Christen verändern die Welt - Eberhard von Gemmingen - E-Book

Christen verändern die Welt E-Book

Eberhard von Gemmingen

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Beschreibung

Der Autor unternimmt eine Tour durch Mitteleuropa und porträtiert starke Gestalten des christlichen Glaubens. Sie prägten Wissenschaft und Kunst, Musik und Kultur, Politik und soziale Reformen. Sie waren Kämpferinnen und Beter, Mystikerinnen und Revolutionäre, katholisch oder evangelisch. Sie gaben Europa ein christliches Gesicht. Von Immanuel Kant in Ostpreußen bis zu Nikolaus von Kues in Südtirol geht es quer durch den deutschsprachigen Raum mit Abstechern nach Belgien, Holland und Luxemburg sowie nach Polen und Tschechien. Personen, die Kultur geschaffen und geprägt haben – z. B. Johann Sebastian Bach, Hildegard von Bingen, Dietrich Bonhoeffer, Edith Stein, – stehen neben großen Vorbildern christlicher Lebensweise, wie z. B. Elisabeth von Thüringen, Erasmus von Rotterdam, Ruth Pfau, Maximilian Kolbe u. v. a.

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Eberhard von Gemmingen SJ

Christen verändern die Welt

Eine Reise zu großen Gestalten des Glaubens

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2024 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg

Tel. 0941/920220 | [email protected]

ISBN 978-3-7917-3488-0

Umschlaggestaltung: Heike Jörss, Regensburg

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2024

eISBN 978-3-7917-6258-6 (epub)

