Cyberneider - Natascha Kampusch - E-Book

Cyberneider E-Book

Natascha Kampusch

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Beschreibung

Natascha Kampusch, selbst immer wieder im Visier von Cyberattacken, hat gelernt, auch mit ungerechtfertigter Kritik zu leben. Wortlos über sich ergehen lassen will sie die jedoch nicht. Reflektiert und ungefiltert führt sie uns die sozialen Abgründe von Cybergewalt vor Augen. Diskriminierung im Internet ist längst kein Randphänomen mehr, sondern ein alltägliches Übel unserer Gesellschaft. YouTube, Facebook, Twitter und Instagram prägen heute das soziale Miteinander. Direkt vor unseren Augen und doch fernab von Gesetz und Moral bringen Debatten um Hashtags wie #MeToo, #Ibizagate und #Climatestrike die Gemüter zum Kochen. Populismus, Sexismus und Rassismus, die Werkzeuge der Radikalen, dominieren längst Medien und Politik. Es muss ein Umdenken stattfinden, besser heute als morgen, denn eines steht fest: Es kann und darf keine Rechtfertigung für Diskriminierung geben, niemals! "Rückblickend wird klar, dass Kampusch eines der ersten prominenten Opfer von Online-Mobs war." (Der Standard)

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NATASCHAKAMPUSCH

mit Niki Uzelac

CYBERNEIDER

Diskriminierung im Internet

Dachbuch Verlag

1. Auflage: Oktober 2019

Veröffentlicht von Dachbuch Verlag GmbH, Wien

ISBN 978-3-903263-12-3

eISBN 978-3-903263-13-0

Copyright © 2019 Dachbuch Verlag GmbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Autorin: Natascha Kampusch

Lektorat: Nikolai Uzelac

Korrektorat: Teresa Preis, Teresa Emich

Satz: Daniel Uzelac

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagfoto: Holde Schneider

Druck und Bindearbeiten: Rotografika, Subotica

Printed in Serbia

Besuchen Sie uns im Internet

www.dachbuch.at

Besuchen Sie Natascha Kampusch im Internet

www.kampusch.com

10 INTERNET-GEBOTE

Dein Verhalten kann anderen ein Vorbild sein.

Denke erst, bevor du schreibst und postest.

Sei zu anderen so, wie du willst, dass man zu dir ist.

Sei sparsam mit privater Information.

Verbreite Inhalte nur, wenn alle Beteiligtendamit einverstanden sind.

Kontrolliere Inhalte stets auf ihren Wahrheitsgehalt.

Konstruktive Kritik hilft, negative Kritik schadet.

Zeige Zivilcourage, wenn andere gemobbt werden.

Mach deinem Gegenüber doch mal eine Freude.

Es gibt keine Rechtfertigung für Diskriminierung. Niemals!

#cyberunity

INHALT

VORWORT

GEDANKEN, BEOBACHTUNGEN, ERFAHRUNGEN

Cyberneid

Der Fall Kampusch

Hass im Netz

NEUE MEDIEN

Ein Überblick

Influencer

Werbung

Sexismus

Liebe und Gewalt

Rassismus

Gaming

Politik und Medien

RECHT, POLITIK, WIRTSCHAFT, ZIVILCOURAGE

Ein Überblick

Lauter oder stiller Protest?

Rechtslage

Maßnahmen der sozialen Medien

Fazit und Lösungsvorschläge

SCHLUSSWORT

LINKS

DANK

VORWORT

»Cyberneider« soll weder Anklage noch Rechtfertigung sein, sondern ist in dem Bewusstsein entstanden, meinen Blick auf die Online-Kommunikation im einundzwanzigsten Jahrhundert zu schildern. Die Lektüre beruht auf meinen persönlichen Ansichten und Erfahrungen als aufmerksame Beobachterin sowie aus der Sicht einer Frau, aber auch aus der eines Kindes oder Jugendlichen und vor allem aus der Sicht eines Internet-Users. Es ging mir darum, das Thema »Diskriminierung im Internet« greifbar und für jeden zugänglich zu machen. Da ich selbst schon mehrmals ins Visier von Cyberattacken geraten bin, maße ich mir durchaus an, etwas zur aktuellen Debatte beitragen zu können.

