Cornwall College 1: Was verbirgt Cara Winter? - Annika Harper - E-Book

Cornwall College 1: Was verbirgt Cara Winter? E-Book

Annika Harper

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Beschreibung

Das Nobelinternat "Cornwall College" in England. Hier sind sie alle, die Kinder der Reichen und Schönen: protzige Prinzen und Glitzergirls, echte Stars und Dramaqueens. Und Cara. Gerade erst ist sie aus Deutschland gekommen. Fast könnte man das unauffällige Mädchen übersehen. Aber Cara hat ein Geheimnis …

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Impressum

Cornwall College

Was verbirgt Cara Winter?

 

 

Weitere Cornwall College-Abenteuer sind in Vorbereitung.

 

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Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

 

Copyright © Carlsen Verlag 2015

Text: Annika Harper

Umschlag: Christiane Hahn

eBook-Umsetzung: Satzweiss.com, Saarbrücken

 

978-3-646-92736-8

 

Alle Bücher im Internet unter www.carlsen.de

 

„Nana, bitte! Ich halte das hier nicht mehr aus.“

„Nein, nein und nochmals nein. Ich habe es dir erklärt.“

„Aber was soll das denn für ein Leben sein? Ich will raus. Ich will auf eine richtige Schule. Ich will lernen.

Ich will Freunde!“

„Ich muss schon sehr bitten, young lady, dein Ton!“

„Entschuldige … Aber stell dir doch mal vor, wie schön das wäre: Ich wäre frei von dem ganzen Familienkram, wie ein neuer Mensch! Und … und … und ...

Und außerdem vermisse ich England.

… Nana? Warum seufzt du?

… Alles in Ordnung?“

„Very well. Aber zu meinen Bedingungen.“

Aufbruch in ein neues Leben

 

Es geht los!

 

 

Meine Großmutter ist Engländerin. Gefühlsausbrüche liebt sie nicht.

Also atmete ich tief ein, um auch wieder tief ausatmen zu können. Meine Stimme war ganz ruhig, als ich sagte: „Und außerdem vermisse ich England.“

Das war mein letzter Trumpf. Und damit hatte ich sie.

Meine halbe Verwandtschaft kommt aus England. Also, die Seite meiner Mutter jedenfalls. Weshalb Nana mich keinen Tag vergessen lässt, dass in meinen Adern britisches Blut fließt. Und nun keimte in ihr die Hoffnung, dass die fünfzig Prozent deutsches Blut meines Vaters ebenfalls britisch werden könnten, wenn ich in ein englisches Internat ginge.

Trotzdem gab es noch Diskussionen.

„Aber Nana.“ Ich seufzte. „Wie sieht das denn aus, wenn ich mit einem Trupp von vier Mann dort ankomme?“

„Nun übertreib bitte nicht!“ Nana hob die Augenbrauen. „Zwei würden perfectly genügen. Carl und Heinrich begleiten dich zum Flughafen.“

„Das ist aber doch auch eher ungewöhnlich, oder? Reisen die anderen Mädchen nicht allein?“ (Wir leben ja nicht im 18. Jahrhundert!)

Meine Großmutter machte nur „Ts“ und vertiefte sich wieder in ihre Times. Was bei ihr locker als „Du hast Recht“ gewertet werden konnte. Gewonnen, schon wieder!

Tja, und so stehe ich nun tatsächlich hier. Am Flughafen Hamburg, auf dem Weg nach London. Mein Herz macht einen Hüpfer, als ich die großen Lettern am Eingang sehe.

Neben mir wuchtet Carl das Gepäck aus dem Auto. Ich nicke ihm zum Abschied zu und will gerade losziehen, als er mich plötzlich ungeschickt umarmt. „Viel Glück im Cornwall College! Mach’s gut!“

Spinnt der? Stocksteif bleibe ich stehen. Nana würde längst in der Handtasche nach ihrem Riechsalz tasten, vielleicht noch ein dezentes „I am NOT amused!“ hauchen. Als Engländerin hält sie nicht viel von sichtbaren Gefühlen. Schon gar nicht zwischen uns und Angestellten wie Carl. Sie hält auch nicht viel von Diskussionen oder aufbrausenden Worten. Ihrer Meinung nach sind blitzende Blicke perfectly fine verständliche Kommentare.

