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Hans Rath

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Beschreibung

Seine Traumfrau will nicht. Sein Anzug sitzt nicht. Sein Hund hört nicht. Da muss Paul wohl durch … Für den neuen Chefposten soll er zum Bewerbungsbesuch nach Mallorca, in die Villa der Firmeneigentümer. Vier Frauen entscheiden über Pauls Karriere: seine große Liebe, ihre verführerische Schwester, die heiratswütige Tante und vor allem die frostige Großmutter. Da braucht es nicht viel, um reihum in Ungnade zu fallen. «Klingt nach Männerbuch, ist aber leichte Sommerlektüre mit Happy-Hour-Garantie. Am Ende ist man fast traurig, dass man die Jungs ihrem Schicksal überlassen muss.» «Myself» über «Man tut, was man kann».

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Hans Rath

Da muss man durch

Roman

Informationen zum Buch

Seine Traumfrau will nicht.

Sein Anzug sitzt nicht.

Sein Hund hört nicht.

Da muss Paul wohl durch… Für den neuen Chefposten soll er zum Bewerbungsbesuch nach Mallorca, in die Villa der Firmeneigentümer. Vier Frauen entscheiden über Pauls Karriere: seine große Liebe, ihre verführerische Schwester, die heiratswütige Tante und vor allem die frostige Großmutter. Da braucht es nicht viel, um reihum in Ungnade zu fallen.

«Klingt nach Männerbuch, ist aber leichte Sommerlektüre mit Happy-Hour-Garantie. Am Ende ist man fast traurig, dass man die Jungs ihrem Schicksal überlassen muss.» «Myself» über «Man tut, was man kann».

Informationen zum Autor

Hans Rath, Jahrgang 1965, studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie in Bonn. Er lebt in Berlin, wo er sein Geld unter anderem als Drehbuchautor verdient. Mit seinem Romanerstling «Man tut, was man kann» hat er die Bestsellerlisten im Sturm erobert.

Du kannst Uschi zu mir sagen

Audrey findet Sex über den Wolken super, vorausgesetzt, das Wetter spielt mit. «Bei Gewitter kannst du es nämlich vergessen, einen Orgasmus zu kriegen, weil das Rumpeln dich ständig aus dem Rhythmus bringt», erklärt sie mit ernster Miene und nippt an ihrem Kaffee.

Seit gut einer Stunde erzählt Audrey von ihren erotischen Abenteuern, und inzwischen kommt mir das Kamasutra ziemlich lückenhaft vor.

«Bei Gewitter muss man aus Sicherheitsgründen ja eigentlich auch immer angeschnallt bleiben», erklärt Henning mit vorwurfsvoller Miene. Er sitzt rechts von mir am Fenster und hat auf den freien Platz zwischen uns einen Ratgeber gegen Flugangst und ein ziemlich abgegriffenes Stofftier gelegt.

«Da hab ich aber andere Sachen erlebt», erwidert Audrey amüsiert. «Ich bin schon mit Airlines geflogen, da gab es an manchen Sitzen überhaupt keine Gurte. Außerdem durfte man rauchen und telefonieren. Und als ich gefragt hab, ob Handys nicht die Bordelektronik stören, hat die Stewardess geantwortet: ‹Welche Bordelektronik?›»

Henning verzieht gequält das Gesicht. Offenbar sind solche Gespräche in zwölftausend Meter Höhe kein gutes Rezept gegen seine Flugangst.

«Ist das ein Glücksbringer?», fragt Audrey und deutet auf das Stoffknäuel auf dem freien Platz.

Henning nickt. «Ein Biber. Hat mir mein Sohn geschenkt.»

«Süß. Wie alt ist er denn?», fragt Audrey interessiert.

Henning blickt ratlos auf seinen Biber.

«Der Sohn, nicht der Biber», werfe ich ein. Ich habe schon gemerkt, dass man Henning gelegentlich auf die Sprünge helfen muss, weil er sonst flugangstbedingt die Reaktionszeit einer Galapagosschildkröte hat.

«Ach so. Zwölf.»

«Ich hab auch einen Glücksbringer», grinst Audrey. «Ein Tattoo.»

Henning schaut sie interessiert an. Für den Moment scheint er seine Sorgen vergessen zu haben.

Sie errät seine Gedanken und schüttelt den Kopf. «Kann ich jetzt leider nicht zeigen. Ist nicht jugendfrei.» Dabei wirft Audrey einen vielsagenden Blick auf ein paar pubertierende Jungs in der Reihe vor uns. Die Clique hatte zu Beginn des Fluges lautstark mit erotischen Urlaubsplänen geprahlt, war aber während der Schilderungen von Audrey zunehmend stiller geworden. Inzwischen herrscht ehrfürchtiges Schweigen unter den Halbstarken. Ich vermute, sie überlegen gerade, ob sie wirklich schon bereit sind für das Abenteuer Sex oder ob Tischfußball und Nachtwanderungen nicht auch schöne Freizeitbeschäftigungen sind.

Kapitän Arne Petersen setzt uns nun davon in Kenntnis, dass wir die Reiseflughöhe soeben verlassen haben und uns im Anflug auf Palma de Mallorca befinden. Das hätte ich auch ohne Durchsage gewusst, denn gerade krallen sich Hennings Fingernägel in die Armlehnen.

«Oh, dann muss ich schnell nochmal wohin», zwitschert Audrey, springt auf und hat die Toilettentür hinter sich geschlossen, bevor Henning einwenden kann, dass die Anschnallzeichen längst leuchten.

Henning ist um die vierzig und hat seine Bio-Imkerei von Deutschland nach Mallorca verlegt. Seine Familie wollte sich ihren Traum von einem Leben unter südlicher Sonne erfüllen, weshalb Henning nun alle zwei Wochen unter Höllenqualen in die alte Heimat fliegt, weil er dort den größten Teil seiner Ernte absetzt. Ökologisch findet Henning das selbst alles äußerst fragwürdig, aber er muss eine bis zum Windrad verschuldete Finca abbezahlen, hat zudem Ärger mit dem Finanzamt, sein Sohn will ein Segelboot, die Tochter ein eigenes Pferd und Hennings Frau hat das Hobby, ihm ständig mit Scheidung zu drohen. Darüber hat er irgendwie Flugangst bekommen. Ich sage dazu nichts, denn ich glaube, wenn die Bank erst seine Bienenstöcke zwangsversteigern lässt, wird Henning schon selbst drauf kommen, was der Auslöser sein könnte.