Unser gesamtes Programm finden Sie unter

www.verlag-pustet.de

Inhalt

Vorwort

Immanuel Kant – Start bei der Aufklärung

Dietrich Bonhoeffer – Lutherischer Märtyrer

Die Lübecker Märtyrer – Protest gegen Hitler

Kloster Nütschau – Grenzwächter gegen die Slawen

Benedikt von Nursia – Ohne Mönche kein Europa

Der heilige Ansgar – Pionier in Hamburg

Søren Kierkegaard – Radikales Christentum

Dag Hammarskjöld – UNO-Generalsekretär

Nils Stensen – Religiöses Universalgenie

Bernward von Hildesheim – Der Rom-Kopierer

Michael Praetorius – Musikalischer Raumkünstler

Mechtild von Magdeburg – Konflikt mit dem Klerus

Konrad von Preysing – Im Angesicht von Adolf Hitler

Christliche Widerständler – Mut bis zum Tod

Martin Niemöller – Vom Saulus zum Paulus

Bernhard Lichtenberg – Gebet für die Juden

Carl Sonnenschein – „Der Ragazzibändiger“

Alfred Döblin – Katholischer Aussteiger

Paul Gerhardt – „Ich steh an deiner Krippe hier“

Regina Protmann – Kranke als Auftraggeber

Nikolaus Kopernikus – „Christus kam an die Peripherie“

Martin Luther – Reform und Reformation

Georg Friedrich Händel – „Religion in Tönen verkünden“

Ruth Pfau – Verrückte Ärztin und Nonne

Johann Sebastian Bach – „Nicht Bach, sondern Meer sollte er heißen“

Nikolaus Ludwig von Zinzendorf – Verfrühter Ökumeniker

Hedwig von Schlesien – Schlaue Büßerin

Helmuth James Graf von Moltke – Ein besseres Deutschland denken

Angelus Silesius – „Cherubinischer Wandersmann“

Maximilian Kolbe – Marienkämpfer an allen Fronten

Meister Eckhart – Gottesgeburt in der Seele

Friedrich Nietzsche – „Wir haben Gott getötet“

Elisabeth von Thüringen – Landgräfin und Magd

Das katholische Eichsfeld – Widerständler gegen Karl Marx

Johannes Kepler – Schlauster Schwabe aller Zeiten

Ludwig Windthorst – Rivale von Fürst Bismarck

Pauline von Mallinckrodt – Preußische Sozialreformerin

Friedrich von Bodelschwingh – Der Helfer der „Geringsten“

Clemens August von Galen – Der „Löwe von Münster“

Athanasius Kircher – Erforscher des Wissensuniversums

Wallfahrtsort Werl – „Kraft-Ort“

Hadrian VI. – Papst unter den Rädern der Politik

Damian de Veuster – Apostel der Leprakranken

Joseph Cardijn – Gründer der Christlichen Arbeiterjugend

König Baudouin – Herrscher in Gewissenskonflikt

Wallfahrtsort Kevelaer – Treffpunkt katholischer Tamilen

Hedwig Dransfeld – Katholische Vorreiterin

Franz Stock – „Seelsorger der Hölle“

Wallfahrtsort Neviges – Mystische Frömmigkeit

Helene Weber – „Mutter des Grundgesetzes“

Friedrich Spee – Feind der Folterer

Erich Klausener – Von Hitler ermordet

Der Altenberger Dom – Jugend für Versöhnung und Frieden

Mary Prema Pierick – Auf dem Weg nach Kalkutta

Adam Schall von Bell – Mandarin in Peking

Der Dom zu Köln – Von der Ruine zum Symbol

Albertus Magnus – Vor-Denker der Welt

Edith Stein – Vom Karmel ins KZ

Rupert Neudeck – Der Erfinder von „Cap Anamur“

Kloster Maria Laach – „Ora et labora“

Heinrich Böll – Der unbequeme Katholik

Friedrich Haass – Gast in russischen Kerkern

Eduard Profittlich – Märtyrer ohne Martyrium

Adolph Kolping – Der Kontrahent von Karl Marx

Isa Vermehren – Kabarettistin und Ordensfrau

Johannes Schauff – Der „Fluchthelfer“

Joseph Görres – Schreiber der Macht

Hieronymus Jaegen – Bankier, Parlamentarier, Mystiker

Peter Wust – Philosoph und Hitlergegner

Robert Schuman – „Vater Europas“

Ingbert Naab – Brief an Adolf Hitler

Hildegard von Bingen – Mystik und Medizin

Wilhelm Emmanuel von Ketteler – Sozialbischof

Oswald von Nell-Breuning – „Nestor der katholischen Soziallehre“

Pierre Favre – Katholischer Reformator

Johannes Gutenberg – „Mann des Jahrtausends“

Bonifatius – Der Eichenfäller

Die Dom- und Klosterschulen – Träger des Bildungswesens

Der fränkische Kreuzberg – Moderne Fußwallfahrten

Tilman Riemenschneider – Mystik aus Holz und Stein

Heinrich und Kunigunde – Heiliges Kaiserpaar

Vierzehnheiligen – Juwel auf dem Lande

Albrecht Dürer – Attraktion der Museen

Theresia Neumann – Die „Resl von Konnersreuth“

Petrus Canisius – Katholischer Reformator

Johann Maier – Mensch aus einem Guss

Wallfahrt Bogenberg – Zuflucht für Schwangere

Mallersdorfer Schwestern – Arme Franziskanerinnen von der Heiligen Familie

Der Dom zu Passau – Harmonie von Gotik und Barock

Mary Ward – Bildung auch für Mädchen

Die Weiße Rose – Jugend gegen Hitler

Fritz Gerlich – Ein katholischer Querkopf

Rupert Mayer – Provokateur der Nazis

Alfred Delp, Augustin Rösch und Lothar König – Jesuitisches Anti-Hitler-Trio

Ellen Ammann – Frauen an der Front

Romano Guardini – Moderner Gottsucher

Carl Friedrich von Weizsäcker – Intellektuelle Redlichkeit

Papst Benedikt XVI. – Glaube und Vernunft

Wallfahrtsort Altötting – Die „Schwarze Madonna“

Sebastian Kneipp – Der Wasserdoktor

Therese Studer – Sozialrevolutionäre Arbeiterin

Gertrud von Le Fort – Renouveau catholique

Schönenberg bei Ellwangen – … und Pater Philipp Jeningen

Johannes Reuchlin – Kampf gegen Bücherverbrennung

Frère Alois von Taizé – Auf großen Spuren

Theodor Haecker – Prophet gegen die Nazis

Otto von Habsburg – Kaiser in Sachen Demokratie

Alphonse Ratisbonne – Jüdischer Apostel Jesu Christi

Matthias Grünewald – Malerische Dramatik

Reinhold Schneider – Allein der Beter

Gertrud Luckner – Retterin vieler Juden

Kloster Beuron – Geistliche Quelle an der oberen Donau

Augustin Bea – Kardinal der Ökumene

Kloster Zwiefalten – Schwäbisches Barockjuwel

Die iroschottischen Mönche – Kulturträger am Bodensee

Vinzentinerinnen – Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul

Kloster Einsiedeln – Das Herz der Schweiz

Nikolaus von Flüe – Politiker und Mystiker

Frère Roger Schutz – Seele der Ökumene

Erasmus von Rotterdam – Früher Aufklärer Europas

Hermann Gmeiner – Der Gründer der SOS-Kinderdörfer

Wolfgang Amadeus Mozart – Gottes Musikant

Franz Jägerstätter – Kein Kampf für den Führer

Der heilige Florian – Patron der Feuerwehrleute

Anton Bruckner – Komponist Gottes

Hildegard Burjan – Gewissen des Parlaments

Clemens Maria Hofbauer – Nicht Hof-, sondern Bauernprediger

Joseph Haydn – Betender Musikant

Csilla von Boeselager – Mut aus dem Nichts

Josef Mayr-Nusser – „Keinen Eid auf diesen Führer“

Nikolaus von Kues – Der Frühaufklärer

Abschließende Gedanken

Anmerkungen

Alphabetisches Verzeichnis

– Personen

– Orte

Bildnachweis

Eine Reise zu großen Gestalten des Glaubens

Vorwort

Verehrte, liebe Leserinnen und Leser,

Papst Franziskus sagte einmal: „Die Wurzel der Religion ist die Ohrfeige, die einem das Evangelium verpasst, die Begegnung mit dem lebendigen Christus.“ Diese Ohrfeige erhielt Europa vor rund 2000 Jahren von dem neu bekehrten und übereifrigen Juden Paulus, der unbedingt von Asien nach Europa wollte. Als er in Damaskus vom Pferd gefallen war, war ihm der lebendige Christus erschienen, und nun konnte er nicht mehr anders, als seine Pferde neu zu satteln. Bis nach Rom hat er geschrieben, und dies Schreiben hat Martin Luther aus dem germanischen Wittenberg veranlasst, auf ein neues Pferd zu setzen. Kurz: Die Ohrfeige des Evangeliums, die Begegnung mit Jesus Christus, hat gezündet.

