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Der Klimawandel ist längst schmerzhaft in Deutschland angekommen: extreme Hitze, lang anhaltende Dürre, Starkniederschläge mit Überschwemmungen und Tornados. Mojib Latif widmet sein neues Buch diesen Fragen: Welche Folgen wird der Klimawandel haben und was ist zu tun, ökologisch, ökonomisch, politisch und gesellschaftlich? Der Countdown läuft Die Klimaexperten der Vereinten Nationen schlagen Alarm. Das 1,5-Grad-Ziel steht auf der Kippe und könnte bereits in den nächsten fünf Jahren gerissen werden. Wird dieser Wert nachhaltig überschritten, hat das massive Folgen mit zunehmenden Schäden für den Menschen und unsere Lebensgrundlagen. Ein »Weiter so wie bisher« ist deshalb keine Option. Es braucht eine Revolution im Klimaschutz, bevor uns die Zeit davonläuft. Globale Erwärmung und ihre Auswirkungen Die globale Erwärmung beträgt gegenwärtig bereits 1,1 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit. Extremwetterereignisse gehören schon fast zu unserem Alltag und verursachen massive Zerstörungen. Können wir den Klimawandel überhaupt noch aufhalten? Tatsächlich gibt es noch Hoffnungsschimmer, dass wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen werden. Und selbst die Politik scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben. Der Ausstieg aus fossilen Energien ist im vollen Gange, und auch die Wirtschaft denkt um. Mojib Latif, Professor am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung und Autor des Beststellers »Heißzeit«, ist überzeugt, dass wir den Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft innerhalb weniger Jahrzehnte schaffen können. Wo ein Wille, da ein Weg? Doch sein Appell bleibt: »Wir alle müssen es unbedingt wollen.« Jede und jeder Einzelne ist jetzt gefragt, denn – wir müssen handeln. Hierfür ist es wichtig, die Zusammenhänge zu verstehen, den aktuellen Stand der Wissenschaft zu kennen, um die Gefahren richtig einordnen zu können. Mojib Latifs Buch gibt die notwendigen Einblicke dazu. Damit unser Planet lebenswert bleibt, bevor es zu spät ist.
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Seitenzahl: 279
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Mojib Latif
Countdown
Unsere Zeit läuft ab – was wir der Klimakatastrophe nochentgegensetzen können
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf
Umschlagmotiv: © Vadim Sadovski / shutterstock
E-Book Konvertierung: ZeroSoft, Timisoara
ISBN Print 978-3-451-39271-9
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-82717-4
ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-82720-4
Der Countdown läuft – Vorwort
Was wir wissen – Die Ursachen des Klimawandels
Das Mädchen, das die Welt zum Schweigen brachte
Treibhauseffekt
Globale Erwärmung
Kurze Historie der Forschung
Nachweis
Wasserdampf und Wolken
Vulkane und Meteoriten
Wo wir heute stehen – Der Ansturm der Extreme
Extremwetter
Temperaturextreme
Extremniederschläge
Dürre
Jetstream
Zusammengesetzte Ereignisse (Compound Events)
Kipppunkte
Pariser Klimaabkommen
Womit wir es zu tun haben – Kohlendioxid und die Grenzen der Menschheit
Globales CO2-Budget
Das große Versagen
CO2-Senken
Nationales CO2-Budget
Erdüberhitzung
Die Grenzen der Vorhersagbarkeit
Die Grenzen der Anpassungsfähigkeit
Die Grenzen der Finanzierbarkeit
Wohin wir steuern – Die kulturelle Revolution
Warnsignale
Verdrängung
Energiesysteme
Effizienz
Kooperation
Globale Gerechtigkeit
Klimawandel als neue Herausforderung
Wir brauchen eine kulturelle Revolution
Alarmstufe rot
Die Rolle Deutschlands
Mut zum Aufbruch
Atomkraft – eine Brückentechnologie?
Worauf warten wir noch? – Die Welt am Abgrund
Härtetest
Das Problem der öffentlichen Wahrnehmung
Leben in einer kranken Welt
Übernutzung der Erde
Extreme Welten
Warum?
Ist die Menschheit überhaupt lernfähig?
