Dämonentänzer der Urzeit - F.H. Achermann - E-Book

Dämonentänzer der Urzeit E-Book

F.H. Achermann

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Beschreibung

Der Roman "Dämonentänzer der Urzeit" von F. H. Achermann entführt die Leser in die Wildnisse der Urzeit. In dieser fesselnden Erzählung, angesiedelt in einer Zeit der Helvetier, entfaltet sich eine Geschichte von Überlebenskampf, mystischen Riten und unerklärlichen Mysterien. Als eine verheerende Dürre das Land heimsucht, gefolgt von verheerenden Waldbränden, kämpfen die Stämme der Urzeit ums Überleben. Mitten in dieser chaotischen Welt entbrennt ein Konflikt zwischen den Stämmen der Rovariker und Turicier, bei dem ein junges Mädchen, Laronur, auf mysteriöse Weise verschwindet. Ihr Schicksal wird zur zentralen Frage, die die Handlung antreibt, mit Verdächtigungen, die weitreichende Konsequenzen haben. Allogaison, der Fürst der Rovariker, findet sich in einem Netz aus Intrigen, Verrat und Blutrache wieder, während er versucht, die Wahrheit hinter Laronurs Verschwinden zu ergründen. Ein faszinierender Aspekt des Romans ist die detaillierte Beschreibung alter Bräuche und Riten, wie der Geistertanz, der die Grenze zwischen der physischen Welt und der spirituellen Welt verwischt. "Dämonentänzer der Urzeit" ist nicht nur eine Geschichte über den Kampf um Überleben und Ehre in einer grausamen und unvorhersehbaren Welt, sondern auch eine tiefgreifende Untersuchung der menschlichen Natur und der Geheimnisse, die sie umgeben. Ein fesselnder Roman, der die Leser in eine längst vergangene Zeit entführt, voller Spannung, Drama und unerwarteter Wendungen.

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F. H. Achermann

Dämonentänzer der Urzeit

Roman aus der Zeit der Helvetier

Bearbeitet und neu herausgegeben von Carl Stoll

Inhalt

Cover

Titelblatt

Vorwort

Der Tänzer, der nicht mehr aufstand

Die Jäger, die von der Jeuke nicht mehr heimkehrten

Eine Fährte, die plötzlich aufhört

Um heiliges Gastrecht

Keltische Jeuke und germanische Pirsch

Der Fürstensohn, der am Morgen nicht mehr erwachte

Rom – rir Tavar iarn Halodin – Tamar hat mich verkauft nach Halodin

Wege und Wegelagerer

Halodin, seine Herrlichkeit und sein Grauen

Is diabol Tressam?

Ein Königreich, das unter der Faust eines Germanen zusammenbrach

Die Grube, die für andere gegraben war!

Urheberrechte

Dämonentänzer der Urzeit

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Titelblatt

Der Tänzer, der nicht mehr aufstand

Die Grube, die für andere gegraben war!

Urheberrechte

Dämonentänzer der Urzeit

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Vorwort

Wer Gott nicht kennt, ist sich selber Gott.

Heidentum ist deshalb nackter Egoismus, die unmittelbare Folge davon, die Sklaverei und deren unmittelbare Mißgeburt der Mädchenhandel — als höchster Ausdruck der Nichtachtung der höchsten Güter: Leben, Ehre, Freiheit!

Kriens, am Tage des hl. Gallus 1931.

Der Verfasser

Der Tänzer, der nicht mehr aufstand

Der Hunger geht über Land und zeugt die Meintat…

Ein flimmernder Dämon der Glut hat im vergangenen Sommer auf den Niederungen gebrütet. Und mit heißen, Atem riss das Ungetüm die Felder auf, dass armbreite Risse gähnten, trocknete die Moore und trank die Flüsse aus. Nur die großen Bäche, die von den hohen Bergen quollen, führten noch Wasser und vereinigten sich zu Strömen — Vorlandflüsse versiegten und speisten ihre Seen nicht mehr, so dass die Fische im gestandenen Tümpelwasser starben. Reiher und Raben in Schwärmen zogen den Flussbetten entlang, um in den Tümpeln das letzte Leben zu jagen.

Heide und Steppe wurden rot, das Wild zog in die Wälder und das Vieh musste bis auf einen Rest gekeult werden, bis auf jenen Notrest, der noch von künstlich bewässerten Auen sein Dasein fristen konnte, dort nämlich, wo noch Wasser vorhanden war!

Und dann das Schlimmste:

Der Urwald ging in Brand auf!

Weit unten am Rhen1 soll ein gewaltiges Erdkamin fliegendes Feuer ausgedonnert und den dürren

Urhardt entzündet haben. Da trübte sich das Morgenrot, die Sonne hatte einen Dunstkreis, und der wolkenlose Himmel ward grau wie das trockene Moor. Das Wild wurde nach den Bergen flüchtig, und die Menschen konnten der Angst und Schwüle wegen nicht mehr schlafen. Bangen Gesichtes stiegen sie auf Hügel und Berge, schauten stumm in den rotbrünstigen Horizont und raunten Beschwörungen.