«Der Copilot ist total süß», schwärmt Audrey und lässt sich wieder in ihren Sitz fallen. Henning schaut besorgt zu ihr herüber, Audrey winkt locker ab. «Keine Sorge. Wir haben nur ein bisschen geflirtet.»

Audrey ist Mitte zwanzig und von Beruf Fotografin. Sie jettet durch die Weltgeschichte und schießt Modefotos für Hochglanzmagazine, am liebsten Bilder von Beachboys in Unterwäsche oder Badehose. Manchmal auch ohne Hose, das kommt laut Audrey ganz aufs Magazin an.

Mit sechzehn ist sie nach New York gezogen, um Fotografie zu studieren, und wurde die Muse ihres Professors, eines mehr als vierzig Jahre älteren Starfotografen, der sie am Tag ihrer Volljährigkeit heiraten wollte. Der Plan zerschlug sich, weil Audrey zuvor die halbe Upper East Side flachlegte. Ihr Ehemann in spe verfiel dem Alkohol und versuchte, seinem Leben durch einen Sprung von der Brooklyn Bridge ein Ende zu setzen. Ein Zipfel seines Bademantels blieb jedoch an einem hervorstehenden Bolzen hängen, und so baumelte der Professor eine Stunde lang nackt über dem East River, bis ein von den Hilferufen genervter anderer Selbstmörder die Polizei informierte. Gerichtlich verordnete man Audreys Ex daraufhin eine Suchttherapie. Jetzt ist er trocken, hockt in einem ärmlichen Zimmerchen in der Bronx und fotografiert Hundewelpen für einen Züchter aus New Jersey.

Audrey findet, dass ihr Ex Glück gehabt hat, weil der Selbstmordversuch ja auch schlimmer hätte ausgehen können. Ob der Professor das auch so sieht, wage ich zu bezweifeln, denn ich vermute, dass ein Mann, der früher die Rolling Stones oder den Sultan von Brunei fotografiert hat und nun den ganzen Tag Chihuahuas knipsen muss, sich nichts sehnlicher wünscht, als vom nächsten Bus überfahren zu werden.

Audrey heißt eigentlich Andrea-Regina. Auf Anregung eines Londoner Violinisten änderte sie jedoch ihren Namen. Nach einer kurzen, aber heftigen Affäre verließ sie den liebeskranken Musiker kurz vor seinem ersten Auftritt im Teatro Colon. Prompt schwänzte der Mann die Vorstellung und fiedelte stattdessen stundenlang Tangomelodien vor Audreys Hotel. Am Ende waren drei Polizisten nötig, um den Unglücklichen von seiner schluchzenden Violine zu trennen.

Audrey findet, dass sie ihm einen Gefallen getan hat, denn ihrer Meinung nach war er offensichtlich psychisch zu labil für eine internationale Karriere. Dass der Mann sich bereits mitten in einer solchen befand, als Audrey ihn abservierte, scheint sie nicht einmal bemerkt zu haben. Überhaupt wird aus ihren Erzählungen deutlich, dass sie Männerherzen schneller schreddern kann als die Stasi ihre Geheimakten.

Ein Schnaufen zu meiner Rechten erinnert mich daran, dass Henning Landeanflüge schrecklich findet.

«Alles okay?», frage ich leicht besorgt.

Henning nickt tapfer, die Augen geschlossen, schnauft aber weiter.

«In ein paar Minuten sind wir da», versuche ich ihn zu beruhigen.

Wieder nickt Henning, behält die Augen weiterhin geschlossen, presst nun die Lippen zusammen und atmet durch die Nase.

Audrey schenkt mir ein zartes Lächeln, wahrscheinlich findet sie es süß, dass ich versuche, Henning vor einem Kreislaufkollaps zu bewahren.

Ich lächle zurück, möglichst verhalten, denn sie soll nicht denken, dass ich mit ihr flirten möchte. Das hält sie allerdings nicht davon ab, mit mir zu flirten. Dabei bin ich bestimmt nicht ihr Typ. Ich hab so gar nichts von einem Model. In Unterwäsche sehe ich aus, als hätte man mich nach einer Pechsträhne aus dem Kasino geworfen.

Ich wende den Blick von ihr ab, lasse den Kopf auf die Rückenlehne sinken und schließe die Augen. Ich möchte allein schon deshalb professionelle Distanz zu ihr halten, weil sie nach Lage der Dinge bald mein Boss sein wird. Sie gehört nämlich jener Familie an, deren Unternehmen ich in Zukunft leiten soll. Wir haben das zufällig kurz nach dem Abflug herausgefunden. Ich betrachtete gerade ein Foto von Iris, als Audrey sich bei dem Versuch, ihre Löwenmähne zu bändigen, in ihrem Sitz streckte und dabei einen Blick auf das Bild warf.

«Sie kennen meine Schwester?», fragte sie verdutzt.

Ich sah sie an, ähnlich orientierungslos wie einst Varus im Teutoburger Wald. Eine Schrecksekunde lang fragte ich mich, ob Audrey wohl von der Sache mit mir und Iris wüsste, hielt diesen Gedanken aber dann doch für zu abwegig. Im nächsten Moment wurde mir klar, dass sich auch ein Bild von Audrey in meinem Dossier befinden müsste. Ich blätterte, wurde fündig und zog das Foto hervor. Audreys Gesichtsausdruck verdüsterte sich.

«Wo haben Sie die Fotos her?» Es klang gereizt. «Sind Sie etwa einer von diesen Typen, die sich Bilder aus dem Netz ziehen?»

«Sehe ich aus wie ein Internetperverser?», fragte ich verwundert.

Sie musterte mich. «Eigentlich nicht, aber wer weiß?»