Warum wir noch hoffen dürfen – Positive Signale
Anmerkungen
Über den Autor
„Wir müssen verstehen, dass das Schicksal unserer Erde auf dem Spiel steht, und wir müssen versuchen, das Wohl unserer Erde mit den Entwicklungen in Einklang zu bringen, die mit der Modernisierung einhergehen. Das verlangt eine menschliche, ja eine kulturelle Revolution.“[1]
Das Zitat, das ich diesem Buch voranstelle, stammt vom italienischen Industriellen Aurelio Peccei, der 1968 zusammen mit dem Schotten Alexander King von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung[2] (OECD) den Club of Rome gegründet hatte, einen Zusammenschluss von Experten verschiedener Disziplinen. Anlass für die Gründung des Club of Rome vor nunmehr über einem halben Jahrhundert war die gemeinsame Sorge um die Zerstörung des Planeten, welcher die Gesellschaften mit ihren Einstellungen, Werten, Interessen sowie Programmen und Institutionen nichts entgegenzusetzen hatten.[3] 1972, vier Jahre nach seiner Gründung, erlangte der Club of Rome mit dem Bericht Die Grenzen des Wachstums[4] eine weltweite Aufmerksamkeit, die kaum größer hätte sein können. Dieser Bericht zur Lage der Menschheit warnte vor nicht weniger als dem teilweisen Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation innerhalb der nächsten 100 Jahre, also noch im Verlauf dieses Jahrhunderts, sollten sich die damals beobachteten Trends wie zum Beispiel das Bevölkerungswachstum oder das Wirtschaftswachstum auf Kosten der natürlichen Ressourcen der Erde weiter fortsetzen. Die Weltbevölkerung würde drastisch zurückgehen und in Hunger und Elend versinken. Das Erscheinen von Die Grenzen des Wachstums kann mit Fug und Recht als Beginn der globalen Umweltdebatte verstanden werden. Im selben Jahr änderte zudem ein Foto buchstäblich unseren Blick auf die Welt, ein Bild von der Erde, das die Besatzung des Raumschiffs von Apollo 17 auf dem Weg zum Mond aus einer Entfernung von 45 000 Kilometern aufgenommen hatte. Es zeigt die „Vollerde“ und ist unter dem englischen Namen „Blue Marble“ bekannt, blaue Murmel. Eindrucksvoll verdeutlicht die Aufnahme die Schönheit und die Zerbrechlichkeit der Erde zugleich. Das Foto wurde zu einer Ikone der sich damals formierenden globalen Umweltbewegung. Eugene Cernan, Kommandant von Apollo 17, sagte in Bezug auf die Mondmission: „Wir brachen auf, um den Mond zu erkunden, aber tatsächlich entdeckten wir die Erde.“[5]
Mit Die Grenzen des Wachstums hatte der Club of Rome den Menschen die Augen geöffnet. Der Bericht machte klar, dass ein „Weiter so wie bisher“ keine Option sei, dass man die Erde also nicht beliebig ausbeuten könne. Doch nach Erscheinen des Berichts hatten die Menschen ihre Augen gleich wieder geschlossen, um in diesem Bild zu bleiben. Denn die Trends haben nicht nur angehalten, sie haben sich sogar noch beschleunigt. Wir haben die planetare Geisterfahrt fortgesetzt, vor der der Club of Rome schon vor einem halben Jahrhundert gewarnt hat. Heute sind sich die allermeisten Expertinnen und Experten darin einig, dass der Club of Rome mit seiner Warnung recht gehabt hatte. 50 Jahre später nähern wir uns tatsächlich den Wachstumsgrenzen, und einige haben wir längst überschritten. Das ist überall auf der Welt spürbar, vor allem, aber nicht ausschließlich, an den dramatischen Auswirkungen der sich beschleunigenden und erwiesenermaßen von der Menschheit verursachten globalen Erwärmung, im Folgenden auch Klimawandel genannt. Die globale Erwärmung und ihre Auswirkungen stehen im Vordergrund dieses Buches. Infolge der steigenden Temperaturen häufen und intensivieren sich Wetterextreme rund um den Globus, unter denen Jahr für Jahr mehr Menschen zu leiden haben. Die Begrenzung des Klimawandels ist eine riesengroße Herausforderung für die Menschheit, und das in jeder Hinsicht: technologisch, finanziell und kulturell. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete in seiner Rede anlässlich seiner Wiederwahl den Kampf gegen den Klimawandel und die damit in Zusammenhang stehende Transformation zu einer nachhaltigen Lebensweise als nichts weniger als die Überlebensfrage der Menschheit.[6]
Weltweit wurde seit dem Erscheinen von Die Grenzen des Wachstums sehr viel Wissen über die auf die Menschen zukommenden Probleme gesammelt. So hat sich seit den 1970er Jahren die Forschung zum Klimawandel und seinen möglichen Auswirkungen intensiviert. Computermodelle wurden entwickelt, um die zukünftige Klimaentwicklung vorherzusagen. Die frühen Berechnungen zur Veränderung des Klimas infolge des menschlichen Ausstoßes von Treibhausgasen, die vor ungefähr 30 Jahren durchgeführt worden waren, sind in groben Zügen von der Realität bestätigt worden. Die Wissenschaft entwickelte daneben Strategien, um die Probleme zu vermeiden, die ein fortgesetzter Treibhausgasausstoß für das Erdsystem heraufbeschwören würde. Ein wirklicher Wandel jedoch wurde nicht eingeleitet – die Idee des „Abenteuer des Geistes“, wie Peccei die von ihm geforderte „kulturelle Revolution“ auch bezeichnete, geriet in Vergessenheit.
Warum kommen wir nicht vom Wissen zum Handeln? Was läuft schief, und warum kommen wir so gut wie nicht voran, wenn es um die Begrenzung des Klimawandels geht und um andere globale Probleme, vor denen die Menschen stehen? Niemand bestreitet doch den Mangel an Nachhaltigkeit und dass unsere Lebensweise nicht zukunftsfähig ist. Ebenso wenig die offensichtlichen Probleme, die daraus entstehen, und schon gar nicht den Zeitdruck bei der Begrenzung des Klimawandels, mal abgesehen von einigen wenigen „Querdenkern“, wie ich die Menschen bezeichnen möchte, die sich von der Wissenschaft und vom Staat insgesamt abgewendet haben. Diese Personen, zu denen inzwischen auch einige prominente Politikerinnen und Politiker zählen wie Donald Trump, der ehemalige Präsident der USA, sind Fakten und sachlichen Argumenten nicht mehr zugänglich, was schon für sich genommen ein Hindernis für einen tiefgreifenden Wandel darstellt, zudem sie darüber hinaus auch noch lautstark Stimmung gegen die Demokratie machen.
Sollten wir als Gesellschaft nicht die Offenheit haben, uns nicht allein auf das zu konzentrieren, was wir wissen, sondern auch danach zu fragen, was wir nicht wissen? Was haben wir zur Herbeiführung des Wandels übersehen? Viele Jahre lang glaubten wir – auch in Teilen der Wissenschaft, und ich will mich hier nicht ausnehmen –, dass Wissen allein zum Handeln führe. Zum Beispiel, dass wissenschaftliche Daten, wie die in der Abbildung 1 gezeigten, eine starke Geschichte erzählen und ein Umdenken in der Klimapolitik bewirken würden.
Abbildung 1: Der leicht geglättete Kohlendioxid-(CO2-)Gehalt der Atmosphäre (ppm) und die globale Temperatur an der Erdoberfläche (°C) für den Zeitraum 1880 bis 2020. Die Temperatur ist gezeigt als Abweichung gegenüber dem Mittelwert von 1881 bis 1910. Quelle: Climate Central.
