Das einzig wahre Baby-Handbuch - Emily Oster - E-Book

Das einzig wahre Baby-Handbuch E-Book

Emily Oster

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Beschreibung

Frischgebackenen Eltern werden mit einer Vielzahl von gut gemeinten Ratschlägen bombardiert, sei es von Ärzten, Freunden oder im Netz. Von Anfang an müssen sie die richtigen Entscheidungen treffen rund um Füttern, Schlaf und Timing – sonst ist das Kind direkt verloren … Doch wie soll man dazu trotz chronischen Schlafmangels in der Lage sein? Mit den neuesten Zahlen und Daten zu allen wichtigen Fragen der ersten vier Lebensjahre zeigt Emily Oster, dass die gängigen Weisheiten nicht immer wahr sind. Sie entlarvt Mythen über Stillen, Schlaftraining und Spracherwerb und zeigt, was wirklich gilt.

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Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Kunstmann

 

© Emily Oster 2019Titel der englischen Originalausgabe: »Cribsheet. A Data-Driven Guide to Better, More Relaxed Parenting, from Birth to Preschool«, erschienen bei Penguin Random House, New York© der deutschsprachigen Ausgabe:Piper Verlag GmbH, München 2020Covergestaltung: FAVORITBUERO, MünchenCovermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

 

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Für Penelope und Finn

Inhalt

Cover & Impressum

Fakten und Vorlieben – eine Einführung

TEIL 1: Aller Anfang ist schwer

1. Die ersten drei Tage

Das Erwartbare

Das Unerwartete

Noch mal kurz zurück in den Kreißsaal

2. Moment mal, ich soll es mit nach Hause nehmen?

Pucken

Koliken und Schreien

Die Datensammelwut

Krankheitskeime

3. Glauben Sie mir, die Baumwollslips sind super!

Im Kreißsaal

In der Klinik und danach

Sport und Sex

Psychische Probleme: Postpartale Depressionen, Angsterkrankungen und Psychosen

TEIL 2: Das erste Jahr

4. Stillen ist besser? Das Beste? Oder egal?

Kurz erklärt: Verschiedene Forschungsmethoden

5. Stillen: eine Anleitung

Allgemeine Maßnahmen

Das Anlegen

Saugverwirrung

Die Milchmenge

Stillen und Ernährung

Das Abpumpen

6. Schlafposition und Schlafort

Plötzlicher Kindstod (SIDS): Risikoabschätzung

Empfehlung 1: auf dem Rücken schlafen

Empfehlung 2: allein im eigenen Bett

Empfehlung 3: schlafen im Elternschlafzimmer

Empfehlung 4: nichts Weiches

Die Entscheidung treffen

7. Ein Stundenplan fürs Baby?

8. Impfen? Ja, bitte!

Der Hintergrund

Impfsicherheit

Die Wirksamkeit von Impfungen

Verschiebung des empfohlenen Impfzeitpunkts

9. Zu Hause bleiben oder arbeiten gehen?

Wie Sie Ihre Entscheidung strukturieren

Berufstätigkeit der Eltern und ihre Auswirkungen auf die Kinder

Die Babypause: Mutterschutz und Elternzeit

Die Finanzierung

Wie Sie die Entscheidung treffen

10. Wer kümmert sich ums Kind?

Die Krippe

Andere Optionen

Krippe oder was anderes?

11. Schlaftraining pro und kontra

Funktioniert Schlaftraining?

Die Vorteile

Ist »Schreienlassen« schädlich?

Wann und mit welcher Methode?

Eine Bemerkung zum Schlafen tagsüber

Wie ich es gehandhabt habe

12. Die Milch macht’s nicht allein: die Beikosteinführung

Was soll mein Kind essen?

Allergien

Wovon einem sonst noch abgeraten wird

Vitaminpräparate

TEIL 3: Vom Säugling zum Kleinkind

13. Läuft es schon? Meilensteine der körperlichen Entwicklung

Krankheiten

14. Bildschirmzeit: Lernen oder Glotzen

Vom Bildschirm lernen

Dauerglotzen

Ein Plädoyer für die Bayes-Statistik

15. Sag mal: Mama – Die sprachliche Entwicklung

Der Wortschatz

Spielt das überhaupt eine Rolle?

16. Weg mit der Windel: Viele Wege führen zum Klo

Die Methoden

Probleme und Nebenaspekte

»Elimination Communication«

17. Muss Strafe sein? Kindliche Disziplin

18. Kleine Genies: Die frühkindliche Bildung

Vorlesen

Lesen lernen

Noch mal Betreuung: Welcher Kindergarten?

TEIL 4: Trautes Heim, Glück allein?

19. Kinder, Küche, Paarprobleme

Lösungen

20. Wie viele Kinder sind genug?

Die Kinderzahl

Der Abstand

21. Nicht drüber nachdenken! Wie Sie lernen loszulassen

Dank

Literaturtipps

Fakten und Vorlieben – eine Einführung

Als Säuglinge liebten meine beiden Kinder das sogenannte Pucken: Dabei werden Babys zum Schlafen ganz fest in spezielle Tücher gewickelt. Wir hatten dabei eine Lieblingsmarke mit komplexer Verschnürungstechnik, aus der höchstens ein Entfesselungskünstler wie Houdini sich hätte befreien können. Rund neun solcher Pucktücher besaßen wir, weil wir fürchteten, sie könnten uns ausgehen und wir müssten am Ende ein vollgekacktes Tuch benutzen.

Pucken ist großartig und kann Ihrem Baby durchaus beim Einschlafen helfen. Aber es gibt natürlich auch eine Kehrseite: Die Methode ist nicht für die Ewigkeit gedacht. Irgendwann ist Ihr Kind zu groß dafür, dann müssen Sie damit aufhören. Für Eltern, die noch keine Erfahrung damit haben, klingt das vielleicht komisch, aber tatsächlich ist die Entwöhnung vom Pucken gar nicht so einfach.

Unsere Tochter Penelope (Kind Nummer eins) entwickelte sehr schlechte Schlafgewohnheiten, als wir das Tuch wegließen. Danach war sie lange Zeit einer speziellen Babywippe verfallen, die mir heute noch Albträume verursacht. Andere Eltern erzählten mir, dass sie das Netz nach geheimen Quellen für größere Pucktücher durchsucht hätten. Es gibt tatsächlich Frauen, die auf Etsy Pucktücher für 18 Monate alte Kinder anbieten. Bitte beachten Sie: Nur weil irgendwas topsecret auf Etsy angeboten wird, heißt das noch lange nicht, dass es eine gute Idee ist.

Beim zweiten Kind glaubt man, man würde Fehler, die man beim ersten gemacht hat, nicht wiederholen. Als »erfahrene Eltern« werden wir alles, was wir im Nachhinein bedauern, dieses Mal besser hinkriegen … dachte ich. Ganz oben auf meiner Liste stand die Entwöhnung vom Pucken. Diesmal würde ich es richtig machen.

Als Finn (Kind Nummer zwei) vier oder fünf Monate alt war, machte ich einen Plan. Zuerst würde ich Finn ein paar Tage lang wie üblich pucken, aber einen Arm nicht mehr einpacken. Dann, nach ein paar Tagen, wenn er sich daran gewöhnt hätte, würde ich auch den zweiten Arm draußen lassen. Dann die Beine. Und ihm schließlich das Pucktuch ganz wegnehmen. Das Internet versprach mir, wir würden so vom Pucken loskommen, ohne dass zugleich (hart erkämpfte) Schlafgewohnheiten flöten gingen.

Ich war bereit. Ich strich einen Tag im Kalender an und sagte auch meinem Mann Jesse Bescheid. Dann fiel an einem extrem heißen Tag kurz vor dem festgelegten Termin der Strom und damit auch die Klimaanlage aus. Als wir uns der Schlafenszeit näherten, hatte es in Finns Kinderzimmer 35 Grad. Ich wurde panisch. Wenn man Finn vorschriftsmäßig in sein Tuch einwickelte, waren das zig Stoffschichten: Darin würde er regelrecht weich gekocht. Sollte ich ihn in der Hoffnung, der Strom würde wieder anspringen, noch wach halten? Das konnte auch Tage dauern. Sollte ich ihn pucken und in Kauf nehmen, dass er schwitzte? Das schien mir unverantwortlich und gemein. Sollte ich ihn einfach im Arm halten, während er schlief, und überhaupt nicht in seine Wiege legen, bis es wieder kühler war? Auch das könnte sehr heiß werden, und aus Erfahrung wusste ich, dass er in meinen Armen nicht lange schlief.

Ich verzichtete auf meinen ausgeklügelten Plan und legte ihn mit Windel und Strampler ins Bett. Kein Pucken. Während ich ihn schweißgebadet in den Schlaf wiegte, versuchte ich mich zu rechtfertigen: »Finn, es tut mir leid, aber es ist so heiß. Wir können dich nicht pucken. Aber mach dir keine Sorgen, du kannst trotzdem schlafen. Ich weiß, dass du das kannst. So kannst du an deinen Fingern lutschen, ist das nicht schön?« Ich schenkte ihm ein breites Lächeln und verließ das Zimmer. Ich war auf das Schlimmste gefasst. Penelope hätte geschrien wie am Spieß. Finn dagegen gluckste kurz überrascht vor sich hin und schlief ein.

Nach einer Stunde hatten wir dann wieder Strom. Doch da schlief Finn bereits. Ich fragte Jesse, ob ich vielleicht jetzt reingehen und ihn pucken sollte, aber Jesse meinte, ich sei wohl verrückt, und steckte die Pucktücher in den Sack für die Altkleidersammlung.

Nachts lag ich wach und überlegte, ob Finn gerade schlechter schlief als sonst und ob ich die Tücher wieder aus dem Sack fischen und ihn einwickeln sollte. Ich war versucht, mich an den Computer zu setzen und nach Geschichten zu suchen, wonach das Pucken für Rückschritte bei den Schlafgewohnheiten verantwortlich war oder eben gerade nicht. Doch letztlich war mir einfach zu heiß dafür, und das Pucken hatte ein Ende.

