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Auf der Suche nach einer Tankstelle stoßen Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. Über ihren Häuptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner verglühen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enthüllt ihm die unglaubliche Kunde, dass das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle...
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Seitenzahl: 761
Cover
Titel
Impressum
Der Widersacher
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Wolfgang Hohlbein
DER WIDERSACHER
Roman
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 1995 by Bastei Lübbe AG, Köln
All rights reserved
Innenillustrationen: Dieter Ziegenfeuter
Titelbild: Thomas Kneifer
Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg
E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-8387-0611-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Pünktlich mit dem Beginn des Frühlings war der Winter zurückgekehrt. Die ganze Nacht über hatte es geregnet, als probe die Natur für eine neue Sintflut, und mit dem ersten Licht der heraufziehenden Dämmerung – falls man das stumpfe Bleigrau, das in die Wolken zu fließen begann wie graue Tinte in Ballen aus aufgeweichtem schwarzem Löschpapier, Licht nennen wollte – begann der Regen noch kälter zu werden. Kleine, spitze Eisnadeln mischten sich in die schräg vom Himmel stürzenden Wasserschleier, und als die Sonne aufging – ein verwaschener gelber Fleck, nicht ganz rund, mit zerfasernden Rändern und kaum nennenswerter Leuchtkraft –, wurde aus dem Eisregen Schnee und aus dem Morast, in den sich die Wege verwandelt hatten, ein klebriger Sumpf, in dem Eis glitzerte wie hineingestreutes Glas.
Salid haßte dieses Land. Nein – er haßte den Winter, seine Kälte, die jede Bewegung zur Qual machte, und seine Nässe, die einem das Gefühl gab, unter Wasser zu atmen. Das Land war ihm egal. Es war ihm so gleichgültig wie seine Menschen oder die Länder und Menschen irgendeiner anderen Region in diesem kalten, nassen Teil der Welt. Er hatte einige von diesen Menschen getötet – Salid hatte nicht Buch geführt, aber er schätzte, daß es eine Zahl irgendwo zwischen dreißig und fünfzig sein mußte, eher mehr als weniger –, aber er hatte keinen von ihnen gehaßt. Die allermeisten hatte er nicht einmal gekannt. Haß war keine gute Kraft. Haß war destruktiv und schädlich, und er zerstörte nur zu oft nicht nur die, gegen die er gerichtet war, sondern auch den, der ihn aufbrachte. Salid Ibn Yussuf, weit besser bekannt unter dem Namen Abu el Mot, mit dem er in ungefähr zwei Dutzend Ländern der westlichen Welt einen guten Platz in der Hitparade der zehn meistgesuchten Terroristen belegte, wußte nicht einmal wirklich, was Haß war. Er hatte ihn nie verspürt, und das war auch gut so. Haß war eine Flamme, die heiß und schnell brannte und sich nicht nur irgendwann unweigerlich selbst verzehrte, sondern auch den Blick für die Realität trübte. Salid hatte zu viele gute Männer für Ziele sterben sehen, die es nicht wert waren. Was er tat, tat er aus Überzeugung, und das war eine gute Kraft, eine Kraft, die ein Leben lang hielt und ihren Besitzer stärker machte, statt ihn aufzuzehren. Wenn er tötete, dann, weil es getan werden mußte, mit dem gleichen Kalkül und aus den gleichen Beweggründen heraus vielleicht, aus denen ein Schachspieler die Figuren auf seinem Brett bewegte und manchmal opferte. Salid sah das, was er tat, gerne als eine Art großes Spiel an, ein Schachspiel, bei dem sich zwar mehr als zweiunddreißig Figuren auf weit mehr als vierundsechzig Feldern gegenüberstanden, das aber trotzdem nach festen Regeln von Zug und Gegenzug, Aktion und Reaktion gespielt wurde, von Schlagen und Geschlagenwerden. Er war selbst ein ganz guter Schachspieler – nicht überragend, aber ganz passabel –, und er hatte einen gewaltigen Vorteil auf seiner Seite: Er war in einer Position, in der zwar auch er sich an gewisse Regeln zu halten hatte, diese Regeln aber weitestgehend selbst bestimmen konnte – und sie seinen Gegnern aufzwang. Vielleicht war das der Grund, aus dem er so erfolgreich war; zumindest aber der, weshalb er so gefährlich war. Salid tötete nicht aus irgendwelchen Gefühlen heraus, sondern mit der Präzision und dem unerbittlichen Desinteresse einer Maschine.