Dürfen wir das in der heutigen Zeit weiter annehmen? Müsste uns nicht der praktisch parallele Anstieg der atmosphärischen Treibhausgase und der Temperatur an der Erdoberfläche längst zum Handeln gezwungen haben? Glauben wir immer noch, dass Wissen, gepaart mit öffentlicher Aufmerksamkeit, ausreicht, um die notwendigen Transformationen herbeizuführen? Oder besteht vielleicht sogar die Gefahr, dass der Diskurs über das Thema Nachhaltigkeit zur Bildung eines Gegenpols beiträgt, der die Spaltung von Gesellschaften befördert und populistische Kräfte stärkt? Haben wir nicht genau eine solche Spaltung im Verlauf der Klimadebatte in den USA beobachten müssen?
Eine Spaltung der Gesellschaft würde die gesellschaftliche Transformation oder die kulturelle Revolution, wie Aurelio Peccei es nannte, nicht einfacher machen, was mir große Sorgen bereitet. Ich überzeichne die Lage jetzt einmal bewusst: Die Aufklärung scheint irgendwie unter die Räder zu kommen. Fakten scheinen keine Fakten mehr zu sein. Politik und Medien werden in einigen Kreisen zu Hassbildern – ich selbst bekomme Hass-E-Mails. All dies weist auf eine gefährliche Entwicklung in unserer Gesellschaft hin, auch im Sinne einer zunehmenden Wissenschafts- und Demokratiefeindlichkeit. Außerdem nehme ich eine zunehmende Verrohung der Gesellschaften wahr, aufgrund derer es immer schwieriger zu werden scheint, notwendige Maßnahmen durchzusetzen, um Probleme zu lösen. Ein aktuelles Beispiel ist die Corona-Krise, wo unversöhnliche Positionen bezüglich der Notwendigkeit von freiheitseinschränkenden Maßnahmen oder einer Impfpflicht aufeinanderprallen. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sah sich im November 2021 genötigt, in die Debatte einzugreifen und die Impfgegner zu fragen: „Was muss eigentlich noch geschehen, um Sie zu überzeugen?“[7] Ich könnte genauso die Länder unserer Welt fragen: „Was muss eigentlich noch geschehen, damit Sie endlich das Klimaproblem angehen?“
Zeit bleibt den Menschen kaum noch, um die Antworten auf die drängenden Fragen zu finden, die der sich beschleunigende Klimawandel und andere sich am Horizont abzeichnenden Probleme ihnen stellt. In der Theorie ist die Lösung vieler globaler Probleme, einschließlich des Klimaproblems, denkbar einfach. Man müsste nur der Vernunft folgen und die vorhandenen Möglichkeiten nutzen. In der Praxis klappt es nicht. Die menschliche Gesellschaft ist kein Computerspiel, in dem alles nach festgelegten Regeln abläuft. Es gibt jede Menge sich widersprechender Interessen, je nach Standpunkt legitime und illegitime. Die Länder scheitern schon beim Festlegen der Spielregeln, was uns die Weltklimakonferenzen Jahr für Jahr aufs Neue vor Augen führen. Ein wenig Zeit bleibt der Menschheit noch, um den Weg in die Nachhaltigkeit zu finden, damit die Welt nicht vollends aus den Fugen gerät. Nutzen wir diese Zeit und verharren wir nicht in sinnlosen Debatten oder in Angststarre. Wenn wir eine gute Zukunft wollen, müssen wir hart dafür arbeiten. Es würde sich auf jeden Fall lohnen.
Die Bewältigung des Klimaproblems ist vielleicht die größte Herausforderung, vor der die Menschheit je gestanden hat. Ich bin ein Optimist und werde es bleiben, auch wenn ich seit Jahrzehnten den Finger in die Klimawunde legen muss und schon längst die Flinte ins Korn hätte werfen können, weil die Menschheit in Sachen Klimaschutz einfach nicht vom Fleck kommt. Das ist in der Tat deprimierend, insbesondere wegen der vollmundigen Versprechungen, die seit vielen Jahren von Politik und Wirtschaft gemacht wurden. Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Inzwischen reagiere ich allergisch auf derlei großspurige Ankündigungen. Die Menschen müssen sich neu orientieren, um die Umwelt und damit sich selbst vor einem GAU zu bewahren. Die alten Rezepte taugen nicht mehr. Natürlich würde die Welt nicht untergehen, wenn die Menschheit beispielsweise die gesteckten Klimaziele reißen sollte. Eines steht aber fest: Es würde verdammt ungemütlich auf der Erde werden. Das kann niemand wollen.
Ich werde die Gründe dafür darlegen, warum sich die Menschheit bei der Lösung des Klimaproblems so schwertut. Ein paar Hoffnungsschimmer zeichnen sich dennoch am Horizont ab, trotz der alles andere als ermutigenden gegenwärtigen Tendenzen. Auf die positiven Entwicklungen werde ich am Ende des Buches eingehen. Sie geben mir Hoffnung, und ich möchte sie mit Ihnen teilen. Es gilt jetzt, die positiven Entwicklungen zu unterstützen, um eine Dynamik zu entfachen. Zu diesen positiven Signalen zähle ich ein paar wegweisende Gerichtsurteile wie das überraschend klare Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021,[8] das Teile des Klimaschutzgesetzes der Großen Koalition für verfassungswidrig erklärte, weil diese gegen das Gebot der Generationengerechtigkeit verstoßen hatten. Auch technologisch tut sich einiges. Die Erneuerbaren Energien sind nicht mehr aufzuhalten und weltweit auf dem Vormarsch. In Deutschland werden heute schon ungefähr 50 Prozent des Stroms regenerativ erzeugt, was noch vor 20 Jahren in vielen Teilen der Gesellschaft als Utopie angesehen worden wäre, als der Anteil noch deutlich unter zehn Prozent gelegen hatte. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass das CO2-neutrale Fliegen in Reichweite zu sein scheint? Ich durfte im Oktober 2021 der Einweihung der weltweit ersten E-Kerosin-Anlage im Emsland beiwohnen,[9] die die Hoffnung auf das CO2-neutrale Fliegen nährt. Die neuartige Anlage produziert Kerosin synthetisch mithilfe von Wasser und Strom, den Windräder aus dem Umland liefern. Zudem werden Abfall-CO2 aus Lebensmittelresten einer Biogasanlage sowie CO2 aus der Umgebungsluft verwendet. Neue saubere Technologien sind auf dem Vormarsch, und es macht Spaß zu sehen, dass sich etwas bewegt, damit wir möglichst rasch das fossile Zeitalter hinter uns lassen können.