Ich seufzte und reichte ihr die Mappe. «Das hier ist ein Dossier über Ihre Familie. Ein paar Bilder und allgemeine Informationen, um genau zu sein.»

Ihr Gesichtsausdruck wechselte von argwöhnisch zu erstaunt.

«Ich heiße Paul Schuberth. Ihre Familie möchte mich kennenlernen, weil ich in Zukunft den Verlag leiten soll. Deshalb fliege ich nach Mallorca. Und deshalb hab ich auch diese Fotos dabei. Damit ich ungefähr weiß, mit wem ich es dort zu tun haben werde.»

Audreys Gesicht hellte sich auf. Sie blätterte kurz durch die Mappe, dann sah sie mich an und lachte. «Sie sind also Paul Schuberth.» Sie musterte mich. «Hab schon einiges von Ihnen gehört. Sie werden mit Spannung erwartet. Ihretwegen hat Lissy uns alle auf die Insel zitiert.»

Ich überlegte, ob ich den Namen Lissy schon mal gehört hatte.

Audrey erriet meine Frage, blätterte in der Mappe, zog ein Foto hervor und reichte es mir. «Elisabeth von Beuten. Meine Großmutter.»

Das Foto zeigte eine alte Dame, die in einem stahlblauen Kleid auf einem roten Samtsessel thronte. Zuerst dachte ich, Audreys Großmutter hätte sich einen Spaß daraus gemacht, im Stil der englischen Königin zu posieren. Dann wurde mir mit leichtem Unbehagen klar, dass die stahlblaue Patriarchin nicht einmal ansatzweise so etwas wie Spaß ausstrahlte, wohl aber ein ungewöhnlich stark ausgeprägtes Machtbewusstsein.

Audrey riss mich aus meinen Gedanken, sie war immer noch mit der Mappe beschäftigt. «Was steht denn hier eigentlich so über mich drin?»

«Keine Ahnung», erwiderte ich. «Ich hab gerade erst angefangen zu lesen.»

«Verstehe», sagte sie und warf mir einen provozierenden Blick zu. «Und da haben Sie sich gleich mal in meine Schwester verguckt, was?»

Ich zuckte merklich zusammen, was glücklicherweise nicht auffiel, weil in diesem Moment ein leichter Ruck durch die Maschine ging. Audrey ahnte nicht, wie sehr sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

Um Zeit zu gewinnen, lächelte ich. Hatte Iris ihrer Familie gegenüber erwähnt, dass wir uns kannten? Oder würde sie mich bei unserem Wiedersehen wie einen Fremden behandeln? Ich beschloss, mich ins Ungewisse zu retten: «Ich dachte, ich würde sie irgendwoher kennen.»

Audrey nickte, aber ich war nicht sicher, ob die Antwort sie wirklich zufriedenstellte. Glücklicherweise mischte sich in diesem Moment Henning in unser Gespräch, indem er nach meiner Hand griff und sie fest umklammert hielt. «Flugangst», nuschelte er entschuldigend. «Wird gleich besser.»

Ich blickte zu Audrey, die mitfühlend nickte und mir bedeutete, dass wir unter diesen Umständen wohl besser schweigen sollten, bis Henning sich ein wenig beruhigt hätte.

Ich lehnte mich also zurück und schloss die Augen. Da saß ich nun, Paul Schuberth, designierter Vorstandsvorsitzender der Beuten Medien GmbH, Hand in Hand mit einem deutsch-mallorquinischen Bio-Imker.

Am Flughafen wartet Ursula auf uns. Sie begrüßt Audrey überschwänglich. Ursula und ihr Mann Josef kümmern sich schon seit vielen Jahren um das Anwesen der Familie von Beuten. Zuvor hatte das Paar einen Strand-Imbiss betrieben, aber die Kunden waren für deftige Suppen bei vierzig Grad im Schatten leider nicht zu begeistern gewesen. Im Hause von Beuten ist Ursula für die organisatorischen Abläufe zuständig, während Josef handwerkliche Arbeiten erledigt und die Außenanlagen in Schuss hält.

All das erfahre ich binnen knapp zwei Minuten.

Ursula ist eine rundliche Blondine Anfang fünfzig mit hochtoupierten Haaren. Unter ihrem gelben Top zeichnet sich ein bis zum Zerreißen gespannter Büstenhalter ab. Ich hoffe, er ist seiner Aufgabe gewachsen, denn sollte er explodieren, werden die umherfliegenden Haken und Ösen eine Menge Menschenleben kosten.

«Du kannst Uschi zu mir sagen», verkündet Ursula in breitestem rheinischen Dialekt und schüttelt mir ausgiebig die Hand.

«Freut mich, ich bin Paul», erwidere ich und befürchte, es klingt freudlos.

«Fein, dann wollen wir mal», frohlockt Uschi und öffnet die Tür eines monströsen Geländewagens. «Immer rein in die gute Stube.»

Henning, der bislang etwas abseits stand, kommt näher. Er ist immer noch blass um die Nase und etwas wackelig auf den Beinen.

«Das ist Henning», erklärt Audrey. «Seine Frau wollte ihn abholen, aber es scheint was dazwischengekommen zu sein.»

«Wo musser denn hin?», fragt Uschi und öffnet den Kofferraum, um unser Gepäck zu verstauen.

«Can Negte. Das ist in der Nähe von…»

«Inca. Ich weiß», unterbricht Uschi und nickt freundlich. «Liegt ja sowieso auf’m Weg. Und je mehr Leute wir sind, desto lustiger isset doch.»

Eine mäßig lustige Stunde später setzen wir Henning an seiner Finca ab. Sie ist klein, ein wenig heruntergekommen und im Moment verwaist. In einem Western wäre sie die verlassene Poststation.

«Sind wohl alle schwimmen gegangen», mutmaßt Henning, ein wenig enttäuscht darüber, dass seine Familie ihn offenbar eher am Flughafen verrotten lässt, als auf einen Strandtag zu verzichten.

«Die kommen sicher bald», versucht Audrey ihn aufzumuntern.

