Christus und sein Himmel - Dieter Müller - E-Book

Christus und sein Himmel E-Book

Dieter Müller

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Beschreibung

"Ich will in den Himmel", schrieb ein Journalist vor wenigen Jahren. Er meinte nicht den Weltraumflug. Ich war verblüfft. Himmel? Wer glaubt denn noch an Wohnungen mit Ewigkeitswert? Und dann sucht er sie auch noch im luftigen Himmel? "Himmel" scheint kaum mehr als eine diffuse Erinnerung aus längst vergangenen Zeiten. Andererseits: Ist der Himmel wirklich ein Muster ohne Wert? Kein Mensch lebt ohne Verfallsdatum. Wird mein Leben ohne den Mehrwert des Himmels, auf den unsere Vorfahren zu lebten, angesichts des unausweichlichen Todes nicht zum Muster mit allzu begrenztem Wert? Könnte es sich nicht lohnen, auf den Himmel zu wetten, wie einst der geniale Mathematiker und Christ Blaise Pascal mit seiner berühmten Wahrscheinlichkeits-Wette? Wohin ist der Himmel verdrängt oder entwichen? Ich habe mich mit 89 Jahren im Endspiel meines eigenen Lebens auf die Spurensuche gemacht. Und dieses Büchlein ist ein Zwischenbericht.

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Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus, der unsern nichtigen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann.

Phil 3,20-21

Wir sind Fremdlinge und Gäste vor dir wie unsere Väter alle. Unser Leben auf Erden ist wie ein Schatten und bleibet nicht

1. Chronik 29,15

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

Nach einem knappen Jahr veröffentliche ich jetzt die 2. Auflage meiner „Suche nach dem Himmel Jesu Christi”. Sie ist nötig geworden aufgrund von Fehlern, die mir unter dem Druck des weihnachtlichen Veröffentlichungstermins 2023 entgangen waren. Der Inhalt meiner versuchten Annäherung an den Himmel war durch diese Fehler nicht berührt. Ich habe den gesamten Text – auch in stilistischer Hinsicht – noch einmal durchgesehen und wiederholt erweitert.

Mit Freude nehme ich wahr, dass die Suche nach dem Himmel zunehmend auch von anderen aufgenommen wird. So hat Peter Seewald, der glänzende Biograph Benedikt XVI. und sensible zeitdiagnostische katholische Publizist, mit einer bewegend würdigen Rede unter der Überschrift „Wir haben den Himmel verloren” für die ihm von der evangelischen Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel (STH Basel) verliehene Ehrendoktorwürde gedankt. Peter Seewald skizziert existenziell tiefgreifend die Fragen, die sich stellen, wenn der Mensch sich auf die Suche sowohl nach dem Wesen des Menschen wie auch nach der Realität Gottes macht.1)Beides ist ihm von vornherein mit der Tatsache seines Todes aufgezwungen, ob er will oder nicht.

Herzlich danke ich Herrn Pastor Ulrich Rüß und dem Vorstand der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der Ev.-Lutherischen Kirche in Norddeutschland” für die tatkräftige Hilfe bei der Verbreitung meines Buches.

Dr. Werner Neuer hat mich durch seine ermutigende Rezension angespornt, der ersten schnell eine zweite durchgesehene und erweiterte Auflage folgen zu lassen.

Ohne die „Bibelschule”, die Ulrich Wilckens uns in seiner wirklich Weg weisenden Theologie des Neuen Testaments hinterlassen hat, wäre dies Büchlein nicht entstanden. Sein bibelwissenschaftliches Arbeiten zog Ulrich Wilckens hinein in das Lob der Liebe Gottes. Er kannte die den Himmel öffnende Macht des Gebets. Als unser Bischof hatte er im Kreis der Amtsbrüder, der sich um den Propsten Otto-Uwe Kramer gesammelt hatte, eine Bibel- und Gebetsinitiative angestoßen. Ulrich Wilckens wird uns im Kreis der vollendeten Brüder und Schwestern fürbittend aus dem Himmel heraus, in dem Christus sie vollendet hat, unterstützen. Es wird sich einmal zeigen, welche geistliche Kraft uns von ihrer Fürbitte aus Christi Himmel heraus zufloss. Josef Ratzinger, der, wie manche meinen, größte Theologe bisheriger Zeiten auf dem Papstthron, hat mir tiefer erschlossen, was Himmel und Erde verbindet.

