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Die Saga beginnt: Der Mystery-Abenteuerroman „Dämonengott“ von Bestsellerautor Wolfgang Hohlbein jetzt als eBook bei dotbooks. Mexiko, 1935: Hilflos muss der Reporter Thor Garson zusehen, wie sein alter Freund Swanson in seinen Armen stirbt. Sein letzter Wille: Thor soll ein geheimnisvolles Amulett an Swansons Tochter Joana überbringen. Es zeigt das Bildnis des Dämonengottes Quetzalcoatl, dem die Maya huldigten und dessen Zorn ihre Nachfahren noch heute fürchten. Thor glaubt nicht an dunkle Legenden. Als Joana und er bei der Übergabe von Unbekannten angegriffen werden, erkennt er, dass noch etwas anderes dahinter stecken muss. Es scheint, als sei ein Geheimbund dabei, die Macht des Amuletts zu entfesseln – und etwas im undurchdringlichen Dschungel zu wecken, das Unheil über die ganze Welt bringen könnte … Packend, spannend, mysteriös – Die Kultserie für alle Fans von Indiana Jones und Lara Croft! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der erste Roman der Thor-Garson-Serie „Dämonengott“ von Wolfgang Hohlbein. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 512
Über dieses Buch:
Mexiko, 1935: Hilflos muss der Reporter Thor Garson zusehen, wie sein alter Freund Swanson in seinen Armen stirbt. Sein letzter Wille: Thor soll ein geheimnisvolles Amulett an Swansons Tochter Joana überbringen. Es zeigt das Bildnis des Dämonengottes Quetzalcoatl, dem die Maya huldigten und dessen Zorn ihre Nachfahren noch heute fürchten. Thor glaubt nicht an dunkle Legenden. Als Joana und er bei der Übergabe von Unbekannten angegriffen werden, erkennt er, dass noch etwas anderes dahinter stecken muss. Es scheint, als sei ein Geheimbund dabei, die Macht des Amuletts zu entfesseln – und etwas im undurchdringlichen Dschungel zu wecken, das Unheil über die ganze Welt bringen könnte …
Packend, spannend, mysteriös – Die Kultserie für alle Fans von Indiana Jones und Lara Croft!
Über den Autor:
Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch MÄRCHENMOND. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 44 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX.
Die Romane der Die Abenteuer des Thor Garson-Reihe:
Dämonengott Das Totenschiff Der Fluch des Goldes Der Kristall des Todes Das Schwert der Finsternis erscheinen bei dotbooks.
Wolfgang Hohlbein veröffentlicht bei dotbooks auch die folgenden eBooks:
Azrael Azrael – Die Wiederkehr Almanach des Grauens (mit Dieter Winkler)Fluch – Schiff des Grauens Das Netz Im Netz der Spinnen sowie die ELEMENTIS-Trilogie mit den Einzelbänden Flut, Feuer und Sturm und die große ENWOR-Saga
Die Jugendromane Nach dem großen Feuer, Der weiße Ritter: Wolfsnebel, Der weiße Ritter: Schattentanz, Drachentöter, Ithaka
und Kinderbücher Teufelchen, Saint Nick – Der Tag, den dem der Weihnachtsmann durchdrehte, NORG: Im verbotenen Land und NORG: Im Tal des Ungeheuers erscheinen ebenfalls bei dotbooks.
Wolfgang Hohlbein im Internet: www.hohlbein.de
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eBook-Neuausgabe Dezember 2017
Dieses Buch erschien bereits 2007 unter dem Titel Der Dämonengott bei Verlag Carl Ueberreuter
Copyright © der Originalausgabe 2007 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien
Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (er)
ISBN 978-3-96148-161-3
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Wolfgang Hohlbein
Dämonengott
Die Abenteuer des Thor Garson – Erster Roman
dotbooks.
Vom Himmel regnete es noch immer Feuer. Das letzte schwere Beben war jetzt fünf Minuten her, aber die Erde hatte noch lange danach gezittert und gegrollt. Und der Urwald stand in hellen Flammen – nicht nur unten am Fuße des Vulkans, wo ihn der Strom aus weiß glühender Lava getroffen hatte, sondern der ganze Wald, so weit er blicken konnte. Die Luft roch nach Schwefel und brennendem Stein und war so heiß, dass jeder Atemzug zur Qual wurde. Hier und da schwelte der Boden, und selbst hier unten, über zwei Meilen vom Feuer speienden Herz des Vulkans entfernt, schimmerte es da und dort rot durch die Erde; ein Netz dünner, gezackter Risse durchzog den Boden, und manchmal traf ihn ein Hauch so kochend heißer, ätzender Luft, dass Thor vor Schmerz aufstöhnte.
Er war nicht sicher, ob er es schaffen würde. Direkt vor ihm, vielleicht noch eine oder anderthalb Meilen entfernt, ragte ein steiler Hügel aus dem Wald; eine gezackte Kuppe aus schwarzer, glasartig erstarrter Lava, auf der keine Pflanzen hatten Fuß fassen können und wo es somit auch nichts gab, was brennen konnte. Aber diese eineinhalb Meilen konnten genau eineinhalb Meilen zu viel sein.
Aus der Flanke des Vulkankegels lösten sich immer wieder große und kleine Felstrümmer, die wie tödliche Wurfgeschosse eines zornigen Maya-Gottes auf sie herabflogen; der Boden zitterte und bebte so stark, dass Thor manchmal Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Er bekam kaum noch Luft und glaubte ersticken zu müssen, und immer wieder explodierten rings um ihn herum kleine, brüllende Geysire aus kochendem Stein und erstickenden, glühend heißen Dämpfen.
Und Swanson war schwer.
In den ersten Minuten hatte Thor sein Gewicht kaum gespürt, denn er war in schierer Todesangst losgerannt, und allein der Gedanke an den glühenden Lavastrom, der direkt aus der Hölle zu kommen schien und sie verfolgte – nicht besonders schnell, aber mit der unerbittlichen Beharrlichkeit der Naturgewalt –, hatte ihm fast unermessliche Kräfte verliehen.
Doch selbst die übermenschliche Kraft der Angst hatte Grenzen, und Thor Garson spürte, dass er diese Grenze wohl bald erreicht haben würde. Er stolperte immer öfter. Zweimal war er bereits gestürzt und hatte Swanson nur mit Mühe und Not festhalten können, und der reglose Körper auf seiner Schulter schien mittlerweile Tonnen zu wiegen. Und als ahnten die finsteren, uralten Mächte, die sie mit ihrem Frevel aufgeweckt hatten, dass ihre Opfer ihnen im letzten Moment entkommen könnten, waren die Eruptionen jetzt stärker geworden. Nicht nur der Berg, das ganze Land schien unter seinen Füßen zu zucken und sich zu winden wie ein riesiges waidwundes Tier.
Thor erreichte den Fuß der Lavahalde und wandte sich hastig nach links, als dort, wo er gerade hatte hinauflaufen wollen, der Boden aufbrach und ein mannsdicker Strahl flüssigen Gesteins in die Höhe schoss. Instinktiv zog er den Kopf zwischen die Schultern. Zwei, drei Tropfen der glühenden Lava trafen ihn und brannten winzige, rauchende Löcher in seine Jacke und die Haut darunter.
Thor keuchte vor Schmerz und verdoppelte seine Anstrengungen. Der Waldrand lag jetzt scheinbar zum Greifen nahe vor ihm. Aber so schnell er auch lief, die Apokalypse, vor der er floh, folgte ihm. Und als spiele sie ein grausames, böses Spiel mit ihm, war sie immer um eine Winzigkeit schneller, als er sich bewegte.
Auch hier züngelten bereits Flammen aus dem Unterholz. Die Blätter des mannshohen Farns hatten sich braun gefärbt und eingerollt, schwarzer Qualm verdunkelte den Himmel, und durch das Prasseln der Flammen drang ein Chor kreischender Tierstimmen. Als der Vulkan ausbrach, waren die Tiere voller Panik aus der unmittelbaren Umgebung des Berges geflohen, aber die Naturgewalten waren einfach schneller. In einem Umkreis von drei, vielleicht sogar vier oder fünf Meilen regneten Flammen und brennender Stein vom Himmel. Und es gab nichts mehr, wohin sie sich wenden konnten. Der ganze Dschungel schien zu einer einzigen riesigen Falle geworden zu sein. Nicht nur für seine tierischen Bewohner.
Thor blieb einen Moment lang stehen, um Atem zu schöpfen. Gehetzt blickte er sich um. Er konnte den Hügel von hier aus nicht mehr sehen. Flammen und schwarzer, fettiger Qualm verwehrten ihm den Blick. Auch aus dem Dschungel schlug ihm eine Woge erstickender, trockener Hitze entgegen, aber er wusste, dass die Anhöhe unmittelbar vor ihm liegen musste. Sie musste einfach dort sein – denn wenn nicht, dann konnte er genauso gut hier stehen bleiben und auf den Tod warten.
Er verlagerte Swansons Gewicht auf seiner Schulter und versuchte, mit einem raschen Blick einen wenigstens halbwegs sicheren Weg durch den brennenden Dschungel auszumachen. Dann stürmte er los.