Henning quittiert ihre Bemerkung mit einem dankbaren Lächeln. Zum Abschied bekommen wir ein großes Glas Bio-Honig geschenkt, außerdem sollen wir vorbeischauen, wenn wir mal wieder in der Gegend sind.

Eine weitere Stunde später verlassen wir die Hauptstraße und gelangen durch unzählige Serpentinen zum Anwesen der Familie von Beuten. Der Geländewagen passiert ein reichverziertes schwarzes Eisentor, über dem in großen silbernen Lettern zu lesen ist: «Faber est suae quisque fortunae».

Audrey sieht, dass ich mir Mühe gebe, meine armseligen Lateinkenntnisse zusammenzukratzen, um den Sinnspruch zu entschlüsseln, und übersetzt kurzerhand: «Jeder ist seines Glückes Schmied.»

Danke. Das hätte bei mir wesentlich länger gedauert.

«Daddy ist stolz auf seine humanistische Bildung», erklärt Audrey.

Toll, dann bin ich ja schön aufgeschmissen.

«Früher war er ein ziemlicher Besserwisser», ergänzt sie. «Aber das hat inzwischen etwas nachgelassen.»

Wir verlassen ein Waldstück und fahren auf einer unbefestigten Straße eine Anhöhe hinauf. In der Ferne funkelt das Meer.

Vor uns taucht ein Radfahrer auf. Es ist ein kleiner Junge von vielleicht sechs oder sieben Jahren, der energisch in die Pedale tritt und nun freudig zu winken beginnt.

«Seht mal! Der Alphons!», ruft Uschi.

«Mein kleiner Bruder», ergänzt Audrey und winkt zurück.

In diesem Moment holpert das Kinderfahrrad über einen Stein, Alphons verliert das Gleichgewicht, schießt mit seinem Gefährt über den Straßenrand hinaus und stürzt kopfüber einen steilen Abhang hinab.

Mir stockt der Atem.

«Ach, der Alphons!», lacht Uschi und passiert, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen, jene Stelle, an der Alphons mutmaßlich gerade sein Leben ausgehaucht hat.

Ich schaue irritiert den Hang herunter und versuche die Überreste von Alphons zu erspähen, derweil Audrey entspannt erklärt: «Mein Bruder ist ein Tollpatsch. So was passiert ihm andauernd.»

Um mir die Stelle zu merken, an der die Rettungsmannschaft später nach Alphons suchen muss, blicke ich durch die Heckscheibe und sehe dabei mit Erleichterung, dass der Junge den Sturz wie durch ein Wunder überlebt hat. Alphons kraxelt humpelnd auf die Straße zurück und zieht dabei die Reste seines Fahrrads hinter sich her.

Als ich mich wieder nach vorne wende, staune ich erneut. Der Feriensitz der von Beutens liegt nun vor uns. Es ist ein imposantes Herrenhaus, an dessen mit Bougainvilleen bewachsenem Portal uns ein älterer Herr mit graumelierten Haaren erwartet. Seine Kleidung und seine aristokratische Haltung passen dermaßen gut zum Ambiente, dass ich das Gefühl habe, in einen Sonntagabendfilm hineinzufahren.

Der Wagen hält, Audrey springt ins Freie. «Grandpa!», höre ich sie rufen und sehe durch die Frontscheibe, wie sich die beiden in die Arme fallen.

«Der alte Herr von Beuten», erklärt Uschi. «Audrey und er sind ein Herz und eine Seele. Sind ja auch beide Künstler.»

Derweil Audrey im Badehaus verschwindet, um sich für ein paar Bahnen im Pool umzuziehen, machen Karl von Beuten und ich es uns auf einer der zahlreichen Terrassen bequem. Der Blick ist phantastisch, und es geht eine leichte Brise.

«Was darf ich Ihnen denn zu trinken anbieten, Paul?», fragt Karl und gießt sich selbst einen mehrstöckigen Brandy ein. «Wir haben Gin, Rum, Whisky…» Er hält inne, betrachtet das opulente Alkoholangebot. «Eigentlich gibt es nichts, was wir nicht haben.»

Ich schiele auf meine Uhr. Es ist früher Nachmittag. Wenn ich jetzt anfange, Schnaps zu trinken, werde ich beim Abendessen wahrscheinlich Seemannslieder grölen. Das möchte ich vermeiden. «Nur ein Glas Wasser bitte.»

Karl nickt und schenkt ein, derweil sich auf der anderen Seite des Pools die Tür zum Badehaus öffnet und Audrey erscheint. Sie trägt nichts außer einem kleinen, schwarzen Bikini-Slip.

Ich nicke lächelnd und wende mich dann rasch wieder meinem Gesprächspartner zu, damit Audrey nicht denkt, ich würde sie beobachten. Dass sie einen sehr hübschen Busen und eine ungemein ansehnliche Figur hat, habe ich sowieso längst gesehen.

Karl reicht mir mein Wasser, im selben Moment fällt sein Blick auf Audrey, und ein Anflug von Ärger ist in seinem Gesicht zu lesen. «Kind, zieh dir bitte was an. Wir haben schließlich Gäste.»

Audrey stemmt die Hände in die Hüften und verlagert ihr Körpergewicht auf das linke Bein. Das sieht ebenso keck wie sexy aus.

«Ach, komm. Wir sind doch unter uns, Grandpa. Und Paul hat bestimmt nichts dagegen, oder?» Sie sagt es lässig und sieht mich dabei fragend und ein wenig herausfordernd an.

Ich zucke ratlos mit den Schultern. Grundsätzlich habe ich nichts gegen die Gesellschaft halbnackter Frauen, möchte mich aber auch nicht in die Etikette der Familie von Beuten einmischen.

Karl bleibt unnachgiebig. «Außerdem kommen die anderen gleich. Du weißt genau, dass Lissy und Konstantin es nicht ausstehen können, wenn du hier so rumläufst.»

Audrey seufzt und hat offenbar ein Einsehen mit ihrem Großvater, denn sie dreht sich nun um und schlendert zurück zum Badehaus.

