Curious Tides - Pascale Lacelle - E-Book
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Curious Tides E-Book

Pascale Lacelle

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Beschreibung

Ein Roman wie eine Flutwelle – Bildgewaltige Dark-Academia-Fantasy um eine junge Mondmagierin, ein mächtiges Geheimnis und eine unwiderstehliche Liebe Emory war bisher höchstens eine mittelmäßige Heilerin, und dass sie einen Platz am renommierten Aldryn College für Mondmagie ergattert hat, verdankt sie allein ihrer besten Freundin Romie. Romie war immer die mächtigere Magierin, die Klügere, die Hübschere, der niemand widerstehen konnte. Doch nun ist Romie tot. Ertrunken in einer Meereshöhle, bei einer dummen Mutprobe, zusammen mit acht anderen Erstsemestern. Nur Emory hat überlebt, und seither hat sich ihre Magie in etwas Mächtiges, Dunkles verwandelt. Niemand darf je davon erfahren. Doch die Blicke des undurchschaubaren Keiran treffen Emory mitten ins Herz: Ahnt er etwas?  Der New York Times Bestseller jetzt auch endlich auf Deutsch! Die Fantasy Neuerscheinung 2024 von Pascale Lacelle, packend und poetisch erzählt. Der Beginn einer epischen Romantasy Dilogie für alle Fans von Fourth Wing, Ravenhall Academy oder Atlas Six. Voller Action, Spannung, Magie und Romantik. 

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EPUB

Seitenzahl: 803

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Pascale Lacelle

Curious Tides

Die Gezeiten-Dilogie

Band 1

 

Aus dem Englischen von Bea Reiter

 

Über dieses Buch

 

 

Alle Bände der Gezeiten-Dilogie:

Band 1: Curious Tides

Band 2: Stranger Skies (erscheint im Frühjahr 2025)

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Pascale Lacelle ist eine französisch-kanadische Schriftstellerin aus Ottawa, Ontario. Seit sie lesen kann, verschlingt sie Bücher und begann im Alter von 13 Jahren selbst zu schreiben, wobei sie schnell von der Magie der Worte in den Bann gezogen wurde. Nachdem sie ihren Bachelor-Abschluss in französischer Literatur gemacht hatte, stellte sie fest, dass ihr literarisches Herz der englischen Sprache gehört (bitte nicht ihren französischen Professoren verraten). Wenn Pascale sich nicht in Geschichten verliert, träumt sie wahrscheinlich von Essen und Reisen, spielt mit ihrem Hund Roscoe oder versucht, die perfekte Playlist für jede mögliche Stimmung zusammenzustellen.

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de

Inhalt

[Widmung]

[Warnung]

[Karte des Aldryn College]

Die Mondhäuser & ihre Gezeitenausrichtung

[Haus Neumond]

[Haus Zunehmender Mond]

[Haus Vollmond]

[Haus Abnehmender Mond]

[Haus Eklipse]

Im Frühjahr

Lied der ertrunkenen Götter

1 Emory

2 Baz

3 Emory

4 Baz

5 Emory

6 Baz

7 Emory

Lied der ertrunkenen Götter

8 Baz

9 Emory

10 Baz

11 Emory

12 Baz

13 Emory

14 Baz

15 Emory

16 Baz

Lied der ertrunkenen Götter

17 Emory

18 Baz

19 Emory

20 Baz

21 Emory

22 Baz

23 Emory

24 Baz

Lied der ertrunkenen Götter

25 Emory

26 Baz

27 Emory

28 Baz

29 Emory

30 Baz

31 Emory

32 Baz

33 Emory

34 Baz

Lied der ertrunkenen Götter

35 Emory

36 Baz

37 Emory

38 Baz

39 Emory

40 Baz

41 Emory

42 Baz

Epilog

Lied der ertrunkenen Götter

[Karte der Welt von Curious Tides]

Danksagung

Die Geschichte von Emory und Bazgeht weiter in Band 2:

In einem egoistischen Moment habe ich beschlossen, dass dieses Buch für mich ist:

 

Für mein Teenager-Ich, das zu träumen gewagt hat.

 

Für mein zwanzig Jahre altes Ich, das die Hoffnung aufgegeben hat.

 

Für mein dreißig Jahre altes Ich, das es noch einmal versucht hat – und geflogen ist.

Dieses Buch behandelt und schildert eine Reihe von Themen, die schwierig sein können, darunter Tod, Trauer, Brandzeichen, Branding/Tattoos, Body-Horror, leichte Panikattacken, Ängste und Depressionen, Aderlass, selbstverletzendes Verhalten, Alkoholkonsum, Missbrauch magischer Substanzen und magische Nervenheilanstalten/Gefängnisse.

Die Mondhäuser & ihre Gezeitenausrichtung

Haus Neumond

Luna-Nova-Wohnheim

 

 

 

Heiler (Flut)

können sich selbst und andere heilen

 

Seher (Ebbe)

Gabe der Prophezeiung, haben Visionen

 

Schattenführer (Flut)

können hinter den Schleier blicken und mit Geistern kommunizieren

 

Dunkelträger (Ebbe)

können die Dunkelheit beeinflussen

Haus Zunehmender Mond

Luna-Crescens-Wohnheim

 

 

 

Säer (Flut)

können Pflanzen und andere kleine Organismen wachsen lassen und diese verändern

 

Manipulanten (Ebbe)

können Zwang ausüben; haben Charisma und Einfluss auf andere

 

Verstärker (Flut)

können Ausmaß und Wirkungsbereich anderer Magien intensivieren

 

Wortschmiede (Ebbe)

können Dinge manifestieren

Haus Vollmond

Luna-Plena-Wohnheim

 

 

 

Seelenwächter (Flut)

können Gefühle manipulieren; sind Empathiker und Aura-Seher

 

Schutzwirker (Ebbe)

können Schutzzauber ausführen und magische Angriffe abwehren

 

Reiniger (Flut)

können Reinigungszauber ausführen und Energien wieder ins Gleichgewicht bringen

 

Lichthüter (Ebbe)

können das Licht beeinflussen

Haus Abnehmender Mond

Luna-Decrescens-Wohnheim

 

 

 

Träumer (Flut)

können Träume manipulieren und in diesen erscheinen; können andere in Schlaf versetzen

 

Rätsellöser (Ebbe)

können Geheimnisse aufdecken und Codes knacken; können Zauber umkehren

 

Memoristen (Flut)

können Erinnerungen sehen und manipulieren

 

Todbringer (Ebbe)

können anderen das Leben nehmen; töten durch Berührung

Haus Eklipse

Obscura-Wohnheim

 

 

 

Mondfinsternisse lassen Varianten anderer Mondmagien entstehen

 

Sonnenfinsternisse lassen selten vorkommende neue Fähigkeiten entstehen, die über andere Mondmagien hinausgehen

Im Frühjahr

Sie ertrank in einem Meer aus Sternen.

Emory wusste, dass sie jetzt sterben würde, erdrückt von dieser seltsamen Flut. Sie hoffte, dass der Körper, der sie streifte, Romie war; sie wollte nicht allein sterben.

Die Dunkelheit zwischen den Sternen barg Erinnerungen, die sie vergessen wollte: eine Höhle, die sich wie der Schoß einer Mutter anfühlt, die Studenten darin, Romie, die angesichts des schnell und unausweichlich hereindringenden Meeres die Augen aufreißt.

Wir sind geboren aus dem Mond und den Gezeiten, und zu ihnen kehren wir zurück.

Doch Emory war noch nicht bereit dazu.

Der Gedanke war ein Rettungsanker, nach dem sie griff; ihre Hände gruben sich in den nassen Sand, bis sie etwas Festes, Schweres fanden, an dem sie sich festhalten konnten.

Emory, Emory, flüsterte das Meer, als wollte es sie nicht gehenlassen. Doch es gab sie frei, während sie ans Ufer kroch. Die zurückweichenden Wellen ließen die Form des Ankers im Sand sichtbar werden.

Emory wich zurück, ein Schrei blieb ihr im Hals stecken.

Eine Leiche, die Gliedmaßen unnatürlich verrenkt.

Drei weitere Leichen lagen in der Nähe, mit blauen Lippen, zu stummen Schreien verzerrt. Doch während Emory die bleichen Gesichter und leeren Blicke musterte, war ihr einziger Gedanke, dass keine davon Romie war.

Und wenn das der Tod war, dann war es eine grausame Strafe, sie am Ende aller Dinge voneinander zu trennen.

Deine Schuld, schienen die Sterne zu sagen.

Emory wagte es nicht, ihnen zu widersprechen.

Lied der ertrunkenen Götter

I. Teil:

Der Gelehrte

Hierzulande gibt es einen Gelehrten, der Geschichten atmet. Er atmet alle möglichen Erzählungen ein, hütet sie in seiner Seele, und wenn seine Lungen vor lauter Wörtern schier bersten wollen, atmet er aus und haucht seinen Geschichten Leben ein. Und so atmet er Wörter ein und atmet sie wieder aus, ein und aus und wieder ein, wie der verhaltene Rhythmus des Meeres, bis er eines Tages ein seltsames Buch findet, das selbst die Gezeiten von ihrem vorbestimmten Kurs abbringt.