Der Weg vom Vulkankrater herab war schlimm gewesen; er hatte gedacht, es könnte nicht schlimmer kommen. Aber das hier war noch schlimmer. Der ganze Wald stand in Flammen. Der Boden war so heiß, dass er trotz der dicken Stiefelsohlen kaum noch auftreten konnte, und immer wieder fiel brennendes Geäst auf Swanson und ihn herab. Die Hitze und das grelle, flackernde Licht trieben ihm die Tränen in die Augen, sodass er fast blind wurde. Er stürmte einfach geradeaus, prallte schmerzhaft gegen einen Baum, der so abrupt aus dem Rauch auftauchte, dass Thor nicht schnell genug reagieren konnte, und fiel schwer zu Boden. Swanson glitt von seiner Schulter und stürzte mit einem schmerzerfüllten Keuchen in einen Busch. Für einen Moment blieb Thor benommen liegen.
Als er sich mühsam wieder in die Höhe stemmte, glaubte er plötzlich eine Gestalt zu sehen.
Es war nur ein Schatten, den er aus den Augenwinkeln wahrnahm, kaum mehr als ein flacher, verzerrter Umriss vor dem Hintergrund der brüllenden Flammenwand, wie ein Dämon, riesig und schwarz und mit einer verzerrten, blutig roten Teufelsfratze, den die Hölle selbst ausgespien zu haben schien, um ihn im letzten Moment doch noch am Entkommen zu hindern. Thor fuhr erschrocken hoch und herum, aber im selben Moment stieß der Berg eine neue, brüllende Explosion aus und überzog den Himmel mit sengender Weißglut, und als Thor wieder hinsah, war die Gestalt verschwunden.
Eine Sekunde lang starrte er die Stelle an, an der sie gestanden hatte, dann kam er zu dem Schluss, dass es wohl doch nur ein Trugbild gewesen war, und er beugte sich zu Swanson, um ihn aufzuheben.
Swanson stöhnte vor Schmerz, als Thor ihn ächzend auf seine Schultern hievte. Seine Fingernägel zerkratzten Thors Gesicht, als er instinktiv versuchte der Qual zu entgehen. Thor ignorierte den neuerlichen brennenden Schmerz, balancierte Swansons Gewicht auf den Schultern aus, so gut er konnte, und wankte weiter.
Dass er den Felshügel fand, war ein reiner Zufall. Sein Fuß stieß plötzlich gegen etwas Hartes, er stolperte, fand im letzten Moment sein Gleichgewicht wieder und griff Halt suchend mit der freien Hand nach vorn. Seine Finger schrammten über schwarze, glasharte Lava, die wie mit Messerklingen in seine Haut schnitt, und durch den Vorhang aus Rauch und grauer Asche konnte er die steil in die Höhe strebenden Flanken eines zerschundenen Hügels erkennen, der plötzlich vor ihnen aufragte.
Selbst unter normalen Umständen wäre es schwierig gewesen, diesen Hügel hinaufzuklettern; mit Swansons Gewicht auf der Schulter war es beinahe unmöglich. Aber die Angst gab ihm noch einmal zusätzliche Kraft und irgendwie brachte er auch dieses Kunststück fertig.
Keuchend, halb blind vor Erschöpfung und Schmerz und mit dem letzten bisschen Energie kroch er den zerfurchten Hang hinauf und schleppte sich in den Schutz eines mächtigen schwarzen Lavabrockens. Gegen den Feuerregen vom Himmel bot der Felsen keine Deckung, aber er hielt wenigstens die Flammen und den glühenden Wind ein wenig zurück.
Thor brach vor Erschöpfung zusammen. Eine Weile blieb er einfach so liegen, atmete keuchend ein und aus und wartete darauf, dass die Welt endlich aufhörte, sich um ihn herum zu drehen. Minutenlang konnte er nichts anderes tun, als einfach dazuliegen, zu atmen und dem rasenden Stakkato seines eigenen Herzens zu lauschen, das in seiner Brust hämmerte, als würde es jeden Moment zerspringen. Es schien keinen einzigen Knochen in seinem Körper zu geben, der nicht schmerzte, keinen einzigen Muskel, der nicht gezerrt war, und keinen Quadratzentimeter Haut, der nicht verbrannt, verbrüht oder aufgeschürft war. Der bittere Geschmack von Erbrochenem war in seinem Mund, und seine Augen tränten von dem Qualm und dem gleißenden Licht, in das er immer wieder hatte sehen müssen.
Dabei hatte alles wie ein harmloser Spaziergang begonnen, war dann als Abenteuer weitergegangen und hatte sich schließlich in ein Inferno verwandelt. Er erinnerte sich kaum mehr, wie es angefangen hatte – alles war so schnell gegangen und scheinbar gleichzeitig passiert, dass die Bilder in seiner Erinnerung durcheinandergerieten und zu einem einzigen irren Kaleidoskop des Schreckens wurden. Obwohl er versuchte sich mit aller Macht gegen die Erinnerung zu wehren, stieg immer wieder dasselbe Bild vor seinem geistigen Auge auf: Swanson, der plötzlich aufschrie und sich mit seinem eigenen Körper zwischen Thor und die Feuerlohe warf, die ohne irgendeine Vorwarnung aus dem Krater des Vulkans emporschoss.
Dabei waren sie sehr wohl gewarnt worden, dachte Thor bitter. O ja, man hatte sie gewarnt, und das mehr als einmal. Die erste Warnung war von seinem Vater gekommen, dabei war gerade er es, von dem Thor die Abenteuerlust geerbt hatte. Früher hatte Paul Garson selbst fast die ganze Welt bereist, doch die Emigration von Deutschland nach Amerika aus Protest gegen die Politik der Nazis und wenig später der Tod seiner Frau, Thors Mutter, schienen ihm jegliche Kraft geraubt zu haben. Seither begnügte er sich damit, die Tage in seinem kleinen Antiquitätengeschäft in New York weitgehend tatenlos an sich vorbeiziehen zu lassen und mit seinem Schicksal zu hadern. Thor hatte ihm von der geplanten Reise nach Mexiko zusammen mit Swanson erzählt, obwohl er gewusst hatte, dass dies nur zu einer weiteren sinnlosen Diskussion über Swansons angeblich zweifelhaften Ruf führen würde und darüber, dass der Reporter einen schlechten Einfluss auf ihn ausübe und die Freundschaft zu ihm eines Tages sein Verderben sein würde, bis Thor den Streit mit einem Hinweis auf seine Volljährigkeit und einer lautstark hinter sich zugeschlagenen Tür beendet hatte. Er liebte seinen Vater, doch er verstand ihn einfach nicht mehr, wie auch umgekehrt.
Die nächste Warnung war wesentlich konkreter gewesen und sie hatte Swanson und ihm gleichermaßen gegolten, aber sie hatten ja nicht hören wollen. Für einen Moment glaubte er noch einmal das Gesicht des alten Indios vor sich zu sehen, der sich ihrem Lastwagen mit ausgebreiteten Armen in den Weg gestellt hatte; eine schmale, zerlumpte Gestalt, deren Anblick fast mitleiderregend war, wie sie so auf der staubigen Hauptstraße von Piedras Negras stand und ganz allein den dröhnenden Koloss aus einer anderen Zeit aufzuhalten versuchte.
»Was willst du?«, hatte Swanson ihn angefahren, kaum dass er den Wagen zum Stehen gebracht hatte und aus dem Fahrerhaus auf die Straße hinabgesprungen war, wo der Indio noch immer mit ausgebreiteten Armen stand, zitternd, das Gesicht ohne jedes bisschen Farbe und die dürren Beine unter dem zerschlissenen Poncho nur noch Zentimeter von der Stoßstange des Wagens entfernt, aber ohne zu weichen und trotz aller unübersehbaren Furcht in. seinen Augen von einer Würde, die Thor vollkommen verwirrte.
»Bist du lebensmüde, du verrückter alter Mann?«, brüllte Swanson. Auch er war bleich und zitterte am ganzen Leib, aber Thor begriff auch, dass das, was er im ersten Moment für Zorn gehalten hatte, nur der Ausdruck seines Schreckens war. Es hätte nicht viel gefehlt und der fünf Tonnen schwere Laster hätte den alten Mann niedergewalzt.
Der Indio antwortete auf Swansons erregte Worte mit ruhiger, volltönender Stimme, die im krassen Gegensatz zu seinem erbarmungswürdigen Äußeren stand. Thor konnte nicht verstehen, was er sagte, denn der Alte bediente sich eines Dialekts, den Thor niemals zuvor gehört hatte. Zweimal glaubte er das Wort Quetzalcoatl zu verstehen, war aber nicht sicher, denn Swanson unterbrach den Indio sofort wieder, und diesmal brüllte der Reporter wirklich vor Wut und in derselben kehligen Sprache wie der Alte.
Einen Moment lang blickte der Indio Swanson noch mit einem Ausdruck an, der merkwürdig zwischen Trauer und Zorn schwankte, dann drehte er sich um und schlurfte mit hängenden Schultern davon.
»Was hat er gewollt?«, fragte Thor, als Swanson in den Wagen zurückkletterte und mit einer zornigen Bewegung den Anlasser betätigte; so heftig, dass der altersschwache Hebel um ein Haar abgebrochen wäre.
