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Management ist Herausforderung Wladimir Klitschko ist nicht nur Profiboxer, sondern auch erfolgreicher Unternehmer: Er gründet K2 Promotions, die Klitschko Foundation und die Klitschko Management Group. 2016 ruft er einen eigenen Studiengang an der Universität St. Gallen ins Leben und vermittelt Grundlagen des »Challenge Managements«: Spitzensportlern ist die Gabe gemein, Probleme als Herausforderungen - als Challenge - zu begreifen und sie als solche anzunehmen. Darauf aufbauend sind die Eckpfeiler seiner Managementlehre unter anderem: - eigene Erfolge auch für andere nutzbar machen, - aus Niederlagen lernen, - langfristig planen und kontinuierlich Leistung erbringen. Wie Manager genau das ins Unternehmen transferieren und Herausforderungen meistern, zeigt Klitschko in seinem inspirierenden Buch.
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Seitenzahl: 272
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Wladimir Klitschko mit Stefanie Bilen
Challenge Management
Was Sie als Managervom Spitzensportler lernen können
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Wladimir Klitschko ist nicht nur Profiboxer, sondern auch erfolgreicher Unternehmer: Er gründet K2 Promotions, die Klitschko Foundation und die Klitschko Management Group. 2016 ruft er einen eigenen Studiengang an der Universität St. Gallen ins Leben und vermittelt Grundlagen des »Challenge Managements«: Spitzensportlern ist die Gabe gemein, Probleme als Herausforderungen – als Challenge - zu begreifen und sie als solche anzunehmen. Darauf aufbauend sind die Eckpfeiler seiner Managementlehre unter anderem:
– eigene Erfolge auch für andere nutzbar machen,
– aus Niederlagen lernen,
– langfristig planen und kontinuierlich Leistung erbringen.
Wie Manager genau das ins Unternehmen transferieren und Herausforderungen meistern, zeigt Klitschko in seinem inspirierenden Buch.
Vita
Dr. Wladimir Klitschko, dessen Bekanntheitsgrad in Deutschland laut dem Spiegel bei 92 Prozent liegt, ist ehemaliger Boxweltmeister im Schwergewicht nach Version der IBF, IBO, WBO und WBA. Der studierte Philosoph ist promovierter Sportwissenschaftler, Dozent an der Universität St. Gallen und erfolgreicher Unternehmer.
Stefanie Bilen ist Journalistin und Buchautorin. Sie hat unter anderem für das Handelsblatt, den Harvard Business Manager und das Wall Street Journal geschrieben. Das Handwerk hat sie nach einem BWL-Studium an der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten gelernt. Sie segelt und läuft. Ihr erstes Boxtraining steht noch aus.
Begrüßung
Kapitel VorwortDer Kampf, der Fall und der Aufstieg
What a fight!
Teil IHerausforderungen sind wie die Luft zum Atmen
1. Wie alles begann
Zusammenfassung
2. Ergo sum: Ich weiß, wer ich bin
Kapitel E – ExpertiseExpertise aus meinen Erfahrungen und der Wissenschaft
Kapitel R – RightnessRichtigkeit nach meinen ethisch korrekten Grundsätzen entwickelt
Kapitel G – GlobalismGlobalismus als global orientierte, ganzheitliche Denk- und Handlungsweise
Kapitel O – OptimismOptimismus: immer positiv und visionär denkend
Kapitel S – SustainabilityNachhaltigkeit: langfristig denkend und auf die Umwelt achtend
Kapitel U – UncomplexityEinfachheit: einfach erklärt und einfach zu verstehen
Kapitel M – MaximumMaximum: immer das Beste und Optimale herausholend
Zusammenfassung
3. Ich bin keine Marionette, ich kann alleine laufen
Vom Image- zum Expertise-Transfer
Zusammenfassung
4. Wissen wird mehr, wenn wir es teilen
Mein Ziel
Die Konsequenzen
Die Vorstellung
Die Weggefährten
Die Besessenheit
Zusammenfassung
Teil IIMeine zwölf Antworten auf Herausforderungen
Kapitel Weg 1Coopetition ermöglichen und nutzen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 2Progressiv denken und mutig handeln
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 3Aus Niederlagen lernen und neues Potenzial ziehen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 4Eigene Erfolge nutzen und andere teilhaben lassen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 5Langfristig planen und kontinuierlich Leistung erbringen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 6Auszeiten zur Reflexion nutzen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 7Auf Wesentliches fokussieren
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 8Auf eigene Kompetenzen vertrauen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 9Potenzial identifizieren und nutzbar machen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 10Höchstleistung explosiv abrufen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 11Organisationsstrukturen schaffen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Kapitel Weg 12Stärken und Schwächen des Gegners kennen und nutzen