Eltern wollen natürlich unbedingt das Richtige tun und für ihr Kind immer die beste Entscheidung treffen. Das ist aus meiner Sicht aber schlicht unmöglich. Ständig tauchen Fragen auf, mit denen man nie gerechnet hätte – auch beim zweiten Kind, vermutlich sogar beim fünften. Weil die Welt und Ihr Kind immer neue Überraschungen für Sie bereithalten, ist es verdammt schwer, sich nicht dauernd verunsichern zu lassen, selbst wenn es sich nur um unwichtigen Kleinkram handelt.

Die Pucktuch-Entwöhnung ist natürlich nur eine Nebenepisode, doch sie illustriert eines der großen Themen des Elterndaseins: Man hat viel weniger Kontrolle, als man glaubt. Nun fragen Sie sich vielleicht, warum ich dieser Einsicht zum Trotz einen Erziehungsratgeber für die ersten Jahre verfasst habe. Meine Antwort lautet: Auch wenn Sie keine Kontrolle haben, so haben Sie doch in vielerlei Hinsicht die Freiheit, Entscheidungen zu treffen, und diese Entscheidungen sind wichtig. Das Problem ist nur, dass Erziehungsfragen selten in einer Atmosphäre diskutiert werden, die autonome Entscheidungen der Eltern fördert.

Doch das geht auch anders, und überraschenderweise können Zahlen und Fakten dabei außerordentlich hilfreich sein. Mit diesem Buch möchte ich Ihre Sorgen und Nöte in den ersten Lebensjahren Ihrer Kinder reduzieren, indem ich Sie mit validen Informationen versorge. Außerdem möchte ich Sie mit einer Methode vertraut machen, die Ihnen hilft, für Ihre Familie die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das einzig wahre Baby-Handbuch soll grundlegende Fakten und Hinweise zu allen wichtigen Fragen liefern, mit denen Eltern in den ersten drei Lebensjahren ihrer Kinder konfrontiert werden – Informationen, die meiner Erfahrung nach gar nicht so leicht zu bekommen sind.

Die meisten von uns bekommen später Kinder als die eigenen Eltern. Wir haben dann – anders als vorherige Generationen – oft schon eine Weile ein selbstständiges Erwachsenenleben geführt. Das ist nicht nur eine nackte demografische Tatsache, es bedeutet auch, dass wir an Autonomie gewöhnt sind und dank technischem Fortschritt auch daran, für unsere Entscheidungen nahezu unbegrenzt an Informationen zu gelangen.

So würden wir auch gern an die Erziehung unserer Kinder herangehen. Es sind aber so viele Entscheidungen zu treffen, dass wir die Menge an Informationen dazu oft kaum noch verarbeiten können. Vor allem anfangs scheinen wir jeden Tag vor einer neuen Herausforderung zu stehen, und wenn man Rat sucht, bekommt man zig verschiedene Ansichten zu hören. Alle um einen herum sind offenbar Experten, nur man selbst nicht. Das ist ziemlich entmutigend – gar nicht zu reden von der Erschöpfung nach der Geburt und diesem neuen kleinen Wesen im Haus, das die Brust nicht nehmen will, nicht schläft und/oder die ganze Zeit schreit. Atmen Sie erst mal tief durch.

Es gilt viele wichtige Entscheidungen zu treffen: Stillen oder nicht stillen? Wie sieht es mit Schlaftraining aus und nach welcher Methode? Wie vermeidet man Allergien? Die einen sagen, man soll einem Baby um Himmels willen keine Erdnüsse geben, die anderen, am besten so früh wie möglich. Was stimmt denn nun? Impfen oder nicht, und wenn ja, wann? Und nebenbei stellen sich noch ein paar weniger wichtige Fragen: Ist Pucken wirklich gut? Und braucht mein Baby einen festen Tagesrhythmus?

Wenn das Kind größer wird, hören die Probleme nicht auf: Kaum hat sich ein halbwegs verlässlicher Schlaf- und Essrhythmus eingestellt, kommt der erste Trotzanfall. Was soll man denn dann tun? Das Kind bestrafen? Wie? Oder hilft ein Exorzismus? Manchmal hat es fast den Anschein.

Hin und wieder brauchen Sie einfach eine Pause. Ist es in Ordnung, Ihr Kind dann kurz vor dem Fernseher zu parken? Vielleicht haben Sie ja irgendwo im Internet gelesen, dass aus Kindern, die fernsehen, Serienmörder werden. Sie erinnern sich zwar nicht mehr an die Details, doch man will ja nichts riskieren. Aber ein paar Minuten Ruhe wären sooo schön …

Und über all diesen Problemen schwebt ständig die Frage: »Ist mein Kind normal?« Im Alter von ein paar Wochen bedeutet »normal«, ob es genug pinkelt, zu viel schreit und ausreichend zunimmt. Anschließend geht es darum, wie viel es schläft, ob es sich umdrehen kann und schon lächelt. Noch später, ob es krabbelt oder läuft und wann es rennt. Spricht es schon? Kennt es genügend Wörter?

Woher kriegen wir Antworten auf all diese Fragen? Woher sollen wir wissen, ob wir auch »richtig« erziehen? Geht das überhaupt? Kinderärztinnen und -ärzte können hilfreich sein, aber sie konzentrieren sich (zu Recht) vor allem auf die medizinischen Aspekte. Als meine Tochter mit 15 Monaten noch kein Interesse am Laufen zeigte, erklärte mir die Ärztin nüchtern, wenn das mit 18 Monaten immer noch so wäre, müsste man Penelope auf Entwicklungsverzögerungen untersuchen. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob ein Kind in seiner Entwicklung so weit zurück ist, dass es Frühförderung braucht, oder ob es nur ein bisschen langsamer ist als der Durchschnitt. Und es sagt auch nichts darüber aus, ob es negative Folgen hat, wenn bestimmte Meilensteine später erreicht werden.

Und abgesehen davon ist Ihr Kinderarzt schlicht und einfach nicht immer da. Es ist drei Uhr morgens, und Ihr drei Wochen altes Baby will nur einschlafen, wenn Sie direkt danebenliegen – ist es dann okay, es mit in Ihr Bett zu nehmen? Heutzutage stellt man derartige Fragen gerne dem Internet. Sie sind völlig übernächtigt, halten Ihr Kind im Arm, während Ihr Partner (der Idiot – ist sowieso alles seine Schuld!) im Bett friedlich vor sich hin schnarcht. Wenn Sie jetzt Websites und Facebook-Posts durchkämmen, sind Sie hinterher vermutlich noch ratloser als zuvor.

Im Internet kursieren jede Menge Meinungen, und einige davon sind von Leuten, denen Sie wahrscheinlich vertrauen würden: Freunde, bloggende Mütter, Menschen, die behaupten, die Forschungslage zu kennen. Trotzdem sagen alle etwas anderes. Die einen finden, es sei geradezu ideal, das Baby im Elternbett schlafen zu lassen, das sei die natürlichste Sache der Welt (solange Sie nicht rauchen oder trinken). Leute, die das problematisch finden, seien einfach nur gestört – sie aber könnten das richtig einschätzen. Andererseits gibt es offizielle Empfehlungen, die entschieden davon abraten, weil das Kind dadurch zu Tode kommen könnte. Ein Baby im Bett der Eltern schlafen zu lassen sei grundsätzlich nicht sicher. Die American Academy of Pediatrics (eine kinderärztliche Fachgesellschaft in den USA, im Folgenden AAP) empfiehlt Ihnen, die Wiege mit Ihrem Kind neben Ihr Bett zu stellen. Das Gleiche legt einem die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) nahe. Aber natürlich wacht das Baby da ständig auf!

Dass solche Empfehlungen nur selten in nüchternem Ton dargeboten werden, macht die Sache noch schlimmer. Sehr häufig habe ich erlebt, wie eine intensive Facebook-Diskussion über Schlaftraining damit endete, dass die Leute sich gegenseitig als schlechte Eltern beschimpften. Wer sein Baby ins Elternbett holt, bekommt dann nicht einfach gesagt, dass das falsch sei, sondern dass so was wirklich nur Leute fertigbringen, die sich einen Dreck um das Wohl ihres Kindes scheren.

Wie soll man mit so vielen widersprüchlichen Informationen entscheiden, was nicht nur gut für das Baby oder einen selbst, sondern gut für die ganze Familie ist? Denn das ist doch die entscheidende Frage, wenn es ums Elternsein geht.

Ich bin Wirtschaftswissenschaftlerin, Professorin mit dem Schwerpunkt Gesundheitsökonomie. Bei meiner Arbeit analysiere ich Daten und versuche, daraus Kausalzusammenhänge abzuleiten. Ich werte diese Daten unter ökonomischen Aspekten aus, bei denen es vor allem um das Verhältnis von Kosten und Nutzen geht – was sinnvolle Entscheidungen ermöglichen soll. Solchen Fragen widme ich mich sowohl in der Forschung als auch in der Lehre. Aber ich versuche, diese Prinzipien auch außerhalb von Arbeit und Unterrichtsraum anzuwenden. Es hilft vermutlich, dass mein Mann Jesse ebenfalls Wirtschaftswissenschaftler ist. Wir haben so schon mal eine gemeinsame Sprache und können in diesem Rahmen Entscheidungen rund um unsere Familie treffen. An unseren Alltag gehen wir oft ökonomisch heran, unsere neue Elternrolle war da keine Ausnahme.

Ein Beispiel: Bevor wir Penelope hatten, kochte ich meistens abends. Mir machte es Spaß, und es war eine gute Methode, um runterzukommen. Wir aßen meist spät, um halb acht oder acht, entspannten uns noch ein bisschen und gingen dann ins Bett.

