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In der Čaršija, dem malerischen Bazarviertel von Makedoniens Hauptstadt Skopje, wird im historischen Hamam eine grausam zugerichtete Leiche gefunden. Es zeigt sich, dass es sich bei dem Toten um einen Tycoon der makedonischen Baubranche handelt, der vom Bauprogramm der amtierenden Regierung groß profitierte und dementsprechend viele Feinde hatte. Kommissar Tito Tučović von der städtischen Polizei muss den Fall übernehmen und rasch feststellen, dass er sich bei seinen Ermittlungen in einem Minenfeld bewegt. Die hohe Politik, die Konkurrenz des Ermordeten, aber auch dessen weitverzweigte Familie, sie alle haben eine hohe Anzahl an Motiven, aber erschreckend wenig Alibis. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen in dem kleinen Balkanstaat entwirft Pittler in seinem Kriminalroman auch ein Sittenbild der postjugoslawischen Gesellschaften, welche die alten Werte von "Brüderlichkeit und Einheit" über Bord geworfen, aber noch keine neuen Werte gefunden haben. Damit erweist er sich einmal mehr als genauer Beobachter und Analyst unserer Zeit und ihrer Abgründe, wobei, wie bei Pittler üblich, Spannung und auch Humor nicht zu kurz kommen.
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Seitenzahl: 227
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PITTLER • TOD IM HAMAM
ANDREAS P. PITTLER
Die Herausgabe dieses Buches erfolgtemit freundlicher Unterstützung durchdas Land Kärnten und die Stadt Wien.
wtb 24
A-9020 K1agenfurt/Ce1ovec, 8.-Mai-Straße 12Te1. + 43(0)463 37036, Fax + 43(0)463 [email protected]
Copyright © dieser Ausgabe 2016 bei Wieser Verlag GmbH,Klagenfurt/CelovecAlle Rechte vorbehaltenLektorat: Maria SikoraISBN 978-3-99047-038-1
»Dođi i uzmi me – Komm und nimm mich« Laut und falsch schmetterte Zofka Atanassova die Worte eines Seka Aleksić-Schlagers vor sich hin, als sie das Portal des Čifte-Hamams in Skopjes Čaršija öffnete, um dort wie jeden Montag ihrer Reinigungsarbeit nachzugehen. Sie wandte sich nach rechts und begab sich ohne Umschweife in den Sanitärbereich, wo sie in gewohnter Weise ihren Mopp und ihren Kübel vorfand. Letzteren füllte sie mit Wasser, gab ein wenig Putzmittel bei und schlenderte gelassen in den Raum zu ihrer äußersten Linken, dem ehemaligen Eingangsbereich.
Zehn Minuten später – Zofka war mittlerweile singenderweise auch mit »Aspirin« und »Crno i zlato« durch – hatte sie wischend den Hauptraum, das eigentliche Bad, erreicht. Die ausgestellten Fotos beachtete sie nicht. Der Hamam fand als Galerie Verwendung, doch den üblicherweise hier gezeigten Kunstwerken konnte Zofka Atanassova generell wenig abgewinnen. Sie konzentrierte sich lieber auf ihre Arbeit, denn dann war sie umso früher fertig und konnte mit dem Tag noch etwas Sinnvolles anfangen.
Aber die Installation im Zentralraum konnte sie nicht ignorieren. Das sah aus wie eine Kreuzigung, was Zofka höchst geschmacklos fand. Ein nackter Christus! Wie schamlos! Was fiel diesen sogenannten Künstlern als nächstes ein? Noch dazu so ein hässlicher! Der Mann hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem Heiland. Ein Fettsack um die 60, dessen voluminöser Bauch sich üppig über die peinlich kleine Männlichkeit wölbte. Blasphemie! Zudem hatte der Sohn Gottes bekanntlich langes schwarzes Haar und einen Bart gehabt. Der da hatte nichts von all dem. Eine Glatze und ein Doppelkinn. Und dann noch dieser selten dämliche Blick! Es war eine Schande, was in diesem Land alles unter Kunst laufen durfte.
Doch eines musste Zofka dem Künstler lassen. Seine Skulptur war von bemerkenswerter Lebendigkeit. Der feiste Christus sah aus wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und die Lache, die sich unter dem Erlöser gebildet hatte, sah auch verdammt echt aus. Zofka steckte den Mopp in den Kübel und trat, nun doch neugierig geworden, näher. Das Blut sah so wirklich aus, dass man meinen konnte, es war eben erst vergossen worden. Wie die das hinbekamen? Zofka konnte nicht widerstehen. Sie sah erst nach links, dann nach rechts, dann bückte sie sich und berührte mit dem Finger die Blutlacke.
