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Eine verheerende Detonation sprengt den Enthüllungsjournalisten Rufus Katzer samt Auto in Fetzen. Obwohl er Namen und Ziele seines Feindes veröffentlicht, spukt das Phantom unbeirrt weiter. Es wäscht Unmengen von Schwarzgeld, verkuppelt Minderjährige, lässt eine Polizistin beseitigen. Katzers Ex-Geliebte bei der Kripo, Isabel Cifre Cerda, enthüllt, dass Name und Identität des Bösen erfunden sind. Das Machwerk eines von Priestern missbrauchten Heiminsassen. Fetzen aus Vergangenheit und Gegenwart vermengen sich vor der pandemischen Kulisse der Balearen zu einem Totentanz. Corona als Brandbeschleuniger der insularen Kriminalität.
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Seitenzahl: 164
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Impressum
Text:
© Rufus Katzer
Umschlag:
© Maike Cronemeyer,
Cronemeyer Design
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreihe 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
978-3-347-39328-8 (Paperback)
978-3-347-39330-1 (e-Book)
Copyright © 2021 Rufus Katzer
www.rufuskatzer.de
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Corona Blues
Rufus Katzers letzter Fall
Widmung
Mein letzter Mallorca Krimi ist meiner Seelenschwester Yalka gewidmet, die kürzlich von mir gegangen ist und neben ihrer Asche viele Erinnerungen zurückgelassen hat.
Wir waren 17 Jahre lang unzertrennlich.
In meinen Romanen heißt sie "Öhrchen" und ist eine Rottweiler-Hündin. Sie wartet darauf, dass ich ihr folge.
1. Kapitel
Rufus Katzer schlich durch leere Gassen wie durch Feindesland. Eine alte Frau mit Brotkorb hastete vom Bäcker auf die Straße, auf der Flucht auch sie. Der Straßenkehrer wich geschickt jedem Dreck vom Vortag aus.
In Mallorca und ganz Spanien herrschte striktes Ausgehverbot. Die Pandemie hielt die Welt im Griff. Eine Parallelwelt, in der Masken sich bewegten wie im Karneval. Selbst die Gesetzeshüter trugen welche.
Katzer kannte jeden von ihnen. Und jeder kannte ihn. Nicht jeder war sein Freund. Aber alle waren respektvoll. Fast alle.
„Ein Gernegroß, der sich in fremde Angelegenheiten mischt…“ Na wenn schon.
Katzer grüßte immer. Polizisten waren fast die einzigen, die man noch in der Öffentlichkeit traf.
Nichts mehr vom quirligen Vielvölkergemisch, das noch bis Jahresanfang die Straßen Pollenças beherrscht hatte. Beim Öffnen der Haustür hatte der Wind ihm einen hauchdünnen Gummihandschuh gereicht. Geisterhafter Gruß eines Albtraums.
Er gierte nach einem Kaffee - heiß, schwarz und ohne Zucker. Alle Kneipen waren geschlossen. Eine Stadt ohne Kneipen ist toter als eine erschlagene Katze. Sehnsucht nach verschlafenen oder wachen Gesichtern, am Tresen eng gedrängt, lautes Zischen der Espressomaschine, ein Bier, ein Schnaps, viele Menschen. Menschen, die nirgends mehr waren. Die Welt war ausgeknipst.
Er erreichte das Ende der Stadt vor der Römerbrücke. Sein Auto stand da wie immer. Dicht an der Häusermauer. Er konnte für seine Hündin nur die linke Tür öffnen, was schwierig war. Das Schloss war verbogen. Als sie aufging, trat er einen Schritt zurück. Sein Rottweiler nutzte die Chance zu einem Sprung ins Fahrzeug, um die Vordersitze zu blockieren.
„Scheiße.“ Katzer schüttelte den Kopf. Sein Köter wog 40 Kilo und steckte wie ein Korken im Flaschenhals. Kein Vorbeikommen. Öhrchen drehte sich zu ihm um und schien schelmisch zu lächeln.
Um selber ans Steuer zu kommen, musste er den Hund irgendwie rauswuchten. Das gelang. Er band ihn ein Stück weiter an eine Laterne und schlurfte zum Auto zurück, begleitet von Öhrchens Protest.
