Das bißchen Erde (Ein Heimatroman) - Richard Skowronnek - E-Book
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Das bißchen Erde (Ein Heimatroman) E-Book

Richard Skowronnek

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Beschreibung

In 'Das bißchen Erde (Ein Heimatroman)' von Richard Skowronnek, wird die Geschichte des jungen Bauernsohns Hans erzählt, der sein Heimatdorf verlässt, um sein Glück in der Stadt zu suchen. Skowronneks literarischer Stil ist geprägt von detaillierten Beschreibungen des ländlichen Lebens und einer introspektiven Erzählweise. Das Buch reflektiert die sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland und thematisiert die Frage nach Heimat und Identität. Skowronneks Werk knüpft an die Tradition des deutschen Heimatromans an, hebt sich jedoch durch seine realistische Darstellung der Lebensumstände der Protagonisten ab. Durch seine authentischen Charaktere und seine eindringliche Sprache gelingt es Skowronnek, den Leser in die Welt von Hans und seinem Ringen um Selbstverwirklichung einzuführen. Richard Skowronneks 'Das bißchen Erde (Ein Heimatroman)' ist ein fesselnder Roman, der sowohl literarisch anspruchsvoll als auch unterhaltsam ist. Mit seiner einfühlsamen Darstellung des Protagonisten und seiner Umgebung gelingt es Skowronnek, dem Leser einen Einblick in die Lebensrealität der Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu geben und gleichzeitig zeitlose Themen wie Heimat und Identität aufzugreifen. Dieses Buch ist ein Muss für alle, die sich für deutsche Literatur und die Geschichte der ländlichen Gesellschaft interessieren und gleichzeitig eine packende Geschichte über das Streben nach Glück und Zugehörigkeit erleben wollen.

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Richard Skowronnek

Das bißchen Erde

(Ein Heimatroman)

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-7583-452-2

Inhaltsverzeichnis

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Inhaltsverzeichnis

Der alte Lentz und Miken Dannappel, die Köchin, die schon den Eltern des Grafen Malte in Treue gedient hatten, standen auf der Freitreppe des Vellahner Schlosses und erwarteten die Heimkehr ihres jungen Herrn. Zwei lange Jahre hatte er sich da unten in Afrika umhergetrieben, und die beiden alten Leutchen waren oft in banger Sorge gewesen, ob er aus all den Fährnissen mit wilden Völkerschaften und reißenden Tieren heil zurückkommen würde. Der älteste Sohn des Schloßgärtners Parbs nämlich, der als Steward auf einem Woermanndampfer gefahren war und in allen afrikanischen Fragen wohl als Sachverständiger gelten durfte, erzählte die gruseligsten Geschichten. Da holten sich die Löwen fast allnächtlich ihren Neger aus dem Karawanenlager, wie hier die Füchse einen feisten Gockel aus dem Hühnerstall, und wenn auch der alte Lentz den Gärtnerssohn einen lügenhaften Aufschneider nannte, Miken Dannappel schüttelte dazu nur mißbilligend und sorgenvoll den weißhaarigen Kopf. Löwen gab es in Afrika, das wußte sie noch von der Schule her, und wie leicht konnte so ein unvernünftiges Vieh sich in stichdunkler Nacht vergreifen? Einen mecklenburgischen Edelmann zum Fraß fortschleppen statt eines heidnischen Negers, an dem schließlich nicht allzuviel gelegen war ... Sie schlief erst wieder ruhig, als eine Depesche dem Verwalter gemeldet hatte, der junge Herr wäre wohlbehalten in Europa gelandet, in einer italienischen Stadt, deren Namen sie sich nicht zu merken vermochte und in der er sich nach dem Rate des Arztes einige Wochen aufhalten sollte, um nicht gar zu unvermittelt aus dem heißen Klima Afrikas in den kühlen mecklenburgischen Frühling zu kommen. Je mehr aber diese Wochen sich ihrem Ende näherten, desto beklommener wurde es ihr um das alte Herz. In dem stillen Winkel, in dem das Leben sonst so ruhig seinen Gang ging, hatte sich vieles geändert, und gar manches war geschehen in den zwei Jahren, was dem jungen Grafen Malte die Heimat wohl ebenso verleiden mochte wie damals, als er zum ersten Male in die Fremde zog. Damals hatte er fortgehen müssen nicht ohne eigene Schuld, heute aber zog sich über ihm ein Schicksal zusammen, für das er nichts konnte und das er wehrlos erwarten mußte. Alter Haß hatte es ihm gewoben und eine Feindschaft, die in längst vergangene Jahre zurückreichte ...

»Wat hei woll dartau seggen ward?« sagte Miken und hob die glanzlosen Augen von dem ewigen Strickzeug zwischen den zitterigen Händen. Der alte Lentz aber seufzte bekümmert auf. Seine Gedanken gingen tagaus, tagein ja auch nur um diese einzige Frage ...

»Che, wat ward hei woll dartau seggen?« Und ingrimmig fügte er hinzu: »Ah pfui Deuwel ward hei seggen, und das is mich ja 'ne schöne Überraschung! Was soll denn aus mir werden, wenn das Kleine, was in Hohenrömnitz erwartet wird, sich nun als einen männlichen Knaben ergibt? Und hatte der griese Esel es überhaupt nötig, sich auf seine alten Tage noch 'ne junge Frau zu nehmen?«

»Um Gottes willen, Lentz« – Miken legte erschrocken die Hand auf die Brust –, »in so einer respektlosen Art und Weise sprechen Sie von Seiner Exzellenz, dem Herrn Erblandmarschall?«

Der Alte entschuldigte sich ein wenig jesuiterisch.

»Ich hab' natürlich nur gemeint, so würd' vielleicht unser Graf Malte sich über seinen Herrn Onkel ausdrücken, wenn man ihm nämlich die unangenehme Neuigkeit mitteilt. Ich aber möchte mit aller schuldigen Subordinatschon befürworten, daß er sich von Rechts wegen so ausdrücken dürft'! All die Jahre ist er zu dem Hohenrömnitzer Majorat der nächste Erbe gewesen und hat sich sozusagen auf diesen Beruf eingerichtet. Soll er vielleicht mit eins umsatteln und Geld verdienen lernen, bloß weil in Hohenrömnitz der Storch unterwegens is? Und das kleine Bündel fängt an zu quäken, du Großer, steh mal auf, jetzt setz' ich mich auf deinen Platz?«

Miken spie rasch hintereinander dreimal aus.

