorgen Sie mir leichte Auskünfte, Mister Duchovny. Ich kann’s mir fast vorstellen. Faselte dieses Schlitzauge noch etwas von Wichtigkeit ...? Wahlkämpfe moderieren ist einfach, aber heikle Auskünfte einzuholen, über Fremde, ist schwieriger. Mister Wu Ze Mi überschätzte dich vermutlich etwas. Oder dachte, du bringst ihm Glück, weil Rosenberg den aussichtslosen Wahlkampf gewann. Alle Chinesen sind ziemlich abergläubisch«, fügte Brian hinzu.
»Die Dinge liefen anders. Gouverneur Bob Douglas Learjet schmierte ab, sonst hätte Rosenberg nie gewonnen ... Ken schlug nur den Ersatzmann. Das FBI ermittelt wegen dem Absturz.«
»Reife Leistung, Ken«, spottete Brian. »Fällt immer wieder auf die Füße, unser Rechtsexperte.«
»Stimmt. Ich glaube eher, Wu Ze Mi schickte mich deshalb los. Pierce & Pierce sollen Bobbys Wahlkampf kräftig finanziert haben, laut dem Chinesen.«
»Man sollte aber die Kirche im Casino lassen, wenn man dasselbe mit ’nem jüdischen Anwalt getan hat.«
Der Ratschlag seines alten Senderchefs brachte Laszlo zum Grübeln, und verhinderte eine sofortige Antwort. Bestimmt zog Brian Schlüsse aus der Bitte, Auskünfte über Pierce & Pierce einzuholen. Bill Miller sehr wahrscheinlich ebenfalls. Doch Bill und Brian waren so klug gewesen, im Gegensatz zu ihm, den Hintergrund seiner Anfrage zu erkennen, weswegen er die Warnung sowie den Ratschlag bekam. Das FBI war der Hintergrund. Ken Rosenberg gab vor drei Monaten, kurz nach seinem überraschenden Wahlsieg, selbst ein Interview bei WCTR, in dem Ken die FBI-Ermittlungen erwähnte und als notwendig bezeichnete. Flashpoint hieß die Show und wurde landesweit ausgestrahlt. Hatte Bill Miller ganz einfach dieses Interview mitverfolgt? Natürlich, Bill musste davon Kenntnis haben, das gehörte zum Job eines Medienmoguls. Sender und deren Nachrichten mussten im Auge behalten werden, damit man Bescheid wusste, falls jemand merkwürdige Auskünfte verlangte.
»Bist du okay?«
»Ja, Brian«, murmelte Laszlo abwesend. »Ganz Vice City kennt also Pierce & Pierce.«
»Fahr durch Vice City, ihre Verkaufsschilder sind überall. Hochhäuser, Neubauten, ganze Siedlungen verkaufen sie.«
»Aha«, raunte Laszlo.
»Ihre Werbung ist sehr beliebt«, ergänzte Brian.
»Essen ist fertig«, wies Sally hin.
Brian und Laszlo drehten sich um; Sally stand dicht dahinter, am niedrigen Gartenzaun, der das Grundstück vor dem Ufer begrenzte.
»Essen wir draußen, es ist ein so wunderschöner Abend.«
»Machen wir’s so«, stimmte Brian zu.
Laszlo nickte.
Tomatenspagetti und Fleischbällchen waren Sallys Menü. Auch den Gurkensalat hatte Cora Rodriguez schon mittags zubereitet und die Reste davon kaltgestellt. Ihr Hausmädchen kochte immer riesenhafte Portionen, da Cora aus einer Großfamilie stammte. Verschwommenes Dämmerungslicht durchzog mehr und mehr die farbenfrohen Wolkenbänke.
»Schmeckt’s?«
»Hervorragend, Sally. Ich bin aber kein so schweres Essen gewohnt.«
»Du kannst ruhig noch etwas sündigen. Deine Rippen vertragen noch etwas. Swamplake ist nicht Vinewood. Magersüchtige Models findest du hier bestimmt nirgends. Unsere Kinder …«
»Okay, Sally«, stoppte Brian sie. »Meine Frau bemuttert gerne unsere Gäste. Und unsere Enkel. Meine Kinder – na ja, du weißt vielleicht, wie das so abläuft. Verliebt, verlobt, verheiratet – ausgeflogen. Jeder muss selbst Erfahrungen sammeln, nicht wahr?«
Laszlo griff zum Brotkorb, nahm eine Scheibe Brot, tunkte das weiche Brot in die orange-rote Sauce und biss ab, wobei er die Augenbrauen zustimmend hob: »Denke schon, im Normalfall«, mampfte er.
»Ich zerbrach mir meinen Kopf, wegen deiner Bitte. Gut, dass wir das klären konnten. Freundschaften sind wie Perlenketten, sie sind hübsch, aber sie reißen oft. Abmachungen ebenso.«
»Dieses verschlafene Nest lässt dir also doch noch etwas mehr Zeit für Weisheiten ... Sind Kurznachrichten gestrichen?«, fragte Laszlo neugierig.
Brian lehnte sich zurück, sodass der grüne Gartenstuhl leise quietschte. Auch der runde Campingtisch wackelte: »Rosenberg, Miller und ich haben ’ne Abmachung. Ich pflege Abmachungen einzuhalten. Zeit spielt dabei gar keine Rolle. Rosenberg sollte das besser diesem Chinesen klar machen. Ich wette, davon hat Ken kein Wort verloren.«
»Ist mir unbekannt«, bestätigte Laszlo.
»Dann unterhalten wir uns nicht weiter über Archivstaub. Die 80er sind lang vorbei. Falls du aber trotzdem Auskünfte möchtest, solltest du die anderen Pierce-Brüder besuchen.«
Sally Gendron warf ihrem Ehemann einen giftigen Blick zu.
»Ich rate es dir zwar nicht, aber man soll junge Leute nicht aufhalten.«
»Andere Pierce-Brüder?«
»John, Samuel und Christoph«, antwortete Sally. »Drei … sagen wir Hinterwäldler.«
»Senklöcher des guten Geschmacks …«, korrigierte Brian. »Lange Bärte, durchlöcherte Kleider, struppige Haare, ungewaschen von Kopf bis Fuß. Deo ist ihr Fremdwort. Wollte nur helfen, war wohl ein schlechter Einfall.«
» – Wie viele Söhne hat dieser Pierce eigentlich?«, staunte Laszlo.
»Fünf Söhne, vier Töchter, aber Pierce Senior ist tot. Die Familie lebte weit draußen, dort wo Alligatoren gejagt werden. Wie gesagt, schlechter Einfall.«
»Naturburschen bleiben dort – andere gehen nach Vice City. Wir hatten mal ernste Probleme mit einem Alligator«, legte Sally dar. »John, Samuel und Christoph Pierce fingen dieses Biest.«
»Ja, Mister Gator glaubte, unser Rasen wäre sein Revier.«
»Verdammt kleine Welt, Brian. Doch weshalb sollten mir Hinterwäldler Auskünfte geben?«
»John, Samuel und Christoph sind zugänglicher, als die beiden rosaroten Vice-City-Pudel. Sagen wir gesprächiger, wenn es ums Geschäft geht. Du hast vielleicht ’ne winzige Chance, denn diese Naturburschen mögen ihre Zwillingsbrüder nicht allzu sehr.«
»Entschuldigung bitte, Familienangelegenheiten und gute Nachbarschaft kümmern meinen Mann genauso wenig«, rügte Sally. »Sein Gedächtnis ist relativ kurz, und wird erst dann wieder länger, wenn eines dieser Mordsbiester unseren Rasen besetzt.«
»Ehefrauen und Kammerjäger, kann man ohne sie leben?«
»Keine Ahnung, Brian, ich bin Single«, informierte Laszlo schmunzelnd. »Wie weit draußen ist das Haus der Pierce-Brüder?«
»Sehr weit draußen. Du müsstest über Feldwege fahren. Hab Zweifel, ob dein Buick den Weg schafft, Skylarks wurden für Highways konzipiert. Sag Mister Wu Ze Mi, er soll dir ’nen Geländewagen kaufen. Allrad, mindestens. Bleib bloß nicht im Sumpf stecken, Laszlo.«
Hörbar enttäuscht, kündigte Sally an: »Ich bringe gleich unseren Nachtisch. Pfirsichkuchen, Vanilleeis und Schlagsahne.«
Sobald Sally fort war, vermutete Brian: »Danach kannst du Spazierfahrten streichen, mein Freund. Du kannst froh sein, wenn du überhaupt noch aufstehen kannst. Coras Pfirsichkuchen ist großartig.«
Der opulente Nachtisch durchkreuzte endgültig Laszlos Plan, am Abend zurückzufahren; es wäre unhöflich gewesen, das Dessert abzulehnen. Zudem gab es da noch die hinterwäldlerischen Pierce-Brüder, welche von Swamplake aus sicher einfacher aufzuspüren waren. Als er ankam, veranstaltete Sally bereits eine Gästeführung durchs Haus, dessen weiße Marmorfußböden, stilechte Designermöbel und neuste Klimaanlage sein gewohntes Hotelzimmer mühelos schlugen. Cape Palmwood konnten wir günstig übernehmen, erklärte ihm Brian dabei, weil ein Swimmingpool fehlt und niemand gerne Treppen steigt. Blödmänner gehen lieber ins Fitnessstudio. Wir mussten nur die Garage umbauen, früher baute man kleinere Karren, aber bessere Karren. Unser Vorbesitzer zog in ’ne Alterssiedlung ... Shady Acres, oder so ähnlich.