Schnell in die aufgeheizte Karre und vom CD-Laufwerk den coolen Sound von Chet Bakers Trompete geholt – LEAVING – die Suche nach dem Eingang hinter dem Ausgang. Nur ein Gedanke, aber beharrlich.
Er schob sich auf seinen Sitz, um den Zündschlüssel ins Schloss zu schieben und auszuparken. Die Reaktion entsprach nicht seinen Erwartungen.
Er hatte sich immer eine formlose Feuerbestattung gewünscht. Was jetzt folgte, war nicht sein Stil. Ein Feuerball, der seine eigenen Gesetze schrieb.
„Boooooom!“
Die Detonation war bis ins benachbarte Port Pollença zu hören, wo man sie irrtümlich für den Startschuss einer Regatta hielt.
Alle Scheiben des Wagens flogen zugleich aus der Fassung. Die Karosserie des roten Ford flog teilweise mit ihnen, ebenso das Blech der umstehenden Fahrzeuge. Der Motor spie mit einem gewaltigen Krachen Feuer, Rauch und Einzelteile in die entjungferte Stille. Die Stichflamme schoss an der Häuserwand hoch und ließ Wrackteile über die Straße prasseln. Der Detonation folgte bleiernes Schweigen.
Dann kam das schaurige Winseln des Hundes. Wer es gehört hatte, konnte es nicht mehr vergessen.
Fenster wurden aufgerissen, Menschen stürzten auf die Straße. Nach einigen Schreckminuten tönten Polizeisirenen und Ambulanzen aus verschiedenen Himmelsrichtungen. Niemand wagte sich an die Autotrümmer. Die herbeigeeilten Municipales spulten rot-weiße Absperrbänder um den Unglücksort. Der Rottweiler zwängte sich durch, um wild zu wühlen. Er zog eine Blutspur nach sich.
Er fand eine abgerissene Hand, hob seinen Kopf und stieß ein Heulen aus, das nicht endete. Ein hündisches Heulen endloser Verzweiflung auf der Suche nach Steigerung. Die Gaffer erstarrten.
Ein Beamter der Guardia Civil griff seinen Revolver, um dem Hund den Gnadenschuss zu geben. Zwei Sanitäter drängten dazwischen und umwickelten den kaputten Rumpf des Tieres mit einem Notverband, um den Blutfluss zu stillen. Sie gaben ihm eine Spritze.
Ein Motorrad Cop, den Katzer oft beim Spaziergang getroffen hatte, hob das demolierte Kennzeichen des Wagens mit spitzen Fingern hoch und telefonierte mit dem örtlichen Revier. Ihm wurde bestätigt, was er vermutet hatte. “Der Halter ist Resident der Stadt. Ein Journalist namens Rufus Katzer.“ Er trat zu den Sanitätern.
„Bringt ihn schnell zum Tierarzt. Vielleicht kann der Hund uns noch mal helfen. Ist schließlich unser einziger Zeuge. Oder hat hier sonst noch jemand was gesehen?“
Die gaffende Menge schüttelte den Kopf. Der breitschultrige Ortspolizist sprach kurz mit dem Hauptmann der Guardia Civil und ließ sich die Namen der umstehenden Anwohner geben. Er notierte sie gewissenhaft in sein Dienstbuch. „Fürs Protokoll.“ Von einem der Anwohner erfuhr er, dass der Hund auf den Namen „Öhrchen“ hörte. Er fügte das seinen Notizen hinzu.
Der Chef der Guardia Civil hatte inzwischen entschieden, dass man am Tatort eines Verbrechens stand und die Spezialisten der Spurensicherung hinzuziehen musste. Er beorderte den Streifenbeamten, genügend Männer zur Bewachung des Tatorts abzustellen und keinen Unbefugten in die Sperrzone zu lassen. Dann zog er Handschuhe über, um in den Trümmern nach Beweismaterial zu suchen.