»Möchten Sie's vielleicht noch beschreien, Sie alter Dröhnbartel, Sie? Mich heben sowieso schon die Ängste, aber ich tröst' mich, unser himmlischer Vater wird das Unrecht nich zulassen in seiner Gnade.«

»Fräulein Dannappel,« sagte der alte Lentz gekränkt, »deswegen is man noch kein Dröhnbartel nich, wenn man von was spricht und man zersorgt sich Tag und Nacht darüber. Und neben dem lieben Gott regiert leider auch der Deuwel die Menschheit, namentlich, was die weibliche Hälfte angehen tut. Nichts als Hinterlistigkeiten haben diese Rackers im Kopf, und wie sie die Männer am besten wohl betrügen können! Davon wär' noch manches zu sagen, aber ich nehm' Rücksicht, daß Sie doch noch immer eine ledige Frauensperson sind, und verkneif' mich das also.«

»Das möcht' ich mich auch ausgebeten haben,« erwiderte Miken, und in ihr verschrumpeltes Altweibergesichtlein, kaum wie zwei Fäuste so groß, trat eine flüchtige Röte. »Die Moden wollen wir doch nich anfangen, Herr Lentz, daß Sie in Beisein von 'nem unschuldigen Mädchen über unpassende Sachen sprechen!«

Sie rückte energisch die weißgestärkte Haube zurecht und klapperte in emsigem Stricken mit den stählernen Nadeln. Nach einer kurzen Weile aber hob sie wieder den Kopf und fuhr mit der Zungenspitze neugierig über die schmalen Lippen.

»Oder haben Sie vielleicht von dem Kammerdiener Paalzow aus Hohenrömnitz was Neues gehört über die junge Frau Gräfin? Sie brauchen sich ja nich auf einer ordinären Art und Weise auszudrücken, sondern können mich das auf einer mehr verblümten Manier mitteilen. Ich werd' Sie schon verstehen.«

Lentz zuckte mit den Achseln.

»An Ihrem Verständnis, Fräulein Dannappel, zweifel' ich nich, Sie sind ja kein Kind mehr, sondern mit Gottes Hilfe mehr als siebzig Jahre auf der Welt. Aber den Krischan Paalzow hab' ich seit drei Wochen nicht gesehen, und was er mir damals erzählt hat, wissen Sie ja. Ein richtiger Herr Geheimer Medizinalrat ist bestellt für den Tag, aus Berlin, weil die hiesigen Doktoren dem Herrn Erblandmarschall nich klug genug sind.«

»Na ja,« sagte Miken, »auf die Unkosten kömmt es ja wohl nich an, wenn es sich um einer so wichtigen Sache handelt. Aber kleine Kinder sind anfällig, auch wenn ein Herr Geheimer Medizinalrat neben ihnen steht, aus Berlin. Wieviel kleine Kinder hab' ich nich schon sterben gesehen! An Masern oder Keuchhusten, an Bräune oder Zahnkrämpfen ...«

»Oder Scharlach,« fügte Lentz mit einem fast freudigen Nachdruck hinzu. »Dem Schlachter Röper in Moltzahn sind vergangenes Jahr drei Kinder an Scharlach gestorben, in einer Woche. Aber ich will natürlich nich gesagt haben, daß ich dem Kleinen, was sie drüben in Hohenrömnitz erwarten, so was anwünschen täte. Wenn's ein Mädchen gibt, kann es meinetwegen hundert Jahre alt werden?«

»Von meinetwegen erst recht,« erwiderte Miken, »denn ein Mädchen kann unserem Herrn Grafen ja wohl nich das Majorat nehmen. Und überhaupt, wenn man von so was spricht, muß man sich nich gleich was Böses 'bei denken ... es is vielmehr nur so im allgemeinen. Wenn es einen Jungen gibt, wird der liebe Gott schon wissen, wie er alles am besten lenkt ...«

»Che,« sagte Lentz, »das wird er wohl wissen in seinem unerforschlichen Ratschluß ...«

Danach schwiegen die beiden Altchen, standen fröstelnd in der Abendkühle und hingen ihren langsamen Gedanken nach, die unablässig um eine einzige Sorge kreisten. Um die Sorge, ob dem einen, den sie betreut hatten vom ersten Tag, der ihnen teuer war, als stammte er aus ihrem eigenen Fleisch und Blut, an seinen Rechten kein Abtrag geschehe. Und halb unbewußt ballte sich in ihnen ein kalter Haß gegen den andern, der noch nicht geboren war, dessen erster Atemzug aber alles einstürzen ließ, was sie an Hoffnungen und Wünschen für den Rest ihrer Tage aufgebaut hatten ...

Am andern Ende der Dammallee, die von der Schloßinsel zum festen Lande führte, ließ sich das Rollen von Wagenrädern vernehmen.

»Jetzt kömmt er,« sagte Miken mit einem tiefen Atemzug, und Lentz wiederholte: »Che, jetzt kömmt er!« Zwei Augenpaare blickten angestrengt in den dichten Abendnebel hinaus, der in breiten Schwaden vom See her über die noch kahlen Erlen der Dammallee gezogen kam, und zwei treue Herzen begannen in freudiger Erregung rascher zu schlagen. Auf diesen Augenblick hatten sie zwei lange Jahre gewartet ...

Das Rollen des Wagens kam näher, schon konnte man das Schnauben der vier Rappen vernehmen, die der alte Leibkutscher Fuhbel noch wie ein Jüngling vom Sattel aus fuhr. Mit einem kurzen Bogen lenkte er um den Vorgarten in die schmale Auffahrtrampe, und auf einen leisen Zungenschnalzer standen die Gäule mit einem einzigen Ruck, so daß der Wagenschlag genau vor der Mitte der Freitreppe hielt. Aus dem leichten Gefährt schwang sich ein hochgewachsener junger Mann und nahm die drei Treppenstufen mit einem einzigen Satz. Miken griff mit zitternder Hand nach seiner Rechten, um sie an die Lippen zu ziehen, er aber umfaßte das alte Weiblein und schwenkte es in überströmender Wiedersehensfreude hoch in die Luft.

»Ne, Jungfer Miken, das wollen zwei Liebesleutchen wie wir doch nicht einführen,« rief er übermütig und küßte sie mitten auf den Mund.

»Ach Gott nein, Herr Graf, nich so stürmisch,« kreischte sie beglückt und verlegen zugleich, der alte Lentz aber stand dabei, fuhr sich mit dem Handrücken verstohlen über die Augen.

