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Etwas lauerte in der Tiefe.
Ein Wesen.
Eine Macht.
Sehr groß, sehr böse.
Selbst die Dämonen in den engen Seitengassen der Stadt wagten es kaum, auch nur an diese Kreatur zu denken!
Ein Wesen, das namenloses Grauen verkörperte.
Der Tiefenmahr ...
Allenfalls die Ältesten unter den Vampiren erinnerten sich an die grausamen Nächte, als er vor ein paar Jahrhunderten an die Oberfläche gelangt war, um sich seine Opfer zu erwählen, wie er es bisweilen zu tun pflegte.
Der Legende nach hatte der Tiefenmahr die Macht, Twilight City zu zerstören ...
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Seitenzahl: 141
Cover
Impressum
Was bisher geschah
Der Tiefenmahr
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-4702-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Schnabeldämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor flieht, folgt Johnny ihm.
Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Er ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse.
Menschen und Dämonen leben hier mehr oder weniger friedlich zusammen, und doch ist Twilight City voller Gefahren. Die Stadt ist zudem von einem dichten Nebelring umgeben, den kein Einwohner jemals durchbrochen hat. Niemand weiß, was hinter den Grenzen der Stadt lauert …
In dieser unheimlichen Umgebung nennt sich Johnny ab sofort Wynn Blakeston – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will. Schließlich wimmelt es hier von Dämonen aller Art – und die hat Wynn in seiner Heimat immer bekämpft.
Wynn findet heraus, dass der Schnabeldämon Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen, die sogenannten Kraak.
Noreks Fährte führt ihn in einen Nachtclub, wo er mit der Polizei aneinandergerät. Er wird abgeführt und zu einer Geldstrafe verurteilt – die er allerdings mangels hiesiger Mittel nicht begleichen kann. Daraufhin wird aus dem Bußgeld eine Haftstrafe: Fünfzig Jahre soll er einsitzen!
Doch der geheimnisvolle Sir Roger Baldwin-Fitzroy zahlt das Bußgeld für Wynn und nimmt ihn in bei sich auf – warum, das weiß Wynn nicht.
Er lernt Sir Rogers Tochter Abby und seinen Diener Esrath kennen, die auch in Sir Rogers Villa leben. Er freundet sich mit Abby an, sie wird schon bald zu seiner engsten Vertrauten in dieser mysteriösen Welt. Abby hilft Wynn bei der Suche nach Norek, und so wird sie immer wieder in Wynns gefährliche Abenteuer mit hineingezogen.
Doch auch Sir Roger und Esrath sind auf der Suche nach Norek, denn Sir Roger hat noch eine Rechnung mit dem Dämon offen.
Als es Sir Roger schließlich gelingt, Norek zu schnappen, verrät er Wynn davon nichts. Er sperrt Norek in eine Zelle tief verborgen in der geheimnisvollen Villa, wo niemand ihn jemals finden soll.
Denn Sir Roger weiß: Wenn Wynn zu seiner Rache an Norek kommt, gibt es keinen Grund mehr für ihn, in Twilight City zu bleiben. Er wird einen Weg zurück in seine Welt suchen, und das will Sir Roger um jeden Preis verhindern. Er braucht Wynn noch …
Als es Norek jedoch fast gelingt, zu fliehen, weiß Sir Roger, dass er handeln muss. Er liefert den Kraak dem Wissenschaftler Dr. Shelley aus, der gleichzeitig Leiter des Sanatoriums Dead End Asylum im Deepmoor ist. Dieser verpflanzt Noreks Gehirn in einen anderen Körper und sperrt Norek in seinem Sanatorium ein.
Sir Roger aber präsentiert Wynn Noreks toten Körper, sodass der glaubt, der Kraak wäre für immer besiegt …
Der Tiefenmahr
von Alfred Bekker
Etwas lauerte in der Tiefe.
Ein Wesen.
Eine Macht.
Sehr groß, sehr böse.
Selbst die Dämonen in den engen Seitengassen der Stadt wagten es kaum, auch nur an diese Kreatur zu denken!
Ein Wesen, das namenloses Grauen verkörperte.
Der Tiefenmahr …
Allenfalls die Ältesten unter den Vampiren erinnerten sich an die grausamen Nächte, als er vor ein paar Jahrhunderten an die Oberfläche gelangt war, um sich seine Opfer zu erwählen, wie er es bisweilen zu tun pflegte.