Laszlo beschloss, Sallys Einladung anzunehmen, die Nacht über hierzubleiben und erst Morgen zu fahren. Wohin ließ er offen; ein klärendes Telefongespräch mit dem Chinesen wurde nötig, um sich zu vergewissern. Sollte ihm doch Wu Ze Mi das weitere Vorgehen erläutern, der ihm diesen Stuss eingebrockt hatte – er konnte nicht ewig Ferien vom Sender nehmen.
2
Laszlo steckte das Handy wieder in seine Sportjacke zurück. Der Concierge des Green-Room-Hotels klang erleichtert, als er ihm von seiner Verspätung berichtete. Ein paar Stunden mehr, und das Hotelzimmer wäre weitervermietet worden. Auch mit einer Anzeige wegen Zechprellerei hätte er rechnen müssen, denn die Frühlingsferien lockten Scharen von College-Studenten an, die gierig nach freien Hotelzimmern verlangten. Zuerst hatte er Wu Ze Mi angerufen, vielleicht war schon da die Reihenfolge falsch, der höchst unerfreut am Telefon klang, wegen den ausbleibenden Ermittlungserfolgen. So könne er den Auftrag nicht erledigen, rügte ihn der Chinese, und hoffentlich würden ihm John, Samuel und Christoph etwas Neues erzählen. Dann rief er diese Hinterwäldler an, Brian hatte ihm ihre Telefonnummer gegeben, bevor er wegfuhr, samt einem Strassenplan, doch niemand nahm das Telefon ab. Und jetzt endete Swamplakes gut asphaltierte Hauptstrasse vor einer Art dichtem Buschland: NATURSCHUTZGEBIET stand geschnitzt auf einem riesigen Baumstamm, verwittert im Gras liegend.
Er hatte keine Ahnung, was für Regeln und Gesetze galten, sobald er das Naturschutzgebiet betrat oder befuhr. Falls er erwischt würde, plante er den dummen Tourist zu spielen. Bloß nicht kompliziert werden, das verstünde sowieso kein hinterwäldlerischer Bulle. Links und rechts führten Feldwege ins urwaldähnliche Dickicht und bildeten Gassen. Den rechten Weg ostwärts müsse er nehmen, sagte ihm Brian, müsse immer das Auto benutzen und nur notfalls verlassen. Gefährliche Viecher gäbe es dort überall und manchen begegne man besser hinter schützendem Glas.
Anfangs kam er auch recht zügig voran, bis immer öfters Schlaglöcher auftauchten und der Feldweg nasser wurde. Braunes Schmutzwasser füllte die meisten Löcher, deren klebrige Schlammspritzer die Stossstange, Reifen sowie die Kotflügel hässlich einfärbten. Unkraut und Blumen wucherten zwischen den Schlaglöchern. Hinter sich sah er seine tiefen Reifenspuren, während die Federn des schaukelnden Leihbuicks metallisch knirschten. Dann kamen gelegentlich Waldlichtungen, an denen er im Schritttempo vorbeifuhr, und Ewigkeiten schienen so zu vergehen. Wenn jetzt dieser Wagen schlapp machte, konnte alles Mögliche passieren, dachte er. Alles Mögliche, aber nichts Gutes. Laszlo betete kurz, dass der Motor nicht überhitzte. – Warum hatte ihn Brian nicht einfach per Boot zum Haus der Pierce-Brüder hingefahren? Das Grundstück auf dem Strassenplan grenzte ans Wasser und wäre vom Wasser aus wesentlich leichter zu erreichen. Vogelgezwitscher und die Rufe wilder Tiere hallten ununterbrochen durch das Dickicht. Die Schatten der Laub- und Nadelbäume wurden länger, der Sumpfgeruch intensiver. Menschenleer und verlassen kam ihm diese Gegend vor; hier draußen regierte Mutter Natur.
Hohe Gräser und Zypressenbäume begrenzten nun den Wegrand, der für Laszlo das Prädikat Feldweg längst verloren hatte; eigentlich waren es nur noch festgestampfte, unebene Matschspuren, die so etwas wie eine Strasse andeuten sollten. Er starrte auf Brians Plan; er versuchte sich neu zu orientieren. Bald müsste eine weitere Abzweigung kommen, rechts nach Süden, und dieses Mal müsste er sie nehmen, durfte nicht daran vorbeifahren.
Neben einer Gruppe von dürren Kiefern fand er schließlich die Abzweigung. Überraschenderweise war der neue Weg viel besser gepflegt und größere Schlaglöcher fehlten. Laszlo kam wieder schneller voran, er sah ein Blechschild entgegenkommen, das man an einen Fichtenstamm genagelt hatte: PIERCE RANCH. Mit schwarzer Ölfarbe malte einst jemand die undeutlichen Buchstaben auf das rostige, verbeulte Schild, doch das musste schon Jahre her sein. Nach dem Schild wurde der urwaldähnliche Wald immer lichter und Holzstapel lagerten nahe am Weg. Zivilisation, dachte Laszlo. Plötzlich kamen grasgrüne Wiesen, kleinere Häuser, eine idyllische Bucht und Bootsstege, so als hätte man diesen Ort aus dem Urwald herausgeschnitten.
Kein Mensch begrüßte ihn.
Vorsichtig stoppte Laszlo den Buick, stieg aus und spürte erst richtig die Mittagshitze. Kaum lief er zur nächstgelegenen Veranda, perlten Schweißtropfen über seine Stirn. Bestimmt fünfunddreißig Grad, vermutete er. Der Rotluchs erschreckte ihn, welcher auf der Veranda hindöste. Brian sagte ihm gestern, dass Luchse in den Sumpfwäldern lebten, jedoch meist scheue Tiere wären. – Und jetzt lag ein solch scheues Tier direkt vor ihm und blinzelte ihn schläfrig an. Für Laszlo blieb die Wildkatze trotzdem gefährlich und ihr merkwürdiges Verhalten änderte daran wenig. Könnte das Tier irgendeine Krankheit haben? Vielleicht Tollwut? Mehrere Sekunden wagte er sich nicht zu rühren, stand stocksteif da.
»Hey, Mister …!«, hörte er eine Frauenstimme. »Rusty ist zahm. Na los, Rusty beißt niemanden.«
Ängstlich schlich Laszlo an dem Kater vorbei zur geschlossenen Moskitotüre. Erleichtert trat er ins Haus. Das solide, flache Gebäude hatte eine nette, sympathische Inneneinrichtung, samt ebensolchen Möbeln. Besonders die lederne Couchgarnitur gefiel ihm, auf der die Frau saß, welche er zuvor hörte. Ihre nackten Füße zierten grellpink lackierte Nägel. Offensichtlich erst kürzlich lackiert, denn sie bearbeitete gerade ihre Fingernägel. Sie schien zierlich und jung zu sein. Neugieriges Lächeln sowie eine leichte Belustigung prägten ihr ländliches Teenagergesicht. – Sie trug als Hotpants zugeschnittene Blue Jeans, ausgefranst, sehr eng und kurz. Darüber ein kanariengelbes T-Shirt, und sonst nichts. Lange, strohblonde Zöpfe umspielten die Schultern. Silbern glänzte ihr dünner Nasenring, links im hübschen Nasenflügel.
»Na, Mister, wollte Rusty Katzenfutter?«, gluckste sie, sodass der volle Busen unter dem T-Shirt wackelte.
Das Letzte, mit dem Laszlo gerechnet hätte, seit ihm Brian von den Hinterwäldlern erzählte, war eine attraktive Bauerntochter: »Also gehört Rusty Ihnen?«
»Klar, Rusty ist harmlos«, antwortete das Mädchen, steckte den Nagellackpinsel zurück ins Fläschchen, blies die Fingernägel trocken und betrachtete Laszlo auffordernd.
