Chills & Thrills - Infinity Gaze - E-Book

Chills & Thrills E-Book

Infinity Gaze

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Beschreibung

Hast du dich je gefragt, was im Schatten lauert, wenn das Licht erlischt? Oder warum Türen manchmal wie von selbst zuschlagen? In dieser schaurigen Anthologie erwarten dich Geschichten, die dir das Blut in den Adern gefrieren lassen – und gleichzeitig ein kleines, unheimliches Grinsen auf dein Gesicht zaubern. Betritt eine Welt voller flüsternder Wände, verfluchter Gegenstände und Wesen, die lieber nicht entdeckt werden wollen. Perfekt für dunkle Herbstnächte, in denen der Wind um die Ecken pfeift und das Mondlicht alles ein bisschen seltsamer erscheinen lässt. Traust du dich, das Licht auszuschalten?

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Chills and Thrills

 

Ah, du mutige Seele,

bereit für ein kleines Spiel mit der Dunkelheit?

 

Hier gibt es keine fröhlichen Helden oder sonnigen Gärten. Stattdessen erwarten dich knarzende Türen, flüsternde Schatten und vielleicht... ganz vielleicht... das Gefühl, dass etwas hinter dir lauert. Aber keine Sorge, es will bestimmt nur spielen.

 

Du könntest jetzt umblättern und weiter lesen.

Oder du könntest das Buch zurück ins Regal stellen und so tun, als hättest du es nie gesehen.

Deine Wahl – aber wir wissen beide, du wirst die nächste Seite aufschlagen. Schließlich hat dich die Neugier hierher gebracht.

 

Lass uns also gemeinsam den Weg ins Ungewisse

beschreiten. Und hey, falls dir eine kalte Hand über die Schulter streicht... vielleicht ist es ja nur der Wind.

 

Viel Spaß beim Gruseln!

 

Impressum:

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Veröffentlicht bei Infinity Gaze Studios AB

1. Auflage

Oktober 2024

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2024 Infinity Gaze Studios

Texte: © Copyright by Lena Obscuritas, Holly Belle Harlow, V.Valmont, Andrea Pellegrini, Ingo Schlemmer, Maike Johnke, Nini Schlicht, Nyx Evernight, Biba al-Nasiri, Annie Mirwald, Josefine Lyda, Verena Ebner, Ruby LaRue, Haruka Isshiki

Cover & Buchsatz: V.Valmont @valmontbooks

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung von Infinity Gaze Studios AB unzulässig und wird strafrechtlich verfolgt.

Infinity Gaze Studios AB

Södra Vägen 37

829 60 Gnarp

Schweden

www.infinitygaze.com

 

Danksagung

Ein riesiges Dankeschön an all die talentierten

Autoren und Autorinnen, die diese Sammlung so unvergesslich gemacht haben. Ohne euch wären diese Seiten leer. Eure Geschichten haben das Grauen zum Leben erweckt und jagen den Lesern und Leserinnen so manchen Schauer über den Rücken.

 

 

Lena Obscuritas

Holly Belle Harlow

V. Valmont

Andrea Pellegrini

Ingo Schlemmer

Maike Johnke

Nini Schlicht

Nyx Evernight

Biba al-Nasiri

Annie Mirwald

Josefine Lyda

Verena Ebner

Ruby LaRue

Haruka Isshiki

 

Danke für eure düstere Kreativität!

Geisterfluss

 

 

Lena Obscuritas

 

Es war ein langer Weg, den wilden Fluss entlang. Wie eine silberne Schlange zog er sich durch den Wald. Die Bäume standen dicht an dicht, tauchten die Welt in Dunkelheit und gaben dem Fluss eine gefährliche Aura. Sein Wasser war tief, seine Strömungen gefährlich.

Menschen mieden ihn, erzählten Schauermärchen über Kinder, die dort gespielt hatten und nie wiedergekommen waren. Was mit ihnen passiert war, wusste niemand. Vermutlich hatte der Fluss ihre kleinen Körper mit sich gerissen und erst weit entfernt wieder freigegeben.

