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Liebe gegen Eis. Feuer gegen Hass. 2035. Vampire beherrschen seit fünfzehn Jahren die Welt und die letzten Menschen werden von der Hunter Association beschützt. Die junge Crystal ist eine gefühlskalte Vampirjägerin, die sich mit Waffen und Kampftechniken bestens auskennt. Wird es ihr gelingen, ihre Akademie zu verteidigen und die dunklen Vampire aufzuhalten? Löst sie das Geheimnis um den Hunter Kento, der sie zu hassen scheint? Schmelzen am Ende die Eiskristalle in ihrem Herzen? "Spannend, düster, emotional – Crystal ist eine Heldin, wie ich sie liebe!" Lucie Flebbe, Schriftstellerin
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Copyright © 2023 Susanne Raven
Alle Rechte vorbehalten
Berlin
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© Covergestaltung: Florin Sayer-Gabor
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Bilder und Satz: Susanne Raven
Lektorat/Korrektorat: Hellwig/Hellwig,
Lex Smithereens
Paperback:
Druck: Booksfactory / PRINT GROUP Sp. z o.o.
ul. Cukrowa 22, 71-004 Szczecin, Polen
Vertrieb: Nova MD
Raiffeisenstr. 4, 83377 Vachendorf, Deutschland
ISBN 978-3-98595-765-1
Die Deutsche Nationalbibliothek
verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über
http://dnb.dnb.de abrufbar.
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Content Note
Das habe ich von dir geerbt
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Epilog
Sternenhimmel über Pania
Personen, Worterklärungen
Waffenregister
Danksagungen
Post für dich
Herzensempfehlung
Die Autorin S. H. RAVEN
Band 1: ICE
Band 2: MOON
Leseprobe Crys Tale of the Moon
Band 3: SHADOW
Sammelband I: Crys Tale of Ice, the Moon and a Shadow
Die Wahrheit ueber den Vampir
Lesetipp MARTHA
Einige Figuren benutzen diskriminierende Ausdrücke, denn sie wissen es nicht besser. Wir schon.
Crystal kämpft mit scharfen Waffen, weshalb es zu dem einen oder anderen Todesfall kommen kann.
Für Lesende ab 14 Jahren.
Deine Füße.
Die groß sind.
Die in keine Schuhe passen.
Die mich dennoch sicher tragen, auf allen meinen Wegen.
Deine zwei rechten Hände.
Die Stroh zu Gold spinnen.
Die immer neue Ideen haben.
Die aus allem etwas basteln, etwas bauen, etwas erschaffen.
Deinen freien Geist.
Der niemals kapituliert.
Der sich nicht der Norm anpasst.
Der auf die Meinung der anderen ein fröhliches Liedchen pfeift.
Du wirst mich mein Leben lang begleiten.
Bis wir uns wiedersehen.
Danke.
Tippen, lauschen, genießen
Gesprochen von Mathias Grimm
Playlist auf Spotify: Zu jedem Kapitel die passende Musik
Crystallize
Lindsey Stirling
Ich beobachte sie seit der Dämmerung. In einem dünnen Kleidchen irrt sie zwischen den Häusern umher, die Hände bittend ausgestreckt.
Eine Einladung.
Die Tür der Spelunke öffnet sich, Lärm und der Geruch nach Alkohol und Urin quellen auf das Kopfsteinpflaster. Das Mädchen verharrt gerade außerhalb des Lichtkegels. Schmutziges Wischwasser landet in einem Schwall vor ihren Füßen, bevor die sich schließende Tür sie in Stille zurücklässt. Ihre Schultern sinken herab. Ihre Einsamkeit zieht wie der schwingende Ton einer einzelnen Violine zu mir auf das Dach, wo ich mich an einen Schornstein drücke.
Schatten lösen sich aus der engen Gasse. „Oh, wen haben wir denn hier?“
„Bitte Mister, haben Sie etwas zu Essen für mich?“
Gelächter und gierige Blicke. Mit einem lautlosen Ausatmen spanne ich den Bogen. Ich habe mich noch nicht entschieden. Drei Männer umringen das Mädchen. Sie hält den Kopf gesenkt, den Körper starr. Der Erste hebt die Hand. Silberne Augen blitzen und ich schieße.
Treffer.
Die Männer stieben auseinander und ich lande geräuschlos zwischen ihnen. „Behaltet das nächste Mal eure dreckigen Hände bei euch!“
Mit aufgerissenen Mündern stieren sie mich an.
Ich trete einen Schritt nach vorne. „Husch.“
Sie rennen.
Ich bleibe und hocke mich neben den toten Körper der Vampirin. Sie wird niemanden mehr täuschen. In ihren silbernen Augen spiegeln sich der Mond und die unendliche Weite des Nachthimmels.
Vielleicht hätte ich noch ein paar Sekunden warten können. Die Welt ist voller Abschaum. Doch das ist nicht meine Aufgabe.
Mein Funkgerät rauscht und ich setze die Nachricht ab. „Erledigt.“ Andere werden sich um die Überreste kümmern. Ich ziehe den Pfeil aus ihrer Stirn und rotes Blut fließt in einer geraden Linie über die bleiche Haut. Dann verlasse ich die Gasse über die Dächer, ohne zurückzuschauen.