Der Legende nach hatte der Tiefenmahr die Macht, Twilight City zu zerstören …
Nebel lag über dem Hafen von Twilight City. Die Silhouette eines großen Schiffs hob sich als dunkler Schatten gegen den Nebel ab, der vom Zwielicht der Stadt mit einem eigentümlichen, geisterhaften Schimmer versehen wurde.
Seit dieses Schiff auftauchte, ist nichts mehr so, wie es war!, dachte Damien, einer der vielen Nachtfischer, die es am Hafen gab.
Damien konnte sich kein Boot leisten, so wie viele andere Nachtfischer, die im dämmrigen Zwielicht der Stadt ihr Glück versuchten. Er musste sich mit dem zufriedengeben, was er mit seiner Angel aus dem dunklen Wasser des Hafenbeckens herausholen konnte. Aber wenn er nicht gerade einen Dämonenkalmar erwischte, dann war das halb so wild.
Letzteres konnte allerdings schon ziemlich unangenehm werden.
Wenn sich der Angelhaken in den Tentakeln eines Dämonenkalmar verfing und diese Kreatur verletzte, dann konnte der mentale Schrei des Dämonenfischs den Angler töten. Und manchmal sogar noch weitere Personen, die sich in der Nähe aufhielten. Ab und zu geschah so etwas, aber das Risiko war nicht so groß, dass Damien deswegen die Nachtfischerei aufgegeben hätte. Dazu war sie nämlich einfach zu einträglich.
Diesmal scheine ich kein Glück zu haben!, ging es Damien durch den Kopf.
Während er gelangweilt die Angel in das schwarz schimmernde Wasser hielt, griff er in seine Jackentasche. Ein kleines Fläschchen hatte er dort. Es enthielt verdünntes Vampirblut. In kleinen Dosen half es ihm, wach zu bleiben und war außerdem gut gegen sein Rheuma. In größerer und konzentrierter Dosierung verlängerte es das Leben – aber auf eine Weise, die bekanntermaßen unkalkulierbare Nebenwirkungen hatte und den Konsumenten früher oder später selbst zum Untoten machte, weswegen der Handel mit Vampir-Blut auch illegal war. Es war die Droge des Lebens – oder eines scheinbaren Lebens – und man kam irgendwann nicht mehr davon los. Damien hatte allerdings die feste Überzeugung, immer noch alles im Griff zu haben.
Schweineteuer war dieses Fläschchen gewesen, abgemischt vom Vampirblut-Händler seines Vertrauens. Auf schlechtes Blutgesöff war schon so mancher hereingefallen und hatte dann bitter dafür bezahlt.
Damien nahm einen kleinen Schluck aus dem Fläschchen und steckte es wieder ein.
Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Ein belebendes Gefühl breitete sich aus. Er war plötzlich wieder hellwach. Und seine Sinne waren über das natürliche Maß hinaus geschärft. Das hielt nicht lange an, und in den ersten Augenblicken war es auch unangenehm. Jedes Geräusch wirkte schrill und schmerzte in den Ohren. Jeder Lichtblitz, der von der Wasseroberfläche reflektiert wurde, brannte sich förmlich in die Augen.
So, als wäre man ein Geschöpf der Nacht, das daran nicht gewöhnt ist, ging es Damien durch den Kopf.
Ein leichtes Frösteln gehörte ebenfalls zu den Nebenwirkungen. Aber das nahm Damien gerne in Kauf. Was blieb einem auch übrig, wenn man darauf angewiesen war, sich von den Erträgen der Nachtfischereien zu ernähren? Wenn man etwas Glück hatte, fing man etwas mehr als man selbst verzehren konnte. Dafür gab es immer Abnehmer auf den Märkten. Und besonders einträglich war es, wenn einem irgendein Meeresgeschöpf mit tatsächlichen oder vermeintlichen magischen Eigenschaften an die Angel geriet.
Aber das geschah nicht oft, und so war es das Beste, man begrub die Hoffnung auf solch einen Glücksfang schon von vornherein. Dann war man am Ende nicht so enttäuscht.
Damien zuckte zusammen. Er glaubte, plötzlich ein Schaben gehört zu haben. Ein Geräusch, als ob irgendetwas Steine aus einem festgefügten Mauerwerk und Pflaster herausbrach, ein Stück emporschleuderte und wieder zu Boden fallen ließ.
