Coldhearted Boss - R.S. Grey - E-Book

Coldhearted Boss E-Book

R. S. Grey

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Beschreibung

Es klang nach einem perfekten Plan: Die mittellose Taylor schlüpft in Männerklamotten und bewirbt sich auf die  Stellenausschreibung bei Lockwood Construction. Schließlich sind gute Jobs in der Kleinstadt eine Seltenheit.

Eigentlich wäre alles ganz einfach, wenn nicht ausgerechnet der rücksichtslose und arrogante Ethan Stone ihr Chef wäre. Denn nach einer unschönen ersten Begegnung in einer Bar, sind beide wild entschlossen, dem anderen nichts zu schenken.

Statt Taylor zu entlassen, macht Ethan sie zu seiner Assistentin und quält sie mit seiner schlechten Laune.  Und je mehr Konflikte zwischen ihnen sind, desto stärker lodert das Feuer der Anziehungskraft …

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Es klang nach einem perfekten Plan: Die mittellose Taylor schlüpft in Männerklamotten und bewirbt sich auf die  Stellenausschreibung bei Lockwood Construction. Schließlich sind gute Jobs in der Kleinstadt eine Seltenheit.

Eigentlich wäre alles ganz einfach, wenn nicht ausgerechnet der rücksichtslose und arrogante Ethan Stone ihr Chef wäre. Denn nach einer unschönen ersten Begegnung in einer Bar, sind beide wild entschlossen, dem anderen nichts zu schenken.

Statt Taylor zu entlassen, macht Ethan sie zu seiner Assistentin und quält sie mit seiner schlechten Laune.  Und je mehr Konflikte zwischen ihnen sind, desto stärker lodert das Feuer der Anziehungskraft …

Über R.S. Grey

R. S. Grey ist eine US-amerikanische Schriftstellerin. Mit ihren erfolgreichen Romanen steht sie regelmäßig auf der USA Today Bestsellerliste. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und ihren zwei Hunden in Texas. 

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R.S. Grey

Coldhearted Boss

Aus dem Amerikanischen von Anne Morgenrau

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

Newsletter

Kapitel eins — TAYLOR

Kapitel zwei — TAYLOR

Kapitel drei — ETHAN

Kapitel vier — TAYLOR

Kapitel fünf — TAYLOR

Kapitel sechs — ETHAN

Kapitel sieben — TAYLOR

Kapitel acht — TAYLOR

Kapitel neun — ETHAN

Kapitel zehn — TAYLOR

Kapitel elf — ETHAN

Kapitel zwölf — TAYLOR

Kapitel dreizehn — ETHAN

Kapitel vierzehn — TAYLOR

Kapitel fünfzehn — ETHAN

Kapitel sechzehn — TAYLOR

Kapitel siebzehn — ETHAN

Kapitel achtzehn — TAYLOR

Kapitel neunzehn — TAYLOR

Kapitel zwanzig — ETHAN

Kapitel einundzwanzig — ETHAN

Kapitel zweiundzwanzig — TAYLOR

Kapitel dreiundzwanzig — TAYLOR

Kapitel vierundzwanzig — ETHAN

Kapitel fünfundzwanzig — TAYLOR

Kapitel sechsundzwanzig — TAYLOR

Kapitel siebenundzwanzig — ETHAN

Kapitel achtundzwanzig — TAYLOR

Kapitel neunundzwanzig — TAYLOR

Kapitel dreißig — ETHAN

Kapitel einunddreißig — TAYLOR

EPILOG

Impressum

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Kapitel eins

TAYLOR

Ich lege auf, stöhne verärgert und lasse die Stirn auf die Holztheke knallen. Es tut weniger weh als erwartet, obwohl ich eigentlich gehofft hatte, für ein paar Minuten das Bewusstsein zu verlieren oder – noch besser – einen hübschen kleinen Anfall von Gedächtnisverlust zu erleiden. Nichts Wildes, gerade genug, um zu vergessen, wer ich bin, wo ich lebe und warum mein Leben ein finsterer, trostloser Alptraum ist.

Noch wütender als zuvor greife ich nach dem billigen Prepaid-Handy auf meinem Schoß und umklammere es so fest, dass ich mich frage, ob ich es gleich pulverisieren werde. So schwer kann das doch nicht sein. Nur noch … ein bisschen … fester. Das Handy bleibt heil und scheint mich hämisch anzugrinsen. Als ich resigniert seufze, landet ein Glas auf der Theke, direkt neben meinem Kopf.

»Die gehen aufs Haus.«

Ich blicke auf und bin auf Augenhöhe mit einem Schnapsglas voller Maraschinokirschen. Der mürrisch wirkende Barkeeper schiebt es noch etwas weiter auf mich zu.

»Gehen die nicht immer aufs Haus?«, frage ich mit einer gesunden Portion Ironie. Ich weiß, ich lasse meinen Ärger an der falschen Person aus.

»Für zahlende Gäste«, murmelt der Barkeeper und macht Anstalten, mir das Glas wieder wegzunehmen.

Erschüttert von der Vorstellung, dass er sein Angebot widerrufen und mir das, was vermutlich mein einziges Abendessen sein wird, vorenthalten könnte, richte ich mich rasch auf und greife nach dem Glas Kirschen, wobei ich ihn dankbar anlächle. Zuletzt habe ich Dankbarkeit vor derart langer Zeit empfunden, dass mein Lächeln nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Es erinnert vermutlich eher an ein Zähnefletschen. Er bedenkt mich mit einem skeptischen Blick und begibt sich kopfschüttelnd ans andere Ende der Theke, um ein paar Flaschen Spirituosen auszupacken.

Er ist neu hier, ein Bär von einem Mann und so alt wie mein Vater … oder so alt, wie mein Vater wäre, wenn er noch lebte. Ich nehme eine Kirsche und stecke sie mir in den Mund. Der süße Sirup benetzt meine Zunge, und ich wünschte, der übliche Barkeeper wäre hier. David versteht mich. Er ist auch in Oak Dale aufgewachsen. Er hätte mein Stöhnen gehört, hätte gesehen, wie meine Stirn auf der Theke landet, und er hätte nicht nachfragen müssen, um zu wissen, dass ein weiterer Teil meines Lebens zerbröckelt und mir vor die Füße gefallen war. Er hätte sich nicht mit Kirschen begnügt, sondern mir ein Glas hartes Zeug angeboten, das ich an diesem Abend vielleicht sogar angenommen hätte.

Und dann hätte er die Liste weiter abgearbeitet.

»Wie geht’s deiner Mom?«, hätte er gefragt.

»Nächsten Monat zwei Jahre nüchtern.«

»Schwester?«

»Schreibt immer noch Einsen, geht ihr mit den neuen Medikamenten jetzt besser.«

»Dann ist es also das Leben an sich, das dich so runterzieht?«

Und ich hätte mit einem kläglichen Lächeln zurückgefragt: »Scheißt der Bär in den Wald?«

Darüber hätte er gelacht und den nächsten Gast bedient. In dieser Kneipe ist es nie besonders voll. Die meisten Einheimischen können sich die teuren Drinks nicht leisten, weshalb das Lokal eher auf Reisende ausgerichtet ist, die in dem Motel nebenan wohnen.

Über die Schulter spähe ich zu der Gruppe von Anzugträgern, die schon dort saß, als ich hereingekommen bin. Sie sind zu viert, wirken wahnsinnig elegant und kommen definitiv von außerhalb. Diese Männer sind an Höhenluft gewöhnt, nicht an den Gestank von Proleten, die in Trailern leben.

Es wäre absurd, ihr Leben mit meinem zu vergleichen.