Das Internet hat die Art und Weise unserer Kommunikation in den letzten zwanzig Jahren stark verändert. Sie ist schneller, direkter und umfangreicher geworden, wodurch uns vielleicht nicht immer gleich auffällt, wenn wir jemanden beleidigen oder diskriminieren. Überhaupt: Wo fängt Diskriminierung an und wo hört sie auf? Aus einer klaren Linie wurde mit der Zeit eine Grauzone, die vor allem rechtlich kaum noch zu durchschauen ist. Laut Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort handelt es sich bei Hasspostings um »aggressive, provozierende Postings im Internet. Oft erfüllen sie einen rechtlichen Straftatbestand und sind somit gerichtlich strafbar. Es macht rechtlich keinen Unterschied, ob ein Delikt in der realen Welt oder im Internet, z.B. in einem Online-Forum, begangen wird«1. Immerhin etwas, woran man sich orientieren kann.

Obwohl es nach österreichischem Recht also keinen Unterschied macht, ob Beleidigungen offline oder online ausgesprochen werden, kommt es mir vor, als würde dies im Internet ungleich häufiger geschehen. Da Hasspostings mittlerweile zum Alltag gehören und immer aggressivere Ausmaße annehmen, sinkt langsam die Hemmschwelle der Menschen auch abseits des WWW. Dem müssen wir unbedingt entgegensteuern, da Diskriminierung und Mobbing einfach keinen Platz in unserer Gesellschaft haben dürfen – nicht im Internet und auch sonst nirgendwo. Im Zuge meiner Recherchen stieß ich einmal auf das Wort »Cyberneider« und ich finde, dass dieser Ausdruck für die Verfasser von Hasspostings sprichwörtlich wie die Faust aufs Auge passt. Und so wurde aus einem erheiternden Working Title schließlich der Titel dieses Buches.

Ich sehe mich als jemand, der dem Leben offen gegenübersteht und sich für vieles begeistert. Doch anhand mancher Aussagen oder Kommentare merke ich, wie ungerecht die Welt sein kann und wie profilierungssüchtig manche Menschen sind. Dieses Buch zu schreiben, war in vielen Punkten eine Herausforderung. Zum einen, weil ich aufgrund meiner Lebensgeschichte vieles von dem, was andere nur vom Hörensagen kennen, am eigenen Leib verspürt habe und das kam natürlich das ein oder andere Mal mit voller Wucht wieder hoch. Da ich als junges Mädchen und auch als Erwachsene mit dem Thema Selbstbestimmtheit geradezu konfrontiert wurde, habe ich auch so einiges über das Prinzip an sich gelernt. Ich habe lernen müssen, wie wichtig das Wort Emanzipation für das Individuum ist. Meiner Auffassung nach hat jeder, ausnahmslos jeder, unabhängig von Geschlecht, Ethnie oder Religion, das Recht auf ein glückliches und freibestimmtes Leben.

Ich musste früh schreckliches Unrecht erfahren, wurde von meiner Familie getrennt und war jahrelang der Willkür eines einzigen Menschen ausgesetzt. Es braucht Mut, um die Ketten zu sprengen und die Knebel abzuwerfen, die vor allem uns Frauen seit Anbeginn der Zeit mundtot machen sollen. Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Jahrzehnt und es wird immer deutlicher, dass ein Umdenken im Umgang miteinander stattfinden muss. Vielleicht trägt dieses Buch ja dazu bei, ein klein wenig Frieden unter den Menschen zu stiften…

1www.oesterreich.gv.at/themen/bildung_und_neue_medien/internet_und_handy___sicher_durch_die_digitale_welt/3/3.html

GEDANKEN, BEOBACHTUNGEN, ERFAHRUNGEN

Cyberneid

Das Internet prägt den Menschen wie keine Erfindung jemals zuvor. Dieser völlig neue, künstliche Raum zieht uns Tag für Tag mit mirakulösen Reizen in seinen Bann. Es ist ein Ort, an dem wir arbeiten und uns zerstreuen, Handel und Politik betreiben, Beziehungen knüpfen und Freundschaften pflegen. Eine elektronische Erweiterung der »analogen« Welt, (noch) getrennt durch die Technik. Innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten ist das Internet zur wohl größten Stütze unserer globalen Gesellschaft geworden, ohne die ein Leben, wie wir es heute kennen, nicht mehr vorstellbar wäre. Innerhalb von Sekundenbruchteilen schießt Information um Information rund um den Erdball. Wir sind online, immer erreichbar, unser Gehirn arbeitet nonstop auf Hochtouren. Doch ist der Akku einmal leer, dann war es das.