»Ich freu' mich doch bannig, daß der Herr Graf wieder zu Hause sind. Und daß der Herr Graf wieder ganz gesund sind. Wie früher, eh' daß Sie nach Afrika gingen!«

»Ja gottlob, Alter, wieder ganz gesund,« sagte Malte mit einem Aufatmen. »Da draußen fällt vieles von einem ab, was man hier als große Wichtigkeit ansieht!« Er schüttelte dem Getreuen die Hand und sah ihm fest in die Augen. Beide wußten sie, wie es gemeint war, denn der alte Weißbart hatte ja vor zwei Jahren die verhängnisvolle Liebesgeschichte mitgemacht vom vergnügsamen Anfang bis zum traurigen Ende. Hatte schon früher immer die heimlichen Brieflein getragen nach Alten-Krakow und zurück, und wer weiß, was damals geschehen wäre, wenn er nicht in jener mondhellen Mainacht plötzlich dagestanden hätte unter den drei Eichen auf dem Krakower Galgenberg? ... Wie aus dem Boden gewachsen stand er mit einem Male da, denn er hatte sich ohne Zaudern aufgemacht, als er im Schreibzimmer des Grafen Malte den versiegelten Brief gesehen hatte mit der Aufschrift: »Morgen früh Seiner Exzellenz dem Herrn Erblandmarschall Grafen Römnitz auf Hohenrömnitz durch reitenden Boten zu bestellen.« Hatte einen Gaul aus dem Stalle gerissen und das Tier halb zuschanden gejagt, bis er mit seinen scharfen Augen erkennen konnte, daß die beiden auf der Bergkuppe noch aufrecht standen. Da sprang er ab und pirschte die letzten paar hundert Schritte sich kriechend heran, kam gerade noch zur Zeit, Gott sei Dank! Mit einem gewaltigen Satze warf er sich dazwischen, wand seinem jungen Herrn die Waffe aus der Hand ... Einen Faustschlag mitten ins Gesicht bekam er zum Dank, daß ihm das helle Feuer aus den Augen spritzte, aber das gefährliche Schießeisen gab er nicht wieder her. Und inzwischen hatte die Krakower Baroneß es wohl mit der Angst bekommen. Laut aufweinend lief sie den Berg hinab, band ihr Reitpferd los und jagte von dannen, als graute ihr plötzlich vor dem Tode, den sie doch noch eben gesucht hatte. Denn von ihr nämlich war der Vorschlag ausgegangen, allem Herzeleid ein rasches Ende zu bereiten ... Graf Malte aber sah ihr wie geistesabwesend nach, und plötzlich lachte er laut auf, lachte und lachte, bis das Lachen in ein Schluchzen überging. Danach ließ er sich willig den Berg hinunterführen, und schweigend ritten sie nebeneinander nach Hause. Am Hoftor verhielten sie, denn Lentz mußte die beiden Pferde in den Stall bringen. Und sein Herr sah ihn mit einem Verzeihung heischenden Blick an.

»Hat's sehr weh getan, Alter?«

»Nein, Herr Graf, ich hab's in der Aufregung gar nicht gespürt. Und viel wichtiger is es wohl, daß Sie jetzt den Brief zerreißen werden, der wo im Schloß auf dem Schreibtisch liegt.«

Da blickte der junge Herr eine ganze Weile vor sich hin auf den Boden.

»Lieber ist's mir schon, du bleibst noch ein paar Stunden bei mir. Aber, nicht wahr, du sprichst zu keinem Menschen darüber, was eben geschehen ist? Auch zu mir nicht.« Und ein wenig zögernd fügte er hinzu: »Oder vielleicht ist es besser, du nimmst meinen Wotan, weil der noch frischer ist als deine abgetriebene Kragge, und reitest nach Alten-Krakow hinüber. Es könnte doch sein, daß dort vielleicht ein Unglück passiert wäre, und ich gebe dir mein Wort, ich warte ... also ich warte bestimmt, bis Du wieder zurück bist.«

Da sagte Lentz nur: »Zu Befehl« und schwang sich in den andern Sattel. An einem Worte seines jungen Herrn war nicht zu zweifeln, und er konnte ruhig reiten. Nach zwei Stunden berichtete er wahrheitsgemäß, im Alten-Krakower Schlosse wäre alles ruhig, der Nachtwächter machte seine Runde wie sonst, und kein Fenster wäre hell. Woraus man also wohl auch schließen dürfte, daß nichts Besonderes vorgefallen wäre ... Graf Malte aber nickte nur, stand auf und verbrannte den Brief Blatt für Blatt an der auf dem Schreibtisch stehenden Kerze ... Und weil sie nach der Aufregung doch nicht schlafen konnten, mußte der Alte erzählen. Von einem andern Ritte, den er vorzeiten mit dem Vater seines jungen Herrn ausgeführt hatte. Er erzählte die Geschichte nicht zum ersten Male, aber darauf kam es im Augenblicke ja nicht an, sondern mehr auf den Zeitvertreib. Und sie hatte zudem eine Nutzanwendung, die ein wenig auf den vorliegenden Fall paßte ...

Am 16. August war es gewesen, bei Rézonville, und den Hinweg hatten sie mit brausendem Hurra gemacht, an der erschöpften eigenen Infanterie vorbei, über die feindlichen Schützenschwärme hinweg, bis der glorreiche Angriff an der feststehenden Mauer einer noch frischen Zuavenbrigade zerschellte. Da jagten die Trümmer der beiden Husarenregimenter über das mit Toten und Verwundeten besäte Schlachtfeld zurück, der Unteroffizier der Reserve Lentz neben seinem Rittmeister, dem Grafen Römnitz. Und mit einem Male brach der Gaul des Unteroffiziers zusammen, begrub seinen Reiter unter sich – eine Chassepotkugel hatte ihm, von hinten her im Bogen einschlagend, das Rückgrat zerschmettert. Da parierte der Graf seine Grauschimmelstute auf der Stelle.

»Hallo, Lentz, lebst du noch?« schrie er hinab, denn er duzte seinen Unteroffizier, weil er doch mit ihm zusammen in Hohenrömnitz aufgewachsen war.

»Zu Befehl, Herr Graf,« schrie der Unteroffizier zurück und arbeitete sich mit Schmerzen unter dem verendenden Gaule hervor. »Aber ich kann nicht aufstehen, ich glaube, ich habe mir das rechte Bein gebrochen.«

»Na, dann muß es eben anders gehen!«

Graf Römnitz beugte sich hinab und hob mit einem Griff seiner eisernen Faust den Unteroffizier Lentz vor sich in den Sattel. »Ein Hohenrömnitzer Kind soll nicht sagen dürfen, seine Herrschaft hätte nicht zu ihm gehalten!«

Und weiter ging's im Schritt, bis die zersprengten Schwadronen hinter der zum letzten Angriffe vorgehenden preußischen Infanterie sich wieder sammeln konnten. Die brave Grauschimmelstute Arabella – ihr in Silber gefaßter rechter Vorderhuf stand als ein Erinnerungszeichen da drüben auf dem kleinen Rauchtische – hatte willig die doppelte Last getragen. Und als Graf Römnitz seinen Unteroffizier einem Lazarettgehilfen übergab, sagte er bloß: »Na schön, das hätten wir bis so weit glücklich geschafft. Nun mach, daß du wieder gerade Beine kriegst, und wenn du mich mal ebenso in Dreck und Speck liegen siehst, reit auch nicht vorbei.«

»Zu Befehl,« hatte er erwidert, dabei aber in seinem Innern einen heftigen Schwur getan. Nur bot sich keine Gelegenheit, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, denn er mußte bis zum Ende des Feldzugs an seinem zersplitterten Bein im Lazarett liegen, und der Herr Rittmeister kam heil zurück. Bloß die brave Arabella war unter ihrem Reiter im Dezember vor Orleans bei einem Rekognoszierungsgefecht gefallen. Und als der Unteroffizier Lentz wieder leidlich zu Wege war, trat er vor seinen ehemaligen Eskadronchef hin.