Seit der Highschool springe ich von einem Gelegenheitsjob zum nächsten. Im Augenblick verdiene ich als Zimmermädchen in besagtem Motel sieben Dollar die Stunde. Das ist weniger als der Mindestlohn, was den Manager aber nicht interessiert. Er meint, inklusive Trinkgeld verdiene ich mehr als genug – er irrt sich. Aber ich darf mich nicht beklagen, denn wir sind bereits zu fünft und müssen uns die Schichten teilen. Wenn mir also etwas nicht gefällt, gibt es immer eine, die gern bereit ist, meinen Platz einzunehmen.

Diese Krawattenträger geben wahrscheinlich jeden Morgen, ohne mit der Wimper zu zucken, sieben Dollar für eine Tasse Kaffee aus. Sie werfen das Wechselgeld in die Trinkgeld-Dose, nehmen ihren Macchiato Espresso Chai und gleiten durch ihr Leben wie durch ein Märchen.

Ein Mädchen wie ich hingegen kann keine Märchen gebrauchen. Die sorgen nicht dafür, dass sie es warm hat, dass sie gut gekleidet oder wenigstens satt ist.

Der Typ, der in einem Sessel gegenüber der Theke sitzt, ertappt mich dabei, wie ich die Gruppe beobachte. Als sich unsere Blicke kreuzen, zieht sich mein Magen derart fest zusammen, dass ich vorübergehend Bauchmuskeln habe.

Er ist der Attraktivste von allen.

In dem Märchen dieser Männer ist er der Prinz. Auf der ganzen Welt gibt es niemanden, der fürstlicher wäre. Seine dunkelbraunen Haare betonen die ausgeprägten Wangenknochen und das kantige, frisch rasierte Kinn. Er ist sonnengebräunt, als verbrächte er seine Tage an der frischen Luft, aber das kann nicht sein, denn der Anzug schmiegt sich wie ein Handschuh an seine große, muskulöse Gestalt, und seine Haare sitzen perfekt. Also, was denn nun? Hängst du den ganzen Tag in Konferenzzimmern herum oder stehst du im Wald und hackst Holz?

Als er merkt, dass ich ihn unverhohlen mustere, setzt er kein interessiertes Lächeln auf, wie es die meisten Kerle hier täten. Stattdessen zieht er eine dunkle Braue hoch, wie um zu fragen: Bist du bald fertig?, und mir wird klar, dass ich mich geirrt habe. Der Typ da ist nicht der Prinz.

Er ist der Drache.

Ich drehe mich wieder um, zu überwältigt von meiner derzeitigen Zwangslage, um Verlegenheit zu empfinden. Er ist also schön. Na und? Wenn dein Auto fast auseinanderfällt und du in einem aussichtslosen Job festsitzt, wenn deine ganze Hoffnung darin besteht, dich abends endlich auf eine beschissene Couch fallen zu lassen, die in einen zu kleinen Trailer gequetscht ist, dann verliert jede Art von Schönheit ihren Glanz.

Das Handy auf meinem Schoß fängt an zu klingeln, und ich nehme den Anruf sofort an.

»Mom?«

»Hey, warum bist du noch nicht zu Hause?«

»Ich warte auf Jeremy, er holt mich ab.«

»Ich dachte, du bekommst heute deinen Wagen zurück.«

Ich seufze sehr leise, denn ich will nicht, dass sie es hört. »Ja, eigentlich schon, aber der Mechaniker hat heute Morgen angerufen und gesagt, dass nicht nur der Motor kaputt ist. Es muss noch einiges mehr gemacht werden. Er hat den ganzen Tag damit verbracht, einen Kostenvoranschlag zu erstellen.«

»Wie viel?«

Ich schließe fest die Augen. »Über vierhundert Dollar nur für die Ersatzteile.«

Ihr tiefer Seufzer bricht mir fast das Herz, und ich bin froh, dass ich nicht den wahren Betrag genannt habe.

»Ach, das wird schon«, behaupte ich mit selbstsicherer Stimme. »Ich überlege gerade, wie wir das Geld zusammenbekommen.«

»Hast du Mr. Harris um einen Vorschuss gebeten?«

Darüber haben wir gestern Abend miteinander gesprochen.

»Ja.«

»Und?«

Beim Gedanken an die nachmittägliche Begegnung mit meinem Chef, an sein zu enges, über dem Bierbach spannendes Hemd und den Rest des Thunfisch-Sandwiches, nach dem sein schäbiges Büro stank, beginnt mein Magen zu rebellieren. Während ich ihm erklärte, warum ich den kleinen Vorschuss benötige, wie sehr meine Familie und ich auf den Wagen angewiesen sind – McKenna fährt damit zur Schule, ich zur Arbeit und Mom am Wochenende nach Livingston zu einem Kurs, um endlich ihre Ausbildung zur Kosmetikerin zu beenden –, während ich ihm all das erklärte, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und bohrte mit einem Zahnstocher zwischen seinen Zähnen herum, arbeitete sich an den Thunfischresten ab, die dazwischen hängen geblieben waren.

»Du willst also ein paar zusätzliche Dollar?«, fragte er und glotzte mir anzüglich grinsend auf die Brust.

Meine Uniform – ein tristes khakifarbenes Kleid – wäre eng anliegend gewesen, hätte ich mich an meinem ersten Arbeitstag nicht für eine Nummer größer entschieden. Und zwar, um genau diese Situation zu vermeiden: von Mr. Harris angestarrt zu werden, als wäre ich ein All-you-can-eat-Büfett.

»Wie dringend brauchst du das Geld?«, hakte er nach, während er den Blick an meinem Körper hinabwandern ließ und die fleischigen Fäuste ballte. Am liebsten hätte er mich wie einen Schmetterling zerquetscht.

Und damit war die Unterhaltung beendet.

»Er kann mir keinen Vorschuss geben«, sage ich zu Mom, noch immer zitternd bei dieser Erinnerung. »Aber es gibt andere Möglichkeiten …«

»Ich werde ein paar Schichten bei Lonny übernehmen«, sagt sie, und es klingt, als hasste sie die Worte, die in diesem Augenblick aus ihrem Mund kommen.

Ich straffe den Rücken und halte mir das Handy näher an den Mund. »Nein, Mom. Nein.« Jetzt bin ich wütend, dass wir in diese Lage geraten sind. »Uns wird etwas anderes einfallen.«

Lonny war immer schon Moms schlimmstes Laster. Er hat sie überhaupt erst dazu gebracht, so viel zu trinken – ein Typ, der für eine Flasche Tequila seine Seele verkaufen würde. Der Tag, an dem sie ihn in die Wüste geschickt hat, war einer der besten Tage meines Lebens. Ich werde nicht zulassen, dass sie rückfällig wird, jetzt, da wir so kurz davor sind, endlich auf eigenen Füßen zu stehen. Mom wird diesen Sommer ihren Abschluss machen, dann kann sie ihr eigenes Studio eröffnen und wird endlich in der Lage sein, sich und McKenna ohne meine Hilfe durchzubringen. Ich werde frei sein. Endlich.

»In Ordnung. Du sollst nur nicht das Gefühl haben, dass alles allein auf deinen Schultern lastet.«

Ich berühre einen Schmutzfleck auf der Jeans, die ich jeden Tag mit zur Arbeit nehme, damit ich mir sofort nach Schichtende das Khakikleid vom Leib reißen kann. An meinem letzten Arbeitstag werde ich es in einem Müllcontainer verbrennen.

»Ist schon okay. Wirklich.«

»Wann will dein Cousin dich eigentlich abholen? Es ist schon halb neun.«

»Er hat heute Spätschicht.«

»Okay. Ruf mich an, wenn er nicht auftaucht. Mal sehen, vielleicht kann Nancy dich abholen.«

Die zweite Hälfte des Satzes höre ich nur gedämpft, denn einer der Anzugträger ist an die Theke getreten und bestellt eine weitere Runde. Ich muss nicht hinschauen, um zu wissen, dass er es ist. Er steht zwei Hocker von mir entfernt … weit genug, um nicht aufdringlich zu wirken, aber nah genug, um mich anzusprechen.