Ich vergleiche das digitale Zeitalter gerne mit der Epoche der Romantik. Auch damals, vor zweihundert Jahren, zog man sich geistig zurück und flüchtete in eine Welt des vermeintlich Schönen und Guten. So gesehen ist auch das Internet ein willkommener Rückzugsort für uns geworden, ein immaterieller Kontinent mit schier unbegrenzten Möglichkeiten. Ein virtueller Raum, wo wir wachsen und reifen, Spaß haben, Erfolge feiern und Begierden stillen. Wo wir einfach wir selbst sein können. Wo überholte gesellschaftliche Rollenbilder aufgebrochen werden und wo sich Gleichgesinnte treffen, sei es in Bezug auf Religion, Geschlecht, Kunst, Mode, Ernährung, Medien, Arbeit oder Alltag.

Doch wo Licht fällt, gibt es bekanntlich auch Schatten. Diskriminierung, Missgunst und Hass stellen das Internet (und seinen Umgang damit) vor enorme Probleme. Die Kommunikation im Netz hat zum Teil erschütternde Ausmaße angenommen, was leider immer mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zu finden scheint. Private wie öffentliche Personen werden durch Mobbing und Terror massiv geschädigt, was in Extremfällen sogar zum Tod führen kann. Wenn wir das soziale Miteinander wirklich verbessern wollen, sollten wir uns mit gesundem Respekt begegnen, anstatt uns in Feindseligkeiten, Populismus und Burnouts treiben zu lassen.

Diese Herausforderungen können wir allerdings nur gemeinsam meistern – das gilt für uns alle: Beamte, Politiker, Journalisten, Unternehmer, Angestellte, Arbeiter und jeden anderen. Trotz all dem Neid und all der Aggression auf dieser Welt bin ich der Überzeugung, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Denn gleichzeitig sehe ich so viel Positives, ich sehe Leben, Liebe und Verbundenheit. Und das Wichtigste: Wir bewegen uns aufeinander zu – langsam, aber stetig. Allein, dass wir uns ernsthaft Gedanken machen, und nach Wegen gegen Mobbing und Diskriminierung suchen, zeigt, dass ein Großteil von uns mit der aktuellen Situation unzufrieden ist.

Wenn wir in die Welt der Cyberneider, Hassposter und Online-Kritiker eintauchen, begegnen uns unzählige Schlagwörter, die in diesem Diskurs umhergeistern. Diffamierung, Schikane, Terror, Hass, Sexismus und Rassismus sind nur einige davon. Um für die vorliegende Lektüre ein einheitliches Verständnis des Begriffs »diskriminieren« zu schaffen, will ich mich an der Definition von Duden orientieren:

»Durch (unzutreffende) Äußerungen, Behauptungen in der Öffentlichkeit jemandes Ansehen, Ruf schaden; jemanden, etwas herabwürdigen« beziehungsweise »(durch unterschiedliche Behandlung) benachteiligen, zurücksetzen; (durch Nähren von Vorurteilen) verächtlich machen«.2

Hieran erkennt man deutlich, dass hinter dem Akt der Diskriminierung meistens die Absicht der Verleumdung steckt. Ziel ist es, sein Gegenüber zu erniedrigen, um sich selbst zu erhöhen.

Die Gründe für Diskriminierung sind komplex und ihre Formen vielfältig. Mal ist es die gezielte Diffamierung einer Person, die private oder wirtschaftliche Schäden anrichten soll. Vielleicht ist es aber nur ein Kompensieren oder Ablenken von den eigenen Schwächen. Es kann natürlich auch ein aufgestauter Hass tief im Inneren sein, der sich urplötzlich als unbändige Wut entlädt. Und dann gibt es wiederum jene Fälle, in denen bloß aus Jux, Langeweile oder Dummheit gemobbt wird. Ein böses Spiel aus Kräften und Dynamiken, dem man meiner Meinung nach nur mit Vernunft, Mut und Aufklärung entgegenwirken kann.