Er fand die abgerissene Hand und stellte die Suche sofort wieder ein. Stattdessen rannte er zum Einsatzwagen und holte eine Kamera, um so viel wie möglich zu fotografieren. Er fuchtelte wahllos durch das Chaos. „Wo bleiben die Leute von der KTU, verdammt noch mal, muss man denn hier alles alleine machen!“
Nach einer halben Stunde kamen mehrere Dienstwagen der Kripo aus Palma. Maskierte Spezialisten der Spurensicherung in weißen Kitteln verteilten sich auf dem gesperrten Gelände, fotografierten viel und stellten überall Nummern auf, wo ihnen etwas auffiel. Eine ebenfalls maskierte Dame sah sich in der Runde um, übersah nonchalant den Cabo der Guardia Civil und ging auf den breitschultrigen Motorrad Cop zu. Sie grüßte ihn kumpelhaft mit dem Ellbogen: „Ola Benito, viel los hier bei euch im Städtchen!“
Dem Angesprochenen fiel der Kiefer nach unten, was seine Maske verbarg. „Isabel, nicht möglich, ich kack auf den Stiefel. Bist Du das wirklich? Nein, ich glaub‘s nicht.“
„Hauptkommissarin Isabel Cifre Cerda, Policia Central“, grüßte sie militärisch knapp. „Lange nicht gesehen, Benito. Sag Deinen Leuten bitte, dass sie hier nicht alle Spuren zertrampeln.“
„Klar doch. Das muss ich gleich auf dem Revier erzählen. Unsere Isabel ist zurück, um hier ein Kapitalverbrechen zu klären. Gratuliere – Du hast Karriere gemacht. Aber ich muss Dir wohl eher mein Beileid aussprechen. Du hast das Opfer besser gekannt als wir alle.“
„Stopp. So weit sind wir noch nicht. Wenn ich recht unterrichtet bin, handelt es sich hier um das Fahrzeug von Señor Katzer. Ob er auch drin saß, bleibt offen.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein anderer in diese Karre gestiegen ist. Um die übrigen Autos ist es da wohl eher schade.“
„Das wird die Gerichtsmedizin entscheiden. Bisher gibt‘s nur ein paar Körperteile von einem Menschen. Was ist denn mit seinem Hund, den er immer bei sich hatte?“
„Armes Vieh. Der ist schon beim Tierarzt. Er war da hinten an der Laterne gebunden. Ist schwer verwundet.“
„Dem bleibt auch nichts erspart. Als Welpe wurde er mit Knallkörpern verletzt. Hat überall Narben im Fell. Und ein halbes Ohr fehlt ihm auch.“
Der Kommissarin Isabel Cifre Cerda blieb keine Zeit, über Katzers Hang zu den Geschlagenen und Außenseitern nachzudenken. Schon drängten die Vertreter von Presse, Funk und Fernsehen unter die Gaffer und durchbrachen forsch die Absperrungen, ihre Mikros und Kameras im Anschlag.
Sie fauchte die Journalisten an, sich an die Pressestelle der Policia Central zu wenden und gab Benito den Befehl, mit seinen Uniformierten niemanden durch die Absperrung zu lassen.
„Ihr habt die Stadt vor der Seuche sauber gehalten. Da werdet Ihr wegen eines blöden Attentats jetzt nicht vor Chaos und Gewalt kapitulieren, wenn Ihr noch Eier in den Hosen habt. Schickt die Leute weg. Es herrscht immer noch Ausgehverbot.“
Die Zuschauermenge hatte sich allen Anweisungen zum Trotz ständig erhöht. Die Reporter versuchten, mit Meinungsbefragungen und Stimmungsbildern bei den Umstehenden den Mangel an Tatsachen wettzumachen. Nur mit Mühe klaubten die Frauen und Männer der Spurensicherung Körperteile und Trümmer in Plastiksäcke, die sie durch Neugierige hindurch zu ihren Fahrzeugen schleppten. Inzwischen war auch der vom örtlichen Polizeirevier herbestellte „Grua“, ein Abschleppwagen, eingetroffen. Er lud das Wrack von Katzers Karre auf und brachte es zum Hof von Pollenças Polizei.
Die Guardia Civil hatte sich zurückgezogen. Bomben und Sprengstoff waren zwar ihr Gebiet, aber um die Faktenlage sollten sich Höhergestellte hinter den Kulissen streiten. Benito, der seine Uniformjacke inzwischen bis auf den letzten Knopf geschlossen hatte, blickte immer wieder bewundernd auf das Persönchen, das sich als Hauptkommissarin vorgestellt hatte, während sie vor Jahren als die liebe Isabel auf ihrem Revier in Pollença noch Kaffee kochen und Pizza holen durfte. Was für eine Karriere! Er selbst hatte ihr das Motorradfahren beigebracht. Im Moment wusste er nicht, ob er neidisch oder stolz auf sie sein sollte.