Nach Penelopes Geburt blieben wir anfangs bei diesem Rhythmus. Doch als sie dann alt genug war, um mit uns gemeinsam zu essen, lief die Sache aus dem Ruder. Sie brauchte um sechs ihr Abendessen, und wir kamen im besten Fall um Viertel vor sechs nach Hause. Wir wollten gemeinsam essen, aber was für ein Essen kriegt man schon in einer Viertelstunde auf den Tisch?

Nach der Arbeit bei null mit dem Kochen anzufangen war also undenkbar. Ich dachte über die anderen Optionen nach: Wir könnten auf dem Weg nach Hause etwas mitnehmen. Wir könnten zwei Mahlzeiten zubereiten: eine schnelle für Penelope und später, wenn sie im Bett war, eine aufwändigere für uns. Zu der Zeit fand ich auch heraus, dass es sogenannte Kochboxen gibt: Man bekommt alle nötigen Zutaten für ein bestimmtes Rezept vorbereitet nach Hause geliefert und muss nur noch kochen – das gibt es sogar als vegetarische Variante. Welches war nun die passende Option für uns?

Wenn man unter ökonomischen Gesichtspunkten an die Sache herangehen will, muss man bei den Zahlen anfangen: Wie teuer sind die Alternativen zum Selbereinkaufen und -kochen? Take-away-Gerichte sind teurer. Unserer Tochter erst Chicken Nuggets zu servieren und danach zu zweit zu essen hätte ähnlich viel gekostet. Die Kochboxen lagen in der Mitte: etwas teurer, als die Zutaten selber einzukaufen, aber günstiger, als fertige Gerichte mit nach Hause zu nehmen.

Aber das war noch nicht alles, denn wir hatten den Wert meiner Zeit noch nicht eingepreist – oder, wie die Ökonomen sagen, die »Opportunitätskosten«. Ich verbrachte etwa 15 bis 30 Minuten täglich, meist morgens, mit der Vorbereitung der Mahlzeiten – die Zeit hätte ich auch anders einsetzen können (zum Beispiel, um mein erstes Buch schneller fertig zu schreiben oder mehr Artikel zu publizieren). Meine Arbeitszeit hatte einen handfesten Wert, den wir in unserer Rechnung nicht ignorieren konnten. Vor diesem Hintergrund war die Kochbox ein guter Deal, und selbst Take-away-Gerichte erschienen vorteilhafter. Der Preisunterschied war nicht so hoch, dass ihn der Wert meiner Arbeitszeit nicht locker wettgemacht hätte. Zwei verschiedene Mahlzeiten zuzubereiten schnitt in dieser Hinsicht extrem schlecht ab: mehr Zeiteinsatz statt weniger.

Aber die Rechnung stimmte immer noch nicht, denn sie ignorierte persönliche Präferenzen. Die Planung und Vorbereitung beim Kochen kann ja auch Spaß machen. Wenn die Freude daran überwiegt, wäre es durchaus sinnvoll, selber zu kochen, selbst wenn die anderen Optionen aus Kostensicht vorteilhafter erschienen. Das hieße (ökonomisch gesehen), ich wäre bereit, für meine Kochentscheidung zu »bezahlen«.

Auch wenn Fertigmahlzeiten wegen der Zeitersparnis das Einfachste wären, schätzen viele Familien es sehr, wenn zu Hause gekocht wird. Und was die Zwei-Mahlzeiten-Option betrifft: Es gibt Eltern, die gerne jeden Abend mit ihren Kindern gemeinsam essen, und andere, die ein getrenntes Kinder- und Erwachsenen-Abendessen vorziehen, weil Letzteres eine gute Gelegenheit ist, sich in Ruhe zu unterhalten und zu entspannen. Wieder andere machen es mal so, mal so.

Entscheidend sind hier die Präferenzen: Zwei Familien mit den gleichen Optionen, dem gleichen Aufwand an Zeit und Kosten, können zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, weil sie unterschiedliche Präferenzen haben. Eine ökonomische Herangehensweise nimmt Ihnen die Entscheidung nicht ab, sie hilft Ihnen nur, den Entscheidungsprozess zu strukturieren. Sie führt dazu, dass Sie sich fragen, wie sehr Sie das Selberkochen mögen müssen, damit es die richtige Entscheidung für Sie ist.

Wir jedenfalls wollten mit Penelope zusammen essen, und die verfügbaren Take-away-Optionen sagten uns nicht zu. Ich entschied, dass ich zwar gerne kochte, aber doch nicht so gerne, dass ich mich von Anfang bis Ende selber darum kümmern wollte, weswegen wir die vegetarische Kochbox testeten (nicht schlecht, nur ein bisschen viel Grünkohl).

Dieses Beispiel den Haushalt betreffend mag Ihnen weit entfernt von einer Entscheidung für oder gegen das Stillen vorkommen, aber vom Entscheidungsprozess her ist der Unterschied gar nicht so groß. Sie benötigen Daten (in diesem Fall valide Informationen zu den Vorzügen des Stillens), Sie müssen aber auch über familiäre Präferenzen nachdenken.

Als ich Penelope erwartete, habe ich diese Prinzipien auf die Schwangerschaft angewandt. Ich schrieb Das einzig wahre Schwangerschafts-Handbuch, in dem ich die vielen Gebote und Verbote für diese neun Monate unter die Lupe nahm und die dahinterstehende Forschung auswertete.

Als Penelope dann auf der Welt war, hörte es mit den Entscheidungen nicht auf – es wurde eher noch schwieriger. Ich musste es nun mit einem richtigen Menschen aufnehmen, und bereits als Baby hatte meine Tochter eine eigene Meinung. Eltern wollen natürlich, dass ihre Kinder rund um die Uhr glücklich und zufrieden sind! Aber diesen Wunsch hat man mit dem Wissen in Einklang zu bringen, dass man in ihrem Sinne manchmal auch harte Entscheidungen treffen muss.

Nehmen wir beispielsweise Penelopes innige Verbundenheit mit ihrer Babywippe. Nachdem wir mit dem Pucken aufgehört hatten, war die zu ihrem Lieblingsschlafplatz geworden. Das war im besten Fall unpraktisch, weil wir das Ding monatelang überallhin mitschleppten, auch in einen leicht verunglückten Spanienurlaub – im schlimmsten Fall aber riskierten wir damit einen platten Hinterkopf.

Um die Wippe loszuwerden, mussten jedoch nicht nur wir, sondern auch unsere Tochter mitspielen. Als wir beschlossen, dass nun Schluss damit wäre, schlief sie einen ganzen Tag lang gar nicht, war daraufhin extrem unleidlich und trieb uns zur Verzweiflung. Die Runde ging an sie, am nächsten Tag lag sie wieder in ihrer geliebten Wippe – die wir später gezwungenermaßen abschaffen mussten, als Penelope das zulässige Körpergewicht überschritt.

Nun könnte man sagen, dass wir zu nachgiebig waren. Tatsächlich bewerteten wir unseren Familienfrieden höher als die Notwendigkeit, Penelope genau zu dem von den Ratgebern vorgegebenen Zeitpunkt an ihr Kinderbett zu gewöhnen. Es gibt rote Linien, die man bei kleinen Kindern nicht überschreiten sollte, aber viel häufiger gibt es Grauzonen. Indem man nach Kosten und Nutzen fragt, kann man auch den Druck von einer Entscheidung nehmen.

Wie schon während meiner Schwangerschaft half es mir auch in diesen Fällen, bei den Daten und Fakten anzufangen. Zu den meisten wichtigen Entscheidungen – Stillen, Schlaftraining, Allergien – lagen wissenschaftliche Studien vor, auch wenn diese natürlich nicht alle wirklich gut waren.

Nehmen wir das Stillen: Es fällt vielen Frauen schwer, gleichzeitig werden die Vorzüge überall betont. Inzwischen wird es als absolutes Muss dargestellt – von der Medizin und im Internet, von Familie und Freunden ganz zu schweigen. Doch sind all diese Vorzüge tatsächlich vorhanden? Diese Frage ist in Wahrheit gar nicht so leicht zu beantworten.

Das Ziel aller Untersuchungen zum Stillen ist, herauszufinden, ob sich gestillte Kinder später im Leben von den nicht gestillten unterscheiden: Sind sie gesünder und/oder intelligenter? Das Hauptproblem der Forschung wiederum besteht darin, dass Frauen sich nicht völlig zufällig für oder gegen das Stillen entscheiden. Tatsächlich denken die meisten gründlich darüber nach, und diejenigen, die sich dafür entscheiden, sind anders als diejenigen, die sich dagegen entscheiden. Zieht man die neuesten US-Zahlen heran, ist das Stillen bei Frauen mit höherer Bildung und höherem Einkommen verbreiteter.

Das liegt einerseits daran, dass diese Frauen sich Unterstützung leichter leisten können, zum Beispiel in dem sie eine Stillberaterin engagieren. Andererseits ist ihnen möglicherweise stärker bewusst, wie wichtig das Stillen für die Gesundheit und Entwicklung ihres Kindes ist. Was immer auch die Gründe sein mögen, es bleibt eine Tatsache.

Zugleich stellt es bei der Auswertung der Daten ein Problem dar. Studien haben immer wieder nachgewiesen, dass gestillte Kinder besser abschneiden: Sie sind unter anderem besser in der Schule und seltener übergewichtig. Doch genau diese Aspekte stehen auch mit dem Bildungsgrad der Mutter, ihrem Einkommen und ihrem Familienstand in Verbindung. Woher soll man wissen, ob es tatsächlich das Stillen oder all die anderen Faktoren sind, die für bessere Schulleistungen und weniger Übergewicht verantwortlich sind? Eine Antwort lautet: Manche der Daten sind besser als andere.