Aber die Röte des nächtlichen Horizontes schließt sich zum Feuerkreis, die Hitze steigt, die Luft beißt sich in die Lungen, und der Tag wird dunkel wie von Donnerwolken mit Donnern und Tosen brandet das brennende Meer heran - Wildrudel rasen über die Steppen — hustende Menschen verkriechen sich in Höhlen, steigen in die Flüsse, fliehen aus Steppen und Höhen, wo sie noch können — fallen triefend nieder und stöhnen neben dem verendeten Bison den letzten heißen Atem aus …

Fliehende, rufende, verzweifelte, rasende Menschen …

Wasser, Wasser, nur Wasser! Kühlendes, herrliches Wasser!

Im Tal der ausgetrockneten Brikisa2 fand man einen Jäger, der sich die Schlagader der linken Hand geöffnet hatte, um den rasenden Durst zu stillen.

Es war ein Novariker3, der auf der Jagd durch das Feuer vom schützenden Brunnendorf4 abgehalten worden war. Im rauschenden Rhen haben ihn seine Jagdgenossen begraben, damit er wenigstens im Tode des kühlenden Nasses nicht entbehre, dann sprachen sie den Totenrun und kehrten zu ihren Kotten5 zurück, um dort ein spärliches Leichenmahl zu halten.

Der Urwaldbrand zeugte als Gegenwirkung einen erlösenden, aber furchtbaren Sturzregen, der vielerorts die Pflanzerde fortschwemmte, aber die Kräuter nicht mehr zum Wachstum treiben konnte; denn mit dem Umschwung wurde es herbstlich kalt, und ein früher Winter setzte ein — ein starrer, hartnäckiger Winter, in dem Stein und Bein gefror!

Bald geht es auf Tag- und Nachtgleiche, und noch rast der Schneegott Devargos mit weißbestaubter Mähne brüllend über die gefrorenen Gefilde …

Vom Aufgang leuchtet es blutig in die werdende Nacht, und wie auffahrende Brunst fährt die Röte des vierten Vollmondes (seit dem kürzesten Tage) über die Fernen empor, die fahlen Auen mit Geisterschein schlagend.

Da tritt Allogaison6, der Führer der Rovariker, am großen Rhenknie aus feinem Kotten und schaut über den roten Strom, aus dem der Widerschein des Aufganges aufgleißt.

„Die Zeit ist da und günstig," spricht er laut, stemmt den linken Daumen in den Gürtel des enganliegenden Leinkilts7 und wirft mit der Rechten das Überfell auf die Schulter zurück. Diese hält ein gewaltiges Urhorn. Wie zu einer Kraftleistung sich reckend, seht er es an den Bart und stößt nach allen vier Fernen über Land - weit, weit in der Rhenebene drunten antwortet ein hungernder Bison, horchend auf den Lockruf nach besserer Atzung.

Aber aus den stammwandigen Kotten der Rovariker kommt wie auf ein langersehntes Zeichen — alles, was Beine hat und gesund ist; denn es geht zum Geistertanze nach dem Mukkotul8

Jeder trägt eine Bürde Holz, dazu eine möglichst fürchterliche Maske aus Fellzeug, Leder, Tuch oder gar Holz, und irgend ein Lärminstrument. Hörner vom Urstier, vom Wisent, vom Steinbock, von Ziege und Schaf bilden die Mehrheit; daneben sieht man aber auch Pfeifen aus gewaltigen Rinderknochen, Dünkelrohre, Baumtrommeln, Tingelkessel, Schlagtruhen und was Menschengeist und -Herz erfinden mag. Selbst der Fünfjährige dort hat sein Reisigbündel und eine Stoffmaske, die er heimlich aus einem alten Hemd geschnitten und höchst eigenhändig mit Kohle bemalt hat; dazu schleppt er einen gewaltigen Metkrug, den er heute mit Wollust in Stücke schlagen will.

Die Jugend rennt voran, jaulend und gröhlend; denn das ist die gesegnete Nacht, in der für sie das Herrlichste erblüht, Krawall und Krampol nach Herzenslust, bis zum Umfallen!

Den Beschluss macht Fürst Allogaison mit seinen Gästen. Des Alters und der Würde bewusst schreiten sie daher, um ja nicht zu verraten, dass auch sie des Festes Jast und Hast erfasst hat! Ein Gast von den benachbarten Tribochern9, namens Tavar10, und Allarto11, der Sohn des Turicierfürsten Metakarwo12, mit zwei Stammesgenossen geben ihm das Geleit.

Der Nauracherfürst unterhält sich mit Tavar, dem Tribocher; sie sprechen von Gejaid und Gejeuk, vom Reuten und Roden, von der Not der Stämme. Aber plötzlich, wie einer Pflicht gehorchend, wendet er sich an den Turicier:

„Allarto, wie steht die Mär um Laronur?"

Der Angesprochene fährt auf:

„Wir haben noch keine Spur! Die Tochter Metakarwos, meine liebliche Schwester, ist verschwunden wie ein fahrender Stern in der Nacht, der aufleuchtet und stirbt. Sie muß tot sein!"

„Wer sagt das?"

„Unser Dämonenmeister, der Runer Salmo, hat die heiligen Stäbe befragt!"

Allogaison kratzt sich im rauschenden Bart:

„Diese Dämonenmeister und Runendeuter sprechen oft sehr doppelsinnig und zu ihren Gunsten — oder zu anderer Ungunsten - Ich traue ihnen nichts oder — alles zu!"

„Runer Salmo war nie ein Betrüger, und diesmal hat er klar gesprochen!"

„Und was sprach er?"

