Das einzig wahre Schwangerschafts-Handbuch - Emily Oster - E-Book

Das einzig wahre Schwangerschafts-Handbuch E-Book

Emily Oster

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Beschreibung

Während ihrer ersten Schwangerschaft erhielt Emily Oster immer wieder Ratschläge, die einander zwar widersprachen, aber alle mit beeindruckender Vehemenz vorgebracht wurden. Also ging sie das Problem systematisch an. Sie sammelte Daten, sie analysierte und wog ab. So ist dieses Buch entstanden: der erste große Schwangerschafts-Ratgeber aus der Feder einer Ökonomin. Emily Oster räumt auf mit zahlreichen weit verbreitete Mythen zu Ernährung während der Schwangerschaft, Alkohol und Bettruhe. Auf Basis aktuellster Studien erhalten werdende Mütter so das Wissen, das sie wirklich brauchen.

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Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Kunstmann

© Emily Oster 2013, 2016, 2018Titel der englischen Originalausgabe: »Expecting Better. Why the Conventional Pregnancy Wisdom Is Wrong – And What You Really Need to Know«, erschienen bei Penguin Random House, New York© der deutschsprachigen Ausgabe:Piper Verlag GmbH, München 2020Covergestaltung: FAVORITBUERO, MünchenCovermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Zahlen bitte! – Einführung

TEIL 1: Das Wichtigste zuerst: die Empfängnis

1. Die Vorbereitung

2. Schwanger werden: Zahlen und Fakten

3. Zwei Wochen Ungewissheit

TEIL 2: Das erste Trimester

4. Schmecken lassen oder sein lassen? Alkohol, Kaffee, Zigaretten

Alkohol

Kaffee

Zigaretten

5. Die Angst vor der Fehlgeburt

6. Verbotene Früchte (bzw. Würste)

7. Schwangerschaftsübelkeit und meine Schwiegermutter

8. Pränataldiagnostik

Nicht-invasive Pränataldiagnostik

Nicht-invasive Untersuchung auf Chromosomenstörung (NIPT)

Ultraschall + Bluttest (Ersttrimester-Screening)

Andere Krankheiten

Invasive Pränataldiagnostik: Chorionzottenbiopsie und Amniozentese

Zeit für eine Entscheidung

9. Gartenarbeit und andere Gefahren

Katzenstreu und Gartenarbeit

Haarefärben

Whirlpools, Wannenbäder und Hot-Yoga

Flugreisen

TEIL 3: Das zweite Trimester

10. Futtern für zwei? Denkste!

Gewichtszunahme und späteres Gewicht bei Mutter und Kind

11. Rosa oder hellblau?

12. Sport und Schlaf

Beckenbodentraining

Yoga für Schwangere

Schlaflosigkeit

13. Medikamente

TEIL 4: Das dritte Trimester

14. Frühgeburten (und die Gefahren der Bettruhe)

Bettruhe

15. Schwangerschaftskomplikationen

Kann es wieder passieren?

16. Werde ich ewig schwanger sein?

17. Entbindungsmethoden

Bestimmung der Fruchtwassermenge

Das Ruhe-CTG

Geburtseinleitung selbst gemacht

TEIL 5: Wehen und Geburt

18. Zahlen und Fakten rund um die Geburt

19. PDA – pro und contra

Natürliche Methoden der Schmerzlinderung

20. Was sonst noch zu bedenken ist

Der Geburtsplan

21. Nachwehen

Die Abnabelung

Vitamin-K-Prophylaxe

Antibiotika für die Augen

Einlagerung von Nabelschnurblut

22. Hausgeburt: Fortschritt oder Rückschritt? Und wer macht die Wanne sauber?

Was dafür spricht

Was dagegen spricht

Nach der Geburt ist vor der Recherche – Epilog

Ergänzung für die deutsche Ausgabe: Schwangerschaft und Coronavirus

Dank

Anmerkungen

Für meine süße Penelope, die mich zu diesem Buch inspiriert hat, und für meine mormor, die sich bestimmt gefreut hätte, ihre Urenkelin kennenzulernen

Zahlen bitte! – Einführung

Im Herbst 2009 beschlossen Jesse und ich, ein Kind zu bekommen. Damals unterrichteten wir beide Wirtschaftswissenschaften an der University of Chicago, wir waren schon seit meinem dritten Collegejahr zusammen und seit fast fünf Jahren verheiratet. Jesse stand kurz vor der Festanstellung und auch bei mir lief die Arbeit richtig gut. Außerdem näherte sich mein dreißigster Geburtstag.

Wir hatten immer davon gesprochen, dass wir eine Familie wollten, und diese Gespräche waren nach und nach konkreter geworden. An einem Oktobermorgen gingen wir ausgiebig zusammen laufen und beschlossen im Anschluss, dass dies nun der beste Zeitpunkt für uns wäre. Oder dass vermutlich kein besserer kommen würde. Es dauerte zwar noch ein bisschen, aber etwa achtzehn Monate später wurde unsere Tochter Penelope geboren.

Ich hatte mir immer Sorgen gemacht, dass die Schwangerschaft meine Arbeit beeinträchtigen könnte – die Leute erzählen alle möglichen Geschichten vom »Schwangerschaftshirn« – und dass man wegen der morgendlichen Übelkeit Wochen (oder gar Monate!) verliert. Glücklicherweise merkte ich aber keinen großen Unterschied (als das Baby da war, war das dann allerdings etwas völlig Anderes).

Ganz und gar nicht erwartet hatte ich jedoch, dass ich als Wirtschaftswissenschaftlerin meine Arbeitsmethoden intensiv für meine Schwangerschaft nutzen würde. Das klingt erst einmal seltsam, denn auch wenn ich hin und wieder mal »Dr.« vor meinen Namen setze, bin ich keine Ärztin, schon gar keine Fachärztin für Geburtshilfe. Und wenn man mit der gängigen Vorstellung an Ökonomie herangeht, denkt man vielleicht an Fed-Chef Jerome Powell oder die Jungs, die bei Goldman Sachs für die Finanzderivate zuständig sind. Auch Christine Lagarde würde man nicht nach Schwangerschaftstipps fragen.

Das Überraschende aber ist: Wirtschaftswissenschaftliche Methoden erweisen sich in allen möglichen Situationen als enorm hilfreich. Die zentralen Entscheidungsprinzipien der Ökonomie lassen sich überall anwenden. Buchstäblich überall – Gebärmutter eingeschlossen.

Als ich schwanger wurde, stellte ich bald fest, dass jede Menge Informationen über Schwangerschaft in Umlauf sind und genauso viele gute Ratschläge. Doch weder diese noch jene waren durch die Bank gut. Die Qualität der Informationen schwankte, die Ratschläge widersprachen sich sehr häufig und manchmal waren sie schlicht haarsträubend. Um an die richtigen Informationen heranzukommen – herauszufinden, was wirklich stimmte –, ging ich das Problem letztlich genauso an wie jedes andere: mit den Methoden der Ökonomie.

An der Universität in Chicago (und inzwischen an der Brown University) halte ich Einführungskurse zur Mikroökonomie. Meine Studierenden würden vermutlich sagen, dabei wird man mit Analysis gequält. In Wahrheit habe ich ein etwas erhabeneres Ziel: Ich möchte ihnen beibringen, wie man Entscheidungen trifft. Denn das ist letztlich der Gegenstand von Mikroökonomie: die Wissenschaft von Entscheidungen – man strukturiert dabei das eigene Denken so, dass man zu guten Entscheidungen gelangt.

Ich versuche, den Studierenden zu vermitteln, dass gute Entscheidungen (im Geschäftsleben und im Alltag) zweierlei erfordern: Erstens braucht man alle Informationen zum Thema, also die richtigen Fakten. Zweitens muss man sich darüber klar werden, wie man die Vor- und Nachteile für sich persönlich richtig bewertet (im Unterricht nennen wir das die Kosten-Nutzen-Analyse). Die wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass bei gleicher Faktenlage der zweite Schritt – das Abwägen von Für und Wider – bei verschiedenen Menschen zu unterschiedlichen Entscheidungen führt. Weil Individuen ein und dieselbe Tatsache ganz unterschiedlich bewerten können.