»Nichts«, antwortete Swanson – mehr als nur eine Spur zu hastig, um überzeugend zu klingen. »Gar nichts.«
Thor sah ihn fragend an. »Gar nichts?«, wiederholte er zweifelnd. »Du meinst, er hätte sich wegen gar nichts um ein Haar überfahren lassen?«
Swanson hatte den Motor endlich gestartet und hämmerte den Gang so grob hinein, dass das Getriebe hörbar knirschte. »Du weißt doch, wie abergläubisch diese alten Indios sind«, sagte er. Er lachte verkrampft. »Er hat den Lastwagen gesehen und behauptet, wir würden heiligen Boden entweihen, wenn wir mit dieser Teufelsmaschine in die Berge fahren.«
»Und dann hat er dir mit Quetzalcoatls Fluch gedroht«, vermutete Thor.
Swanson fuhr kaum merklich zusammen und gab so heftig Gas, dass Thor in den Sitz zurückgeschleudert wurde. Der uralte Motor des Lkw kreischte protestierend. »Quetzalcoatl? Wie kommst du darauf?«
»Weil er es gesagt hat«, antwortete Thor.
»Hat er nicht«, knurrte Swanson. »Du musst dich getäuscht haben.«
»Aber ich habe es ganz deutlich gehört«, widersprach Thor. »Zwei Mal.«
»Dann hast du dich eben zwei Mal getäuscht«, behauptete Swanson. »Der Alte war verrückt, mehr nicht.«
Aber er war nicht verrückt gewesen und Thor hatte sich nicht getäuscht. Sie hatten den Zorn der alten Maya-Götter heraufbeschworen und jetzt lag Swanson im Sterben, und wenn kein Wunder geschah, dann würde auch Thor nur wenige Augenblicke länger leben als er.
Er verscheuchte dieses düstere Bild, als er neben sich ein Geräusch hörte, das er erst nach wenigen Augenblicken als das qualvolle Stöhnen eines Menschen identifizierte. Swanson bewegte sich. Seine verbrannte Hand hob sich mühsam, tastete zitternd einen Moment blind herum und berührte schließlich Thors Schulter. Langsam, mit mühevollen Bewegungen kroch sie weiter, glitt über seinen Hals und erreichte schließlich sein Kinn. Es war die Bewegung eines Blinden, der das Gesicht seines Gegenübers ertastet, weil er es nicht sehen kann.
Und Swanson war blind.
Ich habe gar kein Recht mehr, am Leben zu sein, dachte Thor entsetzt, als sein Blick auf das zerstörte Gesicht seines Freundes fiel. Swansons Antlitz war schwarz, nicht dunkel, nicht voller Ruß, sondern schwarz. Nur hier und da schimmerte durch die Schlacke- und Rußschichten auf seinen Zügen das helle Rot verbrannten Fleisches, erinnerte eine Linie an das Gesicht, das er kannte, bahnte sich ein Tropfen Blut durch schwarz verbranntes Fleisch. Es war ein Anblick, der Thor die Kehle zuschnürte; und nicht nur, weil dieses Gesicht so furchtbar entstellt war.
Eigentlich müsste ich an seiner Stelle sein, dachte er matt. Er war es gewesen, der als Erster an den Kraterrand getreten war, und er war es gewesen, nach dem der Vulkan seinen feurigen Atem gespien hatte. Swanson hatte ihm das Leben gerettet und sein eigenes dabei geopfert.
Thor wusste, dass der Freund sterben würde, so unfassbar ihm dies auch erschien. Swanson war schon seit vielen Jahren sein Idol gewesen, noch bevor sie sich persönlich kennengelernt hatten und schließlich Freunde geworden waren; der Reporter, der auch die letzten weißen Flecken auf der Landkarte bereiste und dessen Reportagen wie die keines anderen einen Hauch von Abenteuer pur verströmten. Nie hätte Thor gedacht, dass ausgerechnet Swanson etwas zustoßen könnte, doch kein Arzt der Welt würde den Reporter noch retten können. Und selbst wenn es denkbar wäre – bis in die Stadt waren es sieben, wenn nicht acht oder neun Stunden Fußmarsch. Den Wagen hatten sie schon auf dem Herweg verloren, und Thors Kräfte würden einfach nicht ausreichen, ihn so weit zu tragen.
»Thor?«
Thor lächelte, obwohl die erloschenen Augen seines Freundes es nicht mehr sehen konnten. Behutsam griff er nach Swansons Hand, nahm sie und hielt sie fest. Er spürte, wie heiß die Haut des Sterbenden war. Sein Herz schlug ganz langsam, aber so schwer, dass Thor jeden einzelnen Schlag wie eine vibrierende Erschütterung spürte.
»Ich bin hier«, sagte er.
Swanson versuchte zu lächeln, aber das, was mit seinem Gesicht geschehen war, machte eine fürchterliche Grimasse daraus. »Bist du … okay?«, fragte er mühsam.
Thor nickte. Erst dann fiel ihm ein, dass Swanson auch das nicht mehr sehen konnte, so wie er überhaupt nichts mehr sehen konnte. »Mir fehlt nichts«, sagte er. »Ich habe nur ein paar Kratzer abgekriegt. Aber dich hat es ganz schön erwischt, alter Junge.«
»Ich weiß«, flüsterte Swanson. »Es ist … schlimm.«
»Ja«, antwortete Thor. »Aber du kommst schon durch. Keine Angst.«
Swanson hustete: ein grässlicher, röchelnder Laut, der Thor schier das Blut in den Adern gerinnen ließ. »Belüg … mich nicht«, flüsterte er. Und wie um diese Worte zu unterstreichen, stieß der Berg im selben Moment eine weitere brüllende Feuerwolke aus. Thor sah instinktiv auf.
Diese Bewegung rettete ihm das Leben.
Wie beim ersten Mal sah er die Gestalt wieder nur aus den Augenwinkeln und nur als verzerrten schwarzen Schatten. Aber irgendetwas sagte ihm mit unerschütterlicher Gewissheit, dass sie alles andere als ein Schatten war, und ließ ihn reagieren.
Den Bruchteil einer Sekunde, nachdem Thor sich zur Seite hatte kippen lassen, zerbrach die Schneide einer Obsidian-Axt dort an dem Lavafelsen, wo sich gerade noch sein Gesicht befunden hatte.
Thor stürzte, rollte sich auf den Rücken und zog die Beine an. Mit aller Macht trat er nach der riesenhaften Gestalt, die plötzlich über Swanson und ihm emporwuchs.
Er traf. Die Gestalt taumelte zurück, kämpfte einen Moment lang mit wild rudernden Armen um ihr Gleichgewicht auf der glasglatten Lava und stürzte schließlich schwer zu Boden. Thor und der Angreifer kamen gleichzeitig wieder auf die Füße. Allerdings bezweifelte Thor im allerersten Moment fast, dass er wirklich aufgestanden war, denn der andere überragte ihn um einen guten halben Meter! Und es war nicht nur seine enorme Größe, die Thor den Atem anhalten ließ …
Der Mann war ein Riese mit einer Schulterbreite, die fast das Doppelte der eines normal gewachsenen Mannes betragen musste. Unter der Haut seiner Arme und Beine wölbten sich Muskelstränge, die ihn beinahe missgestaltet aussehen ließen, und um seiner ohnehin schon Furcht einflößenden Erscheinung noch das i-Tüpfelchen aufzusetzen, war er nur mit einem Lendenschurz bekleidet, dafür aber von Kopf bis Fuß mit grellen Farben beschmiert. Sein Gesicht war eine Teufelsfratze; unter dem schreiend grün und rot und gelb gemalten Dämonengesicht waren seine wirklichen Züge kaum noch zu erkennen.
Thor verschwendete allerdings keine Sekunde darauf, dieser Kriegsbemalung des Indios die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Denn der sprang mit einem wütenden, fast tierischen Knurren auf ihn zu, und Thor flankte mit einer ebenso raschen Bewegung zur Seite. Die Waffe des Indios war zerbrochen und er hatte den nutzlosen Stiel davongeschleudert – aber dieser Riese brauchte keine Waffe, um mit einem normal gewachsenen Gegner fertig zu werden. Oder auch mit fünf.
Der Indio schien das Kräfteverhältnis ähnlich einzuschätzen, denn er packte blitzartig Thors Schultern, noch bevor dieser erneut ausweichen konnte. Thor fühlte sich in die Höhe gerissen und herumgewirbelt und eine Sekunde später mit solcher Wucht zwischen die scharfkantigen Felsen geschleudert, dass ihm schwarz vor Augen wurde.
Der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen, sodass aus seinem schmerzerfüllten Schrei nur ein pfeifendes Keuchen wurde. Für einen Sekundenbruchteil drohten ihm die Sinne zu schwinden, und als sich sein Blick wieder klärte, war der Maya bereits wieder über ihm. Der Mann war ein Gigant, aber er hatte nichts von der plumpen Schwerfälligkeit der meisten großen Männer, sondern bewegte sich mit der kraftvollen Eleganz einer Raubkatze. Thor hob in einer schwachen Abwehrbewegung die Hände, aber der Indio schlug seine Arme einfach beiseite, warf sich auf ihn und presste ihn mit den Knien gegen den Boden, während sich seine gewaltigen Pranken wie die Backen eines Schraubstockes um Thors Hals schlossen und unbarmherzig zuzudrücken begannen.