»Halten zu Gnaden, Herr Graf, ich hätt' eine Bitte. Eigentlich nämlich bin ich ja gelernter Tischler und hab' soweit in Moltzahn bei meinem Meister das Auskommen. Aber wenn der Herr Graf mich als Diener annehmen wollten, möcht' ich's vielleicht noch ein büschen besser haben.«

»Na schön,« sagten der Herr Graf, »wird gemacht, und man hat doch eins um sich, wo man mal ab und zu von Kriegsgeschichten klöhnen kann und so ...«

Der Alte machte eine kleine Pause, denn jetzt kam die Nutzanwendung seiner Geschichte, nur fand er nicht gleich die rechten Worte dafür ...

»Che, da bin ich denn 1872 hier eingetreten, aber es war nich so sehr wegen dem guten Leben als wegen dem 16. August. Und immer hab' ich drauf gelauert, daß mein Herr Graf mal so recht in Gefahr kommen sollt', weil ich mich doch wegen Rézonville bei ihm revanchieren wollte. Aber es is leider Gottes nie nich dazu gekommen, denn sie sind ja einen soweit ganz schönen Tod im Haus gestorben. Erst heute hab' ich mich ein büschen revanchieren können, und es war sehr gut für mich, denn stellen Sie sich mal vor, Herr Graf, was mir da oben wohl passieren würd', wenn ich zu der großen Armee einrück. ›Zur Stelle,‹ sag' ich, und mein sel'ger Herr Rittmeister darauf: ›Na schön, Lentz, da bist du ja endlich, und wenn es dir paßt, kannst du wieder bei mir eintreten. Aber, schwere Not nochmal, weshalb hast du nicht aufgepaßt, als mein einziger Junge drauf und dran war, unter den Schlitten zu geraten?‹ Da müßt' ich denn doch wohl die Augen unter mich schlagen – nich? – und als ein Schubbjack dastehen, der sich wegen Pflichtvergessenheit genieren muß? ...«

Der helle Morgen drang schon durch die Ritzen der Fensterläden, und draußen in den dichten Efeuranken und hohen Linden lärmten die Spatzen, als Lentz mit seiner Geschichte zu Ende war. Graf Malte stand auf, öffnete die Tür und trat auf den kleinen Erker hinaus, von dem man einen weiten Ausblick hatte über den Vellahner See und die grünenden Saaten bis zu dem Hohenrömnitzer Walde, der wie ein dunkler Saum am fernen Horizont stand. Und mitten aus diesem dunkeln Saume ragte ein trutziges Bauwerk in die Höhe, ein aus Findlingssteinen festgefügter runder Turm, über dem ein bunter Farbenfleck im hellen Sonnenlicht schwamm, die Wappenfahne der Römnitze, die hoch über dem Schlosse im Morgenwind flatterte ... Da stand er eine ganze Weile schweigend, und als er sich endlich zurückwandte, hob sich seine Brust unter einem tiefen Atemzuge.

»Ist gut, Alter, und ich danke dir. Wenn's aber ans Schämen ginge, müßte ich wohl zuerst damit anfangen – die Flinte ins Korn zu werfen und sich feige zu drücken, ehe es überhaupt zum Kampf gekommen ist! Der Alten-Krakower wird sein einziges Kind doch nicht unglücklich machen, nicht wahr? Und schließlich bin ich immer noch der Erbe von Hohenrömnitz, da sollte ihm wohl die Wahl nicht schwer fallen zwischen mir und dem alten Nußknacker in Hinrichshagen? Und die Streitigkeiten aus längst vergangenen Zeiten, noch von meinem seligen Papa her, die sind doch mit einem guten Wort aus der Welt zu schaffen? Ich brauche ja nur das Wildgatter an der Grenze wieder abreißen zu lassen, und alles ist in Ordnung?« ...

So sprach er noch eine Weile fort mit leuchtenden Augen, und der Alte nickte dazu, redete eifrig zum Guten. Wer noch an einer Hoffnung hing, tat sich so leicht nicht ein Leid an. Die eigentliche Gefahr kam erst wieder, wenn es mit dieser Hoffnung vorbei war, und dann galt es, die Augen offen zu halten ...

Am selben Vormittage noch fuhr Graf Malte zur Werbung nach Alten-Krakow, und zwei Stunden später kam er heim. Das Gesicht bleich wie ein Leintuch und die blauen Augen wie erloschen vor Schimpf und Gram.

»Um Gottes willen, Herr Graf, was ist bloß geschehen?« fragte Lentz, als er ihm den Wagenschlag öffnete; der junge Herr aber wehrte nur mit einer müden Handbewegung ab, und Fuhbel, der Leibkutscher, jagte mit den vier Rappen wieder die Dammallee entlang, daß der leichte Wagen in den Geleisen schleuderte. Eine Stunde später kehrte er mit dem Herrn von Lewenitz aus Tüschow zurück, der mit dem Grafen Malte als Reserveoffizier in demselben Regimente stand, bei den Friedeberger Dragonern. Die beiden jungen Herren schlossen sich im Schreibzimmer ein, besprachen sich eine ganze Weile lang, und da wußte Lentz, daß es sich um eine Ehrenangelegenheit handelte. Vor jenen langen Jahren, als sein seliger Herr Rittmeister sich mit dem Moltzahner Amtshauptmann schoß, hatte es ähnliche Vorbereitungen gegeben. Was aber zwischen dem Baron von Köhnemann auf Alten-Krakow und dem Grafen Malte eigentlich geschehen war, war nicht in Erfahrung zu bringen. Der Leibkutscher Fuhbel, der mit seinem Gespann auf der Freitreppe gehalten hatte, wußte nur zu berichten, es müßte etwas Fürchterliches gewesen sein. Die junge Baroneß hätte geweint, daß es draußen zu hören war, der Alten-Krakower immer dazwischen mit seiner groben Stimme, daß die Fenster klirrten, und mit einem Male hätte auch Graf Malte aufgeschrien, so unnatürlich und laut, daß es ihm draußen im Sattel ganz kalt über den Rücken lief. Und eine kleine Weile später wäre der junge Herr herausgekommen, mit dem Taschentuche vorm Gesicht, und es hätte ausgesehen, als könnte er sich nicht recht auf den Füßen halten. Ganz mühsam wäre er in den Wagen gestiegen, und da hätte der Baron von Köhnemann den Fensterflügel aufgerissen und dem Davonfahrenden noch etwas nachgeschrien, aber weil die Räder über das holperige Steinpflaster rasselten, wäre es, Gott sei Dank, nicht zu verstehen gewesen.