„Danke!“, antworte ich schroff und winde mich entschieden aus der Umarmung. Ich versuche, höflich, aber distanziert zu lächeln. Ganz Nanas Enkelin: Immer die Contenance wahren! „Ich bin ja in den Ferien wieder da.“

„Natürlich.“ Carl tritt sofort einen Schritt zurück. „Selbstverständlich.“ Er hebt kurz die Hand zum Gruß, steigt in den Wagen und fährt endlich los.

Keine schlechte Idee: Hinter ihm hupen schon zwei Taxis, die vor der Eingangshalle ihre Kunden entladen wollen.

„Sieh zu, dass du Land gewinnst, du Affenhintern!“ Der eine Fahrer (Pferdeschwanz, Elf-Tage-Bart, verwaschenes Sweatshirt – Nana hätte sich geweigert, in sein Taxi überhaupt nur einzusteigen) hängt mit wild geballter Faust aus dem Fenster. „Kannst du nicht lesen? NUR FÜR TAXIS!“, ruft er Carl nach. „Fetter Benz und schon denken die, die können sich alles erlauben!“

Eilig schnappe ich meine beiden Rollenkoffer, schlüpfe in die große Drehtür, trippele weiter, bis sich die andere Seite vor mir öffnet, mache einen großen Schritt heraus und stehe – swusch! – in der riesigen Abflughalle, die alle Geräusche von draußen komplett verschluckt.

Aaaah! Das ist sie also, die große, weite Welt!

Keep calm and ignore

 

 

Endlich allein. Ohne auch nur einen einzigen Babysitter an meiner Seite. Stattdessen zwei vollgepackte Koffer rechts und links, die aufgrund von Überfüllung wahrscheinlich gleich explodieren werden.

In dem einen Koffer sind Dinge, die ich mitnehmen wollte. Im anderen sind die Sachen, von denen Nana glaubt, dass ich sie gut brauchen könnte: zwei grauenvolle englischgrüne Wachsjacken, ungefähr fünftausend Paar schwarze Kniestrümpfe für die Schuluniform und unfassbar hässliche Blusen und Unterhemden. Ach, was soll’s! Koffer zwei werde ich einfach gar nicht erst auspacken.

Glücklich atme ich durch. Hach!

So lange hab ich darauf gewartet! Dieses Gewusel, all das bunte Leben …

„Hey, junge Dame, geht’s vielleicht mal weiter?“

Irgendjemand stupst mich in den Rücken.

„Au!“ Verdutzt drehe ich mich um.

Eine Familie drängelt hinter mir mit zwei kleinen Kindern im Schlepptau … und – uiii – bleibt gerade in der Drehtür stecken. Ups – doch nicht etwa meinetwegen?

Der Vater guckt mich an wie der Wolf, der das kleine Rotkäppchen fressen will. „Sehr intelligent, einfach stehen zu bleiben! Hier wollen noch mehr Leute rein. Schon gemerkt?“

Äh, ja – jetzt schon.

Ich zerre eilig meine beiden Koffer ein Stück weiter. Leider hilft das nicht viel. Die Drehtür ist inzwischen komplett stehen geblieben. Familie Wolf kommt nicht vor und nicht zurück. Der Vater blitzt mich aus genervten Augen an.

„Tut mir leid!“, murmele ich eilig und mache mich unauffällig aus dem Staub. Aus den Augenwinkeln sehe ich Vater Wolf an einer in der Drehtür verkanteten Reisetasche zerren. Mutter Wolf – mit einem heulenden Baby-Wolf auf dem Arm – versucht, ihn zu beruhigen, während ein kleiner Kindergarten-Wolf begeistert mit der Zunge Spuckebilder an die Drehtürscheiben malt.

„Lässt du das wohl bleiben!“, schreit Mama Wolf. „Das ist unhygienisch!“

Ein paar Leute bleiben stehen und gucken.