„Er sah sie dreimal im Traume, gebannt und von Geistern entführt!"

„Nicht ‚entführt'!" fällt da Tavar unvermittelt ein — „sondern an einen unfindbaren Ort gebannt', so hieß der Spruch - Man hat es ihr angetan — vielleicht ein rachsüchtiger Jäger; denn Laronur, die Blume von Turikon13 war die Schönste vom Stamme der Turicier!"

„Ah, richtig — richtig, ja, du bist ja der Schwäherunseres Freundes Metakarwo, des Turicierfürsten und - ist sie nicht bei euch verschwunden?"

„Nein, die Mär ist falsch! — Sie war bei uns auf Besuch, mit zwei Brüdern und drei Stammesgenossen - heh, du dort, Allarto! — erzähl's du selbst! — kannst besser reden und warst dabei!"

Allarto, der Turicier, fährt sich über das braune Kraushaar und kündet die Mär mit düsteren Sinnen:

„Schwer wird mir die Kunde! — Ja, wir waren zu den Schwähern unseres Vaters Metakarwo als Gäste geladen und entboten zum herbstlichen Gejaid und Gejeuk. Laronur weidwerkte wie ein alter Jeuker und stach14 das flüchtige Wild wie ein schweißfester Hatzrüde. Als die Hirsche nach spärlicher Brunstzeit ausgetrenst hatten und nicht mehr knörten, entboten wir unseren Wirten Dank und nahmen Abschied. Tavar, der Schwäher meines Vaters — der dort — gab uns mit einer auserlesenen Schar von Tribochern das Schutzgeleit bis zum einsamen Kotten von Laronach15. Der Roder dort war uns bekannt und den Tribochern stammverwandt. Am Nachmittag kehren wir bei ihm an, und er ladet uns getreu zu Gaste. Gegen Abend wird uns von Köhlern Schwarzwild am Sultul16 gemeldet. Wir sämtliche Männer brechen jach auf, um sie nächtlicherweis zu garnen. Merkwürdigerweise gab aber keiner der Jeukhunde Lals und wir machten nichts hoch. Als wir aber am Morgen müde und abgehundet zum Laronacher Kotten heimkehrten, fehlte mein Bruder Metakarwo, der älteste Sohn meines Vaters, und Laronur, unsere einzige Schwester. Den Bruder fanden unsere Hunde zerschmettert am Fuße des Tulfelsens, aber von Laronur haben wir bis heute weder Witterung noch Spur."

Der Rauracherfürst greift wieder mit allen Fünfen in seinen Bartwald und knört sinnend vor sich hin:

„Bruder und Schwester zugleich! Ein auffälliger Zufall! — Und Metakarwo, der junge Fürst, war er einem Unfall erlegen?"

„Seine Schädeldecke war zertrümmert, die Schulter zerbrochen und anscheinend ein Arm verrenkt. Sprechende Spuren trug er nicht; kein Hund nahm Witterung, und die Toten schweigen!"

„Und ihr habt keinen Verdacht?"

„Nein!"

Und da reckt sich auch Tavar, der Tribocher:

„Bidevos — bei Gott! — Keine Spur hat sich ergeben! Die besten Fährtensucher schauten einander an und schüttelten das Haar; und Laronur …"

„Ja, und Laronur? Die Weiber des Kottens, merkten sie nichts in jener Verhängnisnacht?"

„Sie standen bleich und mit großen Augen da, deuteten auf das leere Lager und — wussten nichts zu sagen. Keine hatte etwas gesehen; nur Ara, die

Muhme, will in jener Nacht den Totenkauz gehört und einen Bilmer17 gerochen haben."

„Devoroudos! Beim roten Geist! Das ist ein böses Zeichen und deutet auf Fernbann. — Und die Runenzeichen Eures Salmo?"

Allogaison hatte sich wieder an den Turicier gewendet, aber an dessen Stelle fällt der Tribocher ein:

„Er sagte das Gleiche, wie du! — ungefähr so! - Es sei verzeichnet und den beiden angetan …

Allogaison streicht seinen Bart aus:

„Dann ist er also doch ehrlich und — er weiß etwas, euer Runer Salmo - so, da sind wir ja!"

Die Jäger sind auf dem Mukkotul angelangt, anscheinend als die Letzten; denn eine ganze Schar nächtlicher Gestalten wartet stumm auf sie im Dunkel, nur vom unheimlichen Dämmerlicht des Vollmondes als fahle Schatten in die Nacht gezeichnet; der gewaltige, pyramidenförmige Holzstoß, in der Mitte von einer aufgerichteten Tanne gehalten, ist noch nicht in Brand gesteckt, und alle Lärmwerkzeuge warten stumm auf das Zeichen des Fürsten.

„Rüstet euch zum Dämonentanze — nur Jäger in Ehren dürfen ihn springen! Wer meldet sich?"

Alle wehr- und ehrbaren Jäger heben die Waffen, den Skramasax oder das Schwert; auch Tavar, der Tribocher, und Allarto, der Turicier.

Da hebt Allogaison sein gewaltiges Urhorn und gibt das Zeichen: „Achtung". Während das Echo des dumpfen Gebrülls von allen Längen und Wäldern zurückschlägt, tritt aus dem Kreise der düstere Dämonenruner in Fell und Maske des hochgeweihten Elchs hervor, tanzt um den Holzstoß runend18 seinen unheimlichen Beschwörungstanz, in geheimnisvollem Reigenschwung nach jedem Bannspruch aus einem Topf glühende Bann-Kohlen in den Stoß schüttend, bis eine Flamme hochlohend am Scheiterhaufen emporzüngelt. Da gibt der Fürst das zweite Hornzeichen: „Los!"