Im Zuge des Internet-Hypes, den wir gerade erleben, dürfen wir nicht vergessen, dass Hass und Diskriminierung keine Online-Phänomene sind, sondern ihren Weg aus der realen Welt ins Netz finden. Das war schon ganz am Anfang in den ersten Chats und Foren so, nur dachte damals noch niemand daran, seinen Fokus darauf zu richten. Der Stellenwert der Online-Kommunikation ist heute ein ganz anderer. Ich dachte lange Zeit, dass die Anonymität im Internet ein Hauptbeweggrund dafür sei, Drohnachrichten und Hasspostings zu verfassen. Doch nun, in Zeiten der Transparenz von Google, Facebook und Co., bin ich mir da nicht mehr so sicher. Vielleicht liegt es ja an der räumlichen Distanz, am »sich nicht Gegenübersitzen«, an der Immaterialität und somit an einer gewissen Unwirklichkeit? Man ist allein, gerät in Rage, flucht, wettert und zieht sich zurück, sei es aus Bequemlichkeit oder aus Angst vor der direkten Konfrontation mit seinem Gegenpart.

Häufig findet Diskriminierung durch Beschimpfungen, Beleidigungen, Drohungen oder Verleumdungen statt. Aussagen wie »Stirb endlich!« oder »Ich werde dir auflauern« sollen Angst erzeugen und das tun sie auch, egal wie absurd sie sein mögen. Als Hassposter oder »Kritiker«, wie ich zu sagen pflege, setzt man andere unter Druck, man will schockieren. Die Dynamik dahinter ist simpel: Eine Person rückt ins öffentliche Leben, der Täter wird auf sie aufmerksam und in Folge aktiv, indem er ihr zum Beispiel eine Drohung per E-Mail zukommen lässt. Für ihn ist die Sache damit erledigt, für den Beleidigten beginnt der Stress jedoch erst, und damit die Angst davor, weitere Mails oder ganze Shitstorms zu ernten. Und wer weiß, vielleicht lauert einem ja doch irgendwo jemand auf? Hass wird also gezielt eingesetzt, um Ängste zu schüren. Dabei sollen die Opfer nicht selten dazu gebracht werden, bestimmte Absichten zu unterbinden. Gerade karitative und gemeinnützige Projekte sind da leicht angreifbare Ziele.

Aber was geht in jemandem vor, der ein Hassposting verfasst oder einen digitalen Drohbrief verschickt? Ich glaube ja, dass es sich in den meisten Fällen um Affektreaktionen handelt. Man liest einen Artikel, der irgendeine Wunde aufreißt, etwas Unverarbeitetes in der Psyche, und dann wird man aktiv. Manchmal herrscht aber schon ein brodelnder Hass auf eine bestimmte Person oder Gruppe vor. Man denkt sich: Na, wer passt mir denn heute nicht? Ach ja, die stand erst vor kurzem in der Zeitung, die konnte ich noch nie leiden. Dann schau ich mal, wo die im Internet vertreten ist und wie ich sie am schmerzlichsten treffen kann. Ja, so mache ich das! Die Person fühlt sich zunächst einmal gut, da sie denkt, sie hätte tatsächlich jemanden persönlich getroffen. In meinem Fall führt das meist ins Leere, da ich sowas nicht ernst nehme und auch gar nicht lese, weil meine Fanpost aus genau diesem Grund vorselektiert wird. Tja, und wenn keine Reaktion folgt, wird nachgelegt. Diesmal etwas fieser und sollte dann immer noch nichts zurückkommen, steigt im Kritiker Frust auf und eine innere Leere macht sich breit, sodass er wie ein Drogensüchtiger weiter- und weitermachen muss, um seinen Trieb zu besänftigen. Ein solches Verhalten führt dazu, dass diese Leute irgendwann keine Grenzen mehr kennen und jegliches Gefühl fürs Zwischenmenschliche verlieren. Sie gleiten immer tiefer ins Bodenlose, bis hin zum Realitätsverlust, verwirren zusehends und geraten so in einen Circulus vitiosus. Das ist natürlich der Ausnahmefall. Aber was mit einer kleinen Stichelei anfängt, kann durchaus übel ausarten.