Das war alles, was der Leibkutscher Fuhbel zu berichten wußte, aber Lentz meinte, es wäre mehr als genug, damit die beiden Herren sich am nächsten Morgen mit der Pistole in der Hand gegenübertreten müßten. Und im allerletzten Grunde eigentlich um nichts anderes als um ein paar wertlose Knochen, um ein plundriges Hirschgeweih, das der Baron von Köhnemann vor jenen langen Jahren nicht hatte herausgeben wollen, obwohl zwischen Vellahn und Alten-Krakow seit ewigen Zeiten eine gerechte Jagdfolge bestand, wie es sich unter anständigen Nachbarn gehörte. Damit hatte es angefangen. Aller Haß und alle Wirrnis stammte aus dieser lächerlich kleinen Ursache ... Der Hirsch hatte auf Vellahner Gebiet die Kugel bekommen, war, schwerkrank, über die Grenze gewechselt und in einer Alten-Krakower Kiefernschonung verendet. Nach altem Brauch und Herkommen gehörte das Geweih dem Schützen, aber weil es ein ganz braver Vierzehnender war und der Hirsch nicht von dem Vellahner Gutsherrn selbst erlegt worden war, sondern nur von seinem Revierjäger Schwarz, verweigerte der Baron von Köhnemann unter allerhand nichtigen Ausreden die Herausgabe der Trophäe. Der Revierjäger Schwarz, dem der Abschuß des Hirsches von seinem Herrn als Belohnung gewährt worden war für das Abfassen eines Schlingenstellers, beschwerte sich in einem respektvollen Schreiben und erhielt keine Antwort. Da machte der Vellahner Herr die Sache des Revierjägers zu der seinigen, ritt persönlich nach Alten-Krakow hinüber, um die leidige Angelegenheit mit einer kurzen Aussprache in Ordnung zu bringen, denn was Recht war, mußte Recht bleiben. Der Nachbar konnte nicht willkürlich die alte Jagdfolge brechen, nur weil der Schütze auf der andern Seite kein Herrenjäger war. Aber sei es, daß der Baron von Köhnemann an dem Tage mit dem linken Fuße zuerst aus dem Bett gestiegen war oder bei Tisch zu viel Rotwein getrunken hatte, statt der gütlichen Einigung gab es eine gröbliche Auseinandersetzung, und der Vellahner Herr kam mit leeren Händen wieder heim.

Zuerst ärgerte er sich darüber, dann aber lachte er, daß seine ganze schwere Gestalt schütterte; er hatte ein Mittel gefunden, dem Alten-Krakower die »Jagdgnietschigkeit« gründlich und für alle Zeiten zu versalzen. Dem Revierjäger Schwarz schenkte er zum Troste den Abschuß eines andern braven Hirsches – es gab ja genug davon in der Vellahner Wildbahn –, am nächsten Tage aber begann am Grenzrain ein eifriges Arbeiten. Zweieinhalb Meter hohe Eichenpfähle wurden in kurzen Abständen eingegraben und dazwischen feste Eisendrähte gespannt, ein Gatter wurde errichtet, das dem Alten-Krakower für immer den freien Wildwechsel abschnitt. Damit war es auch mit seiner Hirschjagd vorbei, denn sein Revier war nur klein, umfaßte knapp tausend Morgen. Als ein schmaler Zipfel schloß es sich an die ausgedehnten Vellahner und Hohenrömnitzer Waldungen, die wiederum mit den großherzoglichen Staatsforsten einen meilen- und meilenweiten Komplex bildeten. Von der andern Seite aber war keinerlei Zuzug zu erwarten, denn hinter der Alten-Krakower Feldmark lagen drei große Dörfer, und der emsige Wirtschaftsbetrieb der Bauern behagte dem edlen Rotwilde nicht, das schon gegen geringfügige Störungen empfindlich war und gar leicht seinen Standplatz wechselte.

Als nun der Baron von Köhnemann sah, daß es mit dem Gatter Ernst wurde, zog er andere Saiten auf und schickte das einbehaltene Geweih des Vierzehnenders mit einem höflichen Entschuldigungsschreiben zurück, das Ganze wäre nur ein bedauerliches Mißverständnis gewesen. Der Vellahner Herr jedoch erwiderte ebenso höflich, zu seinem Leidwesen könnte er die verspätete Entschuldigung samt dem Geweih nicht annehmen. Auf dem Heimwege damals nach der fruchtlos verlaufenen Unterredung hätte er sich das Wort gegeben, soviel an ihm läge, würde er dafür sorgen, daß sein Herr Nachbar keine Hirsche mehr zu schießen bekäme, und sein Wort müßte man halten. Der Alten-Krakower wiederum revanchierte sich mit einer gerichtlichen Klage wegen Besitzstörung, aber er wurde in allen Instanzen abgewiesen, obwohl er unter Beweis stellen konnte, daß er vor Errichtung des Gatters mehr als zwanzig jagdbare Hirsche alljährlich abgeschossen hätte und das Vierfache an Kahlwild. Und das verhielt sich in der Tat so, denn seine tausend Morgen Wald bestanden fast ganz aus dichten Kiefernschonungen, weil er vor Jahren bereits wegen drückender Schulden die alten Buchen und Eichen hatte herunterschlagen lassen, und das Hochwild zog sich namentlich zur Winterzeit nach den Dickungen, da es dort reichliche Gelegenheit zum Schälen an den saftigen Kiefernsprossen hatte. Um die Zeit aber lud der Baron von Köhnemann sich ein halb Dutzend Moltzahner »Schützenbrüder« ein – anständige Jäger gaben sich zu so unweidmännischer Hantierung nicht her –, die Schonungen wurden mit hohem Jagdzeug umstellt, und es hub ein Morden an, daß am Abend nach solchen »Jagdtagen« zuweilen mehr als dreißig Stück Rotwild auf der Strecke lagen. Und dieser nicht unlohnende Betrieb hatte mit einem Male ein Ende, als an der Vellahner Grenze das feste Gatter stand, denn der Revierjäger Schwarz leistete sich zuweilen noch eine kleine Extrarache. Von Zeit zu Zeit setzte er seine beiden Teckel Waldmann und Waldine nächtlicherweile in die Alten-Krakower Schonungen, und die scharfen kleinen Racker machten ganze Arbeit. Was an Rot- oder Schwarzwild noch in den Dickungen steckte, rückte aus, salvierte sich vor den bösartigen Kläffern ins Vellahner Revier, durch die »Einsprünge«, die man wohlweislich im Gatter angelegt hatte; eine Art von großen Mausefallen, die dem Wilde wohl das Einwechseln, aber nicht mehr die Rückkehr gestatteten ...