Thor bäumte sich verzweifelt auf. Drei-, vier-, fünfmal hintereinander schlug er dem Riesen die Fäuste ins Gesicht, aber der schien die Schläge gar nicht zu spüren. Thors Lungen schrien nach Luft. Vergeblich versuchte er den Indio abzuschütteln, warf sich hin und her und griff schließlich mit letzter Kraft nach seinen Händen, um die Daumen zurückzubiegen und so den Griff zu sprengen. Aber er spürte sehr bald, dass seine Kraft dazu nicht mehr reichte. Seine Sinne begannen sich bereits zu verwirren. Die Gestalt des Maya verschwamm vor seinen Augen, sein Gesicht schien sich aufzublähen, bis es sein gesamtes Blickfeld ausfüllte …
Und dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Der Griff des Indios lockerte sich. Zuerst noch zögernd, aber nach einer Sekunde zog er endgültig die Hände von Thors Kehle zurück und starrte seinen Hals an.
Thor rang keuchend nach Luft. Der Indio stand auf, blickte ihn noch einen Moment lang verstört an und wandte sich dann mit einer schwerfälligen Bewegung um.
Thor sprang ihn an, als er sich über Swanson beugte.
Er legte jedes bisschen Kraft, das sich noch in seinem geschundenen Körper regte, in diese Bewegung, und sein Aufprall reichte, selbst diesen Giganten von den Füßen zu reißen.
Doch zu mehr auch nicht. Der Riese fiel, aber er drehte sich noch im Sturz herum und packte Thor, und eine Sekunde später fand der sich zum zweiten Mal auf dem Rücken liegend, mit einem mindestens fünf Zentner schweren lebenden Berg aus Muskeln und Knochen auf seiner Brust. Und sein Gesichtsausdruck machte klar, dass er diesmal Ernst machen würde.
Der Indio ballte die Faust, um der Sache (und wahrscheinlich auch Thors Leben) ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Blitzschnell stieß ihm Thor Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand ins Auge.
Der Maya brüllte vor Schmerz, schlug beide Hände vor das Gesicht und kippte rücklings von Thors Brust herunter. Thor half der Bewegung mit einem gezielten Tritt nach, sprang auf die Füße – und stürzte zum dritten Mal, als der Maya nach seinem Fußgelenk griff und ihn mit einem harten Ruck aus dem Gleichgewicht brachte.
Diesmal kamen sie gleichzeitig auf die Füße. Thor tauchte unter einem Fausthieb des Maya hindurch, schlug ihm drei-, viermal hintereinander gegen Brust und Leib und machte einen entsetzten Hüpfer zur Seite, als die Arme des Riesen wie Dreschflegel nach ihm schlugen.
Er war nicht schnell genug. Die Fäuste des Indios verfehlten ihn, doch seine Arme schlossen sich mit tödlicher Kraft um seinen Oberkörper und drückten zu.
Thor versuchte seinen Griff zu sprengen, aber ebenso gut hätte er auch versuchen können, die Backen einer Fünfzig-Tonnen-Presse mit bloßen Händen auseinanderzudrücken. Seine Rippen knackten hörbar. Pfeifend entwich die Luft aus seinen Lungen. Der Indio zerrte ihn in die Höhe und wirbelte ihn herum, wobei sich der Druck auf Thors Brustkorb noch weiter verstärkte. Verzweifelt hob Thor die Arme und schlug dem Riesen die flachen Hände gegen die Ohren; mehrmals und mit aller Gewalt. Der Indio stöhnte vor Schmerz, ließ aber nicht los, sondern drückte noch fester zu. Vor Thors Augen begannen bunte Kreise zu tanzen, und er glaubte sein Rückgrat knirschen zu hören. Mit einer letzten, verzweifelten Bewegung riss er das rechte Knie in die Höhe und stieß es dem Indio mit aller Kraft zwischen die Oberschenkel.
Der Maya brüllte auf, ließ Thor fallen und stolperte in einer grotesken, halb zusammengekrümmten Haltung rückwärts. Aber aus seinem schmerzerfüllten Kreischen wurde schon nach wenigen Augenblicken ein zorniges Knurren, und als Thor sich taumelnd auf die Füße stemmte, war das Flackern in seinem Blick kein Schmerz mehr, sondern pure Mordlust. Wenn er ihn jetzt in die Finger bekäme, das begriff Thor, dann würde er ihn umbringen. Schnell und gnadenlos und wahrscheinlich ohne dass Thor auch nur das Geringste dagegen tun konnte.
Aber zumindest konnte er es versuchen.
Als sich der Maya aufrichtete, stürmte Thor los und rammte ihm mit aller Kraft seinen Schädel in den Magen.
Es war ein Gefühl, als wäre er geradewegs gegen etwas von der Größe und Massigkeit der Cheopspyramide gelaufen. Ein dumpfer Schmerz raste durch seinen Kopf, jagte sein Rückgrat entlang und explodierte in seinem Rücken. Sein Mund war plötzlich voller Blut, als er sich selbst auf die Zunge biss.
Der Indio wankte nicht einmal.
Thor brach wie in Zeitlupe in die Knie, sackte nach vorne und fing den Sturz im letzten Moment mit den Händen ab. Alles drehte sich um ihn herum. Stöhnend hob er den Kopf und blickte zu dem riesigen Maya empor, den er nur noch schemenhaft, aber ungeheuer groß über sich aufragen sah.
Der Indio rührte sich noch immer nicht.
Eine Sekunde verging, dann noch eine und noch eine, und der Riese verzichtete noch immer darauf, sowohl die Gelegenheit als auch Thor beim Schopf zu ergreifen und ihm kurzerhand den Kopf von den Schultern zu reißen. Er starrte einfach auf ihn herab; aus großen, sonderbar starren Augen.
Dann fiel Thor zweierlei auf.
Der Indio blickte eigentlich gar nicht ihn an, sondern sah aus weit aufgerissenen Augen ins Leere.
Und der Geruch.
Der Gestank von schmorendem Haar und verbranntem Fleisch.
Trotzdem hätte er fast zu spät reagiert, als der Indio zu stürzen begann.
Stocksteif, in der gleichen starren Haltung, in der er dagestanden hatte, kippte der Maya nach vorne, und Thor fand gerade noch Zeit, sich mit einer hastigen Bewegung zur Seite zu werfen, ehe der Riese wie ein Meteor aus Fleisch und Knochen dort aufprallte, wo er noch eben gekniet hatte.
Zwischen seinen Schulterblättern steckte wie die abgebrochene Klinge einer Axt ein dreieckiger, rot glühender Lavasplitter.
Thor starrte das entsetzliche Bild eine Sekunde lang fassungslos an, dann sprang er mit einem entsetzten Hüpfer in die Höhe und wich zwei, drei Schritte von dem Toten zurück.
Alarmiert sah er sich um. Der Berg spie noch immer Feuer und brennende Steine aus, und das Schicksal des Maya zeigte deutlich, wie trügerisch die Sicherheit war, die der Lavahügel bot. Trotzdem überzeugte er sich gewissenhaft davon, dass dieser Maya der einzige war und sich zwischen den Spalten und Rissen des Hügels nicht noch mehr tödliche Überraschungen verbargen. Erst dann ging er zu Swanson zurück.
Sein Freund hatte das Bewusstsein verloren. Aber zumindest lebte er noch: Seine Brust hob und senkte sich mit schnellen, unregelmäßigen Stößen, und seine Lippen zitterten. Als Thor neben ihm niederkniete und ihm die Hand auf die Stirn legte, öffnete er die Augen und versuchte den Kopf zu heben.
»Nicht bewegen«, sagte Thor hastig.
»Was war … los?«, murmelte Swanson schwach. »Wo bist du … gewesen? Ich … ich habe … gehört. Ist noch jemand … hier?«
Thor blickte einen Herzschlag lang zu dem toten Maya hinüber. Er hatte gehofft, dass Swanson vielleicht gar nichts von dem mitbekommen hätte, was geschehen war.
Schließlich schüttelte er den Kopf und sagte laut: »Nein. Es ist nichts. Ich habe mich nur rasch umgesehen.«
»Und wie sieht es aus?«, fragte Swanson.
»Nicht gut«, gestand Thor nach kurzem Zögern. »Aber wir kommen schon durch. Ich glaube, dieser verdammte Berg beruhigt sich allmählich.«
»Hau ab, Thor«, murmelte Swanson. »Verschwinde, solange du es noch kannst. Rette dich.«
»Blödsinn. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich hier einfach liegen lasse?«
»Ich sterbe«, sagte Swanson. Seine Stimme klang beinahe erleichtert und es war nicht die mindeste Spur von Furcht darin.
»Unsinn!«, widersprach Thor. »So schnell stirbt es sich nicht. Lass mich nur ein paar Minuten ausruhen, dann bringe ich dich in die Stadt. Die Ärzte werden dich schon wieder zusammenflicken.«
Es war eine Lüge und sie wussten es beide. Aber für einen Moment glaubte Thor selbst daran, einfach weil er es glauben wollte.
»Lass mich … hier«, sagte Swanson mühsam. Seine Stimme wurde leiser. Sie zitterte jetzt, aber nicht vor Furcht, sondern nur vor Schwäche. Thor brachte sein Ohr ganz dicht an das verwüstete Gesicht seines Freundes heran, um die Worte überhaupt noch verstehen zu können.