Und schließlich wächst zumindest bei uns in Deutschland die öffentliche Aufmerksamkeit für globale Umweltthemen, weil gerade die jungen Menschen nicht mehr tatenlos zusehen wollen, wie die Älteren dabei sind, den Planeten gegen die Wand fahren. Die heutigen Entscheider sehen zwar die kritische Lage und den Handlungsdruck, wie sie in Sonntagsreden zugeben. Sie handeln aber immer noch viel zu zögerlich oder gar nicht. Hält das Schneckentempo an, verspielen wir die Zukunft der nachfolgenden Generationen. Das Tempo muss sich erhöhen. Die jungen Menschen sehen es genau richtig und fordern vehement eine rasche Kurskorrektur. Verständlich, denn sie sind ja in erster Linie vom Stillstand in Sachen Klimaschutz betroffen. Sie haben in den letzten Jahren das Thema Klimawandel mit einer Vehemenz in die Öffentlichkeit gebracht, wie es vorher noch nie der Fall gewesen ist.
Vielleicht hat das gesteigerte öffentliche Interesse an der Umwelt auch mit der Corona-Krise zu tun, die Denkprozesse in Gang gesetzt und die Diskussion über Prioritäten und Systemrelevanz beflügelt hat. Seit Ausbruch der Pandemie sind die Corona-Krise und die Klimakrise oft miteinander verglichen worden. Und trotz der vielen Unterschiede zwischen den beiden Krisen gibt es Gemeinsamkeiten. Sowohl die Corona-Krise als auch die Klimakrise sind global, und man wird sie nur mit ähnlichen Strategien in den Griff bekommen können. Zuallererst wären hier die internationale Kooperation und das Miteinander von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu nennen. Die Menschheit wird die Corona-Krise höchstwahrscheinlich in ein paar Jahren überwunden haben, auch wenn seit Ausbruch der Pandemie gravierende Fehler gemacht worden sind. Von einer relativ schnellen Überwindung der Corona-Krise kann man nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ausgehen. Das wird bei der Klimakrise nicht der Fall sein. Selbst die Auswirkungen der heute bereits realisierten globalen Erwärmung werden noch für Jahrhunderte und darüber hinaus spürbar sein. Die Menschheit wäre aber immer noch imstande, eine Klimakatastrophe, die die Lebensbedingungen auf der Erde extrem verschlechtern würde, zu vermeiden. Dazu braucht es einen grundlegenden technologischen und kulturellen Wandel. Viel Zeit bleibt den Menschen nicht mehr. Der Countdown läuft.
Es braucht jetzt einen Befreiungsschlag, wobei die Klimaproblematik nur stellvertretend für die anderen globalen Umweltprobleme steht. Nicht kleckern, sondern klotzen ist beim Umwelt- und Klimaschutz angezeigt, damit sich die Menschheit nicht zu weit von der heute noch lebenswerten Welt entfernt und tief in die neue, lebensfeindliche Welt vordringt. Die „Fridays for Future“-Bewegung fordert radikales Handeln, und das zu Recht, denn die junge Generation wird sonst einen Großteil ihres Lebens in der neuen, nicht lebenswerten Welt verbringen müssen. Wussten Sie eigentlich, dass schon 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von Rio de Janeiro,[10] dem sogenannten Erdgipfel, das zwölfjährige Mädchen Severn Cullis-Suzuki aus Kanada aufgetreten war[11] – also lange vor der Schwedin Greta Thunberg, die 2019 auf dem UN-Klimagipfel in New York gesprochen hatte? Im Internet findet man das Video mit der Rede von Severn Cullis-Suzuki unter dem Titel: „Das Mädchen, das die Welt für sechs Minuten zum Schweigen brachte.“ Liebe Leserinnen und liebe Leser, sie werden gerührt und den Tränen nahe sein, wenn Sie sich das Video ansehen. Ich bin es jedenfalls, wenn ich mir den Mitschnitt ansehe. Die Zwölfjährige sagte zu Beginn ihrer bewegenden Rede: „Seine Zukunft zu verlieren ist nicht das Gleiche, wie ein paar Punkte bei einer Wahl oder ein paar Prozentpunkte auf dem Aktienmarkt zu verlieren.“ Wer wollte dem widersprechen? Das Wohlergehen der Menschheit für Geld aufs Spiel zu setzten ist einfach nur krank. 20 Jahre später, 2012, kehrte Severn Cullis-Suzuki als Erwachsene zum Klimagipfel „Rio + 20“[12] nach Rio zurück. Es war in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten nichts Nennenswertes in Sachen Umweltschutz geschehen, und sie musste eine traurige Bilanz ziehen: „Wir brauchen einen massiven Paradigmenwechsel, um unsere Welt zu retten.“[13]
Die jetzt an den Schalthebeln der Macht sitzenden Personen sollten weise genug sein, so wie schon Severn Cullis-Suzuki vor 30 Jahren, um die Zeichen der Zeit zu erkennen und unverzüglich die nötigen Schritte einzuleiten, damit wir den Planeten nicht vollends gegen die Wand fahren. Darüber hinaus muss jede und jeder von uns überlegen, ob für sie oder ihn in Sachen nachhaltiges Verhalten nicht mehr möglich wäre und liebgewonnene Gewohnheiten über Bord geworfen werden können, nicht nur, weil sie schädlich für den Planeten sind, sondern einfach nur dumm. Warum zum Beispiel werfen wir so viele Lebensmittel weg, die mit großem Energie-, Wasser- und Rohstoffaufwand erzeugt worden sind? Weniger Lebensmittelverschwendung würde aus vielerlei Gründen den Planeten schonen und auch für den Klimaschutz von Bedeutung sein. In anderen Weltregionen müssen Menschen verhungern. Auch darauf hatte Severn Cullis-Suzuki bereits 1992 auf dem Erdgipfel von Rio hingewiesen. Die Reichen der Welt – und wir in Deutschland gehören zu ihnen – müssen wieder das Teilen lernen und nicht sinnlos versuchen, immer reicher zu werden oder ihren Egotrip fortzusetzen. Auf dem Cover des Magazins Stern vom 22.7.2021, dessen Titelgeschichte die Flutkatastrophe in Deutschland war, ist ganz oben Folgendes zu lesen: „Bezos, Musk, Branson – Wer braucht Milliardäre im Weltall?“[14] Jeff Bezos ist der Gründer des Onlineversandhändlers Amazon, Elon Musk ist unter anderem Chef des E-Auto-Herstellers Tesla und Richard Branson unter anderem Gründer der Fluggesellschaft Virgin Atlantic Airways. Dass es angeblich kein Geld für den notwendigen Schutz des Planeten gibt, ist ein Märchen.