Auch der Wald, der ihn umgab, barg Gefahren in sich. Solche, die man sehen konnte, und jene, die unsichtbar waren für das menschliche Auge und in ihrer Art noch grausamer als alles, was der Mensch erfassen konnte. Hand in Hand lebte er mit dem Fluss. Spielte er ihm manchmal Opfer zu? Bewegten sich die Bäume, um Wanderer in die Irre zu führen? Die Menschen waren sich sicher, dass dem so war.

Der Wald drängte sich eng an den Fluss und zog sich über viele Meilen bis hin zu einem Gebirge. Dort versank er im Nebel.

Der Fluss ließ sich nur durch sein stetiges Rauschen erahnen. Wer konnte schon sagen, welcher Quelle er entsprang oder in welches Meer er mündete? Jene, die darüber hätten berichten können, waren längst Geister der Tiefe geworden. Der Fluss hatte sie verschlungen, gierig das dargebotene Opfer der menschlichen Dummheit verzehrt. Nach diesen Mahlzeiten schlief er oft jahrelang, bis seine Bosheit erneut erwachte, weiteres Blut fordernd.

Doch die Zeit verging und die Menschen verfielen ihrer unersättlichen Gier nach Wachstum. Sie vergaßen, machten sich selbst durch ihren Ideenreichtum zu Göttern. Die alten Legenden gehörten einem Glauben an, den es zu ersetzen galt. Und so strebten die Menschen weiter nach Macht und Fortschritt.

Dieser Fortschritt machte auch vor dem Wald nicht Halt, überrollte die Schönheit der Natur wie eine Flutwelle. Bald gab es das erste Dorf, das sich am Rande des Flusses ansiedelte.

Zunächst nahm der Fluss es still hin. Er konnte mit Menschen an seiner Seite leben, solange sie ihn und die Macht, die in ihm wohnte, nicht vergaßen. Wurde er nicht gewürdigt und die Wunder der Natur missbraucht, erwachte der Herr des Flusses zum Leben und holte sich, was sein war: das Blut der Menschen.

Als dann die erste Mühle an seinen Ufern gebaut wurde, begann Zorn in den tiefen Strudeln zu brodeln. Sie wollten sein kostbares Wasser vergeuden für seltsame Dinge, die sie aus Bäumen schufen, ohne dem Gehölz zu danken? Der Fluss wollte sein erstes Opfer, forderte Blut für Blut.

Das Verbrechen, das der Natur angetan wurde, sollte beglichen werden. Doch der Flussgeist hielt die Ströme und Strudel zurück. Die Welt hatte sich weiterbewegt. So waren sie wenigstens ein Teil davon.

Die Menschen bauten unermüdlich weiter, erkannten die Gefahr nicht, in die sie sich begaben. Sie erkundeten den Wald und fanden bald eine weitere Lichtung auf der anderen Seite des Flusses. Dort errichteten sie ein zweites Dorf. Wieder verschwendeten sie gedankenlos alles, was der Wald ihnen zu bieten hatte. Sie verjagten Tiere, fällten Bäume und dankten der Natur nicht, die ihnen all das möglich machte. Erneut sann der Fluss nach Rache. Erneut hielt der Flussgeist ihn zurück.

Dann kam jedoch die steinerne Brücke. Die einfältigen Menschen errichteten sie, um beide Dörfer zu verbinden. So mussten sie nicht meilenweit laufen, um eine überquerbare Stelle im Wasser zu finden. Sie sperrten ihn ein, versuchten ihn zu bändigen, indem sie ihm ein graues Halsband anlegten. Nun wurde auch der Herr des Flusses zornig.