So kam es, daß schon nach wenigen Monaten der Baron von Köhnemann, wie man zu sagen pflegte, »keinen Schwanz mehr« in seinem Revier besaß, auf seiner nächsten Winterjagd kamen ein kümmerliches Stück Damwild und ein räudiger Fuchs zur Strecke. Der Vellahner Herr lachte nur, wie es seine Art war, ein herzhaftes schütterndes Lachen, als ihm das klägliche Ergebnis berichtet wurde. ... Vielleicht aber, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, weiter in die Zukunft hinauszusehen, daß er dann das Gatter wieder abgerissen hätte. Etliche Jahre später zahlte es ihm der Nachbar an dem einzigen Jungen heim ...

Der Alten-Krakower war ein leidenschaftlicher Jäger. Ein »Schießer« mehr als ein Weidmann, aber das sind bekanntlich die Schlimmsten! Als es nun im eigenen Revier nichts mehr zu erlegen gab, hing ihm die Büchse untätig im Schranke, denn von den Nachbarn wurde er aus Rücksicht auf den Vellahner nicht eingeladen. In seine Seele aber fraß sich ein dumpfer Groll, und nicht bei sich selber suchte er die Schuld, sondern bei dem andern, der ihm durch sein böswilliges Vorgehen die herrlichste aller Lebensfreuden, die Betätigung der Jagdpassion, geraubt hatte. Wenn er den Namen des Grafen Römnitz hörte, spie er aus, und allmählich entwickelte sich zwischen den beiden Nachbargütern eine Feindschaft, wie sie ingrimmiger wohl kaum ersonnen werden konnte. Alle Tage gab es Streitigkeiten wegen irgendeiner geringfügigen Grenzverletzung, jeden kleinen Anlaß benutzte der Alten-Krakower zu einem Prozesse, die Forstbeamten schossen sich wechselseitig die Hunde tot, und wenn die Knechte auf dem Tanzboden zusammentrafen, setzte es blutige Köpfe. Da riß auch dem sonst so gutmütigen Vellahner Herrn der Geduldsfaden.

Eines Tages traf er den Alten-Krakower an der Feldgrenze, beide Herren waren allein, und was zwischen ihnen sich abgespielt haben mochte, wußte kein Mensch zu erzählen. Nur als der Vellahner heimkehrte, sagte er mit seinem schütternden Lachen zu seinem Vertrauten: »Du, Lentz, heute hab' ich's dem da drüben« – den Namen Köhnemann sprach er nicht gern aus – »unter vier Augen gründlich besorgt. Prozesse kann er mit mir führen, so viel er will, hoffentlich aber unterläßt er's von jetzt an, mir über die Grenze hinweg Schimpfreden an den Kopf zu schmeißen.« Von dem Alten-Krakower aber wurde erzählt, er wäre von dem Zusammentreffen nur ganz mühselig nach Hause gekommen und hätte unter dem Vorwande eines Hexenschusses drei Tage lang das Bett hüten müssen. Und in der ganzen Umgegend gab es ein Schmunzeln, denn so ziemlich jedermann gönnte ihm wegen seiner ewigen Stänkereien die unfreiwillige Bettruhe –

So spann sich die Feindschaft von Jahr zu Jahr und hörte nicht auf, selbst als der Vellahner Herr eines Tages das Zeitliche gesegnet hatte. Nur die Prozeßakten des Barons von Köhnemann bekamen ein anderes Aktenzeichen. Nicht mehr gegen den Grafen Römnitz lauteten sie, sondern gegen die Vellahner Gutsverwaltung. Alles andre aber blieb wie sonst, die Kühe wurden gepfändet, wenn sie einmal über die Grenze liefen, die Förster schossen sich gegenseitig die Hunde tot, und die Knechte verprügelten einander, wenn sie auf dem Tanzboden zusammenstießen. Und nur zwei Menschen gab es, die sich an die alte Feindschaft nicht kehrten. Ein blondhaariges Mädchen, das frisch aus der Strelitzer Pension in das freudlose Vaterhaus zurückgekehrt war, und ein schlanker junger Mann, der eben bei den Friedeberger Dragonern sein Jahr abgedient hatte und nun auf dem väterlichen Gute sich ein wenig um die Wirtschaft kümmern sollte, um später einmal das Hohenrömnitzer Majorat zu übernehmen, zu dem er aller menschlichen Voraussicht nach der nächstberechtigte Erbe war. Die Ehe seines Oheims, des Erblandmarschalls Grafen Römnitz, war schon seit mehr als siebzehn Jahren kinderlos ...

Beim ersten Male, als die beiden Nachbarskinder sich an dem Gatter auf der Grenzscheide trafen, er mit der Büchse über der Schulter und sie hoch im Sattel, musterten sie einander wohl verstohlen, aber ohne Gruß zogen sie weiter, denn das Gatter und die alte Feindschaft standen ja zwischen ihnen. Als sie jedoch am nächsten Nachmittage sich genau zu derselben Stunde und an derselben Stelle trafen – ganz zufällig natürlich – lächelten sie heimlich, und es kam wohl von selbst, daß sie in ein Gespräch gerieten. Wie dumm es von den Vätern gewesen, sich in eine so abgründige Feindschaft zu verstricken, statt in friedlicher Nachbarschaft zu leben. Und noch ganz gut entsannen sie sich der Zeiten, da sie als kleine Kinder im Vellahner Schloßparke gespielt hatten ...

Danach trafen sie sich öfter, nur als der Alten-Krakower Baroneß aus väterlichem Mißtrauen zu den allnachmittäglichen Ausflügen ein Reitknecht beigegeben wurde, verlegten sie die Zusammenkünfte auf den späten Abend. Da pflegte der Baron von Köhnemann mit einigen gleichgestimmten Herren im Strelitzer Hof zu sitzen in Moltzahn und, wenn er die Karten in der Hand hielt, fand er selten vor zwei Uhr morgens heim. Die junge Baroneß Gertrud aber schlüpfte dicht vermummt zum Parktürchen hinaus, stiefelte unverdrossen den Galgenberg hinauf. Dort oben war vor jenen uralten Zeiten die Richtstätte gewesen. Das Landvolk mied den Platz in abergläubischer Scheu, sie aber fürchtete sich nicht, denn unter den drei Eichen stand einer, der in Sehnsucht ihrer harrte. Der brave Wotan wieherte leise auf, ein starker Arm umfaßte sie, und zwei rote Lippen suchten verlangend ihren Mund; denn von dem Bedauern über die alte Feindschaft waren sie längst zu heißer Liebe gekommen. Und bei jedem Abschiede erneuerten sie den Schwur, in Treue auszuharren, bis bessere Zeiten kämen, bis Malte im Besitze des Hohenrömnitzer Majorates als ein vollwichtiger Werber vor den alten Widersacher seines Vaters hintreten dürfte ...