Ich gucke nicht. (Nur noch ein letztes Mal ganz unauffällig.) Erstens fühle ich mich wie der letzte Tollpatsch und zweitens höre ich Großmutter Nana im Geiste auf mich einreden: „Keep calm and ignore! Ruhig bleiben und ignorieren! Eine Lady lässt sich nicht in Auseinandersetzungen verwickeln!“ Ich schätze, ihre Stimme werde ich mein Leben lang nicht aus dem Kopf kriegen.

Also marschiere ich würdevoll weiter, als sei nichts passiert.

Bis mir einfällt, dass ich nicht mal weiß, wo ich eigentlich hinwill. Hier sind überall so viele Menschen. Und Schalter. Und elektronische Tafeln. Puh! Was hat mir Miss Gwynn noch mal aufgeschrieben?

Ich bleibe stehen, krame in meiner kleinen Rucksackhandtasche und hole den Zettel raus.

 

Mit British Airways nach London Heathrow. Abflug 11 Uhr 25.

 

Wie spät ist es jetzt? Kurz vor 10. Reichlich Zeit. Da steht noch was:

 

Am Schalter Koffer einchecken

Dann Sicherheitskontrolle

 

Die gute Miss Gwynn! Was würde ich nur ohne sie tun!

Okay. Das kann ja nicht so schwer sein. Ich gucke mich suchend um.

Hm… Und wo checkt man jetzt die dämlichen Koffer ein? Gibt‘s hier keinen, der einem das abnimmt?

In einer Schlange vor einem der Schalter fällt mir ein dunkelblond verwuschelter Junge auf, der zu mir rübergrinst.

Was hat der denn? Stimmt was nicht?

Ich gucke automatisch an mir runter. Hab ich vergessen, meine Bluse richtig zuzuknöpfen? Ist der Hosenschlitz meiner Jeans auf? Pappt ein Schild HAT KEINE CHECKUNG AUF EINEM FLUGHAFEN auf meiner Stirn?

Als ich auch meine Stirn abgetastet habe (nur für alle Fälle), ärgere ich mich ein bisschen über mich selbst und nehme mir vor, das nächste Mal sofort auf Nanas Stimme in mir zu hören. Ignorieren! Ganz genau! Was interessiert es mich, wieso der Kerl grinst?

Ich drehe mich entschlossen weg und konzentriere mich wieder auf Miss Gwynns Zettel. British Airways. Am Schalter Koffer einchecken. Aha, ich muss also den Schalter meiner Fluggesellschaft finden.

Ich scanne mit den Augen schnell die verschiedenen Namenszüge ab. Flybe, Ryanair, British … Ah, da haben wir dich ja! Ein Schalter mit einer superlangen Schlange …

Und – ups! – den blonden Typen haben wir auch wieder! Er hievt gerade seinen schwarz metallic glänzenden Schalenkoffer auf das Rollband. Jetzt sagt er etwas zu der Frau hinter dem Schalter. Sie lachen.

Pfff! Mir doch egal, wo jemand steht! Oder hinfliegt. Oder lacht. Oder sich jetzt komisch zu mir umdreht.

Schnell schaue ich weg und gucke in der Halle herum, als seien die anderen Reisenden wahnsinnig interessant. So lange wird der Blonde zum Einchecken ja wohl nicht mehr brauchen.

Als er endlich auf dem Weg zu dem langen Gang ist, über dem ein Schild PASSKONTROLLE hängt (muss ich da auch hin?), gehe ich rüber zur Schlange, die inzwischen zum Glück schon wesentlich kürzer geworden ist.

„Ich habe leider keinen Fensterplatz mehr“, teilt mir die Schalterdame mit, nachdem sie meine Koffer in Empfang genommen hat. Sie sieht allerdings nicht so aus, als ob sie das sehr bekümmern würde.

„Nicht?“, wiederhole ich verblüfft. Ich sitze im Flugzeug immer am Fenster.

„Nein“, bestätigt die Dame und händigt mir einen Pappschein aus, auf dem viele Zahlen stehen, „dafür bist du ein bisschen spät. Ich habe nur noch Gangplätze.“

„Oh.“

Ein wenig überrascht nehme ich den Schein in Empfang und trotte brav in die Richtung, die mir die Dame weist. Dorthin, wo auch der Junge entschwunden ist.