»Rette dich!«, flüsterte Swanson. »Bring dich in Sicherheit. Ich sterbe sowieso.«
Thor sagte kein Wort. Aber er rührte sich auch nicht von der Stelle. Er wusste, dass Swanson die nächsten Minuten nicht überleben würde, und Swanson seinerseits schien zu spüren, dass Thor nicht gehen würde. Er konnte es nicht. Das Mindeste, was Thor seinem Freund schuldete, war, hier neben ihm sitzen zu bleiben, bis alles vorbei war.
Er hob den Kopf und blickte zum Berg hinauf. Der Gipfel des Vulkans war in blutiges, flackerndes Rot getaucht; dieselbe Farbe, die sich auf der Unterseite der brodelnden Wolken widerspiegelte, die den Himmel über dem Berg bedeckten. Immer wieder schossen Flammen und ganze Lawinen glühender Gesteinsbrocken aus dem Krater empor, und überall an seinen Flanken brachen neue glutrote Risse auf. Der Wald brannte, so weit er blicken konnte, aber sie hatten trotz allem noch Glück im Unglück gehabt: Die Regenzeit hatte vor wenigen Tagen mit aller Macht eingesetzt und der tropische Regenwald war vollgesogen mit Feuchtigkeit, sodass selbst das Höllenfeuer des Vulkans ihn nicht vollständig in Brand setzen konnte.
Vielleicht hatte er noch eine Chance. Er.
Thor wurde beinahe zornig. Es war einfach nicht gerecht! Für einen Moment hasste er sich fast selbst dafür, noch am Leben zu sein. Dann begriff er, wie absurd dieser Gedanke war und wie falsch. Denn er machte all das, was Swanson für ihn getan hatte, zunichte. Er schämte sich für seine eigenen Gedanken.
Thors Augen füllten sich mit Tränen, als er seinen Blick vom Feuer speienden Gipfel des Berges losriss und wieder seinen sterbenden Freund ansah.
Wären sie doch niemals hierhergekommen! Er hatte kein gutes Gefühl dabei gehabt, von Anfang an nicht, aber der Abenteurer in ihm war stärker gewesen als die schwache Stimme seiner Vernunft, und der Streit mit seinem Vater hatte ein Übriges dazu getan. Swanson hatte sich nicht einmal sonderlich anstrengen müssen, um ihn zu dieser improvisierten Expedition zu überreden. Allein die Vorstellung, in den Krater eines erloschenen Vulkans hinabzusteigen und einigen vagen Andeutungen Swansons nach dort vielleicht etwas zu finden, was seit hundert Jahren oder mehr keines Menschen Auge mehr erblickt hatte, hatte auch seine letzten Bedenken beseitigt.
Erloschener Vulkan …
Die Worte hallten wie böser Spott hinter Thors Stirn nach. Der letzte Ausbruch dieses Vulkans war mehr als zweihundert Jahre her. Jedenfalls hatte man ihm das gesagt. Und dann musste er ausgerechnet in dem Moment wieder ausbrechen, in dem sie sich dem Kraterrand näherten!
Er verscheuchte auch diesen Gedanken, fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht, um die Tränen fortzuwischen, von denen er sich vergeblich einzureden versuchte, dass sie nur durch Rauch und Hitze entstanden waren, und beugte sich wieder zu Swanson hinab. Dessen Lippen bewegten sich. Im ersten Moment hatte Thor Mühe, die geflüsterten Worte überhaupt noch zu verstehen. Swansons Stimme war nur noch ein Hauch.
»… Tochter«, verstand Thor. Swanson sagte noch mehr, aber dieses eine Wort war das einzige, das er wirklich identifizieren konnte.
Swansons Hand löste sich aus der Umklammerung, kroch langsam über seinen Oberkörper und versuchte etwas unter dem Hemd hervorzuziehen. Thor sah ein dünnes goldenes Blitzen und streckte ebenfalls die Hand aus. Sehr behutsam, um Swanson nicht noch mehr Qualen zu bereiten, löste er die dünne Kette mit dem kleinen goldenen Anhänger vom Hals seines Freundes und ließ sie in dessen offene Hand fallen. Swansons Finger schlossen sich mit einem Ruck darum, hielten sie für einen Moment mit aller Kraft fest und öffneten sich wieder.
»Gib das … meiner … Tochter«, sagte er. Er schien all seine Kraft mobilisiert zu haben, um diese vier Worte zu sprechen, denn seine Stimme wurde noch einmal klar und verständlich. »Bring es … ihr. Sag ihr … dass …«
Er sprach nicht weiter.
Und es dauerte fast zehn Sekunden, bis Thor begriff, dass er den Satz nie beenden würde.
Er war tot.
Wieder füllten sich Thors Augen mit Tränen, und diesmal versuchte er nicht mehr, sie zurückzuhalten. Minutenlang saß er einfach da und ließ seinem Schmerz freien Lauf, bis er sich wieder so weit in der Gewalt hatte, die Hand auszustrecken und vorsichtig die Kette mit dem kleinen Goldanhänger aus Swansons Fingern zu nehmen.
Der Anhänger war winzig, beinahe unscheinbar; kaum größer als der Nagel seines kleinen Fingers. Auf den ersten Blick wirkte er wie wertloser Tand, aber wenn man genauer hinsah, dann konnte man eine verborgene Eleganz und Kunstfertigkeit unter den scheinbar groben Linien erkennen. Er stellte eine zusammengerollte Schlange dar, aus deren Schädel ein weit gespreizter Federbusch wuchs: Quetzalcoatl, der gefiederte Schlangengott der Maya.
Die Geschichte der alten süd- und mittelamerikanischen Völker war Swansons Spezialgebiet gewesen. Thor erinnerte sich gut an die zahllosen Abende und Nächte, die sie zusammengesessen und über die Geheimnisse dieser versunkenen Hochkultur geredet hatten. Und sie war letztendlich auch der Grund ihres Hierseins. Swanson hatte ihm bis zum letzten Moment nichts wirklich Definitives erzählt, aber er hatte gewisse Andeutungen gemacht, aus denen Thor geschlossen hatte, dass es nicht allein um eine Reportage ging, sondern Swanson im Inneren dieses erloschenen Vulkankraters etwas Sensationelles zu finden hoffte.
Das Einzige, was er gefunden hat, dachte Thor bitter, ist der Tod.
Zwei endlose Minuten saß er einfach da und blickte den winzigen, blitzenden Anhänger an, dann richtete er sich auf, wollte die Kette in die Tasche stecken und überlegte es sich im letzten Moment anders. Mit einer raschen Bewegung streifte er sie über den Kopf und verstaute den Anhänger sorgsam unter dem Hemd.
Thor ging noch einmal zu dem toten Maya hinüber. Er war jetzt sicher, dass er sich die Gestalt unten im Wald nicht eingebildet hatte, sondern dass es sich um denselben Mann handelte. Er musste ihnen vom Berg aus bis hierher gefolgt sein; und vielleicht schon vorher.
Vorsichtig und von dem absurden, aber sehr intensiven Gefühl erfüllt, etwas zu tun, was er besser nicht tun sollte, ließ er sich neben dem toten Riesen auf die Knie sinken und drehte ihn auf den Rücken.
Das Gesicht des Riesen war im Tode verzerrt, aber nicht einmal die für alle Zeit erstarrte Qual und die dicke Farbschicht konnten die charakteristischen Züge verbergen: die scharfe Nase, das breite Kinn und die leicht fliehende Stirn. Der Mann war tatsächlich ein Maya.
Thor blieb so lange sitzen und blickte abwechselnd das Gesicht des toten Indios, den winzigen Quetzalcoatl-Anhänger und den Feuer speienden Vulkankegel an. Was um alles in der Welt hatte Swanson dort oben zu finden gehofft?
Er zögerte noch ein letztes Mal, ehe er sich erhob und langsam den Hügel hinabstieg. Swanson einfach hier liegen zu lassen kam ihm wie ein Verrat vor, aber er hatte gar keine andere Wahl. Und Swanson hätte nicht gewollt, dass er jetzt etwas Dummes tat und vielleicht doch noch starb.
Dafür war der Preis, den er selbst für Thors Leben gezahlt hatte, entschieden zu hoch.
Und plötzlich fühlte Thor fast so etwas wie Trotz. Es war, als gehöre sein Leben jetzt nicht mehr ganz ihm. Mit dem, was Swanson getan hatte, hatte er es ein bisschen auch zu seinem eigenen gemacht, und er würde nicht zulassen, dass dieser verdammte Berg seinen Freund zum zweiten Mal umbrachte.
Rings um ihn herum stand der Wald in Flammen, bebte die Erde und regneten Asche, glühendes Gestein und Flammen vom Himmel, und vielleicht verbargen sich irgendwo in diesem Dschungel noch mehr Nachkommen Montezumas, die ihm nach dem Leben trachteten, aber irgendwie würde er es schon schaffen, hier herauszukommen.
Irgendwie.