So ging das heimliche Verhältnis schon ins dritte Jahr, die beiden wurden einander jedoch nicht müde. Je weiter das Ziel ihrer Sehnsucht sich hinausschob, desto inniger wurde ihre Liebe, und sie waren ja jung, was verschlug es ihnen, wenn sie noch eine Weile länger warten mußten? Eines Tages aber kam die Baroneß in Tränen aufgelöst zu dem abendlichen Stelldichein. Etwas Schreckliches war geschehen, der Vater hatte ihr eröffnet, binnen jetzt und vier Wochen hätte sie den Kammerherrn Baron von Perkwald auf Hinrichshagen zu heiraten. Das wäre sein unabänderlicher Entschluß, und sie sollte nur eilends mit dem Beschaffen der Aussteuer anfangen, denn vier Wochen wären gar bald herum. Sie warf sich ihm zu Füßen, aber kein Bitten und Flehen half ihr. Je heftiger sie weinte, desto mehr geriet er in Harnisch, und schließlich stieß er sie von sich, schlug schmetternd die Tür hinter sich zu. Und er ließ ihr die Wahl. Ob sie den eigenen Vater in Not und Schande sehen wollte oder die Gattin eines angesehenen Herrn werden, an dessen Seite sie ein Leben im Überfluß führen könnte ...

Da gab es natürlich keinen andern Ausweg als ein rasches Ende, und Malte war ganz und gar damit einverstanden. Was bot ihm denn die Zukunft, wenn er auf die Vereinigung mit dem Liebsten verzichten mußte, was er auf Erden besaß? ...

Unter Tränen und Küssen beschlossen sie, gemeinsam zu sterben, und malten sich im Überschwange der Trostlosigkeit aus, daß es besser wäre, tot zu sein, als ein langes Leben voll Kummer zu tragen. Weil sie aber keine Waffe bei sich hatten, verschoben sie die Ausführung ihres Entschlusses auf den nächsten Abend. Malte zudem hatte noch allerhand Anordnungen vor seinem Hinscheiden zu treffen, den Oheim in Hohenrömnitz zu benachrichtigen, daß das Majorat nach Gottes unerforschlichem Ratschlusse nunmehr wohl an die märkische Seitenlinie der Römnitze übergehen müßte. Die Baroneß aber wiederum war gewissermaßen verpflichtet, ihrer treuesten Pensionsfreundin über das letzte so traurige Kapitel ihres Liebesromans im voraus Bericht zu erstatten. Von dieser falsch beurteilt zu werden, wäre ihr schrecklich gewesen, den Vater hingegen beschloß sie ohne eine Zeile des Abschiedes zu verlassen. Wer seine einzige Tochter als ein Handelsobjekt bewertete, verdiente es nicht anders! ...

Also vorbereitet trafen sie sich zum letzten Beisammensein, und wer wollte es den beiden Kindern verdenken, wenn sie mit dem Abschiednehmen immer und immer wieder zögerten? Die Maiennacht war lau und warm, am blassen Himmel über den hohen Eichen schwamm der volle Mond, und in dem niedrigen Buschwerk sang ohne Aufhören eine Nachtigall. Sie beide aber hatten sich vor der Trennung noch so vieles zu sagen ...

Endlich war es Zeit, denn es ging wohl schon auf Mitternacht, und von irgendwoher drang klappernder Hufschlag durch die Stille. Eine Störung war unterwegs, es galt, sich zu eilen. Nur eine kurze Weile verging noch, denn sie vermochten sich nicht zu einigen, wer zuerst den dunkeln Pfad beschreiten sollte. Ein jedes wollte vor dem andern dieses Jammertal verlassen, und ein gleichzeitiges Sterben war leider ausgeschlossen, denn eine einzige Waffe besaßen sie nur. Und da, plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, stand ein Dritter zwischen ihnen, warf sich auf Malte und begann mit ihm lautlos zu ringen. Die Baroneß aber schrie laut auf vor Schreck, rannte in sinnloser Angst den Berg hinab und jagte mit verhängten Zügeln davon. Erst als sie fiebernd in ihrem Bette lag, fing sie wieder an zu denken, und immer raunte eine Stimme an ihrem kleinen Ohr: »Wer weiß, wozu es gut war, vielleicht gab es doch noch eine allerletzte Hoffnung?« Der liebe Gott, zu dem sie in dieser Zeit so innig gebetet hatte, konnte sie doch nicht ganz im Stich lassen ...

Am andern Tage aber, gegen Mittag, war es mit dieser Hoffnung vorbei. Da saß sie als eine Gefangene in ihrem Zimmer, weinte still vor sich hin und rang die Hände. Neben ihr standen zwei stumpfsinnige Küchenmägde, glotzten sie aus großen Augen an und paßten, ob sie irgendeine verdächtige Bewegung machte. Dann nämlich hatte die eine den strengen Befehl, sie festzuhalten, die andre aber sollte an die Treppe eilen und laut um Hilfe schreien ... Und im Erdgeschosse ging der Vater auf und ab, sprach laut mit sich selbst und lachte dazwischen: »Das war für das Gatter und für die Hirsche und für etwas, wovon niemand was weiß« ...

Immer wieder schrie er die höhnischen Worte gegen die Wände, indessen ihr Liebster den Weg zurückfuhr, den er gekommen war. Nur hatte er auf dem Hinwege noch nicht den unauslöschlichen Makel im Angesicht getragen ... Da biß sie sich die Lippen wund in unsagbarem Weh. Was gestern noch eine halb kindische Torheit gewesen, war heute ein unentrinnbares Gebot. Danach konnte ein Mensch doch nicht weiter leben ... Mit gerungenen Händen flehte sie die Mägde an, sie nur eine einzige Minute allein zu lassen, aber die beiden ungeschlachten Frauenzimmer zeigten grinsend die weißen Zähne: »Nee, Baroneß, dat geiht nich, de gnä' Herr Baron hätt et verbaden. Un wenn wi nich hören daun, dann göfft et Schacht!« ...