»Im Zentrum aller Dinge gibt es eine Welt, in der ertrunkene Götter ein Meer aus Asche regieren«, beginnt das Buch. »Ihre Herrschaft ist ungewollt, denn in dieser trostlosen Welt wurden sie ihrem Schicksal überlassen und sind nur noch ein trauriges Abbild dessen, was sie früher einmal waren. Sie warten auf die Helden, von denen sie eines Tages vielleicht befreit werden. Kannst du ihr Flehen hören? Es ist ein Lied, das vom Wind wie Asche davongeweht und durch alle Welten getragen wird, und vielleicht findet sich auch ein Teil davon auf ebendieser Seite. Sieh genauer hin. Spitz die Ohren. Die ertrunkenen Götter rufen dich; wirst du antworten?«

Die Geschichte in diesem Buch fasziniert den Gelehrten so sehr, dass er sich unter einem farblosen Himmel wiederfindet, allein in der Stille einer riesigen Aschefläche. In der Hand hält er das Buch, das einzig Reale in dieser seltsamen Welt, doch bevor er dessen Bedeutung verstehen kann, wird er zu seinem College am Meer zurückgetragen, wo das Buch zu Staub zerfällt und die Erinnerung an die darin beschriebene Welt zu verblassen beginnt. Er hätte es für einen Traum halten können, wären da nicht der Geschmack von Asche auf seiner Zunge gewesen, die dünne graue Schicht auf Kleidung und Haaren und der unerschütterliche Glaube, der jetzt durch seine Adern fließt.

Für den Gelehrten sind Geschichten immer das gewesen, was Schiffe für einen Seefahrer sind: Gefährte, die ihre Leser an ferne Gestade, in ferne Welten bringen. Portale auf einer Seite.

Und in dem Buch hat er ein solches Portal gefunden. Keine Metapher, kein Hirngespinst, sondern ein reales. Eine Symphonie aus ertrunkenen Göttern, die ihm ein Zeichen geben: Komm. Suche uns, so wie wir dich suchen.

Der Gelehrte folgt ihrem Rufen, und damit beginnt unsere Geschichte.

1Emory

Heute war der erste Tag eines neuen Monds, und an den Ufern des Aldermeeres herrschte gerade Ebbe.

Früher einmal war das für Emory Ainsleif unwichtig gewesen, doch das war vor der Nacht, in der ihr Leben von diesen Details abhängig geworden war. Jetzt war der Mond nicht mehr länger nur ein Mond und die Flut etwas, vor dem sie sich fürchtete. Obwohl Emory dankbar war, dass am Spätsommerhimmel noch immer die Sonne schien, spürte sie ein wachsendes Unbehagen in sich.

Vor ihr ragte das Aldryn College für Mondmagien auf, ein mit Efeu bewachsenes Gebäude auf einem gewaltigen Hügel, der steil zum aufgewühlten Meer hin abfiel. Emory grub die Fingernägel in die Handfläche, als sie das Salzwasser auf der Zunge spürte, eine Sinnestäuschung, von der sie immer noch geplagt wurde. Blut quoll aus der Wunde. Sie schloss die Augen und genoss den stechenden Schmerz, bevor die Magie in ihren Adern sie heilen konnte. Es war ein ganz gewöhnlicher Schmerz. Fast tröstlich. Ganz anders als das unerträgliche Pochen der Bilder in ihrem Kopf, die der Anblick von Aldryn in ihr auslöste. Eine blutverschmierte Felssäule, eine silberne Spirale, die auf ihrem Handgelenk erschien, vier Leichen, die mit verrenkten Gliedern im Sand lagen.

Doch diesen Schmerz konnte sie nicht heilen, egal, wie oft sie es auch versuchte.

»Sie gehören zu Haus Neumond, stimmt’s?«

Emory hob den Kopf. Der Fahrer musterte sie im Rückspiegel und deutete auf ihre Hand, wo das Zeichen ihres Mondhauses auf ihrer hellen Haut schimmerte. Eine schwarze Scheibe, um die sich eine silberne Narzisse rankte. Das Tattoo starrte sie an, als würde es Anstoß daran nehmen, mit Blut befleckt zu werden. Schuldbewusst wischte sie es weg, sah aber nur Tod in dem filigranen Zeichen.

»Welche Gezeitenausrichtung haben Sie?«

»Heilen.«

Der Fahrer stieß einen beeindruckten Pfiff aus. Seine Hände, die das Steuer umfasst hielten, waren nicht tätowiert. Alle Menschen wurden mit magischen Fähigkeiten geboren, ein Tropfen davon fand sich im Blut eines jeden, doch nur jene, die talentiert genug waren, trugen auch das Zeichen ihres Hauses und studierten an Orten wie Aldryn.

»Mein Cousin zweiten Grades ist auch in Haus Neumond«, sagte der Fahrer. »Schattenführer. Arbeitet bei einem Bestatter in Threnody.« Er unterdrückte einen Schauder und murmelte etwas davon, dass man sich von den Toten fernhalten solle.

Emory konnte den spitzen Kommentar fast hören, den Romie auf eine solche Bemerkung gemacht hätte. Die Menschen haben Angst vor dem, was sie nicht verstehen, würde sie sagen und dann angesichts einer solchen Ignoranz verächtlich die Nase rümpfen. Doch auch der Tod hat etwas Schönes an sich.

Einem Heiler gegenüber, dessen Berührung mitunter weitaus wirksamer sein konnte als jede moderne Medizin, würde es niemand wagen, missbilligend die Stirn zu runzeln. Doch einige magische Begabungen, wie etwa die Fähigkeit eines Schattenführers, mit Geistern zu kommunizieren, oder die verhängnisvolle Berührung eines Todbringers, waren den meisten Menschen nicht geheuer – vor allem solchen nicht, die nur wenige bis überhaupt keine Zauberkräfte besaßen. Im Gegensatz zu uns verstehen sie nicht, dass der Tod genauso zum heiligen Zyklus gehört wie das Leben, würde Romie sagen.

Was ihren Tod nicht erträglicher machte.

»Wir sind da«, murmelte der Fahrer, als das Taxi auf dem Hügel angekommen war. »Aldryn College.«

Alles in Emory krampfte sich zusammen, als sich die schweren Eisentore mit einem lauten Ächzen öffneten und der aus Silber geschmiedete Wahlspruch des Colleges in der Mitte geteilt wurde: Post tenebras lux; iterum atque iterum.

Nach Dunkelheit Licht; immer wieder.

Unter den Reifen des Taxis knirschte Kies. Emory hätte dem Fahrer am liebsten gesagt, er solle anhalten und umdrehen, doch die Tore schlossen sich bereits und fielen mit einem lauten Knall hinter ihnen zu. Sie war so nervös, dass ihr fast schlecht wurde, als sie die vertrauten Steinstufen sah, die in den viereckigen Innenhof des Colleges führten und von hoch aufragenden Ulmen flankiert waren. Der Fahrer hielt an. Emory gab ihm ein paar Münzen und griff nach ihrer Schultertasche. Kaum war sie aus dem Taxi gestiegen, wünschte sie, sie wäre einfach sitzen geblieben, für immer. Die Anonymität, die es ihr verschaffte, fehlte ihr jetzt schon, das Gefühl, nirgendwo, nirgendwann und nirgendwer zu sein, solange sie sich in diesem Schwebezustand befand: zwischen dem Leben, das sie am Morgen hinter sich gelassen hatte, und dem, das sie in Aldryn erwartete.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die acht Stufen nach oben ging, eine für jede Mondphase: eine Stufe für den Neumond, drei für den zunehmenden Mond, eine für den Vollmond und drei für den abnehmenden Mond.

Auf der obersten Stufe zögerte sie genauso wie letztes Jahr, doch damals war sie vor Aufregung nervös gewesen. Jetzt sind wir endlich auf dem College, hatte Romie an ihrem ersten Tag als Studienanfängerin gesagt, während sie mit weit aufgerissenen Augen den berühmten Campus vor sich angestarrt hatte. Hier werden wir uns neu erfinden, hier können wir sein, wer wir sein wollen. Und obwohl Emory darauf gebrannt hatte, genau das zu tun, hatte sie nie verstanden, warum jemand wie Romie nicht mehr sie selbst sein wollte, so durch und durch charmant und einzigartig auf eine Art und Weise, von der Emory nur hatte träumen können. Für sie war das College eine Chance, mehr zu sein als das, was sie ihr ganzes Leben lang gewesen war: das Mädchen, das nirgendwoher kam, das immer die Zweitbeste war, das befürchtet hatte, nicht in Aldryn angenommen zu werden, weil seine Magie im Vergleich zu der seiner besten Freundin alles andere als bemerkenswert gewesen war.

Aldryn war so etwas wie eine unbeschriebene Tafel, die erste Seite in einem neuen Notizbuch, die nur darauf wartete, gefüllt zu werden.

Emory fuhr mit dem Finger über die Narbe an der Innenseite ihres Handgelenks, eine silberne Spirale, die an der Daumenwurzel begann und sich bis zu dem zarten Geflecht von blauen Adern an ihrem Pulspunkt zog. Ihr Blick wanderte zu dem Brunnen in der Mitte der Rasenfläche, wo die Gezeiten des Schicksals über die Namen der Ertrunkenen wachten. Jetzt war es zu spät, um das auszuradieren, was bereits in Silber und Blut geschrieben stand, dachte sie. Zu spät, um überhaupt darüber nachzudenken, wie ihr schien. Auf dem Hof war es ungewöhnlich ruhig, und die wenigen Nachzügler, die durch die Kreuzgänge eilten, machten Emory klar, dass ihr Zug viel zu spät angekommen war: Die Stimme der Dekanin drang bereits aus der Aula, wo sie wie immer ihre Willkommensrede hielt.