Diese zweite Auflage meines Himmels-Buchs widme ich meiner lieben Frau Wiki, die nach mehr als 60 Jahren Ehe immer noch den Himmel – so Gott will – gern mit mir teilen möchte. Vielleicht schenkt Gott ihr ja auch, dass sie mit mir im Himmel zur Ehre Gottes beglückend tanzen kann, was uns auf Erden leider nicht gelang.

Kiel, im Sommer 2024 Dieter Müller

1) Peter Seewald: „Wir haben den Himmel verloren“. Das Leben vom Ende her denken. Im Wortlaut der Vortrag des anlässlich seiner Ehrenpromotion durch die STH Basel. Dokumentiert in Die Tagespost, https://www.die-tagespost.de/kirche/aktuell/peter-seewald-wir-haben-den-himmel-verloren-art-251426.

EINLEITUNG

Chruschtschows Astronauten fanden den Himmel der Christen nicht. Sie vermochten es auch gar nicht, denn sie waren simple Materialisten mit allzu eingeschränkter Sicht auf die Wirklichkeit. Gottes Himmel ist nicht ein Raum, den man durch Koordinaten vermessen und in den man durch Technik eindringen könnte. Angemessener ist er als „Raum des Friedens“ definiert, in dem die Liebe herrscht. Ein solcher Raum erscheint Menschen, die eingeschränkt naturwissenschaftlich geprägt denken, allzu luftig.

Wer aber könnte ausschließen, daß sich uns der Himmel öffnet, sobald der Arzt unseren Totenschein ausgestellt hat. Wäre es so, und das bleibt bis dahin wissenschaftlich mindestens offen, dann würden wir hineingerissen in ein faszinierend überwältigendes Wunder, ganz gleich ob wir es gegenwärtig glauben oder nicht.

Obwohl wir Einblicke in den Himmel bestenfalls gespiegelt, „wie in einem Spiegel“ heißt es in der Bibel (1. Kor 13,12), gewinnen, und Spiegel waren damals recht unpräzis, so lassen sich über den Himmel Christi doch in theologischen Meditationen und Assoziationen Einsichten gewinnen. Und die sind nicht aus der Luft gegriffen. In 2000 Jahren ist eine erfahrungsbasierte Gewissheit entstanden, die zahllose Menschen getragen hat und immer noch trägt. In Ihrem Gefolge versuche ich mich kreisend dem Geheimnis des Himmels zu nähern und Blicke hinein zu werfen. Es ist ein tastender Schritt hinein in eine lutherische Mystagogie, eine Einführung und Einübung in die Mysterien des christlichen Lebens.

Auf der Suche nach dem Himmel folge ich den Christusfesten, die als Leitfaden des Glaubens die entscheidenden Stationen der Biographie Jesu Christi feiern. Sie alle haben ihre thematische Mitte und historische Erdung in Jesus Christus, dem Mensch gewordenen Gott, den wir Christen als Gottes Sohn erfahren, definieren, glauben, und verehren. In allen Christusfesten, die wir auf Erden feiern, begegnet Christus im Himmel verwurzelt und auf dem Weg zu jedem Einzelnen von uns mit dem lockenden Willen, uns in sein himmlisches, liebendes Leben hineinzuziehen. Als Teilhaber der Heiligen Dreieinigkeit Gottes hat er ganz eindeutig in Gott Ursprung und Ziel, ist also beheimatet im „Himmel“, dem Liebes- und Machtzentrum Gottes.

Die Christus-Feste beschreiben die Stationen eines Weges, den Gott, Schöpfer und Herr der Welt, in verblüffend demütiger Liebe gegangen ist. Auf diesem Weg nach unten hat Gott uns mit seiner Einladung nach oben seinen Himmel geöffnet. In dieser Richtung liegt immer noch das Ziel des irdischen Menschen, den Ewigkeitssehnsucht treibt. Weil der Mensch Bild Gottes ist, konnte es nie anders sein. Der Marxist Ernst Bloch nannte es „Heimat“, „worin noch niemand war“. Ich nenne es mit der christlichen Tradition „Himmel“, aus dem Jesus kam; und in dem Jesus jetzt mit den vollendet Erlösten lebt und auf zu Erlösende wartet.