»Okay, ich muss Schluss machen«, sage ich und nehme das Handy bereits vom Ohr.

»Hab dich lieb«, sagt Mom, dann ist das Gespräch beendet.

Als ich das Handy auf die Theke lege, ergreift der Anzug endlich das Wort.

»Ich hätte gern zwei Dos Equis mit Limette und zwei Bud Lights.«

Seine Stimme lässt mir einen warmen Schauer über den Rücken laufen. Sie klingt sanft und kultiviert, keine Spur von näselndem Südstaaten-Slang.

Der Barkeeper greift brummend nach den Bierflaschen, um sie zu öffnen.

Ich schaue gerade weit genug nach links, um zu sehen, wie der Anzugtyp aus schmalen Augen mein Schnapsglas voller Kirschen betrachtet. Offenbar hält er mich für minderjährig.

»Ich nehme auch ein Dos Equis«, platze ich heraus, ohne nachzudenken. Meinem Stolz scheinen es die fünf Dollar wert zu sein, die das Bier mich kosten wird und die beinahe meinem Stundenlohn entsprechen. Eine Stunde Toiletten putzen, Betten machen und dabei seltsamen Flecken ausweichen, hinterlassen von seltsamen Menschen … alles weg, aus einer kindischen Anwandlung heraus.

Ich will gar kein Bier, aber das fällt mir zu spät ein, denn der Barkeeper öffnet bereits eine Flasche und greift nach ein paar Limettenschnitzen.

Leise Countrymusik dringt in das Schweigen, das sich zwischen dem Anzugtypen und mir breitmacht. Wenn er mich anbaggern will, ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür.

Mit angehaltenem Atem warte ich darauf, dass er sich ganz zu mir dreht und etwas Charmantes sagt. Ich habe in dieser Stadt viele Eröffnungssätze von vielen Männern gehört, und fast alle waren mir lästig. Nun bin ich neugierig, was dieser Typ zu bieten hat. Bestimmt etwas Besseres. Bestimmt weiß er, wie man dafür sorgt, dass eine Frau ihre Sorgen vergisst, und wenn es nur für eine Nacht ist.

Ich mustere ihn unter meinen Wimpern hervor. Er hat sich das Jackett ausgezogen und die Ärmel des Hemds aufgekrempelt, so dass seine muskulösen Unterarme zu sehen sind. Seine silberne Uhr scheint mich in dem dämmerigen Licht der Bar anzublitzen. Das dunkelbraune Lederarmband ist eine gute Tarnung, aber ich erkenne trotzdem ihren Wert … der wahrscheinlich den des Autos übersteigt, das ich verzweifelt wieder in Gang zu bringen versuche, ja sogar den Wert des Trailers, den Mom von ihrem Vater geerbt hat und in dem ich mein ganzes Leben verbracht habe.

Nach diesem Tag ist seine Uhr wie ein Schlag in die Magengrube, ein sichtbares Zeichen dafür, wie viel besser das Leben für manche Leute sein kann.

Fünf Bierflaschen landen klirrend auf der Theke, und bevor der Krawattenträger mit vier Flaschen weggeht, bittet er den Barkeeper, auch meine auf seine Rechnung zu setzen. Wie selbstverständlich. Ohne ein Wort an mich. Er geht einfach davon aus, dass ich ihn für mein Bier bezahlen lassen will.

Arroganter Scheißkerl.

Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich einfach ablehnen. Stattdessen schweige ich.

Während der Typ zu seinen Freunden zurückgeht, überlege ich, aus welchem Grund er wohl meinen Drink bezahlt hat. Vielleicht aus reiner Höflichkeit. Vielleicht hat er einen Blick auf meine Secondhandjeans und mein weißes T-Shirt geworfen und Mitleid mit mir gehabt. Okay, es hat ein kleines Loch in der Achselhöhle, aber es ist immer noch ein anständiges T-Shirt!

Was auch immer er gedacht haben mag – als ich den ersten Schluck nehme, schmeckt das Bier nach Pisse.

Ich würde es am liebsten einfach auf der Theke stehen lassen, aber während ich hier sitze und darauf warte, von Jeremy abgeholt zu werden, habe ich nichts Besseres zu tun, als dieses Bier zu trinken. Er ist spät dran und geht nicht an sein Handy. Ich wähle seine Nummer ein weiteres Mal, aber auch dieser Anruf geht ins Leere. Inzwischen bin ich mir fast sicher, dass er nicht mehr hier auftauchen wird.

Ich unterdrücke ein Stöhnen bei dem Gedanken, dass ich irgendwie anders nach Hause kommen muss. Zwischen dieser Kneipe und unserem Trailer liegen sechzehn Kilometer Autobahn, sechzehn Kilometer, die ich mitten in der Nacht zu Fuß zurücklegen müsste. Es wäre nicht das erste Mal, aber an diesem Tag würde ich es lieber vermeiden. Mir fehlt einfach die Kraft dazu. Vermutlich wäre es besser, sich in irgendeiner Ecke des Lokals für die Nacht einzurichten.

Als die Männerrunde in meinem Rücken in Gelächter ausbricht, widerstehe ich dem Drang, mich umzudrehen. Ein weiterer Schluck Bier wärmt mir den Magen, und ich merke, wie mir der Alkohol allmählich zu Kopf steigt. Ich vertrage kaum etwas. Ich trinke nur selten und schon gar nicht auf leeren Magen. Die Welt verschwimmt mir vor den Augen, meine Probleme hingegen rücken in den Fokus.

Ich habe Mom am Telefon angelogen. Als ich ihr versicherte, ich würde mir etwas einfallen lassen, klang ich hoffnungsvoll, aber welche Hoffnung kann es schon geben? Welche Möglichkeiten bieten sich in einer Kleinstadt wie Oak Dale? Die Wahrheit ist, dass wir am Tiefpunkt angelangt sind. Wir sind hier schon so lange mit Überleben beschäftig, dass ich vergessen habe, wie sich Leben eigentlich anfühlt.

Nachdem ich das Bier ausgetrunken habe, schiebe ich die Flasche weg und esse die restlichen Kirschen auf. Ich kann förmlich hören, wie mein Magen mich anfleht: Bitte, bitte, gib mir ein paar grüne Blätter, bevor du stirbst.

Stuhlbeine schrammen über den Boden, als die Anzugtypen aufstehen, um das Lokal zu verlassen. Einer kommt zur Theke und will die Rechnung begleichen, aber es ist nicht der Typ, der mich interessiert, also kann es mir egal sein.

Ich empfinde es als eine Art Verlust, als mir klar wird, dass er mit den anderen aus der Kneipe geht und mich allein zurücklässt.

Als die Typen das Lokal verlassen, versuche ich seine Stimme herauszuhören, aber sie reden alle gleichzeitig, und ich kann die Stimmen nicht voneinander unterscheiden. Die Tür schwingt auf, und von der Autobahn wehen die Geräusche von Wagen herein, die an unserem kleinen Waldstück vorbeirasen, auf dem Weg zu einem besseren Ort.

Ich knibble an dem Etikett der Bierflasche herum, als die Tür wieder ins Schloss fällt und ich mit zwei Stammgästen am Ende der Theke und dem Barkeeper allein bleibe, der wegen der Kirschen immer noch sauer auf mich ist. Das weiß ich, weil er ständig »undankbare Göre« vor sich hin flüstert. Alle zusammen würden wir eine prächtige Besetzung für eine Anti-Depressiva-Werbung abgeben, und weil mich nicht einmal dieser Gedanken zum Lächeln bringen kann, weiß ich, dass ich wirklich niedergeschlagen bin.