Emory fluchte. Sosehr sie diesen Teil auch hasste – am liebsten wäre sie jetzt auf ihr Zimmer gerannt, hätte die Tür hinter sich verriegelt und wäre den anderen für den Rest des Semesters aus dem Weg gegangen –, sie war aus einem ganz bestimmten Grund zurückgekehrt, mit einem Plan in der Tasche. Und hier und jetzt fing alles an.

Sie versuchte, sich unbemerkt in den dunklen, holzvertäfelten Raum zu schleichen, doch die schwere Tür glitt ihr aus den Fingern und fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Köpfe drehten sich zu ihr um. Emory schoss das Blut in die Wangen, und sie ertappte sich dabei, wie sie in dem Meer aus Gesichtern nach der einen Person suchte, die ihr das alles leichter gemacht hätte. Ein Anker im Sturm, so wie immer, bevor alles anders geworden war und das Mädchen, das Emory seit ihrer Kindheit kannte, angefangen hatte, ihr zu entgleiten, mitgerissen von etwas weitaus Finsterem als der Flut, in der es umgekommen war.

Doch Romie war nicht da. Und ihr Bruder anscheinend auch nicht. Erleichterung und Schuldgefühle stiegen in ihr auf, doch bevor Emory darüber nachdenken konnte, packte sie ihre Tasche fester und nahm sich den ersten freien Platz, den sie finden konnte. Sie behielt den Kopf oben, blickte starr in eine Richtung und versuchte, die Sorglosigkeit an den Tag zu legen, mit der Romie an ihrer Stelle reagiert hätte. Trotzdem spürte sie die Blicke, die ihr zugeworfen wurden, und hörte, wie das Gemurmel immer lauter wurde.

Das ist das Mädchen, das aus der Höhle zurückgekommen ist.

Die Studentin, die die Bestie überlebt hat.

Die Einzige, die nicht in der Flut umgekommen ist.

Dekanin Fulton räusperte sich und bat um Ruhe. »Ich muss wieder einmal darauf bestehen, dass sich alle Studierenden von Dovermere fernhalten. Nach den tragischen Ereignissen im Frühjahr muss ich es noch einmal wiederholen: Die Höhle ist gefährlich, die Gezeiten dort sind unberechenbar, daher bleibt der Zutritt streng verboten.«

Der Blick aus ihren dunklen Augen streifte Emory, als sie fortfuhr: »Ich beschwöre euch: Denkt an jene, die umgekommen sind. Denkt an Quince Travers und Serena Velan von Haus Neumond und an Dania und Lia Azula von Haus Zunehmender Mond. Denkt an Daphné Dioré und Jordyn Briar Burke von Haus Vollmond und an Harlow Kerr und Romie Brysden von Haus Abnehmender Mond. Vergesst ihre Namen nicht. Haltet sie in Ehren, indem ihr dafür sorgt, dass niemand das gleiche grausame Schicksal erleidet. In dieser Höhle ist weder Ruhm noch Ehre zu finden. Nur der Tod.«

Emory grub wieder die Fingernägel in ihre Haut, als einige der Studenten in ihre Richtung sahen. Tränen schossen ihr in die Augen, doch sie riss sich zusammen. Sie hatte Monate gebraucht, um sich auf diesen Moment vorzubereiten. Sie hatte gedacht, dass sich die Lage in den Sommerferien wieder entspannen würde, dass der Schock angesichts der Tragödie allmählich nachließ und die Studenten des Aldryn College vergaßen. So wie sie versucht hatte zu vergessen.

Acht ihrer Kommilitonen waren tot, und Emory war die Einzige, die überlebt hatte.

Ihr kam der absurde Gedanke, dass die Bilder in ihrem Kopf, die sie nicht loswerden konnte, vielleicht auch für die anderen zu sehen waren. Neun Mädchen und Jungen im ersten Jahr ihres Studiums standen im Kreis um eine Felssäule, auf den blutigen Handgelenken ein Zeichen in Form einer Spirale, die in der Dunkelheit silbern schimmerte. Das Donnern der Flut, die früher als erwartet hereinbrach, der Tod, der sie holen kam. Das Meer und die Sterne und ihr Name als Flüstern in ihrem Ohr.

Leichen im Sand.

Wie dumm von ihr, dass sie gedacht hatte, sie könnte das alles so einfach vergessen.

Die Dekanin redete weiter, doch Emory hörte kein einziges Wort. Erst als die Studenten aufhörten, sie anzustarren, atmete sie tief durch und öffnete langsam die Fäuste. Blut quoll unter ihren Fingernägeln hervor, ihre Handflächen waren zerfetzt, doch die Wunden schlossen sich bereits wieder. Ihre Heilkräfte taten ihr Werk auch ohne großes Zutun ihrerseits; sie reagierten auf den Sog des Neumonds, von dem sie gesteuert wurden. Für Emory war es ein kleiner Trost, dass der Druck in ihren Adern abnahm. Den ganzen Sommer über hatte sie diesen unerklärlichen Druck gespürt, wie ein Jucken, das sich nicht wegkratzen ließ und zu einem schmerzhaften Pochen wurde, wenn sie sich nicht zur Ader ließ.

Ihr Blick fiel auf die geöffneten Fenster hinter der Dekanin. Die leichte Brise, die in den Raum wehte, kam ihr nicht geheuer vor. Sie hätte schwören können, dass ein Flüstern hereindrang, dass das Meer nach ihr rief und sich um ihre Glieder schlingen wollte, um sie nach unten zu ziehen, in die Tiefe …

Emory entdeckte ihn aus den Augenwinkeln. Er saß ein paar Reihen von ihr entfernt, eine Barriere zwischen ihr und den Fenstern, zwischen ihr und dem Meer draußen. Als er sie über die Schulter hinweg anstarrte, fiel das Licht, in dem winzige Staubteilchen tanzten, auf eine Seite seines Gesichts, der Rest seiner Züge lag im Schatten. Sein durchdringender Blick holte sie wieder an die Oberfläche, ließ alles ruhig werden. Emory erkannte den gutaussehenden Jungen mit den schönen Augen wieder. Sie waren das Erste gewesen, was sie wahrgenommen hatte, als sie neben den verstümmelten, aufgequollenen Leichen aufgewacht war.

Du lebst, hatte er gesagt, und das Donnern der anschwellenden Flut hätte seine Worte fast übertönt. Du bist okay. Sie hatte sich verzweifelt an diese Worte geklammert. Eine Rettungsinsel, die sie über Wasser hielt.

Keiran Dunhall Thornby war die perfekte Verkörperung seines Mondhauses, das strahlend helle Licht eines Vollmonds voller Verheißungen, und allein schon seine Anwesenheit hatte die Dunkelheit jener mondlosen Nacht vertrieben. Jetzt sah er sie so eindringlich an, als müsste er sich vergewissern, dass sie tatsächlich noch am Leben war. Alle anderen schienen zu verschwinden, und für einen kurzen Augenblick hatte Emory das Gefühl, als wären sie wieder am Strand und würden angesichts des Grauens um sie herum erschauern. Doch dann blinzelte sie. Er drehte sich um. Und von jetzt auf gleich war der Moment vorbei und verschwand wie Gischt im Sand.

Emory strich über das spiralförmige Zeichen auf ihrem Handgelenk und rechnete fast damit, dass es anfing, silbern zu schimmern, wie beim ersten Mal, als es durch irgendeine sonderbare, uralte Magie in der Höhle von Dovermere erschienen war. Sie wusste noch, dass Keiran sie in jener Nacht am Handgelenk gepackt hatte, konnte sich an den merkwürdigen Ausdruck in seinem Gesicht erinnern, als er das Zeichen angestarrt hatte, das er an der gleichen Stelle trug – zwei identische Spiralen in mattem Silber auf ihrer Haut. Es hatte sie den ganzen Sommer über verfolgt, weil es unmöglich war, dass er mit dem gleichen Symbol gezeichnet war, denn er war in jener Nacht gar nicht in der Höhle gewesen, er hatte nicht an dem Ritual teilgenommen, bei dem jeder gebrandmarkt worden war, der so dumm gewesen war, dabei mitzumachen. Trotzdem hatte er sie mitten in der Nacht am Strand gefunden. Als hätte er darauf gewartet, dass sie – jemand – es lebend aus der Höhle schaffte.

Sie war sicher, dass er etwas über die Geschehnisse in Dovermere wusste. Nur aus diesem Grund war sie nach Aldryn zurückgekommen. Es war das Einzige, das sie aus dem Ozean der Trauer gerettet hatte, in dem sie zu ertrinken drohte. Sie würde vor nichts zurückschrecken, um Antworten zu bekommen.

»… und wünsche euch allen ein erfolgreiches Semester. Vielen Dank.«

Die Abschiedsworte der Dekanin rissen Emory aus ihrer Benommenheit. Die Studenten waren bereits aufgestanden und unterhielten sich angeregt miteinander, während sie sich mit Handschlag und Schulterklopfen begrüßten und einander nach den Sommerferien fragten. Emory wurde schmerzhaft bewusst, dass ihr das alles egal war.