Wir haben gewählt. Ich befinde mich auf der richtigen Seite.
Pania, den 8. Oktober 2031
Castle on the hill
Ed Sheeran
31. Mai, Nacht 1
Dämmerung. Die Jagd beginnt.
Die offenen Tore der Core-Akademie gaben ein rostiges Quietschen von sich. Ihre alten Mauern hoben sich scharf gegen den letzten Streifen Tageslicht ab. Blaue Stunde. Mein Körper verschmolz mit den Schatten, während ich jeden Baum, jedes erleuchtete Fenster, jede Bewegung registrierte. Der auffrischende Wind zog an meinem weißen Zopf, der mir geflochten bis zur Taille reichte. Dunkle Wolken flogen über den Himmel.
Keine Wachleute.
Mein letzter Auftrag für die Hunter Association lag 16 Stunden von Pania entfernt. Seit dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft und der Erhebung der Vampire war es schwer geworden, von einem Areal zum anderen zu gelangen. Normalerweise schlief ich tagsüber, doch bei Nacht zu reisen war inzwischen zu riskant. Nicht nur Vampire, auch Rebellen oder andere Randgruppen warteten in der Dunkelheit. Hunter stellten ein begehrtes Ziel dar. Von vielen wurden sie als Teil des Problems angesehen, die anderen spekulierten auf den guten Verdienst. Die Vampire wollten uns einfach nur töten.
Nun ja.Das beruht auf Gegenseitigkeit.
Lautlos schulterte ich meine Tasche und griff nach meinem Bogen, bevor ich auf das weitläufige Gelände schritt. Will ich wirklich zurück?
Mit sechs Jahren kam ich an die Akademie, nachdem ich bei einem Vampirangriff meine Familie verlor. Mit ihr verschwanden auch meine Erinnerungen an die Zeit davor, mein Haar war seit jener Nacht weiß. Shakile hatte mich gerettet und sich meiner angenommen. Damals war die Akademie noch im Aufbau: Es gab nur wenige Kinder, Essensrationierung, kaum Schulunterricht, die Stromversorgung brach alle paar Wochen zusammen.
Keine Vampire.
Natürlich wusste ich, dass die Akademien inzwischen auch Vampiren Zuflucht boten. Bei der Hunter Association hatte ich mit ihnen zusammengearbeitet. Gewöhnen würde ich mich nie an sie. Seit meinem zehnten Geburtstag kannte ich nur ein Ziel: Jagen und Töten. Solange bis ich SIE finden würde. Die Vampirin mit den schwarzen Haaren und den kalten blauen Augen. Ich hatte Tage, Wochen, Jahre gelernt und trainiert, um schließlich mit 15 das jüngste Mitglied der HA zu werden. Mit 17 gaben sie mir den Namen Crystal – kalt wie ein Eiskristall. Meine weißen Haare, die blasse Haut und die fast schwarzen Augen mit den ewigen Schatten hatten daran ebenso viel Anteil wie meine Art, Vampire zu töten: Ohne Emotion. Es beunruhigte mich nicht, es widerstrebte mir nicht, es bereitete mir keine Genugtuung.
Ich war Crystal.
Während ich zum Eingangsportal lief, musterte ich mit einem kurzen Blick meinen schwarzen Kampfanzug: Ein Waffengürtel war um meine Taille geschlungen, ein zweiter lag um meine Schultern. Auf Handschuhe verzichtete ich, da ich mit bloßen Händen ein besseres Gefühl für meine Waffen hatte.
Um diese Zeit würden auch die Vampire wach sein. Ist mein Aufzug eine Provokation? Das Silbermesser an der Taille, Glock und Wurfmesser an den Oberschenkeln, ein Shoto aus rotem Eisenholz und der Recurvebogen mit den silberbesetzten Pfeilen auf dem Rücken. Immer bereit.
Noch bevor ich klopfen konnte, öffnete sich die Tür und ich blickte unvermittelt in Shakiles gütige Augen. „Moona!“
„Crystal“, antwortete ich reflexartig und sah ihn für einen Moment die Stirn runzeln. Bekümmert? Verärgert? Ich war etwas eingerostet darin, Stimmungen von Menschen zu analysieren. Dafür registrierte ich die vielen grauen Strähnen, die sich durch seine dunklen Haare zogen.
„Es ist lange her“, sagte Shakile und lächelte. „Du wirst schon erwartet.“ Dann nahm er mich fest in seine Arme. Ich erwiderte die Umarmung nicht. Der erste nicht im Kampf stattfindende Körperkontakt seit 5 Jahren und 11 Monaten. Ich spürte ein seltsames Kribbeln und konzentrierte mich augenblicklich wieder auf das Wesentliche: Ich hatte hier einen Job zu erledigen. Ruhig. Einatmen. Ausatmen.
In der Eingangshalle befanden sich 5 Personen. Ich betrachtete sie der Reihe nach, während Shakile mich vorstellte.