Durch den Sicherheitscheck schlüpfe ich ohne Probleme – ich stehe nicht auf Schmuck und Klimbim, also geht kein Alarm los. Den Dunkelblonden kann ich nirgends erblicken. Umso besser! Das wär also geschafft.

Doch auf einmal wird das Gewirr noch bunter: Geschäfte und Cafés, Schuhputzer, Massagesessel, ein nagelneues Strahleauto mitten im Raum und vor allem Menschen, Menschen, Menschen.

Ich will gerade eine Buchhandlung ansteuern, um mir was zum Lesen auf dem Flug zu kaufen, da sehe ich einen Brezelverkäufer.

Mmmh! So viele Eindrücke machen hungrig. Mehr als eine halbe Schüssel Cornflakes hab ich heute früh vor Aufregung nicht heruntergebracht.

Zielsicher stapfe ich auf den Verkäufer zu.

„Eine Brezel, bitte!“, sage ich feierlich.

Hihi, wenn Nana mich jetzt sehen könnte! Die hält nicht viel von Straßenverkäufern. Genau genommen gar nichts.

„Sehr gern!“ Der dunkelhaarige Mann holt eine Brezel aus dem Ofen und hält sie mir auf einer Papierserviette entgegen. „Das macht zwei fünfzig.“

Mmmh, riecht das lecker!

Freudig strecke ich meine Hand aus, da reißt der Mann seine leider wieder weg und hält das duftende Gebäck hoch. He! Was fällt dem ein?

„Zwei Euro fünfzig!“, wiederholt er.

Huch?

Ach so, ja klar, bezahlen!

Nana hat mir ja extra eine Karte gegeben, falls etwas Unvorhergesehenes passieren sollte. Und so ein Brezelkauf ist natürlich etwas Unvorhergesehenes.

„Einen Moment.“ Ich krame wieder in meiner Handtasche.

„Hier, bitte!“ Stolz präsentiere ich dem Mann meine nagelneue Kreditkarte.

„Soll das ein Witz sein?“, raunzt mich der Verkäufer an. „Oder hängt vielleicht hier irgendwo ein EC-Gerät an meinem Ohr?“

Wie bitte? Ähm, wie meint er das denn?

Ein Kichern hinter mir lässt mich herumfahren.

Nein! Nicht schon wieder der!

Von vorne donnert erneut die genervte Stimme in mein Gesicht: „ZWEI EURO FÜN…“

„Jaja, ich hab’s ja gehört!“, unterbreche ich ihn, nicht allzu höflich.

Wo soll ich denn jetzt Geld herkriegen?

Der Brezelmensch runzelt böse die Stirn und holt Luft – als der Blonde ihm lässig einen Geldschein rüberreicht. „Stimmt so.“

Der Junge will bezahlen? Für mich? Das geht doch nicht! Und – hä? – war das etwa ein Zehn-Euro-Schein? Der gibt diesem ungehobelten Kerl sieben Euro fünfzig Trinkgeld? Ganz sicher bin ich mir nicht, aber das kommt mir doch etwas großzügig vor …

„Na, wird’s bald?“, pampt der Verkäufer mich an und wedelt mit der Brezel herum.

Was mach ich denn jetzt? Etwas unentschlossen nehme ich sie entgegen.

Der Brezelmann schiebt mit reichlich Kopfschütteln seinen Wagen weiter. Also echt! Was will der denn noch? Er hat zehn Euro für sein dummes Gebäck bekommen! Der sollte sich lieber mal bedanken, statt so mit dem Kopf zu wackeln!

„Ich – äh – ich zahle dir das natürlich zurück“, murmele ich hastig in Richtung dunkelblonde Strubbelhaare.

Nur wovon? Kriegt man auf dem Internat eigentlich Taschengeld? Ich müsste ihn wohl dann mal nach seiner Adresse fragen, um das Geld zu überweisen.

Umpff! Hoffentlich versteht der die Frage nicht falsch!

Doch der Junge macht bloß eine wegwerfende Handbewegung.