Das Palladium war eine Kaschemme. Das einzig Vornehme an ihm war der Name, der allerdings nicht einmal Überbleibsel aus besseren Zeiten, sondern schlicht und einfach dem Größenwahn seines Besitzers zuzuschreiben war. Das Lokal bot normalerweise Platz für dreißig, mit viel gutem Willen auch vierzig Gäste, aber der Türsteher draußen sorgte dafür, dass selten weniger als siebzig oder auch achtzig Personen anwesend waren. Das wiederum führte zu einem solchen Gedränge, Geschiebe und Durcheinander, dass es den Anwesenden einfach gar nicht möglich war, die Tür wieder zu erreichen, wenn sie erst einmal den Fehler begangen hatten, sich hereinlocken zu lassen. Die Luft war so dick und verräuchert, dass es völlig sinnlos war, dem Mann hinter der Theke mit Gesten etwas zu verstehen zu geben; man musste schon brüllen, um etwas zu bestellen. Was allerdings die wenigsten Gäste taten. Es hätte auch nicht viel Sinn gehabt – es gab sowieso nur die Wahl zwischen zwei Getränken: lauwarmem Bier und Whisky, von dem die Rede ging, dass der Besitzer des Palladium ihn jede Nacht aus den Resten nicht ausgetrunkener Gläser selbst zusammenbraute. Seinem Geschmack nach zu schließen entsprach das der Wahrheit.
Thor Garson achtete im Moment aber weder auf das Gedränge rings um sich herum noch auf den goldbraunen Magenvernichter, dessen Farbe wahrlich das Einzige war, was an diesem Getränk wirklich an Whisky erinnerte. Er konzentrierte sich voll und ganz auf das Blatt in seiner Hand.
Es war ein Full House. Dazu das schönste Full House, das er seit Jahren gesehen hatte. Drei Asse und zwei Könige, die er auf die Hand bekommen hatte, ohne ein einziges Mal tauschen zu müssen: eine Eins-zu-einer-Million-Chance.
Sein Gegenüber schien etwas in dieser Art zu befürchten, denn die Blicke, mit denen er Thor schier durchbohrte, waren in den letzten Minuten immer nervöser geworden. Von den ursprünglich fünf Teilnehmern an der Pokerrunde waren nur noch sie beide übrig geblieben. Die anderen waren ausgestiegen und beobachteten das stumme Duell gespannt; ebenso wie zwanzig oder dreißig Schaulustige, die den Tisch in einem dichten Kreis umstanden.
Was auch weiter kein Wunder war: Das Palladium war zwar dafür bekannt, eine Spielhölle zu sein, in der manchmal auch große Beträge über den Tisch gingen – aber einen Einsatz wie den, der jetzt zwischen Thor und seinem Gegenüber auf dem Tisch lag, sah man selbst hier nicht jeden Tag. Thor hatte längst die Übersicht verloren, wie viel es war. Er selbst war an diesem Abend mit hundert Dollar in der Tasche hierhergekommen, wie immer, wenn er spielen wollte. Ein Betrag, der ihm zwar wehtun, ihn aber nicht ruinieren würde, sollte er ihn verlieren. Aber er hatte ihn nicht verloren, sondern beständig gewonnen. Im Laufe des Abends war seine Barschaft von hundert zuerst auf tausend, dann auf zwei-, schließlich drei- und am Ende sogar mehr als viertausend Dollar angewachsen – und das alles lag jetzt zwischen ihnen. Das, derselbe Betrag, den sein Gegner dazugelegt hatte, und noch einmal mindestens dasselbe: die Einsätze der anderen Pokerspieler, die nach und nach ausgestiegen waren. Selbst Thor, der aus nicht gerade ärmlichen Verhältnissen stammte und sich normalerweise nicht allzu viel aus weltlichen Gütern machte, wurde beim Anblick des gewaltigen Haufens zerknitterter grüner Dollarnoten ein wenig flau im Magen.
Seinem Gegenüber anscheinend etwas mehr als nur ein wenig.
Josés Augen hatten sich geweitet, auf seiner Stirn perlte Schweiß, und die Hände, mit denen er seine Karten hielt, zitterten. Es war nicht das erste Mal, dass Thor sich mit José zu einer Pokerpartie traf, und bisher hatte er ihn für einen kühlen, überlegenen Spieler gehalten, den nichts aus der Ruhe bringen konnte. Aber auch er spielte selten um solche Beträge. Eigentlich hatte Thor ihn niemals um mehr als zwei- oder dreihundert Dollar auf einmal spielen sehen. Doch durch den Anblick dieses schon mittleren Vermögens, das sich zwischen ihnen häufte, war auch seine sprichwörtliche Ruhe erschüttert worden.
Dabei hatte eigentlich keiner von ihnen vorgehabt, so viel zu riskieren. Im Grunde hatte es wie bei früheren Treffen mehr als Geplänkel zwischen ihnen begonnen: Die Karten wurden ausgeteilt und Thor hatte nur den Kopf geschüttelt, als ihn der Geber fragte, wie viele neue er wolle, und José, der Thor eher als Gelegenheitsspieler denn als Profi kannte, hatte spöttisch die linke Augenbraue gehoben und ihm zugelächelt. Wahrscheinlich hatte er die zehn Einhundertdollarnoten, die er dann mit einer lässigen Geste auf den Tisch warf, einzig eingesetzt, um Thor zu beweisen, was er von seinem vermeintlichen Bluff hielt. Und auch Thor hatte eigentlich nur aus purer Schadenfreude bei dem Gedanken, welches Gesicht sein alter Studienfreund wohl machen würde, wenn er dieses Superblatt erst sähe, die gleiche Summe von dem Stapel Geldscheine vor sich abgezählt und dazugelegt.
Und dann … Dann hatte es sie wohl beide erwischt, wie man so schön sagt.
Dieses eine Spiel dauerte nun schon fast zwei volle Stunden und sie hatten sich unerbittlich gegenseitig hochgeschaukelt. Die anderen Spieler waren nach und nach ausgestiegen, obwohl auch einige von ihnen erhebliche Beträge eingesetzt hatten, und aus dem freundschaftlichen Zweikampf der beiden war ein erbittertes Ringen geworden. Seit Thor noch die letzten beiden Hundertdollarscheine vor ihm auf dem Tisch gesetzt hatte, um Josés Einsatz auszugleichen, waren gut fünf Minuten vergangen. Keiner von ihnen hatte in dieser Zeit ein Wort gesprochen, aber die Spannung war beinahe ins Unerträgliche gestiegen.
José legte die Karten aus der Hand und griff in die Brieftasche. Das hatte er während der letzten Viertelstunde mehrmals getan und das Bündel Geldscheine darin war immer dünner geworden. Thor betrachtete das nicht ohne Sorge. Er kannte José. Sie waren keine Freunde, aber doch gute Bekannte, und er wusste, dass der Mexikaner normalerweise auf die gleiche Art zu spielen pflegte wie er: mit einem relativ geringen Einsatz nämlich, den er entweder verspielte, woraufhin er dann nach Hause ging, oder verdoppelte oder verdreifachte, um dann den Gewinn auch wieder zu verspielen, oder – wenn auch äußerst selten – mit nach Hause zu nehmen. Aber jetzt wich José von dieser Gewohnheit ab. Er hatte sein Spielkapital ebenso aufgezehrt wie Thor, und was in seiner Brieftasche war, das war wahrscheinlich sein letzter Monatslohn.
»Tu das lieber nicht«, sagte Thor, als José zweihundert Dollar aus der Brieftasche nahm und sie auf den Tisch warf. »Wenn du das auch noch verlierst, dann muss ich dich den ganzen Monat durchfüttern und habe dich am Hals«, fügte er mit einem spöttischen Lächeln hinzu.
José blieb ernst. »Hältst du nun mit oder nicht?«, fragte er. Seine Stimme klang gepresst und sein Blick flackerte.
Thor war versucht Nein zu sagen. Der Tisch vor ihm war leer, alles, was er an diesem Abend gewonnen hatte, inklusive des Hunderters, mit dem er hergekommen war, lag jetzt im Pot. Seine Vernunft sagte ihm, dass er aufhören sollte. Wenn er verlor, dann hatte er genau einhundert Dollar verloren, nicht mehr und nicht weniger. Wenn José verlor, dann war er für die nächsten Monate ruiniert.
Auch sein Aussehen bereitete Thor jetzt Sorge. Bis zu diesem Abend war José ein Gelegenheitsspieler gewesen wie Thor auch. Was er jetzt in seinen Augen sah, war das Flackern eines besessenen Spielers, der einfach nicht aufhören kann. Vielleicht würde ihm ein kleiner Dämpfer guttun. Thor entschloss sich, ihm später zumindest einen Teil des Gewinns wiederzugeben, damit er in den nächsten Wochen über die Runden kommen könnte. Wahrscheinlich tat José ein kleiner heilsamer Schock ganz gut.
Er legte ebenfalls sein Blatt aus der Hand, griff unter die Jacke und klappte die Brieftasche auf. Darin befanden sich drei Hunderter und ein Fünfzigdollarschein. Er nahm zweihundert Dollar heraus, legte sie auf den Tisch und sah José fragend an. »Du solltest aufhören«, sagte er noch einmal.
José schürzte trotzig die Lippen und griff abermals nach seiner Brieftasche. Thor sah, dass darin noch genau zweihundert Dollar waren.