Vampir, Vampirin, Vampir, Mensch?, Vampir. Ich blickte noch einmal zu dem jungen Mann mit den zerzausten, braunen Haaren, als dieser den Kopf hob und mich mit finsterem Blick anstarrte. Eisblaue Augen. Mein Herz stolperte. Äußerlich gab ich mich dank jahrelangen Trainings vollkommen unbeeindruckt, innerlich begann ich zu kochen. Beherrschung war normalerweise eine meiner Stärken. Er war ein paar Jahre älter als ich, groß und durchtrainiert, markantes Gesicht, eine mondsichelförmige Narbe zog sich über seine linke Wange. Hunter.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Shakile und den Vampiren zu, die meinen Erwartungen entsprachen: Jung und gutaussehend. Einem schönen Gesicht vertraute die Nahrung leichter. Nahrung. Das sind dann wohl wir.
„Das ist Michael. Er ist hier das Oberhaupt der Vampire und wird eng mit dir zusammenarbeiten. Bei Fragen und Problemen wendest du dich an ihn oder mich.“ Mit seinem allgegenwärtigen Lächeln wies er auf einen großen Vampir mit blonden Locken und grünen Augen.
„Ich bin sehr erfreut, dich kennenzulernen“, sagte Michael mit resonanzreicher Stimme. Reinblüter. Ich nickte ihm zu.
„Dann haben wir noch Salena, Hisro, Kento und Delal“, fuhr Shakile fort. Kento. Ich erwiderte ruhig jeden Blick, besonders Kentos nach wie vor zornigen. Oder hasserfüllten?
„Nenn mich Sal. Endlich weibliche Verstärkung! Das wurde aber auch Zeit! Ich zeige dir nachher gleich dein Zimmer. Du bist in unserem Trakt untergebracht, bist ja auch ein Nachtschwärmer.“ Salena strahlte mich an. Überfordert sah ich von der blonden Vampirin zu Shakile. Sie wirkte etwas jünger als die anderen und mit ihren hohen Schuhen und dem schimmernden Oberteil schien sie nicht in die Gruppe zu passen.
Shakile verstand. „Sal, lass Crystal erstmal ankommen. Kento wird ihr das Zimmer zeigen, es grenzt direkt an seins.“ Moment. Was?
Er sah zu mir. „Ihr … teilt euch ein Bad. Wir haben Probleme mit den alten Leitungen in den anderen freien Zimmern. Ihr seid als HA-Mitglieder gemeinsam zur Nachtwache eingeteilt und deshalb …“
Das war der Moment, in dem meine Selbstbeherrschung an ihre Grenzen stieß. Offenbar nicht nur an meine.
„Vergiss es. Ein kleines Mädchen mit einem Messer!?“ Seine tiefe Stimme traf mich unvorbereitet. Gleichzeitig ärgerte ich mich über seine arroganten Worte.
„Kento, darüber diskutieren wir nicht noch einmal. Denk an unsere Abmachung.“
Kento starrte Shakile an. „Solange du daran denkst.“
Was ist sein verdammtes Problem? „Anpassungsfähigkeit an Unvorhergesehenes stellt für mich keine besondere Hürde dar. Erste Lektion der Hunter“, richtete ich mit gespielter Lässigkeit die ersten Worte an diese Runde und warf einen Blick in seine Richtung. Arktisches Blau. Kälte kroch in meinen Nacken.
Kento wandte sich um und ging, ohne mich weiter zu beachten. Shakile atmete geräuschvoll aus und nickte mir zu. „Wir reden später. Ich bin wirklich froh, dass du da bist, Mo … Crystal.“
Ich folgte Kento, während in meinem Bauch die Empfindungen miteinander stritten. Was ist hier los? Wir hielten uns von der Haupthalle rechts und liefen durch einen langen Flur und eine breite Treppe nach oben. Im ersten Stock blieb Kento stehen.
„Dein Zimmer. Ich warte hier. Keine Waffen im Haus.“ Kento sah mich nicht an.
Ich musste mich mühsam zurückhalten, nicht die Augen zu verdrehen. Bloß kein Wort zu viel. „Danke. Ich komme allein zurecht. Lass dich nicht von wichtigen Aufgaben abhalten.“
Kento drehte den Kopf und kniff die Augen leicht zusammen. „Gewöhn dich besser an mich, Schneeflocke. Wir verbringen bald sehr viel Zeit zusammen.“ Er verzog den Mund zu einem halben Grinsen, das an einen Haifisch auf der Jagd erinnerte.
„Mein Name ist Crystal.“ Inzwischen vibrierte ich vor Ärger.
Ruhig. Einatmen. Ausatmen.
„Was noch zu beweisen wäre.“ Sein stechender Blick jagte mir einen Hagelschauer über den Rücken.
Ich öffnete kurzerhand meine Zimmertür und ließ sie aufatmend hinter mir ins Schloss fallen. Kryptische Bemerkungen? Der kann mich mal!Und ich dachte, ich sei schlecht in zwischenmenschlichen Angelegenheiten!
Ich wartete 2 Atemzüge, bevor ich das Licht einschaltete. Das Zimmer war funktional eingerichtet – dunkle Holzmöbel und schwere, rote Vorhänge an den Fenstern. Rechts führte eine Tür ins angrenzende Bad, das sich seit damals wenig verändert hatte. Braune Fliesen, geräumige Wanne, nachträglich eingebaute Dusche, zwei Waschbecken. Die würden wir jedenfalls nicht gemeinsam nutzen. Mit schweißnassen Händen schloss ich die Verbindungstür zu Kentos Zimmer ab, ohne einen Blick hineinzuwerfen.