Sie behielt Keiran im Blick und wappnete sich für das, was sie tun musste. Ihre Gedanken rasten so schnell wie ihr Herz, während sie im Geist die Fragen durchging, die sie ihm stellen wollte. Geh zu ihm, sagte sie sich. Es ist ganz einfach. Doch es fühlte sich alles andere als einfach an. Ohne Romie, die immer das Reden für sie übernommen hatte, war es an Emory, selbstbewusst und mutig zu sein, was ihrer ruhigen, schüchternen Persönlichkeit entschieden widersprach.

Als sie auf ihn zuging, trafen sich ihre Blicke, und sie war froh, dass sie nicht zögerte. Sie ballte ihre verschwitzten Hände zu Fäusten, unterdrückte ihre Angst – und blieb stehen, als eine Gruppe älterer Studenten auf Keiran zukam und ihn ablenkte.

Ernüchtert sah Emory zu, wie er von einer hübschen Rothaarigen auf die Wange geküsst wurde und ihm einige der Jungen begeistert die Hand schüttelten. Keiran lächelte die ganze Zeit und wirkte so charmant und entspannt, dass sie Mühe hatte, den völlig durchnässten Jungen aus ihrer Erinnerung in ihm zu erkennen.

Emory schien, als hätte jemand in dem Wirrwarr aus Stimmen ihren Namen gerufen. Sie sah, wie ihr jemand von der anderen Seite der Aula aus zuwinkte. Es war Penelope West, eine der wenigen, mit denen sich Emory abgesehen von Romie letztes Jahr angefreundet hatte, und die genau wie sie aus Haus Neumond war und auch in den meisten ihrer Kurse. Sie hatte Penelope immer gemocht, doch angesichts ihrer überschwänglichen Art und ihres ständigen Geplappers war der Gedanke, sich mit ihr – oder irgendjemand anderem – zu unterhalten, plötzlich unerträglich.

Antworten von Keiran zu bekommen, würde warten müssen.

Bevor Penelope sich zu ihr durchkämpfen konnte, schlich Emory sich aus der Aula und beeilte sich, in ihr Zimmer zu gelangen.

Die Mittagssonne brannte auf den Hof herab und fiel in breiten Streifen zwischen die Säulen, von denen die Kreuzgänge gesäumt wurden. Emory ging quer über den Rasen zu den Zimmern der Studienanfänger. In der Nähe des Brunnens, wo die Gezeiten des Schicksals – Bruma, Anima, Aestas und Quies – lange Schatten auf den Boden warfen, wurde sie langsamer. Die vier Gottheiten, die über die Mondhäuser herrschten, standen mit dem Rücken zueinander in der Mitte des Beckens und bildeten einen Kreis in der Reihenfolge der Mondphasen, deren Symbol sie waren. Die junge Bruma verkörperte den Neumond, die schöne Anima den zunehmenden Mond, die mütterliche Aestas den Vollmond und die weise alte Quies den abnehmenden Mond. Passenderweise erreichte das Sonnenlicht nur Anima und Aestas, so dass die beiden anderen im Schatten lagen.

Jede der Gezeiten blickte zu einem Weg, der zu einem der vier Wohnheime führte: das düstere Luna-Nova-Wohnheim, dessen Tür schwarz angestrichen war wie der Himmel bei Neumond und Studenten aus Emorys Haus aufnahm, die Heilkräfte und die Gabe der Prophezeiung besaßen; das lebhafte Luna-Crescens-Wohnheim, in dem alle untergebracht waren, die bei zunehmendem Mond geboren waren und sich mit Wachstum, Verstärkung und Manifestation beschäftigten; das imposante Luna-Plena-Wohnheim für jene, die zu Haus Vollmond gehörten und sich mit Licht, Schutz, Reinheit und Achtsamkeit befassten; und das Luna-Decrescens-Wohnheim, so dunkel und geheimnisvoll wie die Studenten von Haus Abnehmender Mond, deren Kräfte mit Geheimnissen und Träumen, Erinnerungen und Tod zu tun hatten – und die Romies Kommilitonen gewesen waren, als sie noch gelebt hatte.

Es gab noch ein fünftes Wohnheim, doch über Haus Eklipse wachte keine der Gezeiten, und kein Weg führte zu seiner unscheinbaren, fast versteckten Tür.

Emory blieb beim Brunnen stehen. Sie strich mit den Fingern über das heilige Wasser, das der Legende nach von den Gezeiten selbst gesegnet worden war. Das Wasser kam aus Dovermere, einer Höhle, die so rätselhaft war wie die Gezeiten selbst und einer der Gründe, warum Aldryns Gründer das College in unmittelbarer Nähe davon gebaut hatten. Den Studenten war es ausdrücklich verboten, Wasser aus dem Brunnen zu holen, und erst recht, es für einen Aderlass zu verwenden. Mit Hilfe dieses Rituals konnten Mitglieder der vier Häuser ihre Magie auch dann aktivieren, wenn sich der Mond nicht in der für sie maßgeblichen Phase befand und die Kräfte in ihrem Blut ruhten. Doch das Wasser zu berühren, galt als tröstend.

Bei Emory war das nicht so.

Als sie ihre Hand zurückzog, fielen ihr die Blumen auf, die auf dem Wasser trieben, zwei für jedes Mondhaus: schwarze Narzissen, blaue Malven, weiße Orchideen und lila-schwarze Mohnblumen. Acht Blumen, eine für jeden der Namen, die man den Silbertafeln zu Füßen der Gezeiten hinzugefügt hatte, damit sie in der Tiefe über sie wachten.

Ein Name und eine Blume für jeden, den das Meer sich geholt hatte.

Plötzlich waren die Blumen keine Blumen mehr, sondern menschliche Körper, die in einer Höhle gefangen waren, das tödliche Meer um sie herum. Emory drehte sich weg, ihr Blick fiel unwillkürlich auf Haus Eklipse, wo gerade die Tür aufging und jemand herauskam.

Als sie den Studenten erkannte, verkrampfte sich ihr Magen.

Basil Brysden war groß und schlaksig, trug ein schief zugeknöpftes Hemd und hatte lockige braune Haare, die ihm bis zum Kinn reichten. Er drückte sich einen Stapel Bücher an die Brust und hielt den Kopf gesenkt, als würde er versuchen, sich kleiner oder vielleicht auch unsichtbar zu machen. Beides war Baz schon seit langem gelungen: Er war ein Geist, ein Einsiedler, ein Kuriosum, dessen Namen man in den dunkelsten Ecken des Colleges nur im Flüsterton aussprach.

Der Zeitspinner.

Eine überaus seltene Magie, selbst für jemanden, der während einer Eklipse geboren worden war.

Baz hob den Kopf, als er auf den Brunnen zuging. Er starrte sie mit seinen braunen Augen an, und wenn die Brille mit dem dicken Rahmen nicht gewesen wäre, hätte Emory denken können, dass Romie sie ansah. Die beiden hatten die gleiche helle, mit Sommersprossen übersäte Haut, die gleichen abstehenden Ohren. Doch Baz fehlten der Übermut seiner Schwester und der verträumte, abwesende Blick, mit dem sie ihre Professoren immer zur Weißglut getrieben hatte. Und die brennende Neugier, die sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet hatte, bis alles darin verglüht war, was Romie war und hätte sein können.

In seinen Augen lag nichts von Romies Feuer, nur schüchterne Unsicherheit.

»Emory«, begrüßte er sie unbeholfen.

Er sah aus, als würde er gleich weglaufen, um nicht mit ihr reden zu müssen. Sie konnte es ihm nicht verübeln.

»Du warst nicht in der Aula«, sagte Emory, nur, um überhaupt etwas zu sagen. Um das Schweigen zwischen ihnen zu beenden und die Schuldgefühle zu verdrängen, die sie zu ersticken drohten, als Romies Gesicht in ihren Gedanken aufblitzte. Doch nicht so, wie es zu ihren Lebzeiten gewesen war, sondern so, wie Emory es zuletzt gesehen hatte: bleich und starr in jenem verhängnisvollen Moment, bevor das Meer sie mit sich gerissen hatte.

Baz musste sie hassen, weil Emory überlebt hatte, was seine Schwester getötet hatte.

Er sah in Richtung Aula, aus der Studenten in den Hof strömten. »Ja, wahrscheinlich.«

Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war nicht ganz klar, ob er die Rede der Dekanin absichtlich versäumt oder sie einfach nur vergessen hatte. Emory fiel der verkniffene Zug um seinen Mund auf, und sie fragte sich, wann er das letzte Mal gelacht hatte. Sie konnte sich noch gut erinnern, dass er als Junge die ganze Zeit gegrinst hatte, doch das schien vor einer Ewigkeit gewesen zu sein. Als sie alle drei zusammen im Internat gewesen waren und sich immer barfuß zu den Wildblumenwiesen dahinter geschlichen hatten, so frei und unbeschwert wie die Möwen, denen sie bis zum Strand hinterhergejagt waren.

Baz rückte den Bücherstapel in seinen Armen zurecht. »Wie geht es dir?«

Emory schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und zwang sich zu einem Lächeln. »Gut.«

In einem der Kreuzgänge entdeckte sie Keiran mit ein paar Freunden. Der Wind trug ihre Unterhaltung zu ihr herüber, in der es darum ging, dass sie zum Strand wollten, wo zu Semesterbeginn immer Lagerfeuer entzündet wurden. Obwohl Keirans Aufmerksamkeit auf seine Freunde gerichtet war, hatte Emory den Eindruck, dass er sie für einen kurzen Moment angesehen hatte.