»Verzeihung, Duchovny, Laszlo Duchovny. Bitte verzeihen Sie meine Störung.«
»Pa jagt, Ma ist auswärts. Einkaufen, glaub ich. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich wollte Sie anrufen, aber niemand nahm ab, Miss …?«
»Samantha, meine Freunde nennen mich Sammy.«
»Samantha Pierce, richtig? Heute wohl schulfrei.«
»Genau, Mister Duchovny. Ganz genau …«, bestätige Samantha und legte das Nagellackfläschchen zu einer Packung Luckys und einem Aschenbecher. Dann kramte sie relativ unbeholfen eine Zigarette aus der Schachtel auf dem niedrigen Stubentisch. »Ich rauche, wenn Ma weg ist. Ma nervt. Feuerzeug …?«, fragte sie sich selbst, tastete hinten über ihre engen Jeans.
Laszlo genoss zuerst Samanthas Sucherei, hätte liebend gerne selbst die hautengen Jeans untersucht, bis sie nichts fand; Teenager beschäftigten meist andere Dinge, als Sachen ordentlich zu verstauen. Vor zwanzig Jahren war er ähnlich gestrickt. – Erinnerungen an verwahrloste Schlaf- und Wohnzimmer wurden deutlicher. Er rauchte zwar keine Zigaretten mehr, jedenfalls nicht mehr regelmäßig, doch ohne Feuerzeug herumzulaufen, das wäre unprofessionell; Musiker pafften wie Schlote und verlangten öfters im Studio Feuer vom Moderator. Interviews wurden immer besser, lockerer, durch Zigarettenqualm. Schnell, fast reflexartig, streckte er Samantha sein goldenes Feuerzeug entgegen. Ihr strahlend lächelndes Gesicht sagte ihm, dass er das Richtige tat, und dass es von ihm erwartet wurde.
Die Zigarette zwischen den Lippen anzündend, murmelte Samantha: »Mmph …«
»Laszlo, Samantha, okay?«, erwiderte Laszlo.
»Mmph … danke … mmph … echter Gentleman. Ja, Mist… gut, o-k-a-y«, stimmte Samantha zu, und betonte ihr Okay in einem gedehnt geschmeichelten Tonfall, der nach Aufmerksamkeit verlangte.
Laszlo hörte diesen Tonfall oft, welchen Musik- und Filmstars schnurstracks bekamen, sobald sich jemand für ihr Privatleben oder ihre Karriere interessierte. Laszlo mochte diesen Tonfall und lächelte zurück.
»Bitte sehr …«, fuhr Samantha fort, sie deutete zum hellbraunen Ledersessel der Couchgarnitur, auf der gegenüberliegenden Seite des Stubentischs. Nummer zwei und drei bedeckten viele Modemagazine, Frauenschuhe, eine offene Handtasche, und darin, kaum richtig sichtbar, das ominöse Feuerzeug, Schminke sowie eine Haartönung.
»Danke«, meinte Laszlo Platz nehmend; der Sessel war breit, tief, weich und bequem. »Ich wollte ursprünglich deinen Vater sprechen oder sonst Verwandte. Wie heisst dein Pa?«
»Alle nennen meinen Pa Sam. Du bist nicht aus unserer Gegend, alle Leute kennen meinen Pa. Bist du Jäger?«
»Sam? – Natürlich, Samuel«, kombinierte Laszlo. »Nein, ehrlich gesagt nein, weder aus eurer Gegend noch ein Jäger. Normalerweise bin ich Moderator ... Ich mache sozusagen Urlaub.«
»Moderator, echt? Cool! Ich traf noch nie ’nen Moderator«, reagierte Samantha fasziniert.
Bei ihrem jugendlichen Überschwang fiel Laszlo ein, dass er seine Visitenkarten vergessen hatte und den Presseausweis. Er konnte keine seiner Behauptungen beweisen. Ein junges Mädchen mochte ihm glauben, aber deren Eltern? Dies würde sein Vorgehen beeinflussen, und seine Chancen etwas zu erfahren. Sonderlich detaillierte Fragen fielen damit weg. Das musste an dieser Hitze und Luftfeuchtigkeit liegen, wenigstens hatte er seinen Führerschein eingesteckt. Zudem war unklar, ob ihn Samuel Pierce ebenso umgänglich behandeln würde, wenn Pa von der Jagt heimkam und Töchterchen Samantha mit einem Fremden antraf. Dasselbe galt für Mama Pierce. Mist, er gab Samantha sogar Feuer. Einem Teenager! Woher wusste er, dass Samantha dicht hielt und es nicht ausplapperte? Immerhin nahm sie lange Züge und blies den Zigarettenrauch provokant quer durchs halbe Wohnzimmer. Jeder könnte ihre Zigaretten riechen, und Ärger wäre vorprogrammiert. Würden ihn Pa oder Ma nicht einfach rausschmeißen?
»Ist was?«, unterbrach Samantha seine trüben Gedanken. »Oh, klar, du bist durstig …«, spekulierte sie schmunzelnd, blickte dabei verständig zur Walnussbar neben dem Grossbildfernseher.
Ihre schlechten Angewohnheiten betrafen also nicht nur Zigaretten, bekam Laszlo den Eindruck: »Mineralwasser, bitte. Ich muss noch fahren.«
Samanthas Überschwang reduzierte sich, ihr hübsches Gesicht und dessen azurblaue Augen sahen nüchtern aus, so ähnlich wie jetzt ihre Stimme klang: »Wir haben bloß Eiswasser. Limonade vielleicht? Cola?«
»Eiswasser ist okay«, antwortete Laszlo schnell. »Ein Glas genügt.«
»Komm gleich wieder«, informierte Samantha aufstehend, dann streckte sie, als hätte sie lange geschlafen und müsse nun doch etwas tun, ihre Arme und ihren Oberkörper. Sie schlenderte zur Küche davon.
Laszlo hörte sie die Kühlschranktüre öffnen, und das Klirren von Eiswürfeln in einer Glaskaraffe oder einem Glaskrug. Er hatte tatsächlich Durst, denn sein letztes Getränk war morgendlicher Milchkaffee gewesen, zirka vier Stunden her, mahnte ihn der trockene Gaumen. Sally Gendron bot ihm vor seiner Fahrt eine Wasserflasche an, doch die lehnte er ab. – Unnützer Ballast, dachte er. Solange dein Handy funktioniert, Laszlo, mache ich dir keine Vorschriften, legte ihm Brian dar. Irgendetwas mit Klugscheißer antwortete er, was ironisch gemeint sein sollte. Allerdings kontrollierte er sein Handy nicht; der Pensionist Brian könnte von ihm aus fischenden Touristen Befehle geben. Die normale Verabschiedungs-Litanei folgte.
»Wir könnten auch ’ne Melone teilen.«
Samanthas Angebot klang verführerisch, Laszlo beharrte jedoch: »Nein, danke, Eiswasser genügt«, wobei Samantha leise Oh raunte und ihm der Ausdruck frühreifes Früchtchen einfiel. Unter anderem. Bestimmt verzierte ihr Name diverse Jungen-Klos ihrer High School, spekulierte er, und er konnte fast die dazugehörenden, unanständigen Zeichnungen auf den Türen sehen. Solch wilde Mädchen waren berüchtigt und hatten allerspätestens auf dem College eine Tausend-Dienstleistungen-Medaille über dem Bett hängen. Nicht aus Gold, aber goldfarbig, und das Medaillenemblem wäre eben eine dieser Tür-Zeichnungen.
»Eiswasser, Sir«, betonte Samantha leicht spöttisch und gab Laszlo ein beschlagenes Glas. Danach nahm sie, immer noch barfüßig, wiederum Platz. Rechtshändig hielt sie eine kleine Colaflasche, nippte daran und wollte wissen: »Zufrieden?«
Laszlo trank Eiswasser und nickte: »Fabelhaft. Dürfte ich Fragen stellen, solange deine Eltern nicht Zuhause sind? Ich meine, rein beruflich.«
»Klar, plaudern wir.«
»Danke, Samantha. Man sagt, dein Vater jagt Alligatoren. Ich hätte vielleicht Interesse, einige Reportagen zu machen. Das könnte interessant werden. Unsere Hörer lieben solche Reportagen.«
»Radio?«
»Eh, ja, Radio. Viele Leute denken sofort ans Fernsehen, wenn man Moderator sagt. Aber WCTR sendet landesweit. WCTR ist kein schwacher Regionalsender. Westküste oder Ostküste, Liberty City oder San Fierro, überall kannst du WCTR empfangen.«
Samanthas Gesicht gewann wieder jugendlichen Enthusiasmus. Sie beugte sich näher zum Stubentisch, sodass ihr voller Busen das gelbe T-Shirt nach unten ausbeulte, stellte die Colaflasche darauf, verharrte einige Augenblicke, und lehnte sich gemächlich zurück. Dann zog sie die Beine hoch und saß abgewinkelt da: »Echt jetzt ...? Geil!«, folgerte sie, ihre glimmende Zigarette linkshändig haltend. Noch bevor Laszlo eine Antwort herausbrachte, nahm Samantha einen genüsslich tiefen Zug: »Landesweit! Wow!«, fügte sie hinzu, den Rauch dabei ausstoßend.