Ich war nicht neugierig. Nie. Und schon gar nicht auf ihn!
Nach dem Duschen zog ich einen frischen Kampfanzug an und zögerte nur bei der Wahl der Waffen. Schließlich griff ich nach Messer und Shoto. Perfekt für den Nahkampf. Bogen, Wurfmesser und Pistole würde ich später holen, um für meine erste Nachtwache gerüstet zu sein. Solange ich nichts über die Sicherheitsvorkehrungen wusste, bewegte ich mich nicht unbewaffnet durch die Akademie.
Kento wartete nicht mehr vor meiner Tür – ganz wie erhofft – und ich ging die ausgestorbenen Korridore entlang, die ich als Kind in- und auswendig kennengelernt hatte. Ich nahm an, dass es eine Zentrale gäbe, in der sich abends alle versammeln würden. Wahrscheinlich unten. Die Tür zum Keller ging von der Eingangshalle ab und war mit einem elektronischen Zahlencode gesichert. Nicht schlecht.
Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter. Ich reagierte instinktiv, packte den Arm, während ich mein Messer zog, wirbelte herum, warf den Angreifer zu Boden, drückte ihm das Knie in den Nacken und das Messer an die Kehle.
„Crystal!“, hörte ich Kentos Stimme irgendwo hinter mir.
„Bitte entschuldige, würdest du mich freundlicherweise aus deinem Griff entlassen?“ Michael sah ernst zu mir auf. Ich ließ nur zögerlich los, hielt ihm aber schließlich die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Dann grinste ich. Michael war ein reinblütiger Vampir, das Oberhaupt in der Akademie und mindestens einen Kopf größer als ich. Außerdem schaute Kento mich dermaßen entgeistert an, dass es mir irgendwie den Tag rettete.
Michael schüttelte den Kopf und rieb sich den Nacken. „Eine Warnung wäre nett gewesen.“ Doch er grinste zurück.
„Aber nur halb so effektiv.“ Ich fixierte Kento, der die Zähne zusammenbiss. „Unterschätze niemals deinen Gegner. Zweite Lektion der Hunter.“
Ich hörte Delal lachen. „Eins zu null für die Eisprinzessin.“
Erst jetzt bemerkte ich auch Shakile, Salena und Hisro. Nüchtern schaute ich in die Runde. „Ich heiße Crystal.“
Ich bin Crystal, 20, Vampirjägerin.
Mein Element ist die Dunkelheit,
meine Motivation die Rache.
Versteck dich.
Ich werde dich finden und töten.
Schatten der Vergangenheit
Michael Jörchel
Auf dem Weg in den Keller musterte Kento grimmig meine Waffen, aber ich hatte beschlossen, seine Stimmungen weitestgehend zu ignorieren.
Die Kommandozentrale bestand aus einem voll ausgestatteten Trainingsraum, dem ansehnlichen Waffenlager und einem Überwachungsraum. Hisro und Delal setzten sich vor die zwei Dutzend Monitore und überprüften die Kameraeinstellungen. Es gab außerdem ein Funkgerät auf einem großen Konferenztisch.
„Ihr hattet heute keine Wachleute am Tor?“
Michael antwortete mir. „Wir haben zu wenig Leute und deshalb fast gänzlich auf elektronische Überwachung umgestellt. Das komplette Gelände ist mit Infrarotkameras ausgestattet. Wir überwachen auch den Bereich jenseits der Mauer, allerdings nur mit Bewegungsmeldern. Deswegen benötigen wir menschliche Hilfe. Im Falle eines Vampirangriffs wären wir aufgrund unseres neuesten Systemupdates nur hinderlich – das kann Hisro dir besser erklären. Er ist unser Innovationsgenie.“
Hisro übernahm mit spürbarer Begeisterung. „Wie wäre es mit einer kleinen Demonstration?“ Dabei funkelten seine Augen und er fuhr mit einer Hand durch seine roten Locken. Shakile nickte, nur Salena und Delal stöhnten gleichzeitig.
„Warte wenigstens, bis wir alle unsere Brillen aufgesetzt haben. Nach deiner letzten Demonstration war ich die halbe Nacht blind!“ Salena verteilte dunkel getönte Sonnenbrillen. „Und gib vorher Ben Bescheid.“ Sie warf einen genervten Blick zu Hisro, während sie sich zu mir beugte. „Du brauchst sie nicht unbedingt, aber ich rate dir dringend dazu! Er schießt manchmal ein wenig übers Ziel hinaus. Aber eigentlich ist er harmlos.“
Mit ihrer Vertrautheit konnte ich nicht umgehen. Ich bewegte mich unauffällig zur Seite und zuckte mit den Schultern. Zum Glück war Salena von Hisro abgelenkt, der mit einem Stift auf sie zielte, während er in ein Funkgerät sprach. Als ich mich zu dem schmalen, vergitterten Fenster umdrehte, spürte ich Kentos Blick.