»Wir haben dich bei der Beerdigung vermisst.«

Ihre Aufmerksamkeit richtete sich schlagartig wieder auf Baz. In seiner Stimme lag keine Verbitterung, kein Vorwurf. Und das machte alles nur noch schlimmer, denn wenn er die Wahrheit erfahren würde, wenn er wüsste, was wirklich in der Höhle passiert war, hätte er sie gar nicht bei Romies Trauerfeier dabeihaben wollen.

Emory schoss das Blut in die Wangen, während sie nach einer Entschuldigung suchte, doch sie hatte keine. Sie hatte hingehen wollen und zugesagt, als er sie am Abend vor ihrer Abreise in die Sommerferien eingeladen hatte. Doch der Gedanke daran, Romies Mutter gegenüberzutreten, Baz zu verschweigen, was geschehen war, sich von ihrer besten Freundin zu verabschieden, während sie selbst weiterleben konnte … Sie hatte es nicht fertiggebracht.

»Es tut mir leid«, murmelte sie, während sie den Blick abwandte. »Ich, äh … ich muss los. Aber wir sehen uns, ja?«

Baz drückte seinen Bücherstapel noch fester an sich und ließ die Schultern hängen, ob aus Erleichterung oder Enttäuschung vermochte sie nicht zu sagen.

Emory konnte gar nicht schnell genug von ihm wegkommen.

Als sie ihr Zimmer erreichte, fühlte es sich an, als hätte sie einen Ozean überquert. Die Unterkünfte für die Studienanfänger lagen auf der anderen Seite des Campus, in einem schlichten, mit Efeu bewachsenen Gebäude, in dem Studenten aller Häuser untergebracht waren, immer zu zweit in einem Zimmer, egal, welches Zeichen sie auf der Haut trugen. Erst im dritten Jahr in Aldryn zogen sie in die Wohnheime um, die zu ihren jeweiligen Mondhäusern gehörten.

Emory stocherte ungeschickt mit dem Schlüssel zu ihrem Zimmer herum, bis das Schloss endlich aufgab und sie eintreten konnte. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, lehnte den Kopf von innen gegen die Tür und genoss die Stille.

Als sie sich umsah, stockte ihr schmerzhaft der Atem.

Auf der einen Seite des Raums stand ihr schmales eisernes Bettgestell, genau so, wie sie es zurückgelassen hatte, mit dunkler Bettwäsche, die Ecken der Daunendecke fein säuberlich unter die Matratze gesteckt. In dem großen Schrank aus Mahagoniholz daneben wartete ihre Kleidung auf sie, und auf dem kleinen, in die Ecke gezwängten Schreibtisch lagen noch ordentlich aufgestapelte Bücher und Füller. Es schien alles unverändert zu sein, als wären die letzten vier Monate nie passiert, als wäre Emory nie gegangen und alles noch so, wie es einmal gewesen war.

Doch so war es nicht, denn die andere Seite des Zimmers – Romies Seite – war ausgeräumt.

Das Bett war noch da, der Schrank und der Schreibtisch auch, doch alles, was es zu Romies Zimmerhälfte gemacht hatte, die wild zusammengewürfelten Zeichnungen und die Bücher über alle möglichen Themen, die chaotischen Stapel aus Kleidungsstücken und die seltenen stacheligen Pflanzen, die vergessenen Tassen mit Tee und die Teller voller Krumen … Das alles war verschwunden, so wie Romie.

Es war nichts mehr von ihr da, trotzdem konnte Emory sich noch sehr gut an den Tag erinnern, als sie das letzte Mal zusammen hier gewesen waren.

An jenem Tag hatte Romie an ihrem Schreibtisch gesessen, im schwindenden Licht der untergehenden Sonne, das ihre schulterlangen Haare wie Kupfer hatte schimmern lassen. Sie war zusammengezuckt, als Emory hereingekommen war, und hatte eine Teetasse umgestoßen.

»Heilige Gezeiten, ich hätte fast einen Herzschlag bekommen.« Sie klang verärgert, während sie die Teetasse wieder hinstellte. Dusk, die streunende Katze, die sie in ihrer ersten Woche in Aldryn auf dem Gelände des Colleges gefunden und trotz des Haustierverbots in den Wohnheimen bei sich aufgenommen hatte, sprang mit einem empörten Maunzen von ihrem Schoß und machte es sich stattdessen auf dem Fensterbrett bequem.

Emory ließ ihre Bücher auf den Schreibtisch in ihrer Zimmerhälfte fallen. »Wir haben gerade Neumond. Das wäre dann vielleicht eine gute Gelegenheit, um meine Heilkräfte an einem lebenden Subjekt auszuprobieren.«

Romie schien nicht in Stimmung für Witze zu sein. Sie wischte den Tee von den wild auf dem Schreibtisch verstreuten Dokumenten und drehte sich so, dass Emory keine Sicht darauf hatte.

»Was gibt es denn so Interessantes, dass du nicht einmal zum Abendessen kommen kannst? Ich hatte Penelope am Hals, die mich gefühlte vier Stunden mit Dunkelträger-Magie vollgequatscht hat.«

Emory versuchte, unbekümmert zu klingen, doch es hörte sich ziemlich schroff an. Wütend. Sie konnte nicht anders. Romie hatte sich in letzter Zeit sehr merkwürdig verhalten, sie hatte ständig gemeinsame Aktivitäten abgesagt und war verschlossen und geheimnistuerisch gewesen, völlig untypisch für sie. Doch dass Romie sich veränderte, war Emory eigentlich schon kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Aldryn aufgefallen. Sie hatte es zuerst nicht wahrhaben wollen und ihr hohes Arbeitspensum und die unterschiedlichen Kurspläne für die Kluft, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, verantwortlich gemacht. Die beiden hatten sich schon mit zehn Jahren gekannt. Sie hatten alles miteinander geteilt. Doch irgendetwas war anders geworden, und Emory hatte Angst davor, sie zu fragen, was der Grund dafür war – Angst davor, ihre einzige richtige Freundin zu verlieren.

»Nur Recherchen«, sagte Romie geistesabwesend. Sie sammelte die mit Teeflecken besudelten Dokumente zusammen und steckte sie in ihre Schultertasche.

Emory musterte Romies zerknitterte Kleidung und das ungemachte Bett. »Hast du den ganzen Nachmittag geschlafen?«

»Ich habe geübt. Träumen und so.«

Träumen und so. Das sagte Romie schon seit ein paar Monaten und tat damit jeden Moment ab, den sie in der Schlaflandschaft – dem Reich der Träume – verbrachte, als wäre es nicht der Rede wert. Als würde es sie nicht auszehren, als würde es ihr nicht die Energie und das Strahlen rauben, das sonst immer von ihr ausging.

»Ro, so kannst du nicht weitermachen. Du versäumst die Vorlesungen und verbringst deine ganze Zeit in Träumen. Das kann doch nicht gesund sein.«

»Mir geht es gut.«

»Die Ringe unter deinen Augen sagen aber etwas ganz anderes.«

»Du würdest es nicht verstehen.«

Romie hängte sich ihre Tasche um und ging zur Tür. Als Emory die Hand ihrer Freundin auf dem Türknauf sah, wusste sie aus irgendeinem Grund, dass aus der Kluft zwischen ihnen ein unüberwindbarer Abgrund werden würde, wenn Romie jetzt das Zimmer verließ.

»Ro. Das meine ich ernst. Ist alles in Ordnung bei dir?«

Sie sah zu, wie die Anspannung in den Schultern ihrer Freundin nachließ, und als Romie sich umdrehte und sie mit ihrem vertrauten Lächeln ansah, dachte sie, dass sie sich die letzten Wochen und Monate vielleicht nur eingebildet hatte – dass alles vielleicht noch so war wie immer.

»Alles gut, Em.« Sie stand für einen Moment einfach nur da, und obwohl sie immer noch lächelte, waren ihr Zweifel anzumerken. Emory dachte, dass sie jetzt vielleicht reden würde, dass sie ihr endlich die Geheimnisse anvertrauen würde, von denen sie sich auffressen ließ, doch Romie zog nur die Tür auf und sagte: »Wir sehen uns später, okay?«

Als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, wanderte Emorys Blick zu Romies Schreibtisch. Sie war viel zu neugierig und besorgt, um es dabei bewenden zu lassen. Unter einem Fläschchen mit Salzwasser lag ein mit Tee bespritztes Stück Pergament, das an den Rändern wie verbrannt aussah. Mitten auf der Nachricht prangten die Buchstaben S.O. Auf die Rückseite hatte jemand mit einem silbernen Stift Dovermere, 22.00 Uhr geschrieben.

Emory legte die Nachricht wieder auf den Schreibtisch und hatte plötzlich solche Angst, dass ihr der Mund ganz trocken wurde. Wegen der Schauergeschichten, die man sich über die berüchtigte Höhle in der Klippe erzählte, vermieden es die Studenten in der Regel, Dovermere zu betreten. Dass dort im Laufe der Jahre einige ihrer Kommilitonen ertrunken waren, gehörte mit zum Ersten, was Studienanfänger in Aldryn zu hören bekamen. Es gab immer ein paar verwegene Studenten, die ihren Freunden etwas beweisen wollten, allerdings glaubte Emory nicht, dass Romie so leichtsinnig war, in die Höhle zu gehen. Aber als es fast zehn Uhr war und Romie immer noch nicht zurückgekommen war, geriet Emory in Panik. Sie sah sich noch einmal die Nachricht an und fragte sich, wofür S.O. stand und ob es etwas mit Romies verändertem Verhalten zu tun hatte.