Ich sehe ihr nach, und mein Blick fällt auf das Tattoo, das Audrey im Flugzeug erwähnt hat, oder genauer gesagt, auf jenen Fetzen Stoff, unter dem es verborgen ist. Das Motiv wird nämlich größtenteils von ihrem Slip verdeckt, einige zarte Linien, die sich auf ihren Po und ihre Hüften schlängeln, verraten aber ziemlich genau, wo es sich befindet.

Da ich mir vorzustellen versuche, wie Audreys Glücksbringer wohl aussieht, vergesse ich diesmal, meinen Blick zeitnah von ihr loszureißen. Das fällt aber glücklicherweise nicht auf, weil Audrey mir ja den Rücken zuwendet und Karl sein Glas in einem Zug geleert hat und nun damit beschäftigt ist, sich großzügig nachzuschenken. Er lässt Eis in seinen sechsstöckigen Brandy purzeln.

«Sie wissen vielleicht schon, dass ich mich nicht sonderlich fürs Geschäft interessiere», sagt er und nimmt Platz. «Es ist halt eine leidige Pflicht.»

Da ich mich im Flugzeug mit Audrey und Henning unterhalten habe, statt mein Dossier zu studieren, weiß ich leider gar nichts über Karl von Beuten. Ich mache also ein erwartungsvolles Gesicht und hoffe, dass er mir ein bisschen von sich erzählt, bevor er sturzbetrunken mit dem Kopf auf die Tischplatte knallt, was nach meiner Einschätzung in weniger als fünf Minuten der Fall sein wird.

«Obwohl ich meine Karriere ja schon vor langer Zeit an den Nagel gehängt habe, schlägt mein Herz immer noch fürs Theater. Wer einmal Theaterluft geschnuppert hat, der vergisst das nicht.» Er nippt an seinem Brandy, ist offenbar sehr zufrieden mit dem Drink und kippt wie zur Bestätigung das halbe Glas in einem Zug. «Was ist Ihr Lieblingsstück?», fragt er.

Darüber habe ich mir bislang noch keine Gedanken gemacht. Ich überlege angestrengt, während von Beuten sich ein wenig vorbeugt: «Ich glaube ja, dass man Menschen nach ihrem Theatergeschmack beurteilen kann.»

Etwas Ähnliches hatte ich schon befürchtet.

«Macbeth», sage ich, da mir gerade nichts Besseres einfällt. Ich kenne das Stück einigermaßen, weil ich es zufällig mehrmals gesehen habe. Außerdem finde ich die Story zeitlos. Es gibt ja immer wieder Männer, die von ihren Frauen zu allem möglichen Scheiß angestiftet werden.

«Gute Wahl!», bescheinigt mir der alte von Beuten. «Den Macbeth habe ich auch gegeben. Mitte der Fünfziger. In Unna.» Er kippt die andere Hälfte seines Drinks. «Vielleicht haben Sie ja davon gehört.»

Nein. Ich hab schon viele verrückte Sachen gehört. Aber ein Jahrhundert-Shakespeare in Unna war nicht dabei.

Auf der anderen Seite des Geländes erscheint nun eine kleine Gesellschaft, angeführt von Elisabeth von Beuten. Sie ist in ein blaues Strandkleid gehüllt, trägt eine große Sonnenbrille und führt einen cremefarbenen Windhund an der Leine. Ihr Hofstaat besteht aus einem schlaksigen Mann um die fünfzig, der Karl auffallend ähnlich sieht, und einer stark gebräunten Frau um die vierzig, die sich bei dem Schlaks eingehakt hat. Ein kleiner, dicker Mann in einem blauen Overall schleppt zwei große Picknickkörbe hinter dem Grüppchen her. Ich vermute, es ist Uschis Mann Josef, denn auf seinem Sonnenhütchen prangt das Emblem einer Kölner Brauerei.

Elisabeth schreitet mitsamt Entourage würdevoll durch die Poollandschaft, derweil Karl und ich uns erheben, um sie zu begrüßen. Karl öffnet theatralisch die Arme. «Liebste! Wie schön, dass du wieder da bist.»

Elisabeth macht keine Anstalten, die Begrüßung zu erwidern, ihr Blick fällt auf das leere Brandyglas.

«Trink bitte nicht so viel», sagt sie mit leiser, ruhiger Stimme. Es klingt freundlich, dennoch ist ein gefährlicher Unterton unüberhörbar.

Karl überspielt ihre Bemerkung mit einem Lächeln. «Darf ich dir unseren Gast vorstellen? Dr.Schuberth ist eben erst aus…»

«Später», unterbricht Elisabeth und streckt mir einen Arm entgegen. Ganz offensichtlich erwartet sie einen Handkuss.

«Sehr erfreut», sage ich und hauche ihr einen Kuss auf den Handrücken, obwohl ich solche angestaubten Umgangsformen ähnlich überflüssig finde wie Operettenfilme und Kosakenuniformen.

«Ich sehe Sie dann ja beim Abendessen», ordnet Elisabeth mit einem distinguierten Lächeln an, wendet sich ab und strebt dem Haus zu.

Der Schlaks folgt ihr beflissen und nickt mir dabei zu. «Ich möchte Mutter nur gerade auf ihr Zimmer bringen und bin gleich bei Ihnen, Dr.Schuberth.»

Etwas perplex schaue ich dem Grüppchen hinterher und bemerke nun, dass die braungebrannte Dame noch an unserem Tisch steht.

«Willkommen auf der Insel, Mr.Schuberth», sagt sie mit leichtem, aber unüberhörbarem britischen Akzent und einem breiten Lächeln. «Ich bin Melissa von Beuten.»

«Freut mich ebenfalls», erwidere ich und erwarte leicht verunsichert, dass auch sie mir die Hand zum Kuss reichen wird. Melissa hakt sich stattdessen locker bei mir ein. «Kommen Sie, ich führe Sie ein wenig herum. Hat man Ihnen schon Ihr Zimmer gezeigt?»

Ich schüttle den Kopf, Melissa wendet sich Karl von Beuten zu. «Papa, du erlaubst, dass ich unseren Gast kurz entführe?»

«Lasst euch bitte nicht aufhalten», erwidert Karl bester Laune und schielt nach der Brandyflasche.