Bevor wir uns mit der Frage beschäftigen, weshalb uns die Zeit bei der Begrenzung der globalen Erwärmung davonläuft und warum wir beim Klimaschutz nicht vorankommen, müssen wir uns zunächst den Ursachen zuwenden, die dem Klimawandel zugrunde liegen. Nur durch das Verständnis der Prozesse, die die steigenden Temperaturen auf der Erde verursachen, sind die erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen nachzuvollziehen. Eigentlich sollte der Grund für die globale Erwärmung nach etlichen Jahren der Wissenschaftskommunikation hinlänglich verstanden sein. Trotzdem werden die Ursachen des Klimawandels in der Öffentlichkeit des Öfteren nicht korrekt dargestellt. Außerdem, liebe Leserinnen und Leser, ob Sie es glauben oder nicht, bekomme ich täglich E-Mails oder Briefe, in denen der menschliche Einfluss auf das Klima mit Argumenten aus der Mottenkiste in Abrede gestellt wird. Den wissenschaftlichen Kenntnisstand über den Klimawandel kann man kurz und bündig in nur 20 Worten zusammenfassen, wie es in dem 2021 von verschiedenen deutschen Wetter- und Klimainstitutionen und Klimakommunikationsplattformen herausgegebenen Faktenblatt mit dem Titel Was wir heute übers Klima wissen – Basisfakten zum Klimawandel, die in der Wissenschaft unumstritten sind nachzulesen ist,[15] an dem ich ebenfalls mitgewirkt habe: „Er ist real. Wir sind die Ursache. Er ist gefährlich. Die Fachleute sind sich einig. Wir können noch etwas tun.“
Ich habe die Mechanismen des Klimawandels in meinem letzten Buch Heißzeit,[16] das 2020 erschienen ist, umfassend beschrieben und einige der gängigen „Argumente“ der Skeptiker gegen den menschlichen Klimaeinfluss entkräftet. Deswegen werde ich mich hier vergleichsweise kurz fassen. Die Gründe für den Klimawandel sind seit Jahrzehnten wissenschaftlich sehr gut verstanden und auch für Laien durchaus nachvollziehbar. Wenn wir vom Klimawandel sprechen, meinen wir die durch die Menschheit verursachte globale Erwärmung seit Beginn der Industrialisierung. Dabei spielt der sogenannte Treibhauseffekt die entscheidende Rolle, dem die Erde die milden Bedingungen auf ihrer Oberfläche verdankt. Der irdische Treibhauseffekt ist ein Segen und der Garant für die lebensfreundlichen klimatischen Verhältnisse auf unserem Planeten. Verändert sich die Stärke des Treibhauseffekts, muss sich auch zwangsläufig das Klima verändern.
Der Wasserdampf ist die gasförmige und deswegen unsichtbare Phase des Wassers.[17] Er ist das für den natürlichen Treibhauseffekt wichtigste Treibhausgas. Weitere potente Treibhausgase sind das Kohlendioxid (CO2) und das Methan (CH4). Der Wasserdampf ist sehr variabel und trägt in etwa zwei bis drei Prozent zur Erdatmosphäre bei, Kohlendioxid und Methan besitzen zusammen einen Anteil von weit weniger als einem Prozent, weswegen sie zu den sogenannten Spurengasen zählen. Die Hauptbestandteile der Atmosphäre sind Stickstoff und Sauerstoff, die zusammen einen Anteil von über 95 Prozent ausmachen. Trotz ihres geringen Anteils an der Lufthülle sind die Treibhausgase äußerst klimawirksam. Ohne die Treibhausgase in der Luft lägen die Temperaturen an der Erdoberfläche im weltweiten Durchschnitt weit unter dem Gefrierpunkt bei ungefähr minus 18 Grad Celsius. Die aktuelle Temperatur liegt heute im Mittel bei ungefähr plus 15 Grad Celsius. Der Wasserdampf trägt etwa zwei Drittel zur Treibhauserwärmung von gut 30 Grad Celsius bei, das CO2 ungefähr ein Viertel. Stickstoff und Sauerstoff sind für das Klima kaum von Bedeutung.