Als er sie verstohlen ins Auge nahm, klingelte ihr Handy. Von der Einsatzzentrale kam die Information, dass alle Redaktionen Sondersendungen vom Anschlag brachten und in Kürze sensationelle Details über die Hintergründe des Attentats bringen wollten, die - ihr stockte der Atem - von dem betroffenen Opfer selbst stammen sollten.
„Typisch Katzer“, knurrte die Hauptkommissarin. „Immer einmischen und nie das Maul halten, selbst wenn er in tausend Stücke verstreut ist. Aber wir dürfen den Dreck aufsammeln.“
Sie widerstand der Versuchung, einen Abstecher zur Tierklinik zu machen und sich nach Katzers vierbeiniger Seelenschwester zu erkundigen. Sie hatte den Hund fast so gemocht wie das Herrchen; damals, als sie noch ein Paar waren. Aber Katzer hatte nichts ausgelassen, ihre Beziehung auf die Probe zu stellen. Sie hatte ihm immer vorausgesagt, dass er so oder ähnlich enden würde. Was es jetzt nicht leichter für sie machte.
„Benito, ich fahr jetzt an Katzers Haus vorbei und werde es polizeilich versiegeln. Die Nachbarin kann über den Hof rein wegen der Katzen. Dein Chef soll jeden Tag eine Streife vorbeischicken.“
Katzers Haustür stand weit offen wie immer. Das Warnschild am Eingang vor dem gefährlichen Hund hatte bisher alle Übeltäter abgeschreckt. Vielleicht waren es aber auch die durchs Fenster sichtbaren unzähligen Bücher an den Wänden, die dem Haus den Namen „Casa de Libros“ gaben. Wer klaut schon Bücher! Dennoch spürte Isabel sofort beim Eintreten Gefahr! Alle Sinne signalisierten Alarm. Sie zog Handschuhe an und griff zur Waffe. Drinnen war zunächst alles wie früher, Corona hin oder her. Dennoch spürte sie Herzklopfen, als sie die Treppe hoch in sein Arbeitszimmer eilte. Ihr Schritt stockte. Im Vergleich zum gewohnten Chaos bei Rufus sah sein Büro aus wie nach einem Bombenangriff. Der Computer fehlte, die Bücher im Zimmer waren ein wüster Haufen und die gläserne Schreibtischplatte war leergefegt von allen Utensilien, die seine Gedanken auf Trab hielten. Hier hatte eine Person gesessen, die vor nichts und niemand halt machte.
Es war nur Formsache, aber nach 20 Jahren Polizeidienst ging sie mit entsicherter Waffe durch das ganze Haus bis hinauf zum Dachgarten im dritten Stock, um sich zu vergewissern, dass sie allein war.
Oben konnte sie nicht widerstehen, eine Pirouette zu drehen und voller Wehmut einen Panoramablick über die Dächer Pollenças bis in die Berge dahinter zu werfen. Katzer hatte immer gesagt, allein dieser Anblick sei jeden Ärger im Leben wert.
Zum Greifen nahe die wehrhafte Kirche Santa Maria dels Àngels mit ihren Zinnen und Schießscharten im Turm. Isabels Blick folgte der nördlich ansteigenden Stadt zur zweiten Kirche Monti Sion, die jetzt als Rathaus und Schule diente. Sie blickte weiter hoch bis zum Gipfel des Galgenbergs, den jetzt eine Kapelle krönte. Dahinter der Dialog der Stadt mit dem westlich zum Meer abfallenden Ausläufer des Tramuntana-Gebirges. Weit vor ihnen die alten, balkonbestückten Gebäude der abwärts führenden Straße zum Markt und zum Kloster. Hob man den Blick, sah man im Süden den Tomir als dritthöchsten Berg der Insel. Weiter östlich und zum Greifen nahe der Puig Maria, wie eine brütende Glucke, gekrönt von einem burgähnlichen Klosterbau, in dessen Garten Katzer oft sein zweites Frühstück eingenommen hatte.
Vom Dach nur zu ahnen waren die vielen geschichtsträchtigen Zeugnisse der alten Römer- und Kreuzritterstadt mit zahllosen unterirdischen Gängen und Fluchtwegen zur befestigten Kirche und dem nicht mehr vorhandenen Friedhof, der jetzt gepflastert war und bis vor wenigen Wochen als Biergarten gedient hatte. Dann hatten die Pandemie und ihr Ausgehverbot der Placa Central die Friedhofsruhe des vergangenen Jahrhunderts zurückgegeben.