Meine Studierenden möchten diese Erkenntnis natürlich vor allem auf wirtschaftliche Themen anwenden und Fragen beantworten wie: »Soll ich dieses Unternehmen kaufen oder nicht?« Ich rate ihnen dann, bei den Zahlen anzufangen: Wie viel Gewinn erzielt die Firma? Wie viel Gewinn ist in Zukunft zu erwarten? So erhalten sie die Fakten und damit die Informationen, die sie für ihre Entscheidung brauchen.

Mit diesem Wissen können sie Vor- und Nachteile abwägen. Und an dem Punkt geraten sie häufig ins Schleudern. Der Vorteil besteht natürlich in dem Gewinn, den sie damit machen. Der Nachteil darin, dass sie sich um die Möglichkeit bringen, ein anderes Unternehmen zu kaufen. Vielleicht ein lukrativeres. Letztendlich müssen sie die Vor- und Nachteile aus ihrer persönlichen Sicht beurteilen. Sie müssen sich überlegen, was sie sonst mit dem Geld anfangen könnten. Wer eine gute Entscheidung treffen will, muss sich intensiv mit den Alternativen auseinandersetzen, und da gibt es keine richtige Entscheidung für alle.

Nun verbringen die meisten Menschen nicht allzu viel Zeit damit, Unternehmen zu kaufen. (Um ehrlich zu sein, ich weiß auch nicht genau, ob das immer das Motiv ist, meine Seminare zu besuchen. Kürzlich mailte mir ein Student, er hätte bei mir gelernt, dass er am besten mit dem Biertrinken aufhört, wenn es ihm nicht mehr schmeckt. Das ist in der Tat eine gute Anwendung des Prinzips der Kostensenkung, wenn auch nicht zentrale Zielsetzung meines Unterrichts.) Doch die Prinzipien guter Entscheidungsfindung gehen weit über den geschäftlichen Bereich hinaus. Und tatsächlich, wenn man wirtschaftswissenschaftliche Methoden erst einmal verinnerlicht hat, stößt man alle naselang darauf.

Als Jesse und ich beschlossen, ein Baby zu bekommen, überzeugte ich ihn davon, aus unserer Wohnung im dritten Stock ohne Aufzug auszuziehen. Mit einem Kinderwagen seien das zu viel Stufen, erklärte ich. Er war einverstanden, solange ich mich um den Hauskauf kümmerte.

Zeit dafür fand ich ausgerechnet im Februar und so pilgerte ich durch ein völlig verschneites Chicago zu fünfzehn oder sechzehn ziemlich ähnlichen Häusern. Als ich schließlich eines fand, das mir (ein bisschen) besser gefiel als die anderen, ging der Spaß erst richtig los. Wir mussten entscheiden, welchen Kaufpreis wir bieten wollten.

Wir begannen bei den Fakten, genauso wie ich es meinen Studenten auch beibringe: Wir versuchten herauszufinden, welchen Marktwert dieses spezielle Haus hatte. Das war nicht allzu schwer. Das Haus war zuletzt 2007 verkauft worden, den Preis dafür fanden wir online. Nun mussten wir noch in Erfahrung bringen, wie stark sich die Preise in den letzten zwei Jahren verändert hatten. Da wir mitten in einer Immobilienkrise steckten (was einer Wirtschaftswissenschaftlerin schwer entgehen konnte), mussten die Preise gesunken sein – doch wie stark?

Wir hätten einfach im gängigen Case-Shiller-Index nachsehen können, wie sich die Immobilienpreise in Chicago verändert hatten. Doch der bewertete die Stadt insgesamt, nicht unser Viertel. Es musste eine bessere Methode geben. Ich stieß im Netz auf eine Immobilienseite, die in schlichten Grafiken die Preisveränderungen für die einzelnen Stadtviertel aufschlüsselte. Wir brauchten also nur den alten Preis zu nehmen, den ungefähren Rückgang abzuziehen und hatten den aktuellen Wert des Hauses.

Damit hatten wir die Fakten geklärt, waren aber noch nicht fertig. Um die richtige Entscheidung zu treffen, mussten wir noch das Für und Wider abwägen. Wir mussten uns darüber klar werden, wie wichtig uns dieses Haus im Vergleich zu anderen war. Wir hatten nur den Marktwert des Hauses bestimmt, also was andere Menschen dafür durchschnittlich zu zahlen bereit waren. Wäre dieses Haus für uns nun etwas ganz Besonderes gewesen und hätte es unseren Bedürfnissen wirklich perfekt entsprochen, hätten wir dafür wohl mehr als den vermuteten Marktwert bieten wollen. Wir wären bereit gewesen, noch etwas draufzulegen, weil das Haus uns persönlich so am Herzen lag.

Für diesen zweiten Schritt unserer Entscheidung gab es keine Daten und Fakten – wir mussten schlicht darüber nachdenken. Letztendlich kamen wir zu dem Schluss, dass das Haus sich nicht sonderlich von den vielen anderen unterschied, boten den aus unserer Sicht angemessenen Kaufpreis und bekamen es nicht. (Vielleicht lag es auch daran, dass wir mit unserem Gebot unsere Überlegungen zur Preisfindung mitschickten – schwer zu sagen.) Später kauften wir dann ein Haus, das uns genauso gefiel.

Doch dieses Vorgehen passte ausschließlich auf unsere persönlichen Umstände. Ein paar Monate später verliebte sich einer unserer Freunde in ein bestimmtes Haus. Er fand, es sei ideal für ihn und seine Familie und so eine Gelegenheit käme nie wieder. Unterm Strich zahlte er dafür etwas mehr, als die Fakten hergaben. Und doch ist leicht einzusehen, warum auch das eine gute Entscheidung sein kann, wenn man diesen wirtschaftwissenschaftlichen Entscheidungsprozess durchlaufen hat.

Den Studierenden sage ich immer: Dies ist nicht nur ein Weg, Entscheidungen zu treffen. Es ist der richtige.

Als ich schwanger wurde, ging ich selbstverständlich davon aus, dass dieser Weg auch bei Entscheidungen rund um die Schwangerschaft funktionieren würde. Nehmen wir beispielsweise die Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung): Ich ging davon aus, meine Ärztin würde mir bei der Entscheidung helfen, indem sie mir die Vor- und Nachteile darlegte. Sie würde mir erklären, ein Plus der Untersuchung sei, dass man viele Informationen über das Baby bekäme. Auf der Minus-Seite stünde die Gefahr einer Fehlgeburt. Sie würde mir die nötigen Fakten liefern. Sie würde mir mitteilen, welche zusätzlichen Informationen ich noch bekommen könnte, und sie würde mich über das exakte Risiko einer Fehlgeburt informieren. Dann würde sie sich zurücklehnen, Jesse und ich würden es ausdiskutieren und zu einer für uns tragfähigen Entscheidung gelangen.

Doch so lief es nicht im Entferntesten!

In der Realität schien die ärztliche Betreuung von Schwangeren aus einer einzigen langen Liste von Regeln zu bestehen. Wer schwanger war, wurde offensichtlich wieder zum Kind. Ständig sagte einem wer, was man zu tun hatte. Es ging los mit: »Sie dürfen nicht mehr als zwei Tassen Kaffee pro Tag trinken.« Ich fragte mich, was die Nachteile waren? (Die Vorteile kannte ich: Ich liebe Kaffee.) Was sagten die Daten über die Risiken aus? Das wurde nirgends diskutiert.

Dann ging es um die Pränataldiagnostik. »Die Richtlinien empfehlen eine Fruchtwasseruntersuchung nur, wenn Sie über fünfunddreißig sind.« Und warum? So seien eben die Vorgaben. Das hängt doch sicher von den individuellen Umständen ab, oder? Nö, offenbar nicht (jedenfalls laut meiner Ärztin).

Diese ganze Schwangerschaftsangelegenheit schien nach Schema F abgehandelt zu werden. Die Methode, mit der ich üblicherweise Entscheidungen traf – nämlich die Faktenlage mit meinen persönlichen Präferenzen abzugleichen –, kam jedenfalls kaum zur Anwendung. Das allein war schon frustrierend. Schlimmer wurde es noch dadurch, dass die Informationen, die ich aus Büchern oder von Freundinnen hatte, häufig im Widerspruch zu den Aussagen meiner Ärztin standen.