Den irdischen Jesus nehmen wir Christen wahr als eine zweifellos unentbehrliche Erfahrungsvariante Gottes, aber ebenso sicher ist er, der exemplarische Mensch Gottes, allein nicht Gottes umfassende Wahrheit. Denn folgen wir 2000 Jahren christlicher Erfahrungsgeschichte, ist Gott, in sich dreifaltige grenzenlos hingegebene personale Liebe, nach außen aber nicht weniger allmächtig liebender Schöpfer und Herr der Welt. Er wurde in der Person des Sohnes Jesus Christus durch die kreative Macht des Gottesgeistes Mensch von Fleisch und Blut. Er „inkarnierte“, und das, weil Gott offenbar der Überzeugung ist, uns, seine geliebten Menschen, allein auf diesem Weg, der vom Himmel ins irdische „Fleisch“ führte, aus den Klauen des Bösen und gewiß auch vor uns selbst retten zu können. Zugleich bleibt Gott, der Dreieine, das trinitarische Geheimnis, das dem Menschen nur soweit zugänglich ist, wie Gott es, sich offenbarend, will. Verlässlich dem Glaubenden aber ist, daß Gott, Liebhaber von versöhnter Individualität, wahr gewordener Identität und geheiligter Leiblichkeit jeden von uns im Himmel individuell und leiblich sehen will. Was also ist der Himmel als Lebens-Ziel?

Jesus hat in seinem Mustergebet, dem „Vaterunser“, Himmel und Erde grundsätzlich mit einander verbunden: Gottes „Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.“ Damit proklamiert er in Gottes Autorität die Erde grundsätzlich als himmelsfähig. So war es Gottes Wunsch von Anbeginn, bevor die Sünde idealtypisch ihre Macht auf Erden entfaltete, und so wird es am Ende sein, wenn Gott in der Vollendung beide, Himmel und Erde, im himmlischen Ausgleich untrennbar vereint. Die Erde bringt in dieses grunderneuerte Sein auf jeden Fall die „Leiblichkeit“ ein, das „Fleisch“, der Himmel den Geist, der alles in die Liebe verwandelt, die Gottes Wesen bestimmt. Damit ist die Richtung gegeben, in der wir meditieren, assoziieren und denken.

Lange Zeit war es der „historische Jesus“, dem ich Glauben prägende Kraft abgewinnen wollte. Meine Ausbildung vollzog sich nach 1957 in der Hoch-Zeit der Bultmann-Schüler. Ich suchte fehlgeleitet den wirklich Historischen recht kurzsichtig in der verwirrenden Vielfalt der historischen Jesusbilder.

War es nicht der Bergprediger, der „Gott“ in seiner bis zum Tod am Kreuz gelebten Radikalität einzigartig repräsentierte? Hatte er nicht zugleich in seiner Solidarität mit Armen und Schwachen, den Erniedrigten und Beleidigten, in der Autorität Gottes die Spielregeln der vom Kampf ums Dasein geprägten Welt umgestürzt und Gottes radikal neue himmlische Welt der Liebe gegründet? War er es nicht, der in seiner Bergpredigt die Regeln bot, die damals nach dem Grauen der beiden Weltkriege im „Kalten Krieg“ dem Gottesfrieden den Weg hätten bahnen können? Gaben diese Regeln nicht der Liebe Gestalt, ohne die der Gott des Evangeliums sich nicht denken lässt? Christlich leben schien zu fordern, dem Bergprediger mit Leib, Geist und Seele nachzufolgen; Pastor sein schien vor allem darin zu bestehen, Menschen für die Nachfolge des Bergpredigers zu begeistern.

Allerdings währte die Begeisterung für diesen Lebensentwurf nicht lange, denn aus der schlichten Alltagserfahrung stellte sich die nüchterne Frage: Woher die Kraft nehmen, Bergpredigt zu leben? Ich konnte ja nicht einmal meine Frau so lieben, dass es ihr gut ging.