Meine Erfahrung als Sportler
Meine Erfahrung als Unternehmer
Trend in der Wirtschaft
Teil IIIWie Experten in der Praxis Challenge Management anwenden
Kapitel Weg 1Coopetition
Meilensteine
»Die Welt ist zu komplex geworden, um alleine bestehen zu können«
Coopetition ermöglichen und nutzen
Voraussetzungen für gelingende Kooperation mit dem Wettbewerb
Kapitel Weg 2Progressivität
Meilensteine
»Wer mir sagt, warum etwas nicht geht, sucht nur nach Ausreden«
Progressiv denken und mutig handeln
In acht Schritten zum nachhaltigen Unternehmen
Kapitel Weg 3Niederlagen
Meilensteine
»Wer erfolgreich sein will, muss das Verhalten von Menschen ändern«
Aus Niederlagen lernen und neues Potenzial ziehen
Methode zur systematischen Aufarbeitung von Misserfolgen
Kapitel Weg 4Erfolge
Meilensteine
»Gespeichertes Wissen, das nicht geteilt wird, ist Vergeudung«
Eigene Erfolge nutzen und andere teilhaben lassen
Fünf Schritte zum Aufbau einer professionellen Online-Reputation
Kapitel Weg 5Planung und Leistung
Meilensteine
»Entscheidend ist das Ergebnis, das am Ende rauskommt«
Langfristig denken und kontinuierlich Leistung bringen
So verlieren Sie auch beim Marathon das Ziel nicht aus den Augen
Kapitel Weg 6Reflexion
Meilensteine
»Stress hilft, Dauerstress schadet uns«
Auszeiten zur Reflexion nutzen
Lösungen im Umgang mit Stress:
Kapitel Weg 7Wesentliches
Meilensteine
»Führungskräfte, die Kompliziertes einfach erklären können, sind im Vorteil«
Auf Wesentliches fokussieren
Methode am Beispiel einer Präsentation
Kapitel Weg 8Kompetenzen
Meilensteine
»Ich schminke mir keine Kompetenzen an«
Auf eigene Kompetenzen vertrauen
Fünf Schritte, um sich der eigenen Kompetenz bewusst zu werden
Kapitel Weg 9Potenzial
Meilensteine
»Wenn wir Unwichtiges weglassen, kommt das Wichtige besser zur Geltung«
Potenzial identifizieren und nutzbar machen
Fünf Schritte, um zur Geschichte mit dem besten Potenzial zu gelangen
Kapitel Weg 10Höchstleistung
Meilensteine
»Unsere Reaktion entscheidet über den Verlauf einer Krise«
Höchstleistung explosiv abrufen
Arbeiten wie ein Spin-Doktor
Kapitel Weg 11Organisationsstrukturen
Meilensteine
»Flexibilität ist ein wichtiges Strukturelement«
Organisationsstrukturen schaffen
Fünf Schritte zu einer effektiven, beweglichen Organisation
Kapitel Weg 12Stärken und Schwächen
Meilensteine
»Wenn ich um die Schwächen der anderen weiß, kann ich sie in meinem Sinne nutzen«
Stärken und Schwächen des Gegners kennen und nutzen
Methode am Beispiel einer Unternehmensgründung
Kapitel EpilogHör nicht auf die »Naysayer«!
Danksagung
Register
»Wenn wir Willenskraft in unserer Haltung verankern, können wir jede Herausforderung bewältigen!« Das ist die Erfahrung und der Leitsatz, der mich in der langjährigen Zusammenarbeit mit Wladimir Klitschko am stärksten geprägt hat.
An der Seite dieses Ausnahmesportlers zu arbeiten, ist eine große Ehre. Jeder Tag bietet die Chance, zu wachsen. Er doziert nicht, er belehrt nicht, vielmehr lässt er die Menschen um ihn herum ganz selbstverständlich an seinem Know-how und an seinen Ideen teilhaben – auf eine sympathische, glaubwürdige und sehr empathische Weise.
Mit diesem Buch möchte er Ihnen zeigen, wie die Haltung eines Boxers auf die Herausforderungen des (Business-)Alltags übertragen werden kann. Es zeigt Lösungen auf, die ihn dahin gebracht haben, wo er jetzt steht: Wladimir Klitschko gehört zu den geachtetsten Sportikonen der Welt und agiert als erfolgreicher Geschäftsmann eines internationalen Firmennetzwerks.
Ich wünsche Ihnen Spaß beim Lesen und ganz viel Willenskraft beim Annehmen und Bewältigen Ihrer Herausforderungen.
Tatjana Kiel
Geschäftsführerin der KLITSCHKO Ventures GmbH
Es gibt auf dieser Welt gewisse Menschen mit großer Vorbildfunktion. Menschen, die konsequent sind und die über große Überzeugungskraft verfügen. Menschen, die beharrlich Dinge verfolgen und genau deshalb erfolgreich sind.
Zu diesem Menschenschlag gehört für mich Wladimir Klitschko. Ich bin sehr stolz, ihn zu kennen. Er ist ein Mensch, den ein großes Herz, erstaunliche Leidenschaft und hohe Integrität auszeichnet. Zudem ist er ein wunderbarer Freund.
In unser beider bisherigen Leben gibt es einige Gemeinsamkeiten, die uns verbinden.
Wir sind beide bescheiden und kennen unsere Wurzeln. Unser beider Leben wurde stark durch die Eltern geprägt. Er wuchs in der ehemaligen Sowjetunion auf, ich dagegen im Arbeiterort Amityville im Bundesstaat New York.