Nun aber scheint das Christentum in Europa am Ende zu sein. Die Kirche ausgezehrt, der Katholizismus verbrannt! Die Zahlen scheinen zu bestätigen, dass der kulturelle Beitrag des christlichen Glaubens an einen Schöpfer, einen Erlöser und einen Heiliger seine Überzeugungskraft verloren hat. Ist das so? Ist Paulus gescheitert? Und wenn es so wäre, woran liegt das? Und welche Folgen hat es?

Ich vertrete die These: Wenn Jesus Christus in Europa ganz vergessen wird, dann verliert Europa seine Identität, seine kulturelle Kraft, seine politische und wirtschaftliche Bedeutung. Man kann wohl auch sagen: Dann verliert Europa seine Seele. Denn der Mensch lebt weder von Brot noch von Verteidigung alleine. Sein Leben braucht einen Sinn. Dieser wurde ihm durch Jahrhunderte vom Glauben an den Gott des Moses, an den Mann aus Nazareth und an den Geist Jesu Christi vermittelt. Und dieser Glaube hat Kultur geschaffen, einen Lebensraum der Schönheit, der Freiheit, des Rechts.

Religionen prägen Kulturen und Geschichte. Menschen, die ihr Leben an Gott orientieren, bestimmten bewusst oder unbewusst, mit lauter oder auch mit leiser Stimme den Lauf des Weltgeschehens.

Die kulturelle Bedeutung religiöser Überzeugungen zeigte sich nicht nur in den großen Kulturen Asiens, etwa in China und Indien sowie in der Welt Arabiens, sondern gerade auch in Europa.

Wenn die christlichen Kirchen auch im Lauf von 2000 Jahren unzählige Verbrechen verursacht haben, so inspirierte der Glaube an Jesus Christus doch erstaunlich viele herausragende Persönlichkeiten. Ja, es gab unzählige christliche Genies! Das Evangelium hat sie auf den Weg gebracht, die frohe Botschaft Jesu Christi hat die Welt durch ihr Wissen und Denken, durch ihre Wissenschaft und Kunst, ihre Politik und ihre sozialen Reformen gestaltet. Es waren Kämpfer und Beter, Mystiker und Revolutionäre. Sie gaben Europa ein christliches Gesicht.

Freilich dürfen die Sünden der Kirchenleute, die Kreuzzüge, Ketzerverbrennungen, Konfessionskriege, die Frauenunterdrückung und die Hexenverfolgungen nicht vergessen werden. Aber übersehen werden oft die christlichen Quellen von Genies, etwa des Komponisten Johann Sebastian Bach und des Künstlers Albrecht Dürer, des Europapolitikers Robert Schuman und der Kämpferin für die Schulbildung von Mädchen Mary Ward, der Verfassungsrechtlerin Helene Weber und des UNO-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld. Wie sähe Europa aus ohne diese Christen, die den Mann aus Nazareth ernst genommen hatten?

Ich unterscheide zwei Gruppen (siehe Alphabetisches Verzeichnis): einerseits Personen, die Kultur geschaffen und geprägt haben, und andererseits Menschen, die herausragende Vorbilder christlichen Lebens waren. Dazu kommt die Beobachtung: Wie sähe Europa aus ohne die Dome, Klöster und Wallfahrtskirchen, ohne die Heiligtümer und Kapellen?

Ich lade Sie ein, mit mir eine große Tour zu machen. Sie führt uns vom ostpreußischen Königsberg bis ins Südtiroler Brixen. Zickzack durch die Mitte Europas! Es geht primär um den deutschen Sprachraum, aber wir machen auch Abstecher nach Ost und West, nach Belgien, Holland und Luxemburg sowie nach Polen und Tschechien. Sie können natürlich auch einfach zu Hause bleiben und sich mit dem Alltag rumschlagen. Kommen Sie lieber mit, und Sie werden staunen, wen Sie alles entdecken!

Damit es nicht langweilig wird, mache ich keine systematische Vorstellung nach bestimmten Kategorien – wie Kultur, Politik, Soziales – oder nach historischen Perioden, sondern wir unternehmen eine Entdeckungsreise quer durch Mitteleuropa und stoßen dabei auf ganz unterschiedliche Typen. Alle aber haben aufgrund ihres Staunens über Jesus Christus und seine Entdeckung ein herausragendes Leben geführt oder sogar Europa kulturell vorangebracht.

Die Vorstellungen der einzelnen Personen sind unterschiedlich lang. Das liegt vor allem an ihrer kulturellen Bedeutung, an der Wirkung, die sie auf Geschichte und Gesellschaft ausübten. Manchmal liegt es auch an dem Wissen über ihre Persönlichkeit. Vielleicht liegt es auch an mir, der ich ihr Tun indirekt beurteile. Von manchen gibt es schöne Worte, die ich zitiere, von anderen kennen wir nichts.