Heilige Scheisse! Konzentrier dich, dachte Laszlo und versuchte seinen Kopf so frei zu kriegen. Das Eiswasser kühlte seine Kehle, und er hoffte, dass es ebenfalls seine pochenden Lenden kühlen würde. Der Zitronenschnitz darin gab dem Wasser eine erfrischende Note. Schweißflecken färbten sein Hemd dunkel und inzwischen roch er ziemlich pikant. Offenbar mochte Samantha die Hitze, denn eine Klimaanlage lief nicht. War eine Klimaanlage überhaupt eingebaut? Der Buick war jedenfalls kühler gewesen.
Samantha legte ihren Zigarettenarm auf die obere Couchlehne: »Alligatorenjagd, hä? Mein Pa weiß ’ne Menge vom Jagen, von Gators. Mir sind diese Biester unheimlich. Werden verdammt groß, verdammt unfreundlich. Du fragst am besten meinen Pa.«
»Wann wird dein Pa heimkommen?«
»Könnte spät werden«, vermutete Samantha, sie kringelte einen ihrer Zöpfe um den Zeigefinger. »Manchmal fressen Gators jeden Köder, manchmal gar keinen. Sind ganz schön launig, sagt mein Pa ... Launige Alligatoren kosten echt viel Zeit. Äh, das Einfangen.«
»Und deine Ma?«
»Ma kommt sehr spät. Einkaufen ist Mamas Lieblingsbeschäftigung. Ich spiel solang Babysitter.«
»Für Rusty?«
»Nein, fürs Haus. Willst du keine Notizen machen …? Wie machst du Reportagen?«
»Ich merke mir wichtige Dinge«, erklärte Laszlo, worauf Samantha erneut sonnig und strahlend lächelte. »Wie funktioniert die Alligatorenjagd?«
Entschlossen drückte Samantha ihre Zigarette im Aschenbecher aus: »Wir haben Plaketten.«
»Ich brauch schon ein bisschen mehr Kontext«, appellierte Laszlo unverständig.
»Bist du nebenamtlich Lehrer? Was heisst Kontext? Ich hab’s dir doch gesagt, ich hab schulfrei. Heute kann mich die Schule …«, stoppte Samantha missfällig, zupfte statt einem Schimpfwort am Haarzopf und warf ihn genervt über ihre Schulter.
»Entschuldigung«, raunte Laszlo erstaunt.
Die Schule schien ein wunder Punkt zu sein, spekulierte er. Hütete Samantha wirklich freiwillig das Haus, während einem heißen Wochenende, an dem alle Teenager Spaß haben wollten? Könnte sie Hausarrest absitzen und wäre Mama Pierce deswegen Einkaufen gegangen? War das wilde Mädchen unartig gewesen? – Oder irrte er sich, und nicht die Schule war der wunde Punkt, sondern ihre Schulbildung? Solche Hypothesen liefen auf nichts hinaus, lenkten ihn nur ab, so wie es Samantha bereits genügend tat: »Ich meine, für was braucht man diese Plaketten?«
»Oh Mann, fürs Jagen!«, trötete Samantha belustigt. »Jeder in Swamplake kennt Jagdplaketten.«
»Ich bin … okay, und weiter?«
»Jeder tote Alligator kriegt ’ne Plakette. Copeland macht Stichproben.«
»Copeland?«
»Sheriff Copeland, klar …? Die Parkverwaltung sagt Copeland, wann Stichproben fällig sind. Reiner Schwachsinn«, winkte Samantha ab.
»Warum?«
»Swamplake hat keine Wilderer. Du kriegst jedes Jahr ’ne bestimmte Anzahl Plaketten. Du hast sechs Monate Zeit, manchmal auch weniger, deine Plaketten zu verbrauchen. Pa und seine Brüder sind die Einzigen, denen die Parkverwaltung Plaketten gibt. Darum sind Stichproben Schwachsinn«, schloss Samantha.
»Sie haben also ein Exklusivrecht.«
»Klar, schon mein Opa jagte Alligatoren. Besonders gross ist das Naturschutzgebiet nicht. Wilderei lohnt sich höchstens in den Everglades. Dort gibt’s ’ne Menge Gators.«
»Werd’s mir vielleicht mal anschauen.«
»Aber probier’s nicht mit deiner Karre, im Sumpf fahren Quads oder Boote«, informierte Samantha. »Hast du echt niemanden gefragt? Solltest du aber, deine Karre schnauft übler als ’ne schwangere Kuh, schon von weit weg.«
Laszlo verstand langsam Samanthas unüberraschte Begrüßung; der Buick hatte ihn lautstark angekündigt und wahrscheinlich beobachtete ihn Samantha bei der Hinfahrt neugierig aus dem Elternhaus. – Ja, es musste Hausarrest sein: »Ist ein Mietwagen.«
»Ich wollte nicht dumm rumpöbeln«, versicherte Samantha gegenteilig schmunzelnd. »Ich wollte nicht frech über deinen Mietwagen sprechen.«
»Du hast Recht, nächstes Mal nehm ich den Wasserweg. Boote sind besser geeignet. Brian und Sally haben mich vorgewarnt.«
»Die Gendrons?«, staunte Samantha.
Verwundert bestätigte Laszlo: »Brian und Sally, Freunde von mir. Du kennst sie?«, fragte er.
»Mein Pa und seine Brüder kennen die Gendrons. Ich seh sie gelegentlich in Swamplake, wenn Ma ins Shoppingcenter geht.«
Samanthas Erklärung klang gelogen, fand Laszlo, wenigstens teilweise. Guten Moderatoren fielen Flunkereien auf und er hielt sich für einen guten Moderator. Gewöhnlich hätte er jetzt punktgenaue Fragen gestellt, die den Interviewpartner irgendwann gezwungen hätten, wahre Fakten preiszugeben. Sicher einer der Gründe, weshalb ihm Mr. Wu Ze Mi diesen Auftrag eigentlich gab. Zwar sollte er Auskünfte einholen, doch von diesen Auskünften sollten später Enthüllungen gemacht werden. Enthüllungsjournalismus, eine Steigerung und Profilierung der Moderatorenkarriere. Dafür bekam man Pulitzerpreise. Der Chinese erwähnte es jedenfalls wohlwollend. Und weil diese Enthüllungen einen Gouverneur betrafen, und dessen Wahlkampffinanzierung, könnte dieser Fall das Sprungbrett sein, das ihn zum Fernsehen brachte. Möglich, dachte er, durchaus möglich. Quizshows moderieren, unverschämt viel Kohle kassieren und nebenbei Wettermäuse flachlegen. – Nebenamtlich, wie es Samantha bezeichnete. Dazu durfte er jedoch den notgeilen Teenager nicht mit so unangenehmen Fragen erschrecken, darum würde er die Gendrons ausblenden: »Okay … Zufälle gibt’s, man glaubt’s kaum. Die Gendrons haben mir deinen Pa und deine Onkel empfohlen, falls ich etwas über Alligatoren wissen will. Brian war mal mein Chef, doch wir haben keinen engen Kontakt mehr.«
»Okay«, erwiderte Samantha, wobei Laszlo eine gewisse Erleichterung hörte, ihr Körper verlor Anspannung. Ebenso rasch verging die sichtbare Nervosität ihres Gesichts und ihrer Augen.
»Wer zählt diese Jagdplaketten? Kann man nicht selbst welche machen?«
»Kannst du«, bestätigte Samantha. »Du würdest aber früher oder später erwischt ... Sheriff Copeland würde deinen Jagdschein einziehen. Jeder Käufer muss Meldung machen, dem du Gators verkaufst, muss alle Plakettennummern der Parkverwaltung melden.«
»Aha, cleveres System. Lebt deine ganze Familie von der Jagd?«
»Wir kommen klar ... Alligatorleder verkauft sich von selber.«
»Man muss diese Biester also bloss erwischen«, resümierte Laszlo humorvoll, was zur Auflockerung des jungen Mädchens und zur Vorbereitung seiner nächsten Frage dienen sollte.
»Du sagst es. Man muss jede Gelegenheit nutzen«, murmelte Samantha, hob dabei elegant ihre linke Hand, welche kurz einen Abdruck auf ihrem glatten Oberschenkel hinterliess, und betrachtete die pinken Fingernägel: »Sind schön geworden.«
»Bin leider kein Spezialist für Fingernägel«, antwortete Laszlo ausweichend. Tief im Kopf formulierte er Samanthas nächsten Satz: Du musst gar kein Spezialist sein. Und er bemühte sich, dem Satz zuvorzukommen: »Pierce ist relativ weit verbreitet. Ich las Schilder mit eurem Familiennamen. Pierce & Pierce verkaufen Häuser in Vice City.«
»Mike und Dan sind meine Onkel. Verlorene Söhne, sagte Opa, als ich noch ganz klein war. Mein Pa sagt, schwarze Schafe. Sie sind einflussreiche Leute in Vice City, soviel ich weiss.«
»Schwarze Schafe, weil sie keine Alligatoren jagen?«
»Nein, Laszlo, nein. Mike und Dan sind schwul. Jeder in unserer Familie weiss darüber Bescheid. Manche haben etwas dagegen. Ich aber nicht«, ergänzte Samantha.