Wenig später flaniere ich mit Melissa durch den Garten. Ich bin unschlüssig, was ich von Elisabeth von Beutens Begrüßungszeremonie zu halten habe. Im Moment werde ich das Gefühl nicht los, dass sie mich als Vorstandsvorsitzenden bereits abgeschrieben hat, aber noch darüber nachdenkt, mich als Stallknecht einzustellen.

«Mr.Schuberth?» Melissa reißt mich aus meinen Gedanken. Ich habe ihre letzten Bemerkungen überhört, sie sieht, dass mir das unangenehm ist. «Entschuldigung», sage ich. «Was haben Sie gerade gesagt?»

«Ich habe gesagt, dass ich Sie ungemein attraktiv finde», erwidert sie, und ihre vollen Lippen entblößen eine Reihe makellos gebleachter Zähne.

Ich bin erst siebenunddreißig

Melissa hat mich durch den verführerisch duftenden Garten des Anwesens zum Privatstrand geleitet, vorbei am hauseigenen Tennisplatz und einem etwas abseits liegenden Gartenhaus, das Uschi und ihr Mann Josef bewohnen. Die malerische Bucht ist zu beiden Seiten von Felsen eingerahmt. An einem Steg dümpelt ein Schlauchboot, bereit, Gäste zur familieneigenen Motoryacht überzusetzen. Sie liegt ein paar hundert Meter weiter vor Anker und trägt den Namen Bertolt Brecht. Ich halte es für eine hübsche Idee, Luxusgütern Namen berühmter Kommunisten zu geben. Derweil meine Gedanken um einen neuen Mercedes-Geländewagen in einer Leo-Trotzki-Edition kreisen, erzählt mir Melissa, dass Karl ein großer Bewunderer Bertolt Brechts ist. Um ein Haar hätten die beiden sogar mal zusammengearbeitet, sie erspare mir aber die Details, denn der alte von Beuten werde mir die Geschichte sicher bei nächstbester Gelegenheit selbst erzählen. Ich habe ihr nur mit halbem Ohr zugehört, weil ich meinen Leo-Trotzki-Mercedes im Geiste gerade serienmäßig mit leninroten Ledersitzen und einem Brüder-zur-Sonne-Schiebedach ausstatte.

«Ich habe in Ihrem Dossier gelesen, Sie sind unverheiratet, Mr.Schuberth», sagt Melissa, derweil wir die Treppen zum Haupthaus hinaufsteigen, um unsere Besichtigung dort fortzusetzen.

«Geschieden», antworte ich.

«Oh. Das tut mir leid», erwidert Melissa.

«Das muss es nicht. Ist auch schon eine Weile her.»

Melissa nickt verständig. «Haben Sie Kinder?»

«Nicht direkt», sage ich. «Meine Exfrau hat ein Kind mit in die Ehe gebracht. Sophie ist meine Quasitochter geworden.»

Wieder nickt Melissa. «Wir sind ja auch eine Patchworkfamilie», erwidert sie, und für das Wort «Patchwork» verwendet sie derart exzellentes Oxford-Englisch, dass ich ihren Elite-Uni-Abschluss förmlich gerahmt vor mir sehe. «Konstantin hat zwei Töchter aus erster Ehe. Iris lebt in London. Seit ihrer Heirat vor ein paar Monaten.»

Ich weiß. Wir haben am Tag zuvor miteinander geschlafen, und ich habe es dann vermasselt, die Hochzeit zu sprengen. Letzteres hat Iris nie erfahren. Ich habe ihr gesagt, dass ich aufgrund einer Autopanne in jenem Dorf gelandet bin, wo die Feierlichkeiten stattfanden. Das stimmte sogar, gelogen war hingegen, dass ich zufällig dort war. In Wahrheit wollte ich Iris nämlich bitten, nicht vor den Traualtar zu treten, kam aber leider zu spät.

«Ich kenne ihren Mann aus London», fährt Melissa fort. «Timothy ist ein Gentleman mit einer blendenden Zukunft. Er hat einen tadellosen Ruf und verkehrt nur in den besten Kreisen.»

Bestimmt ein Upperclass-Bubi, dessen Sippe seit Jahrhunderten arme Bauern ausbeutet.

«Alter Adel?», frage ich Interesse heuchelnd.

«Nein», erwidert Melissa. «Timothy hat sein Geld mit Immobilien verdient. Sein Vater war ein einfacher Dachdecker.»

Na klar. Die meisten Hollywoodstars kommen ja auch aus einfachen Verhältnissen, sind aber seltsamerweise dennoch mit irgendwelchen reichen oder mächtigen Leuten verschwistert oder verschwägert. Außerdem nennen Dachdecker ihre Söhne vielleicht Brendan oder Mike, aber niemals Timothy.

«Es würde mich aber nicht wundern», ergänzt Melissa, «wenn Timothy eines Tages von der Queen zum Ritter geschlagen würde. Er engagiert sich sozial sehr stark, und es gab schon mehrfach das Gerücht, er würde in die Politik gehen.»

Ich habe genug von Heldengeschichten über den künftigen Sir Timothy. Ich halte inne, schaue mich um, als würde ich die Aussicht genießen, und hoffe, dass Melissa unterdessen das Thema wechselt. Dabei fällt mein Blick auf Audrey, die ein Sonnenbad auf der großzügigen Poolterrasse nimmt. Melissa bemerkt es.

«Meine Nichte Audrey. Konstantins zweite Tochter aus erster Ehe. Ist sie Ihnen eigentlich schon vorgestellt worden?»

«Wir haben uns zufällig im Flugzeug kennengelernt.»

«Dann wissen Sie ja schon, dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt.»

Ich nicke. So kann man es auch ausdrücken.

«Manchmal beneide ich Audrey.» Melissa klingt wehmütig. «Sie weiß, was sie will, und sie hat das ganze Leben noch vor sich.»

Ich stutze. «Haben wir das nicht auch?», frage ich. «Zumindest noch ein gutes Stück.»

Melissa sieht mich an. «Wir Frauen haben da eine etwas andere Zeitrechnung, wissen Sie?»