Vielleicht werden Sie beim aufmerksamen Lesen diese oder jene Person vermissen, von denen Sie gedacht hatten, dass auch sie in diesen Reigen gehörte. Ich kann das verstehen. Und: Leider sind die Männer in der Überzahl. Freilich kann ich auch dagegenhalten: Was wären diese Männer ohne ihre Mütter oder ihre Ehefrauen? Mütter und Ehefrauen aber bleiben sehr oft im Schatten.

Ich stellte mir immer wieder die Frage, ob diese oder jene Persönlichkeit noch aufgenommen werden sollte, und ich habe mich dann gegen sie entschieden. Andere wurden aufgenommen, von denen Sie als Leserin oder Leser vielleicht sagen werden: Was hat denn dieser Mensch hier zu suchen? Vergeben Sie mir also bitte manche Einseitigkeiten. Allen gerecht zu werden, ist nicht einfach.

Schließlich: Was ich schreibe und wen ich auswähle, hat auch einen sehr persönlichen Charakter. Ich versuche, meinen Glauben und meine Weltanschauung zu zeigen und zum Ausdruck zu bringen und meine Überzeugung zu begründen. Manches ist daher einseitig. Ich mache nicht den Versuch, rein sachlich zu sein, sondern bin subjektiv. Und es sollte unterhaltsam und spannend sein.

Wer weiß: Wenn Sie – verehrte, liebe Leserinnen und Leser – gut aufpassen, dann gehören Sie eines Tages selbst zu meinen Entdeckungen. Kommen Sie mit! Steigen wir auf! Los geht’s!

P. Eberhard von Gemmingen SJ

Immanuel Kant

Start bei der Aufklärung

Vermutlich wundern Sie sich, dass wir bei einem Glaubenskritiker, einem Aufklärer starten, der bis heute die gläubigen Christen provoziert und in Erklärungsnot bringt. Er stellt die Vernunft hoch über den religiösen Glauben. Seine These: Glauben an Gott ist rational nicht zu begründen und vor der reinen Vernunft nicht zu verantworten.

Immanuel Kant hat damit den Christen indirekt und ohne es zu wollen einen großen Dienst erwiesen, denn er hat sie gezwungen, über ihren Glauben kritisch nachzudenken. Kant hat sie genötigt, sich Rechenschaft darüber zu geben, ob es vor der Vernunft verantwortbar ist, an Gott und an Jesus Christus zu glauben. Einer der entschiedensten Beantworter der Frage von Kant ist Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. Ratzinger hat sich sein ganzes wissenschaftliches Leben mit der Frage herumgeschlagen, wie Glaube und Vernunft zusammengehen. Seine Antwort: Ein Glaube an Gott und seinen menschgewordenen Sohn Jesus Christus ist zwar nicht mit Vernunft zu begründen, aber der Glaube widerspricht nicht der Vernunft, er ist nicht unvernünftig. Im Gegenteil: Er ist sogar vernünftig, wenn man einmal den Sprung gewagt hat, an Gott und Jesus Christus zu glauben.

Es ist schon eigenartig, dass der Philosophieprofessor in Königsberg den Vornamen „Immanuel“ trägt. Immanuel heißt auf Hebräisch „Gott ist mit uns“. Seine Eltern waren wohl fromme Protestanten und tauften ihn so. Kants späterer Kollege Ludwig Feuerbach hat über seinen älteren Kollegen ein wenig gewitzelt: „Jedes Jahr, wenn die Studenten und Professoren der Universität zu Königsberg durch die Stadt zum Gottesdienst zogen, hat sie Kant begleitet. An der Kirche angelangt, hat er freundlich gegrüßt und ist dann guten Gewissens nach Hause gegangen.“

Immanuel Kant (1724–1804)Porträt von Johann Gottlieb Becker, 1798

Für Kant ist die sichtbare Kirche aber keineswegs irrelevant. Denn nach Kant weiß der Mensch zwar um das sittlich Gute und das sittlich Böse. Leider neige der Mensch aber zum Bösen, er wisse, dass er moralisch eigentlich vollkommen sein müsse. Das gelinge dem Menschen aber – nach Kant – nur in einem Gemeinwesen. Und Kant schlussfolgert: Das ethische Gemeinwesen ist nur in Form einer Kirche denkbar. Freilich denkt der Philosoph – wie er schreibt – an eine ‚unsichtbare Kirche‘. Diese ist aber wegen der menschlichen Schwäche nicht realisierbar. Realisierbar ist nur eine sichtbare Kirche. Religiöse Vorschriften der Kirchen sind nach Kant nur ‚Vehikel‘ auf dem Weg zur unsichtbaren Kirche. Kant sehnt sich nach einer unsichtbaren, also ethischen ‚Kirche‘. Es bestehen für ihn aber Zweifel, ob die sichtbare Kirche noch im Lauf der Geschichte zugunsten der unsichtbaren Kirche aufgelöst werden kann.

Kant ist also ein scharf denkender, rationaler Ethiker. Er provoziert den glaubenden christlichen Denker. Er schickt uns jetzt gleichsam auf den Weg.

Keine Angst! Im Lauf unserer Reise durch Mitteleuropa ist es nicht immer gedanklich so anstrengend wie am Start bei Immanuel Kant. Aber unser Ausgangspunkt sollte schon ein wenig provozierend sein.