Und nun!

Was ist das? Ein Schreien, Gröhlen, Lärmen? — Krach, Krawall? — Die heutige Sprache hat das Wort für die Bezeichnung dessen verloren, was nun folgt — einzig das Wort „Heidenlärm" ist noch die Bezeichnung für den Vorgang, dessen Begriff unserem Fassungsvermögen fremd geworden ist. Wenn plötzlich eine tausendköpfige Bisonherde wild würde, so wäre das wie ein Schluchzen der Nachtigall gegen das Brüllen eines berstenden Vulkans. Was Lungen und Kehlen an menschlichen und unmenschlichen Lauten, Hörner, Luren, Trommeln und Klappern, irdene Kannen,

Tierschläuche und Schweinsblasen an Tönen, Schlägen und - Unmöglichem herzugeben, der menschliche Körper an Sprüngen, Kapriolen und Verrenkungen zu leisten vermag, das alles, viel mehr und das Undenkbarste dazu, wird um das „Fastnachtsfeuer" dermaßen hervorgebracht, dass Wälder und Täler bis in die fernsten Fernen erlösen.

Denn die Dämonen, Geister und Gespenster sollen es hören und von Schrecken gebannt entfliehen; bis in die nächsten Hügel und Länge hinauf wagen sich einige der kühnsten Hornbläser, um dem Geistergesindel mit Ton und Run möglichst nahe an den „Leib" zu rücken.

Drüben am Allobuk fährt ebenfalls eine gewaltige Lohe empor, und dort, und dort!

Der Nachthimmel rötet sich.

Und die nächtlichen Geister hassen das Licht!

Allogaison merkt, dass die Anstrengung der Rasenden allmählich erlahmt; er gibt ein neues Zeichen, das ersehnte und — gefürchtete Zeichen zum Dämonentanze!

Es wird still.

Die Kälte des Grauens erfasst die lichtumflackerte Schar; Kinder schleichen mit angstgeweiteten Augen zu den Eltern und Großeltern, und die jungen Mädchen bilden flüsternde Knäuel; denn sie werden gewiss von den Unheimlichen beschlichen, wenn nicht gar verfolgt werden!

Während des „Heidenlärms" sind die Dämonentänzer verschwunden, jeder für sich an einen versteckten Ort, um sich dort insgeheim umzukleiden, mit Maske, Fell und unmöglichen Phantasiekostümen unkenntlich zu machen; jeder soll einen fruchterregenden Dämon darstellen, um Dämonen und — Menschen zu schrecken und so lange wie möglich unerkannt zu sein.

Da kommt es vor, dass sich unter die Dämonentänzer — wirkliche Dämonen mischen - !

Nun müssen sie kommen — von allen Seiten her, aus dem Dunkel geschlichen!

Dort steht schon einer! Jetzt kommt er! Er scheint sich sprungbereit heranzupirschen, fauchend und graulend wie der rammelnde Luchs, dessen Kleid jener trägt; aber sein Zischen und Jaulen wird plötzlich übertönt von dem Brüllen des hochgehörnten Urstiers, der dort drüben auf den Hinterpranken herankommt.

Und dort, und dort! Von allen Seilen nahen sie, die fürchterlichen Masken, die Stimmen der Tiere und Dämonen nachahmend, die sie, meist in grauenhafter Verzerrung, darstellen.

Als sie sich nach dem rings anhebenden, oft wie Sturmwind aufheulenden Tier- und Dämonenkonzert, dem Kreise der Gebliebenen nähern, fangen sie an, mit verstellter menschlicher Stimme zu sprechen, entweder im tiefsten Gurgelton oder mit höchster Fistelstimme — wie es an heutigen

Fastnachtstagen noch Sitte ist?" Wer dabei gar nicht, oder doch am spätesten erkannt wird, hat seinen Run am besten gegeben und die Neugier der Zuschauer aufs höchste gesteigert.

Sobald ein Mädchen den Herzallerliebsten herausgewittert hat, flieht es und wird verfolgt. - Sie ist also die Verfolgte, aber der hinter ihr ist in Wirklichkeit doch der Gejagte. -

So hebt nun eine zweite Jagd an, die sogenannte „Hexenjagd", nicht so laut wie die erste, aber weiter an Ausdehnung und — Bedeutung; denn gar manche Maid verschreibt sich heute Nacht mit ihrem Herzblut dem „bösen Geiste"! — Aber auch jene, die nichts zu erjagen haben oder überhaupt nicht erkannt sein wollen, schwärmen aus und treiben im Kreis der Kinder und alten Weiber Unfug, bis Fürst Allogaison in kurzen Stößen das Zeichen zum Sammeln gibt. Die Masken treten nach kurzer Pause in Reih und Glied — zum eigentlichen Dämonentanze:

Leise, mit leichtbeschwingten Bewegungen fangen sie an, vorerst nur begleitet von einer dumpfen Baumtrommel; aber der Rhythmus ist so wunderbar, als ob sie nur die Glieder eines einzigen Leibes wären, und doch ist diese restlose Harmonie der Bewegungen im Grunde sehr leicht erklärlich: Ein jeder von diesen Dämonentänzern runt leise den gleichen Run, den gleichen Spruch im gleichen Versmaß, was auch für den Tanz den gleichen Takt ergibt, aufrechterhalten vom eintönigen

Trommelschlag, und jede Silbe des Runs hat ihre bestimmte Bewegung und Geste.