Der Fluss schwoll an, bis er fast über die Ufer trat. Das Rauschen seiner Strömung heulte wie ein Rudel hungriger Wölfe. Es sollte den Menschen als Warnung dienen, die Natur nicht zu vergessen. Die Menschen missachteten diese Warnung. Sie häuften Erde an seinen Ufern auf und zäunten ihn ein. Erkannten sie die alten Mächte nicht, die in den dunklen Orten der Welt herrschten? Wollten die Menschen sie am Ende gar nicht sehen? Immer höher wurden die Ufer, damit der Fluss kein Hochwasser führen konnte.

Wütend brüllte der Flussgeist auf. Sein Zorn wurde mächtig und rot, verglühte ihn mit brennenden Kohlen. Das würden die Menschen bereuen. Jetzt wollte er seine Rache.

 

 

Lysa stand verträumt am Fenster ihrer Hütte. Ihre kurzen, schwarzen Haare waren verstrubbelt und ungekämmt. Sie war gerade erst vom Spielen mit ihren Freundinnen zurückgekommen. Das Mädchen starrte wie gebannt zum Fluss hinunter. Sie liebte diesen Fluss. Während ihre Freundinnen sich vor ihm fürchteten und ihm nicht zu nahekommen wollten, zollte Lysa ihm manchmal Respekt. Sie warf Blumensträuße hinein, manchmal auch ein übrig gebliebenes Stück Brot.

Doch vorhin war etwas Seltsames geschehen: Ein helles Leuchten hatte sich über den Fluss gezogen. Lysa und ihre Freundinnen waren schnell nach Hause gelaufen, um ihren Müttern dieses Schauspiel zu zeigen. Doch als Lysa mit ihrer Mutter am Fenster stand, lag der Fluss wieder im Dunkeln. Seitdem stand sie regungslos da und wartete.

„Siehst du, Mami? Da ist es wieder“, rief sie dann, als sie endlich für ihre Geduld belohnt wurde. Ihre Mutter trat neben sie, während sie sich die Hände an einem Spültuch abwischte.

„Was meinst du denn, Schatz?“, fragte sie.

„Das Leuchten“, antwortete Lysa. „Siehst du es denn nicht?“

Lysa starrte angestrengt in die Dunkelheit. Sie war schnell gekommen an diesem Wintertag, hatte sich wie eine Decke über den Wald und das Dorf gebreitet. Doch der eigenartige rote Schein durchbrach die schwarze Nacht. Es wirkte, als hätte jemand ein Feuer entfacht und nun brenne die gesamte Oberfläche des Flusses.

Das war natürlich Unsinn. Lysa war zwar noch ein Kind, doch sie wusste bereits, dass Wasser kein Feuer fangen konnte. Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Nein, ich sehe gar nichts.“

„Wie kannst du das nicht sehen?“, fragte Lysa.

Ihr Atem beschlug das frisch geputzte Glas. Sie wischte die Feuchtigkeit einfach mit der Hand weg.

„Da, genau über dem Fluss! Er leuchtet rot.“ Das kleine Mädchen machte einen Schmollmund. „Du möchtest mich doch nur auf den Arm nehmen, Mami.“

Ihre Mutter strich ihr sanft über den Kopf. „Nein, meine Kleine, das möchte ich nicht. Ich sehe wirklich nichts. Jetzt komm, das Abendbrot steht auf dem Tisch. Wasch dir deine Hände, Vater wartet schon.“

Lysa starrte ihre Mutter ungläubig an. Dann warf sie noch einmal einen Blick aus dem Fenster. Das Leuchten war immer noch da. All ihre Freundinnen hatten es doch auch gesehen. Wie kam es, dass ihre Mutter es nicht sah? Widerstrebend wandte Lysa sich ab und lief in die Küche.

 

 

Als das Mädchen später in ihrem Bett lag und den Geräuschen der Nacht lauschte, wanderten ihre Gedanken immer wieder zu dem rotglühenden Fluss zurück. Sie kannte die alten Geschichten nicht, die über ihn erzählt wurden. Doch sie brauchte keine Sagen, um das Übernatürliche zu spüren, das dem Wasser innewohnte. Sie war ein Kind. Die Herzen der Kinder waren noch weit geöffnet für die Zauber und Wunder dieser Welt.