BLAISE PASCAL: „Unterwirft man alles der Vernunft, dann bleibt in unserer Religion nichts Geheimnisvolles, nichts Übernatürliches; wenn man gegen die Grundforderungen der Vernunft verstößt, dann wird unsere Religion sinnlos und lächerlich sein. – Zwei Übertreibungen: Ausschluss der Vernunft. Nur die Vernunft gelten lassen.“

Von Königsberg starten wir in den kleinen Ort Finkenwalde bei Stettin. Hier wirkte einige Jahre lang einer der herausragendsten Theologen Europas des 20. Jahrhunderts.

Dietrich Bonhoeffer

Lutherischer Märtyrer

Der Theologe und Hitlergegner brachte die evangelische Kirche in Deutschland zusammen mit anderen Bekennern auf eine neue Ebene. Er gehörte zur Bekennenden Kirche. Sie erkannte durch Bonhoeffer und andere neu ihre Tiefe, Weite und Größe. So meine Interpretation des Mannes, der sein Leben für Christus gab. Geboren wurde Dietrich Bonhoeffer 1906 in Breslau, hingerichtet wurde er 1945 im KZ Flossenbürg. Er war Theologe, Pastor und Professor.

Die evangelische Kirche in Deutschland hat wohl durch ihn, durch sein theologisches Denken und sein angenommenes Schicksal wesentliche Schritte in die Moderne gemacht. Einen ähnlichen Schritt ist auch die katholische Kirche durch einige Zeugen gegangen. Der geistige Einfluss der Kirchen auf Kultur und Gesellschaft hat sich aufgrund der christlichen Zeugen gewandelt. Vor allem die evangelische Kirche hat sich durch Bonhoeffer von einer gewissen Umarmung durch den preußischen Staat gelöst. Ebenso hat das Denken von Dietrich Bonhoeffer Auswüchse der liberalen Theologie überwunden. Auf Dietrich Bonhoeffer sind heute viele evangelische Christen zu Recht stolz.

Bonhoeffer war zwar nicht förmlich Mitglied des politischen Hitler-Widerstands, wohl aber gehört er zu den aktivsten geistigen Widerständlern. Doch hatte er auch zu den politisch Aktiven Kontakt und wurde auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers am 8. April 1945 – wenige Tage vor Kriegsende – mit dem Strang hingerichtet. Schon diese persönliche Entscheidung des Machthabers, Bonhoeffer hinrichten zu lassen – kurz vor Hitlers Selbstmord –, zeigt, dass sogar der Diktator erkannt hatte, welche Bedeutung Bonhoeffer für die Diktatur hatte.

Für die Geistes- und Kulturgeschichte Deutschlands und Europas ist vor allem Bonhoeffers Theologie wichtig. Meiner Ansicht nach ist es Bonhoeffers zentrales Anliegen, den Glauben an Jesus Christus so an die Welt und ihre Geschichte zu knüpfen, dass der Glaube nicht nur den einzelnen Gläubigen, sondern die Welt verwandelt. Bonhoeffers Glaube ist zwar nicht Politik, aber wenn der Glaube des Christen die Welt nicht ändert, stimmt etwas an dem Glauben nicht. In Bonhoeffers Worten: „Je ausschließlicher wir Christus als den Herrn bekennen, desto mehr enthüllt sich die Weite seines Herrschaftsbereiches […] Die Welt gehört zu Christus, und nur in Christus ist sie, was sie ist. Sie braucht darum nichts Geringeres als Christus selbst. Alles wäre verdorben, wollte man Christus für die Kirche aufbewahren, während man der Welt nur irgendein, vielleicht christliches Gesetz gönnt […] Seit Gott in Christus Fleisch wurde und in die Welt einging, ist es uns verboten, zwei Räume, zwei Wirklichkeiten zu behaupten: Es gibt nur diese eine Welt.“

Dietrich Bonhoeffer (1906–1945)Foto aus dem Jahr 1939

Bonhoeffer unterstreicht immer wieder, dass Christus nicht nur für die Christen, für die Kirchenmitglieder gestorben ist, sondern für die ganze Welt. Daher muss die kirchliche Gemeinde Christus der ganzen Welt verkündigen. Sie darf nicht für sich selbst leben, der einzelne Christ darf nicht für ‚den Himmel‘ und sein Seelenheil leben. Es geht um das Heil der Welt und vor allem auch um das Heil ihrer Geschichte. In diesem Sinn hat Bonhoeffer immer ‚Politik‘ gemacht und in ‚Politik‘ gedacht.

Ein wichtiges Wort, um Bonhoeffer zu verstehen, lautet: „Sollen Mensch und Gott zusammenkommen, so gibt es nur einen Weg: den Weg Gottes zum Menschen.“ Bonhoeffer klagt sich selbst und seine Kirche an, dass sie anfangs zur Judenverfolgung geschwiegen habe, dass sie nur an sich selbst gedacht habe.

DIETRICH BONHOEFFER: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“1

„Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8)

Jetzt reisen wir von Finkenwalde weiter in die alte Hansestadt Lübeck.

Die Lübecker Märtyrer

Protest gegen Hitler

Die vier Geistlichen wurden von den Nationalsozialisten im Jahr 1943 mit dem Fallbeil hingerichtet, weil sie öffentlich gegen das Hitlerregime protestiert hatten. Das Besondere an der Gruppe ist, dass sie ökumenisch zusammengesetzt war, dass die Widerständler über die damals noch ziemlich strikten Konfessionsgrenzen hinweg die Untaten des Hitlerregimes offen vor ihrer Welt scharf kritisiert hatten.