»Kann ich Ihnen noch etwas bringen?«, fragt der Barkeeper in den Bereich des Lokals hinein, in dem vor wenigen Minuten noch die Anzugträger saßen, und ich drehe den Kopf so schnell, dass ich fast vom Hocker falle.

Er ist noch da.

Allein.

Er sitzt am Tisch und sagt dem Barkeeper, dass er genug hatte. Er will keinen Drink mehr … Aber warum ist er dann noch hier? Im Fernseher über der Theke läuft kein Spiel, denn er ist seit Jahren kaputt. Es ist niemand da, mit dem er ein geistreiches Gespräch führen könnte, es sei denn, man zieht das rülpsende Duo dort hinten in der Ecke für einen Wortwechsel in Erwägung. (Was ich nicht tue.)

Auf einmal treffen sich unsere Blicke … und nun begreife ich.

Er ist meinetwegen hier.

Mein Herz setzt einen Schlag aus, dann beginnt es, wild zu hämmern.

Der Typ ist nicht die Lösung für meine Probleme. Er wäre nur eine kleine Ablenkung, eine kurze Atempause vom Leben, das mir den Stiefel in den Nacken gesetzt hat.

Ich schaue ihm direkt in die Augen.

Himmel, er sieht verdammt gut aus. Er hat etwas Raues an sich. Ein richtiger Kerl. Groß, breite Brust, Unterarme, auf denen die Adern hervortreten. Er lächelt noch immer nicht. Seine Stirn ist gerunzelt, und er hat einen strengen Zug um den weichen Mund … der wahrscheinlich das einzig Weiche an ihm ist. Es ist, als wäre er wütend auf mich, weil ich uns in diese Lage gebracht habe, weil ich den Wunsch in ihm geweckt habe, noch zu bleiben.

Ich könnte ihm mit demselben Groll begegnen. Ich hatte noch nie einen One-Night-Stand, weil ich noch nie einem Typen begegnet bin, mit dem ich einen hätte haben wollen. Dieser Mann ist verführerisch, ohne es zu wollen, wirkt sinnlich, obwohl er eine halbe Thekenlänge von mir entfernt zurückgelehnt auf einem Stuhl sitzt und mich kühl mustert. Er würde in jeder Umgebung meinen Blick auf sich ziehen. In dieser Umgebung jedoch fesselt er meine Aufmerksamkeit komplett.

Mir kommt der Gedanke, dass ich die Kneipe einfach verlassen und mein Herz in Sicherheit bringen könnte. Aus dieser Begegnung kann nichts Gutes entstehen. Morgen ist der Fremde wieder weg, und mein Leben geht weiter wie bisher.

Mein Leben.

Vor vier Jahren habe ich die Highschool abgeschlossen, und noch immer sitze ich hier, unfähig, diesem alptraumhaften Karussell zu entkommen. Wir arbeiten und legen Geld zurück, bis die nächste Katastrophe über uns hereinbricht – eine Autopanne, die Versicherung bezahlt McKennas neue Asthmamedikamente nicht, die Klimaanlage streikt, das Dach muss repariert werden –, und schon geht’s wieder zurück auf Start, und wir sind so pleite wie zuvor.

Meine Hände zittern, und meine Kehle schmerzt, weil ich mit aller Macht die Tränen zurückhalten muss.

Ich kann nicht mehr.

Dieses Leben wird mich früh ins Grab bringen. Ich brauche einen Not-Ausschalter, ein Sicherheitsventil, das eine Sprungfeder auslöst, die mich von diesem Barhocker schleudern und auf eine einsame Insel bringen wird, auf der es weder Kreditkartenabrechnungen noch beschissene Chefs gibt. Ach was, streichen wir das mit der Insel. Ich bin nicht wählerisch. Mir reicht eine ruhige Nacht in Moms Trailer, in der ich die weiße Wand anstarre, Hauptsache, niemand erinnert mich an das Verderben, das mich am nächsten Morgen erwartet.

Einen Not-Ausschalter gibt es nicht, aber es gibt da diesen Mann.

Und ich beschließe, mit seiner Hilfe für eine Nacht aus dem Karussell auszusteigen.

Ich blicke demonstrativ in Richtung des Flurs, der zu den Toiletten führt, und vergewissere mich, dass die Botschaft angekommen ist. In demselben Augenblick, in dem sein Stuhl über den Holzfußboden schrammt, lasse ich mich von meinem Barhocker gleiten.

Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Kapitel zwei

TAYLOR

Wie benommen gehe ich zu den Toiletten. Mein Körper treibt mich voran, geht einen Schritt nach dem anderen, ohne dass ich bewusst wahrnehme, was ich da tue. Ich befinde mich in einer Art Schockzustand. Ja, das ist es, ich bin schockiert, weil ich das hier tatsächlich durchziehen werde. Mein Gewissen will mir zurufen, dass ich aufhören soll, dass ich mich umdrehen und weglaufen soll, solange es noch möglich ist, aber dann stehe ich vor der Tür zur Damentoilette, und eine Hand, die viel größer ist als meine, stößt sie für mich auf.

Ich hatte die Spiegel vergessen. Ich wünschte, es gäbe sie nicht, aber da hängen zwei über den alten Waschbecken aus Porzellan. Sie haben Sprünge und Flecken, trotzdem kann ich genug darin sehen, um mit meinen eigenen Handlungen konfrontiert zu sein.

Die braunen Augen meiner Mutter blicken mich aus dem Spiegel an, verführerisch schräg, als wäre ich jemand, der unaussprechliche Geheimnisse hütet.

Die langen braunen Haare fallen mir in großen Wellen über den Rücken.

Meine vollen Lippen sind der Stoff, aus dem die Träume sind – jedenfalls hat das mal jemand zu mir gesagt. Wahrscheinlich muss ich meinen Lippen dafür danken, dass sie nun diesen dunklen Fremden zu mir geführt haben.

Ich bin mir des Gesamtpakets, das ich zu bieten habe, durchaus bewusst: hohe Wangenknochen, schmale Taille, üppige Kurven.

Dabei bin ich auf mein Aussehen alles andere als stolz. Tatsächlich hat es mir nichts als Kummer eingebracht. Die Freunde meiner Mutter waren immer ein bisschen zu sehr an mir interessiert. In der Schule unterstellten mir Lehrer und Eltern aufgrund meines Aussehens bestimmte Dinge, so, als bestünde der Sinn meines Lebens darin, die Männer dieser Kleinstadt vom rechten Weg abzubringen. Meine Chefs haben außer meiner äußeren Erscheinung nie etwas Wertvolles an mir entdeckt, wofür das letzte Gespräch mit Mr. Harris ein hervorragendes Beispiel ist. Bei all den unerwünschten Annäherungsversuchen und abfälligen Bemerkungen sollte es offensichtlich sein, warum ich weder viel Make-up noch enge Klamotten trage. Welchen Sinn hätte es, das Problem noch zu vergrößern?

Eine harte Brust in meinem Rücken schiebt mich weiter in den Vorraum hinein. Ein Schauer der Erregung läuft mir über den Rücken. Dieser Mann hatte die Wahl, genau wie ich. Er hätte mir nicht folgen müssen, aber die Tür fällt bereits ins Schloss, und seine Präsenz erfüllt die Stille um uns.

Er schließt eine Hand um meinen Bizeps und führt mich weiter in den Raum hinein. Im Spiegel sehe ich, wie weit er mich überragt. Der Abstand zwischen meinem Scheitel und seinem Kinn scheint sich in Meilen zu bemessen, nicht in Zentimetern.