Ja, ich weiß. Ich kenne ein paar, deren biologische Uhr so laut tickt, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht.

«Glauben Sie mir, Mr.Schuberth, es ist für eine erfolgreiche Frau nicht leicht, einen Partner zu finden. Manche Männer wollen nur Geld, manche stecken in ungeklärten Beziehungen fest, andere haben Probleme mit dem Job, mit Drogen oder mit ihrer Gesundheit. Und unter den wenigen, die dann übrig bleiben, muss man auch noch denjenigen finden, der eine Familie gründen will, und das nicht erst in fünf Jahren.»

Sie bemerkt, dass ich nun auch ernst geworden bin, und lächelt breit. «Machen Sie doch nicht so ein trauriges Gesicht, Mr.Schuberth. Ich bin erst siebenunddreißig. Mir bleibt also noch etwas Zeit. Keine Sorge.»

Keine Sorge? Ich bin offensichtlich gerade in ein Bewerbungsgespräch geraten. Natürlich mache ich mir da Sorgen.

«Ich bin sicher, Sie werden den richtigen Mann schon noch finden», sage ich und befürchte, dass das nicht sehr überzeugend klingt.

Melissa zeigt erneut ihr schneeweißes Lächeln. «Wer weiß, Mr.Schuberth? Vielleicht ist der Richtige mir ja bereits über den Weg gelaufen», sagt sie mit einem beunruhigenden Blitzen in den Augen.

Melissas Attacke wird von Uschis Mann Josef unterbrochen, der nun am Ende der Treppe erscheint. Er schleppt meine Koffer und möchte wissen, auf welches Zimmer er sie bringen soll.

«Wir kommen», ruft Melissa bester Laune und zieht mich sanft, aber bestimmt in Richtung Haupthaus.

Derweil Josef, den man Jupp nennen darf, meine Koffer in die obere Etage schleppt, zeigt Melissa mir das weitläufige Erdgeschoss. Den Eingangsbereich dominiert ein großformatiges Ölgemälde. Das Bild zeigt Elisabeth von Beuten als stahlblaue Patriarchin und ist fast identisch mit dem Foto, das sich in meinem Dossier befindet. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass Elisabeth in Öl noch grimmiger aussieht.

Im Erdgeschoss befinden sich eine Bibliothek, mehrere Arbeits- und Besprechungszimmer, ein Salon mit offenem Kamin und eine sich daran anschließende Terrasse mit einem phantastischen Blick auf die Bucht und das Meer. Hier werden wir offenbar heute Abend speisen, denn ein spanisches Hausmädchen ist gerade dabei, eine lange Tafel einzudecken.

Die hinter dem Salon liegende Küche bekomme ich nicht zu Gesicht.

«Die Wirtschaftsräume sind dem Personal vorbehalten», erklärt Melissa. «Wenn Sie irgendetwas brauchen, wenden Sie sich einfach an Uschi. Die kümmert sich um alles.» Melissa flirtet ein wenig. «Wenn Sie noch etwas wissen möchten, können Sie natürlich selbstverständlich auch mich fragen, Mr.Schuberth.»

Ich habe das Gefühl, Melissa würde mir gerne noch persönlich mein Zimmer zeigen, aber auf dem Weg in die obere Etage wird sie von ihrem Bruder Konstantin gerufen. Elisabeth hat ein Anliegen, und da Elisabeths Wünsche ganz offensichtlich höchste Priorität haben, bringt Melissa mich nur rasch bis vor die Tür meines Zimmers, um dann in jenen Flügel des Hauses zu eilen, in dem sich Elisabeths Privatgemächer befinden.

Mein Zimmer ist geräumig, die Einrichtung ein bisschen pompös, aber geschmackvoll, außerdem gibt es ein separates Bad. Das finde ich besonders angenehm, denn bei einem Gemeinschaftsbad würde Melissa mir wahrscheinlich regelmäßig den Rücken schrubben wollen.

Jetzt, wo ich ein wenig Ruhe habe, möchte ich gern wissen, wie es meinem Hund geht. Fred ist während meines Besuches auf Mallorca bei meiner Exfrau und ihrem bescheuerten Lebensgefährten untergebracht.

«Gut, dass du anrufst.»

«Ist was passiert?», frage ich unbehaglich.

«Kann man so sagen», erwidert Lisa. «Tommy ist ziemlich sauer.»

«Auf mich?»

«Auch. Aber erst mal auf Fred. Ein befreundeter Musiker hat uns besucht und seine beiden Hunde mitgebracht…»

«Moment mal», unterbreche ich. «Ich hab euch gesagt: keine anderen Hunde. Keine Hunde, keine Katzen, keine Kinder. Mein Hund hasst alles und jeden auf der Welt. Das hab ich ausdrücklich gesagt.»

«Ich weiß», antwortet Lisa. «Wir haben nicht geahnt, dass Gordon seine Rottweiler mitbringt…»

«Rottweiler?», unterbreche ich erneut, und diesmal bin ich besorgt. Fred ist zwar ein Bullterrier-Jagdhund-Mix und insofern ziemlich robust, aber wenn er sich mit zwei Rottweilern angelegt hat, dann dürfte das selbst für ihn übel ausgegangen sein.

«Geht es ihm gut?», frage ich vorsichtig.

Schweigen am anderen Ende der Leitung.

«Ist er etwa verletzt?»

«Nun ja», erwidert sie leicht gedehnt. «Die beiden haben ihm ein kleines Stück vom Ohr abgebissen.» Bevor ich etwas erwidern kann, setzt sie rasch nach: «Aber keine Sorge, der Arzt hat gesagt, das wird wieder. Wenn alles verheilt ist, sieht er fast so gut aus wie vorher.»

Ich atme hörbar aus. Wenn man sich einen verrückten Hund aus dem Tierheim holt, muss man auch damit leben, dass er verrückte Sachen macht. Also sollte ich mich nicht zu sehr aufregen. Fred hat Scheiße gebaut, aber immerhin hat er es überlebt. Damit kann man bei ihm schon mehr als zufrieden sein.

«Und warum ist Tommy jetzt sauer?», will ich wissen.