Isabel schauderte und stieg die Treppen wieder zum Arbeitszimmer runter. Sie ließ die Handfläche über die raue Mauer des unverputzten Treppenganges gleiten. Eine intime Geste.
Dies war das Haus eines Toten, der eben erst in Stücke zerrissen worden war. Im Arbeitszimmer sammelte sie so viele Notizen ein, wie sie finden konnte und machte Fotos von seiner chaotischen Spickwand. Dann ging sie ins Bad und packte Zahnbürste und Rasierklingen für einen Gentest ein. Damit war alles Amtliche erledigt.
Sie öffnete den Badezimmerschrank und zog einen rosa Schlüpfer unter den Handtüchern vor, den sie als ihren eigenen erkannte. Sie roch am Schlüpfer und erinnerte sich, dass er feucht gewesen war, als sie ihn vor zwei Jahren getragen hatte. Sie ließ ihn schnell in ihrer Jacke verschwinden.
Sie stieg ins Parterre und überlegte, wie sie das hölzerne Tor zuschließen sollte. Katzer hatte immer ein paar schmiedeeiserne Ersatzschlüssel neben der offenen Tür hängen. Sie griff einen, schloss die Tür und klebte das Dienstsiegel darauf.
Sie hatte Katzer vor langer Zeit kennengelernt, als er sich mit seinem Kajak zu weit Richtung Sa Calobra vorgewagt und wegen starken Gegenwindes an der Nordküste nicht mehr den Weg zurück nach Pollença geschafft hatte. Kurz vor dem Ziel hatte sich eine unüberwindliche Gegenströmung aufgebaut.
Er hatte auf den Klippen übernachten müssen, war als vermisst gemeldet worden und am nächsten Morgen begleitet von einem Hubschrauber der Küstenwache zu seinem Standort in Cala Vincenc zurückgekehrt. Dort hatte ihn neben einer Ambulanz ein Funkwagen der Ortspolizei empfangen, zu dessen Besatzung Isabel gehörte.
Sie hatte ihm eine Flasche Wasser gereicht. Er trank sie aus ohne abzusetzen. Es war das kostbarste Geschenk seines Lebens. Er fragte nach ihrem Namen.
„Isabel“.
„Du machst mich glücklich.“
Sie hörte nicht mehr auf, ihn glücklich zu machen.
Verdammt, wenn du nicht aufpasst, wirst du von dem Fall wegen Befangenheit abgezogen, dachte sie. Es fiel ihr schwer, die paar Schritte um die nächste Ecke zu gehen, wo sie ihren Wagen im Parkverbot abgestellt hatte. Sie fädelte sich zum Stadtrand ein.
An der Grundschule, die sie selbst besucht hatte, hielt sie sich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Kaum auf der Autobahn, setzte sie das Blaulicht aufs Dach. Sie war entschlossen, nicht von der linken Spur zu weichen, bis sie die Polizeizentrale in Palma erreicht hatte. Es gab ohnehin kaum Verkehr. Sie hatte das Radio eingeschaltet und brauchte nicht zwischen den Sendern zu wählen, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Der Bombenanschlag war das alles beherrschende Thema.
Zur Krönung hatte Katzer bei einem Notar einen Daten Stick hinterlassen, freizugeben an alle Redaktionen im Falle seines gewaltsamen Todes. In Pollença‘s angesehenem Notariat hörte man während der Arbeit normalerweise kein Radio, aber die News des Tages war blitzschnell auch hier angekommen und der Notar persönlich hatte entschieden, den Inhalt des Sticks nach dem Willen des Eigentümers zu veröffentlichen.
Isabel hörte Katzers vertraute Stimme. Alles war wie früher. Sie nahm ihren Fuß vom Gaspedal und bog auf die rechte Fahrspur. Sie wollte sich ganz auf den Inhalt seiner Aussage konzentrieren.