Trotz seiner Plastizität und der unendlichen Möglichkeiten des Partizipierens ist das Internet eigentlich aalglatt. Man bekommt Personen vorgesetzt, deren Status man nie erreichen wird, man bekommt Produkte präsentiert, die man sich nie leisten wird können. Es ist einfach unmöglich, ein Teil der Inszenierung zu werden. Egal wie, die Latte wird immer zu hoch liegen. Trotzdem werden uns derartige Bilder Tag für Tag vermittelt, mal gezielt, mal zufällig, was zu Neid führen kann. Und der ist, wie wir wissen, ein optimaler Nährboden für Hass und Missgunst. Ich persönlich finde ja diese Ambivalenz sehr spannend, dass Mobber mit ihren Attributen gleichzeitig Opfer und Täter sein können. Nicht selten verschwimmen hier die Grenzen zwischen »Gut« und »Böse«. Viele von uns leben emotional, aber auch existenziell am Limit und das über Jahre hinweg. Durch Sorgen und Ängste kommt es zu Spannungen in der Gesellschaft, die die Wogen leicht hochgehen lassen. Wir fühlen uns zerrissen, sind mit all der Schnelllebigkeit überfordert und das Wenige an Freizeit reicht einfach nicht aus, um wirklich abschalten zu können. Doch wie überall im Leben, so ist es auch im Internet ratsam, einen kühlen Kopf zu bewahren – selbst wenn es einem schwerfällt. Warum nicht mal einen Gang zurückschalten? Konfrontation ist zwar wichtig, aber nur bedingt notwendig.

Das digitale Zeitalter steckt noch in seinen Kinderschuhen und ich denke, dass wir erst am Beginn stehen, was den gemeinsamen Umgang im World Wide Web betrifft. Aller Anfang ist schwer. Tagtäglich tun sich neue, wilde und unberechenbare Dynamiken des sozialen Miteinanders auf, die es erst zu erforschen gilt. Es liegt wie gesagt allein an uns, einen positiven Weg für die Zukunft einzuschlagen, wobei wir die Schlüssel dazu bereits in Händen halten.

Der Fall Kampusch

Man hat mich schon habgierig, mediengeil, verlogen oder fresssüchtig geschimpft. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass jemand, der eines meiner Interviews sieht oder liest, ein solches Bild von mir bekommt. Nein, mein öffentliches Image wurde zum Großteil von anderen geprägt. Es ist ja vollkommen in Ordnung, wenn man meint, ich sei einem unsympathisch, nur persönlich beleidigen braucht man mich nicht. Am liebsten ist mir natürlich inhaltliche Kritik, wie ich sie zum Beispiel auf Twitter erhalte, denn dazu kann ich konstruktives Feedback geben. Überhaupt möchte ich an dieser Stelle festhalten, dass die diskriminierenden Kommentare mir gegenüber in Foren, sozialen Netzwerken oder Nachrichtenportalen ja nur einen kleinen Teil aller Postings ausmachen. Ich erhalte großen Rückhalt durch so viele Menschen, die es gut mit mir meinen, sodass mich die paar wenigen Grantler3 nicht aus der Bahn werfen können. Was soll ich sagen? Mit der Zeit ist man eben an so einiges gewöhnt.

In einem Artikel der Tageszeitung Der Standard las ich einst, dass »Kampusch eines der ersten prominenten Opfer von Online-Mobs war.«4 Tatsächlich ist es so, dass Cybermobbing zur Zeit meiner Selbstbefreiung im Jahr 2006 medial zum Thema wurde. Foren, Chats und Messenger-Dienste waren bereits etabliert, Facebook und YouTube gerade im Kommen. Durch meine aufsehenerregende Flucht aus dem Kellerverlies war der Medienrummel um meine Person entsprechend groß und bald wusste die ganze Welt über mich Bescheid. Es gab horrende Angebote für Exklusiv-Interviews, es gab Bestechungsversuche von Journalisten, um mir näher zu kommen, es wurden unglaubliche Summen für ein erstes Foto von mir geboten – die Liste ist lang. Man wollte unbedingt diese Natascha Kampusch sehen, koste es, was es wolle!

Ein paar Wochen nach meiner Flucht wurde der Druck schließlich unerträglich. Noch nie war ein Fall wie meiner dagewesen und jeder wollte darüber berichten. Es wurden Polizeistellen umringt, es wurde das Krankenhaus belagert, überall waren Journalisten und irgendwann habe ich dann für mich beschlossen, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Ich hatte das Gefühl, selbst berichten zu müssen, wie sich die Dinge zugetragen hatten. Die Polizei ermittelte bereits und ich wollte nicht, dass die Medien noch wilder herumspekulierten, als sie es sowieso schon taten. Heute bin ich mir sicher, es wäre alles noch viel schlimmer gekommen, hätte ich mich nicht selbst in die Berichterstattung eingebracht.