Ich setzte für diese Entscheidungen meine wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz ein, vor allem, wenn es darum ging, gute von schlechten Studien zu unterscheiden, um aus den Daten fundierte Kausalzusammenhänge abzuleiten. Die Frage nach der Kausalität ist nicht ganz einfach zu beantworten. Manchmal sieht es so aus, als ob zwei Dinge ganz eng miteinander verknüpft sind, doch wenn man sie genauer unter die Lupe nimmt, haben sie rein gar nichts miteinander zu tun. So wurde zum Beispiel herausgefunden, dass Menschen, die eine bestimmte Sorte Energieriegel kaufen, gesünder sind als andere. Das liegt aber vermutlich gar nicht an den Riegeln, sondern daran, dass diese Leute ganz allgemein eine Menge gesunder Verhaltensweisen an den Tag legen. Ich suchte also zuallererst unter den vielen Hundert Studien zum Stillen die heraus, die die schlüssigsten Daten liefern. Dabei schienen die besten Studien manchmal tatsächlich einen Zusammenhang zu belegen: So reduziert das Stillen offenbar durchweg den kindlichen Durchfall. Bei anderen Aspekten zeigten die gleichen Untersuchungen jedoch keinen Effekt: Die Belege dafür, dass Stillen den IQ entscheidend verbessert, sind beispielsweise viel schwächer.

Im Fall des Stillens gibt es durchaus verlässliche Untersuchungen, auch wenn nicht alle wirklich exzellent sind. Doch das trifft nicht auf alle Fragen zu. Als meine Kinder ein bisschen größer waren und ich mich fragte, ob und wie sich Fernsehen (oder ganz allgemein Zeit vor dem Bildschirm) auf sie auswirkte, fand ich enttäuschend wenig Datenmaterial, das mir Auskunft geben konnte. Apps, mit denen Dreijährige Buchstaben lernen, sind einfach noch nicht lange genug auf dem Markt. Es kann dazu noch keine umfangreiche Forschung geben.

Manche Fragen sind auch einfach nicht durch Zahlen zu beantworten. Manchmal ist das frustrierend, aber es kann durchaus auch tröstlich sein. Wenn man sich damit auseinandersetzt, weiß man wenigstens über die vorhandenen Unwägbarkeiten Bescheid.

Wie bei meinem Beispiel mit dem Kochen sind auch hier die Zahlen nur ein Teil der Lösung. Man kann also an der Stelle noch nicht aufhören. Nach einem Blick auf die Zahlen traf ich eine bestimmte Entscheidung – andere Menschen könnten aufgrund derselben Zahlen zu ganz anderen Ergebnissen kommen, denn die persönlichen Präferenzen sind genauso Teil der Entscheidungsgrundlage. Wenn Sie eine Entscheidung zum Stillen treffen möchten, ist es gut, über dessen Nutzen Bescheid zu wissen, aber Sie müssen sich auch mit den »Kosten« auseinandersetzen: Vielleicht finden Sie Stillen einfach schrecklich. Vielleicht möchten Sie wieder anfangen zu arbeiten und hassen das Abpumpen. Das sind Gründe gegen das Stillen. Viel zu häufig wird über den Nutzen nachgedacht, ohne die Kosten in Betracht zu ziehen. Man kann einen Nutzen auch überschätzen, während die Kosten beträchtlich sein können.

Wichtig: Beim Nachdenken über Präferenzen sollten neben dem Kind auch seine Eltern einbezogen werden. Wenn Sie sich über die ideale Betreuung für Ihr Kind Gedanken machen (selber zu Hause bleiben? Krippe? Tagesmutter?), helfen vielleicht die Daten, aber entscheidend ist, was in Ihrer Familie funktioniert. Ich persönlich wollte jedenfalls unbedingt wieder arbeiten. Vielleicht wäre es meinen Kindern lieber gewesen, wenn ich zu Hause geblieben wäre (was ich bezweifle), aber zu mir hätte das nicht gepasst. Ich besorgte mir ein bisschen Forschungsmaterial dazu, aber letztlich spielten meine Präferenzen die wesentliche Rolle. Ich traf eine informierte Entscheidung, aber auch eine, die für mich die richtige war.

Sich einzugestehen, dass die Wünsche und Bedürfnisse der Eltern in alle Entscheidungen hineinspielen, fällt oft gar nicht so leicht. Ich glaube, das ist eine der Ursachen für die vielen heftigen Debatten rund um die richtige Kindererziehung. Wir alle möchten gute Eltern sein. Wir möchten die richtigen Entscheidungen treffen, und wenn wir sie getroffen haben, erliegen wir der Versuchung, sie zum Optimum zu erklären. In der Psychologie bezeichnet man das als Vermeidung kognitiver Dissonanzen. Wenn ich mich gegen das Stillen entschieden habe, möchte ich ungern eingestehen, dass es auch ein paar Vorteile haben könnte. Also verschanze ich mich hinter der Position, dass es Zeitverschwendung ist. Wenn ich hingegen zwei Jahre damit verbracht habe, alle drei Stunden meine Brüste aus dem T-Shirt zu fummeln, will ich auch unbedingt glauben, dass dies absolut nötig war, um meinem Kind eine erfolgreiche Zukunft zu ermöglichen.

Diese Haltung ist zutiefst menschlich, aber zugleich auch sehr kontraproduktiv. Nur weil Ihre Entscheidungen für Sie persönlich goldrichtig waren, muss das nicht notwendigerweise auf andere zutreffen. Warum das so ist? Weil Sie nicht die anderen sind! Ihre Lebensumstände, Ihre Präferenzen sind andere. Ökonomisch ausgedrückt: Ihre Nebenbedingungen unterscheiden sich.

Wenn es in den Wirtschaftswissenschaften um »optimale Entscheidungen« geht, betrachten wir Problemlösung immer als eine sogenannte »Optimierung unter Nebenbedingungen«. Ein Beispiel: Sally mag Äpfel und Bananen. Nehmen wir an, Äpfel kosten drei Euro das Kilo, Bananen fünf Euro. Bevor wir fragen, wie viele Sally kauft, geben wir ihr ein Budget vor. Das ist ihre »Nebenbedingung«. Sonst würde sie unendlich viele Äpfel und Bananen kaufen (in der Ökonomie geht man grundsätzlich davon aus, dass Menschen immer mehr wollen).

Wenn wir Entscheidungen in Erziehungsfragen treffen, gelten ebenso Nebenbedingungen: Geld, aber auch unsere Zeit und Energie. Ausgeschlafensein fällt nicht vom Himmel. Wenn Sie zu wenig schlafen, geht Ihnen ein Teil des Nutzens, den Sie aus dem Schlaf ziehen, verloren. Die Zeit, die Sie während der Arbeit mit dem Abpumpen von Milch verbringen, könnten Sie besser nutzen. Darüber werden Sie nachdenken und dann eine für Sie sinnvolle Entscheidung treffen. Wer jedoch mit weniger Schlaf auskommt oder die Gelegenheit hat, öfter ein Nickerchen zu machen, oder wer gleichzeitig abpumpen und arbeiten kann, wird vielleicht eine andere Entscheidung treffen. Kinder großzuziehen ist schon schwer genug – nehmen wir also den Druck aus den vielen Erziehungsentscheidungen.

Dieses Buch wird Ihnen nicht sagen, welche Wahl Sie für Ihre Kinder treffen sollen. Stattdessen möchte ich Sie mit dem nötigen Datenmaterial und einem Entscheidungsrahmen ausstatten. Daten und Fakten sind für uns alle dieselben, aber die Entscheidung trifft jede für sich.

Wenn Sie sich mit den großen Fragen der ersten Lebensjahre Ihres Kindes beschäftigen, werden Sie von einigen Forschungsergebnissen – vom Schlaftraining bis zur vertretbaren Bildschirmzeit – vielleicht überrascht sein. Es kann manchmal schon ziemlich beruhigend sein, einfach die Zahlen auf sich wirken zu lassen. Vielleicht hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass es in Ordnung sei, Ihr Kind schreien zu lassen, bis es einschläft, aber vielleicht würde es Ihnen besser gehen, wenn Sie anhand der Forschungsergebnisse selbst feststellen könnten, dass das stimmt.

Als ich Das einzig wahre Schwangerschafts-Handbuchschrieb, gab es jede Menge Zahlen: zum Koffeinkonsum, zu Alkohol, zur Pränataldiagnostik und zur PDA. Auch bei diesen Themen spielten Präferenzen eine wichtige Rolle, aber in den meisten Fällen war zumindest die Forschungslage eindeutig (Bettruhe zum Beispiel ist völlig kontraproduktiv). Im Vergleich dazu gibt es in diesem Buch weniger Themen, bei denen die nackten Fakten ganz klar vorgeben, was Sie tun und was Sie lassen sollten. Die Präferenzen Ihrer Familie werden eine viel zentralere Rolle spielen. Was nicht heißt, dass Daten nicht hilfreich wären – das sind sie sogar sehr häufig! Doch die Entscheidungen, die auf ihrer Grundlage zu treffen sind, werden noch vielfältiger ausfallen als bei Fragen rund um die Schwangerschaft.

Das einzig wahre Baby-Handbuch beginnt im Kreißsaal. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit (häufig medizinischen) Fragen, die sich sehr früh stellen (zum Beispiel Neugeborenen-Screenings oder Gewichtsverlust des Säuglings). Ich widme mich auch den ersten Wochen zu Hause: Sollten Sie pucken? Jegliche Keimbelastung meiden? Möglichst viele Daten zu Ihrem Baby sammeln? Es wird darüber hinaus auch um die körperliche Erholung der Mutter und eventuelle psychische Probleme nach der Geburt gehen.

Im zweiten Teil dreht sich alles um die großen Fragen der ersten Monate: das Stillen (Soll ich? Und wie funktioniert’s?), Impfungen, die richtige Schlafposition, Schlaftraining, Berufstätigkeit, Kinderbetreuung – das sind zugleich die Themen der Mommy Wars, um die hochemotionale und ideologische Debatten kreisen.