Emory, die ihr ungutes Gefühl einfach nicht loswurde, steckte die Nachricht ein und lief zur Bucht von Dovermere, wo Romie und sieben andere Studenten gerade in die Höhle schlichen, in der sie ihr Ende finden würden.

Emory verdrängte die quälende Erinnerung an jene Nacht, die ihr durch den Kopf ging. Das Zimmer war plötzlich viel zu klein und stickig. Sie rannte zu dem Buntglasfenster zwischen den Betten und stieß es auf, damit sie den Wind auf ihrem Gesicht spüren konnte. Nachdem sie ein paarmal tief Luft geholt hatte, ließ die Panik, die sie zu überwältigen drohte, allmählich wieder nach.

Sie lehnte die Stirn an den Fensterrahmen und fluchte leise.

Vielleicht war es ein Fehler gewesen, nach Aldryn zurückzukommen. Den ganzen Sommer über hatte sie so getan, als wäre die furchtbare Nacht in der Höhle nie geschehen. Sie hatte auf das Meer hinausgeschaut und keine Schuldgefühle gespürt, denn obwohl ihr Zuhause und Aldryn am selben Meer lagen, teilten sie weder die gleiche Küste noch die gleichen quälenden Erinnerungen an Finsternis und Tod. Doch als Emory jetzt die leere Zimmerhälfte anstarrte, sah sie nur das, was sie hätte anders machen können.

Wenn sie doch nur etwas gesagt und Romie daran gehindert hätte, durch diese Tür zu gehen. Wenn sie ihr doch nur nicht nachgegangen wäre. Wenn sie doch nur nicht in der Höhle gewesen wäre. Wenn sie doch nur schnell genug gewesen wäre, kräftig genug, um alle zu retten, und sie geheilt hätte, so wie sie sich selbst geheilt hatte …

Wenn sie nach den Sommerferien zu Hause geblieben wäre, müsste sie sich das alles nicht fragen. Sie könnte es verdrängen und müsste sich ihren Schuldgefühlen nicht stellen.

Doch genau das hatte Emory schon den ganzen Sommer über versucht. Sie hatte sich in ihr Zimmer verkrochen und alles und jeden ignoriert, bis der Anblick des Zeichens auf ihrem Handgelenk, die immer schlimmer werdenden Albträume und das Gefühl, das Falsche zu tun, sie irgendwann aus ihrer Starre gerissen hatten. In dem Moment hatte sie gewusst, dass sie keine andere Wahl hatte, als zurückzukehren. Um Antworten darauf zu finden, warum die Studenten überhaupt in die Höhle gegangen waren. Und um dafür zu sorgen, dass nicht noch jemand dieses grausame Schicksal erleiden musste.

Wenn Romie an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte sie das Gleiche getan.

Emory glaubte, eine Stimme im Hof unten zu hören, die durch das offene Fenster zu ihr hereindrang, aber vielleicht war es auch nur der Wind. Als sie nach unten sah, entdeckte sie Keiran in der Nähe des Brunnens. Bei der Erinnerung an den intensiven Blick, den er ihr in der Aula zugeworfen hatte, bekam sie eine Gänsehaut.

Du lebst. Du bist okay.

Mit einem Ruck schloss sie das Fenster, und es war wieder alles ruhig im Zimmer. Dann ging sie zum Schrank.

Emory hatte einen Plan. Sie musste zum Strand.

2Baz

Es kam oft vor, dass Baz Brysden jedes Gefühl für die Zeit verlor, was angesichts der Art seiner Zauberkräfte der Gipfel der Ironie war.

Ein Buch war alles, was es brauchte, um ihn gefangenzunehmen, ihn vergessen zu lassen, dass er schlafen, essen, in seinem Körper existieren musste. Und natürlich war er am liebsten in Bibliotheken. Aldryn besaß ziemlich viele davon. Vier, um genau zu sein: eine Bibliothek für jedes der vier Mondhäuser und eine fünfte, wenn man die kleine Sammlung im Obscura-Wohnheim dazuzählte, in dem die Studenten von Haus Eklipse untergebracht waren. Allerdings war Baz der festen Überzeugung, dass ein paar Regale mit verstaubten Bänden in einem selten genutzten Unterrichtsraum noch keine Bibliothek ausmachten, selbst wenn es dort außerordentlich ruhig war – jetzt, wo Kai nicht mehr da war, sogar noch ruhiger.

Und dann gab es noch das Gewölbe. Das Herz allen Wissens, verborgen in Aldryns Kellergeschossen, an der Stelle, an der die vier Bibliotheken aufeinandertrafen. Es beherbergte einige der kostbarsten und ältesten Manuskripte der Welt, die gewissenhaft gegen Diebe, unerwünschte Blicke und den Lauf der Zeit geschützt wurden. Lediglich einer kleinen Gruppe ausgewählter Professoren und Studenten wurde Zutritt gewährt und nur, wenn die Dekanin höchstpersönlich ihre Genehmigung gab.

Baz studierte bereits seit drei Jahren in Aldryn, und bis jetzt hatte er das Gewölbe noch kein einziges Mal betreten, trotz der vielen Recherchen, bei denen er Professorin Selandyn behilflich war. Nicht selten mussten dazu Manuskripte aus dem Gewölbe durchforstet werden, doch wenn es um ihre Bücher und ihre Forschung ging, war die Professorin von Haus Eklipse etwas eigen. Sie war Omnilinguistin, eine Variante von Rätsellöser-Magie, die es ihr erlaubte, jede Sprache zu sprechen und zu verstehen, mit der sie in Berührung kam. Was Eklipse-Magie anging, war es eine eher harmlose Fähigkeit, die aber gerade deshalb weithin respektiert wurde. Baz, ihrem Lehrassistenten, vertraute sie vorbehaltlos, doch er durfte nie mehr als Botengänge ausführen und ihre mit der Hand geschriebenen Notizen mit seiner Schreibmaschine abtippen, was angesichts ihres unleserlichen Gekrakels nahezu unmöglich war. Doch im Laufe der Zeit war ihm auch das gelungen.

Heute war es anders. Professorin Selandyn brauchte ein Buch für ein neues Forschungsprojekt – die Mythologie im Zusammenhang mit dem Verschwinden der Gezeiten –, und Baz sollte es an ihrer Stelle aus dem Gewölbe holen.

»Du bist jetzt in deinem letzten Studienjahr«, hatte sie am Morgen zu ihm gesagt, als Baz nicht in die Aula, sondern zu seiner Professorin gegangen war. »Wenn du wirklich unterrichten willst, wird es Zeit, dass ich dir mehr Verantwortung übertrage.«

In der darauffolgenden Stille hatte er die unausgesprochenen Worte gehört, die Wahrheit in der Trauer gesehen, die sie wie eine Fahne vor sich hertrug. Jetzt, wo Kai nicht mehr da war und Baz ihr einziger Student, war sie nicht mehr mit vollem Herzen dabei. Er wusste auch, dass er sich dieses Jahr aller Wahrscheinlichkeit nach selbst unterrichten musste, während sie in ihrem Arbeitszimmer bei ihren Büchern, ihrer Forschung und unzähligen Tassen Tee blieb.

An dem Pult am Eingang zum Gewölbe saß eine Studentin, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Ihr Tattoo von Haus Zunehmender Mond, eine silberne Sichel, um die sich blaue Malvenblüten rankten, bildete einen starken Kontrast zu der dunklen Haut ihrer Hand, in der sich ein sehr bekanntes Buch befand: Lied der ertrunkenen Götter. Dem Einband nach eine der neueren Ausgaben. Baz war begeistert. Er war kein Freund von oberflächlicher Konversation – genau genommen hasste er jegliche soziale Interaktion, was ihm Romie ständig unter die Nase gerieben hatte, die immer versucht hatte, ihn hinter seinen Büchern hervorzulocken –, doch wenn er schon mit jemandem reden musste, dann bitte über dieses Thema.

»Hat der Gelehrte schon die anderen Welten gefunden?«

Die Mundwinkel des Mädchens bewegten sich leicht nach oben, während es das Buch weglegte. »Nur das Meer aus Asche, aber ich bin fast schon bei dem Teil, in dem er den Zauberwald findet.«

»Der Brustkorb, der das Herz der Welt umgibt«, rezitierte Baz.

Die Studentin legte theatralisch eine Hand auf ihr Herz. »Meine Lieblingsstelle.« Sie lächelte ihn wehmütig an.

Baz rieb sich den Nacken. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. In der Wand hinter dem Pult befand sich eine gewaltige Tür aus Silber, die mit fein ziselierten Wellenmotiven und den Gezeiten des Schicksals selbst verziert war, den passenden Wächtern für das, was sich dahinter befand.

»Hast du deinen Erlaubnisschein?«, fragte das Mädchen.

Er ließ seinen Bücherstapel auf das Pult fallen und holte den begehrten Zettel aus der Tasche.

Als der Blick der Studentin auf das Stück Papier in seiner ausgestreckten Hand fiel und sie sah, welches Zeichen er auf dem Handrücken trug, verschwand jegliche Wärme aus ihren Augen.

Baz hatte das Eklipse-Symbol immer für das beeindruckendste aller Hauszeichen gehalten: ein schwarzer Mond, der sich vor eine goldene Sonnenblume schob, deren Blütenblätter bis ins Detail herausgearbeitet waren. Doch die zarte Schönheit des Siegels täuschte, denn Haus Eklipse hatte nichts Zartes und auch nichts ausgesprochen Schönes an sich. Vor allem nicht in den Augen anderer.