Damien drehte sich um. Aber dort, wo das Geräusch hergekommen war, schien nur Dunkelheit zu sein. Eine Schattenzone, in die die Augen nicht hinzudringen vermochten. Und das galt selbst, da er seine Sehkraft wie alle seine Sinne durch die Einnahme von verdünntem Vampirblut erheblich geschärft hatte.
»Ist da jemand?«, fragte Damien.
Seine Worte klangen unverhältnismäßig laut. Zu laut für diesen Ort und diese Zeit.
An einer Stelle, die von den Straßenlaternen nicht beschienen wurde und daher vollkommen im Schatten lag, sprang das Straßenpflaster auf. Risse bildeten sich. Fugen drängten auseinander. Etwas kam schlangengleich aus der Tiefe empor.
Damien ließ die Angel fallen. Er erbleichte.
Eine Schrecksekunde lang zögerte er – und dann war es auch schon zu spät.
Das Erste dieser schlangengleichen Tentakel hatte ihn bereits am Knöchel umfasst. Damien verlor das Gleichgewicht, schlug auf das Pflaster. Unaufhaltsam zogen ihn die Tentakelarme mit sich. Weitere dieser Arme brachen überall aus der Tiefe hervor, umfassten und umschlangen ihn.
Saugnäpfe befestigten sich mich mit schmatzenden Geräuschen.
Damien schrie laut auf.
Ein Schrei, der schnell erstarb. Das Letzte, was er wahrnahm, war ein ungeheuer starker, bohrender Kopfschmerz. Ein Schmerz, der so heftig war, dass er augenblicklich jeden eigenen Gedanken tötete.
Damien spürte die kalte Präsenz eines übermächtigen, fremden Willens.
Jetzt gehörst du mir!
***
Das Blinklicht des Polizei-Einsatzwagens flackerte unruhig. Uniformierte Beamte hatten den Fundort der Leiche abgeriegelt und verhinderten, dass Schaulustige sich näherten.
Lieutenant Bella Tosh und Sergeant Kajahn von der Delta-Abteilung waren als Letzte zum Ort des Geschehens gelangt.
Ein rothaariger Mann im dunklen Ledermantel begrüßte sie.
»Lieutenant Jay Bondy, Abteilung Organisiertes Verbrechen«, stellte sich der Rothaarige vor und zeigte seinen Ausweis. Mit organisierter Kriminalität war in Twilight City vor allem der grassierende Handel mit Vampirblut gemeint, der von großen Syndikaten beherrscht wurde.
Tosh und Kajahn zeigten ebenfalls ihre Ausweise.
»Delta-Abteilung? Wer hat Sie gerufen?«, fragte Bondy.
»Ich nehme an Ihr Vorgesetzter«, sagte Tosh.
»Na, dann …«
»Es gibt offenbar Umstände, die nahelegen, dass dieser Fall in unser Ressort gehört …«
»Weil die Zerstörungen hier in der unmittelbaren Umgebung des Hafens auf eine unbekannte übernatürliche Bedrohung hindeuten?« Jay Bondy hob die Augenbrauen und grinste. »Vielleicht ist das etwas überinterpretiert.«
»Das zu beurteilen sollten wir getrost anderen überlassen«, meinte Bella Tosh.
»Ganz, wie Sie meinen.«
»Wir werden es uns ohnehin nicht aussuchen können, Lieutenant Bondy.«
»Ich fürchte, da liegen Sie richtig.«
Sergeant Kajahn verzog unterdessen das katzenartig wirkende Gesicht. Der Dämon in Diensten der Delta-Abteilung bleckte die Raubtierzähne. Seine gelben Augen glänzten und reflektierten das Licht.
Dann senkte der Dämon seinen Kopf, und sein Blick fokussierte sich auf den entsetzlich entstellten Toten. Er wirkte wie eine Mumie. Sein dunkel verfärbtes Gesicht erinnerte an eine Maske gefrorenen Grauens. Die mumifizierte Leiche lag in einer grässlich verrenkten Haltung da.
Kajahn näherte sich dem Toten und ging in die Hocke.