»Tu das nicht«, sagte er warnend. »Du ruinierst dich, mein Freund.«
José blickte ihn beinahe hasserfüllt an, nahm die zwei Geldscheine und warf sie auf den Tisch. »Hältst du mit oder steigst du aus?«, fragte er trotzig.
Thor blickte in seine eigene Brieftasche. Er konnte nicht mithalten. Seine Barschaft reichte nicht aus. »Nimmst du einen Schuldschein von mir?«, fragte er. Ohne Josés Antwort abzuwarten, zog er einen Bleistift hervor und suchte nach einem Stück Papier – aber José schüttelte den Kopf.
»He, he«, protestierte Thor. »Ich bin dir doch wohl für fünfzig lausige Dollar gut, oder?«
»Kein Schuldschein«, sagte José knapp. »Leg das Geld auf den Tisch oder steig aus.«
»Das ist nicht fair«, erwiderte Thor. »Du versuchst mich rauszudrängen.«
José zuckte gleichmütig mit den Achseln. »Wer hoch spielt, sollte genug Bargeld mithaben«, sagte er. »Hast du es?«
Allmählich wurde Thor wirklich wütend. »Nein«, antwortete er gepresst. »Aber wenn du mir eine Minute Zeit gibst, besorge ich es.« Er deutete mit einer ärgerlichen Kopfbewegung auf die Bar. »Ich denke, so viel Kredit habe ich sogar hier.«
Er wollte aufstehen, aber plötzlich hob José die Hand und winkte ab. »Spar dir die Mühe«, sagte er.
Thor setzte sich wieder und sah ihn fragend an.
José wirkte ein bisschen verlegen. Offensichtlich taten ihm seine eigenen Worte bereits wieder leid. »Entschuldige«, sagte er. »Selbstverständlich bist du mir für fünfzig gut. Willst du mithalten?«
Thor nickte.
José presste die Lippen aufeinander, blickte die Rückseiten seiner Karten, die nebeneinander vor ihm auf dem Tisch lagen, sekundenlang durchdringend an und griff in die Jackentasche. Als er die Hand wieder hervorzog, hielt sie ein Bündel zerknitterter Dollarnoten. Er glättete sie sorgsam vor sich auf dem Tisch, zählte sie ab und warf sie dann oben auf den Haufen mit Geldscheinen. »Das sind jetzt noch einmal siebenundachtzig«, sagte er.
Thor seufzte. »Du bist völlig wahnsinnig«, murmelte er. »Aber gut, wenn du es nicht anders willst – ich halte mit.«
José blickte ihn an.
»Das macht dann einhundertsiebenunddreißig, die ich dir schulde, wenn ich verliere«, sagte Thor, schon wieder zornig.
»Würde es dir viel ausmachen, mir ein Pfand zu geben?«, fragte José.
Thor merkte, dass es ihm in der Tat viel ausmachte. Er fühlte sich gekränkt durch dieses völlig grundlose Misstrauen. Wütend streifte er den Ärmel zurück, um seine Uhr abzuschnallen, aber José schüttelte den Kopf
»Nein«, sagte er.
Thor erstarrte mitten in der Bewegung und blickte José über den Tisch hinweg wütend an. Der Südamerikaner deutete auf die Kette, die unter Thors Hemd zu sehen war. »Was ist das da?«, fragte er.
Thor zögerte. Einen Moment lang war er versucht, einfach aufzustehen und José samt seinem verdammten Geld sitzen zu lassen, aber dann griff er doch unter sein Hemd und zog die Kette hervor, sodass José den kleinen Maya-Anhänger sehen konnte.
»Das ist Gold, nicht wahr?«, fragte José.
Thor nickte grimmig. »Ja, und das ist verdammt viel mehr wert als die lumpigen hundertsiebenunddreißig«, sagte er.
»Dann setze ich noch mal tausend«, sagte José und fügte mit einem dünnen, hämischen Lächeln hinzu: »Falls ich dir dafür gut bin, heißt das.«
»Aber natürlich«, antwortete Thor gepresst. »Du hast unbegrenzten Kredit bei mir, mein Freund.«
Mit einem Ruck zog er die Kette über den Kopf, warf sie auf den Tisch und starrte José an. »Dann zeig mal, was du hast.«
»Zuerst du«, sagte José.
Thor zuckte mit den Achseln, deckte seine beiden Könige und die drei Asse auf und lehnte sich zurück. Eigentlich hatte er den Moment genießen und die Karten eine nach der anderen herumdrehen wollen, und zwar in einer Reihenfolge, die José bis zum letzten Moment im Unklaren darüber gelassen hätte, was er wirklich hatte. Aber diese Pokerpartie machte ihm längst keinen Spaß mehr. Es war ihm eigentlich auch gleichgültig, ob er gewann oder nicht. Das Einzige, was er wollte, war, José eine Lektion zu erteilen.
Ein paar Sekunden später begriff er, dass er es war, der an diesem Abend eine Lektion bekam.
Josés Augen weiteten sich, als sie das Full House sahen, aber es war kein Schrecken, der sich darin widerspiegelte, sondern ein wilder Triumph. Einen Moment lang lächelte er, dann begann er schallend zu lachen, griff nach seinen eigenen Karten und warf sie Thor über den Tisch zu. Thor fing sie auf, drehte sie herum und stieß enttäuscht die Luft zwischen den Zähnen aus, als er sah, welches Blatt José hatte.
Es war ein Straight bis zum Ass; dem letzten, das Thor noch gefehlt hatte.
»Tja, Herr Garson«, sagte José spöttisch. »Sieht so aus, als könnten Sie sogar von mir noch etwas lernen.« Grinsend beugte er sich über den Tisch und raffte den Einsatz an sich – weit mehr als zehntausend Dollar, schätzte Thor. »Ich wusste doch immer, dass ihr Krauts nicht pokern könnt.«
Thor unterdrückte mühsam seinen Zorn. Er wusste, dass José seine Bemerkung nicht böse meinte, sondern lediglich im Freudentaumel über die Stränge schlug, dennoch fiel es ihm immer schwerer sich zu beherrschen. Mit ausdruckslosem Gesicht sah er zu, wie José das Geld vor sich zu kleinen, gleichmäßigen Stapeln sortierte, aber als der Mexikaner auch nach der Kette greifen wollte, hielt Thor seine Hand zurück. »Das war nur ein Pfand«, erinnerte er ihn.
José nickte. »Ich weiß. Du bekommst es zurück – sobald du mir die elfhundertsiebenunddreißig Dollar bringst, die du mir schuldest.«
Thor sparte sich eine Antwort. Das mit der Lektion hat ja prima geklappt, dachte er zornig. Nur dumm, dass er selbst es gewesen war, dem er sie erteilt hatte.
Er stand auf. »Morgen früh«, sagte er wütend. »Ich bringe dir das Geld ins Hotel. Wäre dir zehn Uhr recht?«
José schüttelte den Kopf. »Komm lieber um zwölf«, sagte er. »Ich habe das Gefühl, dass es heute Nacht spät wird. Ich habe Grund zu feiern, weißt du?«
Thor drehte sich so abrupt um, dass er in der Bewegung einen Stuhl umwarf, und stürmte davon. Es war fast Mitternacht, als er auf die Straße hinaustrat. Sein Kopf dröhnte, seine Augen brannten und er hatte zu viel getrunken. Aber die klare, kalte Nachtluft half ihm. Er entfernte sich ein paar Schritte von dem Lokal, blieb stehen und lehnte sich mit geschlossenen Augen an eine Mauer, um einen Moment lang nichts anderes zu tun, als die frische Luft einzuatmen.
Und wieder zu sich selbst zu finden.
Er war zornig – und dieser Zorn galt sehr viel mehr ihm selbst als José. Dabei war es nicht einmal das verlorene Geld, das ihn so wütend machte. Er würde auch das überstehen, ohne ins Armenhaus gehen oder sich erschießen zu müssen. Was viel schlimmer war – er war von einem seiner eisernen Prinzipien abgewichen, nämlich dem, niemals mehr zu verspielen, als er bei sich hatte. Und was das Schlimmste war, er hatte etwas verspielt, was ihm nicht einmal gehörte.
Thor hatte das Versprechen keineswegs vergessen, das er Swanson gegeben hatte. Er hatte den kleinen Anhänger die letzten drei Monate ununterbrochen bei sich getragen. Und es lag auch allein an diesem Anhänger, dass er in New Orleans war: Für den nächsten Tag hatte er eine Verabredung mit einem Rechtsanwalt, dem er schon vor drei Monaten schriftlich den Auftrag erteilt hatte, Swansons Tochter ausfindig zu machen.
Nun ja, bis dahin war Zeit genug, das Schmuckstück wieder auszulösen.
Er ging weiter. Es war dunkel; am Himmel stand kein Mond, und während der Stunden, die er im Palladium verbracht hatte, waren Wolken aufgezogen. Auf der anderen Seite des Hafens regnete es bereits, und die Luft, die ihm noch vor Augenblicken so erfrischend vorgekommen war, wurde nun bereits unangenehm kühl.
Thor schlug den Jackenkragen hoch, rammte die Hände in die Taschen und ging mit gesenktem Kopf und schneller werdenden Schritten weiter. Er würde sich beeilen müssen, um rechtzeitig ins Hotel zu kommen und sich nicht nach der Pleite am Pokertisch auch noch eine kalte Dusche einzuhandeln.