Etwas „Bannendes" und wirklich „Bezauberndes" liegt in diesen unheimlichen Dämonentänzen: Alle Zuschauer, selbst alte Weiber, machen unwillkürlich die rhythmischen Bewegungen mit; nach und nach wird der Tanz schneller, wird zum Sprungtanz; andere Instrumente stimmen ein, schließlich das ganze Orchester des Geisterlärms, der Dämonenreigen wird zu einem tollen Wirbel, zu einem rasenden Knäuel; einzelne stolpern, stoßen sich, halten sich, fallen, — ein Johlen, Lachen und Tollen — noch ein wildes Gelächter - und — alles kugelt durcheinander. - Keuchend stehen sie auf, helfen einander und taumeln noch stehend vom wilden Reigenschwindel.

Dort liegt noch einer der Tänzer.

Tavar versucht ihn emporzutreiben, aber er fällt wieder zurück. Allogaison will Tavar helfen und greift lachend zu.

Aber der Gefallene hängt plump wie ein Sack in ihren Armen.

Da hält Tavar seine Hand gegen das flackernde Feuer; sie ist blutig:

„Der Mann muss sich im Falle verletzt haben!"

Der Fürst reißt ihn noch einmal herum und auf: „Ah, was - was ist das? — Hier ist ja - "

Im Rücken des Tänzers steckt, bis ans Heft hineingebohrt, ein Messer!

1 Keltisch: Rhein

2 Kelt.: Birsig, ein Fluss in der Schweiz

3 Kelt. "die am Vorderbach"

4 Biasula, Basel - kelt.="am Brunnen"

5 Kelt.: Hütten

6 Kelt.: "Der große Speer"

7 Kittel aus gewobenem Linnen

8 Kelt: "Wildschweinhügel, Sauenberg, vielleicht Kohlenberg oder Heuberg im heutigen Stadtbereich von Basel

9 Kelt.: "Die von den drei Hügeln" - gemeint ist das heutige Elsass

10 Kelt.: "Stilles Wasser"

11 Kelt.: "Grosser Bär"

12 Kelt.: "Berghirsch"

13 Kelt.: Turmstadt, Zürich

14 D.h. verfolgte

15 Kelt: "Flurbach" - heute Lörrach bei Basel

16 Kelt.: "Sonnenhügel" - heute Tü´llingerhöhe

17 Geist eines bösen Menschen

18 Die Bannsprüche raunend

Die Jäger, die von der Jeuke nicht mehr heimkehrten

Auf die nächtlichen Gestalten legt sich die Kälte des Grauens, welche die fröstelnden Glieder erschauern lässt, und die vom Feuer beflackerten Gesichter starren mit geweiteten Augen auf den Toten; denn:

Es ist Allarto, der junge Turicier! — Der Fürstensohn.

Namenlose Bestürzung hat alle gepackt; Tavar, der Tribocher, stiert immer noch bald auf seine blutigen Hände, bald auf den leblosen Tänzer, dessen Bärenmaske mit Steinbockhörnern noch an seinem Hals hängt. Da scheint den harten Tribocher plötzlich ein Würgen zu packen — weinen hat dieser Mann nie gekonnt — aber das Würgen wird zu einem trockenen Husten, das ebenso ein hartes Lachen wie ein tränenloses Jammern sein könnte; man sieht, wie sich sein sehniger Leib in verhaltenem Schmerz aufkrampfen will; denn er ist der Oheim des jungen Turiciers, und dieser der zweitletzte Sohn seines Schwähers Metakarwo. —

Der dritte Tote seit Jahresfrist!

Fürst Allogaison fasst sich zuerst; wie ein Wilder hebt er sein Schwert empor:

„Novariker! — Gäste! — Halt! Hier bleiben! - Ihr dort! Hier bleiben! — Bei Gottesgericht und

Todesstrafe! — Keiner, dem sein Leben noch lieb ist, verlasse den Platz! — Tänzer wieder heran!"

Welch ein Gegensatz zu vorhin! Wie Sieche und Greise treten die Jäger vor, nehmen Stellung und schauen stumm erwartungsvoll auf ihren Fürsten, der wie eine Bergeiche vor ihnen steht:

„Fehlt keiner? — Tavar, fehlt keiner von den Tänzern?"

„Keiner! — Nur der Tote!"

„Wie viele waren es?" —

„Sechsunddreißig — samt dem Toten!"

„Siebenunddreißig!"

„Halt! — Wer hat gerufen?"

Aus der Schar gegenüber hebt sich eine hagere Hand; sie gehört dem Dämonenruner, dem Zauberer und Geisterbeschwörer der Rovariker.

„Dubos" besinne dich wohl! — Es geht Leben auf Leben!" ruft ihm Allogaison warnend zu. Doch Dubos tritt vor, die Elchmaske unter dem Arm, ein knochiger, gedrungener Mensch mit niedriger Stirn und breit ausladenden Backenknochen:

„Dubos weiß, was er sagt! Als Führer des Dämonenreigens hat er die Tänzer dreimal gezählt. Zuerst waren es sechsunddreißig, dann plötzlich siebenunddreißig und zuletzt wieder sechsunddreißig! — Es war beim zweiten Neigen einer mehr da als beim ersten und dritten. Das will ich beschwören bei Bann und Geistergericht!"