Der dritte Teil widmet sich (zumindest ausschnittweise) dem Übergang vom Baby zum Kleinkind: pro und contra Fernsehen, Topftraining und Sauberwerden, Disziplin und anderes mehr. Ich liefere Daten zu der Frage, wann Kinder laufen, rennen und sprechen lernen (und ob der Zeitpunkt wirklich eine Rolle spielt).

Im vierten und letzten Teil geht es um die Eltern. Wenn ein Baby kommt, wird man automatisch zu Eltern, und das verändert eine Menge. Ich werde mich mit den Auswirkungen des Elterndaseins auf die Partnerschaft beschäftigen und ob und wann man weitere Kinder bekommen sollte.

Klar, dass Eltern ständig jede Menge Ratschläge zu hören bekommen, aber selten wird dazu eine gute Begründung geliefert beziehungsweise erklärt, wie gesichert bestimmte Aussagen überhaupt sind. Ohne Begründungen und Erklärungen nimmt man Menschen die Möglichkeit, unter Einbeziehung ihrer Präferenzen selbst zu entscheiden. Aber Eltern sind auch Menschen, und sie haben Besseres verdient. Mit meinem Buch spreche ich mich also nicht gegen irgendwelche konkreten Empfehlungen und Ratschläge aus, sondern gegen die schlechte Angewohnheit, sie ohne stichhaltige Begründung zu liefern. Ausgerüstet mit Fakten und einem sinnvollen Entscheidungsrahmen können Sie für Ihre Familie die richtige Wahl treffen. Und wenn Sie mit Ihrer Wahl glücklich sind, dann sind Sie auf dem besten Weg, glückliche und entspannte Eltern zu werden – und bekommen hoffentlich auch ein bisschen mehr Schlaf.

TEIL 1 Aller Anfang ist schwer

 

Vielleicht verläuft die Geburt Ihres Kindes genau nach Ihren Vorstellungen. Vielleicht bricht aber auch, wie eine meiner Kolleginnen es ausdrückte, »gegen Ende das Chaos aus«. Aber egal wie es letztendlich läuft, ein paar Stunden später werden Sie sich (sofern Sie in einer Klinik entbunden haben) in einem Krankenzimmer wiederfinden. Dieser Raum wird sich vom Kreißsaal oder Entbindungszimmer gar nicht so sehr unterscheiden, nur dass sich darin jetzt eine Person mehr befindet.

Man kann kaum überschätzen, wie sehr sich die Zeit vor der Geburt von der danach unterscheidet, vor allem, wenn es sich um das erste Kind handelt. Als Penelope zur Welt kam, verbrachten wir ein paar Tage im Krankenhaus. Ich trug einen Bademantel, hielt mein Kind im Arm, versuchte, es zu stillen, und während ich darauf wartete, dass es mir von diversen Untersuchungen zurückgebracht wurde, begann ich, ganz vorsichtig wieder herumzulaufen. Ich habe einige wenige präzise und spezifische Erinnerungen an diese Zeit: Jane und Dave kamen mit einem violetten Plüschbären vorbei, Aude brachte mir ein Baguette – aber insgesamt erscheint mir alles verschwommen wie ein Traum.

Über Penelopes erste Lebenstage notierte Jesse unter anderem: »Emily glotzt ununterbrochen unser Baby an.« Er hatte recht: Selbst als ich zu schlafen versuchte, hatte ich ihr Bild vor meinen geschlossenen Augen.

An die ersten Stunden und Tage in der Klinik und die ersten Wochen zu Hause hat man häufig nur sehr vage Erinnerungen. (Vielleicht liegt das am Schlafentzug.) Man hat kaum Kontakt zu anderen Menschen (außer man bekommt unwillkommenen Verwandtenbesuch), man verlässt das Haus wenig, man schläft und isst nicht ausreichend, und außerdem ist da plötzlich ein sehr anspruchsvoller kleiner Mensch, der vorher nicht da war. Ein echter Mensch! Ein Wesen, das später mal ein Auto fahren und einen Job haben und einem vorwerfen wird, man habe ihm das Leben ruiniert, weil man es nicht mit anderen Jungs und Mädels zusammen bei Freunden übernachten ließ, wo doch alle anderen durften!

Aber während Sie rund um die Uhr Ihr Kind bewundern oder über den Sinn des Lebens nachdenken, könnten Ihnen ein paar Dinge in die Quere kommen, die Ihnen Entscheidungen abverlangen. Besser, Sie machen sich vorher darüber Gedanken, denn die Tage nach der Geburt Ihres Kindes werden nicht gerade zu Ihren hellsten Momenten gehören. Es ist vielmehr eine sehr verwirrende Phase, wozu noch die vielen sich widersprechenden Ratschläge beitragen, die Sie von professioneller Seite, von Familie und Freunden und aus dem Internet bekommen.

Im ersten Kapitel dieses Teils werden Fragen abgehandelt, die sich im Krankenhaus stellen könnten – beispielsweise zu bestimmten Behandlungen oder zu auftretenden Komplikationen. Im zweiten Kapitel geht es dann um die ersten Wochen zu Hause.

Es gibt rund um Ihr Baby viele wichtige Entscheidungen zu treffen (Stillen, Impfungen, Schlafplatz …), über die Sie sich vermutlich frühzeitig (in manchen Fällen vor der Geburt) Gedanken machen möchten. Doch da diese einen größeren Zeitraum als die ersten Wochen betreffen, habe ich sie für Teil 2 aufgehoben.

1. Die ersten drei Tage

Nach einer Vaginalgeburt verbringen Sie vermutlich zwei oder drei Tage in der Klinik. Nach einem Kaiserschnitt oder einer Geburt mit Komplikationen sind es vielleicht ein paar Tage mehr. Früher lagen Frauen eine Woche oder zehn Tage im Krankenhaus, um sich von der Geburt zu erholen, aber die Zeiten sind definitiv vorbei. In den USA sind die Krankenversicherungen derart knallhart, dass eine meiner Freundinnen allen Frauen nahelegt, besser erst nach Mitternacht zu entbinden, um noch eine weitere Übernachtung bezahlt zu bekommen. (Das setzt allerdings ein Ausmaß an Kontrolle voraus, über das ich beim besten Willen nicht verfügte, obwohl manche Ärzte einen aus diesem Grund extra spät aufnehmen.) In Deutschland liegt die mittlere Verweildauer im Krankenhaus nach einer Geburt bei 3,1 Tagen, das umfasst in der Regel zwei Nächte. (Sie dürfen, wenn alles in Ordnung ist, natürlich auch schon früher nach Hause.) Länger wird es nur in Ausnahmefällen, denn das Krankenhaus muss dies gegenüber den Krankenkassen rechtfertigen.

Je nach Ihrer Veranlagung (und nach Klinik) kann dieser kurze Aufenthalt ein durchaus angenehmer Start ins Elternleben sein oder auch ein wenig frustrierend. In der Klinik haben Sie den großen Vorteil, dass es Leute gibt, die Sie unterstützen und Ihnen auch zeigen können, wie Sie mit Ihrem Baby umgehen sollen. Zum Beispiel gibt es Stillberaterinnen, wenn Sie stillen möchten, und Krankenschwestern oder Hebammen, die darauf achten, wie stark Ihre Blutungen sind und ob mit dem Baby alles in Ordnung ist.

Der Nachteil besteht darin, dass die Klinik nicht Ihr Zuhause ist. Sie haben nicht Ihre gewohnte Umgebung um sich, die Atmosphäre ist manchmal eher bedrückend und das Essen in der Regel furchtbar. Mit Penelope verbrachte ich die vorgesehenen zwei Tage in einem großen Krankenhaus in Chicago. Aus dieser Phase gibt es von mir nur ein Foto, das aber ist wirklich erschreckend. Jesse fand es lustig, eine Ausgabe der US Weekly neben mein Gesicht zu halten, mit Britney Spears und der Schlagzeile »Mein neues Leben« auf dem Cover. Man kann sagen, dass mein neues Leben mit einem total aufgedunsenen Gesicht begann.

Sie werden in der Zeit wohl vorwiegend rumsitzen, Ihr Baby betrachten und Updates auf Facebook posten. Doch hin und wieder wird jemand hereinkommen und irgendwas mit Ihrem Kind machen wollen. Beispielsweise wird eine riesige Maschine für einen Hörtest hereingeschoben. Man nimmt dem Kind ein paar Tropfen Blut aus der Ferse ab. Und manchmal werden Sie sogar gefragt, was Sie wollen.

Wenn Sie in den USA einen Sohn bekommen, wird Ihnen angeboten, ihn gleich im Krankenhaus zu beschneiden (wie etwa die Hälfte aller US-amerikanischen Jungen, aus teils religiösen, teils medizinischen Gründen). Das ist kein vorgeschriebener Eingriff, sondern eine Entscheidung, die Sie treffen müssen.

Sie können bei solchen Entscheidungen die Ärztinnen und Ärzte um Rat fragen, im Internet nachgucken oder das tun, was Ihre Freunde oder Verwandten getan haben.

Mit meinem Buch möchte ich Ihnen einen strukturierteren Entscheidungsweg vorschlagen. Zuerst bekommen Sie Daten und Fakten. So können Sie völlig unvoreingenommen beurteilen, ob und welche Risiken mit einer bestimmten Behandlung verbunden sind. Welche Vorteile hat sie und wie groß sind die? Manchmal sind die Vorteile verschwindend gering, sodass es wenig Sinn hat, länger darüber nachzudenken. Umgekehrt können mit bestimmten Entscheidungen Risiken verbunden sein, die im Vergleich zu den Gefahren des alltäglichen Lebens winzig klein sind.