Wir geben ein bemerkenswertes Paar ab: dunkle, perfekt harmonierende Gesichtszüge, Augen in derart verschiedenen Brauntönen, dass man sie kaum ein und derselben Farbe zurechnen kann. Wir sind zwei schöne Menschen, die bald einige sehr schlechte Entscheidungen treffen werden.

»Wie alt bist du?«, fragt er, und unsere Blicke treffen sich im Spiegel. Ich erstarre, als mir klar wird, dass sein Tonfall genauso scharf ist wie seine Wangenknochen.

»Zweiundzwanzig.«

Kritisch zieht er die Brauen hoch. »Ziemlich jung, um allein in einer Kneipe zu sitzen.«

Ich habe nicht vor, mich wegen meiner Lebensführung vor ihm zu rechtfertigen. Wenn er eine Erklärung für meine Anwesenheit haben will, kann er mich freundlich danach fragen. Bis dahin werde ich den Spieß einfach umdrehen.

»Warum bist du nicht mit deinen Freunden weggegangen?«

Mit der freien Hand greift er nach den Haaren, die mir über die Schulter nach vorn fallen. Ich sehe im Spiegel, wie er sie mir auf den Rücken schiebt, und gegen meinen Willen überläuft mich ein Schauer.

»Weil ich es nicht wollte«, sagt er leise.

»Warum nicht?«, hake ich nach.

Erneut treffen sich unsere Blicke. »Du sahst traurig aus, so allein an der Theke. Ich glaube, ein Teil von mir wollte sichergehen, dass es dir gut geht.«

Das ist das Letzte, womit ich aus seinem Mund gerechnet hätte. Na ja, weil ich dich scharf finde ist in etwa die Antwort, die ich von ihm erwartet hätte.

Plötzlich bricht eine Lawine von Gefühlen über mich herein. Ich zittere, weil ich das Bedürfnis habe, die Tränen einfach laufen, die Schultern sacken zu lassen und den Rücken zu beugen. Ich schließe fest die Augen.

Wann hat dich das letzte Mal jemand gefragt, ob es dir gut geht?

Ich darf nicht weinen. Ich darf nicht zulassen, dass er mich in diesem verletzlichen Zustand erlebt. Wenn ich mich in ein heulendes Elend verwandle, wird er die Sache nicht durchziehen wollen. Ach, du dachtest, wir sind hier, um schmutzige Dinge zu tun? Nein, eigentlich möchte ich mich eine halbe Stunde lang hässlich schluchzen, während du mich sanft in deinen Armen wiegst.

Er interessiert sich für mich.

Warum?

Er ist ein Fremder, jemand, mit dem ich gerade mal fünf Worte gesprochen habe, aber ich weiß instinktiv, dass er mich nicht ausnutzen will. Außerdem hätte er es längst tun können. Wir sind allein in diesem Waschraum. Niemand wird kommen und nach uns sehen. Er könnte mich an die Wand drücken und mit mir machen, was er will, doch er tut gar nichts, sondern wartet auf meine Antwort.

Wie immer verwandelt sich meine Traurigkeit rasch in Zorn. Tränen werden mir nicht helfen, aus meinem Elend herauszukommen. Selbstmitleid löst keine Probleme. Dass ich in diesem Augenblick hier stehe, verdanke ich nur meiner Stärke und dem bloßen Willen, noch einen weiteren Tag zu überleben.

Als ich mir sicher bin, dass ich nicht weinen werde, öffne ich blinzelnd die Augen und greife nach seiner Hand, mit der er meine Haare mit solcher Ehrfurcht berührt hat, dass ich ihm beinahe mein Herz geöffnet hätte.

»Und was wollte der andere Teil von dir tun? Der Teil, der nicht wissen will, wie es mir geht?«, frage ich und versuche so sinnlich wie möglich zu klingen.

Im Spiegel sehe ich, wie sein Blick dunkler wird, und ich nehme überrascht zur Kenntnis, dass dieser Mann keineswegs von Lust und Begierde überwältigt ist. Er wirkt aufgewühlt und verwirrt, scheint kurz davor, sich abzuwenden und zur Tür hinauszugehen.

Auf keinen Fall.

Ich drehe mich um, recke mich auf die Zehen und drücke meinen weichen Körper an seinen, während meine Lippen seinen Mund berühren. Seine Hand schließt sich schmerzhaft fest um meinen Oberarm, doch genauso schnell löst er den Griff wieder und streichelt meine nackte Haut, lindert den Schmerz, als befürchte er, mich verletzt zu haben.

Er erwidert den Kuss nicht sofort, aber ich bin hartnäckig, und als er schließlich nachgibt, verwandeln sich unsere ungeschickten, leicht gekünstelten Bewegungen in etwas Süßeres … wie der Kuss deines besten Freundes in dem Sommer, in dem du vierzehn wirst, ein heimlicher Kuss, wenn du weißt, dass deine Eltern gerade nicht hinsehen. Er ist zärtlich und zaghaft, besteht aus nichts als weichen Lippen und unausgesprochenen Möglichkeiten.

Aber wir sind keine Teenager mehr. Ich presse mich an einen erwachsenen Mann. Egal, wie besorgt er um mein Wohlergehen ist, er wird sich nicht ewig zurückhalten können, wenn ich ihn weiterhin küsse, verführe, reize. Meine schweren Brüste drücken sich an seine harten Muskeln, als ich über den kühlen Stoff seines Button-down-Hemds streiche. Ich lasse die Hand an seinem Kragen entlangwandern und schließe sie um seinen Nacken, berühre zum ersten Mal seine Haut. Er ist so heiß, ich schmelze dahin, und auch er scheint die Hitze zu spüren, denn jetzt stöhnt er vor Begierde auf. Das Geräusch erschüttert mich bis ins Mark, und plötzlich kommen mir Zweifel, plötzlich fürchte ich mich vor der Situation, in die ich mich selbst gebracht habe.

Das hier ist kein Mann, den du für eine Nacht benutzt. Dies ist ein Mann, für den du dein Leben auf den Kopf stellst, einer, vor dem du auf Händen und Knien kriechst, um ihm zu gefallen, einer, der dich einmal berührt und für immer einen Abdruck auf deiner Seele hinterlässt.

Abrupt beende ich den Kuss, denn ich brauche Raum, brauche einen Moment, um tief durchzuatmen. Meine Brust hebt und senkt sich schnell, meine Hände zittern.

Das ist doch verrückt! So etwas passiert mir nicht! Ich arbeite und spare und frage mich ängstlich, auf welche Art mich das Leben morgen bescheißen wird. Ich bin keine Frau, der ein attraktiver Fremder in den Waschraum folgt!

Mein Gewissen hat keine Zeit, sich an die Situation zu gewöhnen, denn nun hebt er mich hoch, so mühelos, als wäre ich mit Luft gefüllt, und trägt mich wieder zum Waschbecken. Mein Hintern prallt an den Porzellanrand, er hebt mich hoch, setzt mich darauf und drückt meine Knie auseinander, so dass er sich zwischen meine Schenkel schieben kann. Seine Anzughose streift meine Jeans, und ein leises Stöhnen entringt sich meiner Kehle. Trotz meiner erhöhten Position muss er sich zu mir herabbeugen, als er mein Gesicht in beide Hände nimmt und es leicht anhebt, um mich zu küssen. Er legt den Kopf schief, sein Mund berührt meinen, und schon übernimmt er mühelos die Führung. Ich habe mit dem ersten Kuss zwar die Initiative ergriffen, aber es ist klar, dass alle weiteren von ihm, durch ihn, für ihn sein werden.

Seine Zunge spielt mit mir, erfüllt jeden Zentimeter meines Körpers mit Lust.