Mit Entsetzen schauen die Weiber einander an. Allogaison aber starrt einen Augenblick sinnend in die Glut. Will der alte Runer das Volk erschrecken? Grauen und Gruseln sind die Bundesgenossen seines Amtes. - Oder weiß er mehr? Hat er mehr gesehen als die andern?

Langsam und bedächtig zieht der Fürst dem Gemeuchelten das Messer aus dem Rücken; ein Blutstrom folgt, aber der Getroffene zuckt nicht mehr:

„Das ist ein Rovarikerdolch! — Wo ist der Erzgießer?"

„Hier!"

„Kennt er diese Waffe?"

„Ja! Dieses Messer stammt aus meinem Gußofen!"

„An wen hat er es verkauft?"

Kelt. — der Schwarze.

„Das weiß ich nicht! Kann es nicht wissen! — Aus derselben Form gehen viele Messer hervor, die sich bis auf die Gussnaht gleichsehen!"

„Das wird so sein! — Wo sind die Turicier?"

„Hier!"

Die beiden Genossen des Toten treten mit gesenkten Stirnen vor.

„Hatte Allarto hier einen Feind?"

„Ich weiß nichts!" entgegnet dieser mit düsterem Blick.

„Wie sollte er?" ergänzt der andere. — „Er war ja fast noch ein Knabe und zum ersten Mal hier!"

„Ich stehe vor einem Rätsel!" atmet der Fürst schwer auf. „Wie erklärt ihr diesen, diesen — Unfall?"

„Wir haben keine Erklärung für diesen — Mord! Die Erklärung steht bei dir; denn unser Fürst wird sie von dir fordern! Wir bringen nur die böse Kunde! — Allarto war sein zweitletzter Sohn!"

„Bei allen Göttern und Dämonen! Und wäre der Tote mein Einziger, sein Hingang könnte mir nicht schmerzlicher sein!"

„Das magst du dem Fürsten sagen; uns ist die Kunde schon schmerzlich genug — Allogaison, wir danken für deine Gastfreundschaft!"

„Wie? — Ihr wollt heute Nacht noch - ?"

„Lebe wohl!"

„Ihr tötet die Ehre meines Hauses!"

„Immerhin noch kein Mord! — Im Kotten der Turicier schlafen wir wohler!"

Und damit sind die fremden Jäger im Dunkel der Nacht verschwunden.

Allogaison greift sich unter das überhängende Haar:

„Was soll das bedeuten?"

„… Blutrache!"

Der alte Runer hat es geraunt, und das Schweigen der Männer gibt ihm recht.

„Gehen wir zu unsern Kotten!" entscheidet Allogaison. Stumm, mit gesenktem Nacken geht er voran, den Mukkotul hinunter, und schwer fällt seine Kraftgestalt in die Knie.

Auch die Tribocher Gäste verlassen schon am folgenden Morgen das verfehmte Dorf der Rovariker19.

Sonst wurde der Geistertanz mit kannibalischem Gelage beschlossen. Heute steigen die Rovariker still in ihre Kotten.

Niemand schläft!

Zusammengekauert in den muffigen, mit Holz bekleideten Räumen sprechen die Jäger flüsternd bei Herd- und Kienspanfeuer über die möglichen Erklärungen des furchtbaren Rätsels:

„Wer war dieser Siebenunddreißigste?"

An den Worten des alten Runers zweifelt kaum jemand; denn er „weiß viel" und kennt die Eigenheiten der verschiedenen Geister, Dämonen, Kobolde und Gespenster.

Da bleibt nur eins! Ein richtiger Dämon hat sich aus Rache über die Bannsprüche heimlich unter die Tänzer gemischt, um durch seine Meintat Blutrache und Stammesfeindschaft zu stiften.

Und die Flüsternden haben recht: Der „Siebenunddreißigste" war ein - Dämon!

Mit dem Rauch von Span und Herd vermischen sich die Spukgestalten urzeitlicher Gespenster-geschichten, die sich oft Jahrhunderte — Jahrtausende erhalten.

Aberglaube, Gespenstergeschichten, Bannkünste — Poesie der Heidenzeit!

In der Wohngrube neben dem Fürstenkott erzählt ein alter Jäger:

„Vor uralten Zeiten hauste hier im Dorfbann der Rovariker ein unheimlicher Runer mit krummem Blick und bösen Bannsprüchen. Dieser Zauberer liebte ein wildes Mädchen und runte deshalb sein armes Weib zu Tode. Das wilde Mädchen —

Arvosa20 war sein Name — nahm Witterung von der heimlichen Mär, dass er es seiner Frau angetan hatte und wollte nichts von ihm wissen; sie liebte einen andern namens Ollokad21 Aber dieser schöne Mann wollte nichts von ihr wissen; denn er liebte eine andere namens Susul22 Die folgte Ollokad in seinen Kott und war mit ihm namenlos glücklich. Da bekam die verschmähte Arvosa zur Neumondzeit ebenfalls den krummen Blick und ging in einer Mahrnacht23 zum Runer: „Wenn du es dem Ollokad antun kannst, dass er vermauggen muss24, so komm ich als dein Weib in deinen Grubenkott!" Der Runer steht langsam auf, blickt mit dem einen Auge blinzelnd nach dem Skramasax an der Wand, mit dem andern in ihr Gesicht und flüstert ihr ins willige Ohr: „Beim nächsten Vollmond ist der Geistertanz!" — Und beim nächsten Vollmond steht Ollokad vom Tanze nicht mehr auf.