Die Schwangerschaft kam mir vor wie ein Kosmos willkürlicher Regeln. Als hätte uns unsere Immobilienmaklerin, als wir ein Haus suchten, erklärt, sie würde uns keine Häuser mit Gärten zeigen, weil Leute ohne Kinder grundsätzlich keine Gärten wollten. Noch schlimmer, als hätten wir ihr ausdrücklich gesagt, dass wir unbedingt einen Garten wollten und sie hätte geantwortet: »Kommt nicht infrage, die Regel lautet, dass Sie keinen wollen.« In so einem Fall würde man die Maklerin doch sofort auf den Mond schießen. Beim Thema Schwangerschaft jedoch schien es häufig so zu laufen.

Natürlich trifft das nicht uneingeschränkt zu, es gab tatsächlich hin und wieder Entscheidungen, zu denen ich beitragen sollte, aber auch diese erschienen mir eher substanzlos. Beispielsweise entschied ich mich gegen eine Periduralanästhesie (PDA). Das kam nicht sonderlich häufig vor, weswegen die Ärztin in etwa sagte: »Okay, na gut, wahrscheinlich kriegen Sie sowieso eine.« Die Entscheidungsgewalt hatte ich also nur scheinbar, nicht tatsächlich.

Ich gehe davon aus, dass das nicht nur die Schwangerschaft betrifft, sondern auch andere Bereiche des Gesundheitssystems. Die Tatsache, dass Patientinnen und Patienten unterschiedliche Präferenzen haben, die bei der Behandlung eine wichtige Rolle spielen sollten, wird zumindest häufig ignoriert. Irgendwann bekam ich das Buch Your Medical Mind. How to Decide What Is Right for You von Jerome Groopman und Pamela Hartzband in die Finger und musste bei vielen Geschichten zustimmend nicken. In zahlreichen Fällen (auch bei anderen Themen, Prostatakrebs zum Beispiel) wäre es besser gewesen, die Betroffenen aktiver in die Entscheidungen über die richtige Behandlung einzubeziehen.

Doch so wie viele gesunde junge Frauen kam auch ich erst durch die Schwangerschaft intensiver mit dem Gesundheitssystem in Berührung und das gestaltete sich ganz schön frustrierend. Zu dem Stress, den die vielen Regeln verursachten, kam noch die Angst, etwas könne schieflaufen, wenn ich sie nicht befolgte. Ich hatte ja keine Ahnung, wie ernst ich all das nehmen sollte.

Ich wollte eine Ärztin, die in Entscheidungsfindung geschult war – das allerdings wird an medizinischen Fakultäten wenig unterrichtet. Wie es sich gehört, konzentrieren die sich mehr auf die ärztlichen Fähigkeiten und Methoden. Wenn es darum geht, das Kind irgendwann aus einem rauszuholen, ist man dankbar dafür (selbst ich), aber daneben bleibt offensichtlich nicht viel Zeit für Entscheidungstheorie.

Mir wurde ziemlich schnell klar, dass ich mir selbst ein System basteln musste, um meine persönlichen Entscheidungen sinnvoll zu strukturieren. Das erschien mir, zumindest vom Prinzip her, nicht weiter schwer. Doch dann stellte sich heraus, dass es gar nicht so leicht war, an die dafür notwendigen Zahlen und Fakten zu kommen. Dabei waren meine Fragen sehr einfach, beispielsweise zum Thema Alkohol. Ich legte mir den Entscheidungsweg zurecht: In der Schwangerschaft könnte das Trinken den IQ des Kindes beeinträchtigen (contra), andererseits würde mir aber hin und wieder ein Glas Wein schmecken (pro). Tatsächlich handelte es sich um ein minimales Pro. Wenn sich zeigen sollte, dass Alkohol die Intelligenz des Kindes nachweislich beeinträchtigt, würde ich keinen trinken. Aber ich brauchte Zahlen: Hätte ein Glas Wein ab und zu überhaupt irgendeinen Einfluss auf den IQ meines Kindes? Wenn nicht, wäre es völlig unnötig, darauf zu verzichten.

Ein weiteres Beispiel sind invasive Pränataltests: Der Nachteil besteht augenscheinlich im Risiko einer Fehlgeburt, der Vorteil im Wissen um die Gesundheit meines Babys. Aber wie hoch war das tatsächliche Risiko einer Fehlgeburt? Und welche zusätzlichen Informationen lieferte der Test überhaupt im Vergleich zu weniger risikobehafteten Methoden?

Doch Zahlen dazu waren nicht zu bekommen. Ich fragte meine Ärztin wegen des Trinkens und sie antwortete, ein oder zwei Gläser pro Woche seien »vermutlich in Ordnung«. »Vermutlich in Ordnung« ist keine Zahl. Bei den Büchern war es dasselbe: Es stand nicht immer dasselbe drin und auch nicht immer das, was meine Ärztin sagte, sie lieferten aber häufig vage Beschwichtigungen (»Pränataldiagnostik ist sehr sicher«) oder kategorische Verbote (»Es gibt bei Alkohol keinen Schwellenwert, der als unbedenklich gelten kann.«). Auch hier keine exakten Zahlen.

Ich versuchte, näher an die Quelle zu kommen, und sah mir die offiziellen Empfehlungen des American Congress of Obstetricians and Gynecologists an, der größten Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in den USA. Interessanterweise unterschieden sich deren Hinweise von denen meiner Ärztin – sie wurden offenbar schneller an aktuelle Erkenntnisse der Fachliteratur angepasst als die ärztliche Praxis. Aber auch sie lieferten keine Zahlen. Um an die Daten zu kommen, musste ich mich mit der Forschungsliteratur beschäftigen, auf der die Empfehlungen basierten. In einigen Fällen war das nicht allzu schwierig. Als es um die Entscheidung für oder gegen eine PDA ging, konnte ich auf Daten aus randomisierten Studien (dem wissenschaftlichen Goldstandard) zurückgreifen, um Risiken und Vorteile herauszufinden.

In anderen Fällen erwies es sich als sehr viel komplizierter. Mehrfach zog ich für mich Schlüsse, die den offiziellen Empfehlungen widersprachen – auf jeden Fall, was Alkohol und Kaffee betraf, aber auch in Sachen Gewichtszunahme. Hier kam ein weiterer Aspekt meiner Berufsausbildung zum Tragen: Ich weiß, wie man Daten richtig interpretiert.

Vor einigen Jahren verfasste mein Mann einen Artikel über den Einfluss des Fernsehens auf die Schulleistungen von Kindern. Die American Academy of Pediatrics, die US-amerikanische Vereinigung der Kinderärzte, behauptet, Kinder unter zwei Jahren sollten überhaupt nicht fernsehen. Diese Empfehlung beruht auf dem, was Forschungen zur öffentlichen Gesundheit ergeben haben (und stammte von den gleichen Leuten, die Forschungsergebnisse zum Verhalten während der Schwangerschaft liefern). Sie haben wiederholt nachgewiesen, dass Kinder, die unter zwei Jahren viel fernsehen, in der Schule schlechter abschneiden.

Diese Ergebnisse werden ständig wiedergekäut, zum Beispiel im Wissenschaftsteil der New York Times unter Schlagzeilen wie »Wissenschaftlich erwiesen: SpongeBob schädlich für Kinder«. Doch Jesse war skeptisch und das sollten Sie auch sein. In derartigen Fällen ist es nämlich gar nicht so einfach, einen so eindeutigen Zusammenhang von Ursache und Wirkung herzustellen. Nehmen wir an, wir haben zwei Familien mit einjährigen Kindern. In der einen Familie sieht das Kind täglich vier Stunden fern, in der anderen gar nicht. Meinen Sie, diese beiden Familien sind vergleichbar? Eher nicht.

Eltern, die das Fernsehen verbieten, sind im Durchschnitt gebildeter, älter, lesen mehr Bücher und so weiter. Ist da wirklich das Fernsehen ausschlaggebend? Oder vielmehr die anderen Unterschiede?

Dieses Beispiel verdeutlicht den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität. Fernsehkonsum und Schulleistungen korrelieren, daran gibt es gar keinen Zweifel. Das heißt, Kinder, die sehr viel fernsehen, schneiden im Durchschnitt schlechter in der Schule ab. Doch dazwischen besteht kein kausaler Zusammenhang. Die Aussage, dass SpongeBob Ihr Kind dümmer macht, unterstellt aber einen solchen: Wenn man X tut, passiert Y. Dafür müsste man nachweisen, dass Kinder aus Nicht-Fernseh-Haushalten schlechter in der Schule werden, wenn man sie zwingt, SpongeBob anzusehen, aber sonst nichts an ihren Lebensumständen ändert. Diesen Schluss kann man aber nicht so einfach ziehen, wenn man bloß Kinder, die fernsehen, mit solchen vergleicht, die es nicht tun.

