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Zufallsbekanntschaften.
Als Journalist habe ich reichlich davon. Selten sind sie so intensiv, dass sie mein Leben ruinieren, doch der alten Maria ist es gelungen. War es ein tödlicher Fehler, sie so nah an mich heranzulassen?
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Robin Li
Hexenmund
- Mystische Kurzgeschichte -
Die Personen und die Handlung der Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und ausgesprochen unheimlich.
Urheberrechtlich geschütztes Material
Kapitel 1
»Ist hier noch ein Platz frei?«
Ich sah von meinem Buch auf und blickte mich um. Am Tisch hinter mir saß ein dürrer, älterer Herr alleine – umgeben von drei freien Stühlen. Darüber hinaus war alles besetzt. Kein Wunder, bei diesem herrlichen Wetter zog es die Menschen ins Freie und in die Lokale. Der herrliche Biergarten vom Pfefferberg war wie geschaffen für einen Ausflug am Nachmittag.
Eigentlich wollte ich ungestört weiterlesen, aber es ging gegen meine Natur, älteren Damen gegenüber unhöflich zu sein.
Ich zwang mich zu einem Lächeln und wies auf einen freien Stuhl an meinem Tisch. »Aber ja, bitte, setzen Sie sich doch.«
Mit einer Behändigkeit, die ich ihr nicht zugetraut hätte, nahm sie Platz. Ihr altmodischer Rock hatte kaum die Sitzfläche berührt, da fischten ihre spindeldürren Finger bereits ein silbernes Zigarettenetui aus der Handtasche. »Stört es Sie, wenn ich rauche?«
Es störte mich durchaus. Ich hatte vor einer Weile damit aufgehört und hasste es, vollgequalmt zu werden.
»Aber nein«, hörte ich mich sagen. »Es stört mich ganz und gar nicht.«
Wie nicht anders zu erwarten, hockte ich kurze Zeit später in einer Qualmwolke und unterdrückte einen Hustenanfall. Da ich gerade nicht sprechen konnte, übernahm sie das für mich.
»Es tut mir wirklich gut, einmal aus dem Haus zu kommen. So unter Leute. Ich habe mich in den letzten Monaten nur um meine Mutter gekümmert, wissen Sie?«
Nein, wusste ich nicht. Woher auch? Aber sie schien einiges durchgemacht zu haben oder noch durchzumachen, und deshalb lächelte ich, anstatt eine schroffe Antwort zu geben.
Ausgemergelt und blass wirkte sie, als hätte sie seit Monaten weder gegessen, noch richtig geschlafen. Sie tat mir leid und ich verspürte das Bedürfnis, sie aufzumuntern. »Es wäre eine Sünde, das schöne Wetter nicht zu genießen.« Im Hinblick auf ihre ausgemergelte Figur fügte ich hinzu: »Sie müssen auch ab und zu an sich denken, sonst reiben Sie sich vollkommen auf.«
Ich hatte mir bei dieser Bemerkung nicht viel gedacht. Sie war nur als Geste der Höflichkeit gemeint. Trotzdem erzielten die Worte bei ihr Wirkung. Ihre Augen, die mich an den prüfenden Blick einer hungrigen Krähe erinnerten, richteten sich auf mich, als würde sie mich eben zum ersten Mal wirklich bemerken. »Ja, da haben Sie recht. Man muss auch mal an sich denken.« Ihr Lächeln kam so plötzlich, als hätte sie es mit einem Schalter angeknipst. Unmittelbar darauf verwandelte es sich in hohles Lachen. »Ich sehe, wir verstehen uns.«
Dieser Meinung war ich ganz und gar nicht, aber wieder siegte meine gute Erziehung und ließ mich heucheln: »Wie schön.«
Aus meiner Feigheit, von Anfang an die Wahrheit zu sagen, resultierte eine halbstündige Tortur, die mit jeder verstreichenden Minute unangenehmer wurde. Obwohl alles in mir danach drängte, aufzustehen und zu gehen, brachte ich es nicht fertig.
»Es ist schön«, krächzte sie, »wenigstens ein paar Minuten lang das Gefühl zu haben, auf dieser Welt nicht völlig allein zu sein.«
Ich empfand zwar gerade das genaue Gegenteil davon, nickte aber dennoch. Irgendwann würde sie schließlich wieder gehen und ich durfte es als gute Tat des Tages betrachten, ihr den Tag versüßt zu haben.
Wie sie es schaffte, mich zu einem erneuten Treffen am nächsten Nachmittag zu überreden, konnte ich beim besten Willen nicht sagen.
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend traf ich um Viertel vor vier Uhr im Parkcafé ein. Unter den Bäumen fühlte der leichte Wind sich herrlich frisch auf meiner Haut an. Das änderte sich sofort, als mein Blick über die Tische auf der Terrasse schweifte und dort, eine Viertelstunde vor der vereinbarten Zeit, auf meine neue Freundin Maria traf, die mir mürrisch entgegenstierte.
Ich kramte ein falsches Lächeln hervor und nagelte es in meinem Gesicht fest. »Hallo Maria«, begrüßte ich sie. »Hattest du gestern noch einen schönen Abend?«
Sie hatte nicht. In einer Qualmwolke gefangen durfte ich erfahren, dass sie den Bus verpasst hatte, ihrer zänkischen Nachbarin über den Weg gelaufen war und die Gegend, in der sie wohnte, und die ich noch vor Kurzem als ganz bezaubernd kennengelernt hatte, sowieso nicht mehr viel taugte. »Ich trau mich abends gar nicht mehr allein auf die Straße!«, betonte sie.
Ich seufzte. Mehr als ein halbherziges »Das tut mir leid« konnte und wollte ich zu dem Thema nicht beitragen.
Meine Aufmerksamkeit saugte sich während der nächsten Schimpftirade an der Aktentasche fest, die auf meinem Schoß ruhte. Handy und Laptop lockten darin und erinnerten mich daran, dass ich meine Zeit auch ganz gut mit Arbeit füllen konnte. Als freiberuflicher Journalist kannte ich keinen Feierabend, nur feste Grundsätze, was meine Arbeitszeit betraf. Und die besagten: Pause von 16 bis 18 Uhr. Sie sollte der Erholung dienen, aber je länger ich mich gezwungen sah, Maria zuzuhören, desto ausgelaugter fühlte ich mich.
Leider hörte diese Frau einfach nicht auf, zu reden. Diesmal traf es die Leiterin ihres Strickclubs, die laut Maria sozial inkompetent, wenn nicht sogar korrupt war, zudem als Mutter nichts taugte und Probleme mit ihrem Labrador hatte.
»Maria, entschuldige bitte, aber ich muss ...«, unterbrach ich schließlich. Erfolglos.
»Aber wenn die mit ihrem Hund nicht zurechtkommt, dann soll sie sich halt keinen anschaffen.«
Ich biss die Zähne zusammen und versuchte es erneut. »Nein, wirklich. Auf mich wartet noch viel Arbeit.«