Das Problem der globalen Erwärmung besteht nun darin, dass die Menschen den eigentlich segensreichen Treibhauseffekt verstärken, indem sie mit dem Aufkommen der Industrialisierung damit begonnen haben, gewaltige Mengen von Treibhausgasen in die Atmosphäre auszustoßen, allen voran das Kohlendioxid. Die Menschen emittieren neben dem CO2 auch die Treibhausgase Methan und Lachgas (N2O), allerdings in deutlich geringeren Mengen. Aus diesem Grund und wegen seiner langen Verweildauer in der Atmosphäre steht das CO2 im Zentrum der Klimadebatte – und auch dieses Buches. Die atmosphärischen Konzentrationen der Treibhausgase haben sich in den letzten Jahrzehnten mit einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit erhöht. So ist allein der CO2-Gehalt der Atmosphäre schon um gut 50 Prozent gegenüber der vorindustriellen Zeit angewachsen. Der Anstieg der Treibhausgase verstärkt den Treibhauseffekt und muss daher zu einer zusätzlichen globalen Erwärmung an der Erdoberfläche führen. Die Verstärkung des natürlichen Treibhauseffekts durch die Menschheit bezeichnen wir als den anthropogenen[18] Treibhauseffekt.
Die Existenz des Treibhauseffekts wie auch die Wirkungsweise der Treibhausgase sind in der Wissenschaft schon lange bekannt.[19] Bereits 1822 berechnete der Mathematiker und Physiker Joseph Fourier, dass es auf der Erdoberfläche viel kälter sein müsste, als es tatsächlich der Fall ist, wenn die einfallende Sonnenstrahlung der einzige wärmende Faktor wäre. Seine Idee, dass die Erdatmosphäre wie ein Isolator wirkt, ist die erste Formulierung dessen, was wir heute als den Treibhauseffekt bezeichnen. Einige Jahrzehnte später hatte der Physiker Joseph Henry 1856 auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) in Albany, New York, die Ergebnisse der amerikanischen Wissenschaftlerin Eunice Foote über die Rolle von CO2 auf die Temperatur der Erde vorgetragen.[20] Es ist unklar, warum Foote ihre Ergebnisse nicht selbst präsentierte, auf jeden Fall hatten es Frauen damals ungleich schwerer als heute, in der Wissenschaft gehört und respektiert zu werden. Ich zitiere aus Footes bahnbrechender Arbeit über den Einfluss des CO2 auf die Temperatur der Erde: „Eine Atmosphäre dieses Gases würde unserer Erde eine hohe Temperatur verleihen; und wenn, wie einige vermuten, zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Geschichte die Luft in einem größeren Anteil als heute mit diesem Gas vermischt war, muss sich zwangsläufig eine erhöhte Temperatur ergeben haben.“ Respekt, Frau Foote! Genauso ist es. Die Warmzeiten während der letzten Jahrhunderttausende waren Phasen vergleichsweise hoher CO2-Konzentrationen. Demgegenüber waren die Eiszeiten durch relativ niedrige Konzentrationen geprägt.
Im Jahr 1896 führte der schwedische Physiker Svante Arrhenius, der 1903 für seine bahnbrechenden Arbeiten im Bereich der physikalischen Chemie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde,[21] die ersten quantitativen Berechnungen zum Einfluss des CO2-Gehalts der Atmosphäre auf die Oberflächentemperatur der Erde aus, und dies in Abhängigkeit von der geografischen Breite und der Jahreszeit. Der Titel der wissenschaftlichen Publikation, die Arrhenius vor nunmehr weit über 100 Jahren veröffentlicht hatte, lautet Über den Einfluss von Kohlensäure auf die Temperatur des Bodens.[22] Mehr muss ich wohl nicht zu dieser Arbeit sagen, außer dass Arrhenius mit Kohlensäure das CO2 meinte. Arrhenius nutze die physikalischen Grundgesetze, die in Form mathematischer Gleichungen formuliert werden können. Das Erstaunliche: Arrhenius’ frühe Berechnungen liegen immer noch im Rahmen dessen, was die heutigen Computermodelle kalkulieren, auch wenn sich seine Ergebnisse am oberen Rand der Bandbreite der heutigen Modellergebnisse befinden. Arrhenius berechnete eine globale Erwärmung von ungefähr 5 Grad Celsius im globalen Durchschnitt für den Fall einer Verdopplung der vorindustriellen CO2-Konzentration, eine Erwärmung, die man in der Wissenschaft als Klimasensitivität bezeichnet.[23] Der heutige beste Schätzwert für die Klimasensitivität liegt bei 3 Grad Celsius,[24] wobei es eine recht große Unsicherheit gibt, insbesondere bezüglich der oberen Grenze. Der beste Schätzwert hat sich allerdings in den letzten Jahrzehnten nicht mehr verändert.