Eines Nachts, und zwar in der Heuernacht25 kommt der Man26 Ollokads vom Totenboden und steht plötzlich an ihrem Schragen. Wie eine angeschossene Wildkatze schreit Arvosa vor Schreck auf; der Runer kann den Geist nicht bannen und erhängt sich auf dem Mukkotul. Arvosa sieht den Geist des

Gemordeten überall, bei Tag und bei Nacht, und weithin, oft mitten in der Nacht, hört man sie aufschreien wie eine getroffene Wildkatze. Nach und nach verwandelt sie sich nächtlicher Weise wirklich in eine Wildkatze und geht heimlich an die Kinder, um ihnen das Blut aus dem Stich27 zu saugen. Eines Tages schießt ein Rauracher Jäger im Itenwald eine Wildkatze weidwund; sie kann flüchtig entkommen. Wie er nach Haufe kommt, hört er im Nachbarkott ein fürchterliches Stöhnen und er geht hin, um nachzuschauen. Wer beschreibt sein Erstaunen, als er Arvosa weidwund auf dem Schragen sieht — mit der nämlichen Wunde, wie er sie der Wildkatze beigebracht hat! Da erkennt er den Zauber und gibt ihr den Fangstich. Wie er sie abgenickt hat, hört er vom Totenboden her ein langes Stöhnen, und in der folgenden Nacht erscheint ihm der Maan Ollokads am Schragen: „Ich bin erlöst!" sagte er nur und von dieser Zeit an ist sein Geist verschwunden. Arvosa kommt noch hie und da als Fledermaus oder Wanderratte, um den unrechtmäßigen oder unfolgsamen Kindern das Blut auszusaugen. Erst vor kurzer Zeit soll im Kotten meines Bruders …"

Ein Kind hat aufgeschrien; der Prügelwand entlang schleicht eine Wasserratte!

Während so die Alten erzählen und die Jungen mit roten Köpfen lauschen, sitzt Allogaison in seinem

Kotten und starrt mit fernem Blick in die erlöschenden Flammen seines Herdes.

Neben ihm kauern sein einziger, zwanzigjähriger Sohn und viele Töchter, schöne von der Sonne gebräunte Töchter der Wildnis.

Da murmelt Saison, des Häuptlings Sohn, düster vor sich hin: „Allarto war uns wohlgesinnt, warum sein Vater nicht?"

„Weil er einst um deine Mutter vergebens freite!" sagt Allogaison versonnen. Und plötzlich fährt er schnaubend auf: „Aber dieses schwöre ich: Ich werde morgen jeden einzeln befragen! Und ich werde mich nicht mehr scheren und sättigen, bis ich ihn ergriffen, und dann werde ich ihn geblendet und verkrüppelt zu den Turiciern schleppen reich mir den Trinkbecher!"

Mitternacht ist vorbei!

Das Rauracherdorf liegt still wie eine Pilzkolonie um den Bug des Rheins; rings rauschen die Kronen der Eichen wie Götterraunen und der Ahu stöhnt sein unheimliches Lied. Ein struppiger Hund heult jammervoll zum einsamen Mond empor, als ob er von ihm Einfall und Brandstiftung befürchtete. Da hebt sich vom Schatten einer äußern Hütte ein anderer Schatten ab. Horchend, mit vorgebeugtem Haupt steht dort eine Gestalt. Jetzt geht sie vorsichtig sichernd um den Kotten herum, nähert sich von Schatten zu Schatten dem Kotten des Fürsten, drückt sich in den Schatten des Einganges und horcht nach der Wohngrube hinunter. Jetzt legt der Nächtliche sich nieder und bringt sein Ohr an die Sparren der Blockwand.

Was will er?

Wer ist's?

Der — „Siebenunddreißigste"!

* * *

Am folgenden Tage stürmt Fürst Allogaison mit seinen Unterführern von Hütte zu Hütte, von Tänzer zu Tänzer, und mit jedem Einzelnen hält er Gericht:

„Bist du's gewesen?"

„Nein!"

„Oder weißt du etwas davon?"

„Nein!"

„Gut! — Aber wenn es sich weist, dass du gelogen hast, dann wird meine Streitaxt das Mark deiner Knochen fressen!"

Aber auch nach tagelangem Forschen und Forschen lassen kommt nicht einmal die Witterung einer Spur zur Kenntnis des Gerichtes.

Ein leibhaftiger Dämon hat sich wohl an die Dämonentänzer herangemacht!

Schließlich ruft Allogaison die Ältesten und Führer der Rauracher zusammen und legt ihnen die Frage vor, ob man dem Turicierfürsten Metakarwo für den Gemordeten einen Blutpreis anbieten solle.

Eine große Stille folgt; die Häuptlinge denken nach und starren sinnend in Wald und Weite.