»Bei dem Opfer handelt es sich um einen gewissen Damien Elgor.«
»Ein alter Bekannter?«, fragte Bella Tosh. »Oder hatte er Papiere bei sich?«
»Beides«, antwortete Bondy. »Damien Elgor verdient seinen Lebensunterhalt als Nachtfischer hier im Hafen. Dafür hatte er auch eine Lizenz.«
»Die Vergabe der Nachtfischer-Lizenzen für das Hafengebiet soll von den Syndikaten kontrolliert werden«, sagte Bella.
»Das wird immer wieder behauptet«, nickte Bondy. »Zudem war Damien Elgor vorbestraft.«
»Ich nehme an, er war Vampirblut-Konsument und hat nebenbei damit gedealt«, schloss Bella.
»Ein kleiner Fisch – wenn Sie mir diese Bezeichnung in diesem Zusammenhang gestatten«, sagte Jay Bondy. »Die Kollegen kennen ihn aus der Tiefenstadt … Er ist da immer wieder aufgegriffen worden.«
»Aufgegriffen von Ihren Kollegen, nehme ich an«, sagte Bella Tosh.
Jay Bondy verzog das Gesicht. »Wenn er in die Hände der Gnome gefallen wäre, hätte er schon früher ein Ende gefunden«, gab er mit einem kalten Lächeln zurück.
Die Tiefenstadt …
Niemand wusste, wie weit dieses Geflecht aus U-Bahn-Schächten, Abwasserkanälen und Tunneln, von deren Zweck heute niemand mehr auch nur die geringste Ahnung hatte, tatsächlich hinabreichte. Es war eine Stadt unter der Stadt – und die Heimat zahlloser Geschöpfe. Ein Reich der Schatten, in dem die Vampirblut-Syndikate Jagd auf Vampire machten, um an ihr Blut zu kommen. Grausame Fehden zwischen den Syndikaten waren an der Tagesordnung – und ab und zu einte sie alle der Kampf gegen ihre Feinde. Neben der Abteilung von Lieutenant Bondy, die seit Jahrzehnten mehr oder weniger vergeblich das Problem der Vampirblut-Kriminalität in den Griff zu bekommen versuchte, waren da auf der anderen Seite die Bewohner der Tiefenstadt selbst. Bewohner, die ältere Rechte auf dieses dunkle Reich anmeldeten und all die Menschen, Dämonen und Vampirblut-Süchtigen als unliebsame Eindringliche betrachteten.
Gnome zum Beispiel.
Bella Tosh war bislang nur selten in der Tiefenstadt gewesen. Aber sie hatte von Kollegen schlimme Geschichten über den grausamen Krieg gehört, der sich dort anscheinend nahezu ungehindert abspielte, ohne dass man davon an der Oberfläche groß Notiz nahm.
Kajahn hatte sich unterdessen über den Toten gebeugt. Sein Katzengesicht verzog sich. Er schnüffelte, schien die Luft geradezu in sich hinein zu saugen und stieß dann einen Laut aus, der wie ein sehr tiefes, für menschliche Ohren kaum noch hörbares Brummen klang.
Ein Dämon eben, dachte Bella Tosh.
Die Zusammenarbeit mit dämonischen Dienstpartnern war an sich nichts Besonderes.
So vertraut ihr Kajahn inzwischen auch sein mochte – manches an seinem Verhalten war für sie nach wie vor unerklärlich. Sie hatte sich inzwischen auch daran gewöhnt, dass es für manche dieser dämonischen Eigenheiten vielleicht auch gar keine Erklärung gab, die für ein menschliches Wesen in irgendeiner Form nachvollziehbar gewesen wären.
Irgendwas hat er entdeckt!, ging es Bella Tosh durch den Kopf. Dass sich die Wahrnehmungen eines Dämons eklatant von der eines Menschen unterschieden, war eine Binsenwahrheit.
Kajahn drehte den Kopf der Leiche herum.
»So etwas habe ich noch nie gesehen«, gestand er. »Aber ich weiß, was es ist …«
Bella hatte zunächst keine Ahnung, was Kajahn meinte, denn sie konnte buchstäblich nichts sehen. Nichts, außer einem Schatten. Dann fiel das Licht einer Straßenlaterne auf die rechte Gesichtshälfte des Opfers. Bella erkannte eine Reihe von Malen.
»Wie von Saugnäpfen«, sagte sie.
»Es waren Saugnäpfe«, erklärte Kajahn.
Jay Bondy trat hinzu. Stirnrunzelnd und mit skeptischer Miene warf auch er einen Blick darauf.