Das Lächeln der Studentin erstarb. Langsam wurde ihr alles klar. Es war immer so.

Baz lächelte krampfhaft weiter. »Dekanin Fulton hat ihn heute Morgen unterschrieben«, sagte er, während er ihr immer noch den Zettel entgegenhielt.

Jede Sekunde, in der das Mädchen nicht danach griff, hinterließ eine Delle in dem Panzer um sein Herz. Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, an das Unbehagen, das sich wie ein Lauffeuer ausbreitete, wenn die Leute begriffen, wer er war. Was er war. Aber es tat immer noch weh. Und nach seiner Begegnung mit Emory am Morgen, als sie gleichsam vor ihm geflohen war, als hätte sie Angst davor, länger als unbedingt nötig in seiner Gegenwart zu sein, tat es noch mehr weh als sonst.

Er konnte sich gut an die Zeit erinnern, in der Emory von allem, was mit Haus Eklipse zu tun hatte, fasziniert gewesen war. Als sie ihn noch anders angesehen hatte und nicht so wie der überwiegende Teil seiner Mitmenschen, als wäre er eine tickende Zeitbombe, die jederzeit hochgehen konnte. Damals hatte sie ihm das Gefühl gegeben, als würde mehr in ihm stecken als nur seine Zauberkräfte. Heilige Gezeiten, sie hatte sogar dafür gesorgt, dass er seine Magie mochte, ein Gedanke, der ihm inzwischen so fremd war wie die Freundschaft zwischen ihnen, die es schon längst nicht mehr gab.

Endlich griff die Studentin nach dem Zettel. Sie las ihn sich aufmerksam durch und kritzelte dann etwas in das große Buch vor sich. Die Stille wurde immer lauter. Wenn Baz weniger vorsichtig gewesen wäre, hätte er die Zeit um ein paar Minuten zurückgedreht, bis zu dem Moment, bevor er ihr seine Hand und das von den Schatten verfluchte Symbol gezeigt hatte, das die Leute immer dazu brachte, ihn anders zu behandeln. Doch die Zeit verstrich, quälend langsam, bis das Mädchen schließlich in einer Schublade herumkramte und ihm einen schmalen Armreif aus Silber gab.

»Sonderregel für Studenten von Haus Eklipse«, erklärte sie fast entschuldigend. »Falls du …« Sie machte eine vage Handbewegung. »Du weißt schon.«

Es war klar, was sie meinte: für den Fall, dass ihm seine Magie entglitt und so unkontrollierbar wurde, dass er einen Zusammenbruch erlitt, einen grauenhaften Kollaps des Ichs, der allen drohte, die ihre Zauberkräfte nicht unter Kontrolle hatten.

»Okay.« Baz nahm den Zauberdämpfer und versuchte krampfhaft, nicht zu rot zu werden.

Der Dämpfer war eher symbolischer Natur, ein Zeichen guten Willens, schließlich konnte er ihn jederzeit wieder abnehmen. Baz hatte nichts dagegen, den Armreif zu tragen – er war ein großer Fan von Regeln –, doch jedes Mal wenn er ihn anlegen musste, konnte er nur noch daran denken, dass Dämpfer aus Eklipse-Magie gemacht wurden. Sie bestanden aus Silber, das mit der Magie von Korrektoren versehen war, eine Gabe, die unter den im Zeichen der Eklipse Geborenen recht häufig zu finden war. Dazu kam noch, dass die gleiche Magie auch für alle benutzt wurde, die einen Zusammenbruch erlitten hatten – sie wurden damit gebrandmarkt, damit sie keinen Zugang zu ihren Zauberkräften mehr hatten. Die Ironie davon widerte ihn an.

»Tut mir leid«, murmelte das Mädchen. »Notwendige Sicherheitsmaßnahme.«

Baz wäre am liebsten im Boden versunken.

Doch er hatte auch Verständnis dafür. Eklipse-Magie war unberechenbar. Völlig anders als die vorhersehbare, eingeschränkte Zauberei, die die anderen Mondhäuser praktizierten. Und sollten seine Zauberkräfte in Gegenwart von solch unfassbar wertvollen Büchern außer Kontrolle geraten …

Es war tatsächlich eine notwendige Sicherheitsmaßnahme.

Baz legte den Dämpfer an, während die Studentin sich noch einmal entschuldigte. »Schon gut«, versicherte er ihr.

Gut, hatte Emory im Hof gesagt, obwohl sie nicht so ausgesehen hatte. Ihr bleiches Gesicht hatte es ihm verraten, sie hatte leer und gehetzt gewirkt. Baz musste an das Mädchen denken, das in seiner Erinnerung lebte und so ganz anders war, an seine blauen Augen, die vor Lachen strahlten, die goldenen Haarsträhnen, die auf und ab wippten, während es vor ihm durch die Felder lief und versuchte, seine Schwester einzuholen. Es schien, als wäre der vor Leben sprühende Teil von Emory im Frühjahr ertrunken, als wäre er zusammen mit Romie in den Tiefen von Dovermere begraben worden.

Die Art, wie sie ihre Abwesenheit bei Romies Beerdigung abgetan hatte, als hätte sie etwas so Belangloses wie einen Termin mit ihrer Lerngruppe oder eine Verabredung zum Kaffee versäumt … Baz versuchte, sich nicht darüber zu ärgern. Er konnte sich kaum vorstellen, welches Trauma sie zu bewältigen hatte. Wenn er an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte er vermutlich auch nicht die Kraft gehabt, an dem Begräbnis teilzunehmen. Er selbst hatte es nur mit größter Anstrengung geschafft und versucht, alles allein zu organisieren, während seine Mutter in Trauer versunken war.

Aber es wäre schön gewesen, Emory dabeizuhaben. Die Bürde der Trauer nicht allein tragen zu müssen.

Die Studentin räusperte sich und klopfte mit ihrem Stift auf das Buch vor sich. »Ich erläutere kurz die Regeln: Du hast dreißig Minuten im Gewölbe. In dieser Zeit kannst du dir gern die ganze Sammlung ansehen, aber du darfst nur das Manuskript mitnehmen, das auf der Genehmigung steht.« Sie warf einen Blick auf den Erlaubnisschein und zog die Augenbrauen hoch, als sie den Titel las. »Die Gezeiten des Schicksals und der Schatten des Untergangs: Eine theologische Studie zur Geschichte der Mondmagien von Hoyaken et al.«

Baz, dem plötzlich bewusstwurde, wie langweilig das klingen musste, brummelte etwas über ein Forschungsprojekt. Die Mythologie im Zusammenhang mit den Gezeiten und dem Schatten des Untergangs war zwar Teil der Gegenwartsliteratur, doch die Menschen hatten schon längst aufgehört, daran zu glauben. Heutzutage war es ein Märchen, das man Kindern erzählte, eine Erklärung für ihre Magie – und die Hauptursache für die tief verwurzelte Verachtung, die Haus Eklipse entgegengebracht wurde.

»Du findest das Buch in Gang H. Wenn du Hilfe brauchst, um dich zurechtzufinden, fragst du den Mitarbeiter, der sich im Gewölbe befindet. Und noch etwas: Solange du im Gewölbe bist, ist Magie strengstens verboten.« Das Mädchen warf ihm einen Seitenblick zu. »Aber das dürfte wohl kein Problem sein.«

Der Armreif auf seiner Haut schien glühend heiß zu werden.

»Noch Fragen?«

Baz starrte auf Lied der ertrunkenen Götter, das sie vor sich auf das Pult gelegt hatte. Professorin Selandyns Forschungsprojekt hatte ihm Zugang zum Gewölbe verschafft, doch der einzige Titel, den Baz finden wollte, war das Originalmanuskript seines Lieblingsbuchs. Er brannte darauf, die Seiten zu berühren, die Cornus Clover eigenhändig beschrieben hatte. Für Fans wie Baz war es bereits ein Privileg, durch die heiligen Hallen von Aldryn zu gehen und zu wissen, dass Clover vor langer Zeit hier studiert hatte, in denselben Unterrichtsräumen wie er zu sitzen und spät in der Nacht durch dieselben Bibliotheken zu streifen. Nur sehr wenige bekamen jemals die Chance, das Originalmanuskript mit eigenen Augen zu sehen.

Baz hatte gehofft, einer dieser wenigen zu sein, doch das Unbehagen des Mädchens verunsicherte ihn, und er konnte nur verneinend den Kopf schütteln.

Er würde den Weg zum Manuskript schon selbst finden, wenn er noch genug Zeit hatte.

Die Studentin nahm einen sonderbar aussehenden Schlüssel und machte sich daran, die Tür aus Silber hinter sich zu öffnen. Die Tür bewegte sich ein Stück nach außen und schob sich dann mit einem zischenden Geräusch über den Steinboden nach links. Aus dem Innern drang gedämpftes Licht. Das Mädchen drehte sich zu ihm um und stellte sich ihm in den Weg.

»Du bist Romies Bruder, stimmt’s? Der Zeitspinner?«

Baz versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, als er die verhasste Anrede hörte. Zeitspinner.

Sie hatte das Wort mit einer fast schon beängstigenden Ehrfurcht ausgesprochen.

Er nickte und ignorierte den Kloß in seinem Hals.

