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Einige Jahre spielte der Autor mit dem Gedanken, ernsthaft Schriftsteller zu werden. Die hier vorliegenden Kriminalerzählungen sind so etwas, wie die ersten Gehversuche. Der vorliegende Band vereinigt vier dieser Erzählungen, eine etwas längere und drei kürzere.
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Seitenzahl: 87
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Joachim Stiller
Dachwitz
Kriminalerzählungen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Dachwitz
Keine Worte
Das Skelett
Bleigenug
Impressum neobooks
Eins. Ich wohnte bereits ein halbes Jahr am Altenkirchener Weg, als sich die Geschichte zutrug, von der ich hier gerne berichten möchte.
Nach meiner Ausbildung hatte ich zwei Jahre bei meiner Mutter in Enniger gewohnt, mitten auf dem Lande. Das Münsterland war so etwas wie meine zweite Heimat geworden. Ich war seit fünf Wochen berentet, als angehender Philosoph, der ich werden wollte, hielt ich es mit Heidegger und betrachtete lediglich die gemeinsame Sprache als meine eigentliche Heimat. Ich war also nach Münster gezogen, um Stadtluft zu schnuppern und mich ein bischen unter die Leute zu mischen.
Am Altenkirchener Weg wohnten 28 Parteien, aber nur etwa die Hälfte der Wohnungen war belegt. Offensichtlich fand die Hausverwaltung so schnell keine Nachmieter für die erheblich überteuerten Wohnungen. In meiner Etage – ich wohnte parterre – wohnten in der Reihenfolge einer völlig willkürlichen Wohnungsnumerierung: Erich Recke, Günter Baumgarten, die nächste Wohnung, aus der permanent ein widerlicher süßer Geruch strömte, war unbewohnt, dann kam eine gewisse Simone P. die im ganzen Haus als Prostituierte verschrien war, die ich aber nie zu Gesicht bekam, dann ein gewisser Latz, dann ich und schließlich der verrückte Bayerlein. Bayerlein, das stellte sich mit der Zeit heraus, war nicht nur verrückt, das hätte ich von mir selber auch sagen können, er war ein regelrechter Psychopath. Bayerlein machte die Nacht zum Tage, schlief tagsüber und hörte nachts laut Radio oder zappte sich durch die Musikkanäle seines Fernsehgerätes, wobei er langsam und bedächtig seine Wohnung zu Kleinholz verarbeitete. In die Trennwand von seinem Wohnzimmer zum Badezimmer hatte er bereits ein etwa faustgroßes Loch getreten. Das erfuhr ich jedenfalls von Harry Tulpenholz, der einmal in Bayerleins Wohnung gewesen war, um ihm, wie er sich ausdrückte, wegen der permanenten Geräuschkulisse und des nächtlichen Lärms einen Einlauf zu verpassen. Tulpenholz hatte Bayerlein damit gedroht, ihn aus dem Fenster zu werfen. Wenn man Tulpenholz sah, musste man ihm glauben, Tulpenholz hatte als Möbelpacker gearbeitet, und stand auch sonst ganz gut im Futter.
Von da an war Bayerlein zwei Tage lang ruhig und ließ niemanden mehr in seine Wohnung, auch nicht Latz, mit dem er „per Du“ war. Doch nach einer Woche fand bei Bayerlein dasselbe Spektakel statt, wie eh und je. Flaschen flogen gegen die Wände, die Musik hallte durch das ganze Haus und Möbel wurden zu Kleinholz verarbeitet. Auch so in der nächsten Nacht, in der ich nicht schlafen konnte. Ich stand auf, ging auf den Hausflur und zur Nachbarwohnung und hämmerte gegen die Tür: „Mach sofort die Musik leiser, oder ich hole die Polizei!“
Mir war wirklich nicht nach Spaßen zu Mute. Nach zwanzig Minuten flogen immer noch die Flachen gegen die Wand. Da nahm ich den Hörer von der Gabel und wählte die Nummer der Polizei. Nach weiteren zwanzig Minuten kam dann auch endlich ein Streifenwagen vorbei. Die beiden Beamten klingelten bei mir und ich zeigte nur stumm auf die Wohnungstür meines Nachbarn, aus der die Musik dröhnte. Einer der beiden Beamten klingelte und rief: „Machen sie doch bitte einmal die Tür auf, hier ist die Polizei!“
Augenblicklich verstummte der Radau und Bayerlein erschien in der Tür. Er musste sich ausweisen und die beiden Beamten betraten die verwüstete Wohnung und stellten Bayerlein nicht nur wegen der lauten Musik, sondern auch wegen des Zustandes seiner Wohnung zur Rede. Bayerlein musste versprechen, sich nun ruhig zu verhalten, und die beiden Beamten zogen unverrichteter Dinge wieder ab. Nach nur zwei Tagen war alles wieder wie gehabt: Die Musik dröhnte, nur unterbrochen vom Krakeelen, Rufen und Toben dieses Psychopathen, die Flaschen flogen gegen die Wände und ab und zu hörte man auch die Tritte gegen die Trennwand zur Toilette. Bis zu den eigentlichen Ereignissen sollte die Polizei wegen Bayerlein noch achtmal am Altenkirchener Weg auftauchen.