Wir sind beide hungrig nach Erfolg. Unsere Teenagerjahre haben gezeigt, dass wir mehr erwarten vom Leben. Wladimirs Talent im Ring zeigte sich schon früh im Boxen in der Ukraine. Ich hatte gleichzeitig drei Teilzeitjobs, um mein eigenes kleines Geschäft in Amityville kaufen zu können. Das war der Start in meine Laufbahn als Unternehmer.
Wir beide verdanken den Erfolg bestimmten Werten, die uns wichtig sind. Wladimirs Ausdauer, Flexibilität, Konzentration und Koordination haben mich immer inspiriert. Ich war schon immer davon überzeugt, dass Vertrauen das größte menschliche Gut ist. Gerade jetzt braucht die Welt mehr Empathie, mehr Vertrauen und mehr Liebe.
Schließlich verbindet uns beide die Ansicht, dass sich wahre Führungspersönlichkeiten durch das auszeichnen, was sie der Welt geben und nicht durch das, was ihnen gegeben wird.
In diesem Sinne möchte ich Ihnen von mir erzählen und damit überleiten zu diesem interessanten Buch von Wladimir, in dem er seine Sicht auf die Welt mit uns teilt.
Ich erinnere mich an meine Kindheit in Long Island im Bundesstaat New York. Mein soziales Umfeld war durch ehrliche, hart arbeitende Menschen geprägt. Ich trug Zeitungen aus, packte Lebensmittel in Tüten oder arbeitete als Kellner. Dabei habe ich viel gelernt. Manches schnell. Anderes langsamer.
Eines Nachts stand unsere Familie auf der Straße. Wir mussten hilflos zusehen, wie unser Haus abbrannte. Ich war noch klein. Es wäre keine Schande gewesen, wenn ich Angst gehabt hätte oder sehr traurig über den Verlust gewesen wäre. Doch meine Mutter gab mir in diesem Moment einen klugen Rat, an den ich oft denke: »Bill, es gibt nichts in diesem Haus, das wichtiger wäre als das, was außerhalb ist.«
Momente wie dieser legten das Fundament für meinen lebenslangen Optimismus. Ich verinnerlichte, dass nichts und niemand die Träume eines Menschen stehlen kann. Egal, was geschieht. Ich habe gelernt, dass es Träume sind, die Sieger auszeichnen.
Jahrzehnte später – alle meine Jugendträume hatten sich erfüllt und ich blickte bereits auf eine erfolgreiche Karriere zurück – nahm ich an der Veranstaltung eines Buchclubs in Walldorf in Deutschland teil. Während des Gesprächs stand plötzlich eine Kollegin auf und sagte etwas, das mich bescheiden werden ließ:
»Bill, ich habe Ihre Autobiografie Mein Weg zu SAP gelesen. Der Ratschlag Ihrer Mutter an Sie hat mich sehr beeindruckt: ›Das Beste an Dir bist Du‹. Ich habe dieses Zitat an meinen Kühlschrank gehängt und zeige es jeden Tag meinen Kindern. Es bedeutet uns allen so viel. Vielen, vielen Dank.«
Ihre Worte haben mich tief bewegt. Die Kollegin hat mich daran erinnert, dass einen Menschen, der von seiner Einzigartigkeit überzeugt ist, niemand aufhalten kann – keine Konkurrenten und kein Hindernis.
Sie hat mir auch bewusstgemacht, dass uns alle auf unserem Lebensweg viel mehr eint als trennt. Wir haben alle einen Lebenstraum. Wir wissen, wie eng die Größe unseres Traums, unsere Vorstellungskraft, unser Mut mit dem zusammenhängen, was wir tatsächlich erreichen.
Wir alle haben unsere Wege gebahnt, waren oft erfolgreich, sind häufig aber auch gescheitert. Denn kein Traum wird real ohne den Blick für Details und ihre Bedeutung für das große Ganze.
Die Welt steckt voller Überraschungen, wer kennt das nicht? Und nichts verändert unsere Denkweisen schneller als das Bewusstsein, dass sich unsere Welt ständig verändert und nichts so bleibt, wie es war.
Dennoch gibt es etwas, was den Einzelnen aus der Masse hervorhebt.
Wie halten wir harte Kämpfe durch? Was treibt uns an, sodass wir nach einem Sturz wieder aufstehen? Wie bringen wir Verstand und unbeugsamen Willen in Einklang? Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass hier die größte Bewährungsprobe wartet.
Es ist, als wäre es gestern gewesen: An einem ganz normalen Sommertag feierten wir den Geburtstag meines Vaters. Mein Bruder war da, wir spielten Golf. Zuhause genossen wir ein gemütliches Abendessen. Es war ein perfekter Tag. Ich erinnere mich, wie froh ich über die gemeinsame Zeit mit meiner Familie war. Denn in der globalisierten und digitalisierten Welt werden diese Momente mit unseren Liebsten leider immer seltener.
Nachts verließ ich das Gästezimmer im Haus meines Bruders, um mein Wasserglas aufzufüllen. Es war dunkel, ich rutschte auf der Treppe aus, das Glas zersprang und ich stürzte in die Glassplitter. Ich war schwer im Gesicht verletzt, besonders am linken Auge. Es war einer dieser verrückten Unfälle, von denen wir denken, dass sie nur anderen passieren.
In den Momenten direkt nach dem Sturz spürte ich, wie zwei Kräfte miteinander um die Kontrolle über unser Verhalten ringen: der Verstand und der Wille.