Ich lasse mich davontragen.

Doch die Realität bleibt mir auf den Fersen, sosehr ich mich auch bemühe, ihr zu entkommen.

Ich muss aufhören. Das hier hilft mir nicht weiter. Es führt nur dazu, dass ich am nächsten Morgen doppelt so traurig sein werde.

Es sei denn …

Ein wilder, dummer Gedanke schießt mir durch den Kopf. Vielleicht springt bei dieser Sache mehr für mich heraus als nur ein netter Abend … Geld! Ich könnte ein Geschäft daraus machen. Mich selbst verkaufen! Oh Mann. Als wäre ein One-Night-Stand nicht schlimm genug, ziehe ich jetzt auch noch in Erwägung, ins älteste Gewerbe der Welt einzusteigen. Es ist absolut lächerlich und außerdem: Wie fädelt man ein derartiges Geschäft eigentlich ein?

Ach ja, übrigens, kannst du mal für eine Sekunde aufhören, mich zu küssen? Ich würde gern über meine Allgemeinen Geschäftsbedingungen für diese Transaktion mit dir sprechen.

Wie viel verlangen Prostituierte mit wenig Erfahrung in einer Kleinstadt heutzutage? Hundert Mäuse plus Gutschein für einen Milchshake?

Die Fragen, die mir durch den Kopf gehen, erleichtern es mir, mich von seinen Lippen zu lösen. Sein Mund ist köstlich und verlockend, aber gegen meine heraufziehende Panikattacke kann er nichts ausrichten. Diese improvisierte Knutschsession im Waschraum war spontan und schlecht durchdacht. Auf diese Art mache ich mich nur zum Narren.

Für einen One-Night-Stand hätte ich mir einen unbedeutenderen Mann aussuchen sollen, nicht diesen Anzugträger mit seinem steinharten Körper und den verführerischen Küssen. Er wird mir den Verstand rauben, mir ungekannte Lust verschaffen und mich noch einsamer als zuvor zurücklassen, um in einen schicken Sportwagen zu steigen und, eine Staubwolke hinter sich her ziehend, aus der Stadt zu rasen.

Obwohl mein Verstand auf Hochtouren arbeitet, wecken seine sinnlichen, aufreizenden Küsse all die Gefühle in mir, die ich besser vor ihm verstecken sollte. Wenn er sich jetzt von mir lösen und einen Schritt zurücktreten würde, könnte er feststellen, dass meine Lippen rot und geschwollen sind, dass meine Augen liebeshungrig glänzen, dass meine Brust sich hebt und senkt und mein Höschen nass geworden ist.

Jetzt schiebt er die Hände unter den Saum meines T-Shirts, und als sie warm über meine Haut gleiten, vergesse ich für einen Moment, worüber ich gerade nachgedacht habe.

Er umfasst meine Taille, und ich greife ebenfalls nach ihm, denn ich befürchte, dass ich gleich vornüber vom Waschbecken kippen werde. Meine Hände landen auf seinem Hintern.

Nein, nicht direkt auf den Pobacken …

… sondern auf seinem Portemonnaie, das in der Gesäßtasche seiner Anzughose steckt.

Bei dieser Erkenntnis weiten sich meine Augen, während er sich über mich beugt, um meinen Nacken mit Küssen zu bedecken.

Nimm es, schreit mein Selbsterhaltungstrieb. Nimm es jetzt!

NEIN.

Mein Magen rebelliert vor Schuldgefühlen und Ekel, weil ich an so etwas auch nur denke. Ich bin keine Diebin. Absolut nicht.

Die ganze Situation kommt mir falsch und finster vor. In diesem Waschraum stinkt es, aber dieser Mann ist derart verführerisch mit seinen warmen, großen Händen, auf denen sich die Venen abzeichnen und mit denen er nun meine Taille umfasst, uns näher zusammenbringt, so dass unsere Hüften sich aneinanderschmiegen. Ich wünschte, wir würden uns in seinem Märchen und nicht in einer schmutzigen Kneipentoilette küssen. Ich wünschte so sehr, dies wäre die erwachsene Version jenes sommerlichen Teenagerkusses, ich wünschte, wir wären zwei völlig voneinander hingerissene Liebende und nicht zwei Fremde, die einander benutzen.

Plötzlich läuft vor meinem inneren Auge ein Film mit den Highlights meiner Zukunft ab: überfällige Arztrechnungen, kaputte Autos, Jobs ohne Aufstiegschancen. Das Geld in dem Portemonnaie dieses Fremden würde nicht all meine Probleme lösen, aber es wäre eine dringend benötigte Finanzspritze, und bei diesem Gedanken wird mir klar, dass mein Körper mir die Entscheidung bereits abgenommen hat.

Ich grabe ihm zur Ablenkung die Fingerkuppen in die Pobacken, und er protestiert nicht. Wahrscheinlich nimmt er an, dass ich auf Ärsche stehe, was bis zu diesem Augenblick eigentlich nie der Fall war, aber ja, seiner gefällt mir tatsächlich sehr. Er ist muskulös und fest, keine flachen, schlaffen Pobacken, die kaum die Hose ausfüllen. Sein Hintern ist prall und … O MEIN GOTT, KONZENTRIER DICH!

Entschlossen greife ich nach dem Portemonnaie und ziehe es langsam, ganz langsam – Millimeter für Millimeter – aus seiner Gesäßtasche, ohne dass er es merkt. Und dann habe ich keine Ahnung, wohin damit. Hinter seinem Rücken halte ich das Ding in der Hand, und mein Herz hämmert so heftig, dass mir wahrscheinlich gleich schlecht wird. Wie praktisch, dass wir in der Nähe einer Toilette knutschen, denn ich werde bald eine brauchen.

Was habe ich nur getan?!

Inzwischen erwidere ich seine Küsse nicht mehr … dafür reichen meine Multitasking-Fähigkeiten nun doch nicht. Er merkt, dass etwas nicht stimmt, und beugt sich leicht zurück, um mir ins Gesicht zu schauen. Seine warmen braunen Augen wirken besorgt. Dann lässt er den Blick durch den Vorraum schweifen und stößt einen tiefen Seufzer aus. Seine Besorgnis verwandelt sich zusehends in Schuld, aber ich darf nicht zulassen, dass sie an ihm zu nagen beginnt. Ich darf nicht zulassen, dass er sich wie ein netter Kerl verhält, ein Gentleman, der mich hinausbegleitet und mir ein Taxi ruft.

Ich halte noch immer sein Portemonnaie in der Hand, und wenn er es sieht, habe ich keine gute Erklärung dafür. Ähm … ich habe nach einem Kondom gesucht. Mach dich bereit, Großer!

Nein.

Ich sage das Erste, was mir in den Sinn kommt. »Schließ die Augen.«

Anstatt die Anweisung zu befolgen, runzelt er die Stirn. Großspurige Männer wie er sind es wahrscheinlich nicht gewohnt, herumkommandiert zu werden. Ich glaube, ihm gefällt mein Lächeln, also behalte ich es bei, tackere es an meinem Gesicht fest, während ich einen Finger aufreizend über die Vorderseite seines Hemds gleiten lasse.

»Schließ die Augen.«

Diesmal tut er es, wenn auch kopfschüttelnd und mit einem genervten Stöhnen. Er legt den Kopf in den Nacken, als schickte er ein Stoßgebet gen Himmel.

Ich verliere keine Zeit. Sofort stopfe ich die Geldbörse vorn in meinen BH.

»Welche Zimmernummer hast du?«, gurre ich wie die Mitarbeiterin einer Telefonsex-Hotline und lasse einen Finger zu seinem Hosenknopf hinunterwandern. Die Wölbung darunter ist geradezu obszön. Schockiert wende ich den Blick ab.