»Sie war eine tolle Träumerin«, sagte die Studentin. Sie hatte den Blick gesenkt, und Baz konnte ihr nicht in die Augen sehen, doch ihre leicht stockende Stimme verriet ihm, dass sie Romie sehr gerngehabt hatte.

Es überraschte ihn nicht wirklich. Romie war ein strahlendes Licht gewesen und hatte andere geradezu magisch angezogen. Baz hatte ihre unbekümmerte Einstellung immer bewundert, die Leichtigkeit, mit der sie ging, redete und träumte. Vielleicht hatte er sie sogar darum beneidet.

Heilige Gezeiten, sie fehlte ihm so sehr.

Die Studentin trat zur Seite, und Baz ging durch die Tür. Der Zauber alter Bücher lockte ihn.

»Ach, übrigens: Gang C«, rief sie ihm nach. Sie sah ihn über ihr Buch hinweg an, während sie wieder ihren Platz einnahm. »Dort findest du das Manuskript.«

Die Silbertür schloss sich anscheinend von selbst, und Baz stand im Gewölbe.

Er suchte sich seinen Weg durch einen engen Korridor, der von Wandleuchten aus Bronze mit Immerlicht erhellt wurde, eine jahrhundertealte Erfindung, die von Lichthütern aus Haus Vollmond weiterentwickelt worden war und sich selbst nach Einführung der Elektrizität bewährt hatte. Der Korridor schien kein Ende zu nehmen, doch schließlich ging er in einen großen kreisrunden Raum über, um den sich schmale, mit Bücherregalen versehene Gänge gruppierten. Baz hatte den Eindruck, in der Mitte eines Zifferblatts zu stehen, mit den Gängen als Minutenmarkierungen. Die Regale reichten bis hinauf zur Gewölbedecke, wo aus einer Öffnung in der Mitte ein Vorhang aus Wasser nach unten fiel.

Baz ging zu dem Marmorgeländer in der Mitte des Raums. Er konnte den Wasserfall auf der anderen Seite fast berühren, spürte den kalten Dunst auf dem Gesicht. Er wusste, dass das Wasser aus dem Brunnen des Schicksals kam, der sich direkt über ihm befinden musste. Es verschwand in einem dunklen Loch zu seinen Füßen, das so tief war, dass er den Boden nicht erkennen konnte – falls es denn überhaupt einen gab.

Ausnahmsweise einmal war Baz allzu sehr bewusst, dass die Zeit verstrich, daher machte er sich sofort auf den Weg zu Gang H, wo er Die Gezeiten des Schicksals und der Schatten des Untergangs auf Anhieb fand. Es war eines der größten Bücher, das er je gesehen hatte. Als Baz es aus dem Regal zog, ging er unter dem Gewicht in die Knie.

Er hütete sich, Professorin Selandyns Forschung in Frage zu stellen, egal, wie langweilig, trivial oder albern die Themen auf den ersten Blick auch sein mochten. Einmal hatte er ihr geholfen, eine Liste mit eher unbekannten Sümpfen aus aller Welt zusammenzustellen, und war tief beeindruckt gewesen von der brillanten Abhandlung, die sie anschließend über die unterschiedliche Wirkung von Salzwasser und Süßwasser beim Aderlass verfasst hatte. Und letztes Jahr, als sie den Einfluss von Blutmonden auf die Paarungsgewohnheiten von blutbauchigen Rippenquallen erforscht hatte, war Baz sicher gewesen, dass sie nicht mehr ganz bei Verstand war. Die Auszeichnung, die sie für die Abhandlung bekommen hatte, hatte das Gegenteil bewiesen.

Beatrix Selandyns Intellekt genoss in sämtlichen akademischen Kreisen den höchsten Respekt. Und zumindest in Aldryn wurde ihr nicht die Art von Feindseligkeit entgegengebracht, mit der andere im Zeichen der Eklipse Geborene konfrontiert wurden. Baz wusste, dass er froh sein konnte, ihr Assistent zu sein. Trotzdem fragte er sich jetzt, warum sich die Professorin dazu entschlossen hatte, eine Legende zu untersuchen, in der ihr eigenes Haus als das Böse dargestellt wurde.

Früher einmal, bevor die Gezeiten verschwunden waren, so erzählte es die Legende, hatten alle Menschen zaubern können, unabhängig von der Mondphase, in der sie geboren waren. Sie konnten die Zukunft vorhersehen, ließen Pflanzen wachsen, erzeugten Licht und Dunkelheit, wandelten in Träumen und löschten Leben aus, alles war möglich, solange sie den Gezeiten Opfergaben brachten. Doch als die Gottheiten ihr Land verließen, teilten sie die Magie nach Mondhäusern und Gezeitenausrichtung auf und sorgten dafür, dass jene, die Zauberkräfte besaßen, nur noch die Fähigkeiten nutzen konnten, mit denen sie geboren wurden.

Und da man davon ausging, dass die Gezeiten ihre Welt verlassen hatten, um gegen den Schatten des Untergangs zu kämpfen – jene dunkle, unheilige Gestalt, die mit Haus Eklipse in Verbindung gebracht wurde –, gab man den im Zeichen der Eklipse Geborenen seit Jahrhunderten die Schuld daran. Die Leute glaubten, dass sie ihre Eklipse-Magie von den Gezeiten gestohlen hatten, dass sie ihnen nicht rechtmäßig gehörte. Sie waren die Außenseiter unter den Menschen mit Zauberkräften, eine Seltenheit, die nicht so richtig dazugehörte zu dem heiligen Mondzyklus, um den sich die Welt drehte, und als solche war bei ihnen alles umgekehrt:

Während man den anderen ihre Zeichen auf den rechten Handrücken tätowierte, bekamen die im Zeichen der Eklipse Geborenen ihres auf die linke.

Während jedes der vier Mondhäuser einer der Gezeiten zugeordnet war, war ihr Haus mit dem Schatten verbunden, dem Überbringer schlechter Omen, dem großen Auge am Himmel, das die Welt verdunkelte und jenen wie Baz ihre sonderbaren, unredlichen Kräfte verlieh.

Und während die Magien der anderen Häuser einem genau vorgegebenen Zyklus folgten – sie waren nur in der für einen selbst geltenden Mondphase vollständig ausgeprägt und daher nur wenige Tage im Monat vorhanden, es sei denn, man aktivierte sie durch einen Aderlass –, war Eklipse-Magie jederzeit zugänglich, egal, wo der Mond gerade stand. Ein Aderlass war nicht notwendig.

Diese Art von nicht nachlassender Macht … Einige Leute beneideten ihn darum, doch es war eine Last. Ein Fluch. Es war der Grund, warum Baz bei Büchern und Wissen blieb und, anstatt die Grenzen seiner zeitverändernden Fähigkeiten auszutesten, lieber seinen Verstand schärfte. Er wusste, dass viele töten würden, um eine solche Gabe zu besitzen, auch wenn sie zu Haus Eklipse gehörte. Für sie war es eine absolute Macht, die jener der Götter ähnelte, ein Weg, das Gefüge des Lebens selbst zu verändern. Baz hatte überlegt, sie zu nutzen, um die Dinge ungeschehen zu machen, die ihn am meisten quälten – der Tod seiner Schwester, der Zusammenbruch seines Vaters –, aber er würde das Risiko nie eingehen. Zeit war eine heikle Materie, und mit Eklipse-Magie war nicht zu spaßen. Deshalb wollte Baz auch Professor in Aldryn werden, deshalb hatte er Professorin Selandyns Assistent werden wollen. Er hatte zu viele im Zeichen der Eklipse Geborene gesehen, denen diese Macht zu viel geworden war, und auf diese Art konnte er vielleicht mehr von ihnen vor einem Zusammenbruch bewahren.

Baz schleppte das schwere Buch in die Mitte des Gewölbes, wo er sich nach dem anderen Gang umsah, den die Studentin erwähnt hatte. Er lag ganz in der Nähe, und es gab keine Spur von ihrem Kollegen oder sonst jemandem.

Er konnte nicht widerstehen und ging zu Gang C.

Das Manuskript von Lied der ertrunkenen Götter stand auf einer Staffelei, die sich in einem abgesperrten Glaskasten befand. Es bestand lediglich aus lose gebundenen vergilbten Seiten, doch der Anblick des kaum noch lesbaren Titels auf dem abgewetzten Einband berührte ihn zutiefst. Er brannte darauf, das Manuskript in Händen zu halten, die Worte zu lesen, so wie Clover sie ursprünglich erdacht hatte.

Baz warf einen Blick über die Schulter. Wäre es denn so schlimm, wenn er nur ein einziges Mal die Regeln brach? Er bekam vielleicht nie wieder die Chance, das Gewölbe zu betreten …

Ohne nachzudenken, legte Baz Die Gezeiten des Schicksals und der Schatten des Untergangs neben den Glaskasten und nahm den silbernen Reif ab. Unmittelbar darauf spürte er die Energie, tief in seinen Adern. Bevor er es sich anders überlegen konnte, aktivierte er seine Magie, ganz vorsichtig. Es war nicht schwer, nach den Zeitfäden zu greifen, die mit dem Schloss am Glaskasten verbunden waren, und den festzuhalten, der zu einer Zeit führte, in der es nicht verschlossen war.

Mit einem leisen Klicken gab der Mechanismus an dem Kasten nach, die Glasscheibe ließ sich zur Seite schieben, und da war es, Lied der ertrunkenen Götter.