Was hat er nun schon wieder?
„Achtung. Es geht los. 3, 2, 1, Start!“ Hisro legte einen Schalter um und draußen wurde es mit einem Schlag taghell. Trotz Brille musste ich die Augen zusammenkneifen. Wie musste sich das grelle Licht erst für Vampire mit ihren geschärften Sinnen anfühlen?
„Vollspektrum-Tageslichtlampen mit einer Stärke von 50.000 Lux. Sie beleuchten das gesamte Gebiet um die Akademie. Wir werden sie nur im Notfall einsetzen, wenn ein Angriff nicht anders abgewehrt werden kann. Die Lampen unterscheiden nicht zwischen Freund und Feind.“ Hisro schaltete seine Erfindung wieder ab und linste über den Rand der Sonnenbrille. Er wartete auf eine Reaktion.
„Interessant. Ihr braucht mich also hauptsächlich, um draußen zu patrouillieren?“, vergewisserte ich mich und registrierte Hisros Gesichtsausdruck. Enttäuscht?Ich bin wirklich nicht gut in solchen Dingen. „Erwartet ihr einen Angriff?“
Die Stimmung im Raum veränderte sich leicht, aber ich konnte die Änderung nicht greifen. Nervosität? Shakile blickte für einen Wimpernschlag zu Kento und wandte sich dann an mich. „Nicht direkt. Von unseren Informanten aus der nächsten Siedlung – du erinnerst dich an Kathena? – wissen wir, dass sich in letzter Zeit fremde Vampire nach der Akademie erkundigt haben. Wir wollen nur vorbeugen. Kento sollte nicht allein die Nachtwache bestreiten. Es kommt immer wieder zu kleineren Vorfällen an der Mauer.“
„Seit wann können Vampire in den Siedlungen einfach herumspazieren? Soweit ich weiß, braucht man einen Ausweis, um nachts hinein zu gelangen.“ Ich zog die Augenbrauen zusammen und sah zu Michael. „Nichts für ungut.“
Er zuckte mit den Schultern. „Mit Handel lässt sich so einiges bewerkstelligen. Wir wissen noch nichts Genaues. Deshalb wäre es günstig, wenn du dich dort tagsüber umhörst.“
„Das ist leider noch nicht alles“, sagte Shakile. „Die älteren Schülerinnen stellen uns in letzter Zeit vor ungeahnte Herausforderungen. Sie schleichen nachts aus dem Haus oder durch die Korridore in der Hoffnung, einen Blick auf einen Vampir werfen zu können. Verklärte Weltsicht aufgrund veralteter Literatur. Delal hat daran einen nicht unerheblichen Anteil.“
Delal grinste selbstgefällig. Mit seinen dunklen Augen und den halblangen braunen Haaren sah er auch für einen Vampir außerordentlich gut aus. Loris Worte blitzten in meinem Kopf auf. Sie wäre mit Sicherheit durch so manchen Korridor geschlichen, nur um mir zu beweisen, dass ich mich täuschte.
„Sie sind einfach nur anders, Moona. Auch Menschen tun schlimme Dinge. Deshalb sind nicht alle Menschen schlecht. Dieser Hass frisst dich auf.“ Dabei schaut mich die vierzehnjährige Lori mit ihren großen, blauen Augen an. Augen, die sich weigern, die Welt in schwarz und grau versinken zu lassen. Die sich genauso weigern, mich aufzugeben. Ich bin zehn und knapp einem erneuten Vampiranschlag entkommen.
Ich schüttelte die Erinnerung ab, bevor der Schmerz einsetzen konnte. Vergangenes blieb besser gut verschlossen in einer eisernen Kiste. „Wo sind eure anderen Leute?“, fragte ich das Offensichtliche.
Schweigen. Michael räusperte sich. „Ich vertraue Shakiles Urteil. Für meine Leute lege ich die Hand ins Feuer. In diesen Zeiten wird Vertrauen nur schwer erworben.“
Also keine Leute. „Ich verstehe. Ich vertraue Shakile ebenfalls, sonst wäre ich nicht hier.“ Ich wandte mich an Kento. „Kommst du?“
„Du willst jetzt auf Patrouille gehen? Wann hast du das letzte Mal geschlafen? Oder etwas gegessen?“ Shakiles besorgte Worte ließen mich innehalten.
Das hatte ich vergessen. Jemanden zu haben, der sich tatsächlich für mein Befinden interessierte. Ob das gut oder schlecht war, konnte ich noch nicht einschätzen. Ich zuckte mit den Schultern.
Ich schlief niemals mehr als 4 Stunden am Stück. Nachts kamen sie mich holen. Ausnahmslos und mit einer Regelmäßigkeit, die nur der Teufel erfunden haben konnte. Alpträume. Und ja, ich war seit über 30 Stunden auf den Beinen und hatte wenig gegessen. Keine Seltenheit.
Hisro händigte mir ein Funkgerät aus. „Du kennst dich damit aus?“ Ich nickte knapp und wandte mich dann zur Tür. Ob Kento mir nun folgte oder nicht, ich würde das Gelände inspizieren und eine Strategie für die nächsten Nächte festlegen.