Blinzelnd öffnet er ein Auge, und ich mache mich darauf gefasst, dass er das Portemonnaie unter dem Stoff meines T-Shirts entdeckt. Es ist leicht ausgebeult, aber zum Glück ist der Spalt zwischen meinen Brüsten tief genug, um es bequem darin verschwinden zu lassen.

»209.«

»Geh rauf und warte dort auf mich.«

»Was hast du vor?«

Ich werde so panisch, als hätte er mich bereits erwischt, beruhige mich aber rasch wieder und setze ein kokettes Lächeln auf.

»Du hast doch nicht geglaubt, dass ich es dir so einfach mache, oder? Ein Bier, und schon gehöre ich dir?«

Ich gehe davon aus, dass meine Verführungskräfte wirken und dass seine glatte Fassade einen Riss bekommen wird. Er hat mich immer noch nicht angelächelt. Keine blumigen Worte oder Versprechen auf Lust. Er ist klüger, als gut für ihn ist, nimmt mir die schlechte Schauspielerei offenbar nicht ab, sondern hat gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Trotzdem mache ich weiter.

»Ich glaube, du hast Lust auf eine kleine Verfolgungsjagd, ein bisschen Zeit in deinem Zimmer, um auf und ab zu gehen und dich zu fragen, ob ich komme, und falls ich komme …«

»Wenn du kommst«, korrigiert er mich.

»Tja, die Wartezeit lohnt sich auf jeden Fall, und der Begrüßungskuss wird umso süßer sein. Meinst du nicht?«

Er legt den Kopf schief und mustert mich.

Ich versuche, ganz still zu sitzen, ruhig und cool zu wirken. Dabei fühle ich mich wie ein Käfer unter einem Vergrößerungsglas … kurz davor, in Flammen aufzugehen.

Er öffnet den Mund, als wollte er etwas sagen, aber schließlich dreht er sich zur Tür und öffnet sie ohne ein weiteres Wort. Seine breiten Schultern verschwinden über den Flur, und in der Sekunde, in der die Tür sich hinter ihm schließt, hüpfe ich von dem Waschbecken hinunter und renne in eine Toilettenkabine, gerade noch rechtzeitig, um eine gelungene Mischung aus Bier und zerkauten Kirschen zu erbrechen.

Es ist grässlich und ekelhaft und genau das, was ich verdient habe. Das Karma hat’s im Augenblick echt drauf. Ich habe mein Verbrechen noch nicht mal vollendet, und schon werde ich bestraft. Erneut fängt mein Magen an zu rebellieren, und ich kneife die Augen zu, bereite mich auf eine zweite Runde vor, aber es kommt nichts. Kein Wunder, seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen.

Ich betätige die Spülung und gehe zurück zum Waschbecken, um mir den Mund auszuspülen und die Hände zu waschen. Ich kann nicht länger bleiben. Ich muss hier raus, und zwar schnell. Sobald er sein Zimmer betreten will, wird er feststellen, dass er seine Schlüsselkarte nicht dabeihat, und dann wird er bemerken, dass seine Geldbörse verschwunden ist. Die Körperteile, die mich gerade noch mit Begierde erfüllt haben, werden das exakte Gegenteil bewirken, wenn er hier hereingestürmt kommt, schäumend vor Wut über das, was ich getan habe.

Mit zitternden Händen öffne ich das Portemonnaie, beachte weder die Schlüsselkarte noch die schwarze Kreditkarte, sondern hole gleich das Bargeld heraus. Es ist mehr, als ich erwartet habe, insgesamt fast achthundert Dollar.

Wer trägt denn so viel Bargeld mit sich herum?

Ich könnte fünfhundert Dollar abschöpfen, und es wäre immer noch eine Menge für ihn übrig. Fünfhundert Dollar sind mehr, als ich in einem Monat verdiene. Ich will die Scheine an mich nehmen, schiebe sie aber wieder in das Portemonnaie zurück, denn meine Hand zittert, und ich schaue in seinem Führerschein nach seiner Adresse, um sie mir zu merken. Eines Tages, wenn ich nicht mehr nur mit knapper Not überlebe, werde ich ihm das Geld mitsamt Zinsen und einem Dankesbrief zurückschicken. Dann kann er sich gut fühlen. Er kann behaupten, dass er dem armen, hilflosen Mädchen vom Land geholfen hat, als sie vom Glück verlassen war. Außerdem kann er es seinen Kumpels und seiner Frau erzählen. Nein … Er trägt keinen Ring. Die heimliche Geliebte kann ich also nicht auf die immer länger werdende Liste meiner Sünden setzen.

Seinem Führerschein zufolge wird er dieses Jahr einunddreißig, aber mehr bekomme ich nicht heraus, denn jetzt dringen aus der Kneipe gedämpfte Stimmen an mein Ohr.

Ist er das? Ist er schon zurück?

Mein Herz schaltet in den höchsten Gang.

Jetzt oder nie.

Ich muss hier raus.

Ich greife nach dem Bargeld, reibe die Scheine zwischen den Fingerkuppen.

Nimm es. Nimm es, und hau ab. Dieses Geld wird all deine Probleme lösen!

Ich will es. Ich will dieses Geld so dringend besitzen, dass mir fast das Wasser im Mund zusammenläuft, aber anstatt es herauszunehmen und in meine Gesäßtasche zu schieben, klappe ich das Portemonnaie seufzend wieder zu.

Nein, ich kann so etwas nicht.

Anstatt stolz auf mich zu sein, weil ich mich richtig verhalten habe, schimpfe ich mit mir selbst, als ich auf den Flur hinaustrete. All diese Mühe … für nichts. Und was soll ich jetzt machen? Wie soll Mom zu ihren Kursen kommen? Und ich zur Arbeit?

Die Stimmen, die ich vorhin vom Waschraum aus gehört habe, werden lauter, und ich entspanne mich, als ich erkenne, dass eine davon meinem Cousin gehört. Ich sehe ihn an der Theke lehnen und sich mit dem neuen Barkeeper unterhalten. Er fragt ihn, wo ich bin. Als er mich aus dem Flur kommen sieht, wirkt er erleichtert … erleichtert und wahnsinnig müde. Die ramponierte Baseball-Cap hat er sich tief in die Stirn gezogen, sie bedeckt sein aschblondes Haar fast komplett. Sein neongelbes T-Shirt – die Uniform des Sägewerks – hat Schweißflecken am Hals und unter den Achseln. Wenn ich einen schlechten Tag hatte, war Jeremys vermutlich nicht viel besser.

»Hey, ich hab mehrmals versucht, dich anzurufen«, sagt er und stößt sich von der Theke ab, so dass er nun vor mir steht.

Ich werde blass. »Tut mir leid. Mir ging’s nicht so gut.«

Stirnrunzelnd mustert er mich von Kopf bis Fuß. Jeremy war immer schon ein Kämpfer. Als unser Leben während meiner Zeit auf der Highschool im Chaos versank, war er der Einzige, der zu mir hielt. Umgekehrt war auch ich für ihn da, als Person, der er vertrauen und mit der er reden konnte. Wir waren eng miteinander verbunden.

»Bereit zum Abflug?«, fragt er und deutet mit dem Kopf in Richtung Tür.

Ich nicke, dann drehe ich mich zum Barkeeper und halte das elegante Lederportemonnaie hoch. »Das muss dieser Anzugtyp verloren haben. Er kommt bestimmt gleich wieder, um danach zu fragen.«

Nachdem ich es dem Barkeeper gegeben habe, folge ich Jeremy zu seinem verbeulten Pick-up, lehne den Rest seines Cheeseburgers ab, den er mir aufzudrängen versucht, und schaue kein einziges Mal in den Rückspiegel, als wir auf die alte Landstraße abbiegen.