Im zweiten Schritt setzen Sie dann diese Fakten in Bezug zu Ihren Präferenzen, das ist ein entscheidender Bestandteil des Entscheidungsprozesses und nicht durch irgendwelche Fakten zu ersetzen. Das ist auch der Grund, warum Sie sich nicht auf die nette Dame im Internet verlassen sollten. Diese Person kennt Ihre Familie nicht, und sie hat auch keine Ahnung, was das Richtige für Ihr Kind ist.

Es ist sinnvoll, alle planbaren Entscheidungen vorher getroffen zu haben. Die erste Zeit im Krankenhaus ist anstrengend und für die Entscheidungsfindung eher weniger geeignet (obwohl – warten Sie mal ab, wie das erst zu Hause sein wird!). Besser, Sie sind vorbereitet und wissen, was auf Sie zukommt, während Sie sich an Ihr »neues Leben« gewöhnen.

Normalerweise läuft alles glatt, und ein paar Tage nach der Entbindung packen Sie Ihr Baby in seinen Kindersitz und machen sich davon. Doch in dieser Phase können auch ein paar der bei Neugeborenen nicht untypischen Gesundheitskomplikationen auftreten (zum Beispiel Gelbsucht oder starker Gewichtsverlust), zu denen Sie sich verhalten müssen. Wenn Sie sich damit vorab auseinandergesetzt haben, können Sie sich aktiver an den nötigen Entscheidungen beteiligen.

Das Erwartbare

Das erste Bad

Wenn das Baby aus Ihnen herauskommt, klebt ziemlich viel Zeug dran. Ich möchte nicht allzu sehr ins Detail gehen, aber ein großer Teil davon ist Blut; außerdem natürlich ein bisschen Fruchtwasser und eine wachsartige Schicht, die sogenannte Käseschmiere, die das Kind im Mutterleib vor Infektionen geschützt hat. Irgendwann wird wahrscheinlich jemand den Vorschlag machen, all das abzuwaschen.

Ich erinnere mich noch, wie eine Krankenschwester versucht hat, uns zu zeigen, wie wir Penelope in einer Babywanne baden können, es war vermutlich am Tag nach ihrer Geburt. Wir schauten uns alles genau an und kamen überein, dass wir das unmöglich schaffen und lieber warten würden, bis unsere Tochter das allein kann. Wir hielten etwa zwei Wochen durch, dann ertrugen wir die Milchreste nicht mehr, die in Penelopes geballten Fäustchen vergammelten. Wir hielten dieses erste Bad in Bildern fest, auf denen ein völlig panischer Säugling zu sehen ist, der uns diese Untat vermutlich noch immer nicht verziehen hat.

Aber ich schweife ab.

Es war früher üblich, das Neugeborene mehr oder weniger in den ersten Minuten nach der Geburt zu baden, teilweise noch bevor es der Mutter übergeben wurde. Aus zwei Gründen ist man inzwischen davon abgekommen. Erstens geht der Trend dahin, sofort Hautkontakt zwischen Mutter und Kind zu ermöglichen (mehr dazu später) und die beiden nach der Geburt ein paar Stunden in Ruhe zu lassen. Einer der Vorteile dieses unmittelbaren Hautkontakts ist offensichtlich die Erleichterung des Stillens. Aus dem Grund wird vermutlich auch das erste Bad um ein paar Stunden hinausgeschoben.[1] Da es kein Argument für das sofortige Bad gibt, ist dies durchaus sinnvoll. Abgesehen davon fürchtet man, das Baby könne durch das Wasser auskühlen, da Neugeborene manchmal Probleme haben, die Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. Das Baden und vor allem, dass sie direkt nach dem Herausnehmen aus dem Wasser nass sind, könnte einen negativen Einfluss haben. Dies allerdings wird von der Datenlage nicht gestützt. Die Studien, die das Baden sofort nach der Geburt auswerteten, können keinen Einfluss auf die Körpertemperatur des Säuglings nachweisen.[2]

Es gibt Hinweise darauf, dass die Körpertemperatur von Babys, die mit einem Waschlappen gewaschen werden, kurzfristig (während des Waschens und unmittelbar danach) stärker schwankt,[3] da sie etwas länger feucht und unbekleidet der Luft ausgesetzt sind. Die Schwankung selbst ist gar nicht so sehr das Problem. Sie kann aber als Symptom einer Infektion fehlinterpretiert werden, was womöglich unnötige medizinische Interventionen nach sich zieht. Aus diesem Grund bevorzugen die meisten Kliniken das Wannenbad.

Baden ist somit kein schrecklicher Fehler, es gibt dafür nur abgesehen vom Ekelfaktor keinen guten Grund. Das Blut und die Schmiere kann man zum großen Teil einfach abwischen. Ich weiß nicht, ob ich das verraten sollte, aber mein Sohn Finn wurde im Krankenhaus überhaupt nicht gebadet, und zu Hause warteten wir die familienüblichen zwei Wochen. Das hat ihm offenbar nicht geschadet, und so wie Finn beim ersten Bad reagierte, ist Jesse nach wie vor der Ansicht, dass es immer noch nicht lange genug war.

Blut- und Hörtests

Die Zeit im Krankenhaus wird unter anderem für mindestens zwei Untersuchungen am Neugeborenen genutzt: ein Blutscreening und einen Hörtest. (Nach einer Hausgeburt oder wenn Sie ambulant entbunden haben, kümmert sich die Kinderärztin oder der Kinderarzt bei der entsprechenden Vorsorgeuntersuchung darum. Das Blutscreening kann unter Umständen auch die Hebamme übernehmen.)

Das Blut wird auf eine große Bandbreite von Erkrankungen untersucht, die meisten davon sind Stoffwechselerkrankungen, die die Verarbeitung bestimmter Eiweiße oder die Enzymproduktion betreffen.

Ein gutes Beispiel und die bei diesem Screening am häufigsten entdeckte Krankheit ist die Phenylketonurie, eine genetische Erkrankung, die bei etwa 1 von 10 000 Kindern vorkommt. Den Betroffenen fehlt ein bestimmtes Enzym, das die Aminosäure Phenylalanin in eine andere Aminosäure zerlegt. Weil Eiweiß sehr viel Phenylalanin enthält, müssen betroffene Menschen auf eine eiweißarme Ernährung achten. Sonst kann sich das Eiweiß im Körper, auch im Gehirn anreichern, was zu schweren Erkrankungen (unter anderem geistiger Behinderung) führen und sogar tödlich sein kann. Eine diagnostizierte Phenylketonurie kann man durch eine entsprechende Diät gut in den Griff bekommen, ihre negativen Folgen lassen sich vermeiden. Wenn sie allerdings nicht gleich nach der Geburt entdeckt wird, kann das Hirn sehr schnell Schaden erleiden, da sowohl Muttermilch als auch Milchpulver durchaus relevante Mengen an Eiweiß enthalten. Das heißt, ohne die frühzeitige Blutuntersuchung würde man die Erkrankung zu spät erkennen.

Aus diesen Gründen ist der Test auf diese und weitere Erkrankungen ausgesprochen wichtig für die Gesundheit Ihres Kindes. Dazu reicht ein kleiner Pikser in die Ferse, der mit keinerlei Risiken verbunden ist. Wenn Ihr Baby von keiner dieser Krankheiten betroffen ist (das mit Abstand wahrscheinlichste Szenario), hören Sie nichts mehr davon.

Das Klinikpersonal wird darüber hinaus auch einen Hörtest durchführen, für den ein großer und komplizierter Apparat vonnöten ist. Manchmal wird dieser ins Zimmer gefahren, manchmal wird der Test auch in einem anderen Raum durchgeführt. Relativ viele Kinder (1 bis 3 von 1000) sind von Gehörschäden betroffen. Inzwischen wird immer größerer Wert darauf gelegt, dies frühzeitig festzustellen, da schnelle Hilfe (durch Hörgeräte oder Implantate) den Spracherwerb erleichtert und spätere Behandlungen häufig überflüssig macht.

Wie Sie sich sicher vorstellen können, läuft ein Hörtest bei einem Neugeborenen anders ab als bei einem Erwachsenen: Säuglinge können die Hand nicht heben, wenn sie einen Pieps hören, und ehrlich gesagt verschlafen die meisten von ihnen die Untersuchung. Daher werden Sensoren oder Ohrsonden eingesetzt, mit denen sich feststellen lässt, ob Mittel- und Innenohr die normalen Reaktionen auf bestimmte Töne zeigen.[4]

Diese Tests erfassen Hörschäden sehr zuverlässig (in 85 bis 100 Prozent der Fälle), liefern aber zugleich auch viele falsch positive Ergebnisse. Es gibt bei diesem Test eine geschätzte »Durchfallquote« von 4 Prozent, während in Wahrheit nur 0,1 bis 0,3 Prozent der Babys tatsächlich Probleme mit dem Hören haben. Die betroffenen Kinder werden in der Regel an ein spezialisiertes Hörzentrum überwiesen, was durchaus sinnvoll ist, da Gehörschäden aus den genannten Gründen unbedingt rechtzeitig diagnostiziert werden sollten. Man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass ein Großteil dieser Kinder in Wahrheit gar keine Hörprobleme hat. Wenn Ihr Kind bei der ersten Runde »durchfällt«, sollten Sie noch im Krankenhaus einen zweiten Versuch durchführen lassen, denn dabei werden viele falsch positive Ergebnisse korrigiert.

Rooming-in

In den ersten Tagen im Krankenhaus werden Sie die meiste Zeit gemeinsam mit Ihrem Baby verbringen. Es stellt sich aber die Frage, ob Sie es wirklich rund um die Uhr bei sich haben wollen. Gebären ist extrem anstrengend, und viele Frauen können sehr schlecht schlafen, wenn ihr Kind sich im gleichen Zimmer befindet. In früheren Zeiten wurde auf den Wöchnerinnenstationen Wert darauf gelegt, Frauen zur Erholung und Genesung hin und wieder ein paar Stunden von ihren Kindern zu trennen.