»Das hatten Sie bisher noch nicht bemerkt, nicht wahr?«, wisperte Kajahn.
»Nein …«, murmelte Bondy fast tonlos. Er schluckte. »Unmöglich …«, sagte er dann. »Das kann nicht sein.«
»Könnte mich mal jemand aufklären?«, fragte Bella etwas gereizt.
»Der Tiefenmahr ist erwacht«, meinte Kajahn. »Nach so langer Zeit … Aber ich bin mir sicher. An den Zeichen gibt es keinen Zweifel.«
»Der letzte Fall dieser Art muss schon mindestens zwei Generationen her sein«, meinte Bondy.
Kajahn erhob sich wieder. Sein katzenhaftes Gesicht verzog sich. »Sprechen Sie jetzt von menschlichen oder von dämonischen Generationen?«, wisperte der Dämon.
»Nun …«
»Seit Jahrhunderten ist der Tiefenmahr nicht mehr erwacht«, sagte Kajahn dann, noch ehe Bondy das Wort ergreifen konnte. »Aber anscheinend hat sich da nun etwas geändert. Es würde auch die massiven Zerstörungen erklären. Die Löcher im Boden … im Pflaster … in den Mauern … Seine Tentakel durchdringen alles, bohren sich selbst durch harten Stein … Es dürfte nichts geben, was dieser Kreatur standzuhalten vermag.«
»Sie reden, als würden Sie über einen guten Bekannten sprechen«, meinte Bondy. »Und jetzt sagen Sie nicht, dass Sie dieser Kreatur selbst schon mal persönlich begegnet sind.«
Kajahn ließ die Frage unbeantwortet.
Er ging überhaupt nicht darauf ein.
»Die Male sind eindeutig«, erklärte er. »Da kann es keinen Zweifel geben …« Er erhob sich und wandte sich an Lieutenant Jay Bondy. »Das hier«, fuhr er fort, während seine krallenbewährte Dämonenhand auf den Toten deutete, »geht weit über die kleinen Scharmützel zwischen den Vampirblut-Syndikaten hinaus!«
Jay Bondy hob die Augenbrauen. »Schon mal eine Gnomenschlacht erlebt, Sergeant Kajahn?«
»Die wird Ihnen wie eine gemütliche Party vorkommen, auf der nur Alkohol- und Vampirblut-Abstinenzler eingeladen worden sind und auf der es daher entsprechend gesittet zugeht«, sagte Kajahn. »Wenn der Tiefenmahr wirklich erwacht ist, dann besteht allergrößte Gefahr. Und zwar für die ganze Stadt …«
Lieutenant Bondy verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen. »Nennt man so etwas vielleicht den dämonischen Hang zur Übertreibung?«
»Ich habe von meinen Großeltern ein paar Geschichten über den Tiefenmahr gehört«, sagte Bella Tosh. »Eigentlich habe ich immer gedacht, dass das wirklich nur Geschichten waren …«
»Die Geschichten, die man sich erzählt, sind nur ein blasser Schatten einer alten Erinnerung«, sagte Kajahn. »Unter Dämonen selbst werden diese Erinnerungen offenbar länger lebendig erhalten …«
Er wandte sich nun der Ufermauer zu. Er hob den Kopf, so als würde er irgendetwas wahrnehmen. Ob das wirklich ein Geruch war oder irgendein den Menschen vollkommen unbekannter Dämonensinn, konnte wohl nur Kajahn selbst beurteilen. Und der war im Moment mehr mit sich und den eigenen Eindrücken beschäftigt, als dass er daran interessiert gewesen wäre, irgendeinem Menschen zu erklären, welche Gedanken im Moment einen Dämon innerlich bewegten.
Bella wusste das.
Und sie wusste auch, dass es das Beste war, abzuwarten, bis sich der Dämon von sich aus äußerte. Das würde dann geschehen, wenn er sich seiner Sache sicher war.
Augenblicke vergingen.
Jay Bondys Blick wanderte unterdessen zwischen Bella Tosh und ihrem dämonischen Dienstpartner hin und her. Der Lieutenant aus der Abteilung Organisiertes Verbrechen und Vampirblut-Kriminalität schien nicht so recht einschätzen zu können, wie er die Situation beurteilen sollte.
Er schwieg.
Kajahn deutete unterdessen auf das gewaltige, fremde Schiff, das seit Kurzem im Hafen von Twilight City lag.[1]