Kapitel drei

ETHAN

Als ich vor dem Motelzimmer stehe und feststelle, dass meine Gesäßtasche leer ist, bin ich anfangs ehrlich gesagt nicht sauer, sondern empfinde eine Art schockierter Bewunderung. Wie zum Teufel konnte sie mir das Portemonnaie stehlen, ohne dass ich auch nur das Geringste bemerke? Aber dieses Gefühl hält nicht lange an. Auf dem Rückweg zum Aufzug packt mich die Wut. Die Tatsachen lassen sich nicht leugnen: Als ich aufgestanden bin, um ihr zu den Toiletten zu folgen, hatte ich mein Portemonnaie noch, denn ich erinnere mich, dass ich danach gegriffen habe, obwohl Steven darauf bestand, die Rechnung zu begleichen. Klar, es hätte in der Zwischenzeit herausfallen können (was mir noch nie passiert ist), aber der zweite, unübersehbare Beweis besteht in der Tatsache, dass die brünette Sexbombe nicht wie versprochen in mein Zimmer gekommen ist, um zu Ende zu bringen, was wir in dem Waschraum begonnen hatten.

Nein. Natürlich ist sie nicht gekommen. Sie hat nie vorgehabt, sich hier mit mir zu treffen.

Sie hat das Portemonnaie an sich genommen und ist abgehauen wie die kleine Diebin, die sie nun mal ist.

Wütend balle ich die Fäuste. Ich kann nicht glauben, dass ich auf sie reingefallen bin. Ich kann nicht glauben, dass sie ihren geschmeidigen Körper an meinen gedrückt, meinen Kuss erwidert und gestöhnt hat, als wäre sie von der Chemie zwischen uns genauso überwältigt wie ich, während sie die ganze Zeit nur vorhatte, mich zu beklauen.

Ich will sie finden und ihr eine Lektion erteilen, weil sie mich ausgenutzt hat.

Ich ignoriere den Teil meines Gewissens, der mir selbst die Schuld daran geben will. Dass etwas nicht stimmte, habe ich sofort gemerkt, als ich sie dort in der Kneipe sitzen sah. Mein Instinkt riet mir, besser zu verschwinden, nachdem ich sie den halben Abend lang beobachtet hatte. Doch ich habe dieses Gefühl als eine Art unnützen Drang abgetan, mich gentlemanlike zu benehmen. Ich hatte das Gefühl, sie auszunutzen. Sie wirkte so zerbrechlich und hilflos, als sie allein dort an der Theke saß, mit gesenktem Kopf und mutlos hängenden Schultern.

Jetzt ist mir klar, dass alles nur gespielt war, dass sie diese Show bestimmt schon tausendmal abgezogen hat, wenn man bedenkt, wie erfolgreich sie damit war. Ich hätte schwören können, dass sie für einen Moment den Tränen nah war, nachdem ich ihr im Waschraum gestanden hatte, dass ich mich vergewissern wollte, ob es ihr gut ging.

Grundgütiger, was bin ich für ein Idiot. Nicht zu fassen, dass ich darauf reingefallen bin!

Ich fahre mir mit beiden Händen energisch durchs Haar. Herr im Himmel, sie schien total auf mich zu stehen, auf die Art, wie ich sie berührt, sie geküsst habe.

Dazu hätte es niemals kommen dürfen. Meine Geschäftspartner und ich sind nur übers Wochenende in der Stadt, und wir haben tausend Dinge auf der Tagesordnung. Ich hätte die brünette Frau überhaupt nicht beachten sollen, als sie die Kneipe betrat, aber jetzt ist mir sonnenklar, dass es sich um eine Falle handelte. Das Ganze war arrangiert, um mich zu Tränen zu rühren. Mit etwas Distanz ist die Sache mühelos zu durchschauen. Ich verdränge den Gedanken an die Schönheit dieser femme fatale und erinnere mich stattdessen an ihre ausgeblichenen Jeans und das dünne T-Shirt, Kleidung, die aussah, als wäre sie schon hundertmal gewaschen und getragen worden.

Sie ignorierte uns alle, steuerte direkt auf die Theke zu, hievte sich auf einen Barhocker und stieß einen tiefen Seufzer aus. Der Barkeeper fragte, ob sie etwas trinken wolle. Sie bat um etwas Wasser, bestellte danach aber nichts mehr.

Stattdessen saß sie mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf da und drehte ihr Handy in den Händen. Sie sah aus, als bräuchte sie einen Retter, und irgendein Höhlenmenschen-Instinkt in mir sorgte dafür, dass ich mich danach sehnte, dieser Retter zu sein, und wenn es nur für eine Nacht war.

Auch meine Geschäftspartner hatten sie hereinkommen sehen. Tatsächlich wollte Grant sogar den Platz mit mir tauschen, um einen besseren Blick auf die Theke zu haben. Ich habe mich nicht vom Fleck gerührt.

Später dann – noch nicht ganz zum Aufgeben bereit – erbot er sich, zur Theke zu gehen und die nächste Runde für uns zu bestellen. Von wegen. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und nötigte ihn zur großen Belustigung meiner anderen beiden Partner, sitzen zu bleiben. Ich mache mich nur selten, wenn überhaupt, für eine Frau zum Narren, aber in diesem Fall war niemand überrascht, dass ich es vorzog, noch zu bleiben, nachdem sie aufgestanden waren, um die Kneipe zu verlassen. Alle wünschten mir Glück, nur Grant nicht, der mir den Finger zeigte und sagte, ich solle zur Hölle fahren.

Zu jenem Zeitpunkt ergab mein Verhalten durchaus Sinn. Kein Mann, der noch bei Verstand war, hätte aus dem Lokal gehen und diesen Engel dort zurücklassen wollen.

Nein, rufe ich mir rasch ins Gedächtnis. Diese Frau mag vieles sein – Trickbetrügerin, Diebin, Lügnerin –, aber ein Engel ist sie nicht.

Ich sehe rot, als ich die Tür der Kneipe aufstoße und mit großen Schritten auf den Barkeeper zugehe, der gerade ein paar Gläser spült.

»Ist sie noch hier?«, frage ich mit einer Stimme, die dröhnt wie ein Presslufthammer.

»Die Brünette, der Sie zur Toilette gefolgt sind?«, fragt er in wenig interessiertem Ton. »Nee. Die ist gleich nach Ihnen verschwunden.«

Dass meine Vermutung sich bestätigt, versetzt meinem Ego einen weiteren Fausthieb. Sie hatte also nie vor, zu mir aufs Zimmer zu kommen.

»Großartig. Okay, haben Sie zufällig gesehen, dass sie mein Portemonnaie in der Hand hatte, als sie hier rausgerannt ist?«

Ohne zu antworten, nähert sich der Barkeeper der Registrierkasse, greift hinein und hält etwas hoch wie ein Zauberer, dem ein Trick gelungen ist.

Ich erstarre, bin komplett verwirrt.

Sie hat mir mein Portemonnaie also nicht gestohlen? Es ist mir wirklich nur aus der Gesäßtasche gerutscht …

Nein.

Fuck.

Ich habe den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da reiße ich ihm das Ding bereits aus der Hand, werfe einen Blick hinein und stelle fest, dass mein gesamtes Bargeld weg ist. Ich habe es heute Morgen erst von der Bank geholt, und ich weiß, dass es mehr als achthundert Dollar waren, weil ich hier mitten im Nirgendwo nicht in die Verlegenheit kommen wollte, Bargeld besorgen zu müssen.

Ich fluche leise, aber der Barkeeper zuckt nur die Schultern, völlig unbeeindruckt von meinem Zorn.