Da schlägt der Runer an seinen Schild und spricht:

„Fürst Allogaison, Rovariker, Freunde Nichts ist's! — Keinen Blutpreis! Wir haben genug Steuern! Wir sind zu nichts verpflichtet! (Man schlägt an die Schilder als Zeichen der Zustimmung.) Und zwar aus folgenden Gründen:

Erstens ist der Tod Allartos immer noch ein ungelöstes Rätsel. Zweitens ist noch nicht einmal bewiesen, ob überhaupt ein Mord vorliegt; er könnte auch im Taumel des Tanzes in ein Messer gestürzt sein. Und drittens — drittens! Nehmen wir einmal an, dass ein wirklicher Mord vorliegt. Wer hat ihn begangen? Außer den Rovarikern waren ja auch Gäste hier, Tribocher und Turicier! Und haben wir nicht kürzlich gehört, wie man bei den Sequanern anläßlich eines Festes einen unbeliebten Fürsten beseitigt hat? Nehmen wir einmal an, das gleiche wäre bei den Turiciern der Fall gewesen: Eifersucht, Missgunst und Rache treiben nicht selten zum Brudermord. Wenn wir Rovariker da noch aufs Geratewohl — sagen wir aus Furcht — einen Blutpreis zahlen würden, was wären wir dann? Wenn die Wahrheit nachträglich an den Tag käme, würden uns die Nachbarn nicht mit Grund und Recht Feiglinge und Dummköpfe schelten? Man kann uns nichts beweisen — wir warten ab!"

Ein Schlag auf seinen Schild, Schläge der Zustimmung; der Runer hat nicht nur gesiegt, sondern seine Macht und Achtung wieder neu befestigt.

Fast im selben Momente kommt Gaison, der Sohn des Fürsten, hereingestürzt:

„Am Mukkotul steht ein Rudel Rotwild: zwei Hirsche und sieben Tiere!28

„Das ist eine freudige Nachricht!" entgegnet Allogaison mit aufleuchtenden Augen. — „Vom Dubozeht29 werden auch wieder Sauen, Bären und gutes Rehwild gemeldet! — Hoffen wir zu allen Göttern und Geistern, dass uns der Sommer wieder gute Jeuke mit Weidmannsheil bescheren wird! Rauchfang und Keller haben es nötig…"

Da erhebt sich Kadur30, ein Rauracherjäger von über hundert Jahren:

„Ich warne vor verfrühter Jeuke! Kaum sind die Tiere da, wollt ihr sie wieder vergrämen! Erst wenn sie gesetzt haben, die Ricke im Mai, und das Tier anfangs Brachmonat, erst dann werden sie heimisch werden und ihren Stand wahren. Wenn ihr sie jetzt schon vergrämt, so werden sie den Wechsel aufgeben und ihr habt das ganze Jahr das Nachsehen, besonders beim Rotwild! Macht lieber beim nächsten Neuschnee — er kommt noch einmal, ich spürs! — macht dann lieber im Schwarzwald ein paar Stück Schwarzwild aus31. Das kann weniger schaden, weil ihr Stand selten zuverlässig ist — aber lasst das Rotwild auf dem Wechsel bis nach dem Satze! — Jetzt, am Ende des strengen Winters, ist es so hundsliederlich bei Wildpret32, daß die Flanken wanken. Wer im Austaget vor dem Verfärben auf Rotwild jeukt, der ist ein Aasjäger! Überhaupt: Je mehr Schonung, desto mehr Gewinn! Die Jugend will das nicht behalten; deshalb soll man es ihr mit ellenlangen Griffeln auf Schweinsleder schreiben!"

Eine Stimme in der Wüste: Auch die Erwachsenen können und — wollen seine Mahnungen zum Wildschutz nicht fassen, aber der alte Jäger hat auf allen Gebieten der Hoch und Niederjagd eine solche Erfahrung und Achtung, dass ihm keiner zu widersprechen wagt. Selbst Allogaison räuspert sich:

„Jagdmeister Kadur hat Recht, selbstverständlich — grad das wollte ich auch sagen! — Ihr bleibt da, ihr Lümmel!" schreit er den Sohn an.

Aber schon die „Heidenjäger" kannten ein merkwürdiges Sprichwort:

Liebe, Spiel und Jagen

Dulden kein Entsagen!

Der Junge kommt nicht zum Mittagsbrot, und als er auch am Abend ausbleibt, geht man von Kotten zu Kotten auf die Suche. Noch zwei andere fehlen, Altersgenossen und eine genaue Suche belehrt den Fürsten, dass auch ihr Jagdgerät, Bogen, Speer und Schleuder, von der Wand verschwunden ist.

Am folgenden Morgen geht Fürst Allogaison mit fünf Jägern nach dem Mukkotul, und bald haben sie die Hirschfährte gefunden. Neun Stück, wie gemeldet. Zuerst weist die Fährte auf ruhige Äsung, dann wird sie langsam „ziehend" — Vielleicht haben sie hier schon Witterung genommen! — plötzlich aber zeichnet die stärkste Schalenspur einen Seitensprung — und zwar dicht an einer Dickung. Hier liegen auch drei Tropfen Schweiß33 und spärliche Schnitthaare auf der leicht gefrorenen Schneedecke, die hier der Frühlingssonne noch nicht gewichen ist. Nach weiteren zehn Gängen führen drei Menschenspuren in die Wildspur ein. Allogaison flucht keuchend in seinen von Nebel triefenden Bart: