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Zwei klassische Texte der japanischen Kriegerkultur in einem Band
Musashi war ein berühmter Samurai des 17. Jahrhunderts, für den der Sieg im Kampf nicht nur von technischer und körperlicher, sondern vor allem von der geistigen Überlegenheit des Kriegers abhing. Sein »Buch der fünf Ringe« ist ein Klassiker zum Thema Konfliktbewältigung und Strategie. Ergänzend widmet sich Munenoris »Buch der mit der Kriegskunst verwandten Traditionen« den ethischen und spirituellen Einsichten des Taoismus und Zen, sofern sie speziell den ›bushi-do‹ (Weg des Kriegers) berühren. Clearys Einleitung und Kommentar liefern entscheidende Hintergrundinformationen.
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Seitenzahl: 165
Miyamoto Musashi
Das Buch der fünf Ringe
*
Yagyu Munenori
Das Buch der mit der Kriegskunstverwandten Traditionen
Herausgegeben von Thomas Cleary
Aus dem Englischen vonChris Burton und Hans Christian Meiser
Anaconda
Titel der amerikanischen Originalausgabe: The Book of Five Rings.
Boston: Shambhala Publications Inc. (1993)
Published by arrangement with Shambhala Publications, Inc., Boulder.
Die deutsche Übersetzung von Chris Burton und Hans Christian Meisernach der englischen Fassung von Thomas Cleary (1993) erschien zuerst 1996 imWilhelm Heyne Verlag, München. Orthografie und Interpunktion wurden denRegeln der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst.
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Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung
© 2022 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen
der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagmotiv: Utagawa Kuniyoshi, »Ichikawa Danjuro VII Overpowering an
Officer of the Law«, ca. 1830–1844 © Bridgeman Images / Fitzwilliam Museum;
Wabenmuster: shutterstock / missis
Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de
Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Heiligenhaus
ISBN 978-3-641-29241-6V001
www.anacondaverlag.de
Inhalt
Vorbemerkung
Einleitung
Das Buch der fünf Ringe
Das Buch der mit der Kriegskunst verwandten Traditionen
Zen und die Kampfeskunst
Das Buch der fünf Ringe
Vorwort
Die Schriftrolle der Erde
Über die Wissenschaft der Kampfeskunst
Vergleich zwischen der Kampfeskunst und dem Handwerk des Zimmermanns
Die Wissenschaft der Kampfeskunst
Über die Einteilung dieses Buches in fünf Schriftrollen
Über die Benennung meiner individuellen Schule als ›Schule Zweier Schwerter‹
Über die Prinzipien, die der Wissenschaft der Kampfeskunst zugrunde liegen
Über das Wissen um die Vorteile der Waffen in der Kampfeskunst
Über den Rhythmus in der Kampfeskunst
Die Schriftrolle des Wassers
Die Geisteshaltung in der Kampfeskunst
Die körperliche Haltung in der Kampfeskunst
Die Zielrichtung der Augen in der Kampfeskunst
Das Greifen des langen Schwertes
Über die Arbeit der Füße
Fünf Arten der Deckung
Die Technik des langen Schwertes
Erläuterung von fünf formalen Techniken
Über den scheinbaren Widerspruch der stellungslosen Stellung
Das Niederstrecken des Gegners im Taktschlag
Der Rhythmus der zweiten Feder
Das gedankenlose und formlose Zuschlagen
Der Schlag des fließenden Wassers
Der Zufallstreffer
Der Funkenstoß
Der Schlag des karmesinroten Blattwerks
Der Körper anstelle des Schwertes
Schlagen und Treffen
Der Körper des kurzarmigen Affen
Der klebrige Körper
Der Größenvergleich
Leimen
Der Schlag mit dem Körper
Drei Paraden
Der Stich ins Gesicht
Der Stich ins Herz
Der Schrei
Die klatschende Parade
Der Kampf mit mehreren Gegnern
Der Vorteil im Zweikampf
Der einzige Schlag
Der Zustand der unmittelbaren Durchdringung
Epilog
Die Schriftrolle des Feuers
Das physische Umfeld
Drei Arten des Vorgreifens
Das Kopfkissen niederdrücken
Das Durchqueren einer Furt
Die jeweilige Lage erkennen
Das Zertreten eines Schwertes
Das Ausnutzen des Zerfalls
Selbst zum Gegner werden
Mit vier Händen loslassen
Der Schattenkampf
Schatten festsetzen
Die Ansteckung
Die Verwirrung
Die Drohung
Das Festkleben
Gegen Ecken stoßen
Das Vernebeln
Drei Rufe
Sich vermischen
Das Gefühl der eigenen Überlegenheit
Der Wechsel zwischen Berg und Meer
Der Treffer ins Herz des Gegners
Die Erneuerung
Klein und groß
Die eigenen Truppen kennen
Den Griff loslassen
Einer Steinmauer ähneln
Epilog
Die Schriftrolle des Windes
Über den Einsatz überlanger Schwerter in anderen Schulen
Kräftige Schwerthiebe in anderen Schulen
Der Einsatz kürzerer langer Schwerter in anderen Schulen
Verschiedene Schwertschläge anderer Schulen
Die Stellungen des Schwertes in anderen Schulen
Die Zielrichtung der Augen in anderen Schulen
Die Bewegung der Füße in anderen Schulen
Die Bedeutung der Geschwindigkeit in anderen Schulen
Das Esoterische und das Exoterische in anderen Schulen
Epilog
Die Schriftrolle der Leere
Das Buch der mit der Kriegskunst verwandten Traditionen
Das tötende Schwert
Vorwort
Das große Lernen
Wille und Gemüt
Schein und Zweck
Das Schlagen des Grases, um die Schlangen zu erschrecken
Die Vorhut des Augenblicks
Aggressive und passive Grundhaltungen
Logische Prinzipien der aggressiven und passiven Haltungen des Körpers und des Schwertes
Aggressive und passive Grundhaltungen des Körpers und des Geistes
Angesichts eines aggressiven Gegners
Die Zielrichtung der Augen
Drei Arten der Finte
Wenn sich der Gegner neu besinnt
Der zweifache Blick
Schlagen und den Gegner schlagen lassen
Drei Rhythmen
Ein großer Rhythmus gegen einen kleinen, ein kleiner Rhythmus gegen einen großen
Das Beachten des Tempos
Techniken I
Techniken II
Das Hören des Windes und des Wassers
Die Besessenheit
Die einfache und die fortgeschrittene Ebene des Vermeidens der Besessenheit
Das normale Bewusstsein
Wie ein Mann aus Holz im Angesicht von Blumen und Vögeln
Das freie Bewusstsein
Das lebenspendende Schwert
Das Erkennen von Fähigkeiten und Absichten
Der Rhythmus der Existenz und der Nichtexistenz sowie die Existenz sowohl des Existenten wie des Nichtexistenten
Der Mond im Wasser und seine Widerspiegelung
Das ruhende Schwert
Erläuterung der Schriftzeichen für ›ruhend‹
Der Schritt
Das erste Prinzip. Die Geisteshaltung im Zweikampf gleicht der Haltung einem Speerträger gegenüber. Was zu tun ist, wenn du ohne Schwert bist
Der Abstand einer Fußlänge zu beiden Seiten.Wenn beide Schwerter gleich groß sind, sollte deine Aufmerksamkeit genauso konzentriert sein,wie wenn du ohne Schwert bist.
›Das Äußerste‹ oder ›Das erste Schwert‹
Erläuterungen zum Mond im Wasser, zum ruhenden Schwert, zur Besessenheit, zu den Handlungen des Körpers, der Hände und der Füße
Bewegungen
Der Sicherheitsabstand
Das Manövrieren
Das Wahrnehmen des ruhenden Schwertes: die Unterscheidung dreier Ebenen
»Der Geist gleicht dem Mond im Wasser, der Körper einem Spiegelbild«
Der übereilte Angriff
Mit dem Bewusstsein voranschreiten
Die vollständige Auflösung, das Nichts, die Darbietung des Bewusstseins
Das wahre und das falsche Bewusstsein
Ohne Schwert
Großes Potenzial und große Funktion
Das Bewusstsein und die Gegenstände
Die Kampfeskunst und der Buddhismus
Ja und Nein
Die Wahrheit und die Unwahrheit
Vorbemerkung
Das japanische Wort shin-ken – wortwörtlich ›wirkliches Schwert‹ – deutet im übertragenen Sinne auf etwas, was man mit absolutem Ernst unternimmt; das Wort schildert also eher eine Haltung oder Einstellung als einen Gegenstand. Shin-ken sho-bu – wortwörtlich ›ein Kampf mit wirklichen Schwertern‹ – bedeutet etwas Todernstes.
Dieses Fragment linguistischer Anthropologie enthält eine gewisse Begründung dafür, warum die Japaner als Überlebens- und Anpassungskünstler so glänzen. Durch die Jahrhunderte währende Kulturtradition der Samurai und deren Kampfeskünste sind die Japaner in der Lage, jede Situation als eine Angelegenheit auf Leben und Tod aufzufassen.
Dieses Buch schildert, wie sie das bewerkstelligen.
Einleitung
Das Buch der fünf Ringe und Das Buch der mit der Kriegskunst verwandten Traditionen sind zwei der wichtigsten aus der japanischen Kriegertradition stammenden Texte zum Thema der kämpferischen Auseinandersetzung und der Strategie. Beide waren nicht nur als Lehrbücher für den kämpfenden Nachwuchs konzipiert, sondern als Anleitungen zur Überwindung von Schwierigkeiten und Herausforderungen in allen Bereichen des menschlichen Lebens.
Das Buch der fünf Ringe wurde 1643 von dem unbesiegten Zweikämpfer, unerreichten Meister der Samurai und unabhängigen Lehrer Miyamoto Musashi geschrieben. 1632 verfasste der siegreiche Krieger, Mentor des Shogun und Leiter des Geheimdienstes Yagyu Munenori sein Buch der mit der Kriegskunst verwandten Traditionen.
Beide Autoren waren berufsmäßige Waffenträger und Kämpfer, deren Heimat von der langen Tradition der Kriegskultur geprägt, ja gar durchdrungen war. Ihre Schriften sprechen nicht nur Mitglieder der herrschenden kriegerischen Kaste an, sondern auch die Vorreiter anderer Berufe und Gesellschaftsschichten sowie Individuen, die, in welchem Lebensweg auch immer, eine Meisterschaft anstreben.
Das Buch der fünf Ringe und Das Buch der mit der Kriegskunst verwandten Traditionen wurden beide auf japanisch statt im damals in den elitären bürokratischen, religiösen und intellektuellen Kreisen Japans üblichen literarisch-chinesischen Schriftform niedergeschrieben. Ihr Duktus ist verhältnismäßig schlicht und entbehrt der verschnörkelten Subtilitäten des klassisch-höfischen Japanischen. Auch wenn die Syntax und die Morphologie, derer sich Musashi bedient, gelegentlich holprig und primitiv erscheinen, ist das Werk durch seine Einfachheit und Klarheit einer breiten Leserschaft zugänglich.
Der Aufstieg und die Macht der japanischen Samuraiklasse finden in den zwei Begriffen ihren Niederschlag, welche auf deren Mitglieder gemünzt wurden: samurai und bushi. Das Wort samurai entstammt dem japanischen Verbum saburau, welches ›als Gehilfe dienen‹ bedeutet. Das Wort bushi ist sino-japanischen Ursprungs und bedeutet ›bewaffneter Adel‹. Während sich die Krieger selbst mit dem ehrwürdigeren bushi zu bezeichnen pflegten, blieb unter den Mitgliedern anderer Gesellschaftsschichten samurai der geläufigere Begriff.
Die ursprünglichen Samurai waren angestellte Diener des Adels. Mit der Zeit dehnten sich ihre Pflichten auf die Verwaltung, die Überwachung und die Verteidigung der riesigen Güter und Ländereien ihrer meist sich anderweitig aufhaltenden Herren aus. Schließlich forderten und erhielten die Samurai einen größeren Anteil am Reichtum und an der politischen Macht im Lande – bis die als Bakufu oder Zeltregierung bekannte militärische Shogun-Pararegierung die kaiserliche Herrschaft überschattete und das ganze Land unterjochte.
Musashi und Yagyu lebten beide zur Gründerzeit der dritten Zeltregierung, welche vom Anfang des siebzehnten bis zur zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts dauerte. Auch wenn die dritte Zeltregierung in der kriegerischen Tradition ihrer Vorgänger verwurzelt war, unterschied sie sich von diesen in manchen wesentlichen Aspekten.
Die erste Zeltregierung hatte sich gegen Ende des zwölften Jahrhunderts im östlichen Japan gegründet und überlebte fast hundertfünfzig Jahre. Die Krieger dieser Epoche waren adeliger Abstammung, und viele von ihnen hatten ihre Kriegskünste während der mehrere Generationen lang anhaltenden Auseinandersetzungen mit dem ostjapanischen Volk der Ainu verfeinert. Da die Zeltregierung in Kamakura, einer dem heutigen Tokio benachbarten Kleinstadt, ihren Sitz hatte, nennt sich diese japanische Geschichtsepoche die Kamakura-Ära.
1338 löste die zweite die erste Zeltregierung ab. Die Kriegerkaste hatte sich bis dahin ausgedehnt und aufgefächert; die genealogischen Bindungen zum Adel hatten sich ausgedünnt. Die Shogune dieser Epoche errichteten ihre Zeltregierung in Kyoto, der alten kaiserlichen Hauptstadt, und bemühten sich, unter der neuen Elite der Samurai eine Hochkultur durchzusetzen. Diese Epoche wird sowohl – nach dem Nachnamen der Shogune – als Ashikaga-Ära, als auch – nach dem Stadtviertel Kyotos, in dem die Zeltregierung ihren Sitz hatte – als Muromachi-Ära bezeichnet.
Zum Verständnis der Geschichte und der Kultur Japans muss sich der Leser unbedingt vergegenwärtigen, dass das Land eigentlich erst 1868 mit der Wiedereinsetzung der Meiji vereint wurde. Die flächendeckende Herrschaft der Kaiser war immer theoretisch gewesen, aber das Kaiserhaus hatte in Wahrheit lediglich eine Ansammlung sich gegenseitig bekämpfender Fraktionen dargestellt; zwar wurde der rituelle und politische Status des Kaisers allgemein anerkannt, doch von einer unmittelbaren, konkreten Herrschaft über das ganze Land konnte keine Rede sein.
Dasselbe galt auch für die Militärregierungen. Die Herrschaft der Shogune war immer kompliziert und durch die verworrene Beschaffenheit der eigentlichen Machtstrukturen im Lande eingeschränkt. Die Kamakura-Zeltregierung verfügte über keine absolute Macht, die Muromachi-Zeltregierung noch weniger. Das fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert waren vom Separatismus, von Rivalitäten und von Bürgerkriegen geprägt.
Bis zu dieser Zeit – welche als Ära der sich bekriegenden Staaten bezeichnet wird – stand der kriegerische Lebensweg jedem offen, der auf irgendeine Weise Waffen habhaft werden konnte. Samurai aus der Unterschicht verdrängten diejenigen aus der Oberschicht, und Japan wurde ins Chaos gestürzt. Erst gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts traten wirkliche, mit wahrer Strategie und echter Macht gewappnete Führer hervor, die Schritte zur Vereinigung einleiten konnten.
Die dritte Zeltregierung gründete sich auf den Errungenschaften dieser Führer.
Vor dem Hintergrund der japanischen Gesellschaftstraditionen ist der Gründer des dritten Shogunats eindeutig als Emporkömmling und als Usurpator zu sehen. Er war sich dessen klar bewusst und setzte seine ganze Energie dafür ein, mittels umfangreicher Kontrollmaßnahmen dafür zu sorgen, dass sich dergleichen niemals wiederholen könnte. Erneut wurde die Hauptstadt ins östliche Japan umgesiedelt, um die Trennung des Regimes vom alten Adel und von der Kaiserherrschaft zu unterstreichen. Darüber hinaus entwaffnete der neue Shogun das bäuerliche Volk, entmündigte die Klasse der Samurai und siedelte alle Krieger vom Land in städtische Burg-Kasernen um. Diese Epoche japanischer Geschichte wird als Tokugawa-Ära – nach dem Nachnamen jener Shogune – beziehungsweise als Edo-Ära – nach dem Namen der neuen Hauptstadt (dem heutigen Tokio) – bezeichnet. Das Japan dieser Epoche teilte sich in über zweihundert ›Herzogtümer‹, deren Rangordnung sich nach ihren Beziehungen zum Tokugawa-Clan definierte. Die Herzöge wurden durch mannigfaltige Maßnahmen unter Kontrolle gehalten, einschließlich strenger Regelung des Ehe- und Erbrechts sowie des Landeigentums – und mittels eines ausgeklügelten Geiselsystems. Den Herzogtümern wurden Truppenkontingente auferlegt, was eine große Schar von als ronin – oder Wanderer – bezeichneten stellungslosen Samurai verursachte.
Viele dieser Wanderer wurden Lehrer, Ärzte oder Priester. Einige setzten ihre Praxis der kriegerischen Traditionen fort und brachten sie anderen bei. Andere wurden kriminelle Raufbolde und stellten schließlich eines der schwerwiegendsten gesellschaftlichen Probleme der ausgehenden Tokugawa-Ära dar. Einige inhaltliche Unterschiede sowohl technischer als auch philosophischer Natur – zwischen dem Buch der fünf Ringe und dem Buch der mit der Kriegskunst verwandten Traditionen – entstammen den verschiedenen Laufbahnen der beiden Autoren: Während der niemals besiegte Miyamoto Musashi eine Karriere als Zweikämpfer und unabhängiger Lehrer der Kriegskunst verfolgte, war Yagyu Munenori ein angesehener Kriegsveteran und leitender Beamte der zentralen Militärregierung.
Das Werk Miyamoto Musashis, welches genauer Das Buch der fünf Sphären betitelt werden müsste, ist ausschließlich der pragmatischen Kriegs- bzw. Kampfesführung gewidmet. Prahlerisches Angebertum, Effekthascherei und Kommerzialisierung haben in den Kampfeskünsten Musashis keinen Platz: Stattdessen richtet der Autor sein Hauptaugenmerk auf die Psychologie und die Physis des tödlichen Angriffs und die taktischen Mittel zum Sieg. Seine Wissenschaft der Aggression und der Gnadenlosigkeit ragt als höchst konzentriertes Musterbeispiel der Samurai-Philosophie hervor.
Zahllose Legenden umranken die Überlieferungen der abenteuerlichen Heldentaten Musashis – und dennoch ist über sein eigentliches Leben sehr wenig bekannt. Die Hauptquelle historischer Information ist die im Buch der fünf Ringe niedergeschriebene Selbstauskunft. Mit dreizehn Jahren tötete er zum ersten, mit neunundzwanzig Jahren zum letzten Mal einen Gegner im Kampf. Zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt soll er der Verwendung eines echten Schwertes entsagt, es aber trotzdem weiterhin vermocht haben, bis zum Ende seiner kämpferischen Laufbahn sämtlichen Widersachern tödliche Wunden zuzufügen.
Musashi verbrachte die letzten drei Jahrzehnte seines Lebens damit, seine militärische Wissenschaft zu verfeinern und zu lehren. Angeblich hat er im ganzen Leben nie gebadet, sich nie die Haare gekämmt, nie geheiratet, sich niemals häuslich eingerichtet und nie Kinder gezeugt. Auch wenn er sich – wie er jedem empfiehlt – den musischen Künsten widmete, blieb er grundsätzlich und unerschütterlich ein kriegerischer Asket.