Es gibt zwar noch etliche andere katholische und evangelische Theologen, die von den Nazis hingerichtet wurden, sie aber sind hier im hohen Norden ein Fanal. Sie sollten nie vergessen werden, denn sie sind ein Wahrzeichen der Hansestadt geworden. Wer waren diese vier? Es war der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink und die drei katholischen Seelsorger an der Herz-Jesu-Kirche: Kaplan Johannes Prassek, sein Mitarbeiter Eduard Müller und Vikar Hermann Lange. Sie waren schon lange befreundet und hatten oft ihre nazikritischen Ansichten untereinander ausgetauscht.

Am Palmsonntag 1942, als die Briten in der Nacht zuvor Lübeck bombardiert hatten, sagte Pastor Stellbrink, Gott habe mit mächtiger Stimme gesprochen. Die Nazis interpretierten diese Worte als Gottesgericht. Im Lauf der nächsten zwei Monate wurden Stellbrink und die anderen drei verhaftet. Erst ein Jahr später fand der Prozess vor dem Volksgerichtshof statt. Urteil: Rundfunkverbrechen, Feindbegünstigung und Zersetzung der Wehrkraft. Verurteilung zum Tod durch Enthauptung. Wann die Urteile vollstreckt wurden, ist nicht bekannt. Die Kosten für die Hinrichtung mussten die Angehörigen tragen.

Am 25. Juni 2011 wurden die drei Katholiken in Lübeck seliggesprochen. Beim Lübecker Rathaus und an mehreren anderen Stellen in und um Lübeck sowie in Hamburg befinden sich heute Gedenktafeln für die vier, die ihr Leben im Protest gegen die Unmenschlichkeit der Nazis für Gott hingegeben haben.

Karl Friedrich Stellbrink (1894–1943)

Eduard Müller (1911–1943)

Hermann Lange (1912–1943)

Johannes Prassek (1911–1943)

„Denkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie an meinem Wort festgehalten haben, werden sie auch an eurem Wort festhalten.“ (Joh 15,20)

Nun orientieren wir uns Richtung Hamburg. Dabei überqueren wir den heute nicht mehr sichtbaren Sachsenwall und kommen in ein Haus von christlichen Mönchen.

Kloster Nütschau

Grenzwächter gegen die Slawen

Leider war es im Lauf der menschlichen Geschichte immer wieder nötig, Mauern und Wälle zu bauen, da Menschen und Völker keine Engel sind, sondern sich manchmal wild bekämpfen. So bauten die alten Römer den Limes, um sich vor den wilden Germanen zu schützen, so errichteten die Chinesen die Chinesische Mauer, um die nomadischen Reitervölker im Norden zurückzuhalten. Und so gab es im hohen Norden Deutschlands zwischen Elbe und Kieler Förde den sogenannten Sachsenwall, den Limes Saxoniae. Er trennte die Germanen von den Slawen.

Auf den Resten einer dortigen sogenannten Fliehburg an der Trave steht seit 1951 ein Zentrum der Benediktiner, das Kloster Nütschau in Travenbrück – vermutlich die nördlichste Niederlassung des Benediktinerordens in Deutschland.

Daher möchte ich hier die große kulturelle Bedeutung des heiligen Benedikt und seiner Gründungen vorstellen.

Benedikt von Nursia

Ohne Mönche kein Europa

Der heilige Benedikt hat einen wesentlichen Grundstein für das gelegt, was wir die europäische Kultur und Identität nennen. Er hat das Fundament dafür bereitet, was typisch „Europa“ ist. Durch die Gründung seiner Klöster entstand der kulturelle Boden, auf dem sich Europa wesentlich von Asien und Afrika unterscheidet. Die beiden Amerikas waren damals noch „terra ignota“ – unbekanntes Land. Wir werden Benedikt aber auch später noch oft begegnen.

Benedikt wurde im Jahr 480 in einer gebildeten Familie in Umbrien – genauer in Nursia – geboren. Seine Eltern wollten, dass er ein wohlstudierter Herr würde, und sie schickten ihn daher zur Schule und zum Studium nach Rom. Dort war der junge Mann aber von der moralischen und politischen Dekadenz derart erschüttert, dass er bald Reißaus nahm und sich als Einsiedler in die Berge zurückzog. Er kam an den bis heute bekannten Ort Subiaco. Dort entstand später ein Kloster nach Benedikts Regel, das heute auch wegen seiner Fresken viele Touristen anzieht.

Es ging Benedikt, wie es auch heute „Aussteigern“ geschehen kann. Er wollte einsam sein, aber es kamen viele, die ebenfalls mit dem dekadenten Leben brechen wollten. Sie suchten mit ihm eine Gemeinschaft und wollten von ihm lernen. Es entstand eine klösterliche Gemeinschaft – sogar in angeblich zwölf verschiedenen Niederlassungen. Vieles gefiel Benedikt nicht ganz an dieser Entwicklung. Er zog mit den Seinen um nach Montecassino, dem bekannten Berg auf halbem Weg zwischen Rom und Neapel. Hier entstand das eigentliche Gründungskloster.