Sie schlug ihre Decke zurück und tapste im Dunkeln zu ihrem Fenster. Es war kühl. In ihrem dünnen Nachthemd fröstelte sie, doch eine magische Kraft zog sie dorthin. Lysa wollte nur das rote Leuchten noch einmal sehen, dann konnte sie bestimmt einschlafen. Während sie so dastand, wollte sie allerdings mehr.

Feuerrot leuchtete das Wasser durch die Dunkelheit. Es flimmerte an den Rändern, als würde eine große Hitze davon abgestrahlt werden. Die Flussufer wurden in Licht und Schatten gleichermaßen gehüllt. Lysa war verzaubert. Sie öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. Von weit her hörte sie ein Summen, als würde der Fluss ein Lied vor sich hinsingen.

„Ich höre dich“, sagte Lysa leise. „Ich höre, wie du singst. Singen denn alle Flüsse so schön?“

Eine schwarze Stimme antwortete ihr, flüsterte in ihr Ohr und wollte sie in die Nacht hinaus locken.

„Komm zu mir“, flüsterte die Stimme ihr zu. „Dieses Lied ist nicht alles, was ich dir zu bieten habe. Gib dich meiner Strömung hin, und ich zeige dir die Wunder dieser Welt. Ich kann aus dir eine Königin machen, eine strahlende Heldin. Oder ist dies nicht, was du begehrst? Möchtest du lieber eine Hexe sein, mit Macht größer als die Gottes? Mein Zauber gehört dir, denn er gehört nur jenen, die ihn sehen und hören können.“

Lysa wusste nicht, ob die Stimme ein Gesicht hatte und sie sehen konnte. Trotzdem nickte sie. Eine Königin sein, mit edlen Kleidern und Geschmeide. Eine neue Welt jenseits ihrer Vorstellungskraft entdecken, das wollte sie im Schutz der Nacht erleben.

Ohne weiter nachzudenken, lief das Mädchen aus dem Zimmer. Sie stahl sich durch den Flur; auf Zehenspitzen schlich sie am Schlafzimmer ihrer Eltern vorbei. Sie wollte dem Fluss nur einen kurzen Besuch abstatten. Ihre Eltern mussten nichts davon merken.

Jacke und Schuhe blieben vergessen an der Garderobe zurück. An irdische Belange dachte Lysa nicht mehr. Sie hörte nur noch das Flüstern des Flusses, der sie mit Abenteuern und Magie lockte.

Den ganzen Weg, von ihrem Haus bis zu den Ufern, rannte sie. Ihre Füße wurden vom taunassen Gras klamm und kalt.

„Wo bist du?“, rief sie, als sie am Ufer stehen blieb, unwissend, nach wem sie rief.

Ich bin hier, antwortete die Stimme.

Lysa folgte dem Rufen. Es kam von der großen Steinbrücke. Ihr Vater hatte geholfen, sie zu bauen. Bis heute war er sehr stolz darauf. Auch der Flussgeist wusste das. Aus diesem Grund hatte er Lysa als Opfer auserkoren.

„Lebst du unter der Brücke?“, fragte Lysa und sah sich nach dem Besitzer des Flüsterns um.

Ja, ich lebe hier. Mein Reich liegt zwischen den Strömen und Strudeln. Doch es ist geschrumpft und nun ist das hier mein Zuhause.

Die Stimme klang verbittert.

„Wieso?“, wollte das kleine Mädchen neugierig wissen.

Weil ich hierher verbannt wurde, mein Kind. Einst war ich gewaltig wie ein König, doch du und deinesgleichen, ihr habt mich vergessen und verraten. Aus Angst vor meiner Macht wolltet ihr mich vernichten. Als das nicht funktionierte, habt ihr mich eingesperrt, unter dieser furchtbaren Brücke.

