Chuzpe - Andreas P. Pittler - E-Book

Chuzpe E-Book

Andreas P. Pittler

4,6
9,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Erste Weltkrieg neigt sich dem Ende zu, die Monarchie zerfällt, und Major David Bronstein ist mit dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung konfrontiert. Während er in einem Mordfall an einer Modistin ermittelt, weiß er nicht mehr, wer jetzt sein Vorgesetzter ist: der kaiserliche oder der republikanische Polizeichef. Und während in den oberen Etagen offen um Kompetenzen gerungen wird, nehmen manche Bürger das Gesetz einfach selbst in die Hand. Bronstein hat alle Hände voll zu tun, um wenigstens in seinem Bereich die Übersicht zu bewahren. Was ihm umso schwerer fällt, als er sich Hals über Kopf verliebt. Mit "Chuzpe" legt Andreas Pittler den mittlerweile dritten Band seiner Kriminalsaga vor, mit der er die Geschichte der Ersten Republik ebenso mitreißend wie spannend aufrollt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 448

Bewertungen
4,6 (16 Bewertungen)
12
2
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titelseite

Impressum

Prolog

I. Donnerstag, 7. November 1918

II. Freitag, 8. November 1918

III. Samstag, 9. November 1918

IV. Sonntag, 10. November 1918

V. Montag, 11. November 1918

VI. Dienstag, 12. November 1918

VII. Mittwoch, 13. November 1918

Glossar

CHUZPE

Ein Fall für Major Bronstein

Andreas Pittler

Personen und Handlungen sind, soweit nicht historisch verbürgt, frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Dialektausdrücke und Redewendungen des Wienerischen werden in einem Glossar am Ende des Buches erläutert.

Impressum:

eISBN: 978-3-902672-57-5

E-Book-Ausgabe: 2012

2010 echomedia buchverlag

A-1070 Wien, Schottenfeldgasse 24

Alle Rechte vorbehalten

Produktion: Ilse Helmreich, Helmut Schneider

Produktionsassistenz: Brigitte Lang

Gestaltung: Rosi Blecha

Layout: Elisabeth Waidhofer

Lektorat: Thomas Hazdra

Herstellungsort: Wien

Besuchen Sie uns im Internet:

www.echomedia-buch.at

Prolog

Das Artilleriefeuer hielt schon seit dem ersten Morgengrauen ohne jede Unterbrechung an. Es war unmöglich, sich auch nur für einen kleinen Moment aus der Deckung zu wagen. Immer und immer wieder schlugen die Granaten am Rande des Schützengrabens ein und wirbelten Erde, Steine und Teile des Stacheldrahtverhaus auf. Der Schutt türmte sich im Laufgang bereits meterhoch und machte jede Bewegung innerhalb der Stellung praktisch unmöglich. Salve um Salve ging auf die Männer nieder, verbunden mit einem infernalischen Lärm, der einem nahezu das Trommelfell platzen ließ. Zu der unmittelbaren Gefahr durch die Geschütze kam die Gewissheit, dass nach dem Sperrfeuer mit einem neuen Sturmangriff zu rechnen war, dem man angesichts des beklagenswerten Zustands der eigenen Truppen kaum würde standhalten können.

Natürlich war die versprochene Verstärkung einmal mehr ausgeblieben. Auf dem gesamten Frontabschnitt klafften nennenswerte Lücken in den Verteidigungslinien, die der Feind sicher schon ausgespäht hatte. Dazu kam, dass die Moral der Truppe völlig am Boden war. Seit Wochen lag man hier in diesem erbärmlichen Streifen toter Erde eingegraben und erzielte nicht den geringsten Gewinn an Terrain. Vielmehr stiegen täglich die eigenen Verluste, und wer nicht durch Feindes Hand fiel, den rafften die grassierenden Krankheiten dahin. Als das Bataillon an diesen Teil der Front beordert worden war, hatte es Sollstärke besessen, nun bestand es kaum noch aus einigen Dutzend Männern. Die Offiziere waren weit und breit nicht zu sehen. Eingebunkert saßen sie in ihrem Unterstand und überließen die Soldaten ihrem Schicksal. Und als wäre dies noch nicht fürchterlich genug, gelang es dem Gegner, seine Kanonen von Minute zu Minute genauer auf ihr Ziel einzustellen. Die Richtschützen des Feindes leisteten ganze Arbeit, und die verheerende Wucht des Trommelfeuers vernichtete Mensch und Material im Sekundentakt.