Die Bergpredigt ist nach meiner damals gewonnenen Überzeugung in ihrer schlichten Präzision und erschreckenden Klarheit die großartigste Ethik, die je in menschliche Sprache gebracht wurde. Aber sie formuliert den Lebensstil des Himmels, nicht den der Erde. Sie konnte in einem „Paradies“ gelebt werden, bevor die Sünde einbrach und den Menschen von Gott, dem Herrn, seinem paradiesischen „Freund“ und „guten Nachbarn“ trennte. Und sie wird vollkommen erst wieder im Himmel gelebt. Diese Feststellung ist eine grundlegende Erkenntnis auf der Suche nach Christi Himmel. Die Erde ohne den „Himmel“ ist nicht mehr als ein zweifellos schönes, von Widersprüchen zerrissenes, genial konstruiertes, leider aber durch Tod und Verwesung um allen Sinn gebrachtes Nichts. Ja, die Bergpredigt buchstabiert Gottes Liebe Sinn stiftend in die Beziehungsnetze hier, aber Gott vollendet den Lebensstil der Liebe dort. Wer wissen will, wie im Himmel gelebt wird, kommt nicht umhin, die Bergpredigt zu meditieren. Dort vollendet sich die Vision, die Jesus aus dem Himmel auf die Erde brachte.

Auf Erden, wo der evolutionäre „Kampf ums Dasein“ mehr oder weniger selbst das „Fortschritte zeigende zivilisierte Leben“ des Menschen bestimmt, bleibt sie sozialethisch die anspornende Utopie einer besseren Gesellschaft, der das drohende Chaos jedoch nicht auszutreiben ist. Kein Mensch vermag die Bergpredigt wirklich ohne die beherrschend erneuernde Macht des Gottesgeistes zu leben. Ohne den mehr oder weniger dynamische Liebe freisetzenden Anschluss an Gottes Liebe bleibt dieser Versuch nichts als schöne Utopie. Wie aber findet man die Steckdose zur Liebe Gottes? Diese Frage hat mich als Glaubenden seit meinem ersten gründlichen Scheitern als Christ nicht mehr los gelassen.

Erst als der „Heilige Geist“ sich barmherzig bei mir meldete, weil Gott meine Not sah und mich auf ökumenische Seminare über die christliche Geist-Erfahrung aufmerksam machte, erschlossen sich mir neu die realen Dimensionen des christlichen Glaubens. Der Glaube, den Jesus lebte und für den er warb, nimmt Gott grundsätzlich weniger ethisch-moralisch als Gesetz wahr; er findet Gott vielmehr im Evangelium der Liebe. Und die behält das letzte Wort und strömt unaufhaltsam einladend aus der Schönheit und Herrlichkeit des Himmels. Sie ist es, die mehr oder weniger machtvoll verändernd unser Leben dem Himmel nähert. Ich ließ mich in der Sprache der Alten Kirche auf einen mystagogischen Weg ein.

Der „historische Jesus“ gewann für mich im „biblischen Christus“ himmlische Tiefe und Weite. Mir erschloss sich neu in durchdachter Naivität, daß Ursprung und Ziel des historischen Jesus im Himmel des Dreieinen Gottes beheimatet sind. Der historische Jesus ist „wahrer Mensch“ und genau so wirklich „wahrer Gott“. Auch hier gilt Hegels Einsicht „Das Wahre ist das Ganze.“ Luthers Dialektik von Gesetz und Evangelium wurde unter diesem Aspekt lebendige orientierende Erfahrung. Der Mehrwert des befreienden Evangeliums überbietet eindeutig das fordernde Gesetz. Gottes Liebe ist mächtiger als sein Gebot. Sie bleibt, und sie verwandelt das Gebot in liebendes Leben. Ich versuchte wieder christozentrisch zu denken und zu leben: Christus trat mir wieder als Person der Heiligen Dreieinigkeit entgegen. Noch allerdings blieb mir der „Himmel“ – evangelisch sehr sparsam geprägt – allzu vage.

Inzwischen ist mir der Tod statistisch und durch die zunehmende Erfahrung von Altersschwäche sehr nahe gekommen, und die Suche nach dem Himmel wird schon durch die Situation des biographischen Endspiels dringend. Wie darf ich mir „Himmel“, geleitet von biblischen Aussagen, 2000jährigem christlichen Erfahren und theologischem Nachdenken, vorstellen?