Schlussendlich nahmen Jesse und sein Co-Autor Matt Gentzkow eine clevere Analyse vor.[1] Sie hatten herausgefunden, dass das Fernsehen, als es in den 1940er- und 1950er-Jahren Verbreitung fand, in manchen Landesteilen später ankam als in anderen. Sie ermittelten Personen aus Gegenden, in denen Fernsehgeräte bereits vor deren zweiten Geburtstag verfügbar gewesen waren. Diese Gruppe wurde verglichen mit Personen in ähnlichen Lebensumständen, die erst mit über zwei Jahren Zugang zu Fernsehgeräten hatten. Die Familien dieser Personen waren vergleichbar; der einzige Unterschied bestand im Zugang zum Fernsehen in der frühen Kindheit. Auf diese Weise lassen sich kausale Schlüsse ziehen.

Und in der Tat: Sie fanden heraus, dass das Fernsehen sich nicht auf die Schulleistungen der Kinder auswirkte. Null! Kein bisschen! Das ist sehr präzise und drückt auf statistische Weise aus: Es hat ziemlich sicher keinen negativen Einfluss. Und die ganze Forschung zur öffentlichen Gesundheit über die Gefahren von SpongeBob? Falsch. Dass SpongeBob einen so schlechten Ruf hat, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit daran, dass Eltern, die ihren Kindern erlauben, viel fernzusehen, anders sind. Korrelation ja, Kausalität nein.

Genau wie SpongeBob leidet auch die Schwangerschaft unter einer ganzen Reihe von Fehlinformationen. Ein- oder zweiwöchige Studien werden da ganz schnell zu unumstößlichen Gewissheiten. Irgendwann stieß ich auf eine häufig zitierte Studie, der zufolge maßvoller Alkoholkonsum in der Schwangerschaft – etwa ein Glas pro Tag – zu aggressivem Verhalten bei den Kindern führt. Die Studie war nicht randomisiert, es wurden einfach nur Frauen, die Alkohol konsumierten, mit solchen verglichen, die keinen Alkohol tranken. Als ich die Untersuchung etwas genauer unter die Lupe nahm, fand ich heraus, dass die trinkenden Frauen auch sehr viel häufiger Kokain konsumiert hatten.

Wir wissen, dass Kokain Kinder schädigt – ganz abgesehen davon, dass Frauen, die Kokain konsumieren, häufig auch andere Probleme haben. Können wir daraus also wirklich schließen, dass maßvoller Alkoholkonsum schädlich ist? Ist es nicht viel wahrscheinlicher (oder zumindest ebenso wahrscheinlich), dass das Kokain das Problem darstellt?

Es gab bessere und schlechtere Untersuchungen. Und sehr häufig zeichneten die »guten« Studien (die verlässlichen, die ohne Kokainkonsumentinnen) ein ganz anderes Bild als die offiziellen Empfehlungen.

Diese Empfehlungen waren wohl vorwiegend dazu gedacht, uns Schwangere in den Wahnsinn zu treiben. Über jedes winzige Detail, über jeden Bissen Essen, über jedes zusätzliche Pfund sollten wir uns Gedanken machen. Und tatsächlich führten die Zahlen und Fakten, die ich heranzog, dazu, dass ich mich entspannte – hin und wieder ein Glas Wein, jede Menge Kaffee, und Sport nur, wenn ich Lust hatte, ansonsten eben nicht. Wirtschaftswissenschaften gelten vielleicht nicht gerade als Entspannungsmethode, aber für mich waren sie genau das.

Mehr als die eigentlichen Empfehlungen beruhigte es mich, überhaupt Zugang zu Zahlen zu haben. Irgendwann machte ich mir Gedanken über das Risiko einer Frühgeburt. Ich wertete die Daten aus und bekam so eine ungefähre Vorstellung, wie häufig Frühgeburten in der jeweiligen Schwangerschaftswoche auftraten (und von der Überlebensrate der Frühchen). In diesem Fall musste gar keine Entscheidung getroffen werden, ich hätte ohnehin keinen Einfluss darauf gehabt – aber allein die Kenntnis der Zahlen sorgte für ein bisschen Entspannung. Es waren Daten, die ich eigentlich von meiner Ärztin oder den Schwangerschaftsratgebern erwartet hätte. Ich brauche einfach Fakten und Beweise, um relaxen zu können. Dann habe ich das gute Gefühl, die richtige Entscheidung treffen zu können. Für mich war es der passende Weg, so auch an meine Schwangerschaft heranzugehen. Ich war allerdings nicht sicher, ob er auch für andere Frauen funktionierte.

Dann wurden meine Freundinnen schwanger, mehr oder weniger alle gleichzeitig. Und alle hatten die gleichen Fragen und waren ähnlich genervt wie ich. Darf ich eine Schlaftablette nehmen? Darf ich ein Salami-Baguette essen? (Ich hätte so Lust darauf – würde mir das wirklich schaden?) Mein Arzt will einen Termin für die Geburtseinleitung vereinbaren, soll ich da zustimmen? Und was hat es mit der Einlagerung von Nabelschnurblut auf sich?

Manchmal waren die Fragestellerinnen noch nicht einmal schwanger. Als ich mit einer Freundin zu Mittag aß, wollte sie von mir wissen, ob es ein Fehler wäre, noch ein Jahr damit zu warten – ob die Fruchtbarkeit mit zunehmendem Alter tatsächlich so schnell nachlasse.

Deren Ärztinnen sprachen natürlich – genau wie meine – Empfehlungen aus. Doch meine Freundinnen wollten Entscheidungen treffen, die für sie persönlich die richtigen waren. Also griff ich lange nach Penelopes Geburt wieder zu Gynäkologiefachbüchern und medizinischer Fachliteratur. Meine Rolle war beschränkt (ich entband keine Kinder, zum Glück – für mich und für die Kinder). Aber ich konnte Leute mit Informationen versorgen und sie so in die Lage versetzen, auf Augenhöhe mit ihren Frauenärztinnen zu sprechen und Entscheidungen zu treffen, mit denen sie zufrieden waren.

Je öfter ich mich mit Frauen darüber unterhielt, desto klarer wurde mir, dass sie meine Informationen gerade deshalb nützlich fanden, weil sie nicht mit einer bestimmten Empfehlung verbunden waren. Der Schlüssel zu einer guten Entscheidung ist nämlich die Verknüpfung von Daten und Fakten mit den individuell gewichteten Vor- und Nachteilen.

In einigen Fällen ist eine bestehende Regel falsch. In anderen ist es keine Frage von richtig oder falsch, sondern von richtig für eine bestimmte Frau und ihre Schwangerschaft. Ich sah mir die Forschungslage zur PDA an, bezog sie auf meine persönlichen Präferenzen und Abneigungen und entschied mich dagegen. Meine Freundin Jane zog dieselben Fakten heran und entschied sich dafür. Ich fand es letztlich völlig in Ordnung, Wurst und Schinken zu essen. Tricia, meine ehemalige Mitbewohnerin aus dem College, sah sich die Daten an und beschloss, es nicht zu tun. All das sind gute Entscheidungen.

Dies ist also ein Buch für meine Freundinnen. Es enthält Zahlen und Fakten zur Schwangerschaft, also das, was sie benötigen, um während der Schwangerschaft für sich persönlich die richtige Entscheidung treffen zu können, und um das, was Schwangerschaft bedeutet, möglichst genau zu verstehen, nämlich anhand von präzisen Daten. Es enthält den Hinweis, dass es in Ordnung sein kann, ein Glas Wein zu trinken, aber vor allem die Fakten, warum das so ist. Es liefert die Zahlen der Fehlgeburten nach Schwangerschaftswoche (im Folgenden auch SSW abgekürzt), Angaben zu den Sorten Fisch, die man essen sollte, um ein kluges Kind zu kriegen (und welche man lassen sollte), Informationen zur Gewichtszunahme, den unterschiedlichen Methoden der Pränataldiagnostik, zu Bettruhe, Geburtseinleitung sowie den Vor- und Nachteilen eines Geburtsplans. Dieses Buch soll also das Werkzeug für eine selbstbestimmte Schwangerschaft liefern.