Er überquerte die Straße, wandte sich nach rechts und blieb einen Moment unschlüssig stehen. Der Weg zum Hotel war nicht sehr weit, aber es wurde jetzt immer kälter und der Wind wurde schneidender. Offensichtlich kam der Regen schneller heran, als er geglaubt hatte. Aber es gab eine Abkürzung. Nur wenige Schritte entfernt konnte er eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern erkennen – eigentlich kein richtiger Weg, sondern nur eine Lücke, die aus irgendeinem Grund nicht zugebaut worden war – und dahinter eine nicht einmal ganz zwei Meter hohe Ziegelsteinmauer. Auf der anderen Seite, das wusste er, befand sich die Straße, an der sein Hotel lag.
Er bog in die Gasse ein und näherte sich der Mauer, wobei er im Slalom gehen musste, um überquellenden Mülltonnen und leeren Pappkartons auszuweichen. Sein Fuß stieß im Dunkeln gegen einen Mülltonnendeckel, der scheppernd davonflog. Einen Augenblick später ertönte aus dem hinteren Teil der Gasse ein wütendes Fauchen, und ein struppiger Schatten verschwand in der Dunkelheit.
Thor erreichte die Mauer, streckte die Hände nach ihrer Krone aus – und drehte sich mit einem Ruck wieder herum. Hinter ihm war etwas.
Er sah nichts. Er hörte nicht einmal etwas Verdächtiges, aber er spürte einfach, dass ihn jemand belauerte. Sein Blick bohrte sich in die Dunkelheit. Dieser Schatten dort – war das wirklich eine Mülltonne oder eine zusammengekauerte Gestalt? Und die Bewegung gerade – er war jetzt nicht mehr sicher, dass das wirklich eine Katze gewesen war.
»Ist da jemand?«, rief er in die Dunkelheit.
Keine Antwort.
»He – Freundchen!«, rief Thor. »Wenn du es auf meine Brieftasche abgesehen hast, spar dir die Mühe. Sie ist leer.«
Er bekam auch jetzt keine Antwort, aber das Gefühl, angestarrt zu werden, wurde immer intensiver.
Und plötzlich ging alles rasend schnell.
Ein schepperndes Geräusch erklang, als eine der Mülltonnen umgestoßen wurde, dann sprang ein Schatten blitzschnell auf Thor zu und versuchte ihn von den Füßen zu reißen. Im letzten Moment wich er dem Angriff aus und duckte sich. Etwas zischte haarscharf über seinen Kopf hinweg und riss Funken aus der Wand hinter ihm, und fast gleichzeitig traf ein Faustschlag seine Schulter und ließ ihn zurücktaumeln.
Der schattenhafte Angreifer fuhr herum, schlug ein zweites Mal nach ihm – und diesmal traf er. Thor taumelte unter einem heftigen Schlag zurück, stieß ein zweites Mal sehr unsanft gegen die Wand und brach in die Knie. Sein Kopf dröhnte. Seine linke Gesichtshälfte war taub und er konnte nicht mehr richtig sehen. Der Kerl musste entweder Kräfte wie ein Ochse haben oder er hatte mit einer Waffe zugeschlagen.
Eine Hand packte Thor an den Rockaufschlägen, riss ihn mit einem Ruck wieder in die Höhe und warf ihn zum dritten Mal gegen die Wand. Sein Hinterkopf prallte gegen hartes Mauerwerk, und der Schmerz ließ bunte Sterne und Kreise vor seinen Augen tanzen. Aber das machte ihn auch wütend.
Er duckte sich instinktiv, als er einen weiteren Hieb mehr spürte, als dass er ihn kommen sah, und machte einen Schritt zur Seite. Ein dumpfes Krachen erklang, gefolgt von einem halb unterdrückten Schmerzenslaut. Und Thor gestattete sich den Luxus eines flüchtigen Grinsens, als er sich vorstellte, dass die Faust, die eigentlich sein Gesicht hätte treffen sollen, mit ziemlicher Wucht gegen die Wand gekracht sein musste.
Doch der Triumph hielt nicht lange vor. Er konnte seinen Gegner in der Dunkelheit immer noch nicht richtig erkennen, aber er sah zumindest, dass es sich um einen wahren Riesen handeln musste. Ein Kerl von weit mehr als zwei Metern Größe und einer Schulterbreite, die jeder Beschreibung spottete. Und wenn ihm der Hieb gegen die Wand wehgetan hatte, dann hatte das seine Wut höchstens noch geschürt. Thor musste sich plötzlich unter einem wahren Hagel von Schlägen ducken und taumelte rückwärts vor dem Angreifer zurück. Zwei, drei der wütenden Schwinger durchbrachen seine Deckung, und er hatte jedes Mal mehr Mühe, auf den Beinen zu bleiben.
Sein Fuß verhakte sich an etwas. Er stolperte, kämpfte eine Sekunde lang mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht und stürzte schließlich nach hinten. Es gelang ihm zwar, den Sturz abzufangen und ihm wenigstens seine größte Wucht zu nehmen, aber der andere nutzte die sekundenlange Schwäche aus, um sich sofort auf ihn zu werfen und seinen Körper mit den Knien an den Boden zu pressen. Ein riesiges, irgendwie sonderbares Gesicht tauchte über Thor auf und eine noch riesigere Faust ballte sich zum entscheidenden Schlag.
Thors wild herumtastende Hände ergriffen etwas Hartes. Blindlings packte er es, raffte jedes bisschen Kraft zusammen, das er noch fand, und schlug zu.
Es gab ein Geräusch wie ein Paukenschlag, als der Mülleimerdeckel höchst unsanft im Gesicht des Angreifers landete. Im ersten Moment fürchtete Thor schon, nicht einmal dieser Hieb würde den Riesen aufhalten – aber dann begann die Gestalt über ihm zu wanken. Er hörte ein leises, seufzendes Stöhnen, und nach einer weiteren Sekunde kippte der Kerl einfach von ihm herunter und blieb liegen.
Thor rappelte sich mühsam auf, wich vorsichtshalber drei, vier, fünf Schritte von der reglosen Gestalt zurück und rang keuchend nach Atem. Er war alles andere als ein Schwächling, aber er wusste, dass er den ungleichen Kampf nur noch wenige Sekunden lang durchgestanden hätte.
Aber er hatte gewonnen – das allein zählte. Das versöhnte ihn schon wieder ein bisschen mit dem Pech vorhin.
»Siehst du, Freund«, sagte er feixend zu dem Bewusstlosen. »Manchmal triumphiert der Geist doch über die brutale Gewalt.«
Oder auch nicht.
Das Letzte, was Thor Garson für die nächsten zwei oder auch drei Stunden bewusst wahrnahm, war der Anblick des gleichen Mülleimerdeckels, mit dem er den Angreifer niedergeschlagen hatte. Nur dass er plötzlich in der Hand eines zweiten riesigen Schattens lag und sich schnell, sehr schnell auf sein Gesicht zubewegte.
Rasend schnell sogar.
Selbst am nächsten Morgen hatte Thor noch Kopfschmerzen. Irgendwann im Laufe der Nacht war er in der schmutzigen Gasse aufgewacht und hatte sich zum Hotel geschleppt, wo ihn ein höchst verschreckter Portier in Empfang genommen und auf sein Zimmer geführt hatte. Nicht, ohne ihn mindestens zwanzigmal zu fragen, ob er die Polizei oder einen Arzt oder besser gleich beide holen solle, was Thor nur mit Mühe und Not hatte verhindern können.
Irgendwann, lange nach Sonnenaufgang, war er dann mit dröhnendem Kopf und einem widerwärtigen Geschmack im Mund wach geworden, noch mit Hose, Hemd und Stiefeln auf dem Bett liegend. Und dann, nachdem er ins Bad getaumelt war und den Kopf fünf Minuten lang unter eiskaltes Wasser gehalten hatte, hatte er eine Überraschung erlebt.
Er war nicht ausgeraubt worden.
Seine Uhr war noch da, seine Brieftasche mit allen Papieren und dem Kreditbrief der Bank of America, den er als Reserve für Notfälle stets mit sich führte, und auch der übrige Inhalt seiner Taschen.
Dafür hatten die Angreifer ihm das Hemd in Fetzen gerissen.
Er verstand das nicht – warum hatten sich die beiden Strauchdiebe solche Mühe mit ihm gemacht, um ihm dann nicht einmal seine Wertgegenstände abzunehmen?
Aber so lange er auch darüber nachdachte, er fand keine Antwort. Vielleicht hatte er die beiden ja mit seinem unerwartet heftigen Widerstand so eingeschüchtert, dass sie froh gewesen waren, davonzukommen, und ihn einfach liegen gelassen hatten.
Er ahnte, dass das nicht die ganze Wahrheit war, aber er fühlte sich viel zu miserabel, um jetzt weiter über diese Frage nachzudenken. Die nächste halbe Stunde verbrachte er damit, lang und ausgiebig und eiskalt zu duschen und seine ramponierte Kleidung in Ordnung zu bringen. Als er sich endlich wieder halbwegs menschlich fühlte, war es fast elf. Und der Blick auf die Uhr erinnerte ihn daran, dass am vergangenen Abend noch mehr geschehen war als der missglückte Raubüberfall auf ihn.