In Kriegszeiten geboren und in der Ausübung des tödlichen Kampfes groß geworden, wurde Miyamoto Musashi Zeitzeuge der in seiner Heimat präzedenzlosen Zuwendung zum Frieden. Er blieb jedoch der Urtradition treu und verkörperte in seiner Person die beiden wesentlichen Elemente der Kriegskunst.
Das erste dieser Grundprinzipien besteht darin, auch mitten im gewalttätigen Chaos die innere Ruhe und die Übersicht zu bewahren; das zweite darin, auch in Zeiten der Ordnung die Möglichkeit aufkeimender Unordnung nicht außer Acht zu lassen. Als Krieger in zwei völlig unterschiedlichen Welten, einer Welt des Krieges und einer Welt des Friedens, musste Musashi beide Grundprinzipien der Kampfeskunst zur höchsten Vollendung verfolgen; somit zeichnet sich sein Lebenswerk durch eine kaum zu übertreffende Schärfe sowie Grausamkeit aus.
Das Leben des Yagyu Munenori (1571–1646) unterscheidet sich markant von demjenigen des Miyamoto Musashi, obwohl beide Berufskrieger gleichen Alters waren. Yagyu wurde von seinem Vater in der Kampfeskunst eingewiesen und 1601, im Alter von dreißig Jahren, Lehrer des Tokugawa Hidetada. Die Tokugawa-Zeltregierung gründete sich zwei Jahre später; 1605 wurde Hidetada der zweite Shogun. Yagyu war nunmehr amtlicher shogunke heiho shihan – oder Lehrer – der Kampfeskunst im Auftrag der Familie der Shogun. In den nach wie vor turbulenten Anfangsjahren der neuen Zeltregierung zeichnete sich Yagyu in vielen Schlachten aus. In einem ruhmreichen Zwischenfall wurde der Shogun aus dem Hinterhalt überfallen, woraufhin Yagyu mit seinem tötenden Schwert sieben der Angreifer niederstreckte. Immer mehr Mitglieder von Adelsfamilien bewarben sich um den Eintritt in die ›Neue Schule des Schattens‹, welche vom mittlerweile berühmten Krieger und Kampfesmeister Yagyu geleitet wurde.
Trotz seines militärischen Ruhms gesteht Yagyu unverhohlen, dass er die tiefere immanente Bedeutung der Kampfeskunst erst erkannte, als er bereits über fünfzig Jahre alt war. Miyamoto Musashi äußerte sich auf ähnliche Weise, auch wenn er im Laufe seiner jungen, kämpferischen Laufbahn unbesiegt blieb. Bei beiden Autoren gingen der Niederschrift ihrer Bücher zum Thema der Kampfeskunst jahrelange Reflexionen voraus.
Das Buch der mit der Kriegskunst verwandten Traditionen wurde 1632 vollendet, im gleichen Jahr, als Yagyu Munenori mit der Leitung des Geheimdienstes betraut wurde. Unter der Tokugawa-Zeltregierung befasste sich der Geheimdienst mit der Überwachung des Hofes der Tokugawa-Familie, mit dem polizeilichen Dienst innerhalb der Burg zu Edo, mit der Beaufsichtigung des unteren Beamtentums sowie sämtlicher amtlicher Zeremonien, mit der Betreuung des Shogun und mit der Teilnahme am Hohen Gericht. So spiegeln die Schriften des Yagyu ein ausgeprägteres gesellschaftspolitisches Bewusstsein als diejenigen des Musashi wider.
Das Buch der mit der Kriegskunst verwandten Traditionen besteht aus drei Schriftrollen mit den Titeln ›Das tötende Schwert‹, ›Das lebenspendende Schwert‹ und ›Ohne Schwert‹. Dabei handelt es sich um dem Zen-Buddhismus entlehnte Begriffe, welche auf die Prinzipien der Samurai sowohl zu Kriegs als auch zu Friedenszeiten angewendet werden. ›Das tötende Schwert‹ ist das Mittel zur Unterdrückung der sozialen Unruhe und der Gewalt. ›Das lebenspendende Schwert‹ ist die vorausschauende Vorsorge zur Verhütung bevorstehender Probleme. ›Ohne Schwert‹ befasst sich mit der Fähigkeit, die Beschaffenheit des physischen Umfeldes als Hilfsmittel heranzuziehen.