„Kleine Fische!“, grinst er lässig. „Lass es dir schmecken!“

Und schon hat er seine Laptoptasche geschultert und geht ohne ein weiteres Wort weiter.

Was für ein Großkotz! Ich starre ihm ebenso wortlos nach.

Doch dann beiße ich endlich in die Brezel.

Was soll ich auch sonst tun?

Na gut, lecker ist die tatsächlich.

Während ich kaue, beobachte ich den Jungen weiter hinten in der Halle. Er bleibt an einem Kiosk stehen, greift sich eine Zeitschrift und schiebt wieder einen Schein rüber, ohne auf das Wechselgeld zu warten. Tsss, was denkt der, wer er ist? Der Sohn eines arabischen Scheichs?

Egal. Ich sollte froh sein. Angeber hin oder her – der Typ hat mich gerettet. Der Verkäufer hätte bestimmt noch zehn Minuten weitergeschrien und den ganzen Flughafen auf mich aufmerksam gemacht. Das wäre dann wohl das Gegenteil von dem, was Nana unter sich einfügen und unauffällig sein versteht. Aber ob sie damit einverstanden wäre, dass ich mich von einem wildfremden Kerl einladen lasse?

Seufz.

Was zum Lesen kann ich mir jetzt auf jeden Fall abschminken. Und auch in den Modeschmuck-Krimskrams-Laden trau ich mich nicht mehr. Die wollen meine Karte garantiert auch nicht haben. Wieso hat Nana mir bloß kein Bargeld mitgegeben? Meine Großmutter scheint zu denken, dass man auf Reisen absolut nichts braucht. Oder nichts brauchen sollte.

Schade eigentlich. Jetzt endlich hätte ich mal die Möglichkeit, in Ruhe zu shoppen. Nana würde mich ja am liebsten selbst beim Einkaufen unter Polizeischutz stellen. Ganz zu schweigen von ihren missbilligenden Blicken und ihrem Lieblingssatz: „Das brauchen wir nicht.“

Ich schnuppere an einer Granatapfel-Körperbutter und stelle sie dann wieder bedauernd zurück.

Was stand noch mal auf der Karte, die ich beim Einchecken bekommen habe?

Gate 14.

Meine Güte, ist doch alles ziemlich aufregend!

Ich suche das richtige Gate, an dem ich auf meinen Abflug warten muss. Und als ich nach der kurzen Passkontrolle auf meinen Sitzplatz plumpse, wer sitzt mir da schräg gegenüber am Ende der Reihe?

Mr Angeber. Oh nee!

Zum Glück ist er tief in die Lektüre seiner Zeitschrift versunken.

Die nächste Stunde schaue ich wie gebannt auf die große Tafel mit den Abflügen. Ich traue mich nicht mal, zur Toilette zu gehen, aus Angst, meinen Flug zu verpassen.

Endlich wird das Gate geöffnet und die Leute stellen sich in einer Reihe auf, um durch den Schalter zu gehen. Artig stelle ich mich dazu.

Nur der Junge rührt sich nicht. Seelenruhig liest er weiter, als ginge ihn das alles nichts an. Erst in allerletzter Sekunde, als auch der letzte Fluggast rüber zur Flugschleuse gegangen ist, kann ich aus den Augenwinkeln sehen, wie er fast gelangweilt ebenfalls rüberschlendert.

Im Flugzeug halte ich nervös Ausschau nach meinem Platz.

Was für eine Erleichterung! Ich sitze nicht neben Mr Kleine-Fische. Eine alte Dame hat den Platz am Fenster. Schnell tauche ich auf meinen Sitz ab.

Meine süße Nachbarin fängt schon an zu plauschen, bevor wir uns überhaupt die Sicherheitsgurte umgeschnallt haben. Wie nett!

Doch dann: Auftritt Mr Cool! Er betritt als letzter Passagier die Maschine und sagt etwas zu der Flugbegleiterin, die als Antwort schrill kichert. Fängt der schon im Flugzeug an zu flirten?

Ich ziehe meinen Kopf ein, als er sich zum Gang dreht.