Den bewegenden Anstoß zur Suche gab ausgerechnet ein Journalist, nämlich Markus Spieker, der mich vor wenigen Jahren in einem Büchlein mit dem Untertitel „Ein Journalist sucht den Himmel“ auf die erstaunliche Tatsache aufmerksam machte, daß nicht einmal „Kirchenleute“ hierzulande über den Himmel reden. Ich natürlich auch nicht. „Über hundert von ihnen“ – fand Spieker – „schreiben in einem kürzlich erschienenen Sammelband (‚Mein Glaube in Bewegung‘) darüber, was ihnen der Glaube bedeutet. Ich habe“, schreibt er, „das Buch ein paar Mal nach dem ‚H‘-Wort abgescannt. Ich habe es nicht gefunden.“2) Dieses gewaltige Loch im Glauben von Christen wird noch verwunderlicher, wenn man bedenkt, daß der „Himmel“ das klar in der Bibel verheißene Ziel jedes Christen ist, der stirbt.

„Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus, der unsern nichtigen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann.“ (Phil 3,20)

Spieker hat mir ins Bewusstsein gehoben, daß auch ich in mehr als 30 Jahren regelmäßigen Predigens, abgesehen von Andeutungen, den Himmel nie wirklich zum Thema gemacht, geschweige denn für ihn in seiner Weite und Tiefe geworben habe. Liegt es daran, dass für evangelische Christen, die ihren Glauben ernsthaft leben, die Verehrung Jesu Christi den Himmel auf Jesus Christus zusammen schrumpfen läßt, zumal das evangelische, biblisch durchaus begründete, „Christus allein“ als Warntafel im Raum steht? Oder ist es die verweltlichende Erdung des gegenwärtigen Denkens, die dem Himmel seine Macht auf den Glauben nimmt? „Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen“, formulierte der Spott. Mit der Frage nach dem „Himmel“ leben am Ende jedoch, ohne sie wirklich ausrotten zu können, selbst Atheisten. Sie stellt sich existenziell bewusst oder unbewusst spätestens, wenn der Tod sich meldet und die Sinnfrage letztgültig stellt. Und das geschieht früher oder später unausweichlich. Und was dann? Auch hier gilt: „Das Wahre ist das Ganze.“ Und das Ganze entwickelt sich nach Hegel zum Wahren. Das gilt auch für den Menschen der Erde, dem Gott den Himmel zugedacht hat. Genau diese Himmels-Frage drängt sich mir mit 88 Jahren längst sehr persönlich auf.

Es ehrt den Journalisten Spieker, dass er sich in seinem Büchlein erst 41 Jahre alt schon auf die Suche nach dem Himmel gemacht zu haben scheint. Spieker nennt als Gründe für seine Suche:

Ich will Leben ohne Verfallsdatum…

Ich will das wahre Glück.

Ich will Liebe auf Dauer.

Ich will in den Himmel.

Ich finde: Ein respektables Leben-Such-Programm, knapp formuliert; es setzt allerdings zweifellos Gott voraus. Leben ohne Verfallsdatum, wahres Glück, Liebe auf Dauer sind ohne personale, also individuelle Ewigkeit nicht denkbar, und die findet auf Erden unter dem Gesetz von Werden und Vergehen keine Heimat. Ewigkeit hat Gott sich offenbar im „Himmel“ vorbehalten. Nur wo finde ich den Himmel, und wie ist er beschaffen? Fantasievolles Träumen kann die Antwort nicht sein.

Eine Grenze gegen Fantasien und Träume zieht schon die mittelalterliche Anekdote von zwei Mönchen, die sich im kargen Kloster an der fantasierten Schönheit des Himmels erfreuten. Sie versprachen sich wechselseitig, der erste, der sterben solle, werde im Traum dem noch Lebenden erscheinen und Aufklärung geben. Zwei knappe lateinische Worte sollten genügen: „taliter“, so, wie wir es uns ausgemalt haben, oder „aliter“, nein, anders. Der Tod holte den Ersten, und der offenbarte seine Himmelserfahrung nicht wie verabredet in einem einzigen Wort; er benötigte zwei: „totaliter aliter“, völlig anders. Muss also offen bleiben, was den Christen im Himmel neben Gott, dem Unergründlichen, erwartet? Für Gott gilt gewiss das totaliter-aliter. Gott ist unaussprechlich viel mehr als er jemals offenbart hat. Und das wird bleiben, wenn der Christ ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht.