Als ich mit der Recherche begann, erwartete ich meine Tochter. Wenige Jahre darauf war ich wieder schwanger, diesmal mit einem Sohn. Zu der Zeit war die erste Ausgabe des Buchs bereits erschienen und diverse Leute fragten mich, ob die zweite Schwangerschaft denn nun anders wäre. Ja, bestätigte ich ihnen, alles liefe viel entspannter, weil ich nicht meine gesamte Freizeit mit medizinischer Fachliteratur verbrachte. Dennoch hatte ich nicht komplett recherchefrei, da sich zwischen den beiden Schwangerschaften bei der Pränataldiagnostik eine Menge getan hatte. Also überarbeitete ich meine damaligen Analysen und im entsprechenden Kapitel werden Sie mehr über meinen Sohn Finn erfahren.

Schwangerschaft und Geburt (und Kindererziehung) gehören zu den wichtigsten und bedeutsamsten Erfahrungen, die Menschen machen können – wahrscheinlich sind es die bedeutsamsten überhaupt. Und doch haben wir oft gar nicht die Möglichkeit, unsere Entscheidungen kritisch zu überprüfen. Stattdessen erwartet man von uns, dass wir ohne Widerrede einen überwiegend willkürlichen Vorschriftenkatalog befolgen. Höchste Zeit, dass wir uns die Kontrolle zurückholen! Schenken Sie sich also einen Kaffee ein oder, wenn Sie möchten, ein Glas Wein und lesen Sie weiter.

TEIL 1 Das Wichtigste zuerst: die Empfängnis

1. Die Vorbereitung

Manche Schwangerschaften kommen überraschend. Sollten Sie zu denen gehören, die morgens aufwachen und sich mau fühlen, aus Jux einen Schwangerschaftstest machen und dann schockiert beobachten, wie die zweite rosa Linie auftaucht: Glückwunsch! Bitte blättern Sie weiter.

Viele Frauen denken jedoch schon lange, bevor sie tatsächlich schwanger werden, darüber nach. Ich habe meinen Mann 2001 im College kennengelernt. 2006 haben wir geheiratet. 2011 ist unsere Tochter geboren. Ich kann nicht behaupten, dass ich volle zehn Jahre damit verbracht habe, über ein Kind nachzudenken, aber viele Entscheidungen habe ich (und später wir) zumindest mit dem langfristigen Plan getroffen, eine Familie zu gründen.

Und als ich mich den Dreißig näherte und um mich herum die eine oder andere schwangere Freundin auftauchte, begann ich ernsthafter darüber nachzudenken. Ich fragte mich, ob ich vorab, also schon vor dem Versuch schwanger zu werden, etwas beachten sollte. Sollte ich mich anders ernähren? Irgendwann hatte meine Ärztin mir geraten, meinen Kaffeekonsum zu reduzieren, damit die Umstellung später während der Schwangerschaft nicht allzu hart ausfiel. Aber war das wirklich nötig?

Am meisten beunruhigte mich, dass ich älter wurde.

Nun ist dreißig hinsichtlich Schwangerschaft nicht wirklich alt. Von »fortgeschrittenem Mutterschaftsalter« spricht man bei Frauen ab fünfunddreißig und in der Tat stellt diese Zahl einen echten Einschnitt dar. In einem Aufsatz las ich von einer Mindesthaltbarkeit der Eizellen bis zum fünfunddreißigsten Lebensjahr. Besten Dank, wie gut, das eigene Verfallsdatum zu kennen. Doch natürlich ist auch die Fünfunddreißig keine magische Zahl, denn so funktionieren biologische Prozesse nicht. Ihre Eizellen wachen nicht am Morgen Ihres fünfunddreißigsten Geburtstags auf und planen eine Ruhestandsparty.

Schon ab der ersten Menstruation lässt die Fruchtbarkeit wieder nach. Am fruchtbarsten ist man in den Teenagerjahren, von da an geht es bergab. Dreißig ist schlechter als zwanzig und vierzig schlechter als dreißig. Aber selbstverständlich spielen auch weitere Faktoren eine Rolle, die in die entgegengesetzte Richtung wirken. Ganz sicher waren bei mir mit dreiundzwanzig, zu Beginn meines Graduiertenstudiums, die Umstände für eine Schwangerschaft nicht besonders gut und ehrlich gesagt wären sie mit fünfunddreißig noch besser gewesen als mit dreißig.

Das war zwar nicht meine einzige Überlegung, aber ich wollte schon wissen, wie schnell die Fruchtbarkeit nachlässt. Meine Ärztin schien sich weniger Sorgen zu machen. »Sie sind ja noch keine fünfunddreißig«, meinte sie – nicht ganz das, was ich zu meiner Beruhigung gebraucht hätte.

Also begann ich in der Welt der Daten und Fakten, der medizinischen Fachliteratur, selbst nach dieser Beruhigung (oder zumindest nach Informationen) zu suchen. Wie erwartet gab es dort eine Antwort. Aber sie entsprach nicht dem, was man nach der Geschichte, über fünfunddreißigjährige Eizellen seien im Ruhestand, erwartet hätte.

Die wichtigsten Untersuchungen zu diesem Thema nutzen Daten aus dem 19. Jahrhundert (die sind zwar alt, aber der Vorgang hat sich seither ja nicht so stark verändert). Die These ist folgende: In vormodernen Zeiten haben sich Paare mehr oder weniger direkt nach der Eheschließung an die Arbeit gemacht, Verhütungsmöglichkeiten gab ja es kaum. So kann man den Zusammenhang zwischen Fruchtbarkeit und Alter an der Wahrscheinlichkeit ablesen, mit der Frauen, die in einem bestimmten Alter heirateten, Kinder bekamen.

Die Forschenden stellten fest, dass Frauen, die zwischen zwanzig und fünfunddreißig heirateten, mehr oder weniger gleich häufig auch Kinder bekamen. Danach gingen die Zahlen zurück: Bei Frauen, die zwischen fünfunddreißig und neununddreißig heirateten, lag die Wahrscheinlichkeit noch bei 90 Prozent im Vergleich zu den jüngeren; bei denen zwischen vierzig und vierundvierzig noch bei 62 Prozent. Frauen, die zwischen fünfundvierzig und neunundvierzig die Ehe schlossen, hatten noch eine Chance von 14 Prozent im Vergleich zu den unter Fünfunddreißigjährigen. Anders ausgedrückt: Theoretisch bekamen alle, die zwischen zwanzig und fünfunddreißig heirateten, mindestens ein Kind, verglichen mit nur 14 Prozent der Frauen, die erst nach fünfundvierzig heirateten.

Ob man aus so alten Daten Schlüsse ziehen will, sei dahingestellt. Die Menschen leben heute länger und bleiben länger gesund. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass mit zunehmender Lebenserwartung und Gesundheit Frauen auch länger fruchtbar sind. Doch selbst wenn man die Daten in dieser Form für bare Münze nimmt, ist der Rückgang der Fruchtbarkeit nicht so dramatisch, wie man befürchten könnte. Bei der Gruppe zwischen fünfunddreißig und neununddreißig ist die Wahrscheinlichkeit, Kinder zu bekommen, nur wenig niedriger. Der größte Rückgang ist erst ab vierzig zu verzeichnen, aber selbst einige Frauen über fünfundvierzig wurden diesen Daten zufolge noch schwanger – und das lange vor Erfindung der In-vitro-Fertilisation (IVF).