Die harmlose spätrömische Götterverehrung stieß Benedikt ab. Ihm ging es um eine echte Spiritualität, um die Suche nach Gott – und das nicht allein, sondern in Gemeinschaft.

Da der Mensch aber nicht von morgens bis abends beten und meditieren kann, galt für ihn und die Seinen bald das Motto „Bete und arbeite – Ora et labora“. Aus dieser Kombination wuchs Europa. Für Benedikt und die Seinen galt die Grundregel: Du musst dich täglich diszipliniert in Gott verankern und dann die Welt bearbeiten. Konkret bedeutete das für die Benediktinerklöster: Felder anlegen für den Ackerbau, Wälder roden, Teiche anlegen für den Fischfang, Holz und Metall in Werkstätten bearbeiten. Es blieb aber nicht bei der Handarbeit. Viele Benediktgefährten lernten Lesen und Schreiben. Sie begannen die Schriften alter griechischer und römischer Gelehrter zu kopieren und zu übersetzen, sie sammelten alte Bücher, legten Bibliotheken an. Die Kirchen, in denen sie gemeinsam beteten, wurden immer kunstvoller. Weil sie von Jesus Christus ergriffen waren, waren sie tätig und schufen aus dem Geist des Evangeliums Kultur. Ohne den Anstoß durch Benedikt und die Seinen wäre Europa anders geworden.

Benedikt von Nursia (um 480–547)Benedetto-Portinari-Triptychon von Hans Memling, 1487 (Ausschnitt)

In ganz Europa gab es wohl rund 35 000 Benediktinerklöster. Menschen in Klöstern sind nicht nur fromm und gehorsam, weil sie Angst haben, in die Hölle zu kommen. Christen schaffen Kultur, weil sie glauben: Der Schöpfergott hat dem Menschen die Welt gegeben, damit er sie bebaue und gestalte. Gott schuf den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis. Gott ist Naturschöpfer, der Mensch wurde Kulturschöpfer. Ein wesentlicher Pionier auf diesem Weg war der heilige Benedikt von Nursia. Er wurde im Jahr 1964 zum Patron Europas erklärt.

Aus der Ordensregel des heiligen BENEDIKT: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat! So kehrst du durch die Mühe des Gehorsams zu dem zurück, den du durch die Trägheit des Ungehorsams verlassen hast. An dich also richte ich jetzt mein Wort, wer immer du bist, wenn du nur dem Eigenwillen widersagst, für Christus, den Herrn und wahren König, kämpfen willst und den starken und glänzenden Schild des Gehorsams ergreifst. Vor allem: Wenn du etwas Gutes beginnst, bestürme ihn beharrlich im Gebet, er möge es vollenden.“

Benedikt hatte einen intelligenten und weitdenkenden Schüler im Norden, der sogar zum „Patron des Nordens“ wurde. Wir reisen weiter nach Hamburg.

Der heilige Ansgar

Pionier in Hamburg

Ein Wunsch Karls des Großen vom Jahr 810 ist für die kulturelle Entwicklung Hamburgs interessant: Er wollte, dass in der damals kleinen Hafen- und Handelsstadt eine Kirche gebaut würde. Ein Bischof aus Trier hat sie dann eingeweiht.

Was uns hier bewegt, ist die Gestalt des heiligen Ansgar. Er gilt als Bischof von Bremen und Hamburg und als Apostel des Nordens überhaupt, womit vor allem Dänemark und Schweden gemeint sind. Er begann als Lehrer in einem belgischen Benediktinerkloster. Von dort wurde er als Abt ins neu gegründete westfälische Kloster Corvey an der Weser geschickt.

Umstritten ist unter Forschern, ob er wirklich Bischof von Hamburg war. Sicher aber wurde er vom Papst zum Beauftragten der Mission bei den Dänen und Slawen berufen. Im Norden tat Ansgar das, was man von einem guten katholischen Bischof erwarten durfte: Er gründete eine Schule, ein Kloster und ließ die Marienkirche in Hamburg bauen. 845 plünderten die Wikinger allerdings Hamburg, und Ansgar ließ seinen Bischofssitz nach Bremen verlegen. Was tat er dort? Laut Wikipedia baute er Krankenhäuser, kaufte Gefangene frei und bekämpfte den Sklavenhandel. Was Christen eben so tun, wenn sie Jesus Christus verstanden haben. Das Urteil des dänischen Königs Horik über den heiligen Ansgar lautete: „In meinem Leben habe ich noch keinen so edlen Mann gesehen und in keinem Sterblichen so viel Treue gefunden wie in Ansgar.“

Hl. Ansgar (um 801–865)

Fazit: Es stimmt nicht, was viele so im Munde führen, die Christen hätten immer nur Kriege angestiftet und Menschen gegen ihren Willen zu Christen gemacht. Sie haben getan, was der Mann aus Nazareth vorgelebt hatte: Kranke heilen, Gefangene befreien, Menschen lehren – und das alles motiviert aus dem Glauben an Jesus Christus, in Hoffnung und Liebe zu ihm.

„Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ (Mk 16,15)

Wir überqueren die deutsch-dänische Grenze und fahren nach Kopenhagen.