Mir wurde klar, dass der Verstand dem Schmerz aus dem Weg gehen will.
Mein Verstand sagte mir dementsprechend. »Es ist okay. Bleib liegen. Schlaf ein. Denn wenn du jetzt aufstehst, wird alles viel schwieriger.«
Sehr vernünftig.
Doch obwohl der Verstand uns nahezu vollständig kontrolliert, schafft er es nicht, unseren Willen zu brechen.
Es war mein Wille, der mir Klarheit gab. »Du hast die großartigste Familie, die tollsten Kollegen und Freunde der Welt. Sie alle zählen auf dich. Nun steh auf und mach weiter!«
Ich war schwer verletzt. Mir war klar, dass meine Genesung lange dauern würde. Und dennoch zog ich mich in dieser Nacht hoch. Ich gehorchte meinem Willen. Einige der besten medizinischen Fachkräfte der Welt kümmerten sich um mich. Ich bekam die beste Pflege, die man sich vorstellen konnte. Meine Frau Julie, meine Familie, meine Freunde und Kollegen standen mir stets zur Seite, ein echter Segen.
Ich erinnere mich besonders an Hasso Plattner, den Mitgründer und Aufsichtsratsvorsitzenden meines Unternehmens, SAP. Er sagte zu mir: »Bill, du machst dir immer Gedanken darüber, wie du andere unterstützen kannst. Nun helfen wir dir. Ganz egal, was du brauchst, du kannst auf uns zählen.«
Ich kämpfte um meine Gesundheit und gab dabei alles. Das würde wohl jeder tun. Leider konnte mein linkes Auge nicht gerettet werden. Dennoch hatte ich das Gefühl, mehr zu sehen als vorher. Weil mir bewusstgeworden ist, dass Sehen mehr ist als die Wahrnehmung mit unseren Augen. Es geht auch darum, was wir fühlen und welche Gefühle wir in anderen Menschen bewirken. Dadurch entstehen ganz neue Kräfte.
Mir ist nun klar, dass dieser Kampf zwischen Verstand und Willen den Charakter nicht nur formt, sondern ihn vielmehr enthüllt. In diesen Momenten bricht die volle Kraft unserer persönlichen Lebenserfahrungen an die Oberfläche und lässt uns leidenschaftlich aufschreien. Mit unserem Willen stehen wir auf, laufen los und machen weiter. Sieger stehen immer auf und Sieger steigen auf!
Wladimir ist einer der großen Box-Champions der Geschichte. Aber das ist nicht das Besondere an ihm oder der Antrieb für seinen Aufstieg. Im Grunde seines Herzens ist und bleibt er ein Herausforderer, ein Challenger.
Der Champion erhält Auszeichnungen und Ehrungen – meistens verdient. Aber der Herausforderer gibt die kleinste Faser seines Herzens und seiner Seele.
In diesem Buch erfahren wir persönlich vom ultimativen Challenger, wie sich die Herausforderungen des Lebens meistern lassen. Oder wie er immer sagt: »Wenn du deinen Verstand kontrollieren kannst, kannst du alles kontrollieren.«
Wir alle kämpfen. Wir alle fallen. Und wir alle tragen in uns die Fähigkeit, wieder aufzustehen und aufzusteigen.
Mit Wladimir haben wir ein Vorbild, dem wir vertrauen können.
Bill McDermott
SAP SE CEO und Executive Board Member
März 2017
»Failure is not an option!« Diese Überzeugung hat mich im Sport seit meiner ersten Niederlage begleitet. Für mich als Profisportler gab es seitdem nur eine Option: nämlich in den Ring zu steigen, um zu siegen. Sonst hätte ich gar nicht erst antreten, geschweige denn den Kampf gegen einen Gegner aufnehmen müssen.
Als ich im Winter 2015 nach jahrelangem Erfolg gegen Tyson Fury verlor und sich der Rückkampf so wahnsinnig lange hinzog, kam eine neue Dimension hinzu. Jetzt reichte es mir bei der Vorbereitung nicht mehr allein, die Niederlage auf den nächsten Kampf auszuschließen. Ich wollte den Sieg mit Haut und Haaren und ordnete alles diesem Ziel unter. Dass Fury schließlich den Rückkampf absagte und ich mit Anthony Joshua einen Gegner fand, der mir die größte aller Bühnen bot und zudem die größte aller Herausforderungen bedeutete, verstärkte diese Einstellung. Schließlich bekommt ein Boxprofi nicht alle Tage die Chance, trotz vorheriger Niederlage jetzt vor 90 000 Zuschauern bei einer weltweiten Übertragung in über 150 Länder gegen den Besten der Besten anzutreten. Ich war besessen von der Idee, zu gewinnen. Alles, was ich und mein Team fortan taten, machten wir mit Besessenheit.
Besessenheit – merkwürdigerweise ist der Begriff in der deutschen Sprache negativ besetzt. Wenn von Besessenheit die Rede ist, sind zugleich Verbissenheit und sogar ein bisschen Wahnsinn und Verrücktheit gemeint. Für mich ist der Begriff durch und durch positiv. Nach meinem Verständnis bedeutet Besessenheit nur eins: bedingungslose und vollkommene Liebe.