»Finde ich gut. Ich habe vermutet, dass Pierce & Pierce vielleicht auch in Swamplake Geschäfte machen. Könnten deine anderen Onkel davon nicht profitieren?«
»Weiss ich nicht«, entgegnete Samantha bestimmt. »Wen kümmert’s? Ist nicht so tragisch. Ostern treffe ich Mike und Dan, Thanksgiving, Weihnachten, sonst nie. Stellst du mir auch in deiner Reportage Fragen?«
»Ich versuche es ... Deine Meinung könnte unser jüngeres Publikum interessieren. Du könntest jüngere Hörer motivieren.«
»Wow, echt cool! Das wollte ich schon immer ... In Vice City? Swamplake ist so langweilig.«
Bravo, hast voll reingegriffen, haderte Laszlo, und seine selbstkritischen Gedanken führten dazu, eine Kuckucksuhr anzustarren, kurz vor drei Uhr. Es war ein billiges Imitat aus Plastik. Schaffte es der Buick überhaupt noch, bis zurück nach Swamplake? Oder schaffte er es überhaupt noch länger, Samantha zu widerstehen? Beiderlei Möglichkeiten brachten Ungemach, doch die Erstere bedeutend weniger: »Ich muss leider los«, drängte er. »Für Reportagen müssen Vorbereitungen getroffen werden. Mikrofone, Bandgeräte und der ganze Kram. Sobald alle Vorbereitungen getroffen sind, telefoniere ich. Wir vereinbaren einen Termin.«
»Versprochen?«
»Versprochen, Samantha, natürlich«, beteuerte Laszlo, erhob sich mühsam vom tiefen Sessel, schüttelte ihre entgegengestreckte Hand und liess nette Abschiedsworte folgen.
Der Buick sprang Gott sei Dank gleich an.
1
Das Dämmerlicht störte Laszlo, obwohl er mit geschlossenen Augen und heruntergezogenen Jalousien im Hotelbett lag. Die grellen Sonnenstrahlen waren einer der wenigen Nachteile des Green-Room-Hotels. Zumal, wenn man erst um vier Uhr morgens ins Bett gefallen war und ausschlafen wollte. Verdammte Hinterwäldler, verdammter Buick, verdammterChinese, dachte er müde. Er presste das weiche Kopfkissen über sein Gesicht und beide Ohren. Dem Licht zufolge hatte er ausgiebig geschlafen – trotzdem fühlte er sich erschöpft. Vor dem Hotel (an der Südseite) verlief eine Flaniermeile, ein Parkplatzstreifen, und die Ocean Road, stets gut befahren und angefüllt mit quirligem Leben, dessen Geräusche auch die schalldichten Fenster nicht ganz unterdrücken konnten. Nach der Ocean Road kam ein weiterer Parkplatzstreifen, eine Graswiese samt Palmen, dichte Büsche, ein Strandweg, und die langgezogene Washington Beach. Wirklich langgezogen, denn der Sandstrand und die Ocean Roadmile waren jeweils der längste Strand sowie die längste Strasse von ganz Vice City. Washington Beach galt ausserdem als derTouristenmagnet. Geniessen Sie Ihren Urlaub, Mister Duchovny, bringen Sie mir diese wichtigen Auskünfte, hörte er den Chinesen, dann brach die Erinnerung ab. Nun, sein Hotelzimmer passte zum Urlaub, sein Auftrag sicher nicht. Mürrisch warf er das Kopfkissen auf den grünen Plattenboden, rollte zur Bettkante, kratzte mehrere Stellen am Oberkörper sowie Haarschopf, und hockte überlegend da. Bad oder Dusche? Zimmerservice oder Essen gehen? Den Chinesen anrufen oder eine Show ansehen? Jedenfalls würde er etwas Kostspieliges machen, das hatte er sich verdient, wegen den Sumpfstrapazen. Elender Morast! Laszlo’s Hand reckte hoch, bereit, seinen Mittelfinger noch höher zu recken, als das Telefon schellte: »Hallo?«
»Wo treibst du dich rum?«, keifte eine Frau laut.
Laszlo hielt den Hörer kurz vom Ohr weg.
»Ich arbeite mich dumm und dämlich ...! Warum gibt dir WCTR ständig Ferien? Mach ich jetzt auch deinen Job?«
»Lianne, bist du das?«, murmelte Laszlo fragend.
»Wer sonst?«, zischte Lianne Reece. »Moderierst du noch woanders? Erledigt jetzt noch ’ne andere Schnepfe deinen Scheissjob?«
»Nein, es ist …«
»Flashpoint ist anstrengend genug. Deine Ferienvertretung ist reiner Kommunismus, will heissen, es funktioniert nur theoretisch. Praktisch werde ich Clut bitten, selbst bekiffte Rapper zu interviewen.«
Bitten, bedeutete bei Lianne, dass sie Clut Beauford ein Ultimatum stellen würde. Lianne war grundsätzlich eine taffe Geschäftsfrau, diesen Eindruck vermittelte Reece fast allen Männern, die ihr begegneten. Und als Laszlo seinen neuen Job anfing, bildete er keineswegs eine Ausnahme. Ihre Geschäftsuniform waren perfekt zugeschnittene Hosenanzüge; er hatte sie nie in einem Rock oder Minirock gesehen. Oder mit irgendeinem Lippenstift, welcher Liannes dünne Lippen verschönt hätte. Dazu kam immer eine gerade Körperhaltung, ähnlich einer Bohnenstange, was teilweise aggressiv wirkte, und von ihrer harten Stimme unterstützt wurde. Sie sprach bevorzugt Sätze, denen Lianne einen scharfen Unterton hinzufügen konnte, wobei Reece nur allzu gerne erwähnte, völlig unabhängig und republikanisch zu sein. Weil Laszlo keine politische Präferenz angab, hielt sie ihn für einen Verlierer. Es musste sie ziemlich aufreiben und ärgern, für einen Verlierer die Ferienvertretung zu übernehmen. Mehrmals, ausserplanmässig, ohne triftige Gründe. In einer Sparte, welche Lianne Reece nutzlos fand. Musik, das ist Verschwendung unserer Sendezeit, verspottete sie Laszlos Musikshow. WCTR sei ein Nachrichtensender, basta! Den Ausdruck lernte sie zweifellos von ihrem italienischen Ehemann. Leider war Lianne äusserst beliebt beim Publikum und Clut teilte (abgemildert und weniger radikal) ihre politische Einstellung, was Laszlo wirklich in eine Zwickmühle brachte: »Clut soll Rapper interviewen?«
»Blöder Hammel …! Clut soll jemanden engagieren. ’Nen Profi, kapiert?«
»Rastest du jetzt wegen lausigen Überstunden aus? Zahlt Ammu Nation plötzlich Riesengehälter?«
»Du wirst es merken, wenn ich ausraste«, murrte Lianne verärgert. »Fünfzig Stunden, Blödmann. Arbeitest du fünfzig Stunden am Stück?«
»Nein, aber du hast zwischendurch Pausen. – Ich könnte deine Show auch ’ne Zeitlang moderieren.«
»Red keinen Stuss! Politik erfordert Talent, Laszlo, so wie meine Show. Weshalb schickt Clut dich nach Vice City? Ich bin die Expertin.«
Schlaftrunken merkte Laszlo langsam, dass Lianne den eigentlichen Urlaubsgrund von ihm wissen wollte. Sie witterte eine gute Story meilenweit, und sie hatte eindeutig Witterung aufgenommen. Ihre Drohung, Clut einen Profi für seine Show anstellen zu lassen, die war nur ein Vorwand. Vielleicht hatte sie Clut sogar längst befragt, das würde sie als allererstes tun, schätzte Laszlo, und war auf Granit gestossen. Eine Zwickmühle bestand also gar nicht, sonst hätte Clut ihm selbst angerufen. Seine sogenannten Urlaube, drei hintereinander, machten sie misstrauisch. Schon beim ersten fragte Lianne, den frisch gewählten Gouverneur, Ken Rosenberg, ob Zusammenhänge zum gewonnenen Wahlkampf bestünden. Ken verwies sie auf interne Senderabläufe, von denen er nichts wisse. Beim ersten Urlaub glaubte sie das wahrscheinlich noch, aber nicht mehr beim dritten. Der Chinese nahm ihm und Clut Beauford das Versprechen ab, mit niemandem den Grund des Urlaubs zu besprechen, dafür übernahm Mr. Wu Ze Mi sämtliche Unkosten. Sollten er und Clut dagegen handeln, schicke ihnen das Four Dragons Casino eine saftige Rechnung; Laszlos geliehene Kreditkarte lief auf den Namen des Casinos. Und Rechnungen eines Triaden-Casinos bezahlte man besser gleich, egal, wie hoch diese auch waren.