Das Werk Yagyus enthält einiges an Material, welches aus Quellen des Zen-Buddhismus abgeleitet ist; an mancher Stelle betont er die Übereinstimmungen zwischen dem Zen und der Kampfeskunst. Zugleich unterstreicht er jedoch, dass solche Übereinstimmungen keineswegs vollständig sind und dass er selbst über keine Zen-Meisterschaft verfügt.
Seit der Machtübernahme der Samurai in Japan – Jahrhunderte, ehe Musashi und Yagyu das Licht der Welt erblickten – versuchten Buddhisten, die Krieger zu zivilisieren und zu bilden. Das bedeutet nicht, dass die Kaste der Samurai etwa vom Geist der buddhistischen Aufklärung durchdrungen worden wäre, unter anderem deshalb, weil die Buddhisten alle Hände voll damit zu tun hatten, sich nicht nur um die Erziehung der Samurai zu kümmern, sondern auch, um hinter ihnen und ihren Ausschweifungen aufzuräumen. Den Buddhisten fielen die Aufgaben zu, die Toten zu beerdigen, die durch Krieg oder Armut verwaisten oder als Bastarde verstoßenen Kinder aufzunehmen sowie für missbrauchte und verlassene Ehefrauen Fürsorge zu leisten.
Das Verhältnis zwischen dem Zen und der Kampfeskunst sollte nicht am Grad der Aufgeklärtheit gemessen werden, den die damaligen Zen-Schüler an den Tag legten. Wenn die Kampfeskunst in Japan tatsächlich als ›höchster Bildungsweg‹ gegolten haben soll, wie es manche Apologeten behaupten, so müssten die Zen-Meister bei den Kriegern in die Schule gegangen sein, statt umgekehrt.
Die in Japan lange währende Vorherrschaft der Kriegerkaste war in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft eine Ausnahmeerscheinung, ja eine Anomalie, wie es ihr permanenter Zwist sowohl mit dem japanischen Volk als Ganzes als auch mit den größeren soziopolitischen Idealen Ostasiens beweist. Da dem Kriegsrecht eine Machtbesessenheit zugrunde lag, musste es zwangsläufig gesellschaftliche und philosophische Ideale seinen eigenen Zwecken und Zielen unterordnen, anstatt sich dem Urteil und der Führung derjenigen religiösen und weltanschaulichen Traditionen, welche es aufrechtzuerhalten vorgab, zu beugen.
Thomas Cleary
Das Buch der fünf Ringe
von Miyamoto Musashi
Vorwort
Ich habe die Wissenschaft oder die Kunst des Kämpfens – auch ›Individuelle Schule Zweier Himmel‹1 genannt – viele Jahre lang immer weiter verfeinert. Da ich sie nun zum ersten Mal in Form eines Buches veröffentlichen will, besteige ich den Berg Iwato in der Provinz Higo auf der Insel Kyushu. Ich verbeuge mich vor dem Himmel, zolle Kannon2 Ehrfurcht und wende mein Gesicht dem Buddha zu. Ich bin Shinmen Musashi no Kami, Fujiwara no Genshin, ein Krieger. In der Provinz Harima geboren und nun sechzig Jahre alt. Seit meiner frühen Jugend widme ich mich der Wissenschaft der Kampfeskunst. Meinen ersten Zweikampf focht ich mit dreizehn Jahren. Ich besiegte meinen Gegner, einen Kämpfer namens Arima Kihei von der Neuen Schule der Genauigkeit. Mit sechzehn Jahren überwand ich einen starken Kämpfer namens Akiyama aus der Provinz T’ajima. Mit einundzwanzig Jahren begab ich mich in die Hauptstadt und lernte Kämpfer aus dem ganzen Land kennen. Obwohl ich äußerst viele Zweikämpfe austrug, blieb ich immer Sieger.