Nun mag sich mancher fragen, warum ich nicht sofort ausgezogen bin und mir eine andere Wohnung gesucht habe. Doch leider muss ich die Antwort schuldig bleiben, ich weiß es ganz einfach nicht. Vielleicht suchte ich das Abenteuer, vielleicht brauchte ich auch nur den herben Geruch einer wilden und gefährlichen Welt. Fakt ist, dass ich auch heute noch am Altenkirchener Weg wohne, und daran wird sich auch in Zukunft wohl nichts ändern.
Ich möchte aber nun die Gelegenheit nutzen, um die Geschichte der Reihe nach zu erzählen, so, wie sie mir im Gedächtnis geblieben ist.
Zwei. An dem Tag, an dem ich am Altenkirchener Weg einzog – es war ein Samstag im Oktober –lief mir als erstes Harry Tulpenholz über den Weg: „Ah, der Herr Stiller!“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich sehe es am Postkasten, Ihr Name ist der Einzige, der hinzugekommen ist, und ich kenne alle Hausbewohner; ich wohne nämlich schon fast zehn Jahre hier.“
„Und wer sind Sie“, wollte ich wissen.
„Tulpenholz! Beatgitarrist!“
„Ah, Sie spielen Gitarre, genau wie ich. Kann man denn davon leben?“
„Nein, ich habe lange als Möbelpacker gearbeitet, aber jetzt bin ich endlich berentet, wegen Arbeitsunfähigkeit.“
Und dann verzog Tulpenholz etwas sein fleischiges Gesicht: „Und herzlich willkommen in diesem ehrenwerten Haus.“
„Ist mit dem Haus denn irgendetwas nicht in Ordnung? Von Außen macht es eigentlich einen ganz guten Eindruck und nach den hohen Mieten zu urteilen...“
Ich selber hatte die größte Wohnung und zahlte auch die mit Abstand höchste Miete.
„Hier wohnen nur Terroristen, machen Sie sich auf einiges gefasst“, erklärte Tulpenholz.
Ich entgegnete, ich hätte ein dickes Fell und sei einiges gewohnt, worauf wir uns die Hand reichten und er sich die Treppe hinaufwuchtete.
Ich räumte mit meinem Bruder zusammen die restlichen Möbel in mein Apartment, als plötzlich so ein abgerissener Typ mit Drei-Tage-Bart im Eingang stand: „Tach, Herr Stiller!“
„Und wer sind Sie“, fragte ich.
„Ich bin Tobias Hinz, ich wohne mit meiner Freundin in der zweiten Etage. Du kannst ruhig „Tobi“ zu mir sagen.“
„Und woher weißt Du meinen Namen?“
„Ich habe gerade mit Tulpenholz gesprochen, der kennt jeden Hausbewohner, und Neueinzüge sprechen sich hier schnell herum.“
Tobi Hinz legte kurz die Stirn in Falten, dann wollte er wissen, ob mit meiner Wohnung alles in Ordnung sei.
Ich erklärte: „Naja, der Teppichboden ist neu, und die Wände sind, wenn auch schlecht, so doch frisch gestrichen. Aber die Spüle und das Badezimmer sind vollkommen versifft. Auf allen Armaturen liegt fingerdick Ata verstreut und die Fliesen sind fleckig und schmierig. Hier, sieh selber. Das erste, was ich hier machen kann, ist eine Grundreinigung der Küche und der Toilette.“
„In diesem Haus wundert mich überhaupt nichts mehr“, und Tobi konnte sich ein höhnisches Lachen nicht verkneifen.