Provozierende Weite zeigt eine Karl Barth zugeschriebene Antwort auf die Frage einer Basler Dame: „Sehen wir unsere Lieben im Himmel wieder?“ „Ja, aber die anderen auch!“

Für Christen ist eindeutig, dass Christus den Himmel prägt. Der Himmel ist Christi Heimat. Vom Himmel aus wirkt er in der Kraft seines Geistes in die Welt hinein. In diesem Büchlein will ich versuchen, den Himmel aus Christus heraus zu entfalten.

Dieser Himmel ist Geschenk der Gnade. Gnade ist radikal. Sie ist nicht zu verstehen unter dem Aspekt der Quantität, Gnade ist einzigartige Qualität, und der Christ empfängt sie nicht als abrundend quantifizierbare Zugabe zu einer Lebensleistung. Gnade ist die radikal andere Qualität wie Totenerweckung. Auf beides zielt das Leben des nicht vollendeten Menschen. Beide, Gnade und Totenerweckung, sind in der beeindruckenden Macht des Menschen nicht enthalten. Gnade als Tote erweckende Macht ist Alleinbesitz Gottes.

Für die Wirklichkeit begehrende Suche nach dem Himmel ist eine wichtige Feststellung zur geschichtlichen Ausformung des Glaubens und seiner Inhalte von Bedeutung. Wir erleben nämlich auch hier gleichsam einen „inkarnatorischen“ Prozess, der sich strukturgleich vollzieht wie Gottes Menschwerdung. Nach der Zeugung Jesu durch den Heiligen Geist hatte ein Entwicklungsprozess begonnen, in dem sich das menschliche Profil Gottes herausbildete. Analog steht am Anfang der christlichen Lehrentwicklung nicht das ausformulierte geschliffene Dogma, der bekennende Lehrsatz, wie etwa der zentrale Glaubenssatz der Christenheit: „Jesus ist von den Toten auferstanden“. Ursprung dieses Wahrheit aussprechenden Dogmas ist das befreiend gnädige Widerfahrnis, das Staunen, Glauben und unvermeidlich zugleich das Gotteslob und die Anbetung hervorruft. Der christliche Auferstehungsglaube begann zweifellos damit, daß der auferstandene Jesus seinen Jüngern begegnete und sie ihn bisweilen verkannten wie Maria Magdalena im Garten. Wenn sie ihn aber erkannten, rief dies begriffene Widerfahrnis immer den Lobpreis Gottes hervor, für den die Worte – gut vorbereitet – im lobpreisenden Gebetsleben Israels schon bereit lagen.

Täglich hatten die Jünger als Juden erwartungsvoll im 18-Bittengebet Gott gepriesen als den Gott, der die Toten auferweckt und ins ewige Leben ruft. Das 18-Bitten-Gebet, das Shemone Esre, ein umfangreicher achtzehnteiliger Lobpreis, war ebenso Zentrum des täglichen Gebets wie später in der Christenheit Jesu Vaterunser. In diesem Gotteslob Israels: „Gepriesen bist Du, Gott, der Du die Toten auferweckst und lebendig machst“, finden wir nachweislich die sprachliche Wurzel des ältesten Glaubensbekenntnisses der Christenheit „Jesus ist von den Toten auferweckt.“ Das machtvolle Sprachmaterial lag bereit.

Nichts lag näher bei jeder der erstaunlichen Jesusbegegnungen nach der Kreuzigung, die himmlisch ermächtigt waren, als dies vertraute zukunftsträchtige Gotteslob aufzunehmen, es mit der Erscheinung des auferweckten Jesus zu verbinden, und jubelnd den auferweckenden und den auferweckten Gott zu preisen „Gepriesen bist Du, Gott, der Du Jesus von den Toten auferweckt hast“. Wo Jesus begegnete und die Glaubenden ihn erkannten, brach der Lobpreis aus: „Gott, der die Toten auferweckt, hat Jesus auferweckt“. Es war das erste spontane lobpreisende Glaubensbekenntnis der sich formenden Kirche. Dieses Kreuz und Auferstehung aufnehmende himmlische Gotteslob ist das Herz des christlichen Gottesdienstes bis heute. Der Gottesdienst der Christen erfährt seine Prägung durch dies österliche Lob und entwickelt sich aus ihm heraus zu einem Fest des Glaubens, dessen Freude den Alltag zu verändern vermag.

Eine vergleichbare Entwicklung nahm im Zuge der Himmelfahrt Jesu der Blick in den geöffneten Himmel. Der Apostel Paulus formuliert ihn noch streng christozentrisch:

„Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein…“ (Phil 1,23).