Neuere Daten ergeben mehr oder weniger das gleiche Bild, vielleicht ist es sogar noch etwas optimistischer. In Frankreich untersuchten Forschende eine Gruppe von 2000 Frauen, die sich einer Befruchtung mit Spendersperma unterzogen. Ein hübscher Aspekt dieser Studie besteht darin, dass man sich keine Gedanken darüber machen musste, dass ältere Menschen weniger häufig Sex haben, da alle Teilnehmerinnen versuchten, in kontrollierter Umgebung zum richtigen Zeitpunkt im Monat schwanger zu werden. Nach zwölf Zyklen waren etwa 75 Prozent der Frauen unter dreißig schwanger, 62 Prozent derer von dreißig bis fünfunddreißig und 54 Prozent der Frauen über fünfunddreißig. In dieser ältesten Gruppe sah es bei Frauen zwischen sechsunddreißig und vierzig und über vierzig ähnlich aus. Mehr als die Hälfte aller Frauen über vierzig wurden innerhalb eines Jahres schwanger.[2]

Meine Ärztin hatte letztlich also recht, als sie meine Bedenken zerstreute. Doch für mich war es viel beruhigender, diese Zahlen schwarz auf weiß vor mir liegen zu haben. Ich konnte im Detail nachvollziehen, dass es keinen großen Unterschied machte, wenn ich es erst mit dreißig statt mit achtundzwanzig versuchte. Ich konnte mir Gedanken über das Timing machen, falls wir uns für mehr als ein Kind entscheiden sollten. Und vor allem konnte ich feststellen, dass die Zahlen durch die Bank ziemlich hoch waren. Für mich war die Aussage »75 Prozent der Frauen wurden innerhalb eines Jahres schwanger« viel hilfreicher, als zu hören, dass es »bei den meisten Frauen funktioniert«. Denn ich wusste ja nicht, ob »die meisten« hier genau das bedeutete, was ich darunter verstand.

Diese Erfahrung habe ich immer wieder gemacht. Der Vorteil von Zahlen – von Fakten – ist, dass sie nicht der Interpretation anderer unterliegen. Es sind einfach nur Zahlen und ich kann entscheiden, was sie für mich persönlich bedeuten. In diesem Fall heißt das: Es ist schwieriger, schwanger zu werden, wenn man älter ist. Aber es ist definitiv nicht unmöglich.

Als wir begannen, ernsthafter über ein Kind nachzudenken, ließen die Sorgen über mein Alter nach. (Was sollte ich auch tun? Nicht älter zu werden war nicht wirklich eine Option.) Aber ich dachte über andere Aspekte der Vorbereitung nach. Bei meinem jährlichen Besuch fragte ich meine Gynäkologin, ob ich auf irgendetwas achten sollte. Abgesehen von dem sehr allgemeinen Hinweis, ich könne mich entspannen (gehört nicht zu meinen Stärken), betonte sie die Wichtigkeit von Sport. Ich solle vor der Schwangerschaft unbedingt Sport treiben.

Bei der Unterhaltung mit anderen Frauen stellte sich heraus, dass Sport treiben Bestandteil der allgemeinen Empfehlung war. Man sollte einfach vor Beginn der Schwangerschaft für eine gute körperliche Verfassung sorgen. Unabhängig von ärztlichen Ratschlägen hatte ich schon lange den Wunsch gehegt, vor der Schwangerschaft mein »Zielgewicht« zu erreichen. Gelungen war mir das bis dahin genau einmal im Leben, nämlich vor meiner Hochzeit. Damals hatte ich viermal pro Woche morgens um fünf Uhr 90 Minuten Ausdauertraining absolviert. Mit diesem Traumgewicht, stellte ich mir vor, wäre ich eine dieser Heidi-Klum-artigen Mütter, die während der gesamten Schwangerschaft großartig aussehen und acht Wochen nach der Geburt wieder als Bikini-Model arbeiten könnten.

Letztlich wurde ich dann gleich nach unserem Sommerurlaub schwanger, nicht gerade die beste Zeit des Jahres zum Abnehmen. Was soll’s, dachte ich mir, nach der Geburt ist das mit dem Zielgewicht bestimmt kein Problem. (Optimismus gehört zu meinen auffälligsten Eigenschaften.)

Abgesehen von meinem persönlichen Ehrgeiz war mir eigentlich nicht klar, warum ich mir über mein Gewicht während der Schwangerschaft Gedanken machen sollte. Spielte das irgendeine Rolle? Ein paar Pfund mehr oder weniger sollten doch nichts ausmachen. Insgesamt aber doch. Frauen (und ihre Ärztinnen) machen sich über Gewichtszunahme in der Schwangerschaft mächtig Sorgen, dabei ist das Gewicht vor der Schwangerschaft viel entscheidender.

Rund 70 Prozent der amerikanischen und gut 50 Prozent der deutschen Bevölkerung sind übergewichtig (haben einen BMI über 25). 35 Prozent in den USA sind sogar adipös (BMI über 30), in Deutschland sind es 16 Prozent. (Hinweis: Der BMI – Body Mass Index – wird berechnet, indem man sein Gewicht in Kilogramm durch die Körpergröße in Metern im Quadrat teilt. Beispiel: Wenn Sie 1,70 Meter groß sind und 68 Kilo wiegen, haben Sie einen BMI von 23,5.)

Adipöse Frauen haben während der Schwangerschaft erheblich öfter mit bestimmten Komplikationen zu kämpfen als normalgewichtige Frauen. Eine Studie, die dies sehr deutlich zeigt, zog etwa 5000 Geburten in einer Klinik in Mississippi heran.[3] Der Vorteil einer einzigen Klinik besteht darin, dass sich die Frauen hinsichtlich Einkommen, Bildung und anderer Aspekte alle sehr ähnlich sind. Ein großer Teil der in der Studie untersuchten Frauen war adipös.

Die Autoren beleuchten eine ganze Reihe von Auswirkungen auf die Mütter: Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung), Harnwegsinfektionen, Schwangerschaftsdiabetes, Frühgeburten, Nachgeburtsblutungen sowie die Notwendigkeit von Geburtseinleitung und Kaiserschnitt. Außerdem überprüfen sie bestimmte Aspekte bei den Kindern: wie häufig Schulterdystokie (nach der Geburt des Kopfes steckt die Schulter des Kindes im Becken der Mutter fest) auftritt, ob die Beatmung der Babys nötig ist, wie sie beim APGAR-Test abschneiden (bei dem in den ersten Minuten nach der Geburt der allgemeine Gesundheitszustand des Kindes anhand der Kriterien: Atmung, Puls, Grundtonus, Aussehen und Reflexe überprüft wird) und ob sie überdurchschnittlich klein oder groß sind.

Wie obige Grafik zeigt, kommen bei adipösen Frauen öfter Geburtskomplikationen vor. Ein Beispiel: 23 Prozent der normalgewichtigen Frauen entbinden mit Kaiserschnitt, dagegen sind es bei adipösen Frauen fast 40 Prozent.

Die Gefahr der Präeklampsie, einer schwerwiegenden Komplikation, ist bei adipösen Frauen dreimal so hoch. Übergewichtige Frauen (in dieser Grafik nicht erfasst) finden sich etwa in der Mitte. Das Risiko für einige Komplikationen ist leicht erhöht, aber der Unterschied zu den normalgewichtigen Frauen ist insgesamt gering.

Wie die Studie belegt, sind auch die Kinder der adipösen Frauen von bestimmten Komplikationen betroffen. Adipositas zu Beginn der Schwangerschaft erhöht bei den Kindern die Wahrscheinlichkeit von Schulterdystokie, schlechteren Werten beim APGAR-Test und anormaler Geburtsgröße. Erschreckender ist aber, dass die Kinder von adipösen Müttern auch ein höheres Sterberisiko haben, selbst wenn das (unabhängig vom Gewicht der Mütter) generell sehr gering ist.

Diese Daten stammen aus einer einzigen Studie, doch sie stimmen weitgehend mit anderen aus den USA und anderen Ländern überein.[4] Die Folgen sind auch nicht auf Auswirkungen während der Schwangerschaft beschränkt. Adipöse Frauen haben mehr Schwierigkeiten bei der Empfängnis, auch Frühaborte kommen bei ihnen häufiger vor.[5] Es gibt auch neuere Belege dafür, dass mit der mütterlichen Adipositas Probleme beim Milcheinschuss zusammenhängen, was den Erfolg beim Stillen beeinträchtigen kann.[6]

Das Fazit eines Überblicksartikels von 2010 lautet schlicht: »Die Adipositas der Mütter beeinträchtigt Empfängnis sowie Verlauf und Ergebnis der Schwangerschaft. Bei ihrem Nachwuchs besteht ein größeres Risiko für unmittelbare und langfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen.« Mit anderen Worten: Es ist schwieriger, schwanger zu werden und zu bleiben, spätere Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sowie gesundheitliche Probleme des Babys sind wahrscheinlicher. Alles Dinge, die man lieber vermeiden möchte.

Nichts davon deutet allerdings darauf hin, dass es ein Problem ist, wenn Sie ein paar überflüssige Pfunde nicht mehr loswerden. Die genannten Schwierigkeiten resultieren aus sehr starkem Übergewicht. Ich war vielleicht enttäuscht, dass ich es nicht auf mein Kampfgewicht geschafft hatte, aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich das negativ bemerkbar machte. Auch wer zu schlank ist, kann Probleme bei der Empfängnis haben.