Links und rechts sanken getroffene Kameraden zu Boden, ein letztes Mal noch stöhnend und dann für immer verstummend. Einige schrien nach Leibeskräften – nach einem Arzt, nach den Sanitätern, nach der eigenen Mutter. Andere verfluchten den Feind, das Schicksal, die eigene Generalität, während wiederum andere ihr Heil in lautem Gebet suchten, dessen Intensität in Relation zu jener des Geschützfeuers anschwoll. Als kurz hintereinander mehrere Volltreffer den Schützengraben in ein einziges Trümmerfeld verwandelten, machte sich reine Panik breit. Einige Soldaten wandten sich zu zielloser Flucht, den Flüchen des Stabsfeld keine Beachtung schenkend. Kaum jedoch hatten sie ihre Köpfe aus der Deckung gewagt, wurden sie gnadenlos von den gegnerischen Maschinengewehren niedergemäht und sanken leblos auf die Leiber ihrer toten Kameraden.

Er war mittendrin in diesem unbeschreiblichen Chaos. Zusammengekrümmt auf ein unscheinbares Knäuel Mensch, presste er sich in eine winzige Erdnische und drückte dabei sein Gesicht in den feuchten Matsch vor ihm. Er versuchte, ruhig zu atmen, doch die Panik kroch immer wieder in ihm hoch. Erneut fiel eine Leiche auf seinen Rücken, um von dort langsam zu Boden zu gleiten. Bei jedem Pfeifen einer herannahenden Granate drückte er sich noch fester in sein Loch und hielt unwillkürlich den Atem an. Unmittelbar nach dem Einschlag betastete er, so gut es ging, seinen Körper, als wollte er auf diese Weise feststellen, ob dieser noch ganz war. Mit nacktem Schrecken dachte er an den Korporal, der gleich nach dem Beginn des Bombardements getroffen worden war. Der war durch die Stellung getorkelt und hatte sich dabei verzweifelt bemüht, sein Gedärm, das ihm aus dem offenen Bauch quoll, festzuhalten. Nach ein paar Metern hatte er die Augen gegen den Himmel gerichtet, sich einmal um die eigene Achse gedreht und war dann einfach umgefallen. Hunderte waren ihm seitdem gefolgt.

Jetzt hatte es seinen Hintermann erwischt, der auf der anderen Seite des Laufgrabens lag. Unwillkürlich riskierte er aus seinem Loch einen Blick auf den Kameraden, der wie am Spieß schrie. Er schloss sofort die Augen, um den Anblick nicht in sein Gedächtnis zu lassen, denn der Mann hatte keinen Unterleib mehr. Einige Sekunden gurgelte er noch, dann war er still.

Still war es in diesem Augenblick plötzlich im gesamten Abschnitt. Das Sperrfeuer hatte aufgehört. Nun würde gleich der Sturmangriff folgen. Er wagte sich vorsichtig aus seiner Nische und suchte nach seinem Karabiner, den er zuvor achtlos neben sich geworfen hatte. Er war allein, erst in einigen Metern entdeckte er wieder Kameraden, die gleich ihm zwischen Bangen und Hoffen schwankten. Und die Stille wirkte mit einem Mal bedrohlicher als das Artilleriefeuer zuvor.

Alle warteten angespannt auf den heranstürmenden Feind. Doch nichts rührte sich von der anderen Seite der Front. Dann hob mit einem Mal ein leises Zischen an. In einiger Entfernung von ihm reagierte ein Soldat als Erster darauf.