Søren Kierkegaard

Radikales Christentum

Der dänische Philosoph und Theologe hat die Theologie, die Kirche, das Christentum seiner Zeit scharf kritisiert. Sie waren ihm zu bürgerlich, zu angepasst, zu säkular geworden. Die Provokation Jesu Christi sei verloren gegangen, Christentum sei zur bürgerlichen Moral verkommen. Die Kirche habe den wahren christlichen Glauben aufgegeben und zu einem Kulturgut gemacht. Ja – er meinte nicht weniger, als dass die lutherische Staatskirche ein neues Heidentum sei.

Geboren wurde Søren Kierkegaard 1813 in Kopenhagen. Er studierte Philosophie und Theologie, nahm die Studien aber nicht sonderlich ernst. Doch er erlebte bei einem Ferienaufenthalt einen seelischen Umbruch. In seinem Tagebuch steht am 1. August 1835: „Es kommt darauf an, meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was die Gottheit eigentlich will, dass ich tun solle; es gilt eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will.“

Nach Ansicht vieler Kenner war hier Kierkegaards entscheidende Lebenswende und begann sein Lebensweg, seine Existenzphilosophie. Und hiermit gab er einen Anstoß für unzählige Theologen und Philosophen Europas. Eine wesentliche Einsicht Kierkegaards war: Moral, Ethik und Gesetz machen den Menschen nicht frei, sondern verwickeln ihn in Schuld und Verzweiflung. Retten könne allein der Glaube an die Vergebung der Schuld durch Gott. Kierkegaard protestierte damit gegen die verbreitete Ansicht von Hegel, Glaube und Vernunft seien zu versöhnen. Glaube ist nach seiner Ansicht Ärgernis und Torheit. Genau das habe die Kirche vergessen. Er bezog sich damit im Wesentlichen auf den Römerbrief des Apostels Paulus.

Søren Kierkegaard (1813–1855)Zeichnung von Niels Christian Kirkegaard, um 1840

Kierkegaard wollte an diesem Punkt seine schriftstellerische Arbeit beenden und Pfarrer werden. Doch er musste seinen Protest gegen falsche Theologie immer wieder in die Öffentlichkeit bringen und bewegte unzählige Denker und Kirchenleute. Er wurde oft und scharf angegriffen. Seine These war: Selbstverleugnung und Nachfolge Christi.

1850 erschien sein Buch „Einübung im Christentum“. Er wurde immer stärker zu einem Gegner der Staatskirche und ist wohl bis heute ein Stachel im Fleisch der Kirchen. Kierkegaard starb 1855 in Kopenhagen.

„Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Mt 16,24)

Jetzt überschreiten wir die Grenze nach Schweden, landen in Uppsala und werden dort staunen über einen herausragenden Politiker des 20. Jahrhunderts, der nicht ohne den Glauben an Gott leben konnte.

Dag Hammarskjöld

UNO-Generalsekretär

Zwei grundlegende Überzeugungen des Politikers lauteten: „Das Unerhörte – in Gottes Hand zu sein“ und „Das Leben hat Wert nur durch seinen Inhalt – für andere. Mein Leben ohne Wert für andere ist schlimmer als der Tod.“

Geboren wurde der herausragende Schwede 1905. Nach dem Studium von Jura, Ökonomie und Philosophie stieg er in der Politik Schwedens auf bis zum Finanzminister und stellvertretenden Außenminister. 1953 wählten ihn die Vereinten Nationen zu ihrem Generalsekretär. Sein Kampf galt vor allem der Lösung von vier Konflikten: die Befreiung US-amerikanischer Gefangener aus Peking nach dem Koreakrieg, die Lösung der Suezkrise, die Suche des Friedens in Ungarn nach dem Aufstand gegen Moskau und die Beilegung des Sezessionskrieges im Kongo. Im Kongo erreichte ihn sein Schicksal, denn sein Flugzeug wurde im Jahr 1961 vermutlich abgeschossen. Postum erhielt er den Friedensnobelpreis.

Woraus er lebte, zeigt sich in einigen seiner Tagebuchaufzeichnungen:

„In dem Glauben, der ‚Gottes Vereinigung mit der Seele‘ ist, bist du eins mit Gott und Gott ganz in dir, gleich wie er ganz für dich ist in allem, was dir begegnet. In diesem Glauben steigst du im Gebet hinab in dich selbst, um den anderen zu treffen, im Gehorsam und Licht der Vereinigung.“ – „Verzeihen ist die Antwort auf den Kinderglauben vom Wunder, wodurch das Zerschlagene heil wird und das Schmutzige rein. In einem solchen Sinn bedürfen wir der Verzeihung und müssen sie geben. Im Erleben Gottes steht nichts zwischen ihm und uns, es wird uns verziehen. Aber wir können Gott nicht erleben, wenn irgendetwas zwischen uns und anderen stehen darf.“ – „Was du wagen musst – du selbst zu sein. Was du erreichen kannst – in dir des Lebens Größe nach dem Maß deiner Reinheit zu spiegeln.“2

Dag Hammarskjöld (1905–1961)Foto aus dem Jahr 1953

„Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man umso mehr verlangen.“ (Lk 12,48)

Verlassen wir Skandinavien und fahren nach Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Erste Station ist Hannover.

Nils Stensen

Religiöses Universalgenie