Dass die globale Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit durch die anthropogenen Treibhausgasemissionen verursacht worden ist, kann seriös nicht bestritten werden. Die wissenschaftliche Evidenz ist überwältigend. Für mich ist es erschreckend, wie viele Menschen der Wissenschaft misstrauen und immer noch daran zweifeln, dass die Menschheit für die globale Erwärmung verantwortlich ist. Auch wenn man nicht aus der Klimaforschung kommt, gibt es doch so etwas wie den gesunden Menschenverstand, der ein guter Ratgeber ist. Allein die Parallelität von Temperatur- und CO2-Anstieg sollte den Menschen als Ursache der globalen Erwärmung nahelegen. Und mehr noch: Der Anstieg der global gemittelten Temperatur an der Erdoberfläche, im Folgenden globale Temperatur genannt, ist in den letzten zwei Jahrtausenden ohne Beispiel. Höchstwahrscheinlich haben die Temperaturen schon Werte erreicht, die es zumindest über mehrere Jahrhunderte gemittelt selbst seit 100 000 Jahren nicht mehr gegeben hat. Nicht nur das Ausmaß, sondern vor allem auch die Geschwindigkeit der globalen Erwärmung während der letzten Jahrzehnte ist absolut außergewöhnlich im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrtausenden, was ebenfalls auf die Menschheit als die Ursache für die rasant steigenden Temperaturen seit Beginn der Industrialisierung hinweist – und somit auf den anthropogenen Ausstoß von Treibhausgasen. So gehörten die neun Jahre zwischen 2013 und 2021 allesamt zu den zehn wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen 1880.[25]
Was wir gegenwärtig an Veränderungen im Klima- und Wettergeschehen erleben, ist in vielerlei Hinsicht absolut außergewöhnlich und nur noch durch den Einfluss des Menschen zu erklären, was ich in den folgenden Kapiteln noch weiter ausführen werde. Wie aber kann die Wissenschaft die Menschen als die Ursache für die globale Erwärmung identifizieren? Dazu werden Simulationen mit Klimamodellen durchgeführt, einmal mit und einmal ohne die menschlichen Faktoren. Berücksichtigt man nur die natürlichen Einflussfaktoren wie etwa Vulkanausbrüche und die beobachteten Veränderungen der Sonneneinstrahlung, lässt sich die globale Erwärmung nicht simulieren. Bezieht man hingegen die menschlichen Faktoren mit ein, zu denen insbesondere der Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre zählt, lässt sich die Entwicklung der globalen Temperatur sehr gut nachstellen. In dem Maße also, wie es überhaupt einen Beweis in der Wissenschaft geben kann, ist der erbracht, und das schon seit vielen Jahren.
Gegenüber der vorindustriellen Zeit ist die globale Temperatur bereits um etwas mehr als 1 Grad Celsius angestiegen, eine aus paläoklimatischer Sicht äußerst schnelle Erwärmung, wenn man berücksichtigt, dass der Anstieg der globalen Temperatur von einer Eiszeit (Glazial) bis in eine Warmzeit (Interglazial) ungefähr 4 Grad Celsius beträgt. Die glazial-interglazialen Temperaturänderungen haben sich allerdings über Zeiträume von vielen Jahrtausenden vollzogen und wurden von langsamen Veränderungen der Umlaufbahn der Erde um die Sonne und der Neigung wie auch Orientierung ihrer Rotationsachse angeregt, die man in der Klimaforschung pauschal als Erdbahn- oder Orbitalparameter[26] bezeichnet. Wegen der extrem unterschiedlichen Geschwindigkeiten kann man die globale Erwärmung von der letzten Eiszeit, mit ihrem Höhepunkt vor gut 20 000 Jahren, bis zum Beginn der gegenwärtigen Warmzeit vor gut 10 000 Jahren nicht mit dem Temperaturanstieg seit Beginn der Industrialisierung vergleichen. Die jetzige Erwärmungsrate von ungefähr 1 Grad Celsius pro Jahrhundert ist um etwa 25-mal schneller. Und selbst das könnte noch eine Unterschätzung sein. Die globale Erwärmung hat sich nämlich in den letzten 100 Jahren erheblich beschleunigt. Stieg die Temperatur im 50-Jahre-Zeitraum zwischen 1921 und 1970 um 0,2 Grad Celsius an, waren es in den darauffolgenden 50 Jahren von 1971 bis 2020 0,9 Grad Celsius. Der letzte 50-Jahre-Zeitraum beschreibt den menschlichen Einfluss auf das Klima sehr viel besser, weil der CO2-Gehalt der Atmosphäre hauptsächlich im Zeitraum von 1971 bis 2020 angestiegen ist. Wir sind also schon weit aus dem Band der natürlichen Klimaschwankungen hinaus, wenn man zusätzlich zur Erwärmung die Erwärmungsrate betrachtet. Eine weitere Beschleunigung der globalen Erwärmung ist nicht ausgeschlossen, weil in den kommenden Jahrzehnten noch einige verstärkende Prozesse hinzukommen können.
Auch die Prozesse für das Entstehen und Vergehen von Eiszeiten müssen andere sein als die für die globale Erwärmung. Die für die glazial-interglazialen Temperaturänderungen verantwortlichen Schwankungen der Orbitalparameter haben während der letzten Jahrzehnte überhaupt keine Rolle gespielt, weil sie sich nur innerhalb sehr viel längerer Zeiträume signifikant verändern, was im Übrigen auch für die atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen in der Vergangenheit gilt. Der Vergleich der jetzigen Erwärmung mit den Temperaturveränderungen zwischen Eis- und Warmzeiten taugt also in keiner Weise, um den menschlichen Einfluss auf das Klima zu relativieren. Man würde schlicht Äpfel mit Birnen vergleichen.
Die Wissenschaft lässt seit vielen Jahren keine Zweifel daran, dass der Mensch die Ursache für die globale Erwärmung ist. Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, dass der deutsche Meteorologe Richard Scherhag und zwei seiner Kollegen schon in ihrem 1977 erschienenen Buch Klimatologie[27] einige der klimatischen Folgen der globalen Erwärmung beschrieben haben, die sich heute, fast ein halbes Jahrhundert später, in aller Deutlichkeit offenbaren. Das ist umso bemerkenswerter, als die Welt Mitte der 1970er Jahre noch in einem relativen Minimum der Temperatur steckte. Der Großteil der globalen Erwärmung hat sich ja erst danach entwickelt. Die Autoren sagten zum Beispiel den Rückzug des arktischen Meereises voraus, dessen sommerliche Ausdehnung sich seit Beginn der Satellitenmessungen 1979 bereits um ungefähr ein Drittel verringert hat. Es heißt in dem Buch dazu: „Derartige Klimaänderungen globalen Ausmaßes sind rein rechnerisch mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad vorauszusagen. Damit sind solche Überlegungen keineswegs mehr hypothetische Spekulation.“
Wenn wir heute über die globale Erwärmung diskutieren, sollten wir den Weitblick haben, den Scherhag und seine Kollegen hatten, und die Langzeitfolgen der globalen Erwärmung unbedingt mit in die Überlegungen zum Klimaschutz einbeziehen. So wird beispielsweise allein die bereits realisierte globale Erwärmung dazu führen, dass die Meeresspiegel für viele Jahrhunderte weiter steigen werden, und dies vor allem wegen der extrem langen Reaktionszeit der kontinentalen Eisschilde auf äußere Antriebe. Somit ist der Bremsweg, bezogen auf die Auswirkungen der globalen Erwärmung, jetzt schon so lang, dass wir den Zeitraum, bis der Planet nach dem Ende der anthropogenen Treibhausgasemissionen zur Ruhe gekommen sein wird, mit menschlichen Maßstäben nicht ermessen können.