Da gab sie es auf und fügte sich anscheinend in ihr Schicksal – – – –

Um die Kaffeezeit kehrte Herr von Lewenitz von Alten-Krakow nach Vellahn zurück. Graf Malte war ihm vor Ungeduld ein Ende weit auf der Dammallee entgegengegangen. Fuhbel hatte in den Hof zurückkehren müssen, um das Gespann zu wechseln, das schon seit dem frühen Vormittag auf den schweren Lehmwegen in den Sielen ging, und aus den Gesichtern der beiden Herren war nicht zu erkennen, wie der Baron von Köhnemann die Forderung wohl aufgenommen haben mochte. Nur wollte es dem alten Lentz bedünken, als wäre der Herr von Lewenitz in seinem Benehmen weit förmlicher als noch vor wenigen Stunden. Nach kurzer Zeit schon fuhr er wieder nach seinem Gute Tüschow zurück, Graf Malte gab ihm auf die Freitreppe hinaus das Geleit, und es war eigentlich auffallend, daß sie sich ohne Händedruck voneinander verabschiedeten. Das aber war wohl nur ein Zufall, der Tüschower mochte es eilig haben, wieder nach Hause zu kommen. Und im übrigen ging alles seinen Gang, wie es bei solchen Gelegenheiten wohl Brauch war. Graf Malte schrieb einige Briefe, die er sorgfältig siegelte und in der Schublade verwahrte, gegen Abend zog er seine Leutnantsuniform an und ließ den Wotan satteln, um nach Moltzahn hinüberzureiten. Er hätte in einer dienstlichen Angelegenheit mit dem Herrn Bezirkskommandeur zu sprechen, und da wußte Lentz genau Bescheid, daß es am andern Morgen in aller Herrgottsfrühe mit dem Baron von Köhnemann einen Zweikampf geben würde. Sein seliger Herr Rittmeister hatte damals auch dem Bezirkskommandeur eine Meldung abgestattet, ehe er den Moltzahner Amtshauptmann anschoß. Nur, es wurmte ihn doch mächtig, daß sein junger Herr diese Duellgeschichte so geheimnisvoll behandelte, ihn nicht ein bißchen ins Vertrauen zog. Damals war das anders gewesen, bei seinem seligen Herrn Rittmeister. Der hatte ganz gemütlich mit ihm geplaudert, als er sich am Nachmittage im Park eine Stunde lang »im Pistolenschießen überhörte«, wie er sagte, um zu sehen, ob Auge und Hand noch in der gehörigen Übung wären. Und als ein Schuß nach dem andern im Schwarzen saß, lachte er auf, sein gutmütiges schütterndes Lachen: »Es geht immer noch, Lentz, und da wollen wir's morgen früh glimpflich machen, den Herrn Amtshauptmann nur ein bißchen am Bein ankratzen. Das ist für ein paar ungebührliche Redensarten in der Betrunkenheit schließlich Strafe genug« ...

Als Malte in den Sattel stieg, trat Lentz hinzu und hielt ihm den Bügel.

»Verzeihen, Herr Graf, aber ich möchte um den Schlüssel zu dem untern Schubfach im Gewehrschrank bitten. Der Pistolenkasten ist schon ein paar Monate nich nachgesehen, und morgen früh soll alles doch wohl in Schick und Ordnung sein, nich?«

Der junge Herr hob erstaunt den Kopf.

»Morgen früh der Pistolenkasten?« ... Gleich danach flog eine jähe Röte über sein Gesicht, und er zog die Augenbrauen finster zusammen.

»Kümmer dich gefälligst nicht um Dinge, die dich nichts angehen! Verstanden?«

Da erwiderte er nur: »Zu Befehl« und trat gekränkt zurück. Als sein junger Herr aber in die Dammallee einbog, rief er ihm vorsorglich nach, er möchte sich doch beim Reiten in acht nehmen, bei dem Gaule schiene ein Eisen lose zu sitzen.

»Hab's schon gemerkt,« rief Malte über die Schulter zurück, »aber für dieses eine Mal wird's wohl noch halten!« Wotan bekam die Sporen eingesetzt, so daß er aus seinem gemächlichen Trab in gestreckten Galopp fiel, und der alte Lentz kehrte bekümmert und niedergeschlagen auf die Diele zurück. Eine plötzliche Angst hatte ihn überfallen, daß bei der Duellaffäre irgend etwas nicht in Ordnung wäre, und er wußte ja, wie heikel die Herren in diesen Fragen dachten. Wenn einer von ihnen darin einen Verstoß beging, mieden die andern ihn wie einen Pestkranken, taten ihn mit seinem ganzen Hause in Acht und Bann. Und das mußte wohl so sein, denn die Herren hatten sich ja selbst diese Gesetze gegeben ... Soviel er aber auch grübelte und nachdachte, er konnte nicht finden, wie sein Graf Malte gegen diese Gesetze verstoßen haben sollte. Der Baron von Köhnemann hatte ihn am Vormittage schwer beleidigt, am Nachmittage kriegte er prompt seine Forderung, am nächsten Morgen aber wurde er über den Haufen geschossen. Und das von Rechts wegen. Wenn dieser alte Stänker von der Welt war, gab es wieder Frieden im Land, und daß Graf Malte bei diesem Zweikampfe etwa den kürzeren ziehen sollte, war ausgeschlossen. Seine Hand war sicher und sein Auge scharf, und oft genug hatte er's ja mit angesehen, wie er von dem kleinen Erker aus, der vor dem Schreibzimmer lag, die auf dem See ziehenden Haubentaucher schoß. »Lentz, zähl mal, fertig, eins, zwei, drei« ... Auf das Kommando eins hob sich schon die Pistole, im selben Augenblicke krachte der Schuß, und der Taucher zeigte die weißschimmernde Brust, paddelte im Verenden mit den schwärzlichen Schwimmern in der Luft. Woher also diese plötzliche Angst, die ihm fast das Herz abdrückte und die ihn jedesmal überfiel, wenn Menschen, die ihm nahestanden, ein Unheil drohte? Und fast immer war diese Vorahnung eingetroffen, auch beim Tode seines Herrn Rittmeisters. Noch am Vormittage hatte der ihn scherzend gefragt: »Na, Lentz, was machst du heute für ein beteppertes Gesicht? Hast du Zahnschmerzen, oder plagen dich vielleicht wieder deine Ahnungen?« Da hatte er ausweichend geantwortet, es wäre ihm nicht gut, wohl wegen einer Erkältung, am Abend aber kam die Erfüllung. Der Herr Rittmeister setzte sich in der heitersten Laune zu Tisch, führte ein Glas Rotwein zum Munde, und mit einem Male sackte er auf dem Stuhle zusammen, das Glas fiel aus seiner Hand, zerschellte klirrend auf der Diele. Er sprang eilends hinzu, aber es war nichts mehr zu helfen. Sein Herr Rittmeister seufzte tief auf, streckte sich noch einmal, und es war zu Ende – – –