Je mehr Märtyrer dann allerdings dem Evangelium ihr Leben opferten, je mehr Christen starben, bevor Christus als Weltenrichter und Retter wiederkommt, desto mehr bevölkerte sich der Raum, in dem Christus bereits herrscht.

„Wir sind Bürger im Himmel…“,

sagte der hl. Paulus im Philipperbrief. Ihm war der Himmel vertraut. Ich habe mich in diesem Buch auf die Suche nach dieser Gewissheit und diesem Himmel gemacht und veröffentliche es als Einladung, an dieser Suche Teil zu haben.

2) Markus Spieker, faithbook. Ein Journalist sucht den Himmel. Holzgerlingen 2011, S. 9.

Inhaltsverzeichnis

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

EINLEITUNG

WEIHNACHT: DER LEIB GEHEILIGT DURCH LIEBE

Im neu eröffneten Paradies zu Bethlehem

Wo sich Geschichte dem Himmel öffnet

Aus dem Himmel strömt demütige Liebe

Deshalb keine Weihnacht ohne Maria,

die „Mutter Gottes“

Geboren von der „Jungfrau“ Maria

Maria Muster ohne evangelischen Wert?

Maria die Fürbitterin

Gott wird „Fleisch“ und der geistige Missbrauch

Nicht aus Spaß an der Maskerade

Weihnachtliche Paradies-Repräsentanz

Das Elend des allmächtigen Gottes

Weihnachten das Freiheit begründende Fest

Der heilige Skandal des Christentums

Der weihnachtliche Schöpfungsakt

Gottes unglaubliche Konsequenz

Der Himmel strahlt Schönheit

Gottes Inkarnation in der Kunst

Durch Ikonen, die im Geist des Himmels gemalt wurden

Fra Beato Angelico, der selige Maler des Christus-Evangeliums

Mystische Geburt Christi

Botticellis kulturelles Umfeld

GOTTES KREUZ: DAS EINTRITTS-BILLETT IN DEN HIMMEL

Wie passt das Kreuz in den Himmel?

Entweder Schwachsinn oder Allmacht

Himmelsspuren in der Hebräischen Bibel

Das Karfreitagsleuchten

An Jesu Christi Kreuz enthüllt sich der Mensch und wird Gottes Last

Das Kreuz vor Jerusalems Mauern war Gottes Opferaltar

Das verwirrende Gottesbild in Breisach

Gottes Schmerz im Zeugnis der Bibel

Gott war auch in Auschwitz

Der Neue Bund überwindet das Grauen des Todes

Der gekreuzigte Gott und sein Volk

Das Blut der Christen füllt den Himmel

Der radikale Wahrheitsanspruch

Gottes Martyrium

Gottes unglaubliche himmlische Provokation

Querdenken: Das im Himmel begründete Kreuz der Christen

Kein wirkliches Leben ohne Gottes gekreuzigte Wahrheit

OSTERN DAS FEST DER FREIHEIT

Gottes Ostertriumph gegen den Augenschein

Der Lobpreis Gottes und die Auferstehung der Toten

Christi Höllenfahrt und Auferstehung

Die Ikone – Ostertheologie auf Holz gemalt

Keine Freiheit ohne Gott

Kein Ostern ohne den Karfreitag

Kein Ostern ohne Gottes Recht und himmlisches Gerichtsfeuer

Ostern füllt den Himmel mit Heiligen

Der allzu grau vernebelte evangelische Himmel

Die Anrufung der Heiligen

Himmels-Mut im Leben auf Erden

Gottes jubelndes himmlisches Willkommen

Zur Anbetung beim Freudenmahl

KIRCHE JESU CHRISTI LEIB AUS HEILIGEM GEIST IM HIMMEL UND AUF ERDEN

Die demütige Macht des Heiligen Geistes

Zäh sozial und unwiderstehlich befreiend

Kellner-Schule für Geistbegabte

Himmlischer Geist ohne Grenzen: Nicht irdisch geistliche Stammtische, aber auch nie an Jesus vorbei

Unglaublich: Der himmlische Geist sucht irdisches Fleisch

Umsturzgefahr: Die revolutionäre Kraft des Heiligen Geistes

Himmlisches Grundgesetz: Geben ist seliger als nehmen (Apg. 20,35)