„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ich danke allen, die mir hier auf der Insel zwanzig Jahre eine neue Heimat geboten haben. Es war die beste Zeit meines Lebens. Das hat nicht allen gefallen. Meine Freunde und ich werden weiter dafür kämpfen, dass unsere Insel ein Ort des Friedens und des glücklichen Zusammenlebens bleibt. Alberto Batracio, Du Dreckskerl, glaub bloß nicht, dass Du mit Deinen Machenschaften davonkommst!“
Sofort griff Isabel zum Funkgerät und gab der Zentrale Befehl, ihr alle greifbaren Unterlagen dieses Alberto Batracio auf den Tisch zu legen. Das Attentat schuf Fakten statt vager Vermutungen, welche Katzer ihr bisher von Zeit zu Zeit vor die Füße geworfen hatte.
Sie gönnte sich eine Gänsehaut. Zu oft hatte sie sich mit Katzer gefetzt. Seine Polemik verstieß gegen jede Polizeietikette. Kühl, sachlich und faktengenau musste man sein, wenn man bei der Kripo vorankommen wollte. Katzer, der alte Nachrichtenjäger und Haudegen, hatte immer den Kick und das Abenteuer gesucht. Er brauchte sein Publikum, sie den Staatsanwalt. Gebannt folgte sie seiner Stimme.
„Karten auf den Tisch, Al Batracio, Du Kröte im Schwarzgeldsumpf. Keiner weiß, wie viele Millionen Du jenseits des Gesetzes bewegt hast. Vermutlich nicht einmal Du selbst. Dein Spiel geht nicht um Geld, sondern um Macht. Viele halten Dich für den reichsten Mann der Insel. Wenn sie Dich überhaupt kennen. Als viele Läden wegen der Epidemie schlossen und die Hotels alle Buchungen absagen mussten, florierte Dein Job mehr denn je.“
„Du hast Menschen und Moneten gemischt wie Spielkarten. Das Geheimnis Deines Erfolges sind junge Mädchen und Pädophilie. Unsere Namensliste ist lang, wenn auch sicher nicht vollständig. Mehrere Deiner Opfer sind bereit, vor dem Richter auszusagen. Sie sind jetzt vor Dir in Sicherheit. Die von Dir verübten Scheußlichkeiten werden für immer mit Deinem Namen verbunden bleiben, Alberto Batracio, Mädchenschänder und Päderast. Im Knast freuen sie sich schon auf einen wie Dich.“
2. Kapitel
Es gab keinen Ort auf der Welt, wo er nicht untertauchen konnte. Geld war immer vorhanden. Willige Mädchen auch. Je jünger, desto besser. Erfahrene Frauen schreckten ihn ab wie vielgelesene Modemagazine auf einem Wartezimmertisch.
Er sah verdammt gut aus. Genau der Typ, der unschuldige Mädchenherzen schuldig werden ließ, weil er ihnen das Prestige versprach, das sie vor ihren Kameradinnen erhofften, deren Lebenserfahrung nicht über die Garantiezeit ihres Smartphones hinausging.
Ein Althippie, der viel lachte und immer die Welt zu umarmen schien, wenn er im Irrgarten der Pityusen unterwegs war, wie das Wirrwarr der kleinen Baleareninseln genannt wird. Immer vorneweg, schwamm er mit anderen Hippies von Ibiza zum geheimnisumwitterten Tagomago hinüber, um dort die Felsen mit barbarischen Zeichen und Formen zu bemalen. Es war ihr Juwel. So glaubten alle. Nur er wusste mehr. Er führte inzwischen ein zweites Leben mit Geld, ohne Hippieallüren. Das extravagante Kunststück dieses Blenders blieb sein Geheimnis, bis er Katzer etwas preisgab, das dessen Hirnwendungen Saltos schlagen ließ.
Es blieb Albertos Geheimnis, wie er in die Welt der Geldwäsche und Börsenmanöver gelangte. Es langweilte ihn, darüber zu sprechen. Er kannte die Gangsterclans in Marbella und jeden dort ansässigen Bankdirektor im Zentrum des dreckigen Geldes während des Baubooms.
Aber niemand schien ihn zu kennen. Als es zu zahlreichen Verhaftungen kam, verzog er sich an den Ort seiner Herkunft - die unübersichtlichen Balearen mit ihrer Unzahl kleiner Gestade und Leuchtturmatolle.
Seit zwei Tagen wohnte er in Europas exklusivstem Versteck. Auf der Privatinsel Tagomago, einen Steinwurf vor Ibiza, nur per Schiff oder Hubschrauber erreichbar.