Es deutet jedoch alles darauf hin, dass es von großem Vorteil ist, das Gewicht unter Kontrolle zu bringen, bevor man schwanger wird. Und natürlich wirkt sich eine Gewichtsreduktion nicht nur im Zuge einer Schwangerschaft positiv auf die Gesundheit aus. Sie sehen, Ihr (hypothetisches) Baby hilft Ihnen bereits jetzt!

Unterm Strich

Die Fruchtbarkeit lässt mit dem Alter nach, aber nicht so stark, wie Sie vielleicht befürchten. Die 35 ist keine magische Grenze.Adipositas vor Beginn der Schwangerschaft geht mit einem höheren Risiko von Komplikationen für Sie und Ihr Kind einher. Machen Sie sich keine Sorgen wegen ein paar Pfunden zu viel, aber wenn Sie deutliches Übergewicht haben, kann es vorteilhaft sein, vor der Schwangerschaft abzunehmen.

2. Schwanger werden: Zahlen und Fakten

Zwischen zwanzig und dreißig habe ich vor allem versucht, nicht schwanger zu werden. Ich habe mindestens drei verschiedene Pillensorten genommen und für kurze Zeit auch ein sogenanntes Verhütungspflaster verwendet. Im Nicht-Schwangerwerden war ich also schon mal ziemlich gut. Aber ich hatte Zweifel, ob ich das Schwangerwerden genauso hinkriegen würde.

Ich würde gerne behaupten, dass ich ganz lässig an die Sache herangegangen bin. Ich war schließlich erst dreißig, wir hatten noch viel Zeit und es gab keine Hinweise auf Probleme mit der Fruchtbarkeit. Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass ich so entspannt war wie meine Schwägerin Rebecca, die bereits zwei Monate mit meinem Neffen schwanger war, bevor sie es überhaupt merkte. Aber das entspricht nicht wirklich meiner Persönlichkeit. Schon bevor wir uns daran machten, ahnte ich, dass ich mich völlig neurotisch verhalten würde. Und so war es dann auch. Ich bekam schon eine Panikattacke, bevor wir überhaupt anfingen, es zu versuchen. (Damit habe ich vermutlich einen Rekord aufgestellt.) Als ich zu meiner Hausärztin ging, musterte die mich gründlich und meinte, dass ich mich vielleicht besser entspannen könnte, wenn ich mehr über den Vorgang wüsste (auch wenn ich ihn nicht kontrollieren konnte).

Keine Ahnung, warum ich nicht früher darauf gekommen war, aber sie lag genau richtig. Auf ihre Empfehlung hin nahm ich Toni Weschlers Buch Familienplanung zur Hand und las es von der ersten bis zur letzten Seite durch. Die wichtigste Erkenntnis dabei war, dass eine Menge richtig laufen musste, um überhaupt schwanger zu werden. Es grenzt förmlich an ein Wunder, dass die menschliche Spezies noch immer existiert.

An die grundlegenden Fakten zur Empfängnis erinnern Sie sich vielleicht noch aus dem Biologieunterricht: ungeschützter Sex, Spermium trifft Eizelle und schwupps ist man schwanger. In der Schule wird einem der Eindruck vermittelt, dass eine Schwangerschaft etwas enorm Wahrscheinliches ist – das gehört zur Taktik der Verhütung durch Abschreckung. In Wirklichkeit ist es die meiste Zeit eben nicht möglich, schwanger zu werden. Entscheidend ist das Timing: Spermien müssen genau in dem Moment parat stehen, wenn die Eizelle bereit ist.

Wann das so ist? Bei der Durchschnittsfrau dauert ein Menstruationszyklus 28 Tage, vom ersten Tag der Blutung bis zum Beginn der folgenden. Der erste Tag der Periode ist Tag 1. Die Woche der Periode und die darauffolgende Woche dienen der Vorbereitung auf den Eisprung. Etwa 14 Tage nach Beginn der Periode verlässt die Eizelle den Eierstock (das ist der Eisprung) und wandert im Eileiter Richtung Gebärmutter. Das dauert einige Tage und in dieser Zeit ist die Eizelle befruchtungsfähig. Wenn sie währenddessen einem Spermium über den Weg läuft und es flachlegt, kommt es zur Befruchtung. Wenn zwei Eizellen den Eierstock verlassen und auf Spermien treffen, bekommt man Zwillinge; die entstehen auch, wenn die befruchtete Eizelle sich gleich zu Beginn teilt. Wenn eine befruchtete Eizelle (oder auch zwei) dann die Gebärmutter erreicht, nistet sie sich dort ein und damit beginnt die Schwangerschaft. Der Prozess vom Eisprung bis zur Einnistung dauert sechs bis zwölf Tage. Bei den meisten erfolgreichen Schwangerschaften findet die Einnistung zwischen Tag 22 und 24 nach dem ersten Tag der letzten Periode statt.[7]

Diese gesamte zweite Hälfte des Zyklus (nach dem Eisprung) wird Lutealphase (Gelbkörperphase) genannt. Sie besteht entweder aus Befruchtung und Einnistung, oder die Eizelle wartet in der Gebärmutter darauf, mit der nächsten Periode hinausbefördert zu werden. Wenn Sie nicht schwanger geworden sind, startet an Tag 28 Ihre Periode. Wenn Sie schwanger sind, verstreicht Tag 28 ohne Blutung – dann haben Sie’s geschafft und es kann losgehen. Hier noch einmal der grundlegende Ablauf (für Frauen mit einem standardmäßigen 28-Tage-Zyklus; wenn Ihrer etwas länger oder kürzer ist, findet Ihr Eisprung ein wenig vor oder nach Tag 14 statt):

Entscheidend für das Schwangerwerden ist, dass das Sperma bereits wartet, wenn die Eizelle durch den Eileiter wandert. Das heißt, die beste Zeit für Sex ist der Tag vor dem Eisprung und der Tag des Eisprungs. Da die Spermien eine Zeit lang brauchen, um in den Eileiter zu gelangen, ist der Tag nach dem Eisprung im Allgemeinen zu spät.

Allerdings sind Spermien etwas robuster als die Eizelle. Sie überleben in der Regel fünf Tage Wartezeit im Eileiter. Was bedeutet, dass das Zeitfenster tatsächlich ein wenig größer ist und Sex auch vier oder fünf Tage vor dem Eisprung zu einem Kind führen kann, auch wenn das weniger wahrscheinlich ist. Ich wollte wissen, um wie viel weniger wahrscheinlich. Dieses ganze Gerede vom »fertilen Fenster« – war da überhaupt was dran? Wie klein ist dieses Fenster wirklich?

Um das herauszufinden, muss man schon einiges über das Sexleben der Testpersonen wissen. Glücklicherweise stellen sich dennoch ein paar Forschende dieser Herausforderung. Ich fand eine Studie, in der über ein Jahr lang mehr als zweihundert Paare begleitet wurden, die versuchten, ein Kind zu kommen. Die Forschungsgruppe sammelte detaillierte Informationen über den Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs und nahm täglich(!) Urinproben, um sowohl Eisprung als auch Schwangerschaft feststellen zu können.[8] Mit diesen Daten fanden sie den besten Sex-Zeitpunkt für ein Baby heraus (das war nicht das Ziel der Studie, aber ein lehrreiches Zusatzergebnis).

Ganz leicht lässt sich das allerdings nicht feststellen, da die meisten Paare, die sich ein Kind wünschen, sehr häufig Sex haben, weswegen schwer zu sagen ist, welcher Sex nun zur Schwangerschaft führte: War es der am Tag vor dem Eisprung? Oder der drei Tage davor? Die Forschenden umgingen dieses Problem, indem sie sich auf die Frauen konzentrierten, die in ihrer wahrscheinlich fruchtbaren Phase nur ein einziges Mal Sex hatten. Anhand dieser Fälle lässt sich die Empfängniswahrscheinlichkeit je nach Tag darstellen:

An den meisten Zyklustagen ist eine Schwangerschaft unmöglich (jedenfalls laut diesen Daten). Keine der Frauen wurde durch Sex nach dem Eisprung schwanger – bis die Spermien in den Eileiter gewandert sind, ist die Eizelle längst weg. Auch durch Sex länger als fünf Tage vor dem Eisprung wurde niemand schwanger.