Bevor die Tür hinter mir ins Schloss fiel, fing ich Hisros Gesichtsausdruck auf und hörte Salena sagen: „Besonders gesprächig ist sie wohl nicht?“
Enttäuscht? Zwei auf einen Streich.
Kento lief mit geschmeidigen Schritten neben mir her, ebenfalls ein Funkgerät in der Hand. „Ich ziehe mich kurz um.“
Ich holte meinen Bogen und die Pistole und wartete vor seinem Zimmer. Als Kento die Tür öffnete, sah ich auf. Und erstarrte. Er trug nun ebenfalls einen schwarzen Kampfanzug mit 2 Pistolen an den Oberschenkeln und einem Katana-Schwert auf dem Rücken. Seine blauen Augen schauten mich so intensiv an, dass ich nicht blinzeln konnte. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen.
Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck und er grinste. „Na Schneeflocke, irgendwas gesehen, das dir gefällt?“
Mit Mühe unterdrückte ich ein Schnauben und wandte mich um. „Können wir endlich los?“
Kento lachte. Ruhig. Einatmen. Ausatmen.
An der frischen Luft sammelte ich mich, während wir Richtung Tor gingen. Pokerface. „Gib mir präzise Informationen über alle Anwohner und euer bisheriges Vorgehen.“
„Bitte“, sagte Kento mit einem Zucken seiner Mundwinkel und unüberhörbarem Spott in der Stimme.
Ich sah ihn an. Ausdruckslos, hoffte ich.
1, 2, 3 Herzschläge reagierte er nicht, dann schüttelte er den Kopf und begann zu erklären. „Es befinden sich derzeit sechsundvierzig menschliche Kinder im Ostflügel – zwischen zwei und siebzehn Jahren mit zwei Lehrern und einer Erzieherin. Zusätzlich beherbergen wir neun vampirische Kinder im Westflügel – zwischen vier und elf Jahren mit einem Lehrer und einer Erzieherin. Außerdem ein Hausmeister, zwei Hauswirtschaftskräfte, vier Vampirkämpfer, zwei Hunter und Shakile. Zufrieden, Jägerin?“
„Wer ist Ben?“
„Er ist ein Vampir, Lehrer der Kinder, seine menschliche Frau Sarah ist die Erzieherin der Vampirkinder, sie haben einen Sohn Josh, fünf Jahre alt.“
„Menschliche Frau?“ Ich starrte Kento an.
Menschliche Frau? Sohn?
„Ja.“ Inzwischen waren wir an der Mauer angekommen. „Wir essen abends um sieben alle zusammen im Speisesaal. Für die Vampire und uns bedeutet es Frühstück. Du wirst morgen Abend also Gelegenheit haben, die Lehrer und Kinder kennenzulernen. Shakile hielt es für falsch, uns zu separieren. Bisher habe ich nach dem Essen einen Rundgang um das Gelände absolviert oder war in Kathena, um mich umzuhören. Hisro und Delal kümmern sich um die Technik, Salena um die Sicherheit im Haus, Michael koordiniert alles und hält enge Kontakte zu den anderen Akademien. Also Jägerin, wie willst du vorgehen?“
Too much information. Ich schnippte in den Hunter-Modus und blendete alles andere aus. Alles zu seiner Zeit. Einmal atmen und ich hatte die nötige Distanz geschaffen. Körper und Geist wurden ruhig und fokussierten sich. Irgendwo in mir schlug Moona gegen eine Tür. Sie hasste diesen Zustand.
Selbst meine Stimme veränderte sich, gefror zu Eis. „Ich begleite dich auf dem Rundgang. Zeig mir alle Kameras, Bewegungsmelder und die Tageslichtlampen. Danach jede Kamera im Haus und die Sicherheitsvorkehrungen.“
Kento runzelte die Stirn.„Schneeflocke?“
Verwirrt? Verärgert?
„Crystal.“ Ich war ruhig. Das erste Mal, seit ich angekommen war, befand ich mich auf vertrautem Terrain. Ich hörte Kentos professionellen Erläuterungen konzentriert zu und speicherte die Lage der Überwachungsgeräte sowie jeden möglichen Geländeabschnitt, der einen Überfall begünstigen könnte, ab. Draußen blieb alles unauffällig und auch in der Akademie gab es keine besonderen Vorkommnisse.
„Wir werden morgen nach dem Essen trainieren. Die Schwächen und Stärken des anderen ausloten. In einem Kampf muss ich mich auf dich verlassen können.“
„Jawohl, Ma’am!“ Kentos Augen blitzen. „Weil du gerade von Essen sprichst … Zeit mit dir zu verbringen ist wirklich amüsant, aber ich bin keine Maschine.“
Moona riss meine innere Tür auf und ich schnappte aus meinem Zustand. Und schon ist der Ärger wieder da.
Wir aßen schweigend in der Küche. In der ich als Kind etliche Stunden auf der Suche nach etwas Leckerem für Lori und mich herumgewuselt war. In der ich von Martha so manchen Klaps auf die frechen Finger bekommen hatte.
Lori.
Ich versuchte, nicht zu denken, aber wann hatte das schon jemals funktioniert? Ich war am Ende meiner Kräfte. Müde. Ausgelaugt. Desillusioniert. Meine Vergangenheit saß mir im Genick.