Energisch schüttelte Lysa den Kopf. „Das ist nicht wahr! Ich würde das nie tun! Ich habe dich immer gespürt und geachtet. Wenn ich mit meinen Freunden am Fluss gespielt habe, habe ich deinen Blick gespürt und dir Blumen gepflückt und ins Wasser geworfen.“

Da erkannte Lysa eine Bewegung in den Schatten der Brücke, und der Flussgeist trat ins Mondlicht.

„Ich könnte dich nie vergessen“, sagte das Mädchen trotzig.

Aber das wirst du. Du wirst älter werden und blind für die Magie meiner Welt.

Der Flussgeist bewegte seine Lippen nicht, trotzdem verstand Lysa jedes Wort. Sie sah die Gestalt mit glänzenden Augen an.

„Magie?“, hauchte sie begeistert. „Ich glaube an Magie! Ich werde immer an sie glauben!“ Lysa betrachtete den Flussgeist genauer. „Wer bist du?“, fragte sie dann.

Ich bin der Herr über die Ströme, der Gebieter des Flusses. Einst trug ich einen Namen, doch die Menschen haben ihn vergessen. Nun höre ich auf keinen Namen mehr, sondern bin zum Geist im Fluss geworden.

Lysa sah sich den Geist des Flusses genauer an. Sie sah langes, blondes Haar, das weich wie der Mondschein glänzte. Augen wie schwarze Edelsteine, die von dichten Wimpern umrahmt wurden, sahen sie sanft an. Er war nicht durchscheinend, wie Lysa sich einen Geist immer vorgestellt hatte, sondern aus Fleisch und Blut. Sein edles Gewand aus schwarzem und rotem Samt glänzte nass, als wäre er eben erst den Fluten entstiegen.

Begeistert stellte Lysa fest, dass er einen ihrer Blumensträuße in der Hand hielt. Den schönsten von allen, aus weißen Margeriten.

Das alles sah sie, geblendet von ihrem kindlichen Leichtsinn. Die Wahrheit blieb ihr verborgen. Der Flussgeist war kein schöner Held wie aus den Märchen, die sie so mochte. Sein Haar fiel ihm strähnig und verfilzt bis zu den Ellbogen. Büschelweise war es ihm schon ausgefallen. Seine Haut war aufgeweicht, bläulich verfärbt, die Augen milchig weiß, seine Kleidung zerrissen. Die langen Fingernägel waren bereits schwarz und abgestorben. Er war eine Leiche, die zu lange im Wasser gelegen hatte.

„Ich will dich nicht vergessen“, quengelte Lysa. „Ich möchte deinen richtigen Namen hören und dein Andenken in Ehren halten.“

Der Herr des Flusses lächelte. Mit Kindern ließen sich leicht Spielchen treiben. Außerdem hatte er schon lange nicht mehr das zarte Fleisch eines jungen Mädchens gekostet.

Dann komm mit mir. Ich mache dich zu meiner Königin. Du und ich, wir werden herrschen über Strömung und Flut. Du wirst mich nie vergessen, denn ich werde immer an deiner Seite sein.

Unentschlossen trat die Kleine von einem Fuß auf den anderen. Sie wollte so gerne eine Königin sein. Der Flussgeist hob seine schöne Hand, die in Wirklichkeit eine schreckliche Klaue war, und winkte das Mädchen zu sich.

Lysa warf noch einen Blick zurück. „Aber meine Familie“, sagte sie. „Können meine Eltern denn nicht mitkommen?“

Beim Gedanken an Lysas Vater knurrte der Flussgeist leise. Er hatte die Gesichter der Männer nicht vergessen, die damals die Brücke gebaut hatten.

Nein, fauchte er wütend, niemand darf meinen Fluss ohne meine Erlaubnis betreten! Er gehört mir, ich beherrsche ihn!