Mein Ziel war es, den Kampf gegen den 27-jährigen Anthony Joshua am 29. April 2017 zu gewinnen. Ich war besessen von dieser Vorstellung und zu 100 Prozent überzeugt, mein Ziel zu erreichen. Obwohl ich mir so sicher war zu gewinnen, zeigt das Ergebnis des Kampfes, dass ich den Wettkampf verloren habe. Doch im Ring gelang es mir, nach Niederschlägen mehrfach wieder aufzustehen und ich konnte sogar meinen Gegner auf die Bretter schicken. Es mag merkwürdig klingen: Ich habe den Kampf nicht gewonnen und den Ring trotzdem als Sieger verlassen. Ich habe meinen größten Gegner besiegt: mich selbst.
Die Rückmeldungen, die ich nach diesem Kampf bekam, waren überwältigend. Berichterstatter waren sich einig darüber, dass ich mit Herz und Verstand gekämpft und trotz Niederlage Größe gezeigt habe. »Wladimir Klitschko hat bewiesen, dass man sogar als Verlierer als Held aus dem Ring steigen kann«, sagte einer der Kommentatoren. Die Zahl meiner Fans ist größer geworden, der Zuspruch aus aller Welt enorm.
Hätte ich Anthony Joshua in der ersten Runde besiegt, sähe das sicherlich anders aus. Es scheint wohl etwas dran zu sein an dem Satz, den ein Journalist schrieb: »Klitschko erschien in der Niederlage größer, als er es je bei seinen Siegen vermocht hat.«
Deshalb habe ich meinen Leitsatz revidiert, denn für mich steht fest: »Failure is an option« – und in diesem Falle eine sehr gute. Ich habe nicht mein Ziel erreicht, den Kampf zu gewinnen, ich habe jedoch ein anderes, viel größeres Ziel erreicht: weltweite Anerkennung und Respekt, auch für den Boxsport. Im »Scheitern« habe ich einen viel größeren Erfolg erzielt, als mir durch einen Sieg gelungen wäre.
Wichtig bleibt hingegen meine Besessenheit. Ich muss lieben, was ich tue. Ich muss alles geben dafür, bis zum Ende. »One can loose a fight, but one can not loose an obsession.«
Seit dem 29. April 2017 steht für mich fest: Erfolg ist nicht unbedingt das Erreichen eines vorher festgelegten Ziels. Es ist vielmehr das Erreichen des bestmöglichen Ergebnisses – und manchmal lässt sich vorher nicht einmal erahnen, welches Ergebnis das bestmögliche sein könnte.
Nach diesem Abend habe ich die Bedeutung des Wortes (Miss-)Erfolg neu definiert.
Failure with obsession – is an option!
Ihr Wladimir Klitschko am 30. April 2017
Teil I
Der Mann war doppelt so groß wie ich. Mindestens. Ich stand mit dem Kopf im Nacken vor ihm, meine Mutter mit einigem Abstand hinter mir. Ich war unglaublich stolz und ein bisschen aufgeregt. Der Grundschuldirektor hatte sich Zeit genommen, weil ich etwas mit ihm zu bereden hatte. Es ging um meine Zukunft.
Ich war sechs und hatte die Nase voll vom Kindergarten. Normalerweise wäre ich wie alle anderen Kinder in Russland mit sieben eingeschult worden, doch ich wollte nicht so lange warten. Seit Jahren ging ich in den Kindergarten, meine Mutter arbeitete dort als Lehrerin der Vorschulklasse. Jeden Morgen machten wir uns gemeinsam auf den Weg, ich spielte die immer gleichen Spiele, ich traf dieselben Kinder, wir sangen Jahr für Jahr ähnliche Lieder. Ich hatte genug, ich wollte etwas Neues. Ich war neugierig und fand mich reif für die Schule. Etliche Male hatte ich mich bei meiner Mutter beklagt, doch sie antwortete stets dasselbe: »Alle Kinder gehen erst mit sieben in die Schule. Es gibt keine Ausnahmen.«
Als ich ihr mal wieder in den Ohren lag – das konnte ich ausdauernd, beinahe penetrant, wie meine Mutter mir später versicherte –, hatte sie die Nase voll: »Wenn du wirklich so überzeugt bist und es unbedingt willst, beweise es mir«, sagte sie. »Wir gehen zum Schuldirektor und du selbst trägst ihm dein Anliegen vor.«
Falls meine Mutter gehofft hatte, dass mich ihre Ankündigung einschüchtern und von meinem Wunsch abhalten würde, irrte sie sich. Ich jubelte vor Freude. Ich war zwar noch ein kleiner Junge, doch mein Kampfgeist war geweckt. Ich wollte schnellstmöglich eingeschult werden und zu den Großen gehören. Ich malte mir aus, wie schön es sein würde, ernst genommen zu werden: Wichtiges lernen zu dürfen und Aufgaben zu bekommen. Ich sah mich förmlich schon in meinem Klassenraum sitzen, an einem richtigen Tisch, deutlich größer als im Kindergarten, auf meinem eigenen Stuhl.