Beim Aufstehen schwankte ich. Kento griff reflexartig nach meinem Arm, ließ ihn jedoch in Sekundenschnelle wieder los. „Und du bist auch keine Maschine“, flüsterte er.
Meine Haut brannte. Ich starrte auf mein Handgelenk und unterdrückte den Impuls, über die Stelle zu reiben. Die raue Wärme seiner Hand befand sich wie ein unsichtbarer Abdruck noch immer darauf.
Auf dem Weg zu unseren Zimmern waren seine Blicke allgegenwärtig, doch deren Bedeutung erschloss sich mir nicht.
„Schlaf gut, Jägerin.“ Schon war er verschwunden.
Ich besetzte als Erste das Bad und fiel dann todmüde in mein Bett. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken synchron zu meinem Herzschlag in Endlosschleife.
Zusammen essen
Vampirkinder
Vampir anhimmelnde Mädchen
Eisblaue Augen
Brennende Haut
Vom Himmel fallende Schneeflocken
Lori
Lori
Lori
Just like a pill
P!nk
1. Juni, Nacht 2
Eine Frau weint. Meine Mutter? Kalte, blaue Augen fixieren mich, blutige Krallen greifen nach mir. Ich bin starr vor Angst, gelähmt. Ein kleiner Junge mit sanften, braunen Augen nimmt mein Gesicht in seine Hände. „Keine Angst, Moona. Vater beschützt uns.“ Jäh verlieren seine Augen ihren Schimmer, sein Gesicht wird aschfahl, aus seinen Mundwinkeln fließt Blut, er kippt mir entgegen und ich schreie –
Ich schreckte auf. Dieser Traum. Man sollte meinen, ein Mensch könne nicht immer wieder dasselbe träumen. Mit müden Augen warf ich einen Blick auf die Uhr. Kurz nach zwölf. Vier Stunden Schlaf. Sonnenlicht fiel durch einen Spalt zwischen den Vorhängen.
Ich taumelte ins Bad und stoppte abrupt, die Türklinke in der Hand. Adrenalin schoss durch meinen Körper. Kento stand über ein Waschbecken gebeugt, seine Hände krallten sich wie haltsuchend um den Rand. Die Knöchel traten weiß hervor. Meine aufgerissenen Augen speicherten jedes Detail so präzise wie ein perfekt ausgeleuchtetes Foto. Wassertropfen, die vergessenen Tränen gleich von seinen nassen Haaren über sein Gesicht rannen. Narben auf seinem nackten Oberkörper, viele schmal und weiß, fast unscheinbar, andere lang und wulstig. Ein Spinnennetz der Erinnerungen. Sein Brustkorb hob und senkte sich in schneller Abfolge.
Als er mich sah, zuckte er zurück. Seine Augen wurden schmal und seine Stimme klang mühsam beherrscht. „Raus. Sofort.“
Ich brauchte 2 Herzschläge, um mich von seinem Anblick loszureißen und die Tür zu schließen. Unverzüglich hörte ich das Klicken, das sie von innen verschloss. Ich holte Luft und begann zu zittern.
Mein Kopf war voller Fragen, die ich nicht stellen würde. Nicht stellen konnte. Und dann … war da dieser Teil in mir. Den ich nicht kannte. Sobald ich die Lider schloss, erinnerte er mich an jede Einzelheit. Seine gezeichnete Haut. Den Schwung seiner Muskeln. Den eisigen Blick aus diesen verwirrenden Augen. Und wieder seine rauen Finger auf meinem Arm. Bevor ich es verhindern konnte, rieb ich mir das Handgelenk.
Ich ließ mich an der Tür zu Boden gleiten und bewegte mich keinen Millimeter weiter. Verloren. Es kostete mich unendliche Mühe, meinen Geist zu leeren. An einer stillen Meditation war ich immer gescheitert. Zu viele Dinge, denen ich mich nicht stellen wolle, wie Kun, mein Lehrmeister der Hunter Association, sagte. Als ich das Klicken des Türschlosses hörte, hatte ich mich wieder einigermaßen im Griff. Ich holte mir ein Glas klares Wasser, das ich hastig austrank. Mit dem Wasser versuchte ich alle übrigen Gedanken fortzuspülen und fiel dann in einen unruhigen Schlaf.
Um 16:00 Uhr hielt mich schließlich nichts mehr im Zimmer. Ich hatte lange überlegt, ob ich einem Rundgang durch die Akademie bei Tag gewachsen war und mich als Alternative für mein vernachlässigtes Training entschieden. In Sportkleidung, aber mit Messer an der Taille, öffnete ich leise die Tür. Feige. Ich nahm den kürzesten Weg nach draußen und atmete auf, als ich keiner Menschenseele begegnete. Früher oder später würde ich mich Shakile stellen müssen. Ganz zu schweigen von den anderen. Später war mir im Moment aber wesentlich lieber.