Das ist heute ganz anders. In den letzten Jahrzehnten kamen die »babyfreundlichen« Kliniken auf. Nun sollte man davon ausgehen, dass dies auf alle Kliniken zutrifft, doch seit Einführung der WHO/UNICEF-Initiative »Babyfreundlich« im Jahr 1991 ist damit etwas ganz Konkretes gemeint: Es geht darum, durch bestimmte Maßnahmen das Stillen zu fördern. Dazu gehört, die Kinder nur dann mit Säuglingsnahrung zu füttern, wenn es medizinisch notwendig ist, ihnen keine Schnuller zu geben und die Mütter über die Vorteile des Stillens aufzuklären. Ich gehe jetzt nicht genauer auf das Stillen ein, weil dem Thema weiter hinten ein ganzer Abschnitt gewidmet ist. Darin behandle ich auch die höchst kontroverse Schnuller-Weglass-Problematik.

Zusätzlich zu den genannten Punkten müssen die babyfreundlichen Kliniken auch das Rooming-in praktizieren. Das bedeutet, dass Mutter und Kind sich rund um die Uhr im gleichen Raum aufhalten, außer, es ist aus medizinischen Gründen notwendig, das Kind aus dem Zimmer zu holen. Das klingt erst einmal großartig – warum sollte eine Mutter von ihrem Baby getrennt sein wollen? Und es kann auch wirklich ganz wunderbar sein. Als Finn geboren wurde, lag ich in einem Geburtszimmer mit einem riesigen Bett, in dem mein Sohn und ich den ganzen Tag zusammen verbrachten. (Dank an das Women and Infants Hospital in Rhode Island!) Es war darin auch für Jesse noch genug Platz, sodass wir mit Finn zwischen uns abwechselnd schlafen konnten. Ich empfinde diese zwölf Stunden als einen ganz großartigen Start in Finns Leben.

Allerdings ist so etwas nicht die Regel. Normalerweise liegt die Mutter in einem ganz normalen Krankenzimmer und ihr Baby in einer Wiege neben ihr, was deutlich weniger bequem ist. Denn Babys geben jede Menge seltsamer Geräusche von sich, und wenn sie wirklich ununterbrochen neben einem liegen, kriegt man möglicherweise überhaupt keinen Schlaf. Bevor ich Penelope bekam, rieten mir mehrere befreundete Mütter, sie wenigstens für ein paar Stunden auf die Säuglingsstation bringen zu lassen, um etwas schlafen zu können. Was ich auch tat (das Prentice Hospital in Chicago lief damals noch nicht unter »babyfreundlich«).

Es gibt hinsichtlich des Rooming-ins unterschiedliche Ansichten. Es ist allerdings immer schwierig, Empfehlungen abzugeben und Regeln aufzustellen, die die Präferenzen der Betroffenen komplett ausblenden. Andererseits gibt es durchaus Belege dafür, dass Rooming-in für viele Frauen sehr vorteilhaft ist. Wenn eine Frau beispielsweise während der Schwangerschaft Opioide konsumiert hat und ihr Baby am Neonatalen Abstinenzsyndrom (NAS) leidet, kann die Nähe sowohl für das Kind als auch für die Mutter heilsam sein. Es gibt somit durchaus Gründe dafür, sowohl die Frauen als auch die Krankenhäuser dazu zu ermutigen.

Mir jedoch geht es in diesem Buch nicht darum, bestimmte Regeln und Empfehlungen zu kommentieren, sondern auszuwerten, was für Möglichkeiten einem die Forschung eröffnet, vorausgesetzt, man hat die Wahl. Sie können sich also in einem nicht babyfreundlichen Krankenhaus für oder gegen das Baby im Zimmer entscheiden – oder auch von vornherein ein Krankenhaus wählen, das Ihren Präferenzen entspricht.

Die Abwägung ist hier ziemlich klar: Rooming-in bedeutet weniger Schlaf, aber eventuell Vorteile für das Baby. Es ist sozusagen Ihr erster Schlaftest. Sind die Vorteile so groß, dass sie Schlafmangel in den ersten Tagen aufwiegen? Dazu müssen wir mehr wissen, wozu wir Daten brauchen.

Vor allem soll das gemeinsame Zimmer für Mutter und Baby den Stillerfolg verbessern. Doch dafür gibt es nicht allzu viele Belege. Natürlich korreliert beides: Frauen, die ihr Baby im Zimmer behalten wollen, stillen häufiger, doch daraus lässt sich noch lange kein Kausalzusammenhang ableiten, denn diese Frauen sind auch in anderer Hinsicht anders. Vor allem wollen diese Frauen stillen, sie behalten ihr Kind bei sich, um es in Ruhe auszuprobieren. Dann würde der Stillwunsch das Rooming-in nach sich ziehen und nicht umgekehrt.

Sofern es überhaupt Daten gibt, sind die Resultate gemischt. Eine große Schweizer Studie zeigt, dass Babys, die dort in babyfreundlichen Krankenhäusern zur Welt kommen, häufiger gestillt werden als anderswo geborene Kinder. Doch es ist schwer zu sagen, ob dies auf das Rooming-in oder auf andere Faktoren zurückzuführen ist.[5] Denn diese Kliniken unterschieden sich noch in anderen Aspekten, und es konnte nicht überprüft werden, wer sich für diese Art Klinik entscheidet – womöglich vor allem Frauen, die sowieso vorhaben, zu stillen.

Um solche Fragen zu beantworten, wäre der sogenannte Goldstandard eigentlich eine randomisierte Studie. Auf dieses Verfahren werde ich später noch mal ausführlicher zu sprechen kommen, wenn es um das Thema Stillen geht. In diesem Fall müsste das so ablaufen: Man nehme eine Gruppe von Frauen und teile sie nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen mit und ohne Rooming-in. Ansonsten werden sie gleich behandelt. Wegen des Zufallsprinzips könnte man aus einem Vergleich nun zuverlässige Schlüsse ziehen. Wenn die Rooming-in-Gruppe eine höhere Stillquote aufweist, könnte man das Stillen auf das gemeinsame Zimmer für Mutter und Kind zurückführen. Wenn sich die Stillquote nicht unterscheidet, besteht dazwischen eher kein Zusammenhang.

Zu dieser Fragestellung gibt es tatsächlich eine Studie mit 176 Frauen, die nicht besonders ermutigend ausfällt. Es konnte kein Einfluss auf die Stillquote im Alter von sechs Monaten und auf die mittlere Stillzeit nachgewiesen werden.[6] Zwar wurden etwas mehr Babys im Alter von vier Tagen gestillt, doch diese Zahl ist schwer zu interpretieren, da die Forschenden einen Teil der Frauen ermutigten, nach einem festen Zeitplan zu stillen.

Ob das Rooming-in einen positiven Einfluss auf das Stillen hat, lässt sich anhand dieser Daten also nicht richtig beurteilen; bestenfalls werden bestimmte Effekte ausgeschlossen. Von den Kliniken, die das Rooming-in favorisieren, werden Sie jedoch hören, es spräche zumindest nichts dagegen, weswegen man es praktizieren sollte, auch wenn der Nutzen nicht sicher nachgewiesen ist.

Das wiederum muss nicht ganz stimmen: Es könnte auch einen sehr guten Grund geben, sich dagegen zu entscheiden. Frauen sind in den Tagen nach der Entbindung häufig sehr erschöpft. Im Krankenhaus bekommen die Mütter vermutlich mehr Unterstützung als zu Hause, sie können davon profitieren, wenn ihr Kind professionell auf der Säuglingsstation betreut wird. Manche Mütter entscheiden sich vielleicht leichter für diese Möglichkeit, wenn sie wissen, dass die Daten nicht eindeutig für das Mutter-Kind-Zimmer sprechen.

Abgesehen davon könnte mit dem Rooming-in auch ein (kleines) Risiko verbunden sein. Viele Frauen schlafen während des Stillens ein, was umso wahrscheinlicher ist, je müder sie sind. Der Schlafmangel könnte das Risiko erhöhen, dem Baby ernsthaften Schaden zuzufügen, weil die erschöpfte Mutter mit dem Kind im Arm einschläft.[7] Es gibt gegen das Schlafen im gemeinsamen Bett generell Sicherheitsbedenken, egal, ob im Krankenhaus oder zu Hause (dazu mehr in Kapitel 6). Ein Artikel aus dem Jahr 2014 berichtet von 18 Fällen, in denen Säuglinge gestorben sind oder fast gestorben wären, weil sie im Krankenhaus ihr Bett mit der Mutter teilten.[8] Die entsprechende Studie war nicht darauf ausgelegt, generelle Aussagen über Risiken zu treffen, sondern sammelte nur Fallbeispiele, um zu belegen, dass die Möglichkeit bestand.

Eine andere Studie berichtete, dass 14 Prozent der in babyfreundlichen Krankenhäusern geborenen Säuglinge »Gefahr liefen«, aus dem Bett zu fallen, weil ihre Mütter beim Stillen einschliefen.[9] Noch einmal der Deutlichkeit halber: Nicht 14 Prozent der Säuglinge waren tatsächlich gefallen, es waren nur die, bei denen die Krankenschwestern diese Gefahr gesehen hatten.

Die wichtigste Schlussfolgerung aus diesen Ergebnissen lautet aus meiner Sicht folgendermaßen: Wenn die Möglichkeit besteht, Ihr Baby ein paar Stunden auf die Säuglingsstation bringen zu lassen, und Sie das möchten, dann sollten Sie es ohne Schuldgefühle zulassen. Es gibt keine belastbaren Daten, dass dies Ihre Stillbemühungen beeinträchtigen könnte, wenn Ihnen das wichtig ist. Und falls Sie mit Ihrem Baby im Arm einschlafen, weil Sie zu müde waren, es noch hinzulegen, dann bitten Sie um Hilfe.