„Gas!“, schrie der Mann hysterisch. „Gas!“

Nun kam erst recht Panik auf. Hektisch suchten die Soldaten nach ihren Gasmasken, und auch er tappte verzweifelt nach links und nach rechts, um den lebensnotwendigen Schutz zu finden. Er sah sich im Schützengraben um, war bereit, einem toten Kameraden dessen Maske abzunehmen, als er schon die senfbraune Wolke auf sich zukommen sah. In nackter Angst sprang er auf und versuchte, der Wolke davonzulaufen. Wenn er den Unterstand erreichte, würde es ihm vielleicht gelingen, dem leisen Tod zu entgehen. Doch nach ein paar Metern stolperte er über die Leiche eines gefallenen Kameraden und fiel der Länge nach hin. Noch während er versuchte, sich wieder aufzurappeln, hatte die Wolke ihn erreicht und nebelte ihn ein.

Er bekam keine Luft mehr. Das stechende Gift brannte in seinen Atemwegen und raubte ihm die Besinnung. Wie ein Fisch am Trockenen schnappte er nach dem Lebensodem, doch blieb sein Mühen vergeblich. Es war nur noch Gas, das in seinen Körper eindrang, Gas, das ihn auslöschen würde.

„Ich sterbe“, keuchte er, „oh mein Gott, ich sterbe! Hilfe! Ich will nicht …“ Ihm war, als würde er langsam und qualvoll erwürgt. Taubheit kroch seinen Körper empor, und bald schon war er nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen. Er nahm nichts mehr wahr, war nicht länger Mensch, nur noch absterbender Organismus. Ein, zwei Seufzer noch, dann würde er ganz tot sein. Eine namenlose Leiche in einem namenlosen Niemandsland in einer namenlosen Schlacht.

Ein letztes Mal noch bäumte er sich auf. Er durfte so nicht wegdämmern. Er war es sich selbst schuldig, sich nicht einfach wie ein Lamm auf der Schlachtbank vom Leben zum Tod befördern zu lassen. Er presste die Zähne zusammen und rollte sich unter Aufbietung der allerletzten Kräfte auf den Rücken. Nach einigen Sekunden riss er die Augen weit auf, doch er nahm nur pechschwarze Finsternis wahr. „Oh mein Gott, verlass mich nicht!“ Mit einem Ruck, den er sich selbst nicht mehr zugetraut hätte, setzte er sich auf. „Nicht sterben, nicht sterben, nicht sterben“, wiederholte er immer wieder für sich. Dann kniff er die Augen wieder zu, hielt einen Moment neuerlich den Atem an – und dann öffnete er den Mund zu einem markerschütternden Schrei.

Er saß aufrecht da, und alles, was er hörte, war das monotone Ticken des Weckers. Langsam begannen seine Augen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. In einiger Entfernung wurde er des Fensters seines Schlafzimmers gewahr. Er atmete noch eine Weile heftig, ehe er sich allmählich beruhigte. Seine rechte Hand tastete nach der Nachttischlampe, und ihr Licht vermittelte endlich Sicherheit. Er riskierte einen Blick auf den Wecker. Drei Uhr früh. Dahinter hing der Kalender an der Wand und zeigte den 7. November 1918 an. Bronstein sank erleichtert auf sein Kissen zurück. Seit der Giftgasattacke vor Tarnow Gorlice waren mehr als drei Jahre ins Land gezogen. Der Krieg war vorbei, und er lag wohlbehalten in seinem Bett. „Nur wieder einer von diesen Alpträumen“, murmelte er, während er das Licht wieder löschte, „nur wieder einer von diesen Träumen.“

Und während er sich noch fragte, wann diese endlich auch der Vergangenheit angehören würden, schlief er bereits wieder ein.