„Außerdem“, fuhr ich ihn mit gereizter Stimme an, „ich habe keinen Strom, und das, obwohl mir Herr M. von der Hausverwaltung dies ausdrücklich zugesagt hat. Jetzt muss ich mich wohl selber darum kümmern. Tobi drehte sich auf dem Absatz um und sagte: „Ich habe noch etwas wichtiges bei Erich Recke zu erledigen. Aber wir werden uns sicherlich noch öfter sehen.“
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, klingelte Tobe bei Erich Recke und verschwand einen Moment später in dessen Wohnung.
Nachdem ich mit meinem Bruder die letzten Möbel eingeräumt hatte, brachten wir den Lieferwagen wieder zu seinem Eigentümer, und wir fuhren mit meinem Golf nach Enniger zu meiner Mutter. Das erste, was ich tat, war, mich mit den Stadtwerken in Verbindung zu setzen. Ich erklärte einer Frau Sprösse, dass ich in meiner Wohnung keinen Strom hätte. Sie versprach den Schaden umgehend zu beheben. Montag um neun würde ein Fachmann zur angegebenen Adresse kommen. Der Fachmann war dann am Montag um zehn Uhr in meiner Wohnung. Ich schloss den Kellerraum auf und er fragte mich nach meiner Wohnungsnummer. Ich sagte, ich hätte die Wohnung sechs und der Elektriker begutachtete die Schaltkästen, wobei er immer wieder mit einem Phasenprüfer Kontakte kontrollierte. Dann schüttelte er den Kopf und meinte: „Irgend jemand hat den Zähler abmontiert und geklaut. Der muss natürlich erst ersetzt werden. Das kann aber eine Woche dauern, denn der Zähler muss erst bestellt werden.“
Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Entgeistert sagte ich. „Gut, dann bestellen Sie diesen gottverdammten Zähler. Hauptsache, ich habe hier so schnell wie möglich Strom.“
Ich stieg in mein Auto und fuhr wieder zu meiner Mutter. Ob ich nun in meiner neuen Wohnung am Schreibtisch saß oder in Enniger, wie ich dies vorher auch getan hatte, war mir eigentlich einerlei. So würde ich mein neues Zuhause eben erst nach einer Woche beziehen. Nur meine Mutter war von all dem nicht sonderlich begeistert. Sie gab erst Ruhe, nachdem ich sie zum wiederholten Male auf die widrigen Umstände hingewiesen hatte.
Drei. Eine Woche später war ich dann wieder in Münster. Den Golf hatte ich in der Tiefgarage geparkt, auf Stellplatz sechs. Das war im Übrigen der Einzige der überhaupt frei war. Auf den anderen standen mehrere abgemeldete Autos, Anhänger und Mofas. Der Aufgang zur Tiefgarage führte direkt vor meinem Fenster entlang, was den Nachteil hatte, dass ich zu jeder Uhrzeit das Gatter hörte, wenn jemand in die Tiefgarage wollte. Das Tor musste dringend geölt werden, worum sich offensichtlich niemand kümmerte. Meine Zimmeraussicht war nicht gerade die beste; ich schaute genau auf das Nachbarhaus und hatte leider keinen Balkon, was die Architektur des Hauses nicht zuließ.
Nachmittags sollte der Elektriker kommen, um den Zähler zu installieren, und so hatte ich genügend Zeit, mir meine Wohnung nach meinen Vorstellungen einzurichten und Küche und Toilette gründlich zu reinigen. Die beiden Schränke hatte ich schon am vergangenen Samstag aufgebaut, es fehlte nur noch mein Bücherregal und das überbreite Bett, dass ich genau passend in eine Mauernische plazieren konnte. Überhaupt war meine Wohnung vom Grundriss her sehr günstig geschnitten. Da das Bett fast unsichtbar war, hatte ich in der Raummitte genügend Platz für einen runden Tisch und drei grüne Kordsessel, die noch von meinem Onkel stammten. Ich hatte gerade meine paar Klamotten in dem einen und das Geschirr in dem anderen Schrank untergebracht, als der Elektriker klingelte. Ich ging zur Tür aber der automatische Türöffner und die Gegensprechanlage waren defekt und funktionierten nicht. Also öffnete ich meinen Wohnungstür, um dem Elektriker entgegenzukommen, als mir auffiel, dass jemand einen Damenslip um meinen Türknauf gebunden hatte, und das nicht nur bei mir, sondern bei allen Wohnungen. Ich entfernte den Damenslip und ging zur Haustür. Der Elektriker machte sich auch gleich im Keller zu schaffen. Nach einer knappen Stunde ging dann bei mir plötzlich das Licht an und ich konnte endlich den Fernseher und die Stereoanlage installieren. Als erstes hörte ich Steppenwolf: „Born to be wilde