Doch der Junge hat offensichtlich seinen Sitzplatz in der ersten Reihe und würdigt die anderen Mitreisenden keines Blickes.

Als die Maschine startet, seufze ich laut auf.

„Flugangst?“, fragt die alte Dame neben mir und lächelt mich aufmunternd an. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich bin vor drei Jahren schon einmal geflogen, ist alles halb so schlimm. Auto fahren ist viel gefährlicher.“

Ich lächele freundlich zurück.

Angst vorm Fliegen? Quatsch. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich schon geflogen bin. Aber noch nie in so einem großen Flugzeug.

Und noch nie in ein neues Leben!

Mr David Dunbar

 

 

London Heathrow ist mindestens hundert Nummern größer als der Hamburger Flughafen. Blinkende Leuchtreklamen und dröhnende Lautsprecheransagen überspülen mich. Und überall sind Menschen, unfassbar viele Menschen. Ich fühle mich plötzlich doch etwas verloren. Für eine kleine Sekunde wünsche ich mich fast zurück zu Nana, zurück in mein altes beschütztes Leben.

Der Moment vergeht. Ich lasse mich von der Menge zum Gepäckband treiben, am Zoll vorbei, in Richtung Ausgang.

„Mr Dunbar wird in Heathrow in der Ankunftshalle auf dich warten“, hat Miss Gwynn mir eingeschärft.

Leider habe ich vergessen zu fragen, wo genau er wartet. Irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass hier alles sooo riesig ist. Wenigstens habe ich auch Prinz Protz gleich nach der Landung aus den Augen verloren.

Ich stelle meine Koffer ab und gucke mich ratlos um.

Dort, wo die Passagiere in die Ankunftshalle strömen, warten eine Menge Menschen mit Namensschildern in der Hand. Manche schwenken sie sogar hoch über ihren Köpfen. Aber Mr Dunbar wird ja wohl kaum meinen Namen hochhalten?

David Dunbar ist ein alter Bekannter von Nana aus der Zeit, als sie noch in London lebte. Also bevor meine Eltern verunglückt sind und Nana es deswegen für ihre Pflicht hielt, nach Deutschland zu ziehen, um meine Erziehung zu übernehmen. Er ist Jurist und regelt einiges für meine Großmutter, glaube ich. Jedes Mal, wenn sie in London ist, besucht sie ihn.

Natürlich war ich nie dabei. Und ein Foto von ihm habe ich auch nie gesehen. Dumm – sonst wüsste ich, wie er aussieht. Auf jeden Fall wird er wohl in etwa Nanas Alter haben, die beiden kennen sich schon ewig.

Ich halte also nach einem langweilig-seriös aussehenden Mann (Anwalt!) mit weißen Haaren (Nanas Alter) Ausschau. Als ich mit den Augen die langen Reihen abtaste, muss ich grinsen. Ich mag die Engländer – ehrlich, ich bin ja selbst halbe Engländerin –, aber ich finde immer wieder, dass man die englischen Männer im Großen und Ganzen in drei Typen einteilen kann:

1. Der aristokratische Typ: groß, schlank, lange, dünne Nase, oft gut aussehend. Prinz Philip eben.

2. Der Typ englische Bulldogge: klein, aber massig. Vor allem der Oberkörper. Sozusagen ein Mensch in Dreiecksform mit der Spitze nach unten. Die Muskeln aufgebläht und gerne noch reichlich Tattoos, wo immer Platz ist. (Bei so viel Masse gibt’s davon reichlich.)

Und 3. Der Phil-Collins-Typ: klein, schmächtig, blass. Häufig rote Haare.

Schublade auf – Schublade zu.

Kurz kann ich in der Menge Mr Kleine-Fische sehen, dann taucht sein blonder Kopf wieder ab. Puh!

Meine Augen fliegen über die Schilder, aber mein Name ist natürlich nicht dabei.

Ups – oder doch? Da steht „Miss Winter“.

Fast hätte ich es überlesen.

Kein Wunder.

Ich muss grinsen. Miss Winter! Ich sollte mich schnellstens daran gewöhnen.