Meine Mutter vereinbarte einen Termin und so stand ich jetzt vor dem älteren Herrn, um ihn um eine Ausnahmeregelung zu bitten. »Du weißt schon, dass alle Kinder erst mit sieben in die Schule gehen dürfen, oder?«, fragte er mich. Ich nickte und erwiderte, dass ich keine Angst vor älteren Kindern hätte. Schließlich war Vitali, mein eigener Bruder, fünf Jahre älter als ich. »Du weißt auch, dass wir hier ein ganz anderes Programm haben als im Kindergarten?«, fuhr er fort. »Hier müsst ihr lernen, Aufgaben erfüllen und das tun, was die Lehrer euch sagen.« »Ich weiß«, erwiderte ich freudestrahlend. »Bist du bereit, dich danach zu richten?«, fragte er. Ich nickte eifrig. Gerade darum ging es mir ja.
Der Direktor wechselte Blicke mit meiner Mutter und tuschelte eine Weile mit ihr. Schließlich beugte er sich zu mir herunter und schüttelte mir die Hand. »Wladimir, dann sollst du mit sechs Jahren eingeschult werden. Ich hoffe, du enttäuscht uns nicht«, sagte er ernst. »Ich muss zugeben, dass sich noch nie ein Sechsjähriger so mutig und willensstark vor mich hingestellt und getraut hat, seinen Wunsch so selbstbewusst vorzutragen.«
Ich war glücklich. Ich fiel meiner Mutter um den Hals und erzählte meinem Vater und meiner Großmutter zu Hause, dass auch ich bald ein Schulkind sein würde. Ich verspürte Zufriedenheit und unglaubliche Genugtuung. Ich hatte meinen Wunsch durchgesetzt. Die kommenden Jahre sollten meiner Familie und den Lehrern zeigen, dass es die richtige Entscheidung war.
Damals machte ich mir darüber noch keine Gedanken, doch ich hatte etwas gelernt: Egal, wie alt oder jung ich war – es lohnt sich immer, sich für Ziele einzusetzen, die wichtig sind. Ungeachtet der Hindernisse, die unterwegs auftauchen werden. Das Wichtigste ist, dass ich an mich glaube, dranbleibe und nicht aufgebe.
Wie ich feststellte, war es ein Muster, das sich in meiner Kindheit und Jugend stets wiederholen sollte: Setzte ich mir etwas in den Kopf, wendete ich mich an meine Mutter. Sie war meine Ansprechpartnerin für meine Pläne, Sehnsüchte und Visionen. Allerdings setzte sie diese nie für mich um oder servierte mir die Lösung auf dem Silbertablett. Viel eher half sie mir, einen eigenen Weg zu finden. So lernte ich, mich für meine Wünsche einzusetzen und durchzuboxen. Das setzte voraus, dass ich mir sehr sicher sein und als Kind gut argumentieren musste, um an mein Ziel zu kommen.
Das war schon deshalb notwendig, weil ich mich gegenüber meinem älteren Bruder Vitali behaupten wollte. Nicht nur er selbst fühlte sich mir deutlich überlegen. Auch meine Mutter hatte dieses Bild von uns: »Vova«, sagte sie sehr häufig zu mir, »es gibt Führende, und es gibt Geführte. Dein Bruder Vitali gehört zur ersten Gruppe, du eher zur zweiten.«
Wie ich es hasste, wenn sie das sagte! Ja, mein Bruder ist fünf Jahre älter als ich, und meine Eltern hatten ihm die Verantwortung für mich übertragen. Weil beide arbeiteten, war es häufig mein Bruder, der auf mich aufpasste oder den ich begleitete. Aber musste er deswegen automatisch eine Führungsfigur sein – und ich sein Untergebener? Schließlich war ich genauso mutig und zielstrebig wie er.
Möglich, dass ich meine Mutter schon deshalb in jungen Jahren beharrlich nervte, um sie für meine Pläne zu gewinnen. Glücklicherweise erkannte sie, dass ich ein Kind war, das stets gefördert und gefordert werden wollte; dem häufiger Aufgaben und Herausforderungen gegeben werden mussten, um sich zu entwickeln. Sie ging in der Regel auf meine Anliegen ein, ohne es mir allerdings allzu leicht zu machen. Sie wollte sicher sein, dass ich etwas wirklich wollte.
Ich erinnere mich an eine andere Geschichte: Ich war elf Jahre alt und die großen Sommerferien standen vor der Tür. Ich hatte drei Monate frei. Meine Mutter erzählte mir, dass in ihrer Firma ein Ferienjob frei sei. Wir lebten inzwischen in Kiew und sie arbeitete bei einem Aufzugsproduzenten. Weil ich mir gerne ein Taschengeld dazuverdienen wollte, war ich begeistert und sagte sofort zu.
An meinem ersten Arbeitstag wurde ich stolzer Besitzer eines grauen Unternehmenskittels, der für die kommenden Monate meine Uniform sein sollte. Mein Verantwortungsbereich war klar umrissen: Gelände fegen, Bordsteine weißen und die elektrischen Kontakte an defekten Liften ausbauen.
Dass die Arbeit langweilig war, darüber machte ich mir damals keinerlei Gedanken. Ich war froh, dass ich den Job ergattert hatte. Es gab eine Aufgabe, die es zu erledigen galt und für die ich bezahlt wurde. So freute ich mich jeden Morgen auf das, was vor mir lag und ging Tag für Tag pflichtbewusst ans Werk.