»Sicher, du bist die Politikexpertin …«, bestätigte Laszlo. »Die beste Politikexpertin unseres Senders«, lobte er. »Dir kann niemand etwas vormachen.«
»Schmier mir keinen Honig ums Maul, Pferdeschwanz. Es geht doch um Bobbys Flugzeugabsturz?«
»Falsch – völlig falsch. Clut hätte eindeutig dich geschickt, wenn es um Bob Douglas ginge. Politik ist dein Ding, mir fehlt darin jede Erfahrung. Es geht um meinen alten Sender.«
Einige Sekunden schwieg Lianne am Telefon, bis Laszlo ergänzte: »V-Rock, mein alter, pleite gegangener Sender. Wir haben mal darüber geredet. Es gibt Unstimmigkeiten, wegen dem Insolvenzverfahren.«
»Clut muss bescheuert sein, dich loszuschicken«, reagierte Lianne erwartungsgemäss. »Warum schickt er nicht mich? Ich kenne Insolvenzverfahren, Bilanzen, einer meiner Ex-Männer führte einen Coiffeursalon.«
»Ist das Leben nicht mehr als eine Bilanz?«, scherzte Laszlo. »Ich habe Freunde in Vice City, Kontakte ... Rosenberg war damals unser Rechtsanwalt.«
»Du und Rosenberg …? Kein Wunder, dass V-Rock pleite ging. Blöde Demokraten vermasseln alles.«
»Flashpoint bringt viel höhere Einschaltquoten als meine Show. Du bist wohl zu wichtig, um nach Vice City zu fliegen.«
»Hat Clut das gesagt?«, erkundigte sich Lianne leicht geschmeichelt.
»Nicht direkt, doch ist das nicht offensichtlich? Den Blödmann schickt man los, den Profi lässt man im Sender. Ist verdammt heiss hier unten, verdammt feucht …«
Laszlo hörte Lianne schadenfroh kichern.
»Du solltest dich glücklich schätzen, im Studio. Kann es kaum erwarten, zum Escobar Flughafen zu fahren ... Mein Rückflugticket ist gebucht.«
»Fein, Laszlo, beeil dich. Deine Show moderieren macht mich krank. Ich glaube, wir zwei wissen, dass Rapper bloss üble Kopfschmerzen verursachen. Gesanglich, visuell und sprachlich. Du schaffst es sowieso nicht, ein Insolvenzverfahren aufzubröseln.«
»Ich möchte keinesfalls, dass du krank wirst, Lianne. Insolvenzverfahren werden wirklich komplizierter, je älter die Verfahren sind. Und noch viel schlimmer, sobald Cops ihre Finger darin haben. Du weißt, es mangelt mir an Geduld.«
»In diesem Punkt sind wir uns einig, Laszlo. Clut und ich werden ein nettes Gespräch führen. Ich bin keine dumme Tussi, die Clut übergehen kann. Du konntest schon Rosenbergs Wahlkampf moderieren, du bekamst umsonst Storys. Journalistische Massstäbe wurden ausser Kraft gesetzt.«
»Ich mach so schnell ich kann. Ich bin nicht scharf auf den Mist«, versicherte Laszlo. »Wir können das in aller Ruhe besprechen, du, Clut und ich.«
»Nimm den nächsten Flug, Glücksschweinchen«, forderte Lianne harsch, dann tutete es nervig.
Ohne Eile hörte Laszlo dem Tuten zu.
2
Es war Mittwoch – und der sternförmige Pool des Green-Room-Hotels war nur spärlich besucht. Erst nachmittags würden mehr Badegäste kommen und Abkühlung im kristallklaren Wasser finden. Der endlose Sandstrand der Washington Beach lockte jüngere Leute vom Hotel weg, daher konnte Laszlo einen Liegestuhl erbeuten, von welchem aus er die ganze Poollandschaft sah. Er schlürfte zurückgelehnt seinen eisgekühlten Bacardi, las Zeitung, und blickte gelegentlich über den Zeitungsrand zu planschenden Kindern. Besorgte Mütter zogen ihren quengelnden Nachwuchs vom tiefen Becken weg, was der sportliche Bademeister jeweils mit einem Nicken und charmantem Lächeln quittierte. Wer erzog da wen? Eine gute Frage, und Laszlo vermutete, dass das nur der braungebrannte Bademeister hätte beantworten können. Wegen den neuerlichen Verzögerungen hatte er extra eine Badehose gekauft, pastell-gelb und locker sitzend. Das Treffen sollte so gegen zehn Uhr stattfinden, bestätigte ihm Mr. Wu Ze Mi, aber Chinesen tauchten meistens schon früher auf. Merkwürdig blieb für Laszlo der Treffpunkt am Hotelpool. Vertieft überflog er Zeitungsartikel, als eine elegante Frau aus dem Hotel kam und die Poollandschaft betrat. Sie blickte hin und her, bis sie ihn entdeckte. Zuerst zögerte sie etwas, überprüfte sein Aussehen, wodurch sie ihm auffiel. Rechtshändig winkte sie leicht und ging weiter zur Bar am Pool. Dort bestellte sie gleich (Platz nehmend) Champagner. Laszlo stand auf, schlenderte ebenfalls zu der Bar und belegte den Hocker neben ihr.
»Miss Lee, oder irre ich mich?«
»Jawohl, Mister Duchovny, es freut mich«, bestätigte die Frau mit den asiatischen Gesichtszügen, sowie ellenlangen, schwarzen Haaren.
»Ich war mir nicht sicher, ob Sie unser Treffen einhalten, Miss Lee. Immerhin wurde es sehr kurzfristig vereinbart. Ich dachte, ich warte beim Pool, deswegen die Badehose.«
»Kein Problem, Badekleidung ist hier alltäglich. Unüblich ist eher mein geblümtes Kleid. Mein Strohhut ist notwendig«, erläuterte Sheila Lee, nahm einen kurzen Blick von der Badehose: »Ich hoffe, ich bin rechtzeitig, mein Freund Woozie beschrieb Sie mir. Woozie schickte mir Fotos.«
»Dito, Miss Lee, dito. Sie kennen ihn also gut?«
»Ich bin ihm nie begegnet.«
»Ach, ich verstehe nicht ganz …«
»Das ist auch nicht leicht verständlich«, pflichtete Sheila bei, trank Champagner und schob das leere Glas vorwärts in Richtung Barmann, welches dieser sofort wieder auffüllte. »Woozie gehört zu meinem erweiterten Familienkreis. Ein entfernter Cousin ist sein Freund. Ein enger Freund. Enge Freunde werden automatisch Familienfreunde.«
»In Ihrer Kultur. Ich meine …«
»In unserer asiatischen Kultur, meinen Sie«, vervollständigte Sheila. »Mein Cousin ist … nennen wir es bedeutend. Erfolgreich, wenn Sie wollen. Ein erfolgreicher Geschäftsmann.«
Laszlo merkte, dass Sheila viel erzählen würde, aber nicht den Namen ihres Cousins. Ist vielleicht besser so, überlegte er. – Es gab tausende Lees, so wie es tausende Smiths gab. Und eigentlich wollte er bloß Informationen über Pierce & Pierce, und keine chinesischen Familiengeschichten süsssauer; solcherlei hatte ihm schon Samantha Pierce erzählt, ohne brauchbares Resultat. Warum befrage er denn Teenager? Warum nicht die Eltern? Oder die restlichen Hinterwäldler? Er müsse endlich Resultate liefern, polterte Wu Ze Mi ins Telefon. Er würde persönlich jemanden kontaktieren und sich dann wieder melden.
»Hat Ihnen Woozie ebenfalls meinen ganzen Lebenslauf geschickt?«
»Ich kriegte ein E-Mail, Miss Lee, tabellarisch. Übrigens, gelungenes Foto, Gratulation.«
Schmunzelnd trank Sheila Champagner, stellte das hohe Glas auf den schneeweissen Marmortresen und schaute sich kurz um. Die kreisförmige Poolbar stand etwas abseits, unter Palmen und einer Art grossem Sonnenschirm. Sie war eindeutig die hübscheste Frau an der Bar und hätte zu einer späteren Tageszeit jegliches Interesse der Männerwelt nur auf sich gezogen, davon war Laszlo überzeugt. Nach kurzem Umblicken folgte ein längeres Umblicken, was ihn stutzig machte, doch ihr Fliederparfüm betörte seine Nase und ihre wohlgeformten Beine liessen seine Gedanken andere Bahnen nehmen.
»Woozie ist gründlich – tabellarisch«, resümierte Sheila.