Nach meinem ersten Interview hatte ich unzählige Zuschriften von Menschen erhalten, die Anteil an meinem Schicksal nahmen und sich mit mir solidarisieren wollten. Jeder hatte seine Gründe, mir zu schreiben und viele der Briefe berührten mich zutiefst. Ich war überwältigt von dem Zuspruch und von den Geschichten aus aller Welt. Ich konnte mich in die Erlebnisse der Absender hineinversetzen und mir wiederum war, als hätte ich mich zum ersten Mal im Leben wirklich verstanden gefühlt. Deshalb war das Bedürfnis auch von Anfang an so groß, anderen zu helfen, sodass ich beschloss, meine Bekanntheit fortan zu nutzen, um Gutes zu tun. Das fühlte sich beinahe wie eine Verpflichtung an.

Auf der anderen Seite gab es schon damals Leute, die mir eine gewisse Missgunst entgegenbrachten. Ich hatte nie vor, »Everybody’s Darling« zu sein, das liegt mir nicht. Warum ich aber in der Öffentlichkeit zum Teil auf so heftige Antipathie gestoßen bin, darüber rätsle ich bis heute. Ich kann nur mutmaßen: Möglicherweise wurde im Fall Kampusch einfach zu lange ermittelt. Es gab laufend Ausschüsse und Verfahren, worüber in den Medien groß berichtet wurde. Sogar das FBI schaltete sich ein. Am Schluss kam man dann zu dem Ergebnis, dass sich alles so zugetragen hat, wie ich es von Anfang an geschildert hatte: Es war mir gelungen, mich nach acht Jahren Gefangenschaft selbst zu befreien, woraufhin der Täter sich das Leben nahm. So einfach ist das. Was hatte man sich auch anderes erwartet?

Natürlich kosteten all die Untersuchungen und Ermittlungen die österreichischen Steuerzahler Geld, was dem einen oder anderen meiner Kritiker wohl bitter aufstieß. Hinzu kam, dass öffentlich hitzig darüber spekuliert wurde, mit welcher Summe mich der Staat denn finanziell unterstützt hätte. Dabei verirrte sich nicht ein Groschen des Staatsbudgets auf mein Konto! Das einzige, bei dem man mir unter die Arme gegriffen hatte, war der Schulabschluss. Dafür wurden mir vom Staat Lehrkräfte zur Vorbereitung auf meine Prüfungen zur Seite gestellt. Das war alles. Das Haus, in dem ich jahrelang gegen meinen Willen festgehalten wurde, war mein rechtmäßiges Erbe und kein Geschenk der Republik. Doch manch einer ist da bis heute anderer Meinung. Und das, obwohl es überhaupt keine Fakten oder Belege gibt, die ihre teils abstrusen Behauptungen untermauern könnten.

Darüber hinaus wurde ich zum Spielball so einiger Politiker, Journalisten und Beamten auserkoren. Das hängt mir noch immer nach und das permanente Misstrauen, von anderen instrumentalisiert zu werden, ist zu einem ständigen Begleiter geworden. Mit mir wurde umgesprungen, wie man wollte. Das war extrem entwürdigend, doch aus Angst, zu einer noch größeren Zielscheibe für meine Feinde zu werden, ließ ich es über mich ergehen. Unerträglich wurde es jedoch, als absurde Verschwörungstheorien die Runde machten, wonach ich alle bloß an der Nase herumführen würde und mit dem Täter die ganze Zeit über unter einer Decke gesteckt hätte. Auch wurde man nicht müde, ständig die sexuelle Komponente hinter meinem Fall zu betonen und so entschied ich nach einigen Jahren, mich zurückzuziehen und die Öffentlichkeit (so gut es ging) zu meiden.

Mit dem Erscheinen meines zweiten Buches 2016 schlug die Stimmung allmählich um. Zehn Jahre waren seit meiner Selbstbefreiung vergangen und ich war vom dürren, schüchternen Mädchen zu einer selbstbewussten Frau gereift. Vieles hatte sich verändert: Die Kinder und Jugendlichen gehörten einer neuen Generation an, neue Medien und neue Journalisten hatten sich etabliert und auch der Trubel um meine Person hatte merklich nachgelassen. Heute bin ich froh, sagen zu können, dass ich ein relativ entspanntes Verhältnis zu den Medien pflege, sowohl in Österreich als auch im Ausland.

Hass im Netz

Da ich selbst schon häufig ins Visier von Cybermobbern geraten bin, will ich hier als Betroffene meine Beobachtungen und Erfahrungen wiedergeben. Das macht mich zwar zu keiner Expertin auf diesem Gebiet, dennoch werde ich regelmäßig darauf angesprochen, beruflich wie privat. Da macht man sich