«Gordon hatte vor, ihn als Studiomusiker für sein nächstes Album zu verpflichten. Aber das hat sich jetzt erledigt. Stattdessen will Gordon uns verklagen. Außerdem kommen da noch ein paar ziemlich hohe Rechnungen auf dich zu. Du bist doch versichert, oder?»

«Ja klar», sage ich wie aus der Pistole geschossen, weiß aber nicht mehr hundertprozentig, ob ich die Versicherungsunterlagen damals nur angefordert oder auch unterschrieben zurückgeschickt habe. «Aber was denn für Rechnungen?»

«Na, für die Behandlung der Rottweiler. Fred hat sie übel zugerichtet, und Gordon überlegt jetzt, ob er sie in eine Spezialklinik nach Orlando bringt. Dazu müsste man aber ein Flugzeug chartern…»

«Moment, Moment», unterbreche ich, derweil sich vor meinem geistigen Auge in Windeseile mein Konto leert, weil zwei Rottweiler in einem Learjet Pay-TV gucken und Kobesteaks fressen. «Das ist völlig unverhältnismäßig. Das zahlt doch keine Versicherung.»

«Vielleicht findet Gordon ja einen Richter, der dich persönlich für die Sache haftbar macht», erwidert Lisa.

«Ist das denkbar?», frage ich etwas kleinlaut und hoffe, dass ich auf Lisas anwaltlichen Beistand in dieser Sache zählen kann.

«Ich weiß nicht», antwortet sie. «Wenn es Gordon gelingt, dich in Amerika zu verklagen, dann halte ich so ziemlich alles für möglich.»

Ich denke kurz nach. «Könntest du vielleicht…?»

«…versuchen, die Sache geradezubiegen?», ergänzt Lisa. «Klar kann ich das versuchen. Aber ich kann dir nichts versprechen.»

«Danke.»

«Schon gut. Ich meld mich, wenn ich was weiß.»

Für den Moment ist meine Laune im Keller, da ich aber sowieso nichts weiter tun kann, als auf Lisas Verhandlungsgeschick zu vertrauen, konzentriere ich mich wieder auf den Grund meines Besuches. Ich habe einen Hund, der mich mehr kosten könnte als eine Ehe mit einem Topmodel. Nach Lage der Dinge brauche ich den Job als Vorstandsvorsitzender also dringend.

Ich ziehe das Dossier hervor und lege die Fotos aufs Bett.

Oben Elisabeth, daneben Karl, darunter deren Kinder Konstantin und Melissa. Unter Konstantin lege ich dessen Kinder Iris, Audrey und Alphons. Ein Bild von Timothy fehlt in meinem Dossier. Da er vermutlich mit den Geschäften der Familie wenig zu tun hat, kann ich ihn unter strategischen Aspekten erst mal vernachlässigen.

Vor mir liegt nun die Familie von Beuten. Wenn ich den kleinen Alphons mal außen vor lasse, dann entscheiden sechs Leute darüber, ob ich den Job bekomme oder nicht. Mit Timothy wären es sieben.

Da ich nicht davon ausgehe, dass im Hause von Beuten demokratische Strukturen herrschen, vermute ich, dass letztlich Elisabeth allein entscheiden wird. Vielleicht fragt sie Karl nach seiner Meinung, wenn der zwischen zwei Drinks mal eine Minute Zeit hat. Mit Sicherheit wird der beflissene Konstantin ein Wörtchen mitzureden haben. Und wahrscheinlich hat auch Melissas Stimme Gewicht. Fraglich ist, ob sie sich in die Geschäfte der Familie einmischt, denn wie ich ihrem Lebenslauf entnehme, besitzt sie in London mehr als ein Dutzend Sportstudios. Sie hat also genug mit ihrem eigenen Unternehmen zu tun. Nebenbei bemerke ich, dass Melissa bei ihrem Alter gemogelt hat. Sie ist zweiundvierzig. Damit bleibt ihr deutlich weniger Zeit für die Familienplanung als von ihr behauptet. Ich muss höllisch aufpassen, dass ich nicht vor Ende der Woche mit ihr verheiratet bin.

Elisabeth wird sich aus Gründen der Höflichkeit anhören, was ihre Enkelinnen von mir halten. Ob Iris und Audrey jedoch Einfluss auf die Entscheidung ihrer Großmutter haben, ist ebenfalls fraglich. Und was Iris von mir hält, weiß sowieso der Himmel. Vielleicht fungiert Timothy als eine Art neutraler Beobachter. Er kennt die Familie noch nicht so lange, außerdem ist er nicht in die Geschäfte der von Beutens involviert. Womöglich verspricht man sich deshalb von ihm eine möglichst objektive Einschätzung meiner Person.

Je länger ich die Fotos betrachte, desto klarer wird mir, dass ich nicht die leiseste Ahnung davon habe, wie ich strategisch vorgehen muss. Ich brauche also einen Rat. Einen Rat von einem eiskalten Strategen. Und das heißt: einen Rat von Schamski. Da er nicht nur mein Freund ist, sondern außerdem mein Stellvertreter im Vorstand werden soll, kann er sich jetzt schon mal als Berater nützlich machen. Ich greife zum Handy, im selben Moment klopft es an der Tür. Rasch packe ich die Fotos zusammen, stecke sie zurück in meinen Koffer und sage: «Ja, bitte.»

Die Tür öffnet sich, Konstantin von Beuten erscheint.

«Ich wollte es mir nicht nehmen lassen, Sie nochmal persönlich zu begrüßen, Dr.Schuberth», beginnt er und bleibt unschlüssig in der Tür stehen. «Mutter war etwas indisponiert, aber wie ich gehört habe, hat meine Schwester sich ja um Sie gekümmert.»

Am liebsten wäre sie mit mir sofort nach Acapulco durchgebrannt.

«Ja, vielen Dank», erwidere ich und bedeute Konstantin, doch bitte einzutreten.

Er hebt abwehrend die Hand. «Danke, ich möchte Sie nicht zu lange aufhalten, Dr.Schuberth, ich wollte mit Ihnen nur kurz die Termine für die nächsten Tage durchgehen.»