I.Donnerstag, 7. November 1918

Hartnäckig wehrte sich Bronstein gegen das Erwachen. Er versuchte, das penetrante Scheppern des Weckers in andere Bewusstseinsebenen zu verbannen, doch schließlich blieb ihm nichts als die Kapitulation. Entschlossen schlug er die Bettdecke auf, und sofort begann er zu frösteln. Die Kälte holte seine Lebensgeister aus ihrer Bewusstlosigkeit. Mit einem Ruck setzte Bronstein sich auf und dann seine Füße auf den Boden. Tapsend suchten sie nach den Hausschuhen, um schließlich eilig darin zu verschwinden, dankbar für die darin zu findende Wärme. Er gähnte herzhaft und versuchte sich zu strecken. Spontan auftretender Rückenschmerz ließ ihn jedoch rasch von diesem Ansinnen Abstand nehmen. Bronstein seufzte resigniert. Da war er gerade einmal 35 Jahre alt, und dennoch schlich sich das Alter unerbittlich an ihn heran. Aber bitte, die Jahre im Krieg zählten sicherlich doppelt oder gar dreifach, und demnach wäre er eigentlich schon 47. Der Krieg! Schon wieder hatte er von ihm geträumt. Dass er diesen Horror einfach nicht vergessen konnte! Der Meisendoktor vom Alsergrund würde sicher von einem Trauma sprechen, doch ein Indianer kannte keinen Schmerz, schon gar nicht, wenn die Gefahr längst vorbei war. Und jetzt erst recht, da der Krieg auch offiziell zu Ende war. Die ruhmreiche kaiserlich-königliche Armee hatte vor einigen Tagen ganz offiziell kapituliert, und die Deutschen machten auch gerade Schluss, wie er den Zeitungen entnahm.

Doch daran wollte er gar nicht erst denken. Die Mittelmächte hatten den Krieg verloren, und niemand vermochte zu sagen, was jetzt aus der österreichisch-ungarischen Monarchie werden sollte. Vor einer Woche erst hatten sich Böhmen, Mähren und Schlesien unter der Führung des ehemaligen Abgeordneten Kramaˇr von Wien losgesagt, und es hieß, auch die Slowenen seien von Österreich abgefallen. Die Polen liefen den Habsburgern ebenso davon wie die Ruthenen und die Rumänen. Und die Italiener sowieso. Eigentlich hielten nur noch die Ungarn zum Kaiser, und selbst da war es fraglich, ob nicht auch in Budapest die Irredenta den Sieg davontrug.

Bronstein war überrascht, zu welchen Höchstleistungen sein Gehirn zu dieser frühen Stunde schon fähig war. Es stand zu hoffen, dass der Körper dem Geist nacheifern würde, und so gab sich Bronstein einen Ruck, um sich endgültig aus dem Bett zu erheben. Er schlurfte langsam zur Tür seines Schlafzimmers, öffnete sie und ging sodann durch das Wohnzimmer in die Küche, die ob der frühen Stunde noch in milchiges Dämmerlicht getaucht war. Bronstein griff zur Schachtel mit den Streichhölzern, holte eines heraus und rieb es an der Schwefellegierung der Packung. Umständlich ging er sodann in die Knie, öffnete die Ofentür und hielt das brennende Holz an das Zeitungspapier. Dieses fing rasch Feuer, und so konnte Bronstein damit beginnen, kleine Holzscheite zuzugeben. Als er sicher war, dass das Feuer nicht mehr ausgehen würde, schloss er die Klappe wieder und drehte sich um die eigene Achse. Vorsichtig holte er die Lade der Kaffeemühle aus ihrer Halterung und goss den Inhalt in die vorgesehene Vertiefung der Kaffeemaschine. Dann schraubte er den Aufsatz auf und stellte die Kanne auf den Ofen. Wieder einmal überlegte er bei dieser Gelegenheit, ob der Kaffee nicht besser schmecken würde, wenn er das Wasser frisch in die Kanne gösse und den Kaffee erst am Morgen mahlte, doch er wusste, dazu würde seine Energie so kurz nach dem Erwachen niemals reichen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!