Das Unerwartete

Gewichtsverlust

Viele frischgebackene Eltern sind nicht darauf vorbereitet, wie akribisch das gesamte Klinikpersonal das Gewicht ihres Säuglings überwacht. Wenn Sie das Glück hatten, nach einer unproblematischen Schwangerschaft ein gesundes Kind zur Welt gebracht zu haben, werden die Gespräche in der Klinik nun hauptsächlich um die Nahrungsaufnahme und das Gewicht Ihres Kindes kreisen. Selbstverständlich möchten Sie, dass es Ihrem Baby gut geht, und sein Gewicht ist dafür ein entscheidender Gradmesser. Doch wenn Sie gerade erst entbunden haben und es zum ersten Mal mit dem Stillen versuchen, kann es ziemlich belastend sein, ständig mit dem Thema konfrontiert zu werden. Vielleicht haben Sie den Eindruck zu versagen – Sie haben sich doch solche Mühe gegeben, damit Ihr Baby in Ihrem Bauch wächst und gedeiht, und jetzt kriegen Sie es nicht auf die Reihe. (Das stimmt natürlich nicht! Es fühlt sich nur so an!)

In der Klinik wird das Gewicht des Säuglings penibel kontrolliert. Er wird etwa alle zwölf Stunden gewogen, und es kann sein, dass man die Mutter über jegliche Veränderung sofort in Kenntnis setzt. Am Tag nach Penelopes Geburt teilte man mir um zwei Uhr morgens mit, sie habe 11 Prozent ihres Geburtsgewichts verloren, und wir müssten umgehend mit der Zufütterung beginnen. Ich war allein, verschlafen und verwirrt und auf diese Entscheidung überhaupt nicht vorbereitet. Was ich daraus schloss: Ich hätte meinen Mann nicht zum Schlafen nach Hause gehen lassen dürfen, und es wäre besser gewesen, mich vorab mit dem Thema zu beschäftigen.

Weil so viel Wert auf das Gewicht gelegt wird, ist es hilfreich, wenn Sie vorbereitet sind. Die wichtigste Information zuerst: Fast alle Babys verlieren nach der Geburt Gewicht, Stillbabys sogar etwas mehr als andere. Warum das so ist, ist gut erforscht. Im Mutterleib wird das Kind über die Nabelschnur mit Nährstoffen und Kalorien versorgt. Wenn es geboren ist, muss es erst einmal herausfinden, wie Essen geht. Das ist kompliziert (für Mutter und Kind), und in den ersten Tagen haben die Mütter meist nur wenig Milch. Auch wenn diese Vormilch, auch Kolostrum genannt, tatsächlich so ein Wundermittel ist, wie die Stillberaterinnen behaupten, viel davon ist nicht da (vor allem nicht beim ersten Kind).

Da also ein gewisser Gewichtsverlust zu erwarten ist, sollten Sie das zwar sorgfältig beobachten, aber zugleich sicherstellen, dass Sie aufgrund der engmaschigen Kontrolle nicht überreagieren. Es gibt durchaus gute Gründe, das Gewicht zu überwachen. Nicht der Gewichtsverlust an und für sich ist ein Problem, doch wenn er überdurchschnittlich ausfällt, weist er auf Probleme beim Füttern hin – zum Beispiel, dass es mit dem Stillen noch nicht richtig klappt. Das wiederum kann beim Neugeborenen zu Flüssigkeitsmangel und möglicherweise zu Dehydrierung führen. Dann fällt es dem Baby noch schwerer, Nahrung zu sich zu nehmen – eine Abwärtsspirale. Im Prinzip kann dies zwar schwerwiegende Folgen haben, doch die sind selten.

Man überwacht das Gewicht, um Probleme frühzeitig ausmachen zu können, solange sie noch gut lösbar sind; für eine fundierte Einschätzung sollte man also wissen, wie viel Gewicht Neugeborene üblicherweise verlieren. Denn ganz allgemein stuft man etwas dann als Problem ein, wenn es sich weit außerhalb eines bestimmten Bereichs bewegt. Es gibt keine biologischen Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass ein Gewichtsverlust von etwa 10 Prozent Probleme verursachen könnte. Wenn die überwiegende Mehrzahl aller Babys etwa so viel Gewicht verliert, gibt es somit keinen Grund zur Sorge, wenn dies bei einem Kind passiert.

Um beim Gewichtsverlust von Neugeborenen einen Normalbereich zu definieren, braucht man Zahlenmaterial, und das war bis vor Kurzem gar nicht so leicht verfügbar. Glücklicherweise publizierte 2015 eine Forschungsgruppe einen sehr hilfreichen Artikel in der Zeitschrift Pediatrics, für den Krankenhausunterlagen von 160 000 Geburten ausgewertet wurden, um den Gewichtsverlust gestillter Kinder in den Stunden nach der Geburt grafisch darzustellen.[10]

Im Folgenden finden Sie zwei Grafiken der Studie, die sich auf gestillte Kinder beziehen (mehr zu Flaschennahrung im Anschluss). Es wurde zwischen vaginal und durch Kaiserschnitt entbundenen Kindern unterschieden. Die Horizontale zeigt das Alter der Kinder in Stunden, die Vertikale den Gewichtsverlust in Prozent. Die Kurven belegen, dass es deutliche Unterschiede gibt. Noch eine Erklärung zum Begriff »Perzentile«. Die körperliche Entwicklung von Kindern wird oft anhand von Perzentilenkurven erfasst. Im Vorsorgeuntersuchungsheft Ihres Kindes finden Sie entsprechende Tabellen, in denen Gewicht, Körpergröße und Kopfumfang eingetragen werden. Die Kinderärztin oder der Kinderarzt werden darin die gemessenen Werte vermerken. So können Sie schnell sehen, wie Ihr Kind sich im Verhältnis zum Durchschnitt entwickelt. Auch in den folgenden Grafiken wird mit Perzentilen gearbeitet. So zeigt die oberste Kurve jeweils den Gewichtsverlust im Zeitverlauf auf der 50. Perzentile, was so viel bedeutet wie 50 Prozent der Kinder haben einen solchen Verlauf. Die unterste Kurve dagegen zeigt den Gewichtsverlust im Zeitverlauf auf der 95. Perzentile, was heißt, dass 5 Prozent der Kinder einen schlechteren Verlauf haben und 95 Prozent einen günstigeren.

Diesen Grafiken können Sie den durchschnittlichen Gewichtsverlust und die Bandbreite entnehmen. So haben vaginal geborene Babys nach 48 Stunden durchschnittlich 7 Prozent ihres Körpergewichts verloren. Nur bei 5 Prozent aller Babys sind es mehr als 10 Prozent. Zumindest einige Babys verlieren noch bis 72 Stunden nach der Geburt Gewicht.

Durch Kaiserschnitt entbundene Kinder scheinen anfangs im Durchschnitt etwas mehr Gewicht zu verlieren. Die entsprechende Grafik deckt auch einen etwas größeren Zeitraum ab, da diese Kinder üblicherweise etwas länger in der Klinik bleiben (was mit der längeren Genesungszeit der Mütter zusammenhängt).

Wofür sind solche Grafiken gut? Vor allem können Ärztinnen und Ärzte (und grundsätzlich auch Eltern) daran ablesen, ob der Gewichtsverlust eines Kindes im Normalbereich liegt oder außerhalb des Durchschnitts. Unter anderem zeigen die Kurven, dass per Kaiserschnitt geborene Kinder generell etwas mehr Gewicht verlieren und man in diesem Fall nicht unbedingt sofort etwas unternehmen muss.

Aus dem genannten Artikel entstand eine Website auf Englisch, www.newbornweight.org, auf der Eltern Geburtszeit, Entbindungsmethode, Fütterungsmethode, Geburtsgewicht und aktuelles Gewicht ihres Babys eingeben können. Sie erfahren dann, wo in der statistischen Verteilung sich ihr Kind befindet. (Deutschsprachige Alternativen sind zum Beispiel die Perzentilenrechner auf www.nutricia.de oder auf www.kinderarzt.at, allerdings können Sie da weniger Details angeben.)

Die Klinik, in der Penelope geboren wurde, bestand darauf, einem Kind, das mehr als 10 Prozent Gewicht verliert, Zusatznahrung zu verabreichen. Wie man den Grafiken entnehmen kann, hängt es entscheidend vom Zeitpunkt des Wiegens und dem einzelnen Baby ab, ob diese Grenze Sinn ergibt. 72 Stunden nach der Geburt sind 10 Prozent Gewichtsverlust im Normalbereich. Nach 12 Stunden wäre der gleiche Wert statistisch gesehen definitiv ein Sonderfall.

Die beiden Grafiken beziehen sich auf Stillkinder. Mit der Flasche gefütterte Kinder verlieren deutlich weniger Gewicht (im Gegensatz zur Muttermilch braucht Milchpulver keine Zeit zum »Einschießen«). Zum Vergleich: Gestillte Kinder haben nach 48 Stunden durchschnittlich 7 Prozent Gewicht verloren, mit der Flasche gefütterte nur 3 Prozent. Bei diesen Kindern ist ein Gewichtsverlust von mehr als 7 bis 8 Prozent sehr ungewöhnlich. Im oben genannten Artikel wurde auch für flaschengefütterte Kinder der Gewichtsverlust im Zeitverlauf genauer untersucht, mit dem Tool auf der Website lässt sich auch hier der individuelle Fall einordnen.

Was sollten Sie tun, wenn Sie, wie ich, feststellen, dass Ihr Kind sich unterhalb eines bestimmten Limits befindet? In der Regel empfehlen die Kliniken dann, Milchpulver oder, wenn möglich, Spenderinnen-Milch zuzufüttern. In früheren Zeiten griff man auf Wasser oder Zuckerwasser zurück, davon würde heute aber dringend abgeraten.

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