Dabei war Salid alles andere als der typische Terrorist; sofern es in diesem Gewerbe überhaupt eine typische Karriere gab. Er war als einer von drei Söhnen einer wohlhabenden, wenn auch nicht wirklich reichen palästinensischen Kaufmannsfamilie aufgewachsen und hatte in den beiden ersten Jahrzehnten seines Lebens weder existentielle Not noch unerträgliches Unrecht erlebt, zumindest nicht am eigenen Leib. Denn sein Vater hatte es stets verstanden, sich mit beiden Seiten zu arrangieren, den Israelis und der PLO und ihren diversen Splitter- und Konkurrenzgruppen; ja, es war ihm sogar mit dem unnachahmlichen Geschick eines arabischen Händlers, dessen ganze Größe einem Nicht-Muslim niemals klarwerden würde, gelungen, sich und die Seinen unbeschadet durch das Gewirr von familiären, religiösen, politischen, weltanschaulichen, prinzipiellen oder auch einfach nur willkürlichen Verstrickungen, gegenseitigen Verpflichtungen und angezeigten Rücksichtnahmen zu lavieren und dabei auch noch seinen Geschäften nachzugehen. Und – und das war das Erstaunlichste überhaupt – er hatte all dies vollbracht, ohne sich dabei den Groll irgendeiner Seite zuzuziehen. Salid hatte eine Jugend gehabt, um die ihn neunundneunzig Prozent seiner Landsleute beneidet hätten: Geld, Frauen, Reisen – nichts von alledem im Überfluß, aber niemals so wenig, daß er irgend etwas entbehrt hätte – und Leere. Eines Morgens war er in einem billigen Hotelzimmer in Tel Aviv aufgewacht, hatte den im Schlaf zusammengerollten Körper der billigen Prostituierten neben sich betrachtet und den Nachgeschmack des billigen Whiskys auf der Zunge verspürt und sich gefragt, ob das alles war, was er von seinem Leben erwartete: alles möglichst billig zu bekommen. Manchmal, wenn er darüber nachdachte, wieso sich sein Leben so radikal anders entwickelt hatte als das seiner beiden Brüder und all seiner Jugendfreunde, glaubte er, daß die Entscheidung an jenem Morgen gefallen war. Es hatte noch lange gedauert, ehe irgend etwas geschehen war – Jahre, um genau zu sein –, aber an diesem Morgen war der erste Stein ins Rollen gekommen: ein winziger Kiesel, so klein, daß man nicht einmal ein Klicken hörte, und doch groß genug, um eine Lawine auszulösen.
Salid fuhr sich mit der linken, von gleich zwei Handschuhen gegen die beißende Kälte geschützten Hand über das Gesicht und verzog die Lippen, als er Eis in seinem Bart spürte. Salid war, zumindest nach mitteleuropäischen Maßstäben, ein gutaussehender Mann; ein Umstand, den er sich schon mehr als einmal zunutze hatte machen können. Seine Freunde behaupteten, er sehe aus wie Omar Sharif in seinen besten Tagen. Seine Feinde bestritten dies nicht, versäumten aber niemals, hinzuzufügen, daß ihm sowohl Sharifs Charme als auch seine weltmännische Art abgingen, sein Blick aber dafür verschlagen wie der einer Ratte sei. Im Moment fühlte er sich jedoch allerhöchstens wie eine erfrorene Ratte.
Dabei kam ihm und dem halben Dutzend anderer, die seit dem vergangenen Abend hier saßen und um die Wette froren, der plötzliche Wetterumschwung nur recht. Kälte und Regen hatten auch die letzten Spaziergänger aus der ohnehin einsamen Gegend verscheucht, und niemand, der seine fünf Sinne beisammen hatte, würde ohne wirklich zwingenden Grund mit einem Wagen hierherkommen. Der einzige, auf keiner Karte eingezeichnete Weg, der zu dem stacheldrahtumzäunten – und ebensowenig auf einer Karte zu findenden – Camp zweieinhalb Kilometer entfernt führte, war schon bei gutem Wetter eine Marterstrecke. Aufgeweicht und halb weggespült, wie er jetzt war, grenzte es an Tollkühnheit, ein Fahrzeug hierher zu lenken, das sich nicht auf Ketten oder besser gleich Schwimmkufen bewegte.
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