Das Wasser brodelte, floss schneller und drohte über die Ufer zu treten. Lysa wich mit angstgeweiteten Augen einen Schritt zurück. Nur mit Mühe konnte sich der Flussgeist wieder beruhigen. Der Wasserpegel sank und das drohende Rauschen wurde zu einem sanften Plätschern.

Entschuldige, sagte er dann, aber ich kann den Menschen nicht mehr vertrauen. Du bist die Erste, mit der ich seit langem spreche.

„Wirklich?“, fragte Lysa, nicht ohne Stolz. „Aber, was mache ich denn ohne meine Eltern?“

Wo wir hingehen, brauchst du deine Eltern nicht mehr. Ich werde mich um dich kümmern. Solange wir einander haben, brauchen wir niemand sonst. In dir werde ich endlich meine Flusskönigin finden.

Lysa trat an das Flussufer. Der Fluss wirkte tief, die Strömung reißend. Das Mädchen wagte es nicht, ins Wasser zu steigen. Die Strömung würde sie mit sich ziehen, weit weg von ihrem König. Aber sie wollte doch so gerne eine Königin sein!

Worauf wartest du?

Der Flussgeist klang ungeduldig. Wenn Lysa noch länger wartete, würde er sie vielleicht nicht mehr wollen.

„Ich habe Angst“, gab sie deswegen zu. „Die Strömung ist zu stark.“

Das Wasser wird uns gehorchen. Du musst keine Angst davor haben. Das Volk verschlingt seine Königin nicht.

Da machte Lysa den ersten Schritt in den Fluss hinein. Sie glaubte dem Flussgeist. Als Kind wusste sie noch nichts von den Menschen und ihrer Grausamkeit. Woher sollte sie auch wissen, dass Königinnen immer ihrem Volk zum Opfer fielen?

Das Wasser war eiskalt, zerrte hungrig und mit starken Fingern an ihr. Der Fluss war ungeduldig und wollte sein Opfer. Lysa schnappte erschrocken nach Luft. Sie wollte umkehren, zurück zum Ufer. Doch selbst das Umdrehen fiel ihr schwer. Die Strömung schob sie unermüdlich vorwärts.

Der Flussgeist trat von dem kleinen Fleck Erde unter der Brücke herunter, ging dem Mädchen entgegen, das in tieferes Wasser kam.

Lysa fiel es nun immer schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Das Wasser schien dickflüssig wie Treibsand zu sein. Sie atmete keuchend durch den Mund. Ihre Muskeln schrien nach Erlösung. Mittlerweile reichte das Wasser ihr bis zur Brust. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um sich bewegen zu können. Doch Lysa behielt ihr Ziel vor Augen: den schönen Mann, der mit einem gütigen Lächeln auf sie zuschritt.

Komm nur, Mädchen. Ich werde dir Macht schenken, die deine kühnsten Träume übersteigt.

Noch einmal sammelte Lysa alle Kraft, aber sie war müde, so schrecklich müde. Sie fiel vornüber in das kalte Wasser. Bevor das Mädchen jedoch auf den Grund sinken konnte, hüllten sie starke Arme ein.

Erleichtert öffnete Lysa die Augen, wollte ihrem schönen Retter mit einem Kuss danken. Das taten die Prinzessinnen aus ihren Märchenbüchern auch immer. Sie erstarrte mitten in der Bewegung. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, der unter Wasser kaum zu hören war.

Sie sah den Flussgeist in seiner wahren Gestalt, das hässliche Monster, das sie gierig an sich presste. Die Gesichtshaut hing in Fetzen herunter. Eine schwarze Zunge leckte gierig über tote Lippen. Ein heiseres Kichern drang aus seiner Kehle.

Lysa strampelte, versuchte, sich zu befreien. Sie bereute es nun, ihr Elternhaus verlassen zu haben. Doch diese Erkenntnis kam zu spät.

„Nein!“, schrie Lysa.