Der in Amerika forschende Japaner Syukuro Manabe und der Deutsche Klaus Hasselmann, der übrigens mein Doktorvater ist, sind Klimawissenschaftler und wurden 2021 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.[28] Hervorgehoben wurde vom Nobelkomitee die Bedeutung ihrer Forschung für das physikalische Modellieren des Klimas der Erde. Manabe und Hasselmann hätten die Grundlage für das Wissen über das Erdklima und den Einfluss des Menschen gelegt. Hasselmann, der schon in den 1990er Jahren mit sogenannten Fingerabdruckverfahren den Menschen als hauptsächlichen Verursacher der globalen Erwärmung identifizieren konnte, sagte 1988 in einem Fernsehinterview Folgendes: „In 30 bis 100 Jahren, je nachdem, wie viel fossiles Brennmaterial wir verbrauchen, wird auf uns eine ganz erhebliche Klimaänderung zukommen. Klimazonen werden sich verschieben, Niederschläge anders verteilen. Dann wird man nicht mehr von Zufallsergebnissen reden können. Man sollte sich bewusstwerden, dass wir in eine Situation hineinkommen, wo es keine Umkehr mehr gibt. Wir müssen vor allem versuchen, mit Öl und Kohle sparsam umzugehen, denn das Kohlendioxid ist wesentlich an der Treibhauswirkung schuld.“[29] Besser kann man die Klimaentwicklung nicht vorhersagen, und die Lösung für das Klimaproblem hatte Hasselmann in dem Interview gleich mitgeliefert. Die Welt müsste so schnell wie möglich von den fossilen Brennstoffen Abschied nehmen.
Seit vielen Jahren berichtet der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC)[30] über die Ergebnisse aus der internationalen Klimaforschung. Er wurde 1988 auf Wunsch der Politik gegründet. Die Aufgabe des IPCC besteht in der regelmäßigen Bereitstellung von Berichten über den aktuellen Wissensstand bezüglich des Klimawandels, um Regierungen mit Informationen zu versorgen, die sie zur Entwicklung ihrer Klimapolitik nutzen können. Der IPCC, der keine eigene Forschung betreibt, veröffentlichte seinen ersten Sachstandsbericht 1990, in den selbstverständlich auch Ergebnisse von Manabe und Hasselmann eingeflossen waren. 2007 wurde der Weltklimarat zusammen mit dem ehemaligen Vizepräsidenten der USA, Al Gore, mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt „für ihre Bemühungen, mehr Wissen über den vom Menschen verursachten Klimawandel aufzubauen und zu verbreiten und die Grundlagen für die notwendigen Maßnahmen zu schaffen, um diesem Wandel entgegenzuwirken“.[31] Der IPCC, das sei hier festgehalten, stellt die vertrauenswürdigste Quelle dar, um sich über die Ergebnisse aus der Klimaforschung zu informieren.
Simulationen mit Klimamodellen erlauben es, den Anteil der einzelnen anthropogenen Faktoren an der globalen Erwärmung zu beziffern, wobei es durchaus beträchtliche Fehlermargen gibt. Als beste Schätzwerte können die folgenden Zahlen angesehen werden, die die Arbeitsgruppe I Wissenschaftliche Grundlagen[32] des Weltklimarats 2021 in dessen sechstem Sachstandsbericht (AR6)[33] veröffentlicht hat. Der Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre hat bisher für eine globale Erwärmung von ungefähr 1,5 Grad Celsius gesorgt, wobei das CO2 für ungefähr 0,8 Grad Celsius verantwortlich zeichnet. Auf Platz zwei folgt das Methan, das in etwa 0,5 Grad Celsius zur globalen Erwärmung beigetragen hat, das Lachgas wie auch die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW)[34] jeweils ungefähr 0,1 Grad. Der Erwärmung durch den Anstieg der Treibhausgase von insgesamt 1,5 Grad Celsius steht eine anthropogene Abkühlung von circa 0,4 Grad Celsius gegenüber, die vor allem auf die Emissionen von schwefelhaltigen Substanzen zurückgeht. Dabei geht es in erster Linie um das Gas Schwefeldioxid (SO2), das bei der Verbrennung von Kohle entsteht. SO2 reagiert in der Atmosphäre zu Schwefelaerosolen, die das Sonnenlicht schwächen und dadurch die Erdoberfläche kühlen. Zusammen ergeben die anthropogene Treibhauserwärmung von 1,5 Grad Celsius und die Abkühlung durch die anthropogenen Aerosole von 0,4 Grad Celsius die beobachtete globale Erwärmung von 1,1 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit. Als vorindustrielle Zeit wird üblicherweise der Zeitraum von 1850 bis 1900 gewählt.
An dieser Stelle noch eine Bemerkung zum Methan und zu den Schwefelaerosolen. Wenn man Zeiträume von mehreren Jahrzehnten betrachtet, wären Methan wie auch die Schwefelaerosole wegen ihrer im Vergleich zum CO2 relativ kurzen Verweildauer in der Atmosphäre kaum noch klimarelevant, würden sie nicht mehr weiter freigesetzt werden. Das liegt daran, dass sie schnell wieder aus der Atmosphäre verschwinden. Beim CO2