Als nach einem Monat zum ersten Mal der Lohn ausgezahlt wurde, wollte meine Mutter ihn für mich abholen. Doch ich war viel zu stolz, um es ihr zu überlassen. Ich stellte mich zusammen mit den anderen Arbeiterinnen und Arbeitern in die Reihe und kam mir unglaublich erwachsen vor. Mein erstes selbstverdientes Geld!
Was ich damals nicht wusste: Es gab weder eine offizielle Stelle für mich noch einen Lohn. Meine Mutter hatte den Ferienjob für mich erfunden und ihre Kollegen eingeweiht, einschließlich der Frau an der Zahlstelle. Sie wollte, dass ich während der Ferien eine Aufgabe hatte und zugleich lernte, dass ich mir mein Geld verdienen musste. Es war ihre Art, mir etwas zuzutrauen und mein Selbstbewusstsein zu stärken.
Ins Wanken kam ihr Plan, als ein anderer Junge ebenfalls einen Ferienjob antrat. Andrey hieß der Junge und er bekam dieselben Aufgaben wie ich: Fegen, streichen, schrauben. Das Ungerechte daran: Er verdiente 50 Kopeken pro Stunde, ich nur 25. Ich verstand die Welt nicht mehr und versuchte, mit meiner Mutter darüber zu sprechen. Dass ich ihn einweisen sollte, er unzuverlässig war und nicht einmal jeden Tag zur Arbeit kam, machte die Sache nur noch schlimmer.
Meine Mutter zuckte mit den Achseln. Sie hätte sich besser mit Andreys Mutter absprechen sollen. Auch sein Ferienjob war inoffiziell, das konnte sie mir damals nur nicht sagen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden.
Am Ende der Ferien hatte ich mir 10 Rubel verdient. Ich erfüllte mir mit dem Geld einen lang gehegten Wunsch und kaufte mir weiße Sommerschuhe. Die warme Jahreszeit war zwar fast vorüber, doch das interessierte mich nicht. Es war selbstverdientes Geld, das ich nach anstrengenden und monotonen Wochen beisammen hatte. Ich trug die Schuhe mit Stolz und Würde – auch im Herbst.
Disziplin und Pflichtbewusstsein waren Tugenden, die mein Bruder und ich von klein auf vermittelt bekamen. Genauso wie Ehrlichkeit und Respekt. All unsere männlichen Vorfahren waren Soldaten der Armee, unser Vater lebte uns diese Werte permanent vor und forderte sie von uns ein. Wurde eine Aufgabe an uns herangetragen, war sie zu erledigen und Bericht zu erstatten. Egal, ob über Tage, Wochen oder Monate. Ob wir Lust hatten oder nicht. Darum ging es damals nicht. Das wurde uns von ganz klein auf beigebracht. Es bedeutete allerdings nicht, dass ich nicht von Zeit zu Zeit versuchte, die gesetzten Grenzen auszutesten und diese Werte für einen Moment beiseite zu lassen.
Ich war zehn Jahre alt, als ich auf der Suche nach einer regelmäßigen Freizeitbeschäftigung war. Mein Bruder Vitali war 15 und trainierte bereits das Kickboxen. In meinem Alter kam das noch nicht infrage. Also fragte mich meine Mutter: »Was möchtest du machen?« Im Fernsehen hatte ich einen kurzen – verbotenen – Blick auf Break Dance erhascht und war fasziniert von den jungen Amerikanern, die sich so cool und lässig auf den Boden fallen ließen, um sich zu drehen und passend zur Musik wieder hochzuspringen.
Ich fand heraus, dass es am anderen Ende von Kiew eine Break-Dance-Schule gab und sagte meiner Mutter, dass ich dort gerne Unterricht nehmen würde. Leider war ein Kurs mit 5 Rubeln Monatsgebühr sehr teuer und eigentlich außerhalb unserer Möglichkeiten. Doch ich hatte es mir in den Kopf gesetzt und bekniete meine Mutter fortan. Zu meiner Verwunderung gab sie irgendwann nach.
Am Tag des ersten Kurses drückte sie mir das Geld in die Hand und beschwor mich, es bloß nicht zu verlieren. Sie vertraute darauf, dass ich den Weg quer durch die Stadt fand und heil ankam. Schließlich war ich oft alleine unterwegs. Weil ich wie so häufig das Busgeld sparen wollte, ging ich auch an dem Nachmittag zu Fuß und beeilte mich. Links und rechts nahm ich wenig wahr, bis mir ein Spielautomat an einer Hauswand auffiel. Ich blieb stehen, weil der Apparat mich auf magische Weise anzog. Bis heute kann ich mir nicht erklären, woher diese plötzliche, völlig unbekannte Faszination kam. Ich guckte auf die blinkenden Lichter und malte mir aus, wie ein Haufen Münzen klimpernd aus dem Schacht herausfiel. Auf einmal fand ich Gefallen an der Vorstellung, mein Geld zu vermehren. Ich müsste nur ein, zwei Mal gewinnen und könnte mit etwas Glück ein Vielfaches herausbekommen. Ich handelte ganz spontan und ließ mir Kleingeld geben. Münze für Münze landete im Spielautomaten. Doch bedauerlicherweise gewann ich nicht. Nicht in der ersten Runde und auch nicht in den folgenden. Ich hörte erst auf, als ich alles verspielt hatte. Der erhoffte Geldsegen war ausgeblieben. Mir wurde klar: Für die nächsten vier Wochen würde ich kein Geld haben, um Break Dance zu lernen. Ich hatte die gesamte Summe verzockt.