Ihr Schrei wurde vom Wasser verschlungen, das nun schmerzhaft in ihre Lungen eindrang. Lysa verschluckte sich, hustete, und noch mehr Wasser drang in sie ein. Der Herr der Strömungen zog sie in eine enge Umarmung. Das Mädchen kniff verzweifelt die Augen zu, wollte den Schrecken nicht sehen, der ihr letzter Anblick sein sollte.

 

Hailey and the haunted Neighbourhood

 

 

Holly Belle Harlow

 

Kapitel 1: Wiedersehen

 

 

„Hailey Dickens dekoriert ihr Haus für Halloween – dass ich das nochmal miterleben darf, hätte ich nicht gedacht."

„Oh, hey, Charly!" Die schöne Brünette stieg von ihrer Leiter ab und trat an ihren ehemaligen Mitschüler aus der High School heran, bevor sie ihn in eine liebevolle Umarmung schloss. „Was machst du denn hier? Ich dachte, du studierst in Boston."

„Tue ich auch", erwiderte er mit einem Lächeln. „Allerdings habe ich ein Praktikum in der Nähe angenommen, weshalb ich dachte, dass es angebracht wäre, bei meinen Eltern vorbeizuschauen."

„Verstehe." Sie löste sich von ihm. „Carol und Harris werden sich bestimmt freuen, dich wiederzusehen. Sie liegen mir schon seit Monaten damit in den Ohren, dass du kaum Zeit hast, dich bei ihnen zu melden."

„Ja, das Jurastudium nimmt mich leider komplett in Beschlag. Mom wird mit Sicherheit in Tränen ausbrechen, wenn sie mich sieht."

„Oh ja, das wird sie ganz bestimmt! Du weißt doch selbst, wie nah sie am Wasser gebaut ist. Sie meinte, du würdest nicht vor Weihnachten hier aufschlagen."

„Ja, vermutlich könnte das noch zum Problem werden."

Hailey legte den Kopf schief und musterte ihren alten Freund mit durchdringenden Blicken. „Wie meinst du das?"

„Na ja, ... es ist so, ich habe da jemanden kennengelernt, der nicht gerade um die Ecke wohnt, wenn du verstehst, was ich meine."

„Ach, Charly!" Sie freute sich sehr für ihn. Vor allem, weil er in der kleinen Vorstadt, in der sie zur Schule gingen, als richtiger Schwerenöter bekannt war. „Das ist wundervoll! Wann lerne ich sie kennen?"

Er zögerte für einen kurzen Augenblick. Dann holte er tief Luft und fuhr fort: „Tja, nachdem du mir in der High School einen Korb gegeben hast und ich mich jahrelang gefragt habe, ob es wohl an mir liegen würde ..."

„Charly", fuhr sie dazwischen.

„Lass mich bitte ausreden, Hailey." Er legte eine Hand auf ihre Schulter und schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Worauf ich hinaus wollte, ist, dass ich unheimlich dankbar dafür bin, dass du mich abgewiesen hast. Das hat die unendliche Kette der Ungewissheit unterbrochen, wenn du verstehst, was ich meine?"

Hailey verstand nicht. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was Charly ihr damit sagen wollte. „Tut mir leid, aber ich verstehe nicht …"

„Ich bin schwul", platzte es aus ihm heraus. „Und die Person, die ich kennengelernt habe, ist ein Er und keine Sie."

Im nächsten Augenblick schien Hailey ein Licht aufzugehen. „Oh! Jetzt verstehe ich, was du meinst!" Wieder fiel sie ihm in die Arme. „Aber das sind doch ganz wunderbare Neuigkeiten! Wann lernen wir den Mann kennen, der Charly Epsteens Herz erobert hat?"

„Puh, ich bin heilfroh, dass du es so positiv aufnimmst."

Haileys Mundwinkel zuckten. „Wieso auch nicht? Es gibt nichts Schöneres als Liebe."

„Ja, es ist nur so, .

---ENDE DER LESEPROBE---