Geisterfahrung himmlisch multikulturell, aber nicht irdisch multireligiös

Brandgefahr: Liebe als irdisch charismatische Feuerversicherung

Der Blick in den geöffneten Himmel

Auftrag der Kirche: „Himmels-Training“

Unerschütterliche Himmelszeugen

Himmlischer Leib Christi: Die vollendeten Heiligen

Im Gottesdienst dem Himmel begegnen

Christus in Brot und Wein

Der Qualitätstest des Glaubens: Das Mysterium der Wandlung

Die katholische Messe

Die orthodoxe Eucharistie

Die lutherische „Eucharistie“

Mehr Leib Christi

Der Leib im Gottesdienst

Das leibliche Angebot des inkarnierten Gottes

Der protestantische Verzicht auf festlich sakramentale Schönheit

Zwinglis entleibende Vergeistigung und ihre Folgen

Kirche ist Fortsetzung der Menschwerdung Gottes

Christus Licht der Welt

MACHT-ERWEISE JESU VERBINDEN HIMMEL UND ERDE

Ulrich Wilckens‘ Bibelschule

Weggeleit für Bibelliebhaber

Geistes- und theologiegeschichtlicher Durchblick

Der Herrschaftswechsel von Gott zum selbstherrlichen Menschen

Gewinn- und Verlustrechnung der historisch-kritischen Exegese

Welche Wege bahnt Ulrich Wilckens aus der Krise?

Gott begegnet als „Ich“, das Heil wirkend für den Glaubenden lebt

Die gemeinsame Mitte aller ‚Modelle’ urchristlicher Heilsverkündigung

Kabinettstücke theologischer Interpretation

Lob und Anbetung sind Ziel gelungener Exegese

Die Sturmstillung

Der Überlieferungsweg

Das Geschehen, wie es gegeben und gedeutet ist

Die Ausgangs-Situation (35-36):

Die Notsituation (37):

Jesu machtvolle Gelassenheit (38)

Jesu notwendendes Machtwort (39a):

Feststellung der Wirkung 39b:

Jesus tadelt die Jünger (40):

Jesus der Dämonenbezwinger – Ein Blick hinter die Kulissen

Die Auferweckung des

Lazarus im Johannes-Evangelium

Rahmen und Deutungssignale

Gliederung der Geschichte

Jesus die Auferstehung und das Leben

Das kleine Ostern

Die Wirkungsgeschichte

Der Glaube an die Auferstehung in

Dostojewskijs Roman „Verbrechen und Strafe“

Die Frage nach den historischen Fakten

WEIHNACHT

DER

LEIB GEHEILIGT DURCH LIEBE

Abb. 1: Fra Angelico: Die Geburt Christi, Fresken von San Marco Florenz

Im neu eröffneten Paradies zu Bethlehem

Der Weihnachtsglaube, der sich darauf einlässt, den Weg Gottes „im Fleisch“ mitzugehen, führt zurück zur verschlossenen Tür des Paradieses. In der Weih-Nacht steckten dort die wachhabenden Engel ihr „flammendes, blitzendes Schwert“ in die Scheide. In dieser heiligen Weih-Nacht öffnete Gott nach zahllosen Generationen, die kamen und vergingen, das hinter Adam und Eva verschlossene Paradies. Diese geweihte heilige Nacht im paradiesisch geheiligten Stall zu Bethlehem ist ein radikal neuer Akt im Beziehungs-Drama zwischen Gott und Mensch. Gott rettet uns nicht durch Legionen himmlischer Mächte, sondern unter vollem Einsatz seiner Person, weil er, wie eine begnadete Christin es ausdrückte, „ein Ozean voll Liebe“, also unausschöpfliche Liebe ist. Weil er aber das „Fleisch“ nicht scheut, sondern als seine gute Schöpfung ehrt, „inkarniert“ er. Gott wird Mensch aus Fleisch und Blut. Seine allmächtige Herrlichkeit erscheint im Paradox der Schwäche, die den Glauben herausfordert und nicht den Beweis. Gott verzichtet für den Menschen auch jetzt, wie ehedem im Paradies, nicht auf das Wesensmerkmal einer letzten Freiheit. Gott provoziert den Menschen, der, sich sichernd, wissen will, statt sich dem Risiko des Glaubens auszuliefern.