Das schlechte Gewissen überkam mich und ich wartete zwei Stunden, bis ich mich nach Hause zurückwagte. Meine Familie war gespannt, wie mir der Kurs gefallen hatte und wollte erste Schritte und Bewegungen sehen. Ich redete mich heraus und traute mich nicht, von meinem Fehltritt zu erzählen. Zu groß war das Vertrauen, das mir meine Mutter geschenkt, zu groß der Betrag, den ich sinnlos ausgegeben hatte. So ließ ich Vater, Großmutter, Bruder und Mutter in dem Glauben, die erste Trainingsstunde absolviert zu haben.
Ich setzte das Spiel fort: Woche für Woche verließ ich das Haus, um angeblich zum Break Dance zu gehen und übte unterdessen zwischendurch alleine vor dem Spiegel die Bewegungen, Drehungen und Schritte ein, die ich im Fernsehen gesehen hatte. Zwölf Wochen ging das so, weil ich auch die nächsten zwei Monatsgebühren verspielte. Dennoch wurde ich richtig gut im Break Dance. Meine Familie applaudierte jedes Mal, wenn ich ihnen das selbst Beigebrachte vorführte. Ich glaube, meine Mutter kennt die Wahrheit bis heute nicht, und ich konnte mich lange Zeit nicht entscheiden, welchem Gefühl ich die Oberhand lassen sollte: meiner Sorge, doch noch erwischt zu werden und großen Ärger zu kassieren, oder meiner Freude, weil ich das Beste aus dem Fehltritt gemacht und im Selbststudium Break Dance gelernt hatte.
Heute weiß ich: Meine Kindheit und Jugend waren geprägt von Aufgaben, die über das gewöhnliche Maß eines Schulkindes hinausgingen, verbunden mit großer Disziplin. Durch den häufigen Ortswechsel meiner Familie – mein Vater war ein hochrangiger Offizier der Armee und wurde alle paar Jahre versetzt – mussten mein Bruder und ich uns häufig auf neue Klassen, Lehrer und Umgebungen einstellen. War ich mit dem Lernstoff und den Hausaufgaben nicht ausgelastet, sorgte meine Mutter für weitere Aufgaben. Sie gab mir laufend neue Romane zu lesen, die mich zum Nachdenken anregten. Hatte ich in den Ferien nichts zu tun, organisierte sie mir Ferienjobs. Damit keine Langeweile aufkam, ließ sie mich im Haushalt helfen oder ermöglichte es mir, neue Hobbys auszuprobieren. Genügte mir all das nicht, suchte ich mir eigene Abenteuer. Ich schaffte mir selbst meine Aufgaben, kleine Nervenkitzel und Mutproben inklusive.
So fand ich es auch nicht ungewöhnlich, dass ich mit 14 Jahren auf ein Internat wechselte. Mein Bruder war einige Jahre zuvor denselben Weg gegangen. Ich war bereit, mein Elternhaus zu verlassen und mein Leben größtenteils selbst in die Hand zu nehmen. Weil ich ein Ziel hatte: Ich wollte die Welt kennenlernen und bereisen.
In der Sowjetunion verließen alle Jugendlichen die allgemein bildende Schule nach neun Jahren und starteten an einer beruflichen Schule, einer Mittelschule oder einem Internat. Im Normalfall waren sie 15 Jahre alt. Ich war wegen meines früheren Starts 14, als ich über meine berufliche Zukunft entscheiden musste.
Für meinen Vater war die Wahl klar: So wie er und seine Vorfahren eine Militärschule besucht hatten, sollte auch ich es tun. Er wählte die Suworow-Schule für mich aus, eine Kadettenschule, die im 18. Jahrhundert entstanden war und noch heute den Ruf hat, eine hervorragende militärische und allgemeine Bildung zu vermitteln.
Meine Mutter sah dagegen noch andere Fähigkeiten und Stärken in mir. Sie schlug mir vor, Arzt zu werden, und ich fand Gefallen an der Vorstellung. Weil ich meinen Vater nicht enttäuschen wollte, entschied ich mich, Militärarzt zu werden. Ich bewarb mich am medizinischen Technikum. Da ich gute Noten hatte, wurde ich zur Aufnahmeprüfung eingeladen – sogar für meine präferierte Spezialisierung als Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Ich schnitt gut ab und bekam eine Zusage. Weil ich ein Jahr jünger als die übrigen Bewerber war, konnte ich jedoch nicht sofort beginnen. Eine nette Dame im Bewerberbüro sagte mir, ich solle zwölf Monate lang eine Ausbildung zum Pfleger machen, um die Zeit zu überbrücken.
Ich dachte, ich höre nicht richtig: Mein Traum war es, Arzt zu werden, und das auf dem direkten Weg. Pfleger zu sein, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich verabschiedete mich dankend.