»Sie arbeiten momentan für Pierce & Pierce, wie ich daraus sah. Ich las Ihren Lebenslauf oberflächlich durch«, log Laszlo; er hatte das Schriftstück intensiv studiert.
»Ich bin Sekretärin, richtig ... Ich bearbeite hauptsächlich Finanzberichte unserer Immobiliensparte.«
»Verstehe, Miss Lee. Woozie bohrt an der richtigen Stelle.«
»Hoffen wir’s«, entgegnete Sheila leise, trank Champagner und suchte Laszlos Augen. »Interne Dokumente kopieren, das gehört nicht zu meinem Naturel.«
»Das hätte ich auch niemals vermutet, Miss Lee, glauben Sie mir bitte. Woozie verlangt Unmögliches und wir sollen es ihm liefern.«
Kopfnickend raunte Sheila: »Ich will diesen Fall möglichst diskret erledigen. Mein Aktenkoffer ist im Auto … Sind Sie einverstanden, Mister Duchovny?«
»Unten, in der Tiefgarage?«
Als Antwort lächelte Sheila eine Weile leutselig.
»Ich kenne das Green-Room, Mister Duchovny.«
»Mein Mietwagen ist ebenfalls da unten geparkt. Bei dieser Hitze und den grölenden Studenten muss man gewappnet sein.«
»Ist immer ’ne Menge los, beim Springbreak. Die Tiefgarage ist vielleicht nicht diskret genug.«
»Ich sollte mich sowieso Umziehen, Miss Lee. Mein Hotelzimmer wäre wahrscheinlich diskreter. Ausserdem müssten Sie mir diese Dokumente näher erläutern, weil ich Woozie alle eigenhändig bringen soll.«
»Alles für zufriedene Kunden«, murmelte Sheila. »Okay, in fünf Minuten vor Hotelzimmer …?«
»Nummer 516. Eh, ich hole noch schnell mein Badetuch«, kündigte Laszlo an.
»Wie Sie wollen. Badetuch, Aktenkoffer, wir sehen uns«, bestätigte Sheila weglaufend.
Sogar von hinten macht Miss Lee eine grandiose Figur, überlegte Laszlo. Er trank sein Glas Bacardi endgültig leer, während Details ihres Lebenslaufs plötzlich Sinn ergaben; früher war Sheila Lee Model gewesen. – Ein Fotomodel für Konfektionskleider, das den gewissen asiatischen Tatsch in Modekataloge hineinbrachte. Prêt-à-porter, hiess der Ausdruck, soviel er sich erinnern konnte. Also war es kaum verwunderlich, dass Sheila einen grazilen Gang und sehr guten Modegeschmack hatte, verbunden mit einem so schlanken Körper. Genauere Einzelheiten ihrer Modelkarriere fehlten und er hätte gerne mehr darüber erfahren.
Der Barkeeper fragte: »Kann ich die Drinks verrechnen, Mister Duchovny?«
»Selbstverständlich«, antwortete Laszlo. »Meine und die Drinks der Lady.«
»Besten Dank. Beehren Sie uns bald wieder«, reagierte der Barkeeper zuvorkommend.
3
Sheilas und seine Zunge tanzten zusammen, tasteten sich gegenseitig ab, kreisten in der Mundhöhle, oder fuhren über die Lippen. Irgendwie hatte Laszlo nicht widerstehen können, was anscheinend auch auf Sheila zutraf. Wenigstens schafften sie es noch ins Hotelzimmer, bevor das intensive Küssen begann. – Diese vollen, roten Lippen musste man einfach küssen, wenn man die seltene Chance dafür bekam. Er vermutete, dass der ungewöhnliche Auftrag Sheila zusätzlich erregte, denn normalerweise ging es wesentlich länger, bis ihn fremde Frauen küssten. Und Verführungstricks brauchte er genauso wenig. Sheila öffnete ihre Augen, als ihm der Champagner einfiel, den sie so reichlich trank. Ihr Mund verliess seine Lippen und wanderte küssend über seine Wange und den Hals. Frisch rasiert und ohne Stoppeln; er hasste Dreitagebärte. Dann segelte ihr Strohhut herunter und ihre glänzend-schwarzen Haare berührten (wie ein kitzelnder Sturzbach) seinen nackten Oberkörper. Schon jene hatten anziehend gewirkt, doch der Inhalt des marine-blauen Kleids, bunt geblümt und aus Seide, versprach wirklich spektakulär zu werden. Sheila löste ihre Umarmung, küsste jetzt seine obere Schulter, und schliesslich wanderten beide Hände gegen unten.
»Armes Baby, da ist etwas eingepfercht«, hauchte Sheila, wobei sie zärtlich über die Wölbung der Badehose strich.
Inzwischen bedeckte eine tiefrote Spur aus Kussmündern Laszlos rechte Körperseite, die knapp vor seiner Hüfte endete. Seltsamerweise dachte Laszlo zuerst an den Hotelpool, der hinter dem Green-Room-Hotel ebenfalls zwischen Häuserwänden relativ eng eingepfercht war. Viele Palmenbäume und Büsche bildeten jedoch ein blickdichtes Dach, sodass niemand die Badegäste ungehindert beobachten konnte.
Kniend zog Sheila langsam die Badehose herunter, lächelte erwartungsvoll und rief überrascht: »Oh wau, mein kleiner Springteufel!« Ihr asiatisches Modelgesicht verfolgte die zuckenden Bewegungen des teilweise erigierten Teufels. Sie löste ihre Hände von der pastellgelben Badehose, welche knöchelhoch sowie angespannt stecken blieb. Nicht gerade zaghaft packte sie den Lustspender und weniger fest die Kugeln darunter: »Strammstehen, Baby … Springteufel sollten immer strammstehen.«
»Du bist wunderbar, Sheila.«
»Gefällt’s dir, Baby?«, fragte sie, rieb heftig Laszlos Schaft und massierte zärtlich beide Kugeln.
»Fabelhaft, gigantisch, sagenhaft …«, meinte Laszlo überschwänglich.
Sheila brach in schallendes Gelächter aus, aber ihre Hände arbeiteten unentwegt weiter: » – Großartiger Wortschatz, Baby.«
»Ist mein Job, Sheila.«
»Vergiss deinen Job …«, flüsterte die geschäftige Asiatin, blickte nach oben, studierte Laszlos zufriedenen Gesichtsausdruck, schnalzte ihre Zunge und packte den hellbraunen Lustspender noch stärker. Bläuliche Adern traten aus ihrem Handrücken, doch so zufrieden Laszlo auch schaute, so unzufrieden bemerkte sie: »Da waren schon etliche Flittchen dran. Westküsten-Flittchen!«
Laszlo hatte eher das Gefühl, dass sich Sheila nun selbst in ein Flittchen verwandelt hatte, von einer vorher eleganten Lady, einem bildschönen Ex-Model, und jetzt einen astreinen Ständer erwartete. Wäre sie etwas älter, überlegte er, dann wären Sheilas Ansprüche bestimmt wesentlich realistischer. Glaubte sie vielleicht, San Andreas hätte keine Flittchen? Ganz bei der Sache war er sowieso nicht, weil der Inhalt des Aktenkoffers, welchen sie mitbrachte und der auf dem breiten Schreibtisch lag, seine Gedanken ablenkte. »Es leben nur wenige Mönche an der Westküste«, entgegnete er humorvoll.
»Kann ich dir bestätigen«, pflichtete Sheila bei, ohne eine Miene zu verziehen. Stattdessen öffnete sie (mit der rechten Hand) die oberen Knöpfe ihres Kleids. Ihre linke Hand rieb unverändert weiter. Sinnlich tasteten die Finger unter dem Kleid über volle Brüste, bevor Sheila diese über das Kleid stülpte. Sie leckte den Zeigefinger und umkreiste die Brustwarzen, deren Beschaffenheit schnell härter wurde und einen glänzenden Speichelfilm bekamen. Streng wehrte sie Laszlos Hände ab: »Warte! Gefällt dir mein Busen? Findest du meinen Busen symmetrisch?«
Fangfrage, warnte Laszlos Kopf.
Kurz darauf folgten Bilder von chirurgisch ausgestopften Riesenbusen, welche fast alle Westküstenstrände mehr und mehr verunstalteten. – Getreu dem Motto: Silicon Valley ist die Stelle zwischen 2 Brüsten. Warum stellten Frauen, die es wahrscheinlich nicht nötig gehabt hätten, solche Fragen? Frauen mit weichen, einladenden Naturbusen. Er betonte: »Mutter Natur hat sich selbst übertroffen … Faszinierend, würde Mister Spock sagen.«
»Korrekt, Baby«, stimmte Sheila zu, freihändig den Lustspender küssend, wogegen Laszlo durch ihr Haar strich.