Gleich darauf fuhr sie entsetzt zurück, als hätte sie einen Stromschlag abbekommen. Das Blut sah so echt aus, WEIL es echt war. Und der Mann war auch echt. Echt, aber tot! Zofka hielt sich die Hand vor den Mund. Gleich darauf riss sie sie wieder weg, als ihr einfiel, dass sie auf dem Zeigefinger den Lebenssaft des Mannes kleben hatte. Und da ihr Sprechorgan nun freie Bahn hatte, konnte sie auch gleich losschreien. Laut und spitz und vor allem lang anhaltend.
Doch der einzige Mensch, der sie hätte hören können, lag mit einer klaffenden Wunde in der linken Brust und weit ausgebreiteten Armen, in deren Händen Neunzoll-Nägel steckten, auf einem Holzkreuz und war aller irdischen Sorgen für immer enthoben.
Tito Tucović war ein Mann mit entschieden zu vielen Problemen für seinen Geschmack. Die fingen schon bei seinem Namen an. Tito Tucović! Wer hieß schon so! Zwar konnte sich glücklicherweise kaum noch jemand daran erinnern, dass Dimitrije Tucović der Begründer des jugoslawischen Marxismus gewesen war, doch der Vorname Tito war im Makedonien des Jahres 2015 Menetekel genug! Sicher, als er 1970 bei seiner Geburt diesen Namen bekam, da beglückwünschte seinen Vater alle Welt zu diesem weisen Entschluss, denn Marschall Tito war das Nonplusultra im damaligen Jugoslawien. Und selbst mit Ende 30 schien Tito noch durchaus anzugehen, gab es doch immer noch kaum eine Stadt in Makedonien, die ohne eine »Maršala Tita« auskam. Doch seit die rechtslastige Nationalistenpartei das Ruder übernommen hatte, war der jugoslawische Staatsmann zur absoluten Unperson geworden – und alle weiteren Namensträger mit ihm. Ebenso gut hätte man im Vatikan auf den Vornamen Satan hören können. Tucović vermied es daher tunlichst, sich mit vollem Namen vorzustellen und beschränkte sich ganz allgemein auf ein simples »Hauptkommissar Tucović«, wenn er sich irgendwo zu erkennen geben musste. Denn für einen Polizisten war es im neuen Makedonien doppelt peinlich, an das alte Jugoslawien zu erinnern.
Doch half ihm diese List nur bedingt. Sein Vater, der alte Prvoslav, Polizeioberst in Ruhe, tat überhaupt nichts anderes, als permanent an das alte Jugoslawien zu erinnern. Und so war Tucović stets der Sohn des »alten Titoisten« – womit sein Vorname dann doch wieder zum Thema wurde.
Und war Tucović ehrlich zu sich selbst, dann war Vater Prvoslav nicht das einzige Problem in seiner Familie. Seine Mutter wurde nicht müde, sich bei ihm über den Gatten auszuweinen, und die Ehefrau tat es der Schwiegermutter gleich, mit dem Unterschied freilich, dass hier Tochter Liljana Gegenstand des Klagens war. Und Liljana, die sorgte ohnehin dafür, dass Tucović früh ergraute.
Ergrauen war ein weiteres Stichwort in Tucovićs Pandämonium des Schreckens. Er ergraute jeden Tag, wenn er im Präsidium einen Termin bei seinem Vorgesetzten Oberst Stankovski hatte. Jeder in der Polizei von Skopje wusste, dass Stankovski waschechter Serbe war, geboren als Dušan Stanković. Doch wer im Makedonien des Premiers Gruevski Karriere machen wollte, der besorgte sich besser beizeiten eine makedonische Identität. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, Stanković habe die Umschreibung seiner Personalpapiere nur zwei Flaschen Sliwowitz gekostet – und ein paar plötzlich verschwundene Anzeigen. Fakt jedenfalls war, dass Goce Stankovski so makedonisch war wie Alexander der Große und Zar Samuil – und man einen Dušan Stanković in keinem Archiv Makedoniens finden konnte. Wenigstens einmal hatte der Mann ganze Arbeit geleistet.
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