Die Engländer haben echt noch nicht viel von Gleichberechtigung gehört. Die teilen Frauen wie vor hundert Jahren ein: in verheiratet (Mrs), unverheiratet (Miss) und die, bei denen man es nicht so genau weiß (Ms). Die Jungs sind in England aber natürlich alle „Mr“ – unfair!

Der Mister hinter dem Miss-Winter-Schild jedenfalls guckt ebenfalls suchend in die Menge. Er ist groß, schlank, sieht britisch desinteressiert aus und trägt einen Strohhut, der von einem orangefarbenen Band umrandet ist. Englischer geht’s ja wohl nicht! Ob das David Dunbar ist? Unter dem Strohhut kann man die Haarfarbe schlecht ausmachen. Er ist allerdings deutlich jünger, als ich dachte …

Und in meinem Englische-Männer-System eindeutig Kategorie eins. Sein gelangweilter Gesichtsausdruck würde Nana gefallen – die würde ihn natürlich „aristokratisch“ nennen.

Ich versuche, Blickkontakt aufzunehmen und kämpfe mich näher heran. Gar nicht so einfach mit zwei Koffern!

„Cara?“ Der Miss-Winter-Mann bemerkt mich endlich.

„Ja, hallo!“ Ich nicke und strecke ihm die Hand hin. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Ebenso, ebenso!“ Der Mann lüpft seinen Hut und erwidert meinen Handgruß mit festem Druck. „Ich bin David Dunbar – du kannst mich David nennen. Ich habe schon viel von dir gehört. Ich hoffe, dass es dir in deiner neuen Schule gefallen wird!“

„Oh, ganz bestimmt!“, versichere ich. „Ich kann es kaum erwarten!“ Unwillkürlich muss ich strahlen. Den ganzen Tag mit lauter Mädels in meinem Alter zusammen zu sein, das wird bestimmt super!

David Dunbar lacht als Antwort. „Du hast ja einen lustigen Akzent!“

Ich? Einen Akzent? Also, ich spreche doch wohl absolut perfektes Englisch! Schließlich haben Mum und Nana immer nur in ihrer Muttersprache mit mir geredet. Selbst Daddy hat bei uns zu Hause meistens englisch gesprochen – der Einfachheit halber.

Auf einmal lacht Dunbar noch lauter. „Hahaha! Und jetzt guckst du wie eine verwöhnte Deutsche, der man am Swimmingpool das Handtuch vom Liegestuhl geklaut hat – hahaha!“

Swimmingpool? Handtuch? Wovon redet der Mann? Und wieso macht der sich überhaupt über mich lustig?

Er versucht, sein Lachen in ein Hüsteln zu verwandeln, und grinst nur noch breit. „Sorry! Das ist der Lieblingswitz der Engländer über die Deutschen!“

Na klasse! Das fängt ja gut an!

Ich hole tief Luft und sage nichts. Auffallend nichts. Genau so, wie ich es von Nana gelernt habe. Im Zweifel: Lächeln und ignorieren!

„Ich schätze, dein Akzent stammt von deinem deutschen Vater“, fährt David Dunbar ungerührt in munterem Plauderton fort. „Der hat ganz ähnlich gesprochen.“

Ich sage immer noch nichts. Ich mag es nicht, wie er die Worte „von deinem deutschen Vater“ ausspricht. Es klingt, als würde er sagen: „von deinem Hinterwäldlervater“. Dabei war Daddy ja wohl ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann. Er muss also sehr klug gewesen sein. Mochte dieser Dunbar meinen Vater nicht?

„Komm!“, meint Nanas Anwalt und schnappt sich meine beiden Koffer. „Machen wir uns auf den Weg! Mein Wagen steht direkt vor dem Terminal.“ Er dreht sich zu mir um. „Keine Sorge! Mit mir kannst du nicht verloren gehen!“

Verloren gehen? Wieso sollte ich verloren gehen? Ich bin doch kein Kleinkind! Und außerdem sehr gut in der Lage, meinen Mund zu gebrauchen, sollte ich mich verlaufen, thank you very much!

Zum Glück erwartet der Anwalt keine Antwort. Er schlängelt sich durch die Menschenmenge, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Ich komme kaum hinterher.