Das Seidenkleid und die Haare konnte er kaum voneinander unterscheiden; seine Handflächen waren dazu nicht fein genug. Oder nicht empfindlich genug, für solch glatte Oberflächen. Irgendwann, er hatte jedes Zeitgefühl verloren, änderte Sheila ihre Technik und verwendete öfter ihren wundervollen Mund und die Zunge. Als er den feuchten Mund spürte, überkam ihn eine Lustwoge. Ihr Mund und dessen Werkzeuge machten Dinge, wovon er höchstens träumte, als er noch ins College ging und schmutzige Filme ansah. Deutlich stiess er gegen ihren Rachen, mehrmals, hart, deshalb rückte er einige Zentimeter zurück, was Sheila genauso tat.
Ploppend glitt der Springteufel aus ihrem Mund: »Baby, Baby, das nenne ich stramm«, schwärmte sie.
Laszlo half Sheila aufzustehen. Eng schmiegte sie ihren erhitzten Körper an ihn und umschloss seine Schultern, küsste seinen Mund. – Gerade noch rechtzeitig hatte Sheila ihr Verwöhnprogramm gestoppt, denn der Schaft pochte gegen ihren Bauch wie eine Kanone, die sehr bald losgehen würde. Ausgiebig massierte er den straffen Po, wild entschlossen, das Vorspiel zu erwidern. Schräg beugte er sich nach unten, damit sein Mund Sheilas Brustwarzen saugen konnte. Sie stöhnte, als er daran knabberte. Stück für Stück zog er ihr Seidenkleid hoch, bis er ihre nackte Haut spürte und keinen Slip. In diesem Moment war ein Slip sowieso unnütz und er würde ausgerechnet jetzt bestimmt nicht fragen, weshalb Sheila keinerlei Unterwäsche trug. Die feuchte Nässe ihrer Spalte vertrieb zusätzlich jeden derartigen Gedanken. Sein Zeige- und Mittelfinger trieften geradezu vor Nässe, während die Finger das nachgiebige Fleisch untersuchten, es rieben, durchfuhren, es öffneten. Dann zog er seine Hand weg. Sheila seufzte, atmete schnell, ihre Beine zitterten. Er benutzte den Daumen, um ihr magisches Dreieck zu spalten und gegen ihr Lustzentrum zu pressen: » – Das nenne ich nass, Baby«, flüsterte er.
»Grosser Gott, hör nicht auf«, keuchte sie. »Dein Daumen ist nicht von dieser Welt.«
Wenn Laszlo einen weniger geschäftigen Tag geplant hätte, und ihm der Aktenkoffer und Woozie keinen Zeitdruck gemacht hätten, hätte er dies bestimmt getan. So aber nahm er seinen Daumen zurück, lächelte sie an und fragte: »Polstergruppe oder Bett?«
»Bett, ganz klar, ich mag Spiegel. Leg mich aufs Bett, Liebling.«
Nachdem er ihren Wunsch erfüllt hatte, bemerkte er erst richtig den Hotelspiegel, welcher gegenüber vom Bett hing, zirka fünf Meter entfernt, links neben der gläsernen Balkontüre. Darunter standen eine Schuhkommode und eine Blumenvase, darin weisse, prächtige Orchideen. Sheila musste den Spiegel schon vorher gesehen haben.
»Leg dich hin. Ich zeig dir meine Lieblingsposition«, raunte sie, den Rücken zu ihm gerichtet. Achtsam ging sie in die Hocke, sass auf Laszlos Bauch und ergriff seinen Springteufel: »Siehst du mich?«
Laszlo schaute zum Spiegel und betrachtete ihr gemeinsames Spiegelbild. Er sah, dass Sheila seine Vorhaut zurück- und wieder hochschob, bis hart zum Anschlag: »Ja, Baby, kristallklar. Du geiles Ding.«
»Du böser Junge …«, reagierte Sheila scheinbar entrüstet, lehnte sich nach hinten, spreizte ihre Beine weit und blieb offenherzig liegen. Dabei umspielte Sheila mit der pulsierenden Spitze ihre rosa Lippen: »Willst du dein großes Ding verstecken, böser Junge?«
»Heilige Scheisse! Ja, ja!«, rief Laszlo inbrünstig.
»Du bist ein ganz böser Junge«, betonte Sheila, den Schaft einführend. »Böse, oh ja, ganz böse.« Kreisend bewegte sie die Hüften, allerdings nur kurz, weil sie sich wieder aufrichtete und Laszlos Springteufel zu reiten begann.
»Du echt geiles Ding«, grunzte Laszlo, sein Blick wechselte vom rhythmisch pumpenden Po zum Spiegelbild und den hüpfenden Brüsten, dem lustvoll erfüllten Gesicht und den leicht wehenden Haaren, sobald Sheila ihren Kopf umherwarf, was öfters vorkam. Sheila krallte ihre Hände in beide Oberschenkel und stemmte die Sohlen der schwarzen High Heels gegen die Matratze. Ihr Spiegelbild war unglaublich; Sheila hatte Recht gehabt, und Laszlo wusste jetzt, warum sie Spiegel mochte.
Der wilde, stöhnende Ritt ging nun langsam seinem Höhepunkt entgegen, welchen Laszlo hinauszögern wollte, indem er an faltige Grossmütter und Grossväter dachte, denen er, Tage zuvor, am Sandstrand der Washington Beach begegnete. Wie eine Überblendung änderten jedoch die Strandbesucher ihr Aussehen und sein neuer Gedankenfilm zeigte ihm junge, sportliche Bikinimädchen beim Volleyballspiel. Angestrengt versuchte er zum Rentnerparadies zurückzukehren, als es ohrenbetäubend knallte. Krachend zersprang das Balkonfenster und Glassplitter flogen durch das Zimmer. Schreckerfüllt sah er Sheila seitlich umfallen und auf dem Plattenboden aufprallen; ein rotes, dunkles Loch klaffte in ihrem Rücken. Blut sickerte daraus. Er fühlte verschwommen, dass er ohnmächtig wurde.
4
»Eine peinliche Situation, Mister Duchovny.«
»Ich kann kein Blut sehen, Officer … Ich kippe um, werde ohnmächtig, das war schon immer so.«
»Sie behaupten es, aber die simple Realität macht Sie verdächtig.«
»Ich war ohnmächtig, ich war völlig nackt, das soll mich verdächtig machen?«
»Miss Lee ist tot. Jemand erschoss Miss Lee, unser Pathologe bestätigt eine Schussverletzung. Sie lagen kaum einen Meter …«
»Ich weiss, Officer. Ich habe es Ihnen schon fünf Mal geschildert. Mein Balkonfenster explodierte, Miss Lee sackte zu Boden, dann wurde ich ohnmächtig. Ein Cop hat mich später geweckt, mein Zimmer wimmelte davon, sonst kann ich mich an nichts erinnern.«
»Ohnmächtig wird man meistens nicht lange. Zeugen sagten aus, Sie wären schätzungsweise dreissig Minuten ohnmächtig gewesen. Wir brauchten nämlich solange – das soll heissen – der erste Streifenwagen brauchte solange. Vom Hotelpersonal öffnete niemand das Hotelzimmer, daher sah Sie auch dreissig Minuten lang niemand. Eine halbe Stunde fehlt, Mister Duchovny.«
»Glauben Sie etwa, ich hätte meine eigene Ohnmacht vorgetäuscht …? Ich bin ein Moderator und kein Schauspieler, Officer Craft«, erklärte Laszlo; er zeigte John Craft seinen Presseausweis.
Der beleibte Detective-Constable nahm ihn, überflog den eingeschweissten Ausweis samt Foto, gab dem dunkelgrauen Bürostuhl einen Schups, rollte zum Fotokopierer, machte mehrere Kopien, rolle zurück und legte den Ausweis vor Laszlo hin: »Danke … Wir schätzen Ihre Kooperation. Wir werden Ihren Ausweis prüfen. Wollen Sie Vice City demnächst verlassen?«, erkundigte er sich, dabei hielt er einen Kugelschreiber fest in Wartestellung, und sah Laszlo forschend an.
»Nein, obschon ich nichts lieber täte«, versicherte Laszlo hörbar genervt.
»In Ordnung«, konstatierte John, er schrieb etwas auf das Vernehmungsprotokoll. »Vice City zu verlassen wäre auch nicht sonderlich klug, Sie sind unser Hauptzeuge. Reisten Sie einfach unangekündigt ab, unentschuldigt, würden Sie gleich unser Hauptverdächtiger. Verstehen Sie dieses Prinzip, Mister Duchovny?«
»Voll und ganz, Officer ... Ich werde mir sicher nicht absichtlich schaden. Wo läge der Sinn darin?«
»Sie ersparen sich einen Haftbefehl und uns eine Menge Bürokram. Sie und wir haben dadurch weniger Scherereien, darum halten Sie bitte Ihr Wort.«
»Ich halte mein Wort.«