Das Fenster für eine mögliche Empfängnis ist also tatsächlich klein: von fünf Tagen vor dem Eisprung bis zum Tag des Eisprungs. Doch mit dem richtigen Timing ist die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft hoch: über 30 Prozent am Tag des Eisprungs und am Tag davor. Das sind doch wirklich gute Chancen!

Wenn Sie sich also nur einen Tag pro Monat für Sex raussuchen müssten, dann sollten Sie den Tag des Eisprungs nehmen (oder den Tag davor, da stehen die Chancen ähnlich). Auch im Fall künstlicher Befruchtung sollte man den Tag des Eisprungs oder den davor auswählen, wo eine Befruchtung am wahrscheinlichsten ist. Bei den meisten Frauen mit einem normalen 28-tägigen Zyklus ist das Tag 14 nach Beginn der Periode.

Eine Möglichkeit sicherzustellen, dass man auf jeden Fall am Tag des Eisprungs Sex hat, besteht darin, an allen Tagen rund um den möglichen Termin (oder einfach überhaupt jeden Tag) Sex zu haben. Bei Männern ist diese Strategie recht beliebt, zumindest in den ersten ein, zwei Monaten. Doch einige Frauenärztinnen werden Sie davor warnen. Mir wurde gesagt, jeden zweiten Tag Sex sei die beste Strategie. Dadurch würde man auf jeden Fall einen der zwei besten Tage erwischen. Begründet wird das so: Wenn Sie (bzw. Ihr Partner) das Sperma »aufsparen«, steigen die Chancen auf eine Schwangerschaft. Umgekehrt führe zu viel Sparen (also vielleicht zehn Tage mit dem Sex auszusetzen) zu einer Verminderung der Effektivität der Spermien.[9]

Ich war in dieser Hinsicht immer etwas skeptisch. Es klingt für mich glaubwürdig, dass die Menge des Spermas höher ist, wenn man einen Tag wartet. Aber ist sie dann wirklich mehr als doppelt so hoch? Denn so müsste es ja sein, sollte die »Alle-zwei-Tage-Methode« wirklich den täglichen Sex an Wirksamkeit übertreffen.

Es stellte sich heraus, dass meine Zweifel durchaus angebracht waren. Der gleiche Artikel, aus dem ich die Informationen für den richtigen Tag entnommen hatte, gibt auch Auskunft darüber, ob die Sexhäufigkeit eine Rolle spielt. Die Forschenden errechneten jeweils die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft für die Paare, die in den sechs Tagen bis zum Eisprung einmal, zweimal, dreimal und so weiter Sex hatten. Die Unterschiede waren zu vernachlässigen. Mit anderen Worten: Sex jeden zweiten Tag oder häufiger oder weniger häufig schien keinen Vorteil zu bieten, entscheidend war, dass der Tag des Eisprungs oder der davor auf jeden Fall dabei war.

Damit schien die Sache ziemlich einfach: Ich musste nur herausfinden, wann mein Eisprung stattfand, und an dem Tag oder am Tag davor Sex haben. Das konnte ja nicht so schwer sein, dachte ich, auch wenn ich mir ein paar Gedanken wegen Dienstreisen machte. Zugleich klopfte ich mir selbst auf die Schulter, weil ich das, was der Schwangerschaftsratgeber als größtes Hindernis dargestellt hatte, schon mal umgehen konnte: nämlich am richtigen Tag keinen Sex zu haben.

Es blieb nur ein Problem: Ich hatte offenbar überhaupt keinen Eisprung. Oder jedenfalls lief es bei mir nicht ab wie üblich. Meine Ärztin erklärte mir, dass sich mein Zyklus mit dem Absetzen der Pille normalisieren würde (oder jedenfalls wieder so werden wie vor der Pille – als ob ich mich daran erinnern könnte), und zwar innerhalb von drei Monaten. So war es aber nicht. Mal lagen zwei Monate zwischen einer Periode, dann wieder kam sie zweimal innerhalb weniger Wochen.

Nach drei Monaten und einem Tag kontaktierte ich meine Ärztin. »Was ist denn da los?«, fragte ich die Sprechstundenhilfe, als sie zurückrief. »Muss ich mir Sorgen machen? Was soll ich tun?«

Was ich brauchte, war eine präzise Antwort, etwa: Bei 70 Prozent der Frauen normalisiert sich der Zyklus innerhalb von drei Monaten, bei 90 Prozent innerhalb von sechs Monaten. Ich wollte wissen, ob es eine Rolle spielte, dass ich die Pille zwölf Jahre lang genommen hatte. Würde es deswegen länger dauern? Aber so eine Antwort bekam ich nicht, stattdessen etwas, was man als vage Beruhigung bezeichnen könnte (und wieder mal das wahnsinnig hilfreiche »Entspannen Sie sich!«).

Ich dachte, wenn ich nachhakte, bekäme ich detaillierte Zahlen, aber das war nicht der Fall. »Jede ist anders«, wurde mir beschieden. »Und genau darum habe ich nach dem Durchschnitt gefragt«, beschwerte ich mich bei Jesse. Diese Erfahrung machte ich immer wieder. Wie aussagekräftig war denn die Ultraschalluntersuchung, zu der man mir riet? »Schon ziemlich.« Wann müsste ich denn mit dem Einsetzen der Wehen rechnen? »Das ist bei jeder Frau anders.«

Ich brauchte Zahlen. Ich wollte Belege. Selbst wenn die Antwort lautete, dass die nur ungenau und unvollständig vorhanden waren, wollte ich das wissen. Schon gut, ich hatte begriffen, dass jeder Mensch anders ist. Aber das bedeutete doch nicht, dass es überhaupt keine Informationen gab! Also machte ich mich wieder auf eigene Faust auf die Suche nach Zahlen.

Gängige und beliebte temporäre Methoden zur Empfängnisverhütung sind Pille, Kondom, Spirale und Coitus interruptus. Kondome und Coitus interruptus haben selbstverständlich keine Auswirkungen auf den weiblichen Zyklus. Nach dem Weglassen der Kondome wird der Zyklus, wie auch immer er individuell verläuft, der gleiche bleiben und das gilt genauso für den Coitus interruptus (und sämtliche Barrieremethoden wie Diaphragma, Verhütungsschwamm und Ähnliches).

Bei der Pille ist die Sache komplizierter. Wie meine Ärztin meinte, normalisiert sich der Zyklus teilweise sofort wieder, doch manchmal kann das auch länger dauern. Ein Blick in die entsprechenden Untersuchungen gibt darüber sehr viel präziser Auskunft. In einer deutschen Studie[10] wurde der Menstruationszyklus von Frauen untersucht, die die Pille gerade erst abgesetzt hatten. Demnach dauerte es bei manchen Frauen bis zu neun Monate, bis sie wieder einen »normalen« Zyklus hatten. Diese Frauen hatten in den ersten Monaten nach dem Absetzen der Pille längere Menstruationszyklen, häufiger Zyklen ohne Eisprung und Zyklen, bei denen die zweite Hälfte (die Lutealphase) so kurz war, dass eine Schwangerschaft unwahrscheinlich war. Diese Studie ist mit anderen vergleichbar. So untersuchten Forschende in den USA Frauen, die die Pille in den letzten drei Monaten abgesetzt hatten, und fanden heraus, dass ihre Zyklen (ein paar Tage) länger dauerten, die Zyklusdauer stärker variierte und der Eisprung später stattfand als bei Frauen, die schon länger keine Pille mehr nahmen.[11] Außerdem stellten sie bei der Untersuchung des Zervixschleims fest, dass er bei Frauen, die die Pille schon vor längerer Zeit abgesetzt hatten, »spermienfreundlicher« war.

Die gute Nachricht lautet, dass all diese Nachwirkungen relativ kurzlebig sind. In der deutschen Studie hatten fast alle Frauen nach neun Monaten wieder einen normalen Zyklus. Bei vielen ging es auch deutlich schneller: Fast 60 Prozent der Probandinnen hatten bereits im ersten Monat nach Absetzen der Pille einen normalen Zyklus. Was mich ebenfalls beruhigte: Sobald wieder ein Eisprung stattfand, beeinträchtigte die frühere Einnahme der Pille die Chancen auf Schwangerschaft nicht.

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