Nach ein paar Aufwärmübungen rannte ich los. Strahlender Sonnenschein. Genau wie früher lief ein befestigter Weg um das Gebäude. In der dritten Runde kribbelte mein Nacken. Ich wurde beobachtet. In der Akademie bewegten sich die Vorhänge im Erdgeschoss. Auf meinem Rückweg würde ich also nicht so viel Glück haben. Ich ließ mich nicht beirren und lief stoisch weiter. Dabei zählte ich stumm und kontinuierlich von 1 bis 10 und wieder zurück. Meine Schritte waren fest und gleichmäßig simultan zum Takt meines Herzens. Jemanden beim Laufen zu beobachten, musste doch irgendwann langweilig werden. Oder?
Ich hörte das Getuschel in der Eingangshalle schon vor der Tür. Kopf hoch. Pokerface. Ohne mich groß umzusehen, ging ich schweigend durch die Menge an Jungen und Mädchen, die in kleinen Grüppchen herumstanden. Wahrscheinlich waren einige von ihnen schon hier gewesen, als ich die Akademie vor sechs Jahren verlassen hatte. Schon damals hatte ich wenig Kontakt gesucht.
Ich hatte die Halle fast durchquert, als eine bekannte Stimme meinen alten Namen rief. „Moona!“
„Martha?“ Ich drehte mich zu der drallen, älteren Frau um, die mit in die Hüfte gestemmten Händen in ihrer Küchenschürze vor mir stand.
„Ja, Mädchen, da kommste nach Hause und sagst nich’ mal Hallo!“
Mein Herz rumpelte. Warum hatte ich nicht daran gedacht, dass sie noch immer hier sein würde? So oft hatte ich bei ihr in der Küche gesessen, ohne viel zu reden, mit einer Aufgabe betraut, die mich alles andere hatte vergessen lassen. Kartoffeln schälen, Soßen rühren, Gemüse putzen. Sie drängte sich nie auf, gab keine Ratschläge, war einfach da mit ihrem Optimismus, ihrer Lebensfreude, ihrem verständnisvollen Lächeln. ‚Geht auch alles in de Binsen, immer musste freudig grinsen.‘ Wie sie mich jetzt halb vorwurfsvoll, halb freudig anschaute, gab mir ein lang vergessenes Gefühl zurück: Zuhause.
„Ich bin ganz verschwitzt“, sagte ich mehr als lahm und drückte mich um den Hinweis, dass ich eigentlich nicht mehr Moona war.
„Papperlapapp.“ Martha zog mich in ihre Arme und mir blieb nichts anderes übrig, als die Umarmung zu erwidern. Es fühlte sich gut an.
Unerwartet.
„Komm nich’ zu spät zum Essen und erzähl mir dann alles!“ Sie drohte mir mit dem Finger und verschwand in Richtung Küche.
Ich schaute ihr konfus hinterher. Um mich herum die starrenden Schüler, die prompt ihre Köpfe senkten, sobald ich in ihre Richtung blickte. Dieser Job brachte mich schon jetzt an meine Grenzen, ohne dass ich einen einzigen Kampf ausgetragen hatte.
Natürlich schwang Kentos Zimmertür in dem Moment auf, als ich daran vorbeiging. Er trug Blue Jeans und ein enges, weißes Shirt, von dem ich wünschte, ich hätte es nicht registriert. Er musterte mein verschwitztes Outfit von oben bis unten mit einem anzüglichen Grinsen. In seinem Gesicht keine Spur von letzter Nacht.
„Hey Schneeflocke, spar deine Kräfte lieber für unser Training.“
Argh. „Mit dir werde ich locker fertig“, entgegnete ich gereizt.
Kento zog eine Augenbraue nach oben. „Wetten?“
Da ich mir selbst nicht traute, hielt ich den Mund und schloss eilig meine Tür. Ich hätte gern damit geknallt. Der Kerl ließ meine Schaltkreise implodieren. Ruhig. Einatmen. Ausatmen. Nicht einmal 24 Stunden war ich hier und nie weniger Crystal. Doch Crystal war unverzichtbar, um den Tag zu überstehen. Also atmen, zählen, fokussieren. Eine kalte Dusche später und in frischer schwarzer Hose, Tanktop und Shirt mit dem obligatorischen Silbermesser hatte ich mich gesammelt. Ich hatte kaum andere Kleidung und die vertraute Kluft schenkte mir Ruhe. Meine nassen Haare fielen geflochten schwer auf meinen Rücken.
Auf in den Kampf.
Im Speisesaal herrschte eine ausgelassene Stimmung. Delal befand sich in einer Traube kichernder Mädchen, aber auch am Tisch, wo Michael und Kento saßen, drückten sich einige Schülerinnen herum und warfen den beiden heimliche Blicke zu.
„Crys“, rief Salena plötzlich durch den Raum und winkte mir fröhlich zu. Was ist das mit dieser Vampirin?
Im nächsten Augenblick rempelte mich jemand von hinten an. Instinktiv zog ich in der Drehung schon mein Messer, packte den Angreifer und drückte die Waffe einem kleinen Jungen mit weit aufgerissenen Augen direkt an die Kehle. Der ganze Saal schien die Luft anzuhalten, so still war es jäh.
„Josh!“, „Crystal!“ ertönte es gleichzeitig von mehreren Seiten.
Josh, der Vampirjunge also.
„Du hast ein Messer dabei?